anders als erwartet

ganz schlimm. Jede Familie existierte fortan für sich allein, die
Großfamilie ist auseinandergebröckelt.
Ob es daran lag, dass das Neue plötzlich interessanter wurde
als das Altbewährte, wir uns nicht mehr die Zeit nahmen,
uns zu sehen? Weil die neue Welt des Westens uns so viel
mehr und anderes bot? Fuhr man im Sommer lieber in den
Urlaub und fanden deshalb unsere traditionellen Feste nicht
mehr statt? Wäre es vielleicht auch ohne die Wiedervereinigung
irgendwann einfach vorbei gewesen? Ich habe keine
Antworten auf diese Fragen, obwohl ich sie mir schon sehr oft
gestellt habe.
Wir haben zwar seit ein paar Jahren die Tradition, dass meine
Eltern mit meinen Geschwistern an Weihnachten zu mir
und meiner Familie nach Magdeburg kommen und wir dort
gemeinsam feiern. Aber das ist nicht mehr das Gleiche wie
damals, als wir diese großen, unbeschwerten Familienfeste in
Damsdorf erlebten. Das ist etwas, das ich meinen beiden Kindern
Lucie und Elvis auch gern ermöglichen würde – leider ist
es so nicht möglich. Die Tafel aus der Berentzen-Werbung
bliebe halb leer. Maria, die Kinder und ich, wir sind zu viert.
Katharina und Felix, meine Geschwister, haben noch keine
Familien gegründet. Zu meinen Tanten und Onkeln, Cousins
und Cousinen habe ich seit dem Tod meiner Großeltern kaum
noch Kontakt. Inzwischen lebt Onkel Hartmut, der jüngere
Bruder meiner Mutter, in dem Haus der Großeltern. Opa
starb vor zehn Jahren, Oma 2006.
Unsere Großfamilie war prinzipiell zufrieden und glücklich
in der DDR. Klar, uns ging es allen gut dort. Uns in der Stadt
und den anderen auf dem Dorf. Dort war wirklich heile Welt.
Mein Leben in Berlin war mehr oder weniger unbeschwert,
aber Damsdorf hat alles noch übertroffen. Unsere Zufriedenheit
war sicherlich unter anderem auch statusbedingt. Wir
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