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Lächelnde Lügner - Friedrich-Schiller-Universität Jena

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Der gläserne Jenenser<br />

Im Buchhandel werden Adressen von <strong>Jena</strong>er Einwohnern verkauft<br />

Das München des Ostens“ nannte der<br />

Spiegel vor zwei Jahren die Stadt<br />

<strong>Jena</strong>. Dies vor allem aufgrund der hohen<br />

Mietpreise – geradezu paradiesische Verhältnisse<br />

für „Miethaie“. Erst recht, wenn<br />

in <strong>Jena</strong> gerade mal ein Wohnungs-Leerstand<br />

von nur 2 Prozent herrscht.<br />

Um so erstaunlicher, wenn die Stadt <strong>Jena</strong><br />

selbst über ihren Eigenbetrieb „Kommunale<br />

Immobilien <strong>Jena</strong>“ (KIJ) konsequent die<br />

letzten preiswerten Wohnräume vernichtet.<br />

Davon betroffen sind die meist studentischen<br />

Bewohner, so auch in zwei Häusern<br />

in der Wiesenstraße. Die Stadt plant<br />

hier eine Straßenbegradigung entlang der<br />

Saale und kündigte daher die Mietverträge<br />

Anfang 2007. Daraufhin protestierten die<br />

Betroffenen öffentlich gegen den Neubau<br />

und legten Rechtsmittel ein. Auch weil der<br />

ökologische Schaden für die Saaleaue enorm<br />

wäre. Außerdem wurde niemals ein<br />

Sozialplan aufgestellt, der zur Finanzierung<br />

des Projektes in den Förderkriterien<br />

für die Rückbaumittel Ost gefordert wird.<br />

Zwar hat die Stadt bis heute kein Baurecht<br />

„<br />

Als der Student Mike Niederstraßer in<br />

der „Thalia“ zufällig auf das Buch „<strong>Jena</strong><br />

informiert“ stieß, dachte er zunächst, es sei<br />

ein harmloses Werbebuch. Doch als er neben<br />

Unternehmenswerbung seine eigene<br />

Adresse abgedruckt fand, war er<br />

empört. Fast alle <strong>Jena</strong>er Bürger sind in<br />

„<strong>Jena</strong> informiert“ abgedruckt – im vorderen<br />

Teil alphabetisch nach Nachnamen<br />

sortiert, im hinteren Teil nach<br />

Straßennamen geordnet. Verzeichnet<br />

ist laut Gesetz jeder, der mindestens<br />

18 Jahre alt ist und mit Hauptwohnsitz<br />

in <strong>Jena</strong> gemeldet ist.<br />

Stura-Mitglied Felix Tasch hält das<br />

Buch für „einen gefährlichen Eingriff<br />

in die Persönlichkeitsrechte“. Wer<br />

seine Daten in diversen Onlinecommunitys<br />

veröffentliche, habe persönlichen Einfluss<br />

darauf. Bei diesem Buch wüssten aber<br />

viele gar nicht, dass sie darin veröffentlicht<br />

seien. Markus Giebe, Vorsitzender des <strong>Jena</strong>er<br />

Studentenbeirats, forderte die Stadt auf,<br />

die Bürger bereits bei der Anmeldung des<br />

Hauptwohnsitzes auf die Veröffentlichung<br />

ihrer Daten aufmerksam zu machen und<br />

auf die Möglichkeit eines Widerrufs hinzuweisen.<br />

Die Reaktion der Stadt auf die Forderungen<br />

des Studierendenbeirats standen<br />

zu Redaktionsschluss noch aus.<br />

Für bedenklich hält Mike Niederstraßer, dass<br />

auch Parteien die Adressdaten jederzeit abrufen<br />

können. „Ich möchte nicht, dass die<br />

NPD meine Adresse für Wahlkampfwerbung<br />

nutzt.“ Die Adressen der Bürger kauft<br />

ein Buchverlag bei der Stadt <strong>Jena</strong> ein. Im<br />

Thüringer Meldegesetz Paragraph 32 heißt<br />

es, dass Kommunen in Thüringen verpflichtet<br />

sind, „Auskunft über Vor- und Famili-<br />

Rausgeekelt<br />

Über den Umgang der Stadt <strong>Jena</strong> mit seinen Mietern<br />

für die Straße, dafür bemüht sie sich aber,<br />

ihre Mieter in einem zermürbenden Kleinkrieg<br />

aus ihren Wohnungen zu vertreiben.<br />

Beispielsweise wurde die KIJ in einem<br />

Schreiben vom November 2008 – nach<br />

dem unfreiwilligen Auszug der meisten<br />

Mieter – auf die zu erwartenden Frostschäden<br />

an den Wasser- und Abwasserleitungen<br />

im Haus hingewiesen. Doch die<br />

einzige Reaktion war, dass in mehreren<br />

verschlossenen Kellerverschlägen die Außenfenster<br />

bei -24 Grad geöffnet wurden.<br />

Die dadurch geplatzen Wasserleitungen<br />

will die KIJ aber nicht mehr reparieren lassen.<br />

Seitdem gibt es kein Wasser mehr.<br />

Es ist kein Wunder, dass diesem zermürbenden<br />

Druck am Ende nur noch drei<br />

Mietparteien standhielten. Auch wenn die<br />

KIJ vom Gericht recht bekam, rechtfertigt<br />

dies nicht ein solches Verhalten von einer<br />

Stadt, die sich als „Studentenparadies“ vermarktet.<br />

Die letzten Mieter erhielten nun<br />

ein unwiderstehliches Angebot von der<br />

KIJ. Sie sollen auf ihre Berufungsrechte, auf<br />

Räumungsschutz und Instandhaltungsleis-<br />

ennamen, Doktorgrad und Anschriften der<br />

Bürger“ für „gedruckte Nachschlagewerke“<br />

bzw. Wahlkampfwerbung zur Verfügung zu<br />

stellen.<br />

Neu sei diese Praxis nicht, sagt Olaf<br />

Schroth, Leiter des Bürgeramts <strong>Jena</strong>:<br />

Bereits seit 1990 drucken Adressbuchverlage<br />

Anschriften von <strong>Jena</strong>er Bürgern<br />

in derartigen Nachschlagewerken ab.<br />

Die Stadt weise in ihrem Amtsblatt<br />

sowie auf ihrer Internetseite auf die<br />

Möglichkeit eines Widerrufs hin. „Wir<br />

können aber unmöglich jedem Bürger<br />

einen Brief schreiben“, verteidigt er<br />

die Stadt, die letztlich die Daten an die<br />

Verlage weitergeben muss.<br />

Verkauft wird das Buch für 16 Euro im<br />

Buchhandel sowie auf der Homepage des<br />

Heise-Adressbuch-Verlags, der das Werk<br />

zusammenstellt und druckt.<br />

Auch in anderen Thüringer Kommunen<br />

erscheint ein solches Adressbuch, beispielsweise<br />

in Apolda, Erfurt, Gera und Gotha.<br />

Die nächste Adressausgabe von „<strong>Jena</strong> informiert“<br />

erscheint voraussichtlich in fünf oder<br />

sechs Jahren. Franz Purucker<br />

tungen sowie auf die Entschädigungen für<br />

eventuelle Schäden aus der Nutzung des<br />

Gebäudes verzichten. Dafür bekommen<br />

sie 500 Euro für die Umzugskosten. Zurzeit<br />

gibt sich die Verwaltung noch optimistisch<br />

und hofft mit der Bauplanung im Jahr<br />

2012 beginnen zu können. Aufgrund der<br />

verschärften Hochwasserschutzrichtlinien<br />

nach dem Elbehochwasser ist damit aber<br />

kaum zu rechnen. Alexander Strauß<br />

Stadt<br />

Widerspruchsformular<br />

mit fertigem<br />

Briefkopf<br />

auf: www.stura.<br />

uni-jena.de<br />

FOTO:<br />

FLICKR.COM/<br />

SCOYOBLOG<br />

Weitere Infos unter:<br />

www.rettet-diesaaleaue.de.vu<br />

FOTO:<br />

KATHARINA SCHMIDT<br />

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