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AnwBl 11/98 577<br />

Aufsätze l<br />

Der Betriebsübergang am<br />

Wendepunkt?<br />

– Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Betriebsübergang<br />

–<br />

Rechtsanwalt Dr. Gerhard Schäder, München<br />

1. Einleitung<br />

1972 hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem<br />

Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 1 § 613 a BGB in<br />

das Dienstvertragsrecht eingefügt. Die Bestimmung sollte<br />

den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern<br />

eine gesicherte Rechtsposition verschaffen und die<br />

Rechtsfolgen eines Betriebsinhaberwechsels einer einheitlichen<br />

Regelung unterwerfen 2 .<br />

Seine erste Änderung erfuhr § 613 a BGB 1980 mit dem<br />

arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz 3 . Die Änderung<br />

war notwendig geworden, da der Rat der Europäischen Gemeinschaften<br />

am 14.2.1977 eine Richtlinie zur Angleichung<br />

der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die<br />

Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang<br />

von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen (77/<br />

187/EWG) 4 erlassen hatte. Der EG-Gesetzgeber hielt eine<br />

solche Regelung für notwendig, da sowohl auf nationaler,<br />

wie auch auf Gemeinschaftsebene die Unternehmenszusammenschlüsse<br />

durch Betriebsübertragungen erheblich angestiegen<br />

waren und durch die Übertragung oftmals die soziale<br />

Lage des Arbeitnehmer beeinflußt worden war 5 .Die<br />

deutsche Regelung des § 613 a BGB wurde um Absatz 1<br />

Satz 2-4 (Rechte und Pflichten aus einem Tarifvertrag oder<br />

einer Betriebsvereinbarung) und Absatz 4 (Kündigungsverbot)<br />

ergänzt.<br />

Die bislang letzte Ergänzung erfolgte mit dem Gesetz<br />

über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen<br />

(SpTrUG) vom 5.4.1991 6 , das eine vorteilhaftere<br />

Rechtsstellung des Betriebsveräußerers bei der Aufspaltung<br />

bestimmt.<br />

2. Rechtsprechung des EuGH<br />

Da die Mitgliedsstaaten der EU die Richtlinie umsetzen<br />

mußten und die innerstaatlichen Regelungen im Einklang<br />

mit der Richtlinie zu stehen haben, kann bei Auslegungsproblemen<br />

der EuGH von den nationalen Gerichten im<br />

Rahmen eines Vorlageverfahrens gemäß Art. 177 EWG-<br />

Vertrag angerufen werden. Der EuGH hat, soweit dies ersichtlich<br />

ist, bisher in 25 Entscheidungen 7 zur Richtlinie<br />

Stellung bezogen. Während einige Entscheidungen weder<br />

in der Literatur noch in der Rechtsprechung entsprechenden<br />

Niederschlag gefunden haben, sind manche Entscheidungen<br />

geradezu als sensationell eingestuft worden und auch in<br />

entsprechenden Umfang in Entscheidungen und Abhandlungen<br />

eingegangen.<br />

Heiß diskutiert worden ist die Problematik zu dem deutschen<br />

Spezifikum des Widerspruchsrechtes, vor allem im<br />

Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 5.8.1988 8 .<br />

Dabei hatte der EuGH entschieden, daß der Arbeitnehmer<br />

nicht auf seine Rechte, die ihm aus der Richtlinie zustehen,<br />

verzichten kann und daß eine Verkürzung der Rechte auch<br />

mit Zustimmung des Arbeitnehmers nicht erfolgen darf.<br />

Ein Teil der Literatur hatte daraufhin angenommen, daß das<br />

„Heiligtum Widerspruchsrecht“ des BAG gegen die Richtlinie<br />

und die Auslegung des EuGH verstieße 9 . Bei Durchsicht<br />

der Entscheidung und dem der Entscheidung zugrundeliegendem<br />

Sachverhalt war aber klar, daß der EuGH nur<br />

den Verzicht einzelner Rechte im Rahmen eines Betriebsüberganges<br />

verneinte, zu dem allgemeinen Widerspruchsrecht<br />

allerdings keinerlei Aussage traf. Da für die deutsche<br />

Rechtsprechung die Ehre auf dem Spiel stand und durch<br />

das Verständnis der Literatur erhebliche Unsicherheiten aufgetreten<br />

waren, wurden dem EuGH gleich von drei deutschen<br />

Gerichten die Frage nach der Zulässigkeit des Widerspruchsrechtes<br />

vorgelegt 10 . Der EuGH hat in einer äußerst<br />

kurzen und knappen Entscheidung, so wie es seine Art ist,<br />

das deutsche Widerspruchsrecht für zulässig erklärt 11 .<br />

Diese Entscheidung hat nochmals klar gezeigt, daß der<br />

EuGH Einzelfallentscheidungen trifft, die auf den zu beurteilenden<br />

Fall zugeschnitten sind. Verallgemeinerungen<br />

dieser Entscheidungen können sehr schnell in die falsche<br />

Richtung führen. Diese Problematik resultiert nach der<br />

Auffassung des Verfassers aus der verhältnismäßig geringen<br />

Anzahl von EuGH-Entscheidungen und deren äußerst<br />

kurzen Begründungen. Da nur wenige Entscheidungen des<br />

EuGH zur Lösung der vielschichtigen Probleme des Betriebsüberganges<br />

zur Verfügung stehen, werden die Aussagen<br />

des EuGH, die auf den zu entscheidenden Fall zugeschnitten<br />

sind, auf sämtliche ähnliche Sachverhalte oder gar<br />

völlig allgemein angewandt. Unterstützt wird dies durch<br />

die allgemein formulierten und sehr knappen Begründungen<br />

des EuGH. Dieses Gericht macht sich nicht nur annähernd<br />

so viel Mühe, seine Rechtsauffassung darzulegen und umfassend<br />

zu begründen, wie ein deutsches Arbeitsgericht.<br />

Meist werden die Auffassungen der Parteien ausführlicher<br />

dargelegt, als die eigene Begründung. Diese besteht oftmals<br />

nur in dem Verweis auf eine von einer der Parteien dargelegten<br />

Meinung oder in einer knappen Begründung mit einem<br />

oder zwei Argumenten. Insoweit ist nach der hier vertretenen<br />

Meinung erhebliche Kritik an der Rechtsprechung<br />

des EuGH angebracht. Zwar mag eine nur der Masse nach<br />

1 BGBl. I 1972, 13.<br />

2 BT- Drucks., VI / 1786, S. 59.<br />

3 Vom 13.8.1980, BGBl. I 1980, 1308.<br />

4 ABl. EG Nr. L 61 vom 5.3.1977, S. 26.<br />

5 So die Begründung des Richtlinienvorschlages, abgedruckt in RdA 1975, 125.<br />

6 BGBl. I 1991, 854.<br />

7 So auch: Memorandum der EU-Kommission zu den erworbenen Ansprüchen<br />

der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Anhang II; KOM (97)<br />

85 endg., Katalognr. CB -CO -97- 077- DE- C ISBN 92-78-16349-X; DB<br />

1997, 1030.<br />

8 RSen 144/87 und 145/87, Slg. 1988, 2559, in der BRD erstmals veröffentlicht<br />

von Meilicke, DB 1990, 1770. Zu der Problematik dieser Entscheidung hat der<br />

EuGH aber schon vorher in EuGH v. 10.2.1988, RS 324/86, Slg. 1988, 739<br />

Stellung genommen. Diese Entscheidung blieb aber bei der Diskussion völlig<br />

außer Acht.<br />

9 Bauer, NZA 1990, 888, NZA 1991, 139; Meilicke DB 1990, 1770; Berger-Delhey<br />

und Gaul in Anm. zu EuGH, EzA Nr.89 zu § 613 a BGB.<br />

10 ArbG Bamberg, DB 1991, 1382; ArbG Hamburg, EuZW 1992, 32; BAG,<br />

NJW 1993, 488.<br />

11 RSen 132/91, 138/91, 139/91, EuZW 1993, 161 = NZA 1993, 169 = DB 1993,<br />

230. Der EuGH hat die Zulässigkeit des Widerspruchsrechtes damit begründet,<br />

daß eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

mit dem Erwerber gegen dessen Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes<br />

und des Arbeitgebers verstossen würde.

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