Lächelnde Lügner - Friedrich-Schiller-Universität Jena
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Verhärtete Fronten<br />
Die Podiumsdiskussion zum Umgang mit Nazis in den Uni-Medien<br />
Nach zwei Wochen der emotionalen<br />
Auseinandersetzungen sollte es eigentlich<br />
eine sachliche Diskussion werden.<br />
Die vier studentischen Medien hatten am<br />
28. Januar zum Thema „Wie sollten studentische<br />
Medien über Rechtsextremismus<br />
berichten?“ in den Hörsaal 1 geladen. Eine<br />
Patentantwort auf diese Frage bekamen die<br />
über 400 Zuhörer jedoch nicht.<br />
Die Unique hatte in ihrer letzten Ausgabe<br />
ein Interview mit einem Mitglied der<br />
rechtsextremen NPD geführt und damit einen<br />
Sturm der Empörung ausgelöst: Selbst<br />
große Thüringer Zeitungen berichteten darüber,<br />
die Linksfraktion im Landtag forderte<br />
den Rücktritt des Chefredakteurs. Auch in<br />
den studentischen Medien sowie im Stura<br />
wurde das Interview von Fabian Köhler und<br />
Lutz Thormann thematisiert und als extrem<br />
unprofessionell und distanzlos kritisiert.<br />
Auf dem Podium saßen nun neben den beiden<br />
Redakteuren der Unique, die das Interview<br />
geführt hatten, Vertreter der anderen<br />
studentischen Medien, zwei Kommunikationswissenschaftler<br />
und ein Sprecher des<br />
Aktionsnetzwerks gegen Rechtsextremismus.<br />
Die beiden Unique-Redakteure waren mit<br />
ihrer Argumentation auf dem Podium isoliert.<br />
Zwar bedauerten sie die mangelhafte<br />
journalistische Qualität ihres Interviews,<br />
verteidigten jedoch grundsätzlich dessen<br />
Veröffentlichung. Sie wollten keinen „politisch<br />
geleiteten Wohlfühljournalismus“<br />
betreiben, der dem Leser die eigenen Wertvorstellungen<br />
„aufdrückt“. Schließlich habe<br />
dieser ein Recht auf die Darstellung der gesellschaftlichen<br />
Realitäten und könne sich<br />
so selbst ein Bild machen. Man könne die<br />
Welt nicht einfach in gute Demokraten und<br />
böse Nazis einteilen – das sei zu undifferenziert.<br />
Christoph Ellinghaus, Sprecher des <strong>Jena</strong>er<br />
Aktionsnetzwerks gegen Rechtsextremismus,<br />
war über diese Naivität erschrocken.<br />
Die Strategie der Nazis, sich im öffentlichen<br />
Diskurs als eine Position unter vielen<br />
darzustellen, sei damit aufgegangen.<br />
Die Unique habe diesen gedankenlos eine<br />
Plattform geboten. Nazis dürfe man keine<br />
Öffentlichkeit geben: „Faschismus ist keine<br />
Meinung, sondern ein Verbrechen!“<br />
Dem schloss sich der Kommunikationspsychologe<br />
Wolfgang Frindte bedingungslos<br />
an. Nazis dürfe man keinen Raum geben! Im<br />
therapeutischen Kontext könne man zwar<br />
beispielsweise einen Pädophilen ernst nehmen,<br />
aber das bedeute noch lange nicht,<br />
dass man ihm deshalb eine öffentliche<br />
Plattform für seine Vorstellungen bieten<br />
müsse. Medien könnten gesellschaftliche<br />
Realitäten gar nicht abbilden, sondern sie<br />
konstruierten sie erst. Als Beispiel nannte<br />
er die unterschiedliche Berichterstattung in<br />
den neunziger Jahren über rechtsextreme<br />
Anschläge. Letztendlich hätten die Rechten<br />
von dieser Debatte profitiert.<br />
Der Medienökonom Wolfgang Seufert sah<br />
im Unique-Interview<br />
die Gefahr eines Image-<br />
Schadens für die <strong>Jena</strong>er<br />
<strong>Universität</strong>. Man müsse<br />
Pressefreiheit und<br />
journalistische Qualität<br />
zusammen denken,<br />
woraus er die Pflicht zu<br />
einer verantwortungsvollenBerichterstattung<br />
ableitete, die sich<br />
ihrer eigenen Grenzen<br />
bewusst ist.<br />
Diese Grenzen wurden<br />
für Louisa Reichstetter,<br />
ehemalige Chefredakteurin<br />
des Akrützels,<br />
durch das veröffentlichte<br />
Interview deutlich überschritten. Besonders<br />
irritierte sie, dass überhaupt keine<br />
kritischen Nachfragen erfolgt seien: „Es<br />
mangelt heutzutage nicht an mutigen Journalisten,<br />
die auch aus dem braunen Haus<br />
berichten würden, sondern vielmehr an<br />
kritischen.“ Die beiden Unique-Redakteure<br />
hätten ihre journalistische Verantwortung<br />
vergessen, weil sie die Aussagen<br />
unkommentiert stehen ließen und diese<br />
nicht eingeordnet hätten. Studentische, ehrenamtliche<br />
Medien sollten vielleicht lieber<br />
mit den Aufklärungseinrichtungen „Aktionsnetzwerk<br />
gegen Rechtsextremismus“<br />
oder „Kokont“ zusammenarbeiten, schlug<br />
sie vor. Die Vertreter von CampusTV und<br />
Campusradio äußerten sich in der Diskussion<br />
kaum.<br />
Podium und Publikum gespalten<br />
Das Publikum war ähnlich tief gespalten<br />
wie das Podium. Beide Parteien hatten ihre<br />
Claqueure und Buh-Rufer mitgebracht. So<br />
beschwerte sich ein Jura-Student über die<br />
Zusammensetzung des Podiums, dies stelle<br />
eher ein Tribunal für die beiden Unique-<br />
Redakteure dar. Christoph Ellinghaus warf<br />
er vor, nur „antifaschistische Gassenhauer“<br />
zu verbreiten. Ein Unique-Redakteur verteidigte<br />
das Interview, da es Aufgabe des<br />
Magazins sei, besonders auch Subkulturen,<br />
zu denen er die Nazis zählte, abzubilden.<br />
Weiterhin konnte an diesem Abend nicht<br />
geklärt werden, wie lange man sich wirklich<br />
auf das Argument des „Versehens“<br />
zurückziehen könne: Auf der Seite des besagten<br />
Interviews ist nämlich nicht nur eine<br />
„8“, sondern auch eine SS-Rune der Kunstsprache<br />
„Tarna“ abgedruckt. Kommentare<br />
auf der Internetseite, in denen stadtbekannte<br />
Nazis im Konjunktiv den Holocaust<br />
leugneten, moderierte Unique-Chef Köhler<br />
nicht – entfernte sie jedoch nach Ende der<br />
Diskussion auf Druck der <strong>Universität</strong>sleitung.<br />
Gerade auch wie sich die Redakteure der<br />
Unique in der Diskussion verteidigten,<br />
machte das ganze Interview für einen Zuhörer<br />
noch fragwürdiger. Man wisse nicht,<br />
wo die beiden Redakteure stünden: „Das<br />
veröffentlichte Interview hätte so auch auf<br />
einer NPD-Seite stehen können“, resümierte<br />
ein Politikwissenschaftsstudent und<br />
warf zum Abschluss die Frage nach einem<br />
Rücktritt des Chefredakteurs auf: „Das ist<br />
für euch keine Option, oder?“<br />
„Das ist der eigentliche Skandal“, antwortete<br />
ihm Lutz Thormann, „dass nun Köpfe<br />
rollen sollen.“<br />
Insgesamt schien es so, als ob die bestehenden<br />
Fronten nach der mehr als zweistündigen<br />
Diskussion nur noch verhärteter<br />
waren. Dennoch merkte der Rektor der<br />
<strong>Universität</strong>, Klaus Dicke, gegenüber den<br />
Autoren leicht ironisierend an: „Wenn Sie<br />
diese Diskussion angezielt hätten – mein<br />
Kompliment!“ Was er meinte, verdeutlichte<br />
Christoph Ellinghaus im Schlusswort der<br />
Debatte: Er sah gerade darin ein gutes Zeichen<br />
für die Uni, dass sich die Studenten<br />
empören. Denn wer sich nicht mehr über<br />
ein solches Thema empört, dem bedeutet<br />
es auch nichts mehr.<br />
Norbert Krause, Matthias<br />
Benkenstein, Hauke Rehr<br />
Uni<br />
Weil der HS 8 zu<br />
klein war, zog<br />
man spontan in<br />
den HS 1 um:<br />
Mehr als 400<br />
Leute wollten<br />
die Diskussion<br />
verfolgen, wie<br />
viel Raum Nazis<br />
in den Medien<br />
gewährt werden<br />
sollte.<br />
FOTO:<br />
KATHARINA<br />
SCHMIDT<br />
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