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AnwBl 11/98 573<br />

Aufsätze l<br />

einen Teilaspekt des Gesamtproblemkomplexes „Strafverteidigung<br />

und Strafvereitelung“ dar. 115<br />

Der Verteidiger befindet sich ständig in der Nähe strafbarer<br />

Strafvereitelung. 116 Wann nun die Grenze zur Strafbarkeit<br />

überschritten ist, ist Gegenstand einer Vielzahl von<br />

Differenzierungen wie beispielsweise daß der Verteidiger<br />

alles zu unterlassen habe, was der Erreichung der Wahrheit<br />

und Gerechtigkeit hinderlich wäre 117 oder daß eine Strafbarkeit<br />

auf „extreme Mißbräuche“ beschränkt sein müsse. 118<br />

Bei solchen Formulierungen bleibt vieles unklar.<br />

Will man die Grenze zwischen zulässigem und unzulässigem<br />

Verteidiger-Verhalten bestimmen, so ist vom von<br />

§ 258 StGB geschützten Rechtsgut auszugehen. 119 Geschütztes<br />

Rechtsgut ist die staatliche Strafrechtspflege. 120<br />

Diese soll ihre Aufgabe, den staatlichen Strafanspruch<br />

durchzusetzen, ungehindert erfüllen können. 121 Da aber eine<br />

„Behinderung“ der Strafrechtspflege durch die Institutionalisierung<br />

der Verteidigung in den §§ 137 ff. StPO vom<br />

Gesetz gewollt ist, muß das Rechtsgut des § 258 StGB insoweit<br />

noch präzisiert werden: Im Hinblick auf die Verteidigung<br />

schützt § 258 StGB die Strafrechtspflege vor<br />

prozeßordnungswidrigen Behinderungen. Die Grenze zwischen<br />

strafbarer Strafvereitelung und straflosem Verteidigerverhalten<br />

läuft deshalb parallel zu der Grenze zwischen<br />

prozessual zulässigem und unzulässigem Verhalten. 122<br />

Prozessual pflichtgemäßes Verhalten ist nicht strafbar. 123<br />

Es fehlt bereits am objektiven Tatbestand des § 258 StGB,<br />

denn im Rahmen dieser Vorschrift kann der staatliche<br />

„Strafanspruch“ nur insoweit beeinträchtigt werden, wie er<br />

prozessual durchsetzbar ist. Mangelt es daran, ist das<br />

Rechtsgut des § 258 StGB nicht verletzt. 124 . Teilweise wird<br />

das Verteidigerhandeln aber auch als Rechtfertigungsgrund<br />

angesehen. 125 Paulus 126 sieht den Anknüpfungspunkt dafür,<br />

ob Verteidigerverhalten Strafvereitelung ist nicht in der<br />

„Prozeßordnungswidrigkeit“, sondern in einer Anknüpfung<br />

an den Gesichtspunkt der „Prozeßhandlung“. Eine solche<br />

könne nie tatbestandsmäßig i. S. d. § 258 StGB sein. Diesbezüglich<br />

ist aber fraglich, ob bestimmte Absprachen überhaupt<br />

unter den Begriff der Prozeßhandlung i. d. S. gezogen<br />

werden können und im allgemeinen stellt sich die<br />

Frage, was unter prozessual pflichtgemäßem Verhalten zu<br />

verstehen ist.<br />

Was prozessual zulässig ist, bestimmt sich nach den Regeln<br />

der StPO und den allgemeinen Grundsätzen des Prozeßrechts.<br />

Da die StPO die Verteidigerbefugnisse aber nur fragmentarisch<br />

regelt 127 und bezüglich der Verständigungen<br />

ohnehin keine Regeln existieren, hilft auch diese Feststellung<br />

hier nicht weiter. Auch sind in diesem Bereich zwei Grundkonzeptionen<br />

bezüglich der Bedingungen rechtlich zulässigen<br />

Verteidigerverhaltens heillos im Streit, nämlich die „Vertreter<br />

– und die Organtheorie“. 128 Es geht dabei um ein<br />

allgemeines Maßprinzip und damit um Grenzen, an denen<br />

formal an sich statthaftes Prozeßverhalten soll umschlagen<br />

können in prozessuale Unzulässigkeit und gegebenenfalls<br />

materiell-rechtliche Strafvereitelung Rechtsaxiomatisch diese<br />

Grenze zu allgemeiner oder auch nur überwiegender Akzeptanz<br />

zu markieren ist bisher nicht gelungen, weshalb unter<br />

Verzicht auf eine generelle Leitlinie oft nur punktuell-kasuistische<br />

Lösungen angeboten werden. 129 Ohne auf die genannte<br />

Streitfrage näher eingehen zu wollen werden zusammenfassend<br />

Abgrenzungskriterien in der Funktion<br />

beziehungsweise der Aufgabe des Verteidigers gesucht. 130<br />

Der Rechtsanwalt ist nach §§ 1, 31 BRAO unabhängiges Organ<br />

der Rechtspflege. Sein Beruf ist staatlich gebundener<br />

Vertrauensberuf, der ihm eine auf Wahrheit und Gerechtig-<br />

keit verpflichtete amtsähnliche Stellung zuweist, 131 die er<br />

freilich unter Wahrung der Schweigepflicht und Treuepflicht<br />

gegenüber seinem Auftraggeber auszuüben hat. 132<br />

Dabei ist er nicht zur Unparteilichkeit, sondern zur Einseitigkeit<br />

zugunsten des Beschuldigten gegenüber den<br />

Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht verpflichtet. 133<br />

Betrachtet man die Absprachefälle vor diesem Hintergrund<br />

so ergibt sich bei dem Versuch einer Systematisierung<br />

der Fallvarianten folgendes Ergebnis: 134<br />

(1.) Relativ einfach sind die Fälle gelagert, in denen der<br />

Verteidiger im Zusammenhang mit einer Absprache eine<br />

strafbare Handlung begeht. 135 Zu denken wäre hier beispielsweise<br />

an eine Nötigung oder an Fallkonstellationen in<br />

denen der Anwalt etwa Zeugen besticht oder zur Falschaussage<br />

verleitet um in eine bessere Verständigungsposition zu<br />

kommen. 136 Hier liegt bei vorliegenden übrigen Tatbestandsvoraussetzungen<br />

eine Strafvereitelung vor.<br />

(2.) Unproblematisch sind auch die Fälle, in denen weder<br />

materiell-strafrechtliche noch prozessuale Normen verletzt<br />

werden. Hier liegt kein strafrechlich relevantes Verhalten<br />

vor. Auch eine Verletzung lediglich standesrechtlicher<br />

Regeln könnte keine Strafbarkeit begründen. 137<br />

(3.) Ebenfalls strafrechtlich unbedenklich sind Absprachen<br />

über Gegenstände, die zur Disposition der Verfahrensbeteiligten<br />

stehen. Dabei kommt es auch nicht darauf an,<br />

ob es sich um Einigungen im Bereich der Verfahrensgestaltung<br />

handelt, oder um solche – wie beispielsweise eine<br />

Strafantragsrücknahme –, die das „Ob“ eines Verfahrens<br />

überhaupt betreffen. 138<br />

(4.) Fraglich sind Fälle, in denen im Rahmen einer Verständigung<br />

Einfluß auf Beurteilungs- und Ermessensspielräume<br />

genommen wird. 139 So beziehen sich strafprozessuale<br />

115 Vgl. dazu nur z. B. Strzyz, Die Abgrenzung von Strafverteidigung und Strafvereitelung;<br />

Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers; ders.: Der Strafverteidiger<br />

im Strafverfahren, S. 218 ff.; Müller; StrV 81, 90 ff.; Krekeler; NStZ<br />

89, 146 ff.; Paulus, NStZ 92, 305 ff. jeweils mit vielen weiteren Nachweisen.<br />

116 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, S. 34.<br />

117 Vgl. dazu und zu weiteren, wie er es nennt „nichtssagenden Formeln“,<br />

Müller, StrV 81, 91 (94) m. w. N.<br />

118 Vgl. Beulke, Der Strafverteidiger im Strafverfahren, S. 219 m. w. N.<br />

119 Krekeler; NStZ 89, 146.<br />

120 Haft, StrR BT § 25 I 1; Krekeler aaO.<br />

121 Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr. 1.<br />

122 Krekeler; NStZ 89, 146.<br />

123 Krekeler; aaO; grundlegend BGHSt 29,102; Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7<br />

m. w. N.<br />

124 KG, Beschluß v. 12.11.1987 in NStZ 88, 178 f.; Krekeler aaO; Dreher/<br />

Tröndle aaO. m. w. N.<br />

125 Vgl. z. B. Müller; StrV 81, 90 (94); siehe auch Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7<br />

m. w. N.<br />

126 NStZ 92, 305 (311).<br />

127 Krekeler aaO.<br />

128 Vgl. Paulus, NStZ 92, 305.<br />

129 Vgl. dazu zusammenfassend Paulus, NStZ 92, 305 (306) m. w. N.<br />

130 Vgl. näher Paulus, NStZ 92, 305 (306 ff.).<br />

131 So: BVerfGE 38, 105 (119); Krit: Krekeler. NStZ 89, 146 ff.; vgl. insgesamt<br />

auch Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7 m. w. N.<br />

132 Vgl. Dreher/Tröndle aaO. m. w. N.<br />

133 Kleinknecht/Meyer vor § 137 Rdnr. 1; Peters S. 213; Krey StPO 1/535.<br />

134 Vgl. dazu insgesamt: Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 116 ff.<br />

insbes. 118 ff.<br />

135 Vgl. dazu Müller, StrV 81, 90 (94).<br />

136 Die hier in der Literatur genannten Beispiele müssen auch für den Absprachebereich<br />

gelten; vgl. dazu jew. m. w. N. z. B. Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr.<br />

20; Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7; Lackner; § 258 Rdnr. 8 ff. sowie Müller<br />

aaO.<br />

137 Vgl. sowohl auch Krekeler; NStZ 89, 146 (147).<br />

138 Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 118.<br />

139 Vgl. Beulke, aaO. Rdnr. 119.

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