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Kompetenzorientierung - Bayern

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Seminarlehrer Berufliche Bildung <strong>Bayern</strong> (BBB) Fortbildungstagung 2011<br />

Basisliteratur für unsere Workshops am 3.5.2011, Hilpert Meyer<br />

Seminarlehrertagung 2011<br />

ALP Dillingen<br />

3. Mai: Symposium Berufliche Bildung Phase II,<br />

„Guter Lehrer 2020“<br />

Vortrag 1<br />

„<strong>Kompetenzorientierung</strong> allein<br />

macht noch keinen<br />

guten Unterricht“<br />

Version 0.9, pjh<br />

ohne Grafiken<br />

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Seminarlehrer Berufliche Bildung <strong>Bayern</strong> (BBB) Fortbildungstagung 2011<br />

Basisliteratur für unsere Workshops am 3.5.2011, Hilpert Meyer<br />

Inhalt:<br />

TEIL 0: Vorbemerkungen zur <strong>Kompetenzorientierung</strong><br />

0.1 Top down oder bottom up?<br />

0.2 Didaktischer Entwicklungsbedarf beim Thema „Kompetenzorientierter<br />

Unterricht“<br />

0.3 Angebots-Nutzungs-Modell zur Erklärung der Wirkungsweise des<br />

Unterrichts<br />

0.4 Internationale Erfahrungen<br />

0.5 Gibt es einen persönlichen Nutzen?<br />

TEIL 1: Begriffsklärungen: Was sind Standards und<br />

Kompetenzen?<br />

1.1 Begriffsklärung „Bildungsstandard“<br />

1.2 Begriffsklärung „Kompetenz“<br />

1.3 Kompetenzmodell 1: Inhalts- und Prozessbezogene Kompetenzen<br />

1.4 Kompetenzmodell 2: „Selbstregulation“ als überfachliche Lernkompetenz<br />

1.4 Kompetenzmodell 3: Sach-, Sozial-, Methoden und Selbstkompetenz<br />

1.6 Reflexionsübung: Das „Zollstock-und-Messer-Experiment“<br />

TEIL 2: Was ist Kompetenzorientierter Unterricht?<br />

2.1 Arbeitsdefinition „Kompetenzorientierter Unterricht“<br />

2.2 Sechs Bausteine kompetenzorientierten Unterrichts<br />

2.3 Kompetenzstufenmodelle<br />

2.4 „<strong>Kompetenzorientierung</strong> allein macht noch keinen guten Unterricht!“<br />

TEIL 3: Theorierahmen für Unterrichtsqualität<br />

3.1 Arbeit an der „persönlichen Theorie guten Unterrichts“ als Ausgangspunkt<br />

3.2 „Drei-Etagen-Haus“<br />

3.3 Arbeitsbündnisse und didaktische Kompetenzen der Schüler<br />

3.4 Arbeitsdefinition „guter Unterricht“<br />

3.5 ZEHNERKATALOG<br />

3.6 Nutzungsmöglichkeiten des ZEHNERKATALOGS<br />

3.7 Blick in die Forschungswerkstätten<br />

3.8 Reflexionsübung: MEINUNGSLINIE<br />

TEIL 4: Anregungen zur Unterrichtsentwicklung<br />

4.1 Arbeitsdefinition „Unterrichtsentwicklung“<br />

4.2 Akteurs-Theorie<br />

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4.3 Lohnende Entwicklungsaufgaben und Instrumente<br />

4.4 Stolpersteine der Unterrichtsentwicklung<br />

4.5 Ethischer Kode der „Strippenzieher“<br />

Fazit<br />

Literaturverzeichnis<br />

0. Vorbemerkungen zur <strong>Kompetenzorientierung</strong><br />

0.1 Top down oder bottom up?<br />

Vor kurzem erreichte mich die email einer ehemaligen Studentin, nun Gymnasiallehrerin in<br />

Braunschweig. Ich zitiere mit ihrer ausdrücklichen Genehmigung:<br />

Lieber Hilbert:<br />

Ich staune nach wie vor über die "neuen" gymnasialen Kerncurricula für die einzelnen Fächer,<br />

die "ganz neu" "Kompetenzen" in den Vordergrund rücken - dabei ist es aus meiner Sicht genau<br />

das, was früher als "Handlungsorientierter Unterricht" entwickelt worden ist.<br />

Schade, dass diese Kerncurricula ganz viel Frust quer durch die Fächer auslösen, vielleicht, weil<br />

es nicht von unten, sondern von oben kam. Und weil nur Bruchstücke des Handlungsorientierten<br />

Eingang gefunden haben.<br />

In Englisch geht es nun so weit, dass Aufrufe zur Rücknahme des neuen Kerncurriculums ganz<br />

vehement werden, Philologenverband vorne weg. Bin ja als Multiplikator in Englisch gelegentlich<br />

an den Schulen in der Region Hannover (wir sind ja sozusagen die Hiwis der Fachberater)<br />

tätig. Was mich irritiert bei dem, was ich dort höre, ist, dass auch die jungen, gerade ausgebildeten<br />

Kollegen ganz unsicher sind, wie nun guter Englischunterricht zu planen ist.<br />

Ich habe keine Ahnung, was da wo schief läuft.<br />

Deine Birgit Conrad<br />

Was läuft da schief? Die Verantwortlichen in der KMK, in den Schulministerien und in der<br />

Wissenschaftsberatung setzen auf eine „Zangenbewegung“: Es werden einerseits große<br />

Freiräume bei der Unterrichtsgestaltung versprochen, andererseits stark standardisierte Vorgaben<br />

gemacht (Kerncurricula, EPAs) und durch eine immer größer werdende Evaluationsindustrie<br />

überprüft (PISA, VERA, Schulinspektion/ AQS).<br />

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Was wird von den Kolleginnen und Kollegen erwartet?<br />

- Die Lehrer sollen die kompetenzorientierten Kerncurricula selbst „runterbrechen“ 1<br />

und<br />

phantasievoll im Unterricht umsetzen.<br />

- Sie sollen dabei eine neue, kognitiv aktivierende Aufgabenkultur entwickeln.<br />

- Sie sollen lernen, in Kompetenzstufen zu denken.<br />

- Sie sollen ihre Diagnosekompetenzen stärken<br />

- und neue Formen individuellen Förderns entwickeln.<br />

Das sind viele „Baustellen“ auf einmal, die das Unterrichten insgesamt anspruchsvoller und<br />

sicherlich auch anstrengender gemacht haben. Es hat eine schleichende Verdichtung der<br />

Aufgaben gegeben, die mancher Lehrerin und manchem Lehrer die Lust zur Arbeit und die<br />

Luft zum Atmen genommen hat. Ich stelle nach 47 Jahren Tätigkeit in Schule und Lehrerbildung<br />

fest:<br />

These 1: Noch nie war der Druck auf die Lehrerinnen<br />

und Lehrer, ein ganz bestimmtes didaktisches Konzept<br />

zu übernehmen und sich an einer staatlich verordneten<br />

Unterrichtsentwicklung zu beteiligen, so groß wie heute.<br />

Deshalb freue ich mich, heute am Friedrichsgymnasium in Kassel meine Vorstellungen zur<br />

<strong>Kompetenzorientierung</strong> vortragen zu dürfen. Mein Vortrag geht von einer grundsätzlichen<br />

Zustimmung zum Konzept der <strong>Kompetenzorientierung</strong> aus, schließt aber viele Detailkritiken<br />

und Warnungen ein.<br />

0.2 Didaktischer Entwicklungsbedarf im Blick auf „Kompetenzorientierten Unterricht“<br />

Die Lehrerinnen und Lehrer sollen kompetenzorientiert unterrichten. Aber was damit genau<br />

gemeint ist, ist zur Zeit noch ziemlich unklar (auch wenn in den letzten zwei Jahren einige<br />

interessante Bücher zum Thema erschienen sind 2<br />

):<br />

These 2: Es gibt noch keine entfaltete Didaktik des kompetenzorientierten Unterrichts,<br />

die den in der Allgemeinen Didaktik des 20. Jahrhunderts entwickelten Standards genügt.<br />

Die Lehrerinnen und Lehrer reagieren auf diesen Entwicklungsdruck mit unterschiedlichen,<br />

mehr oder weniger eigenwilligen Deutungen des Konzepts:<br />

-- Die einen sagen: "<strong>Kompetenzorientierung</strong>? - Das ist an unserer Schule noch nicht angekommen!"<br />

- Die nächsten: „Das ist doch nichts anderes als der Lernzielorientierte Unterricht der 70er<br />

Jahre - alter Wein in neuen Schläuchen." (Ich sehe das anders!)<br />

1<br />

2<br />

Ein gern benutztes, aber völlig unpassendes Verb für den gemeinten Vorgang. Es geht nicht um<br />

Runterbrechen, sondern um ein kreatives inhaltliches Reichmachen!<br />

P.S.: Ich versichere an Eides statt, dass alle Fußnoten von mir selbst stammen.<br />

Der Kompetenzbegriff ist ein Modebegriff geworden. Der internationale psychologische Informationsdienst<br />

PsycInfo meldete 2009, dass seit 1985 insgesamt 27.225 Veröffentlichungen zum Thema<br />

„Kompetenz“ erschienen waren. Zur Zeit erscheinen weltweit täglich 10 Veröffentlichungen zu<br />

diesem Thema.<br />

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- An vielen Schulen ist die Arbeit mit Schüler-Kompetenz-Rastern eingeführt und im Stile<br />

des Obama-Wahlkampfes umgesetzt. Die Schülerinnen und Schüler füllen alle 14 Tage<br />

einen Fragebogen aus: „Yes, I can“. Das kann aber auch zu stupider Routine werden.<br />

- Die Vierten machen „teaching to the test“. (Das ist bei uns Wissenschaftlern verpönt.<br />

Aber es ist nicht auszuschließen, dass dabei ordentliche Ergebnisse entstehen.)<br />

- Aber insbesondere von jüngeren Kolleginnen und Kollegen, von Studierenden und Referendaren,<br />

wird ausprobiert, ob und wie die neue Herausforderung gemeistert werden<br />

kann.<br />

Die Kernidee der <strong>Kompetenzorientierung</strong> ist nicht neu und auch nicht sonderlich originell.<br />

Sie besagt doch nur, dass bloßes Faktenwissen nicht ausreicht. Man muss sein Wissen<br />

auch sinnvoll nutzen können. Außerdem wird gefordert, die Schülerinnen und Schüler<br />

dort abzuholen, wo sie stehen. Das war auch schon die Idee beim Lernzielorientierten Unterricht<br />

aus den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts. Aber die Bildungsidee hinter den Bildungsstandards<br />

ist anspruchsvoller als bei der Lernzielorientierung:<br />

- Betont wird das selbstständige Lernen und das Anwenden des Gelernten in späteren,<br />

nie genau vorhersehbaren Situationen.<br />

- Das geht nur mit einem entsprechenden Methodenkonzept, das durch Handlungsorientierung<br />

und selbstreguliertes Lernen gekennzeichnet ist.<br />

Zwischenfazit: Unter dem Etikett „<strong>Kompetenzorientierung</strong>“ wird heute angeboten, was seit<br />

langem zum Kernbestand guten Unterrichts gehört.<br />

0.3 Angebots-Nutzungs-Modell zur Erklärung der Wirkungsweise des Unterrichts<br />

Die im Unterricht erreichten Lernergebnisse werden, wie jedermann weiß, von sehr vielen<br />

verschiedenen Faktoren beeinflusst. Ein immer mehr akzeptiertes Modell für die Analyse<br />

dieser Faktoren ist das von Helmut Fend und Andreas Helmke entwickelte „Angebots-<br />

Nutzungsmodell zur Erklärung der Wirkungsweise des Unterrichts“ (Helmke 2009, S.<br />

73).<br />

Das Modell erfasst nicht die Ebene der Bildungspolitik und der Schuladministration - vermutlich<br />

deshalb, weil Helmke keine gesicherten Ergebnisse darüber gefunden hat. Das halte ich<br />

jedoch für systematisch unbefriedigend. Deshalb habe ich das Angebots-Nutzungsmodell<br />

einerseits „verschlichtet“, also stark elementarisiert und andererseits um die genannten Ebenen<br />

erweitert:<br />

Grafik Mauer<br />

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Die schwarze Mauer soll signalisieren: Wir können zwar statistische Durchschnittsangaben<br />

darüber machen, welche Qualitätsmerkmale des Unterrichts welchen Einfluss auf den Lernerfolg<br />

der Schüler haben, aber in jedem Einzelfall kann es überraschende Abweichungen<br />

geben. Das schreibt auch Helmke:<br />

- Es gibt Klassen, in denen nach allem was wir wissen, sehr guter Unterricht gegeben<br />

wird, wo aber die Lernergebnisse schlecht sind.<br />

- Und umgekehrt: Es gibt paradoxe Fälle, wo sehr gute Lernergebnisse bei sehr schlechtem<br />

Unterricht eintreten.<br />

Bei der <strong>Kompetenzorientierung</strong> soll die früher übliche sogenannte Input-Steuerung des Bildungssystems<br />

gebremst und die sogenannte Output-Steuerung gestärkt werden. Dieses<br />

Denkmodell liegt auch dem HESSISCHEN REFERENZRAHMEN für SCHULQUALITÄT zugrunde:<br />

Grafik Hessen<br />

Der HESSISCHE Referenzrahmen ist übrigens zu erheblichen Teilen vom Niedersächsischen<br />

„Orientierungsrahmen Schulqualität“ (Autor: Armin Lohmann) abgekupfert. Das ist<br />

zwischen Kultusministerien üblich und auch völlig o.k.!<br />

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0.4 Internationale Erfahrungen<br />

Wie berechtigt sind die Hoffnungen, durch den Umbau des Bildungssystems hin zur Output-<br />

Steuerung eine spürbare Verbesserung hinzubekommen? Ein Blick über den Tellerrand<br />

zeigt, dass wir sehr behutsam sein sollten:<br />

- Mats Ekholm von der Universität Karlstad/Schweden hat inzwischen 27 Jahre lang 17<br />

schwedische Schulen als Forscher begleitet und immer wieder die Unterrichtsqualität<br />

gemessen. Dabei hat er die Kriterien konstant gehalten, also nach Methodenvielfalt,<br />

nach Unterrichtsklima, Schülerleistungen u.a. geschaut. Sein Ergebnis: Es gibt eine sehr<br />

schwache, aber doch sehr kontinuierliche Verbesserung der Unterrichtsqualität an diesen<br />

17 Schulen. Das Überraschende dabei: Der wiederholte Regierungswechsel von<br />

sozialistischen zu bürgerlichen Regierungen und wieder zurück hat zwar mehrere Umbrüche<br />

in der Schulpolitik, aber so gut wie keine Ausschläge in der gemessenen Unterrichtsqualität<br />

der 17 Schulen produziert.<br />

- In Südafrika ist vor 8 Jahren mit riesigem Aufwand von der Bildungsadministration die<br />

sogenannte Outcome Based Education eingeführt worden. (Damit wird nichts anderes<br />

als das gemeint, was in Deutschland <strong>Kompetenzorientierung</strong> heißt.) Aber das Topdown-Vorhaben<br />

ist nach wenigen Jahren vor die Wand gefahren worden. Das Schulsystem<br />

ist noch mit dermaßen vielen Altlasten der Apartheidpolitik bestraft, dass die vielen,<br />

oft ganz schlecht ausgebildeten Lehrer schlicht überfordert waren.<br />

- In der Volksrepublik China gibt es eine ähnliche Entwicklung. Xu Binyan, Dekanin der<br />

Fakultät für Erziehungswissenschaft an der East China Normal University in China beschreibt<br />

(in: Benner 2007): Dort sind seit 2002 die wissens- und drill-orientierten Curricula<br />

in Mathe auf Kompetenzorientierten Unterricht umgestellt worden. Man erhoffte sich<br />

mehr Anwendungsbezüge, Überwindung trägen Wissens u.a.m. Aber die Reform hat<br />

nicht geklappt. Zum Teil haben die Lehrer unter den Schulbänken heimlich mit den alten<br />

Lehrbüchern weitergearbeitet. Seit 2007 ist die Reform der Reform eingeleitet. Man hat<br />

eingesehen, dass es ganz falsch war, den früheren wissensbasierten Unterricht gegen<br />

den kompetenzbasierten auszuspielen (Xu Binyan, in: Benner 2007).<br />

Die internationalen Erfahrungen zeigen: Eine solch gravierende Umstellung des Bildungssystems<br />

funktioniert nicht als reine Top-down-Bewegung.<br />

These 3: Wenn überhaupt, so hat das Konzept der <strong>Kompetenzorientierung</strong> eine Chance,<br />

wenn die Top-down-Strategie der Schuladministration durch eine Bottom-up-Bewegung<br />

der Basis ergänzt wird.<br />

0.5 Gibt es einen persönlichen Nutzen?<br />

Ich behaupte: ja: <strong>Kompetenzorientierung</strong> kann eine solide Grundlage für die Unterrichtsplanung,<br />

-durchführung und -auswertung liefern und nach einer mit Mehrarbeit verbundenen<br />

Anfangsphase zu einer Arbeitsentlastung führen. Das zeigen viele einzelne Unterrichtsversuche<br />

(z.B. in Meyer 2007, 5. Lektion), das wird aber auch durch die empirische Unterrichtsforschung<br />

bestätigt. 3<br />

Ein Beispiel: Latein-Grammatik-Unterricht in Klasse 9 am Friedrichsgymnasium Kassel.<br />

Das Kasseler Beispiel lehrt:<br />

(1) Kompetenzorientierter Unterricht ist möglich.<br />

(2) Vorbereitung und Auswertung geht besser in Teamarbeit.<br />

(3) Die Schüler haben Spaß an der erhöhten „Handlungsorientierung“ des Unterrichts.<br />

3<br />

In der großen Meta-Metaanalyse zur Unterrichtseffektivität von John Hattie (2009) wird nachgewiesen,<br />

dass Kompetenzorientierter Unterricht besonders hohe Lernerfolge auslöst.<br />

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(4) Die Lernergebnisse haben sich verbessert.<br />

Entscheidend ist für mich dabei das Denken in Kompetenzstufen. Im TEIL 2 werde ich erläutern,<br />

dass dies das Alleinstellungsmerkmal des Konzepts ist:<br />

These 4: Wer beim Unterrichten in Kompetenzstufen denkt, wird nicht starr, sondern<br />

flexibel.<br />

Er bzw. sie kann schneller und sicherer umsteuern, wenn er bzw. sie erkennt, dass einzelne<br />

Schülerinnen und Schüler das bei der Planung zugrunde gelegte Kompetenzniveau noch<br />

nicht erreicht oder schon lange überschritten haben.<br />

Deshalb brauchen wir viele kleine und überzeugende Experimente, die nicht nur den Referendaren,<br />

sondern auch den berufserfahrenen Lehrerinnen und Lehrern deutlich machen,<br />

welche Vorteile sie und ihre Schüler haben könnten, wenn sie versuchen, ihren Unterricht<br />

kompetenzorientiert zu gestalten.<br />

Lesempfehlungen zum Thema Bildungsstandards und <strong>Kompetenzorientierung</strong>:<br />

Die folgenden vier Bücher sind empfehlenswert,<br />

weil sie sehr praxisnah, aber dennoch didaktisch anspruchsvoll geschrieben<br />

sind:<br />

- Blum, Werner/ Drüke-Noe, Christina/ Hartung, Ralph/ Köller, Olaf<br />

(Hrsg.)(2006): Bildungsstandards Mathematik: konkret. Berlin:<br />

Cornelsen Scriptor.<br />

- Faulstich-Christ, Katja/ Lersch, Rainer/ Moegling, Klaus<br />

(Hrsg.)(2010): <strong>Kompetenzorientierung</strong> in Theorie, Forschung und<br />

Praxis. Immenhausen: Prolog Verlag.<br />

- Obst, Gabriele (2008): Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht.<br />

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. (Auch für Leser geeignet, die nicht am Fach Religion<br />

interessiert sind.)<br />

- Paradies, Liane/Wester, Franz/ Greving, Johannes (2010): Individualisieren im Unterricht.<br />

Berlin: Cornelsen Scriptor. (Ein kompetenzorientierter Leitfaden!)<br />

1. Begriffsklärungen: Was sind Standards und Kompetenzen?<br />

1.1 Begriffsklärung „Bildungsstandard“<br />

Bildungsstandards definieren konkret und kompetenzbezogen, was Schülerinnen und Schüler<br />

in einem bestimmten Alter wissen und können sollen (Ziener 2006). So wird z.B. für den<br />

Mathematikunterricht festgelegt, welcher Schülerjahrgang welche Kompetenzstufen des mathematischen<br />

Argumentierens erreicht haben sollte. Wie so etwas konkret aussieht, haben<br />

die inzwischen vier PISA-Studien vor Augen geführt.<br />

Eckart Klieme, Hauptautor der entscheidenden Wissenschaftsexpertise zur Entwicklung von<br />

Bildungsstandards (Klieme u.a. 2003 4<br />

), formuliert:<br />

4<br />

Definition: Bildungsstandards definieren und normieren, welche Kompetenzen die<br />

Schülerinnen und Schüler bis zu einer bestimmten Jahrgangsstufe erworben haben<br />

sollen.<br />

Klieme stützt sich bei seiner Definition auf die «akademische», aber auch ein wenig abgehobene<br />

Definition von Franz Weinert:<br />

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Es geht bei der Definition von Bildungsstandards also immer um Wertentscheidungen.<br />

Wertentscheidungen können nicht kausal erklärt, wohl aber theoretisch begründet werden –<br />

z.B. durch den Rekurs auf eine Bildungstheorie oder ein Menschenbild. Deshalb ist es richtig,<br />

wenn die Verfechter der Bildungsstandard-Idee darauf bestehen, dass sie nicht technokratische<br />

Manipulateure sind, sondern eine anspruchsvolle Bildungstheorie vertreten: Nur<br />

derjenige ist gebildet, der sein Wissen und Können verantwortungsvoll einzusetzen weiß<br />

(siehe die Definition für Kompetenzorientierten Unterricht im TEIL II dieses Skripts).<br />

Es gibt Mindeststandards, Regelstandards und Spitzenstandards. Die von der KMK beschlossenen<br />

Bildungsstandards sind „Regelstandards“. Sie werden durch Aufgabenbeispiele<br />

und Testbatterien ergänzt, die in Zukunft wahrscheinlich nachhaltiger als die Bildungsstandards<br />

selbst den Unterrichtsalltag steuern werden.<br />

Die empirische Überprüfung von Bildungsstandards ist eine komplizierte Angelegenheit.<br />

Dafür sind in der akademischen Standard- und Kompetenzdiskussion drei Kriterien aufgestellt<br />

worden, denen die große Mehrzahl der von der KMK veröffentlichten Bildungsstandards<br />

bisher noch nicht genügt:<br />

(1) Bildungsstandards sollen sich an einem theoretischen Modell der Kompetenzentwicklung<br />

orientieren.<br />

(2) Sie sollen in sich gestuft dargestellt werden.<br />

(3) Sie sollen, wie der Name sagt, standardisiert sein. Damit ist gemeint, dass auf der<br />

Grundlage geeichter, national oder international gültiger Leistungstests überprüft<br />

wird, wie weit einzelne Schülerinnen und Schüler in ihrer Kompetenzentwicklung<br />

fortgeschritten sind. Zugleich wird dabei getestet, ob die Standards realistisch formuliert<br />

worden sind, also bei „normalen“ Unterrichtsbedingungen erreicht werden<br />

können.<br />

Die Bildungsstandards beschreiben, was „hinten“ herauskommen soll. Das ist legitim. Sie<br />

setzen aber kaum Impulse zur Unterrichtsentwicklung frei, weil sie so gut wie nichts über die<br />

Lehrkompetenzen der Lehrer und ebenso wenig über qualitätsvolle Unterrichtsprozesse aussagen,<br />

mit denen sie erreicht werden sollen.<br />

Deshalb halte ich es für falsch, allein auf die Bildungsstandards zu setzen. Wenn überhaupt,<br />

so ist es sinnvoll, eine integrierte Standard-Politik zu betreiben, also die sogenannten<br />

Outputstandards durch Prozessstandards zu ergänzen (siehe oben, TEIL 0.3).<br />

These 5: Bildungsstandards sind ein stumpfes Schwert für die Unterrichtsentwicklung.<br />

Sie müssen durch Unterrichtsstandards und durch kluge didaktisch-methodische Ideen<br />

ergänzt werden.<br />

1.2 Begriffsklärung „Kompetenz“<br />

Vorweg: Wir beobachten, wenn wir in ein Klassenzimmer gehen, die Schüler „beim Lernen“.<br />

Aber was heißt das? in Wirklichkeit beobachten wir die Schüler nur bei Handlungen, denen<br />

wir das Etikett „Lern-Handlungen“ anheften und von denen wir vermuten, dass sie Einfluss<br />

auf die Kompetenzentwicklung haben. Deshalb lautet eine ganz wichtige, oft aus dem Bewusstsein<br />

verdrängte These:<br />

These 6: Lernen ist ein unsichtbarer, grundsätzlich nicht fühlbarer, nicht schmerzender<br />

und auch nicht bewusstseinsfähiger Vorgang.<br />

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Der Begriff Kompetenz (wörtlich übersetzt „Fähigkeit“) ist mithin ein theoretisches Konstrukt,<br />

also eine Erfindung von Wissenschaftlern, mit deren Hilfe zwischen der gezeigten Leistung<br />

und den ihr zugrunde liegenden Tiefenstrukturen des Könnens, Wissens und Wollens unterschieden<br />

wird. Statt von „gezeigter Leistung“ wird auch von „Performanz“ (vom engl. performance)<br />

gesprochen; statt von Kompetenzen auch von Dispositionen:<br />

Abbildung 7.6: Kompetenz und Performanz<br />

Man kann Kompetenzen nicht sehen, riechen oder fühlen. Man sieht nur, was Menschen mit<br />

Hilfe ihrer Kompetenzen zustande bringen. 5<br />

Ich definiere:<br />

Definition: Eine Kompetenz bezeichnet die Fähigkeit, durch Erfahrung und Lernen erworbenes<br />

Wissen und Können in immer wieder neuen Handlungssituationen selbstständig,<br />

verantwortungsbewusst und situationsangemessen anzuwenden. 6<br />

Dazu einige wichtige Erläuterungen und Präzisierungen:<br />

(1) Wer den Anspruch stellt, kompetent zu sein, darf nicht nur klug reden wollen. Er oder<br />

sie muss auch kompetent handeln können. Deshalb hat jede Kompetenz immer eine<br />

Reflexions- und eine Handlungskomponente.<br />

(2) Wer kompetent ist, soll verantwortungsbewusst handeln. Was als verantwortungsbewusst<br />

gilt, ist eine individuelle Entscheidung der gebildeten Person, aber immer auch<br />

gesellschaftlich normiert. Dafür sind Leitlinien erforderlich, die nicht aus der Kompetenz<br />

selbst stammen, sondern als Haltungen und Wertüberzeugungen dem Denken und<br />

Handeln vorgelagert sind.<br />

(3) Kompetenzen sind nichts Statisches. Sie entwickeln sich in und durch Handlungen.<br />

Sie können anwachsen oder verkümmern. Sie können durch Reflexion verbessert werden,<br />

bei bestimmten Kompetenzen kann das viele Grübeln aber auch hinderlich wer-<br />

5<br />

6<br />

Das Gemeinte lässt sich gut an der allerwichtigsten Kompetenz, dem Sprachvermögen erläutern.<br />

Schon ein ganz kleines Kind, das zu sprechen gelernt hat, kann mit dieser Kompetenz völlig neue,<br />

niemals zuvor von irgend jemandem auf der Welt gesprochene Sätze hervorbringen. Es verfügt<br />

also über das „Handwerkszeug“, um selbstständig in vielen unterschiedlichen Feldern zu sprechen.<br />

Dabei orientierte ich mich an Eckart Klieme: „Kompetenzen sind die bei Individuen verfügbaren<br />

oder von Ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen,<br />

sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und<br />

Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen<br />

zu können. Kompetenz ist nach diesem Verständnis eine Disposition, die Personen befähigt,<br />

bestimmte Arten von Problemen erfolgreich zu lösen, also konkrete Anforderungssituationen<br />

eines bestimmten Typs zu bewältigen.“ (Klieme u. a. 2003, S. 72)<br />

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den. Deshalb kann man das Vorhandensein einer Kompetenz nicht wie auf einem Kassenzettel<br />

am Ende einer Stunde „abprüfen“. Abgeprüft werden allenfalls äußerlich beobachtbare,<br />

kleinere Anteile dessen, was insgesamt als kompetentes und verantwortungsbewusstes<br />

Handeln gelten kann (Klieme 2004).<br />

(4) Kompetenzen sind bei allen Menschen unterschiedlich stark entwickelt. Das sieht<br />

man auch im Unterricht nahezu in jeder Stunde. Deshalb sind theoretische Modelle<br />

entwickelt worden, mit denen unterschiedliche Kompetenzstufen erfasst werden können.<br />

Diese Stufen werden auch als Anforderungs- oder Anspruchsbereiche bezeichnet<br />

(siehe TEIL II).<br />

(5) Kompetenzen sind nicht „freischwebend“, sondern immer an ein bestimmtes Wissens-<br />

und Könnensgebiet gebunden. Auch dort, wo von „überfachlichen Kompetenzen<br />

gesprochen wird, sind sie immer an ein bestimmtes inhaltliches Wissens- und<br />

Könnensgebiet gebunden.<br />

1.3 Kompetenzmodell 1: Inhalts- und Prozessbezogene Kompetenzen<br />

Die Kompetenzforscher und Fachdidaktiker haben sich daran gemacht, die unendlich vielen<br />

denkbaren Einzelkompetenzen zu bündeln und dadurch den Überblick zu verbessern. Drei<br />

dieser Bündelungs- bzw. Dimensionierungsideen finden sich auch in den meisten Kerncurricula<br />

wieder:<br />

a) Unterscheidung von fachlichen und überfachlichen Kompetenzen<br />

b) Unterscheidung von inhalts- und prozessbezogenen Kompetenzen<br />

c) Unterscheidung von Sach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen<br />

d) Unterscheidung unterschiedlicher Niveau- bzw. Qualitätsstufen – zumeist als „Kompetenzstufen“<br />

bezeichnet.<br />

Alle vier Dimensionierungen können sinnvoll sein. In der folgenden Grafik habe ich aber nur<br />

die zwei Dimensionierungsideen aus b) und d) miteinander kombiniert:<br />

Grafik S. 150<br />

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1.4 Kompetenzmodell 2: „Selbstregulation“ als eine der überfachlichen Lernkompetenzen<br />

Es gibt Kompetenzbereiche, die nicht fachgebunden definiert werden, sondern sich auf das<br />

Lernen insgesamt beziehen. Ich nenne sie deshalb Kompetenzen zweiter Ordnung. Die<br />

Schlagworte, unter denen sie heute diskutiert werden, lauten „Selbstregulation“, „Selbstgesteuertes<br />

Lernen“, „Lernkompetenz“, „Entwicklung von Schlüsselkompetenzen“, „Schlüsselqualifikationen“<br />

usw.<br />

Wer selbstreguliert arbeitet, entscheidet selbst, was er wann wie mit wem und wozu lernen<br />

will. Dadurch macht er bzw. sie sich in wachsendem Umfang unabhängig von der Lehrerin<br />

und realisiert all das, was seit Jahrhunderten als „Bildung“ und „Mündigkeit“ gefordert wurde:<br />

Definition: Selbstregulation des Lernens bezeichnet die Fähigkeit und Bereitschaft von<br />

Schülerinnen und Schülern, die eigene Lernarbeit selbstständig vorzubereiten, geeignete<br />

Lernstrategien zu aktivieren, die Arbeit zu kontrollieren und zu bewerten.<br />

Was hilft den Schülerinnen und Schülern, ihre Selbstregulationskräfte zu stärken? Die Forscherinnen<br />

nennen u.a. die folgenden Gelingensbedingungen:<br />

(1) Selbstregulation wird direkt unterstützt, indem die Schülerinnen und Schüler immer<br />

wieder aufgefordert werden, ihre Lernarbeit selbst zu organisieren. Das nannte man<br />

früher mit einem John Dewey zugeschriebenen, aber nicht von ihm stammenden Slogan<br />

„learning by doing“ – ein Grundsatz, der auch dem Handlungsorientierten Unterricht<br />

zugrunde liegt.<br />

(2) Selbstregulation wird direkt unterstützt, wenn die Schülerinnen in regelmäßigen Abständen<br />

dazu angehalten werden, über ihren Lernfortschritt nachzudenken. Das nennt<br />

man mit einem Fachbegriff „Metakognition“.<br />

(3) Selbstregulation wird unterstützt, indem sich die Schülerinnen und Schüler klar machen,<br />

mit welchen Lernstrategien sie arbeiten.<br />

Die Lehrerin/der Lehrer hat mehr Arbeit bei der Vorbereitung selbstregulierten Lernens, aber<br />

keineswegs frei bei der Durchführung Sie bzw. er muss sparsame, aber gezielte Impulse<br />

geben, wenn die Motivation sinkt, wenn das Lernen ins Stocken gerät, die Partnerarbeit nicht<br />

funktioniert usw.. Sie/er muss die Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts genau<br />

beobachten. Das hat Hans Reichen als „qualifiziertes Nichtstun“ bezeichnet.<br />

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1.5 Kompetenzmodell 3: Sach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenzen<br />

In vielen Kerncurricula ist diese auf den Pädagogischen Psychologen Heinrich Roth aus Göttingen<br />

zurückgehende Vierteilung geläufig. Jürgen Baumert bezeichnet sie als „vortheoretisch“,<br />

weil harte empirische Belege fehlen, dass sich Kompetenzen just in diese vier Teile<br />

aufsplutten lassen. Aber es bleibt dabei: Dies ist ein vernünftiges Modell für die Analyse und<br />

Planung eines kompetenzorientierten Unterrichts.<br />

Ich definiere die vier Lernkompetenzbereiche im Anschluss an das Buch von Annette<br />

Czerwanski, Claudia Solzbacher u.a. „Förderung von Lernkompetenz in der Schule“ (2002,<br />

S. 30-32):<br />

(1) Sachkompetenz<br />

Sie zielt auf den<br />

Erwerb sachlichfachlicherKenntnisse<br />

und Einsichten<br />

in verschiedenen<br />

Fachgebieten<br />

und auf deren<br />

Anwendung in<br />

fachlichen und<br />

fächerübergreifendenZusammenhängen.<br />

(2) Methodenkompetenz<br />

Sie besteht aus<br />

der Fähigkeit, das<br />

eigene Lernen<br />

bewusst, zielorientiert,<br />

ökonomisch<br />

und kreativ zu<br />

gestalten und dabei<br />

auf ein Repertoire<br />

geeigneter<br />

Methoden und<br />

Lernstrategien<br />

zurückzugreifen.<br />

(3) Sozialkompetenz (4) Selbstkompetenz<br />

Sie befähigt dazu, in<br />

wechselnden sozialen<br />

Gruppierungen die eigenen<br />

Ziele im Einklang mit<br />

den anderen Beteiligten<br />

zu verfolgen. Dies setzt<br />

die Fähigkeit zum Perspektivenwechselnvoraus<br />

und hat die Befähigung<br />

zum solidarischen<br />

Handeln, zur Entwicklung<br />

von Kooperations- und<br />

Konfliktfähigkeit zum Ziel.<br />

Sie umfasst grundlegende<br />

Einstellungen,<br />

Werthaltungen und<br />

Motivationen, die das<br />

eigene Handeln leiten.<br />

Sie gründet auf dem<br />

Selbstvertrauen und<br />

Selbstwertgefühl, das<br />

die Schülerinnen und<br />

Schüler im gemeinsamen<br />

Lernen und<br />

Arbeiten entwickeln.<br />

Lernkompetenzen der Schülerinnen und Schüler entstehen nicht Knall auf Fall, sondern in<br />

mehr oder weniger schnellen und mehr oder weniger stark anleitungsbedürftigen Lernprozessen.<br />

Sie können schrumpfen, wenn sie nicht regelmäßig genutzt werden, sie können aber<br />

auch hinter dem Rücken der Lehrerin dadurch wachsen, dass die Schüler aufbegehren und<br />

auf eigene Faust ans Lernen gehen.<br />

1.6 Reflexionsübung: das Zollstock-und-Messer-Experiment<br />

Ich lade Sie ein, in Vierergruppen ein kleines physikalisch-technisches Experiment durchzuführen<br />

und gleich danach eine Lernstandsanalyse zu Ihren eigenen Kompetenzen zu machen.<br />

Ziele: 1. Lösung des Experiments<br />

2. Identifizierung der für die Lösung erforderlichen Kompetenzen<br />

Rollen: Die Gruppe besteht aus vier Mitgliedern. Drei davon sind die "Spieler", der<br />

bzw. die dritte ist die Beobachterin.<br />

Material: ein Zollstock (1 oder 2 m), ein Küchenmesser mit dünner Klinge.<br />

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Arbeitsauftrag<br />

1. Balancieren Sie einen Zollstock und ein Messer so aus, dass beide<br />

Gegenstände gemeinsam eine beliebige Grundlage nur an einem Punkt<br />

berühren!<br />

2. Gucken Sie ein Teammitglied aus, das das Arbeitsverhalten der anderen<br />

drei gezielt beobachtet. Diese/r Dritte darf beim Experimentieren mit machen.<br />

3. Versuchen Sie zu rekonstruieren, welche Kompetenzen Ihr Team für<br />

die Lösung der Aufgabe aktivieren musste!<br />

Spielregeln:<br />

(1) Die beiden Gegenstände müssen dauerhaft (und nicht nur eine Sekunde<br />

lang) auf nur einem Punkt die Grundlage berühren. Ein flach gelegtes<br />

Messer ruht nicht „auf einem Punkt“.<br />

(2) Zollstock und Messer dürfen nicht beschädigt werden.<br />

(3) Weitere Hilfsmittel dürfen nicht hinzugenommen werden.<br />

Dezenter Hinweis 1: Die Aufgabe lässt sich nicht realisieren, wenn Sie es auf<br />

dem Fußboden versuchen.<br />

Dezenter Hinweis 2: Wer weiß, wie ein Fosbury-Flop funktioniert, hat die Lösung<br />

schon gefunden.<br />

Die Auflösung gibt’s mündlich. Für den Beobachtungsauftrag können Sie unterscheiden zwischen:<br />

(1) Fachkompetenzen: Welches physikalische, technische oder sonstige Alltags- und<br />

Fachwissen haben Sie aktiviert, um die Aufgabe zu lösen?<br />

(2) Methodenkompetenzen: Welche Lösungsstrategien haben Sie eingesetzt? (dumpfes<br />

Ausprobieren? Entwerfen eines Experimentierplans? Formulierung von Hypothesen?)<br />

(3) Sozialkompetenzen: Wer hat wann die Regie übernommen? Haben Sie echte Teamarbeit<br />

gemacht oder gab es ein Gerangel um die Teamvorherrschaft? Welche sozialkommunikativen<br />

Kompetenzen sind für die Verständigung im Team eingesetzt worden?<br />

(4) Selbstkompetenz: Hatten Sie das sichere Gefühl, diese Aufgabe lösen zu können<br />

oder haben Sie sich gleich gesagt: „Physik ist nichts für mich“? (Die Antwort auf diese<br />

Frage gibt Aufschluss über Ihre Selbstwirksamkeitsüberzeugungen.)<br />

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2. Was ist kompetenzorientierter Unterricht?<br />

2.1 Arbeitsdefinition „Kompetenzorientierter Unterricht“<br />

Es gibt nur ein einziges Alleinstellungsmerkmal für dieses Konzept, das nicht auch in anderen<br />

seit Jahrzehnten vertrauten Konzepten propagiert worden wäre: das Denken in Kompetenzstufen.<br />

Dem entspricht die folgende Arbeitsdefinition:<br />

Arbeitsdefinition: Kompetenzorientierter Unterricht ist ein offener und schüleraktiver<br />

Unterricht,<br />

- in dem die Lehrerinnen und Lehrer ihre Unterrichtsplanung, die Durchführung<br />

und Auswertung an fachlichen und überfachlichen Kompetenzstufen-<br />

Modellen orientieren,<br />

- in dem die Schülerinnen und Schüler die Chance haben, ihr Wissen und<br />

Können systematisch und vernetzt aufzubauen<br />

- und in dem sie den Nutzen ihres Wissens und Könnens in realitätsnahen<br />

Anwendungssituationen erproben können.<br />

Die zweite Forderung, systematisch und vernetzt zu arbeiten, wird auch als kumulativer Wissensaufbau<br />

bezeichnet – eine uralte Idee, die als erstes von Johann Amos Comenius formuliert<br />

worden ist.<br />

Die dritte Forderung, Anwendungsbezüge herzustellen, gehört ebenfalls zum Kernbestand<br />

der Didaktik seit über 300 Jahren. Das Hauptproblem: Es gibt noch viel zu wenig verlässliches<br />

Wissen über den in der Definition genannten gestuften Kompetenzaufbau.<br />

2.2 Sechs Bausteine kompetenzorientierten Unterrichts<br />

Ich habe die Frage, wie ein kompetenzorientierter Unterricht didaktisch und methodisch gestaltet<br />

werden kann, gemeinsam mit meinem Doktoranden Andreas Feindt (Comenius Institut<br />

Münster) in 6 „Bausteinen“ komprimiert dargestellt (Feindt/Meyer 2010):<br />

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Merkmal 1: Individuelle Lernbegleitung<br />

Zu einer individuellen Lernbegleitung gehört, dass man sich als Lehrerin/als Lehrer systematisch<br />

einen Überblick über die verschiedenen Lernausgangslagen der Schüler verschafft.<br />

Zur Erhebung der Lernausgangslage gehört darüber hinaus, dass die Lehrerin berücksichtigt,<br />

welche Fragen die Schülerinnen hinsichtlich des Unterrichtsgegenstandes beschäftigen,<br />

über welche subjektiven Theorien bzw. über welches Vorwissen sie verfügen. Das ist keine<br />

wirklich neue Forderung.<br />

Auf der Grundlage genauer Informationen über die Lernstände können dann für die einzelnen<br />

Schüler passenden Lernangebote identifiziert werden bzw. auch gemeinsam mit den<br />

Schülern die nächsten Lernschritte geplant werden. Im Fortgang des Unterrichts muss dann<br />

beobachtet werden, ob und inwiefern die Schüler diese nächsten Lernschritte auch tatsächlich<br />

durchlaufen und sich somit ein Lernzuwachs einstellt. Die individuelle Lernbegleitung ist<br />

also ein Prozess des genauen Hinschauens und pädagogischen Beobachtens, der sich kontinuierlich<br />

durch den Unterricht zieht.<br />

Merkmal 1 kann nur stark gemacht werden, wenn die Diagnosekompetenzen gestärkt werden.<br />

Dazu wäre ein eigener PÄADAGOGISCHER TAG am Friedrichsgymnasium sinnvoll.<br />

Wertvolle Hilfestellungen hat Andreas Helmke entwickelt (siehe den Internet-Auftritt).<br />

Ziel ist, den Schülern zu verdeutlichen, dass das Lernen in der Schule tatsächlich wichtig ist,<br />

um im Leben klar zu kommen. Der Mathematikdidaktiker Norbert Blum formuliert:<br />

„Bei der Neu-Konstruktion von Aufgaben ist es wichtig, sozusagen mit offenen Augen<br />

durch die Welt zu gehen und die überall vorhandene Mathematik zu entdecken“ (Blum<br />

2006, S. 26).<br />

Merkmal 2: Metakognition<br />

Als Metakognition oder auch Metaunterricht werden alle Anstrengungen bezeichnet, durch<br />

die die Schüler angehalten werden, über die eigenen Lerninteressen, den Bildungssinn, die<br />

eingesetzten Lern- und Kontrollstrategien nachzudenken. Wir haben weltweit deutliche empirische<br />

Befunde, dass dies den Schülern gut tut (vgl. Hattie 2009):<br />

These 7: Wenn die Schülerinnen und Schüler angeregt werden, über ihr eigenes Lernen<br />

nachzudenken, erhöht dies den Lernerfolg.<br />

Das Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen ist eine wichtige Grundlage dafür, dass<br />

Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, aktiv Verantwortung für das eigene<br />

Lernen zu übernehmen. Die Dokumentation des eigenen Lernfortschritts in Kompetenztabellen<br />

oder Portfolios ist darüber hinaus ein hervorragend geeignetes Mittel, um den Schülern<br />

zu verdeutlichen, dass sich das Engagement für das eigene Lernen auszahlt. Schüler können<br />

so die Erfahrung von Selbstwirksamkeit machen, was ein wichtiger Faktor für den Erhalt<br />

der Lernmotivation ist.<br />

Merkmal 3: Kognitive Aktivierung<br />

Der Begriff ist von der Forschergruppe KOACTIV (Jürgen Baumert, Mareike Kunter, Michael<br />

Neubrand u.a.) in Deutschland popularisiert worden. Hintergrund: Die Forscher hatten herausgefunden,<br />

dass Hausaufgaben und Übungsphasen sehr oft unterhalb des in den Zielformulierungen<br />

angesprochenen Niveaustufen zurückbleiben.<br />

Wenn man also den Erwerb von Kompetenzen befördern will, dann gelingt dies nicht, wenn<br />

man die Schüler hauptsächlich mit Routine- oder Standardaufgaben konfrontiert. Die didakti-<br />

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sche Herausforderung für die Lehrer dabei besteht darin, den richtigen Grad der Komplexität<br />

zu treffen:<br />

- Einerseits müssen die Schüler die Erfahrung machen, dass sie mit den für sie verfügbaren<br />

Mitteln die Herausforderung konstruktiv bearbeiten können<br />

-- andererseits müssen die Aufgaben so ausgerichtet sein, dass die Schüler angeregt werden,<br />

nachzudenken, zu überlegen, abzuwägen, zu argumentieren, zu erfinden und zu<br />

experimentieren.<br />

Merkmal 4: Wissensvernetzung<br />

Die empirische Forschung zur Unterrichtsqualität hat bestätigt, was seit Johann Friedrich<br />

Herbarts Zeiten ein Gemeinplatz ist: Ein Unterricht, der die Schüler dazu herausfordert, bereits<br />

vorhandenes Wissen und verfügbare Fähigkeiten und Fertigkeiten zur Bearbeitung<br />

neuer Herausforderungen aktiv und kreativ einzusetzen, macht Spaß und führt zu hohem<br />

Lernerfolg. In der Unterrichts-Effektivitätsforschung gilt ein Grundsatz: Keine andere Variable<br />

hat größeren Einfluss auf den Lernerfolg der Schüler als das bereits zu Beginn des neuen<br />

Lernprozesses vorhandene Wissens- und Könnensniveau.<br />

These 8: Differenziertes und sicher beherrschtes Vorwissen ist für den Lernerfolg<br />

wichtiger als ein hoher IQ!<br />

Das Merkmal der Vernetzung von Wissen bezieht sich auf verschiedene Ebenen. Zum einen<br />

ist damit gemeint, dass der Unterricht einen systematischen Wissensaufbau befördert. Dafür<br />

muss transparent gemacht werden, wie einzelne Wissensfelder miteinander in Beziehung<br />

stehen:<br />

Die SchülerInnen müssen einen Überblick darüber erlangen, wie neues Wissen an bestehendes<br />

Wissen anschließt bzw. darauf aufbaut. Das gemeinsame Ordnen des Wissens auf<br />

einer Landkarte ist z.B. eine Methode, die den Schülern helfen kann, Orientierung zu finden.<br />

Zum anderen ist mit der Vernetzung von Wissen auch gemeint, dass bestehendes Wissen,<br />

das in bestimmten Kontexten erworben wurde und somit spezifisch situiert ist, auf andere<br />

Kontexte übertragen wird.<br />

Grafik<br />

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Unter dem Stichwort „Transfer“ wird dies bereits von vielen Lehrerinnen und Lehrern tagtäglich<br />

im Unterricht umgesetzt. Die Herausforderung bei der Vernetzung von Wissen und v. a.<br />

bei einem Transfer auf andere Bereiche besteht darin, den SchülerInnen über eine klare<br />

Strukturierung auch zu einer inhaltlichen Klarheit zu verhelfen.<br />

Merkmal 5: Übung und Überarbeitung<br />

Kompetenzen entwickeln sich nicht, wenn man sie einmal theoretisch erarbeitet hat, sondern<br />

erst dann, wenn sie „in Fleisch und Blut“ übergehen. Wenn man an Sport oder Musik oder<br />

auch Computerspiele denkt, dann wird man schnell erkennen, dass Übung und Training eine<br />

wichtige Voraussetzung für den Erwerb von Kompetenzen ist:<br />

„Zu langfristigen Lerneffekten kann es nur kommen, wenn die Schüler immer wieder<br />

die Gelegenheit erhalten, das Gelernte einzuüben und zu flexibilisieren, in verschiedenen<br />

Kontexten zu wiederholen und mit anderen Begriffen zu vernetzen“ (Leuders 2006,<br />

S. 92).<br />

In diesem Zusammenhang ist auch die Überarbeitung von Arbeitsergebnissen zu sehen.<br />

Wenn ein sukzessiver Kompetenzaufbau darin besteht, dass die Schüler von ihren bestehenden<br />

Kompetenzen ausgehend sich in kleinen Schritten neue Niveaus dieser Kompetenzen<br />

aneignen, dann ist es sinnvoll, die vorliegenden Produkte der Schüler daraufhin zu untersuchen,<br />

an welchen Stellen eine Verbesserung des aktuellen Standes vorgenommen<br />

werden kann.<br />

Ein solches Verständnis von Unterricht stellt nicht die Ergebnisse als endgültige zu benotende<br />

Produkte in den Mittelpunkt, sondern die Weiterarbeit an und mit diesen Produkten. Die<br />

vielfach zitierte Formel vom produktiven Umgang mit Fehlern findet in der Überarbeitung von<br />

Schülerergebnissen eine konstruktive praktische Umsetzung.<br />

Merkmal 6: Lebensweltliche Anwendung<br />

Kompetenzorientierter Unterricht zielt auf „realitätsnahe Anwendungssituationen“ (siehe<br />

oben, Abschnitt 2.1). Es geht explizit nicht um den Erwerb sog. trägen Wissens, das in herausfordernden<br />

Situationen nicht konstruktiv zur Bearbeitung dieser Situationen eingesetzt<br />

wird.<br />

Aus diesem Grund muss ein kompetenzorientierter Unterricht kontinuierlich Anwendungssituationen<br />

erzeugen. Das betrifft alle Phasen des Unterrichts und nicht nur die Phase<br />

der Überprüfung von Kompetenzen.<br />

- Wenn ich als Ausgangspunkt für eine<br />

individuelle Lernbegleitung eine Erhebung<br />

der Lernausgangslage vornehme, dann<br />

bringt es mich nicht weiter, wenn ich abfrage,<br />

über welches Wissen die Schüler<br />

verfügen.<br />

- Aufschluss über die aktuell verfügbaren<br />

Kompetenzen und ihre Niveaus bekomme<br />

ich erst, wenn ich für die Erhebung der<br />

Lernausgangslage eine anwendungsorientierte<br />

Aufgabe formuliere.<br />

Die Qualität meines kompetenzorientierten Unterrichts zeigt sich nicht länger darin, was ich<br />

als Lehrerin/als Lehrer alles durchgenommen habe, sondern darin, welche Kompetenzen die<br />

Schüler erworben haben.<br />

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2.3 Ein pragmatisches Modell zur Kompetenzstufung<br />

Die Arbeit mit Kompetenzstufenmodellen ist der zentrale Aspekt und die einzige wirkliche<br />

Neuerung (s.o.).<br />

Das Denken in Kompetenzstufen ist im Schulalltag nichts Ungewöhnliches – und zwar sowohl<br />

auf Seiten der Lehrenden wie auch der Lernenden. Es ist gar nicht zu vermeiden, tagtäglich<br />

die unterschiedlichen Leistungen der Schülerinnen und Schüler zur Kenntnis zu nehmen<br />

und sie gestuft zu bewerten:<br />

- Wir registrieren z.B. mit Verwunderung, dass ein Schüler der 4. Klasse beim Addieren<br />

immer noch seine Finger zu Hilfe nimmt.<br />

- Wir erläutern bei der Klausurrückgabe in einem Leistungskurs Biologie, warum kein<br />

Schüler mehr als 12 Punkte erzielt hat.<br />

- Wir loben ein Gruppenarbeitsergebnis als "weit überdurchschnittlich" und begründen dies<br />

mit „hoher Teamkompetenz“.<br />

Es gibt keine berufserfahrene Lehrerin, die nicht mindestens fünf oder sechs Dutzend persönliche<br />

Stufungsmodelle in ihr unterrichtspraktisches Denken und Handeln integriert hat.<br />

Der Theoriehintergrund dieser Modelle ist aber oft wenig bekannt. Wir 7<br />

schlagen deshalb<br />

vor, diese pragmatischen Modelle der Praktiker auf ein allgemeines Stufenmodell zu beziehen.<br />

Es ist normativ-theoretisch orientiert, weil als übergeordnetes Kriterium die Unterstützung<br />

der Selbstregulierungskräfte der Schülerinnen gesetzt wird. Es ist aber auch praktisch<br />

orientiert, weil dieses Kriterium im Schulalltag relativ fest verankert ist. 8<br />

7<br />

8<br />

Kompetenzstufenmodell<br />

Ich spreche von wir, weil dieses Modell und seine praktischen Anwendungen gemeinsam mit den<br />

Lehrerinnen Liane Paradies und Christel Wopp entwickelt und erprobt worden sind<br />

(Meyer/Paradies/Wopp 2003).<br />

In der Entwicklungsarbeit mit berufserfahrenen Lehrerinnen wurde dieses Kriterium regelmäßig<br />

gewählt – auch dann, wenn wir keinerlei Vorgaben in diese Richtung gemacht hatten.<br />

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Das Allgemeine Strukturmodell kann sowohl für die Analyse des Lehrerhandelns wie auch<br />

des Schülerhandelns benutzt werden. Die Lehrerinnen und Lehrer sollten sich natürlich möglichst<br />

oft auf Stufe 4, mindestens aber auf Stufe 3 bewegen.<br />

Ich erläutere nun die vier Stufen im Blick auf die Kompetenzentwicklung der Schülerinnen<br />

und Schüler und beschränke mich dabei auf die Methodenkompetenz:<br />

- Auf Stufe 1 geht es um das "naive", imitatorische Nachmachen von Unterrichtsmethoden,<br />

wie dies z.B. für ein Streitgespräch oder für das kindliche Rollenspielen typisch ist.<br />

Die Schüler fühlen sich dabei durch Beobachten und Nachahmen in die Methoden ein.<br />

Sie erfahren, dass es Methoden gibt, die ihnen mehr Spaß machen als andere. Diese<br />

niedrigste Stufe wird in manchen Kompetenzstufenmodellen unterschlagen, was wir für<br />

aber falsch halten. 9<br />

- Stufe 2 ist dann erreicht, wenn die Schülerinnen und Schüler eine Methode exakt so nutzen,<br />

wie es ihnen vom Lehrer oder durch eine Regieanweisung vorgeschrieben wird.<br />

Dies ist oft in der Grundschule der Fall. Aber "Handeln nach Vorschrift" gibt es auch in<br />

der gymnasialen Oberstufe bis hin in das Universitätsstudium.<br />

- Stufe 3 ist erreicht, wenn die Schüler kapiert haben, wie eine Methode funktioniert, und<br />

wenn sie ohne weitere Belehrungen mit dieser Methode in unterschiedlichen Fachbezügen<br />

arbeiten können. Sie kennen auch die Stärken und Schwächen dieser Methoden und<br />

sie begründen ihre Vorlieben aufgabenbezogen. Sie erkennen, warum ein Fehler beim<br />

Einsatz der Methode die eigenen Arbeitsergebnisse beeinträchtigt hat.<br />

- Stufe 4 ist erreicht, wenn die Schülerinnen über ein festes Repertoire sicher beherrschter<br />

Unterrichtsmethoden verfügen, wenn sie den Einsatz dieser Methoden reflektieren und<br />

ihn selbstständig moderieren können. Sie wissen, dass nicht jede Methode zu jedem Inhalt<br />

passt, haben also erfahren, dass es Wechselwirkungen zwischen den Zielen, Inhalten<br />

und Methoden gibt. Sie haben feste Überzeugungen zum Methodeneinsatz entwickelt<br />

und können Urteile über die Stärken und Schwächen einzelner Methoden und ganzer<br />

Methodenarrangements fällen.<br />

Schülerinnen und Schüler, die die Stufe 4 erreicht haben, verfügen über didaktische Kompetenz.<br />

Sie regulieren ja nicht nur ihren eigenen Lernprozess, sondern tragen mit ihrer<br />

Sach-, Sozial- und Methodenkompetenz auch dazu bei, dass der Arbeitsprozess der ganzen<br />

Klasse vorankommt (siehe auch TEIL 3).<br />

2.4 „<strong>Kompetenzorientierung</strong> allein macht noch keinen guten Unterricht“<br />

Wichtige Aspekte guten Unterrichts werden aus systematischen Gründen vernachlässigt. Ich<br />

will dies in der gebotenen Kürze mit meinem DIDAKTISCHEN SECHSECK belegen (vgl.<br />

Meyer 2007, S. 178). Es stellt eine Komprimierung der bei Allgemeindidaktikern wie Wolfgang<br />

Klakfi, Wolfgang Schulz und Lothar Klingberg entwickelten Strukturschemata dar.<br />

9<br />

Wir haben bei der Arbeit an verschiedenen Kompetenzstufenmodellen gemerkt, dass es uns leichter<br />

gefallen ist, die 3. und 4. Kompetenzstufe zu beschreiben als die 1. und 2. Aber um basale<br />

Lernprozesse einzuleiten und um Lernbarrieren der Schülerinnen rechtzeitig erkennen zu können,<br />

ist es gerade wichtig, die Stufen 1 und 2 präzis zu definieren und mit Indikatoren zu erläutern.<br />

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Im SECHSECK werden jene Grunddimensionen erfasst, die in jeder Sekunde, die Unterricht<br />

stattfindet, gegeben sind. Deshalb ist dieses schlichte Schema eine gute Sonde, um didaktische<br />

Modelle (wie das der „<strong>Kompetenzorientierung</strong>“) auf ihre Vollständigkeit zu überprüfen.<br />

Grafik: SECHSECK<br />

Wo liegen die Stärken des Kompetenzorientierten Unterrichts? Wo die Schwächen?<br />

Der Ansatz gibt starke Anregungen:<br />

- zur Definition der Unterrichtsziele<br />

Der Ansatz sagt ein bisschen:<br />

- zur Struktur der Inhalte<br />

- und zur Modellierung der im Unterricht stattfindenden Handlungsabläufe.<br />

Er sagt wenig:<br />

- zur Gestaltung der Unterrichtsprozesse (obwohl viele Lehrer fälschlich annehmen, dass<br />

das Stufenmodell zugleich eine Modellierung des Unterrichtsprozesses liefern könnten –<br />

dem ist nicht so!).<br />

Der Ansatz sagt gar nichts<br />

- zur Gestaltung der Sozialstruktur des Unterrichts<br />

- und zur Raumstruktur.<br />

Ich stelle fest: Aus der klugen Idee, kompetenzorientiert zu unterrichten, lässt sich<br />

nicht die „ganze Aufgabe“ des Lehrers herleiten. Lehrer müssen im Unterricht noch<br />

sehr viel mehr und anderes regeln, als Anregungen zur Kompetenzentwicklung zu<br />

geben.<br />

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These 9: <strong>Kompetenzorientierung</strong> allein macht noch keinen guten Unterricht.<br />

Deshalb folgt nun ein deutlich breiter angelegter Versuch, Qualitätskriterien für guten Unterricht<br />

zu definieren.<br />

3. Ein Theorierahmen für Unterrichtsqualität<br />

3.1 Arbeit an der „persönlichen Theorie guten Unterrichts“ als Ausgangspunkt<br />

Ich habe nicht vor, Ihnen meine Theorie guten Unterrichts überzustülpen. Das geht nämlich<br />

gar nicht, und zwar deshalb nicht, weil Sie alle schon seit vielen Jahren, ja eigentlich seit<br />

Ihrer eigenen Kindergarten-Zeit sehr stabile und hoch differenzierte Vorstellungen über guten<br />

und schlechten Unterricht aufgebaut haben. Diese Vorstellungen sitzen sehr fest, weil sie auf<br />

jahrzehnte alten Erfahrungen aufbauen und im Alltag, auch im Studium immer wieder bekräftigt<br />

werden. Deshalb lassen sie sich nicht wie ein dreckig gewordenes Hemd ablegen. Ich bin<br />

schon zufrieden, wenn Sie diesen Vortrag zum Anlass nehmen, Ihre in vielen Jahren verinnerlichte<br />

„persönliche Theorie guten Unterrichts“ bewusst zu durchdenken und hier und dort<br />

daran zu schnitzen und zu sägen.<br />

Das ist eine Reflexionsleistung,<br />

die hin und wieder<br />

auch im Unterricht<br />

selbst stattfinden kann:<br />

Sie können sich, wie die<br />

erste Zeichnung deutlich<br />

machen soll, beim Unterrichten<br />

selbst über die<br />

Schultern schauen, genau<br />

beobachten, was Sie<br />

da tun, um dann an den<br />

richtigen Strippen zu<br />

ziehen. Je bewusster Ihr<br />

eine bestimmte Strippe<br />

zieht, umso leichter ist es<br />

auch, deren Effekte im<br />

Klassenzimmer zu beobachten.<br />

Wer das kann,<br />

kann auch ein Stück weit<br />

„reflexive Distanz“ zum eigenen Handeln herstellen. Was ich im Cartoon halbironisch dargestellt<br />

habe, lässt sich auch wissenschaftlich seriös ausdrücken (ausführlich erläutert in<br />

Jank/Meyer 2002, S. 143-152):<br />

Abbildung 3:<br />

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"Persönliche Theorie" des Unterrichts<br />

Natürlich sind diese persönlichen Theorien noch nicht so gründlich abgesichert wie die Theoretiker-Theorien.<br />

Aber im Prinzip müssen und können sie den gleichen Gütekriterien wissenschaftlichen<br />

Arbeitens genügen wie die im Wissenschaftsbetrieb produzierten Theorien:<br />

- Sie beschreiben und analysieren Unterrichtsphänomene, ihre Voraussetzungen und<br />

Konsequenzen.<br />

- Sie enthalten bewusst formulierte Hypothesen über Korrelationen und Ursache-<br />

Wirkungszusammenhänge.<br />

- Sie gelten auf Widerruf, werden also an der Praxis überprüft und gegebenenfalls auch<br />

überarbeitet.<br />

- Sie sind eingebettet in einen ethischen Kode, also in einen Satz von Werten und Regeln<br />

des zwischenmenschlichen Umgangs.<br />

Ein Beispiel, das ich Ihnen zur Nachahmung in einer fantasievollen Variation empfehle: Ulrike<br />

Kudrass, DaZ-Lehrerin aus La Paz/Bolivien, hat ihre persönliche Theorie in einer Fortbildungsveranstaltung<br />

in eine Metapher gepackt:<br />

Grafik ulrike<br />

(Allerdings enthält diese Billardtisch-Metapher einen Denkfehler!)<br />

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3.2 Drei-Etagen-Haus<br />

Deshalb habe ich Helmkes Grafik noch einmal erweitert und in der Metapher eines großen<br />

Drei-Etagen-Hauses zu visualisieren versucht (Meyer 2007, Sechste Lektion):<br />

Auf jeder Etage gibt es große Repräsentationsräume, Werkräume, Schlafzimmer und Rumpelkammern,<br />

die durch Treppen, Fenster, Heizungsrohre u.a. miteinander verknüpft sind:<br />

- Im Erdgeschoss agieren leibhaftige Menschen. Hier werden die tatsächlichen Lehr- und<br />

Lernhandlungen, aber auch die Gedanken und Gefühle erfasst, mit denen diese Handlungen<br />

begleitet werden.<br />

- Das Obergeschoss erfasst die von den handelnden Personen entwickelten persönlichen<br />

Theorien und Leitbilder.<br />

- Im Dachgeschoss, in dem man sich nur hin und wieder aufzuhalten pflegt, sind die staatlichen<br />

Programmatiken und Steuerungsversuche platziert - Standardisierungsversuche<br />

der Bildungspolitik, deren tatsächlicher Einfluss auf das Lehrer- und Schülerhandeln aber<br />

noch nicht gut erforscht ist (vgl. Blossing/Ekholm 2005).<br />

- Im Kellergeschoss sind die Lehr- und Lernkompetenzen, die Einstellungen und Haltungen<br />

der Lehrer und Schüler angesiedelt. Sie stellen einerseits die Voraussetzungen erfolgreicher<br />

Unterrichtsarbeit dar, ihre Weiterentwicklung ist zugleich aber auch das wichtigste<br />

Ziel des Unterrichts. Es führt keine Treppe in das Kellergeschoss. Warum? Weil<br />

Kompetenzentwicklung grundsätzlich nicht sichtbar ist (s.o.).<br />

Eine wichtige Rolle – auch für Kompetenzorientierten Unterricht – spielen die im Drei-<br />

Etagen-Haus festgehaltenen Begriffe Didaktische Kompetenz und Arbeitsbündnis:<br />

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3.3 Arbeitsbündnisse und didaktische Kompetenzen der Schüler<br />

Was ist ein Arbeitsbündnis? Die Idee, den Lehr-Lernprozess auf der Folie eines Arbeitsbündnisses<br />

zu deuten, ist uralt; sie wurde in jüngerer Zeit von Professionsforschern und Didaktikern<br />

wie Ulrich Oevermann und Werner Helsper wiederbelebt. Ich definiere:<br />

Definition: Ein Arbeitsbündnis ist ein didaktisch-sozialer Vertrag zwischen dem Lehrer<br />

und seinen Schülern über die im Unterricht geltenden Rechte und Pflichten und die zu<br />

erbringenden Leistungen.<br />

Es handelt sich um einen didaktischen Vertrag, weil in seinem Zentrum das Lehren und Lernen<br />

steht. Es ist ein sozialer Vertrag, weil er ohne gegenseitiges Vertrauen nicht funktionieren<br />

kann.<br />

Arbeitsbündnisse können im Schulalltag sehr unterschiedliche Formen annehmen:<br />

- Implizites Arbeitsbündnis: Lehrer und Schüler wissen, dass Unterricht erfunden wurde,<br />

um zu lernen. Sie gehen jeden Morgen frohgemut und ohne langes Lamentieren an<br />

die Arbeit.<br />

- Explizites Arbeitsbündnis: Lehrer und Schüler treffen zu Beginn des Schuljahrs/des<br />

Kurses eine verbindliche Absprache über die gegenseitigen Leistungen und Erwartungen<br />

und sie halten sich, so gut es geht, daran.<br />

- Förmlicher Vertrag/Lernkontrakt: Lehrer und Schüler legen schriftlich fest, wer was<br />

wann zu leisten hat.<br />

- So-tun-als-ob-Arbeitsbündnis: Es liegt dann vor, wenn Schülerinnen und Schüler<br />

Interesse und Aufmerksamkeit heucheln oder wenn mit dem Lehrer ein Pakt geschlossen<br />

wird, der nach der Maxime handelt: „Sie lassen mich in Ruhe – und ich störe<br />

Sie nicht bei der Arbeit mit den anderen.“<br />

- Lernverweigerung: Ein Arbeitsbündnis kommt nicht zustande.<br />

Ob und welche Form eines Arbeitsbündnisses zustande kommt, hängt von einer ganzen<br />

Reihe einzelner Faktoren ab: vom Alter der Schüler, vom Klima, von der Lernmotivation, von<br />

fachlichen Interessen, von der verfügbaren Zeit, aber natürlich auch von der Lehrerpersönlichkeit<br />

und Ihrem Geschick in der Gestaltung von Lernsituationen.<br />

Was sind didaktische Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler? Damit ist mehr gemeint<br />

als die individuelle Verantwortung für den eigenen Lernerfolg. Gemeint ist die Bereitschaft<br />

und Fähigkeit der Schüler, Verantwortung für die ganze Klasse zu übernehmen. Lothar<br />

Klingberg erläutert:<br />

"Didaktische Kompetenz der Lernenden heißt: Lernende als mitgestaltende, mitentscheidende<br />

und mitverantwortende Akteure in das Unterrichtskonzept einzubeziehen,<br />

ihre Subjektposition in allen Funktionen des Unterrichts in Ansatz zu bringen und zu<br />

respektieren: bei der Planung (insbesondere bei komplexen Lernvorhaben), bei der<br />

Unterrichtsgestaltung selbst und bei der kritischen Begleitung und Reflexion didaktischer<br />

Prozesse. Der dialogische Charakter des Unterrichts schließt auch das Gespräch<br />

von Lehrenden und Lernenden über Inhalte, Methoden, Organisationsformen<br />

und Resultate des Unterrichts ein. Es geht also, kurz gesagt, um eine zunehmende<br />

Bewusstheit und kritische Verantwortlichkeit von Lehrenden und Lernenden für den<br />

Unterricht als einer Sache, die nicht für Schüler veranstaltet, sondern mit ihnen gestaltet<br />

wird" (Klingberg 1990, S. 78).<br />

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3.4 Begriffsklärung „Guter Unterricht“<br />

Drei Annäherungen vorweg (nur mündlich im Vortrag):<br />

- Markus, der Oberstufenschüler<br />

- Mariah, die Grundschülerin<br />

- Unterricht in Changzhou, China<br />

Die 3 Beispiele verweisen auf vier Punkte, die bei der Definition guten Unterrichts beachtet<br />

werden müssen:<br />

(1) Wenn man guten Unterricht geben will, ist es klug, ein Arbeitsbündnis mit den Schülerinnen<br />

und Schülern zu schmieden!<br />

(2) Die Lehrerpersönlichkeit spielt immer eine zentrale Rolle!<br />

(3) Die Definition guten Unterrichts erfolgt in Abhängigkeit zum gesellschaftlich-politischen<br />

Entwicklungsstand einer Nation!<br />

(4) Aus dem Nachweis einer Korrelation (also eines zeitgleichen Auftretens) von starker Lehrerzentriertheit<br />

des Unterrichts und hohem Lernerfolg darf nicht ein Ursache-Wirkungs-<br />

Zusammenhang gefolgert werden.<br />

Daraus folgt als ein logisch-methodologischer Grundsatz für unsere Suche nach einer theoretisch<br />

tragfähigen Definition „gutem Unterrichts“:<br />

These 10: Aus dem, was wir – sei es in China oder in Kassel - beobachten, kann nicht<br />

auf direktem Wege abgeleitet werden, was unter gutem Unterricht zu verstehen ist.<br />

Was guter Unterricht ist und sein soll, kann grundsätzlich nicht aus den Ergebnissen der empirischen<br />

Unterrichtsforschung abgeleitet werden. Es wird vielmehr normativ (also auf der<br />

Grundlage persönlicher Vorstellungen oder einer Bildungstheorie) gesetzt. In der folgenden<br />

Arbeitsdefinition habe ich dies im Anschluss an die deutschsprachige Didaktikdiskussion<br />

(Klafki, Blankertz, Klingberg) in meinen Worten getan:<br />

Arbeitsdefinition 1: Guter Unterricht ist ein Unterricht,<br />

in dem<br />

(1) im Rahmen einer demokratischen Unterrichtskultur<br />

(2) auf der Grundlage des Erziehungsauftrags<br />

(3) und mit dem Ziel eines gelingenden Arbeitsbündnisses<br />

(4) die Persönlichkeitsentwicklung aller Schülerinnen<br />

und Schüler unterstützt, sinnstiftende<br />

Orientierungen geschaffen<br />

(5) ein Beitrag zur nachhaltigen Kompetenzentwicklung<br />

aller Schülerinnen und Schüler<br />

geleistet wird<br />

(6) und auch die Lehrerinnen und Lehrer einen<br />

humanen und nicht krankmachenden Arbeitsplatz<br />

haben.<br />

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3.5 ZEHNERKATALOG<br />

Die empirische Unterrichtsforschung hat in den letzten zehn, fünfzehn Jahren erhebliche<br />

Fortschritte gemacht. Deshalb können wir heute sehr viel präziser als früher sagen, welche<br />

Merkmale alltäglichen Unterrichts zu dauerhaft hohen kognitiven, methodischen und sozialen<br />

Lernerfolgen beitragen. Ich habe diese Forschungsergebnisse studiert, sie didaktisch gewichtet,<br />

um zwei empirisch schlecht abgesicherte, aber m.E. wichtige Punkte ergänzt und<br />

dann zu zehn Merkmalen guten Unterrichts zusammengefasst.<br />

ZEHNERKATALOG Guter Unterricht<br />

1. Klare Strukturierung des Unterrichts (Prozessklarheit; Rollenklarheit,<br />

Absprache von Regeln, Ritualen und Freiräumen)<br />

2. Hoher Anteil echter Lernzeit (durch gutes Zeitmanagement, Pünktlichkeit;<br />

Auslagerung von Organisationskram)<br />

3. Lernförderliches Klima (durch gegenseitigen Respekt, verlässlich<br />

eingehaltene Regeln, Verantwortungsübernahme, Gerechtigkeit und<br />

Fürsorge)<br />

4. Inhaltliche Klarheit (durch Verständlichkeit der Aufgabenstellung,<br />

Plausibilität des thematischen Gangs, Klarheit und Verbindlichkeit der<br />

Ergebnissicherung)<br />

5. Sinnstiftendes Kommunizieren (durch Planungsbeteiligung, Gesprächskultur,<br />

Sinnkonferenzen und Schülerfeedback<br />

6. Methodenvielfalt und Methodentiefe (Reichtum an Inszenierungstechniken;<br />

Vielfalt der Handlungsmuster; Variabilität der Verlaufsformen;<br />

Aufbau von Methodenkompetenz)<br />

7. Individuelles Fördern (durch Freiräume, Geduld und Zeit; durch innere<br />

Differenzierung; durch individuelle Lernstandsanalysen und abgestimmte<br />

Förderpläne; besondere Förderung von Schülern aus Risikogruppen)<br />

8. Intelligentes Üben (durch Bewusstmachen von Lernstrategien,<br />

passgenaue Übungsaufträge und gezielte Hilfestellungen)<br />

9. Transparente Leistungserwartungen (durch ein an den Richtlinien<br />

oder Bildungsstandards orientiertes, dem Leistungsvermögen der<br />

Schülerinnen und Schüler entsprechendes Lernangebot und zügige<br />

Rückmeldungen zum Lernfortschritt)<br />

10. Vorbereitete Umgebung (durch gute Ordnung, funktionale Einrichtung<br />

und brauchbares Lernwerkzeug)<br />

11. Joker (für fachdidaktische Merkmale)<br />

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3.6 Nutzungsmöglichkeiten des ZEHNERKATALOGS<br />

Merkmalskataloge guten Unterrichts können verschiedene Funktionen erfüllen: Sie können in<br />

der Lehrerbildung als Grundlage für die Unterrichtsanalyse genutzt werden. Sie können als<br />

Orientierungsgrundlage für die kooperative Unterrichtsentwicklung dienen und sie können<br />

bei der Schulinspektion als Referenzrahmen herangezogen werden (wie dies zur Zeit insbesondere<br />

mit dem Zehnerkatalog von Andreas Helmke passiert). Ich empfehle folgende Nutzungsmöglichkeiten:<br />

1.) persönliche Stärken-Schwächen-Analyse als erster Schritt der Unterrichtsentwicklung<br />

(siehe Meyer, Guter Unterricht, S. 144)<br />

2.) Schüler-Feedback mit Hilfe der 10 Merkmale (Beispiel: Christina Sczesny, in:<br />

Meyer: Was ist guter Unterricht?)<br />

3.) Arbeit in Fachgruppen/Fachkonferenzen: fachdidaktische Konkretisierung<br />

der Merkmale und Formulierung von Entwicklungsaufgaben<br />

4.) Kollegiales Hospitieren mit Hilfe der Beobachtungsbogen zu den 10 Merkmalen<br />

5.) Strukturierte Stundennachbesprechung mit Hilfe des Zehnerkatalogs (vgl.<br />

dazu den Aufsatz Junghans/Feindt, in FRIEDRICH-Jahresheft 2007)<br />

6.) Mitarbeitergespräche nach Unterrichtsbesuchen<br />

7.) Integration des ZEHNERKATALOGS in das Schulleitbild.<br />

8.) Orientierungsrahmen für die Schulinspektion/ AQS<br />

3.7 Blick in die Forschungswerkstätten<br />

Ich habe nun schon Vier- oder Fünfdutzend mal festgestellt, dass die Wissenschaftler dieses<br />

oder jenes empirisch festgestellt hätten. Aber wie machen sie das? Es reicht ja nicht aus,<br />

einfach nur eine Korrelation zwischen einem Unterrichtsmerkmal und hohem Lernerfolg herzustellen.<br />

(Das habe ich oben am Beispiel des China-Unterrichts erläutert.) Seriöse Nachweise<br />

setzen Langzeitstudien voraus, in denen die Schülerleistungen zu Beginn und am<br />

Schluss einer längeren Lernphase gemessen werden und mit Kontrollgruppen verglichen<br />

werden. Das ist mühsam, aber nicht unmöglich. Zwei Beispiele:<br />

3.6.1 „Viele Wege führen nach Rom“<br />

Wir wissen aus der didaktischen Theorie, aus der empirischen Unterrichtsforschung und aus<br />

der Professionalisierungsforschung, dass es keinen Königsweg zur hohen Unterrichtsqualität<br />

gibt. Gerade hochqualifizierter Unterricht in best-practice-Klassen hat ein je individuelles Profil,<br />

an dessen Zustandekommen die Lehrerin/der Lehrer einen entscheidenden Anteil hat. Zu<br />

diesem Ergebnis kommt auch die berühmte SCHOLASTIK-Studie von Weinert, Helmke u.a<br />

(1997, S. 250). Die Merkmale guten Unterrichts sind hier nur sechse, und sie sind etwas an-<br />

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ders geschnitten, bleiben aber vergleichbar. 10<br />

Das überraschende Ergebnis der SCHOLASTIK-Studie: Gerade in den sechs „best practice“-Klassen<br />

gab es eine erhebliche Streuung im Ausprägungsgrad einzelner Merkmale und<br />

einige sehr deutliche "Ausrutscher". Einzelne Klassen zeigten sehr schlechte Werte bei den<br />

von mir in der Abbildung eingekreisten Variablen - sie zählten dennoch zu den sechs besten.<br />

Allerdings wissen wir nicht, ob diese Schulklassen vielleicht noch bessere Leistungen gezeigt<br />

hätten, wenn auch die „Ausrutscher-Variablen“ stark gemacht worden wären:<br />

Ich folgere daraus: Gerade Lehrerinnen und Lehrer mit sehr hohem Leistungsvermögen entwickeln<br />

ein je eigenes Profil ihres Unterrichts.<br />

These 11: Viele (nicht: alle!) Wege führen nach Rom!<br />

Das hat Konsequenzen für die Unterrichtsentwicklung. Es macht keinen Sinn, Qualitätsverbesserung<br />

nach dem Gießkannenprinzip betreiben zu wollen. Was für den einen Lehrer ein<br />

authentisch vertretbares Konzept ist, kann für den anderen zur Qual werden. Was für Mathematikunterricht<br />

förderlich, ja unverzichtbar ist, kann im Fremdsprachenunterricht stören.<br />

Was ängstlichen Schülern hilft, kann aktive Schüler bremsen. Das ist aber keine Freikarte für<br />

Beliebigkeit. Ein professioneller Lehrer ist immer darauf bedacht, auch seine Schwächen zu<br />

reflektieren und auszugleichen.<br />

3.6.2 Welchen Anteil haben die Lehrerinnen und Lehrer am Lernerfolg der Schülerinnen<br />

und Schüler?<br />

Es gibt eine naive, dennoch an Stammtischen und in dieser oder jener Politikerseele hartnäckig<br />

überlebende Vorstellung, 90 Prozent dessen, was zum Schluss beim Unterrichten<br />

„rauskommt“, sei eine Folge des Unterrichts. Schön wär’s ja, aber die Vorstellung ist Gott sei<br />

dank falsch. Die empirischen Studien schwanken bei der Beurteilung von „school<br />

effectiveness“. Während früher von skeptischen 2 bis 10 Prozent Einfluss des Lehrerhan-<br />

10<br />

„Aktive fachliche Unterstützung“ entspricht meinem „individuellen Fördern“; „Strukturiertheit“ und<br />

„Klassenführung“ sind bei mir zum Merkmal 1 fusioniert.<br />

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delns ausgegangen wurde, wird heute optimistischer gerechnet. Der Neuseeländer John<br />

Hattie (2007; 2009) hat die verschiedenen Einflussfaktoren auch statistisch erfasst und<br />

kommt zu folgendem Bild (nächste Seite):<br />

Die Tatsache, dass im Durchschnitt 30 bis 32 Prozent des Lernerfolgs auf den Faktor Unterrichtsqualität<br />

und Lehrkompetenz zurückzuführen ist, ist ein erfreulich hoher Wert. Es lohnt<br />

sich allemal, darum zu kämpfen, zumal einzelne Lehrerinnen und Lehrer ja einen deutlich<br />

höheren Anteil haben können.<br />

Abbildung 2: Hattie-Kreisdiagramm<br />

Die Grafik erfasst nur die statistisch ermittelten durchschnittlichen Einflussstärken. Im Einzelfall<br />

können die Prozentwerte stark variieren. Zusätzlich ist zu beachten, dass kein Einflussfaktor<br />

für sich allein wirkt. Einzelne Faktoren können sich neutralisieren, aber auch gegenseitig<br />

verstärken. Ich liste einzelne Variablen auf, durch die sich die genannten Durchschnittswerte<br />

verschieben:<br />

- Es gibt gute und schlechte Lehrerinnen und Lehrer. Sie sind nicht pauschal gut, mittelmäßig<br />

oder schlecht, sondern fächer- und schülerbezogen unterschiedlich gut. Einzelne<br />

von ihnen können um das drei- oder vierfach größere Lerneffekte auslösen. Es gibt<br />

aber auch Lehrer, die vorhandene Wissensbestände und erreichte Kompetenzstufen<br />

wieder zerstören (Gruehn 2000; Helmke 2003; Prenzel u.a. 2006).<br />

- Leistungsschwächere Schüler sind stärker als die anderen auf eine klare Strukturierung<br />

und ein lernfreundliches Klima angewiesen. Leistungs- und motivationsstärkere<br />

kommen eher mit einem schlechten Unterrichtsklima klar und sie lernen auch dann noch<br />

eine ganze Menge, wenn der Lehrer Kompetenzdefizite hat (Lipowsky 2006, S. 56 f.).<br />

- In Mathematik und Naturwissenschaften ist der Einfluss der Lehrqualität groß, weil fast<br />

alles, was zu lernen ist, neu von der Lehrerin eingebracht werden muss. In den Fächern<br />

Deutsch, Geschichte, Sport oder Musik ist der Einfluss etwas geringer, weil hier die in der<br />

Familie und im sozialen Umfeld bereitgestellte „Ausstattung“ der Schüler eine größere<br />

Rolle spielt (Helmke/Schrader 2006; Lipowsky 2007).<br />

- Der Grad der sozialen Kopplung, also der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft<br />

und Lernerfolg, ist in den einzelnen Nationen unterschiedlich groß - in Deutschland fata-<br />

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ler Weise höher als in jeder anderen europäischen Nation (Deutsches PISA-Konsortium<br />

2001, S. 379 ff.; Brügelmann 2005, S. 124 ff.; Prenzel u.a. 2006).<br />

- Die Anzahl der Schüler je Klasse kann sich unterschiedlich auswirken. Kleine Klassen<br />

führen nicht automatisch, sondern nur dann, wenn weitere Faktoren stark gemacht werden,<br />

zu besseren Lernergebnissen (Arnhold 2005).<br />

- Situative Faktoren, die als „Zufälle“ in den Lernprozess hineinwirken, beeinflussen den<br />

Lernerfolg: die Tagesform der Lehrerin und der Schüler, krankheitsbedingtes Fehlen von<br />

Leistungsträgern oder Rabauken, das Wetter (auf das wetterfühlige Menschen massiv<br />

reagieren), persönliche Sympathien und Antipathien usw.<br />

Ich fasse zusammen:<br />

These 12: Durchschnittlich 30 Prozent des unterrichtlichen Lernerfolgs der Schülerinnen<br />

und Schüler werden durch die Qualität des Unterrichts und die Professionalität des<br />

Lehrerhandelns herbeigeführt.<br />

Vielleicht sind einige von Ihnen unzufrieden damit, dass der Anteil der Unterrichtsqualität<br />

nicht größer ist. Das ehrt Sie, aber ich halte dagegen: 30 Prozent Lehreranteil stellen die<br />

Hälfte dessen dar, was durch „äußerliche Faktoren“ im Durchschnitt bewirkt wird. Und das ist<br />

eine ganze Menge!<br />

4. Anregungen zur Unterrichtsentwicklung<br />

Vorweg: Wenn Sie mich fragen, was ich dem FRIEDRICHSGYMNASIUM für die Weiterführung<br />

der Unterrichtsentwicklung anrate, so habe ich vier Ratschläge:<br />

1.) Ich empfehle Ihnen, eine Steuergruppe für die Unterrichtsentwicklung<br />

einzurichten.<br />

2.) Ich empfehle, die inhaltliche Arbeit der Fachschaften zu beleben.<br />

Dabei gilt der Satz von Hans-Günter Rolff: „Die Fachkonferenzarbeit<br />

ist der ungehobene Schatz der Unterrichtsentwicklung.“<br />

3.) Ich würde das Kollegiale Hospitieren einführen – zunächst auf<br />

freiwilliger Basis, später verpflichtend für alle.<br />

Dabei gilt: Unterrichtsentwicklung braucht Zeit! Sie richtet sich<br />

nicht nach dem Korsett von Legislaturperioden.<br />

4.1 Begriffsklärung „Unterrichtsentwicklung“<br />

Guter Unterricht muss in einem kräftezehrenden, oft aber auch befriedigenden Prozess der<br />

gemeinsamen Arbeit von Schülern, Eltern und Kollegen immer wieder neu erarbeitet werden.<br />

Diese gemeinsame Arbeit bezeichne ich als Unterrichtsentwicklung. Sie stellt den Kern der<br />

Schulentwicklung dar (vgl. Rolff/Rhinow u.a. 2009). Ich definiere:<br />

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Arbeitsdefinition: Unterrichtsentwicklung bezeichnet den Prozess und die Ergebnisse<br />

individueller und gemeinsamer Anstrengungen von Lehrern und Schülern zur Verbesserung<br />

der Lern- und Arbeitsbedingungen im Unterricht.<br />

Unterrichtsentwicklung ist kein Selbstzweck. Die viele Arbeit lohnt sich nur, wenn auch<br />

etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Ich schlage zwei übergeordnete Zielformeln vor:<br />

Der Unterricht soll erstens menschlicher und zweitens effizienter gestaltet werden. So<br />

abstrakt betrachtet, wird kaum jemand der Zielformel widersprechen. Aber der Teufel steckt<br />

im Detail, weil die zwei Teilziele bei der Kleinarbeitung schnell in Widerspruch zueinander<br />

geraten können.<br />

4.2 Akteure und Handlungsebenen<br />

An der Unterrichtsentwicklung sind viele Personen beteiligt. Man kann ihr Selbstverständnis,<br />

ihre Rollen und Aufgaben im Anschluss an die offiziellen Statuszuweisungen definieren:<br />

- Schulleitungs-Aufgaben<br />

- Steuergruppen-Aufgaben,<br />

- Fachkonferenz- und Projektteam-Aufgaben usw.<br />

Ich finde es aber reizvoller, diese Rollen nicht juristisch-formal, sondern "machttheoretisch“<br />

zu definieren. Dabei stütze ich mich auf erste Überlegungen von Helmut Fend (2008, S. 155<br />

ff.) zu einer "Akteurstheorie" der Schulgestaltung, habe diese Anregungen aber in eigene -<br />

halbironische - Formulierungen umgedeutet. Demnach gibt es in jedem Innovationsprozess:<br />

Akteure der Unterrichtsentwicklung<br />

- die „Träumer“, das sind die unverzichtbaren Ideengeber<br />

für eine Vision guten, allen Schülern gleichermaßen gerecht<br />

werden Unterrichts<br />

- die „Häuptlinge“<br />

- das „Fußvolk“ bzw. die „Indianer“, ohne die die Häuptlinge<br />

nichts ausrichten können,<br />

- die „Macher“ oder „Schrauber“, die sich gern einspannen<br />

lassen und einfach Spaß an der gemeinsamen Arbeit<br />

finden,<br />

- die „Strippenzieher im Hintergrund“, die dafür sorgen,<br />

dass Mehrheiten im Kollegium organisiert werden und<br />

dass das Tagesgeschäft nicht in all der Innovationsbereitschaft<br />

leidet,<br />

- und schließlich die „Stinkstiefel“ und „Bedenkenträger“,<br />

denen man nichts recht machen kann, die aber<br />

beharrlich auf Zumutungen und Überforderungen hinweisen<br />

und von deren Widerstand aber das ganze Kollegium<br />

lernen kann.<br />

Es ist die Aufgabe der Schulleitung, aus dieser Rollen-Vielfalt, die recht schnell zu einem<br />

Rollen-Durcheinander mit unerwünschten Nebenwirkungen werden kann, ein abgestimmtes<br />

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Rollen-Ensemble zu machen. Das ist sicherlich nicht einfach. Aber gute Schulleiter zeigen,<br />

wie man's macht.<br />

4.3 Lohnende Entwicklungsaufgaben und Entwicklungsinstrumente<br />

Es herrscht kein Mangel an unterrichtsbezogenen Entwicklungsaufgaben. Ich liste einige auf,<br />

die mir aktuell attraktiv und lohnend zu sein scheinen.<br />

Lohnende Entwicklungsaufgaben<br />

(1) Ausdifferenzierung und Ausbalancierung der fünf Grundformen des Unterrichts:<br />

Lehrgangsförmiger Unterricht (Fachunterricht u.a.), Individualisierter Unterricht<br />

(Freiarbeit, Facharbeit u.a.), Kooperativer Unterricht (Projektarbeit u.a.)<br />

(2) Entwicklung einer neuen Aufgabenkultur (kognitiv aktivierende Aufgabenstellungen)<br />

(3) Entwicklung eines Konzepts kompetenzorientierten Unterrichts<br />

(4) Ausbau der Inneren Differenzierung<br />

(5) Ausbau eines gemeinsamen Konzepts individueller Förderung<br />

(6) Entwicklung kooperativer Lernformen (z.B. Gruppenpuzzle)<br />

(7) Entwicklung eines Methoden-Curriculums, an das sich alle Kollegen gebunden<br />

fühlen<br />

(8) Einführung jahrgangsgemischten Unterrichts (auch in der Sek I und Sek II)<br />

(9) Rhythmisierung des Schultages und der Schulwoche (Doppelstunden; Gestaltung<br />

der Mittagspause usw.)<br />

(10) Wiederbelebung des Plenums- bzw. Frontalunterrichts 11<br />

(11) Portfolio-Arbeit<br />

(12) Aus- und Aufbau von Helfersystemen<br />

Bundesweit ist eine Reihe von Instrumenten zur Unterrichtsentwicklung erfunden worden<br />

(z.B. die Steuergruppenarbeit); andere hat es seit jeher gegeben (z.B. die Fachkonferenzarbeit)<br />

11<br />

Instrumente<br />

(1) Einrichtung von Steuergruppen (alternativ: Arbeit mit einer Erweiterten Schulleitung)<br />

(2) Aktivierung der Fachkonferenzarbeit<br />

(3) mehr Lehrerkooperation bei der Vor- und Nachbereitung des Unterrichts<br />

(4) kollegiale Absprachen und Absprache-Kontrollen zur Leistungsbewertung<br />

(5) Kollegiales Hospitieren und Coachen<br />

Diese Aufgabe wird nur von wenigen meiner Kollegen in solche Maßnahmenkataloge aufgenommen.<br />

Ich halte es für zwingend. Die Öffnung des Unterrichts ist nicht dadurch zu bewerkstelligen,<br />

dass man den Frontalunterricht destruiert. Er wird noch mehrere Jahrzehnte die meist genutzte<br />

Sozialform bleiben.<br />

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(6) Fortbildung im Team mit Berichtspflicht statt „Einzelkämpfer-Fortbildung“<br />

(7) Fortbildungsplanung des ganzen Kollegiums<br />

(8) Aufbau eines Netzwerks zur Unterrichtsentwicklung mit benachbarten Schulen<br />

Viele Schulentwickler sagen: Das kollegiale Hospitieren ist der wirkmächtigste Einstieg in<br />

die Unterrichtsentwicklung. Dennoch spielt es in Deutschland - anders als in Bolivien, China<br />

oder Japan - bisher nur eine untergeordnete Rolle. Ich bin mir sicher, dass es hier Änderungen<br />

geben wird.<br />

4.4 Stolpersteine der Unterrichtsentwicklung<br />

Unterrichtsentwicklung beginnt nie bei Null – Schulen sind immer schon in vielschichtige<br />

Entwicklungsprozesse verwickelt gewesen. Und sie arbeiten unter nie genau vorhersehbaren<br />

Bedingungen. Deshalb hat der kanadische Schulentwicklungsforscher Michael Fullan (1999)<br />

formuliert:<br />

These 13: Unterrichtsentwicklung ist ein chaotischer Prozess.<br />

Das ist keine polemische, sondern eine analytische Feststellung. „Kommissar Zufall“ hat<br />

überall dort, wo besonders gelungene Prozesse der Unterrichtsentwicklung zu beobachten<br />

waren, eine wichtige Rolle gespielt – und auch dort, wo etwas zusammengebrochen ist,<br />

spielten oft externe und völlig konzeptneutrale Probleme eine Rolle: Personalerkrankungen,<br />

Beförderungen, Versetzungen, Veränderungen der Stundentafel u.a.m.<br />

Der kleine Schuss Anarchie in den meisten Unterrichtsentwicklungsprozessen ist also kein<br />

Zufall, sondern eine Folge der hohen Komplexität der Unterrichtsentwicklung, ihrer Zielstellungen<br />

und ihrer personalen, sozialen und sächlichen Gelingensbedingungen. Und es ist<br />

kein Schade, weil eine strenge Reglementierung dieser störanfälligen Prozesse vermutlich<br />

kontraproduktiv wäre.<br />

4.4.1 Die Reduzierung der Unterrichtsentwicklung auf Methodenentwicklung ist eine<br />

Sackgasse<br />

An vielen Schulen in Deutschland ist eine produktive Unterrichtsentwicklung mit dem<br />

Schwerpunkt „Methodenkultur“ gestartet worden. Irgendwann geriet dann aber an vielen dieser<br />

Schulen der so hoffnungsvoll begonnene Entwicklungsprozess ins Stocken. Dafür gibt es<br />

handfeste unterrichtspraktische, aber auch systematische Gründe: Ziel-, Inhalts- und Methodenentwicklung<br />

gehören zusammen! Deshalb macht es keinen Sinn, eine Engführung der<br />

Unterrichtsentwicklung auf eine einzige Variable vorzunehmen. Das haben insbesondere<br />

einige Anhänger des Klippert-Konzepts der Unterrichtsentwicklung aus den Augen verloren.<br />

Die Realschule Enger macht’s besser. Die Kolleginnen und Kollegen zeigen, dass und wie<br />

das Eintauchen in die Fachkultur mit dem Aufbau der Methodenkompetenz der Schülerinnen<br />

und Schüler verknüpft werden kann.<br />

Wer die UE mit der Entwicklung der Methodenkultur startet, sollte auf Folgendes achten:<br />

(1) Wichtiger als Vielfalt der Methoden ist ihre anspruchsvolle Nutzung. Deshalb sollte die<br />

Entfaltung und die Pflege der Methodenkompetenzen der Schülerinnen und Schüler in<br />

den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden.<br />

(2) Isoliertes Training von Methodenkompetenzen klappt nicht.<br />

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(3) Eine hoch entfaltete Methodenkultur zahlt sich nur dann aus, wenn sie durch die anspruchsvolle<br />

Gestaltung weiterer Bausteine entwickelten Unterrichts ergänzt wird.<br />

4.4.2 Die Kumulationseffekte sind wichtiger als die Einzeleffekte<br />

Es gibt viele empirische Belege dafür, dass es nicht so sehr die einzelnen Merkmale entwickelten<br />

Unterrichts sind, die zu hohen Lernleistungen führen, sondern die kumulativen Effekte<br />

zwischen diesen Variablen (Rolff 2006). Das zeigen auch Langzeitstudien aus Schweden<br />

(Blossing/Ekholm 2005). Diese Feststellung gilt auch im negativen Sinne: Kein Unterrichtsentwicklungsprojekt<br />

bricht schon dann zusammen, wenn ein einzelnes Merkmal guter Entwicklungsarbeit<br />

nicht erfüllt ist, sondern erst dann, wenn mehrere Versäumnisse und Unzulänglichkeiten<br />

zusammen gekommen sind.<br />

4.4.3 Zu viele Baustellen behindern den Erfolg<br />

Es gibt an unseren Schulen viel zu viele administrativ verordnete Baustellen. Einige davon<br />

werden halbfertig verlassen, andere stürzen gleich nach Arbeitsbeginn wieder ein. Das gilt<br />

insbesondere dann, wenn sich äußere und innere Schulreformen überlagern. UE fällt in<br />

schulpolitisch ruhigen Zeiten deutlich leichter und sie hat dann auch deutlich bessere Chancen<br />

zur dauerhaften Verankerung. Umgekehrt gilt, dass Reformhektik den Misserfolg geradezu<br />

provoziert.<br />

Manche Kollegien, über denen sich mit den Jahren der Mehltau der Resignation abgelagert<br />

hat, missbrauchen den Hinweis auf die Reformhektik aber auch als bequeme Entschuldigung<br />

für Nichtstun. Diese Schulen können, wie die inzwischen in mehreren Bundesländern tätigen<br />

Schulinspektoren bestätigen, durch äußere Zwänge auch in eine nützliche produktive Unruhe<br />

versetzt werden.<br />

4.4.4 Die Einzelschule steht im Zentrum, aber ein Netzwerk hilft<br />

Vor zwanzig Jahren wurde die Parole ausgerufen, dass<br />

die Einzelschule die wichtigste Handlungseinheit der<br />

Schulentwicklung sei. Neuere empirische Forschungen,<br />

z.B. von Helmut Fend (1998) zeigen, dass das zu eng<br />

gedacht ist. Es kommt immer auf die „Systemqualität“ an<br />

– und die entsteht dadurch, dass Schulpolitik, Schulaufsicht,<br />

Schulämter und Einzelschulen nicht gegeneinander,<br />

sondern miteinander arbeiten. Netzwerkarbeit kann dabei<br />

wichtige Impulse setzen kann. Sie hilft, Bündnispartner zu<br />

finden und Unterstützungssysteme finanzierbar zu halten.<br />

Sie kann gerade in kleineren Schulen Synergieeffekte<br />

auslösen (vgl. das Themenheft 3/2000 des journals für<br />

schulentwicklung und Huber/Muijs 2007).<br />

4.5 Ethischer Kode der „Strippenzieher“<br />

Unterrichtsentwicklung ist, so etwas wie „Operieren am offenen Herzen“ (s.o.). Deshalb<br />

müssen die „Strippenzieher“ (Mitglieder der Schulleitung; der Steuergruppen, externe Berater)<br />

einige Spielregeln einführen und einhalten, deren Anwendung Sicherheiten schafft und<br />

Ängste nimmt. Es empfiehlt sich, diese Regeln schon vor dem Start von UE-Projekten kollektiv<br />

zu erarbeiten und ihre Einhaltung je nach Ort und Umfang der Regelverletzung - im Arbeitsteam<br />

klären oder durch die Schulleitung klären zu lassen.<br />

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Seminarlehrer Berufliche Bildung <strong>Bayern</strong> (BBB) Fortbildungstagung 2011<br />

Basisliteratur für unsere Workshops am 3.5.2011, Hilpert Meyer<br />

(1) Wer entscheidet im Streitfall? Meine Antwort: Das Team; wenn’s nicht anders<br />

geht, die Steuergruppe oder die Schulleitung<br />

(2) Wer kontrolliert die Arbeitsbelastung? Meine Antwort: das Team, wenn’s nicht<br />

anders geht, die Steuergruppe oder die Schulleitung.<br />

(3) Darf zur Teamarbeit gezwungen werden? Meine Antwort: ja!<br />

(4) Darf zur Fortbildung gezwungen werden? Meine Antwort: ja!<br />

(5) Wer hat wann Anspruch auf Vertraulichkeit? Sie muss insbesondere zu Beginn<br />

der UE zugesichert werden. Aber das Ziel muss sein, dass im Kollegium offen<br />

über Stärken und Schwächen des Unterrichts einzelner Kollegen gesprochen werden<br />

kann.<br />

(6) Wer verfügt über die erhobenen Daten? Meine Antwort: die Datenspender (also:<br />

befragte Schüler, Lehrer, Eltern), und zwar so lange, bis sie ihr Einverständnis zur<br />

Veröffentlichung gegeben haben.<br />

Bei Beginn der Arbeit ist die Neigung, den ethischen Kode festzulegen, zumeist gering. Dennoch<br />

sollte es versucht werden, weil’s bei der Konfliktmediation hilft, sich auf lange vorher<br />

festgelegte Regeln berufen zu können.<br />

Fazit<br />

Ich fasse zusammen: Unterrichtsentwicklung ist ein komplexer und störungsanfälliger Prozess.<br />

Sie lebt vom Engagement einzelner Lehrerinnen und Lehrer, die mehr zu tun bereit<br />

sind, als ihnen abverlangt wird. Alles „Durchbrettern“ stört nur. Deshalb mein Motto für die<br />

Unterrichtsentwicklung, auch am Friedrichsgymnasium:<br />

„Engel fliegen in<br />

Spiralen.<br />

Die Teufel<br />

nur geradeaus.“<br />

(Hildegard von Bingen, um 1150 n. Chr.)<br />

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Seminarlehrer Berufliche Bildung <strong>Bayern</strong> (BBB) Fortbildungstagung 2011<br />

Basisliteratur für unsere Workshops am 3.5.2011, Hilpert Meyer<br />

10. Literaturnachweise<br />

Benner, Dietrich (Hrsg.)(2007): Bildungsstandards. Paderborn: Schöningh.<br />

Blossing, Ulf/Ekholm, Mats (2005): Wirkungsanalyse der Schulentwicklung – eine Langzeitstudie aus<br />

Schweden. In: journal für schulentwicklung, Jg. 9, Heft 4/2005, S. 43-52.<br />

Blum, Werner/ Drüke-Nie, Christina/ Hartung, Ralph/ Köller, Olaf (Hrsg.)(2006): Bildungsstandards<br />

Mathematik: konkret. Berlin: Cornelsen Scriptor<br />

Buhren, Claus G. (2011): Kollegiales Hospitieren. Link Verlag<br />

Faulstich-Christ, Katja/ Lersch, Rainer/ Moegling, Klaus (Hrsg.)(2010): <strong>Kompetenzorientierung</strong> in Theorie,<br />

Forschung und Praxis. Immenhausen: Prolog Verlag.<br />

Feindt, Andreas / Meyer, Hilbert (2010): Kompetenzorientierter Unterricht. Eine didaktische Schatzsuche.<br />

In: Grundschulzeitschrift, Heft 237/September 2010, S. 29-33.<br />

Fend, Helmut (1998): Qualität im Bildungswesen. Schulforschung zu Systembedingungen, Schulprofilen<br />

und Lehrerleistung. Weinheim, München: Juventa.<br />

FRIEDRICH Jahresheft XXV, (2007): Guter Unterricht. Seelze. Friedrich Verlag<br />

Fullan, Michael (1999): Die Schule als lernendes Unternehmen. Stuttgart: Klett-Cotta.<br />

Gräsel, Cornelia/Fußangel, K./Pröbstel, Chr. (2006): Lehrkräfte zur Kooperation anregen – eine Aufgabe<br />

für Sisyphos? In: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 52, S. 205-219.<br />

Hattie, John (2003): Teachers make a difference. What is the research evidence? University of Auckland,<br />

New Zealand, October 2003. Verfügbar unter:<br />

www.acer.edu.au/workshops/documents/Teachers_Make_a_Difference_Hattie.pdf.<br />

Hattie, John (2009): Visible Learning. London, New York: Routledge.<br />

Helmke, Andreas (2006): Was wissen wir über guten Unterricht? In: PÄDAGOGIK, Jg. 58, H. 2/2006,<br />

S. 42-45.<br />

Helmke, Andreas (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Seelze: Klett Kallmeyer.<br />

Huber, Stephan G. (Hrsg.)(2008): Handbuch für Steuergruppen. Grundlagen für die Arbeit in zentralen<br />

Feldern des Schulmanagements. Neuwied: LinkLuchterhand. Wolters Kluwer.<br />

Klieme, Eckhard u.a. (2003): Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bonn:<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung.<br />

Klieme, Eckart (2004): Was sind Kompetenzen und wie lassen sie sich messen? In: PÄDAGOGIK, Jg.<br />

56, H. 6, S. 10-13.<br />

Klingberg, Lothar (1990): Lehrende und Lernende im Unterricht. Berlin: Volk und Wissen GmbH.<br />

Meyer, Hilbert (2004): Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />

Meyer, Hilbert (2007): Leitfaden Unterrichtsvorbereitung. Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />

Obst, Gabriele (2008): Kompetenzorientiertes Lehren und Lernen im Religionsunterricht. Göttingen:<br />

Vandenhoeck & Ruprecht.<br />

Oser, Fritz (1998): Ethos – die Vermenschlichung des Erfolgs. Zur Psychologie der Berufsmoral von<br />

Lehrpersonen. Opladen: Leske + Budrich<br />

Paradies, Liane/Linser, Hans-Jürgen/Greving, Johannes (2007): Diagnostizieren, Fordern und Fördern.<br />

Berlin: Cornelsen Scriptor.<br />

Paradies, Liane/Wester, Franz/ Greving, Johannes (2010): Individualisieren im Unterricht. Berlin:<br />

Cornelsen Scriptor<br />

Rolff, Hans-Günter/Rhinow, Elisabeth/Röhrich, Theresa (Hrsg.) (2009): Unterrichtsentwicklung - Eine<br />

Kernaufgabe der Schule. Köln: Wolters Kluwer.<br />

Weinert, Franz E./Helmke, Andreas (Hrsg.)(1997): Entwicklung im Grundschulalter. Weinheim:<br />

Beltz/PsychologieVerlagsUnion.<br />

Ziener, Gerhard (2006): Bildungsstandards in der Praxis. Seelze-Velber: Klett Kallmeyer Verlag<br />

Einige Literaturhinweise fehlen hier. Sie finden sich in den Büchern<br />

Meyer (2004) und Meyer (2007).<br />

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