925,3 kB - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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AnwBl 11/98 565<br />
Aufsätze l<br />
DGB und der Sprecherrat der Gewerkschaften der DDR in<br />
einer Stellungnahme vom 15.5.1990 heftig dagegen Stellung<br />
bezogen. Rudolf Dreßler hatte am 20.2.1990 die Beibehaltung<br />
der Versicherungspflicht der Selbständigen in<br />
den neuen Bundesländern empfohlen. Am 28.6.1990 wurde<br />
von der Volkskammer ein „Gesetz über die<br />
Sozialversicherung – SVG“ in das Gesetzblatt der noch bestehenden<br />
DDR gebracht, welches eine klare Sperrnorm gegen<br />
die Errichtung freiberuflicher Versorgungswerke in der<br />
DDR dadurch bedeutete, daß es ein Befreiungsrecht von<br />
der Rentenversicherung nur für Selbständige statuierte. Der<br />
Einigungsvertrag vom 31.8.1990 sah in Artikel 8 aber dann<br />
die Überleitung von Bundesrecht auf das Beitrittsgebiet<br />
vor, damit auch die wichtige Bestimmung des § 6 SGB VI.<br />
Sie sollte nach dem vor der Wiedervereinigung schon verkündeten<br />
Rentenreformgesetz 1992 115 vom 18.12.1989 am<br />
1.1.1992 (in den alten Bundesländern) in Kraft treten, erlangte<br />
mit Absatz 1, Nr. 1 und Absätzen 2 bis 5 in den neuen<br />
Bundesländern schon mit dem Beitritt Wirkung in den<br />
neuen Bundesländern 116 . Da die Kompetenzen der neuen<br />
Bundesländer denen der alten Bundesländer entsprachen,<br />
waren mit dem Einigungsvertrag die gesetzlichen Voraussetzungen<br />
für die Gründung von Berufsständischen Versorgungswerken<br />
auch in den neuen Bundesländern – unter<br />
Einschluß der Angestellten – geschaffen. Die Heilberufe<br />
sind auch hier vorangegangen und haben binnen Kürze flächendeckend<br />
gewirkt.<br />
15. Die zweite Gründungswelle<br />
Der Vorstand des DAV kam am 8.10.1993 auf seiner Sitzung<br />
in Rostock 117 auf seine frühere Empfehlung wie folgt<br />
zurück:<br />
„Die Berechtigung dieser Empfehlung ist durch Bestand<br />
und Erfolg der in den letzten 10 Jahren gegründeten sieben<br />
Rechtsanwaltsversorgungswerke bestätigt. Sie sind zu einem<br />
festen Bestandteil der Anwaltsschaft geworden. ... Im Hinblick<br />
auf die Anstrengungen, nun auch in den neuen Bundesländern<br />
Rechtsanwaltsversorgungswerke auf landesgesetzlicher<br />
Grundlage zu errichten, wird diese Empfehlung<br />
heute wiederholt und bekräftigt. Alle Kolleginnen und Kollegen<br />
bleiben aufgerufen, die Berufständische Versorgung der<br />
Rechtsanwälte durch Aufbau auch in den neuen Bundesländern<br />
zu vollenden und damit zur Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse<br />
in ganz Deutschland beizutragen“.<br />
Die Rechtsanwälte wurden in den neuen Bundesländern<br />
aktiv 118 :<br />
1. Zum Jahresende 1993 wurde das Gesetz über das Versorgungswerk<br />
der Rechtsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern<br />
verabschiedet 119 ,<br />
2. Zur selben Zeit kam auch das Gesetz über die Errichtung<br />
des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Sachsen-<br />
Anhalt zustande 120 ,<br />
3. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Freistaat<br />
Sachsen folgte zur Jahresmitte 1994 121 ,<br />
4. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Land<br />
Brandenburg geht auf ein Gesetz vom Jahresende 1995 zurück<br />
122 ,<br />
5. Das Thüringer Gesetz über das Versorgungswerk der<br />
Rechtsanwälte wurde am 31.5.1996 beschlossen 123 .<br />
Dieser Fortschritt blieb nicht ohne Rückwirkungen auf<br />
die bisher reservierte Haltung der Stadtstaaten.<br />
1. Nach langen und zähen Diskussionen hat die Kammerversammlung<br />
Berlin am 3.3.1994 einen überwältigen-<br />
den Mehrheitsbeschluß zugunsten eines Versorgungswerks<br />
zustande gebracht. Das ebenso zähe Gesetzgebungsverfahren<br />
im Berliner Abgeordnetenhaus ist im Februar 1998 abgeschlossen<br />
worden 124 .<br />
2. Am 17.9.1997 kam das Gesetz über die Rechtsanwaltsversorgung<br />
in der Freien Hansestadt Bremen (Hanseatische<br />
Rechtsanwaltsversorgung) zustande 125 . Die Satzung<br />
ist rechtzeitig vor Jahresende beschlossen und in Kraft gesetzt<br />
worden, so daß die Arbeit zum Jahresbeginn 1998<br />
aufgenommen werden konnte.<br />
Damit erreicht die Anwaltschaft nun ein Stadium, welches<br />
im Bereich der Heilberufe bereits seit längerem selbstverständlich<br />
ist: die berufsständische Versorgung ist auch<br />
für ihren Beruf flächendeckend etabliert. Es steht – sofern<br />
die Urabstimmung in Sachsen-Anhalt noch abgeschlossen<br />
werden kann – dann nur noch Hamburg beiseite; eine Ironie<br />
der Geschichte, wenn man den oben dargestellten Beitrag<br />
Hamburgs zur Diskussion in den zwanziger Jahren dieses<br />
Jahrhunderts bedenkt 126 , 127 .<br />
16. Die Friedensgrenze<br />
Ein schwelendes Problem der Vergangenheit ist die Behandlung<br />
der abhängig Beschäftigten gewesen. Angestellte<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind ja sowohl (Kraft<br />
ihres Berufs durch Kammerzulassung) Mitglied ihres Versorgungswerks<br />
und zugleich (als abhängig Beschäftigte) nach §<br />
1Abs.1,Ziff.1SGBVIMitgliedderBfA.Zwarkönnensie<br />
sichnach§6SGBVIvonderBfAbefreienlassen.Wasgeschieht<br />
aber nach Rückgabe der Anwaltszulassung – und<br />
wie war zu verfahren, wenn sich andere, neue Berufsgrup-<br />
115 BGBl. I S. 2261.<br />
116 Anlage 1 zum Einigungsvertrag, Besondere Bestimmungen zur Überleitung<br />
von Bundesrecht, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt III, Ziffer 1 b.<br />
117 AnwBl 1994, 235.<br />
118 In diesem Zusammenhang sollte die Anwaltschaft ebenfalls nicht vergessen,<br />
daß sie den Aufbau in den neuen Bundesländern der Mithilfe vieler Kolleginnen<br />
und Kollegen aus den Vorständen der etablierten Versorgungswerke, vor<br />
allem aber dem unermüdlichen Einsatz des jetzigen Hauptgeschäftsführers<br />
der ABV, Michael Jung, verdankt.<br />
119 Gesetz vom 14.12.1993, GVOBl. M-V, 1994, 6.<br />
120 Gesetz vom 13.12.1993, SachsAnh. GVBl. 1993, 761. Dieses Gesetz bestimmt<br />
allerdings in § 18 Abs. 4: „Die Beschlußfassung über die Satzung bedarf<br />
zu ihrer Wirksamkeit der Bestätigung durch zwei Drittel der Rechtsanwälte,<br />
die Pflichtmitglieder des Versorgungswerks werden sollen“. Das<br />
bedeutet die Anordnung einer nachträglichen (zeitlich nicht begrenzten) Urabstimmung.<br />
Da die Zulassungszahlen ständig zunehmen, läuft die Anwaltschaft<br />
von Sachsen-Anhalt der notwendigen Mehrheit derzeit buchstäblich<br />
wie der Hase dem Igel hinterher. Es besteht aber Hoffnung, daß diese Mehrheit<br />
demnächst zustande kommen wird. Sehr sinnvoll erscheint die gesetzliche<br />
Regelung nicht.<br />
121 Gesetz vom 16.6.1994, Sächs. GVBl. 1994, 1107.<br />
122 Gesetz vom 4.12.1995, Bbg. GVBl. I,1995, 266.<br />
123 Gesetz vom 31.5.1996, Thür. GVObl. 1996, 70.<br />
124 Gesetz vom 7.2.1998, Berl. GuVoBl. 1998 Nr. 3.<br />
125 Gesetz vom 17.9.1997, Brem. GBl. 1997, 329.<br />
126 Die Einführung eines Versorgungswerks ist in Hamburg anläßlich einer Urabstimmung<br />
im Oktober 1994 mit Mehrheit erneut abgelehnt worden. Hierbei<br />
spielte die Lebensversicherungswirtschaft eine nicht unbedeutende Rolle. Die<br />
Prophezeiung von Ostler zur Entscheidung von 1924 (siehe obige Fußnoten<br />
27 und 28) wirkt noch heute. Der Vorgang dokumentiert andererseits deutlich,<br />
daß es vom Willen der regionalen Berufsstände abhängt, ob sie eine entsprechende<br />
Einrichtung wollen oder nicht.<br />
127 Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß die ca. 30 Rechtsanwälte<br />
am Bundesgerichtshof bisher ebenfalls noch keiner Versicherungspflicht in<br />
einem Berufsständischen Versorgungswerk unterliegen. Sie hatten bei Gründung<br />
des Versorgungswerk in Baden-Württemberg nicht teilnehmen wollen.<br />
Es waren teilweise Bemühungen im Gange, ihre Teilnahme an diesem Versorgungswerk<br />
doch noch zu ermöglichen. Allerdings handelt es sich insoweit<br />
nur um ein Problem am Rande: wer BGH-Anwalt wird, ist schon längere<br />
Zeit Rechtsanwalt und damit Mitglied im Versorgungswerk seines Herkunftslandes<br />
gewesen. Dort kann er die Mitgliedschaft ohnehin fortsetzen. Auf die<br />
Dauer werden deswegen auch die meisten BGH-Anwälte als fortgesetzte<br />
Mitglieder aus ihren Herkunftsländern in der Berufsständischen Versorgung<br />
sein.