Der inszenierte Abschied - hülswitt druck und medien
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scheiterte. Reste eines Winterlagers sowie<br />
drei Gräber auf Beechey Island, einem Felsgebirge<br />
der kanadischen Arktis, blieben 1850<br />
die einzigen Spuren, die Suchtrupps entdecken<br />
konnten. Erst gut h<strong>und</strong>ert Jahre später<br />
stießen gezielte Nachforschungen auf die<br />
Überreste der beiden verschollenen Schiffe,<br />
während vom Großteil der Opfer, die unter<br />
ungeklärten Umständen zu Tode kamen, nur<br />
Streuf<strong>und</strong>e geblieben waren.<br />
Als Pathologen 1984 schließlich die Seeleute<br />
aus den drei bekannten Gräbern im Dauerfrostboden<br />
von Beechey Island exhumierten,<br />
erschraken sie über das lebendige Aussehen<br />
der Leichen. John Torrington, der 20 jährige<br />
Schiffsheizer, zeigte langes blondes Haar<br />
<strong>und</strong> weit geöffnete, milchig blaue Augen,<br />
John Hartnell, ein 25jähriger Matrose, hatte<br />
schwarze Locken <strong>und</strong> Bartstoppeln, in ähnlich<br />
gutem äußerlichen Zustand befand sich<br />
auch der Leichnam des 32jährigen William<br />
Braine. Die Autopsie ergab jedoch eine Zellautolyse,<br />
die beispielsweise das Gehirn zu<br />
einer Art gelber Gelatine werden ließ. Dass<br />
Tuberkulose die vornehmliche Todesursache<br />
gewesen war <strong>und</strong> nicht wie vermutet die<br />
chronische Bleivergiftung, verriet erst der<br />
Röntgenbef<strong>und</strong>. Wesentlich länger als diese<br />
Seeleute, nämlich über 2300 Jahre, hatten die<br />
in den 90er Jahren entdeckten Angehörigen<br />
skythischer Reitervölker auf 2500 m Höhe im<br />
Permafrost des Altai-Gebirges gelegen. Sie<br />
waren einst nach Entnahme ihrer inneren Organe<br />
mit allem Prunk in Grabhügeln, sogenannten<br />
Kurganen, bestattet worden. Einige<br />
der 2006 geborgenen Toten hat man an der<br />
Universität Göttingen eingehender pathologischer<br />
Untersuchung unterzogen, bevor<br />
ihre Körper ins Museum nach Ulan Bator<br />
überführt wurden.<br />
Ötzi <strong>und</strong> die Reitervölker<br />
Die berühmteste <strong>und</strong> wichtigste aller bisher<br />
entdeckten Kältemumien ist zweifellos der<br />
vom Nürnberger Ehepaar Simon im Schmelzeis<br />
des heißen Sommers 1991 auf dem Similaun-Pass<br />
entdeckte Tote. Es ist nicht nur der<br />
älteste F<strong>und</strong>, sondern der einzige Mensch,<br />
der so lange unbestattet in der Natur überdauert<br />
hat. Andere, wie die Leichen der Eiskurgane<br />
aus den sibirischen Steppen,<br />
erfuhren aufwendige Präparierungen mit entsprechenden<br />
Grabzeremonien. In den Ötztaler<br />
Alpen war ein Mensch vor 5400 Jahren<br />
durch einen mörderischen Überfall aus dem<br />
Leben gerissen worden <strong>und</strong> – obwohl er im<br />
Frühjahr starb – durch einen Kälteeinbruch<br />
bis in unsere Tage konserviert worden. In diesem<br />
einzigartigen Zustand blieb die 15 Kilo<br />
leichte, gefriergetrocknete Leiche, deren ursprüngliches<br />
Gewicht bei ca. 60 kg lag, der<br />
Forschung erhalten <strong>und</strong> wird seit 1998 im<br />
Südtiroler Archäologiemuseum Bozen (Italien)<br />
in einer Kühlzelle gelagert. Bei Ötzi, wie<br />
die Wissenschaft ihn einstimmig nennt, handelt<br />
es sich nicht um eine Gletschermumie<br />
im strengen Sinn, denn vom Gletscher werden<br />
Leichen oder Gegenstände mitgenom-<br />
men, während das Eis langsam fließt. Dieser<br />
Vorgang führt dazu, dass Leichen nach spätestens<br />
200 Jahren wieder freigeben werden<br />
<strong>und</strong> dann außerhalb der schützenden Eisdecke<br />
schnell zerfallen. <strong>Der</strong> Ermordete vom Similaun<br />
war jedoch zufällig in eine drei Meter<br />
tiefe Querrille gestürzt, über die der Gletscher<br />
später hinwegglitt, ohne seine Position oder<br />
seinen Zustand zu verändern.<br />
Bestimmung des Genoms<br />
Heute kennen wir jedes Detail des Toten, wissen<br />
nicht nur, dass er ein Töpfchen mit Glut<br />
<strong>und</strong> Pfeile aus Ebenholz mit sich führte, gerade<br />
Steinbockfleisch verspeist hatte, bevor<br />
die Verfolger ihn einholten, wir kennen auch<br />
seine Physiognomie <strong>und</strong> Genom. Er hatte 12<br />
Rippenpaare, ein Diastem (mittlerer Zahnabstand<br />
der Scheidezähne) <strong>und</strong> braune Augen.<br />
1 Ötzi auf dem Seziertisch mit Rückentätowierungen.<br />
eternity februar 2012 Gesellschaft<br />
Sein Körper war von Tätowierungen übersät,<br />
ein Phänomen, das spätere Krieger wie die<br />
4000 jährige Trockenmumie der Taklamakan<br />
Wüste aus Xinjiang mit ihm gemein hatten.<br />
Und hier vermochte die DNA einen Kreis zu<br />
schließen, denn bei den Trockenmumien der<br />
Taklamakan-Wüste handelt es humangenetisch<br />
um frühe indoeuropäische Reitervölker,<br />
denen auch der Mann aus den Ostalpen zuzurechen<br />
ist. Die Entschlüsselung des Genoms<br />
von Ötzi ergab eine Zugehörigkeit zur<br />
Haplogruppe G =Y-Chromosom (Haplogruppen<br />
fassen mehrere genetische Marker zusammen),<br />
deren Subgruppe F vor mindestens<br />
10000 Jahren im Nahen Osten entstanden<br />
war. Diese genetische Information<br />
spiegelt die Verbreitung von Menschen aus<br />
Kleinasien nach Europa wider, die ihrerseits<br />
zu einer Bevölkerungsgruppe gehören, die<br />
von Zentralasien im Osten bis Spanien <strong>und</strong><br />
Tunesien im Westen siedelte.<br />
1 Die exhumierte Leiche des 1845 bei der Franklin-Expedition verstorbenen John Hartnell.<br />
Foto: Südtiroler Archäologiemuseum Bozen<br />
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