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Der inszenierte Abschied - hülswitt druck und medien

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20<br />

Impressionen eternity februar 2012<br />

Friedhof der sprechenden Grabsteine<br />

Eine spannende Zeitreise in Süderende auf Föhr<br />

Von Andrea Lorenzen-Maertin<br />

Wer auf die Nordseeinsel Föhr übersetzt,<br />

sucht vor allem Erholung auf einem Eiland,<br />

das gerne auch als friesische Karibik bezeichnet<br />

wird. Dabei gibt es neben den schönen<br />

Stränden noch viel mehr zu entdecken. Zum<br />

Beispiel im kleinen Örtchen Süderende. <strong>Der</strong><br />

etwas erhöht auf einer Warft liegende Friedhof<br />

an der evangelisch-lutherischen Kirche St.<br />

Laurentii ist etwas ganz Besonderes – denn<br />

hier gibt es die sprechenden Grabsteine! Da<br />

sich das Pflanzen von Hecken <strong>und</strong> Blumen<br />

erst sehr spät eingebürgert hat, ragen auch<br />

heute noch die Grabsteine vergangener Jahrh<strong>und</strong>erte<br />

zwischen dem Gras empor. Und die<br />

erzählen in beein<strong>druck</strong>ender Weise die Lebensgeschichte<br />

der Verstorbenen in Schriftform<br />

<strong>und</strong> halten sie so schon seit mehr als<br />

300 Jahren für die Nachwelt fest. Wer sich<br />

etwas Zeit nimmt <strong>und</strong> die Beschriftungen der<br />

Grabsteine aufmerksam liest, begibt sich auf<br />

eine spannende Zeitreise in längst vergangene<br />

Tage. Als der Walfang <strong>und</strong> die Seefahrt<br />

um 1650 an wirtschaftlicher Bedeutung gewannen,<br />

hielten die viel leichter zu bearbeitenden<br />

Sandsteine Einzug auf den Friedhöfen<br />

der nordfriesischen Inseln. <strong>Der</strong> bis dahin verwandte<br />

Feldkopfstein aus Granit, der nur die<br />

Initialen <strong>und</strong> Lebensdaten des Toten zeigte,<br />

wurde zum immer seltener benutzten „Arme-<br />

Leute-Stein“. Nun kam die Zeit, da ausführ-<br />

1 Von der hohen Kindersterblichkeit der Zeit zeugt der Grabstein der Kinder von Familie Mögens, die um<br />

drei ihrer Lieblinge trauert.<br />

lich aus dem Leben des Verstorbenen berichtet<br />

werden konnte. Und zwar so detailliert,<br />

dass neben dem Beruf <strong>und</strong> Rang, auch Kinder,<br />

Ehefrauen <strong>und</strong> sogar Ehrenämter erwähnt<br />

wurden. Die meisten Grabsteine sind<br />

in hochdeutscher Sprache verfasst, nur ein<br />

Stein des 17. Jahrh<strong>und</strong>erts benutzt das Plattdeutsche.<br />

Erst im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert gab es<br />

auch Grabsteine in Föhringer Sprache. Im<br />

oberen Teil des Steines oder der Stele befindet<br />

sich meist ein Symbol, oft eingefasst in<br />

eine w<strong>und</strong>erschöne Darstellung einer Szene,<br />

darunter steht die Lebensgeschichte, in die<br />

die Lebensdaten des Verstorben <strong>und</strong> manchmal<br />

auch die von Ehefrauen <strong>und</strong> Kindern eingebettet<br />

sind. Ein Bibelspruch am unteren<br />

Ende des Steins r<strong>und</strong>et das Gesamtkunstwerk<br />

ab. Die auf den Steinen <strong>und</strong> Stelen verwendeten<br />

Bilder haben ihren Ursprung in der<br />

Bibel, im Berufsleben der Verstorbenen, der<br />

Natur oder der Mythologie. Kreuz, Herz,<br />

Anker: Diese Symbole stehen für die drei<br />

christlichen Gr<strong>und</strong>tugenden Glaube, Liebe<br />

<strong>und</strong> Hoffnung, die der Apostel Paulus bennent<br />

(1. Kor., 13,13). Diese Symbole sind besonders<br />

häufig auf dem Friedhof in<br />

Süderende vertreten. <strong>Der</strong> Anker steht dabei<br />

auch oft allein, als Zeichen der Hoffnung. Blumen,<br />

Familienstrauß: Die Blumen, Zeichen<br />

der Vergänglichkeit, stehen für verstorbene<br />

<strong>und</strong> lebende Mitglieder einer Familie. Väter<br />

<strong>und</strong> Söhne erscheinen als Glockenblumen<br />

oder Tulpen, Mütter <strong>und</strong> Töchter sind meist<br />

Sternenblumen. Abgeknickte Blüten symbolisieren<br />

die Verstorbenen. Palmenzweig <strong>und</strong><br />

Krone: Beide Symbole sind Aus<strong>druck</strong> der<br />

Hoffnung <strong>und</strong> Auferstehung, der Überwindung<br />

von Welt <strong>und</strong> Tod. Bis heute findet sich<br />

vor allem der immergrüne Palmenzweig auf<br />

vielen Gräbern. Schiff: In erster Linie ist es auf<br />

dem Friedhof von St. Laurentii ein Berufssymbol<br />

der vielen Commandeure (Führer von<br />

Walfangschiffen) <strong>und</strong> Kapitäne, die hier begraben<br />

liegen. Es ist aber zugleich ein Sinnbild<br />

des Lebens. So steht die Fahrt des<br />

Schiffes für die ständige Gefährdung des Daseins<br />

sowie für die Hoffnung auf ein letztes<br />

Gelingen im „Hafen der himmlischen Vollendung“.<br />

Es heißt, ein Schiff unter vollen Segeln<br />

deute darauf hin, dass der Kapitän mitten aus<br />

dem Leben gerissen worden sei. Auf dem St.<br />

Laurentii-Friedhof sind jedoch auch die<br />

Schiffe auf Grabsteinen sehr alt verstorbener<br />

Schiffsführer häufig nicht abgetakelt. Schmetterling,<br />

Falter: Seit der Antike ein Zeichen für<br />

die unsterbliche Seele. Im 18. <strong>und</strong> 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

waren diese Symbole auf protestantischen<br />

Friedhöfen sehr beliebt. Taube: Oft<br />

paarweise mit einem Anker dargestellt gilt sie<br />

als „Seelenvogel“. Äskulabstab <strong>und</strong> Ähren:<br />

Sie stehen für die Berufe des Arztes <strong>und</strong><br />

Landwirtes. Bauern waren aber auch ehemalige<br />

Schiffsleute, so dass oft mehrere Symbole<br />

auf den Steinen zu finden sind.

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