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925,3 kB - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />

Aus dem Inhalt<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

Einführung und Rückblick (Streck) 545<br />

Thesen des Forums 548<br />

Stärken und Schwächen der Anwaltschaft<br />

(Heussen) 551<br />

Aufsätze<br />

Absprachen im Strafverfahren (Braun) 567<br />

Editorial<br />

Zwangsschlichtung – Nein danke! 582<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

PR-Referat zum Forum „Zukunft der<br />

Anwaltschaft“ 584<br />

Mitteilungen<br />

Euro: Umrechnungs- und Rundungsregeln 597<br />

Rechtsprechung<br />

BGH: Briefkopf bei überörtlicher Sozietät 604<br />

AG Neustadt a. Rbge.: Mittelgebühr bei<br />

OWi-Verfahren 610<br />

Beilage: Der Euro kommt – auch zum Anwalt!<br />

11/98<br />

November <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag


II<br />

Rechtsprechung<br />

Berufsrecht<br />

BGH, Urt. v. 2.4.1998 – I ZR 4/96<br />

BRAO § 28 Abs. 1; UWG § 1<br />

Ein Rechtsanwalt, der einer überörtlichen Sozietät angehört, verstößt in wettbewerbswidriger<br />

Weise gegen das Zweigstellenverbot des § 28 Abs. 1 BRAO, wenn er in den Kanzleiräumen<br />

der andernorts residierenden Sozietätsmitglieder eine Zweigstelle unterhält<br />

und darauf in seinem Anwaltsbriefkopf dadurch hinweist, daß er seinen Namen auch unter<br />

der Kanzleiadresse der andernorts residierenden Mitglieder der überörtlichen Sozietät<br />

anführt. – S. 604<br />

Schleswig-Holsteinischer Anwaltsgerichtshof, Urt. v. 19.6.1998 – 2 AGH 4/98<br />

BRAO §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff. 1 a), 113, 114<br />

Anwaltsgerichtliches Berufsverbot auf dem Gebiet des Strafrechts für die Dauer eines<br />

Jahres als Rechtsfolge einer Berufpflichtverletzung nach BRAO §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff.<br />

1 a), § 113, § 114 (Weiterleitung von Briefen des Mandanten aus der Untersuchungshaft<br />

an Zeugin als Verteidigerpost). – S. 605<br />

OLG München, Urt. v. 10.7.1998 – AZ 21 U 2992/98 (nicht rechtskräftig)<br />

BGB § 198; BRAO § 51 b; ZPO § 234<br />

1. Bei einem fehlerhaften Prozeßverhalten eines Rechtsanwalts, das zu einer dem Mandanten<br />

nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung führt, beginnt die Frist für die Verjährung<br />

von Schadensersatzansprüchen des Mandanten gegen ihn, wenn diese Entscheidung<br />

in einem weiteren Rechtszug nicht mehr zugunsten des Mandanten geändert werden<br />

kann.<br />

2. Von einer solchen Unabänderbarkeit ist auszugehen, wenn der Anwalt die Berufungsfrist<br />

versäumt und ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht mit beachtlichen Wiedereinsetzungsgründen<br />

versieht. Nach Ablauf der Frist des § 234 I ZPO kann in solchen Fällen<br />

nicht erwartet werden, daß es noch zu einer Korrektur der nachteiligen erstinstanzlichen<br />

Entscheidung kommt. Insbesondere ändert hieran nichts eine weitere sofortige Beschwerde<br />

gegen die zurückgewiesene Erstbeschwerde zum BGH. In solchen Fällen ist insbesondere<br />

nicht auf die Rechtskraft des nachteiligen Ersturteils abzustellen.<br />

3. Ein sekundärer Anspruch des Mandanten auf Schadensersatz steht dem Mandanten zu,<br />

wenn der Anwalt die Primärverjährung herbeigeführt hat, indem er bei fortbestehendem<br />

Mandat eine Pflicht, den Mandanten auf die eigene Regreßhaftung und die drohende Verjährung<br />

hinzuweisen, schuldhaft verletzt hat. Eine solche Verpflichtung entfällt, wenn der<br />

Anwalt davon ausgehen darf, daß der Mandant wegen der Haftungsfrage anwaltlich beraten<br />

wird oder auf anderem Wege sowohl über den Schadensersatzanspruch als auch dessen<br />

Verjährung Kenntnis erhalten hat. – S. 606<br />

OLG München, Urt. von 27.2.1998 – 21 U 4491/97<br />

BGB §§ 254, 276, 611<br />

1. Zur Pflicht des Anwalts, bei mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen diejenige<br />

zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist.<br />

2. Der Entwurf eines Schriftsatzes durch den Verkehrsanwalt beschränkt weder die Verantwortlichkeit<br />

des Prozeßbevollmächtigten für den Inhalt dieses Schriftsatzes, noch für<br />

dessen rechtzeitige Einreichung.<br />

3. Verursachen Verkehrsanwalt und Prozeßbevollmächtigter einen Schaden für den Mandanten<br />

durch Pflichtwidrigkeiten, so haben sie aus dem Gedanken der Zweckgemeinschaft<br />

als Gesamtschuldner. Das Maß der Verursachung und des Verschuldens ist nur<br />

eine Frage des Innenverhältnisses. – S. 608<br />

BayObLG, Urt. v. 15.12.1997 – 1Z RR 338/96<br />

BGB §§ 249, 254, 675<br />

1. Zur Schadensersatzpflicht eines Rechtsanwalts, der es unterläßt, den Entschädigungsanspruch<br />

seines Mandanten wegen eines Brandschadens gegen eine Versicherungsanstalt<br />

rechtzeitig geltend zu machen. – S. 608<br />

OLG München, Urt. v. 21.7.1998 – 5 U 5920/97<br />

BGB § 852<br />

1. Nimmt ein Versicherer in einer von ihm vorformulierte Abfindungserklärung von sich<br />

aus den Vorbehalt für künftigen materiellen Schaden mit auf, hat er die Kl von der Erhebung<br />

einer Feststellungsklage abgehalten.<br />

2. Der Versicherer muß sich dann hinsichtlich der Verjährung so behandeln lassen, als sei<br />

Feststellungsklage erhoben worden. (LS der Einsenderin) – S. 609<br />

Gebührenrecht<br />

AG Neustadt a. Rbge., Urt. v. 9.7.1997 –20 C 591/97<br />

BRAGO § 84 Abs. 2, § 105 Abs. 1; § 12<br />

1. Aus dem Wortlaut sowie einer systematischen und historischen Auslegung des § 105<br />

BRAGO ergibt sich, daß die Anwendung des § 84 Abs. 2 BRAGO nicht durch § 105<br />

Abs. 1 und 2 BRAGO ausgeschlossen ist.<br />

2. Zur Mittelgebühr bei Einstellung eines OWi-Verfahrens wegen Geschwindigkeitsüberschreitung,<br />

wenn dargelegt wurde, daß der Bekl aus gesundheitlichen und beruflichen<br />

Gründen auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei. (LS der Red.) – S. 610<br />

AG Dillingen a. d. Donau, Beschl. v. 29.4.1997 – OWi 3/91<br />

BRAGO § 84 Abs. 1, § 105 Abs. 2, § 12<br />

1. Ordnungswidrigkeiten haben nicht generell unterdurchschnittliche Bedeutung in tatsächlicher<br />

und rechtlicher Hinsicht.<br />

2. Der Gesetzgeber hat Bußgeld- und Strafverfahren gebührenrechtlich gleichgestellt.<br />

3. Eine überdurchschnittlich Rechtslage begründet die vom Verteidiger in Ansatz gebrachte<br />

Mittelgebühr, auch wenn das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht nicht schwierig<br />

gelagert war. (LSe der Red.) – S. 610<br />

AG Freiburg i. Br., Beschl. v. 5.11.1996 – 28 GS (OWi) 83/96<br />

BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />

1. Auch bei einer Einstellung eines Bußgeldverfahrens durch die Verwaltungsbehörde<br />

kommt der volle Gebührenrahmen des § 84 Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />

2. Für die Höhe der anzusetzenden Anwaltsgebühr ist das Baumgärtelsche System zugrunde<br />

zu legen. (LS der Redaktion) – S. 611<br />

AG Donaueschingen, Beschl. v. 11.10.1996 – 4 OWi 137/96<br />

BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />

1. Auch bei Einstellung eines Bußgeldverfahrens vor der Ordnungsbehörde kommt § 84<br />

Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />

2. Regelmäßig ist die Mittelgebühr ersatzfähig.<br />

(LS der Redaktion) – S. 611<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.1998 – 1 Ws 913 – 914/97<br />

BRAGO § 86, § 100 Abs. 1 Satz 1; StPO § 467 Abs. 1<br />

Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest, daß dem Verteidiger für die Revisionsinstanz<br />

keine Gebühr nach § 86 BRAGO zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft die Revision<br />

zurücknimmt, ohne das Rechtsmittel zuvor begründet zu haben. – S. 611<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 122/98<br />

BRAGO § 99<br />

Allein der Umstand, daß der Wahlverteidiger, „neben“ dem der Pflichtverteidiger verteidigt<br />

hat, „federführend“ die Verteidigung bearbeitet hat, führt nicht zur Verneinung des<br />

Merkmals „besondere Schwierigkeit“ i. S. v. § 99 Abs. 1 BRAGO – S. 612<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 8.1.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 248/97<br />

BRAGO § 99<br />

Zur Gewährung eines weiteren Vorschusses auf eine demnächst gem. § 99 BRAGO zu<br />

bewilligende Pauschvergütung. – S. 613<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 64 bis 70/98<br />

BRAGO § 99<br />

Bei der Gewährung eines – ausnahmsweise – zu bewilligenden Vorschusses auf eine<br />

demnächst gem. § 99 BRAGO zu gewährende Pauschvergütung ist zu berücksichtigen,<br />

daß das nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Pflichtverteidiger zugunsten des Gemeinwohls<br />

auferlegte Sonderopfer nicht so groß werden darf, daß die finanziellen Einbußen<br />

des Rechtsanwalts unter Berücksichtigung der von ihm erbrachten Tätigkeiten unverhältnismäßig<br />

werden.<br />

Ist das Verfahren gegen den Mandanten endgültig erledigt, wird es aber gegen andere<br />

Angekl noch fortgeführt, kann dem Pauschvergütungsanspruch des Verteidigers, der<br />

Pflichtverteidiger des ausgeschiedenen Angekl ist, nicht entgegengehalten werden, die<br />

Akten seien wegen der Fortführung des Verfahrens nicht entbehrlich. Zumindest ist diesem<br />

Pflichtverteidiger dann ein Vorschuß auf einem demnächst zu gewährende Pauschvergütung<br />

zu bewilligen. – S. 613<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 15.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 110/98<br />

BRAGO § 99; StPO § 153 Abs. 2<br />

Hat ein Pflichtverteidiger auch noch nach einer gem. § 153 Abs. 2 StPO erfolgten Einstellung<br />

des Verfahrens für seinen Mandanten Tätigkeiten erbracht, sind diese im Rahmen<br />

der Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO grundsätzlich nicht zu<br />

berücksichtigen. – S. 614<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.5.1998 – 4 W 31/98<br />

BGB § 1836<br />

1. Zur Frage der Vergütung eines Berufsbetreuers, der nicht Rechtsanwalt ist, bei Anwendung<br />

von § 1836 Abs. 1 BGB<br />

2. Für die Bemessung von Bürokosten des nicht anwaltlichen Betreuers sind weder Modellrechnungen<br />

noch die Umstände, die ein Büro mittleren Zuschnitts für einen Berufsbetreuer<br />

ausmachen sollen, allgemein anerkannt. Eine – quotale – Bemessung nach den Kosten<br />

von Rechtsanwaltskanzleien ist nicht möglich.<br />

3. Die Festsetzung eines Stundensatzes von 100 DM netto für einen nicht anwaltlichen<br />

Berufsbetreuer, der Politikwissenschaftler ist, ist nicht unangemessen niedrig. – S. 615<br />

Streitwert, Kosten, Erstattung<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.7.1998 – 14 W 41/98<br />

BRAGO § 8 Abs. 2 S. 2; GKG §§ 12, 13<br />

1. Zum Streitwert in Beleidigungssachen.<br />

2. Das Verbot einer reformatio in peius gilt im Verfahren über eine Streitwertbeschwerde<br />

nicht. (LSe der Redaktion) – S. 616


Im Auftrag des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Ludwig Koch<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

545 Forum „Zukunft der Anwaltschaft“: Einführung und<br />

Rückblick<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln<br />

Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

548 Thesen des Forums<br />

551 Stärken und Schwächen der Anwaltschaft<br />

– Analyse, Kritik, Prognosen –<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen, München<br />

Aufsätze<br />

560 Die Geschichte der Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />

Teil II (Forts. von AnwBl 1998, 424)<br />

Von Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Hechingen<br />

567 Die Absprache im Strafverfahren<br />

– Blickwinkel: das materielle Strafrecht –<br />

Von Assessor Stefan Braun, Backnang<br />

577 Der Betriebsübergang am Wendepunkt<br />

– Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH –<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Gerhard Schäder, München<br />

Buchhinweis:<br />

Holly: „Heiter betrachtet“ (Walentowski)<br />

Editorial<br />

582 Zwangsschlichtung – Nein danke!<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Bonn, Adenauerallee 106<br />

Jahrgang 48<br />

November 1998<br />

584 DAV-Intern: Landesverbandskonferenz<br />

Von Rechtsanwältin Heidemarie Haack-Schmahl, Bonn<br />

DAV-Pressemitteilungen<br />

PR- Referat<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />

589 AG Mediation im DAV:<br />

Erste Mitgliederversammlung und Fachtagung der<br />

AG Mediation<br />

Für eine neue Streitkultur<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Grisebach, Offenburg<br />

590 AG Verkehrsrecht des DAV:<br />

Geschäftsbericht 1997 / 98 des Vorsitzenden des<br />

Geschäftsführenden Ausschusses der AG Verkehrsrecht<br />

Von Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt,<br />

Homburg/Saar<br />

b 11/ 9 8<br />

l<br />

594 Fortbildungsveranstaltung zum neuen Transportrecht<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Michael Burmann, Erfurt<br />

Personalien:<br />

Erich Klinge €<br />

Europa<br />

595 Der Gerichtshof im Jahre 1997<br />

596 Europaweite Zulassung von Inkassobüros zum<br />

Mahnverfahren?<br />

Von Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />

Mitteilungen<br />

597 Gebührenfragen:<br />

Umrechnungs- und Rundungsregeln im Zusammenhang<br />

mit der Umstellung auf den Euro<br />

Von Steuerberater Dr. Martin Strahl, Köln<br />

598 Verkehrsrecht:<br />

Empfehlungen für die Kfz-Schadenregulierung<br />

Schlichtungsausschuß-Erläuterungen<br />

602 Haftpflichtfragen:<br />

Haftungsfälle bei Versicherungsmandaten<br />

Von Rechtsanwalt Michael Dobmaier,<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

603 Buchhinweis:<br />

Anwaltformulare, hrsg. von Heidel/Pauly/Amend<br />

(Werner)<br />

Rechtsprechung<br />

(Übersicht und Leitsätze siehe Seite II)<br />

604 Berufsrecht<br />

610 Gebührenrecht<br />

616 Streitwert, Kosten, Erstattung<br />

544 Impressum<br />

Auf dem Umschlag<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />

DAV-Service Seite IV<br />

DAV-Informationen Seite VI, VIII, XVIII<br />

Internet-Aktuell Seite XXVI<br />

Qualität in der Kanzlei Seite XXXI


VI<br />

4<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

In diesem Heft auf Seite 584 bis 594:<br />

Landesverbandskonferenz / DAV-Pressemitteilung<br />

/ PR-Referat / AG Mediation:<br />

1. MV / Für eine neue Streitkultur<br />

/ AG Verkehrsrecht: Geschäftsbericht<br />

1997 / 98 / Erich Klinge €<br />

Gebührenrecht in AGS Nr. 11/98<br />

9 von Eicken: Neuregelung der Anfechtung<br />

von Rechtspflegerentscheidungen<br />

in der Kosten- und<br />

Vergütungsfestsetzung<br />

9 BAG: Vergleichsgebühr bei einem<br />

Rechtsanwalt als Sachverständigem<br />

9 VG Wiesbaden: Erörterungsgebühr<br />

bei Telefonkonferenz<br />

9 FG Kassel: Besprechungsgebühr –<br />

Abgrenzung zur Sachstandsanfrage<br />

und zur Informationsbeschaffung<br />

9 OLG Köln: Zur Aufklärungspflicht<br />

des RA über die Höhe der voraussichtlich<br />

entstehenden Kosten<br />

9 VGH Kassel: Streitwert – beamtenrechtliche<br />

Konkurrentenklage um<br />

Übertragung eines höherbewerteten<br />

Dienstpostens<br />

9 BVerfG: Prozeßkostenhilfe bei<br />

Nachlaßpflegschaft<br />

Infos<br />

Recht im Fernsehen<br />

Die ZDF-Rechtsserie „Wie würden<br />

Sie entscheiden?“ beschäftigt am Donnerstag,<br />

19. November 1998 um 20.15<br />

Uhr unter dem Titel „Vergewaltigt –<br />

Die Stimme des Täters“ mit<br />

Beweismitteln und den Grenzen der<br />

Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei.<br />

Im Vordergrund steht die Frage, was<br />

ist, wenn nur die Stimme des Täters<br />

als Beweismittel dient und sich der<br />

Verdächtige nicht einem Stimmenvergleich<br />

stellen möchte. Experten im<br />

Studio sind der Münchener<br />

Straftrechtswissenschaftlicher Prof.<br />

Dr. Claus Roxin, der langjährige Vorsitzende<br />

der Polizeigewerkschaft,<br />

Hermann Lutz und der Stimmenforscher<br />

des Bundeskriminalamtes, Prof.<br />

Dr. Hermann Künzel.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />

Hülfskasse<br />

<strong>Deutscher</strong> Rechtsanwälte<br />

Aufruf zur<br />

Weihnachtsspende 1998<br />

Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />

sehr geehrter Herr Kollege,<br />

im Namen der 400 zu Weihnachten<br />

1997 bedachten Kolleginnen, Kollegen<br />

und deren Familien danken wir Ihnen<br />

herzlich! Denn Ihre große Hilfsbereitschaft<br />

ermöglichte es, daß Spendengelder<br />

in Höhe von DM 449.444,00 allein<br />

im Dezember 1997 von der<br />

Hülfskasse <strong>Deutscher</strong> Rechtsanwälte<br />

ausgekehrt werden konnten. Von diesem<br />

Betrag wurden auch 74 minderjährigen<br />

bzw. in Ausbildung befindlichen<br />

Kindern Buchwünsche erfüllt.<br />

Damit wir auch in diesem Jahr<br />

zumindestens zum Weihnachtsfest<br />

bundesweit den unverschuldet in Not<br />

geratenen Kolleginnen und Kollegen<br />

sowie deren Angehörigen finanziell<br />

das Leben etwas erleichtern können,<br />

bitten wir Sie:<br />

Helfen Sie zu Weihnachten 1998 mit<br />

Ihrer Spende!<br />

Hiermit bereiten Sie doppelte Freude:<br />

Für die Empfänger Ihrer Spende ist,<br />

neben der großen materiellen Hilfe,<br />

besonders wichtig das Bewußtsein,<br />

daß die Solidarität der Anwaltschaft<br />

auch in schwierigen Zeiten Bestand<br />

hat.<br />

Jede Spende ist steuerabzugsfähig.<br />

Wenn Sie einen Betrag für einen wirklich<br />

guten Zweck – ganz gleich in welcher<br />

Höhe – zur Verfügung stellen<br />

wollen, überweisen Sie ihn bitte auf<br />

eines der folgenden Konten:<br />

Deutsche Bank Hamburg (BLZ<br />

200 70000) Konto-Nr. 0309906 Postbank<br />

Hamburg (BLZ 200 100 20) Konto-Nr.<br />

47403-203<br />

Bitte geben Sie Ihre Anschrift deutlich<br />

und vollständig an. Eine steuerabzugsfähige<br />

Spendenbescheinigung<br />

geht Ihnen unverzüglich zu.<br />

Abschließend noch eine Bitte: Sollte<br />

Ihnen im Kollegenkreis ein Notfall bekannt<br />

sein, informieren Sie uns. Wir<br />

helfen gern!<br />

Hülfskasse <strong>Deutscher</strong> Rechtsanwälte,<br />

Kl. Johannisstr. 6 V, 20457 Hamburg,<br />

Tel. 040/36 50 79, Fax 040/37 46 45.<br />

Veranstaltungen Inland<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Termin/Ort: 3.–5. 12. 1998, Leipzig<br />

Thema: Einführungskurs<br />

Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Referenten: RA Dr. Kurt Bartenbach<br />

RA Günther Eisenführ,<br />

Patentanwalt, Dipl.-Ing.<br />

Preis: 890,– DM; 790,– DM jeweils<br />

zzgl. 16% MwSt.<br />

für GRUR-Mitglieder<br />

und Patentanwälte<br />

Seminar: R 51557-98<br />

Termin/Ort: 3.–5. 12. 1998,<br />

Dortmund<br />

Thema: Einführung in den<br />

Anwaltsberuf<br />

Referenten: RA Dr. Klaus Bauer<br />

RAuN Dr. Thomas Grote<br />

RA Wolfgang Madert<br />

Preis: 670,– DM; 350,– DM<br />

für Junganwälte bis<br />

2 Jahre nach Zulassung<br />

und Referendare<br />

Seminar: R 82660-98<br />

Termin/Ort: 5. 12. 1998, Bielefeld<br />

Thema: Gebührenrecht<br />

kompakt<br />

Referent: RA Dr. Günter Schmeel<br />

Preis: 390,– DM; 190,– DM<br />

für Junganwälte bis<br />

2 Jahre nach Zulassung<br />

und Referendare, jew.<br />

zzgl. 16 % MwSt.<br />

Seminar: R 11453-98<br />

Termin/Ort: 5. 12. 1998, Hamm<br />

Thema: Haftung beim<br />

Verkehrsunfall<br />

Referent: Ri. am OLG Heinz Diehl<br />

Preis: 390,– DM; 190,– DM<br />

für Junganwälte bis<br />

2 Jahre nach Zulassung<br />

und Referendare, jew.<br />

zzgl. 16 % MwSt.<br />

Seminar: R 12356-98<br />

(Fortsetzung auf Seite VIII)


VIII<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite VI)<br />

Termin/Ort: 5. 12. 1998, Düsseldorf<br />

Thema: Die<br />

Verfassungsbeschwerde<br />

Referent: RA Dr. Michael Kleine-<br />

Cosack<br />

Preis: 390,– DM; 190,– DM<br />

für Junganwälte bis<br />

2 Jahre nach Zulassung<br />

und Referendare, jew.<br />

zzgl. 16 % MwSt.<br />

Seminar: R 12457-98<br />

Termin/Ort: 5. 12. 1998, Kassel<br />

Thema: Das familienrechtliche<br />

Mandat<br />

Referent: RA Ralf Mecklenbrauck<br />

Preis: 260,– DM; 160,– DM<br />

für Junganwälte bis<br />

2 Jahre nach Zulassung<br />

und Referendare, jew.<br />

zzgl. 16 % MwSt.<br />

Seminar: R 31271-98<br />

Anmeldung und Info: DeutscheAnwaltAkademie,<br />

Ellerstr. 48, 53119 Bonn,<br />

Tel. 0228/98366-77, Fax 98366-66<br />

AG Strafrecht des DAV<br />

Regionale Veranstaltungen<br />

(Fortbildung nach § 14 Fachanwaltsordnung)<br />

Datum/Ort: 4.-5.12.98, Hannover<br />

Thema: Steuerstrafrecht<br />

Referenten: RA Dr. Carsten Kuhlmann<br />

RA Olaf G. von Briel<br />

Datum/Ort: 11.-12.12.98, Potsdam<br />

Thema: Revisionsrecht<br />

Referenten: Prof. Dr. Reinhold Schlothauer<br />

RA Dr. Ralf Neuhaus<br />

Datum/Ort: 15.-16.1.99, München<br />

(neuer Termin<br />

statt 22./23.1.)<br />

Thema: Das neue Strafund<br />

Strafprozeßrecht<br />

Referenten: RA Dr. Volkmar Mehle<br />

RA Rainer Brüssow<br />

RAuN Dr. Wilhelm Krekeler<br />

RA Norbert Gatzweiler<br />

Preis: 500,– DM für Mitglieder<br />

der ARGE; 700,– DM für<br />

Nichtmitglieder<br />

(inkl. Mittagessen)<br />

Datum/Ort: 5.12.98, Hamburg<br />

Thema: Korruptionsstrafrecht<br />

Referenten: RA Martin Amelung<br />

RA Hanns W. Feigen<br />

Datum/Ort: 5.12.98, Stuttgart<br />

Thema: Verkehrs- und<br />

Bußgeldverfahren<br />

Referent: RA Rainer Brüssow<br />

Preis: 350,– DM für Mitglieder<br />

der ARGE; 500,– DM für<br />

Nichtmitglieder<br />

(inkl. Mittagessen)<br />

Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />

weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />

Ulrich Wendling, Hirschmannstraße<br />

7, 53359 Rheinbach, Telefon:<br />

02226/912091, Fax: 02226/910295<br />

Kaiserin-Friedrich-Stiftung<br />

Datenschutz und Schweigepflicht<br />

in der Medizin<br />

Die Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das<br />

ärztliche Fortbildungswesen veranstaltet<br />

ihr 22. Symposion für Juristen<br />

und Ärzte am 15./16. Januar 1999 in<br />

Berlin zum Thema: „Datenschutz und<br />

Schweigepflicht in der Medizin“.<br />

Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr.<br />

med. J. Hammerstein, Prof. Dr. med.<br />

W. Schlungbaum, Dr. med. Dr. jur. Ch.<br />

Dierks, Dr. jur. Christoph Jansen<br />

Programm (Auszug): Renommierte<br />

Experten referieren aus juristischer<br />

und medizinischer Sicht über folgende<br />

Themenkomplexe:<br />

– Ärztliche Schweigepflicht gegenüber<br />

Dritten (Angehörige, Kollegen und<br />

Medien)<br />

– Ärztliche Schweigepflicht im Krankenhaus<br />

und innerhalb des Gesundheitswesens<br />

– Ärztliche Schweigepflicht in der medizinischen<br />

Forschung<br />

– Ärztliche Schweigepflicht und Datenschutz<br />

im Verfahrensrecht<br />

– Moderne Datenverarbeitung und Datenschutz<br />

(Praxisnetze, Telemedizin)<br />

Anmeldeschluß: 1. Dezember 1998<br />

Tagungsgebühr: 150,– DM<br />

(incl. Tagungsbericht)<br />

Veranstalterin (Auskunft und Anmeldung):<br />

Kaiserin-Friedrich-Stiftung<br />

für das ärztliche Fortbildungswesen,<br />

Robert-Koch-Platz 7, 10115 Berlin<br />

(Mitte), Telefon: 0 30 / 30 88 89 20,<br />

Telefax: 0 30 /30 88 89 26<br />

Europ. Rechtsakademie Trier<br />

Veranstaltungen im Dezember1998<br />

Termin/Ort: 30.11./1.12.1998, Trier<br />

Thema: Staatliche Beihilfen und<br />

Gemeinschaftsrecht<br />

(Englisch, Deutsch)<br />

Termin/Ort: 7./8.12.1998, Trier<br />

Thema: Aktuelle Entwicklungen<br />

im europäischen<br />

Vertriebsrecht –<br />

Panorama nach dem<br />

Grünbuch (Englisch)<br />

Termin/Ort: 3./4.12.1998, Brüssel<br />

Thema: Anerkennung von<br />

Diplomen in einem<br />

Europa für<br />

Weiterbildung und<br />

Berufe<br />

(Englisch, Französisch)<br />

Termin/Ort: 10./11.12.1998, Trier<br />

Thema: Strategien für die<br />

Osterweiterung der<br />

Europäischen Union<br />

(Deutsch,<br />

Englisch, Französisch)<br />

Termin/Ort: 4.12.1998, Trier<br />

Thema: Gemeinschaftsrecht<br />

und Sport –<br />

Aktuelle Entwicklungen<br />

(Deutsch, Französisch)<br />

Termin/Ort: 3./4.12.1998, Trier<br />

Thema: Korruptionsbekämpfung<br />

in der Europäischen<br />

Union 1998<br />

(Deutsch, Englisch,<br />

Französisch)<br />

Termin/Ort: 3./4.12.1998, Trier<br />

Thema: Steuerwettbewerb im<br />

Binnenmarkt: Der vorgeschlageneVerhaltenskodex<br />

und andere Fragen<br />

der Unternehmensbesteuerung<br />

(Deutsch, Englisch,<br />

Französisch)<br />

Anmeldung/Info: Europäische Rechtsakademie<br />

Trier, Metzer Allee 4, D-54295 Trier,<br />

Tel. +49 (0)651-937370, Fax +49 (0)651-<br />

9373790<br />

(Fortsetzung auf Seite XVIII)


Im Auftrag des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Ludwig Koch<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

FORUM „ZUKUNFT DER ANWALTSCHAFT“<br />

Kongreßzentrum Kurfürstliches Schloß zu Mainz<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Bonn, Adenauerallee 106<br />

Jahrgang 48 AQl November 1998<br />

Nachrichten für die Mitglieder<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s e. V.<br />

1. bis 3. Oktober 1998 in Mainz<br />

Einführung und Rückblick<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln,<br />

Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Am 14.7.1987 hat das Bundesverfassungsgericht die<br />

Rechtswidrigkeit eines großen Teils des damaligen Standesrechts<br />

der Anwälte festgestellt.<br />

Die Irritation war groß. Wer sollte jetzt handeln? Der Gesetzgeber?<br />

Die Rechtsanwaltskammern? Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong>?<br />

Die Rechtsanwälte, wo immer sie organisiert<br />

sind? Oder sollte man die Ehrengerichte so lange beschäftigen,<br />

bis durch sie das neue Berufsrecht geformt worden wäre.<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> hat dies als Aufgabe der<br />

Anwälte begriffen, und zwar in vorausahnender Antizipation:<br />

Am 19.11.1987 wurden die Beschlüsse vom 14.7.1987<br />

bekannt. Bereits einen Monat vorher, am 16.10.1987, befaßte<br />

sich der Kölner <strong>Anwaltverein</strong> anläßlich seines 100jährigen<br />

Jubiläums mit dem Thema „Die Anwälte und ihr<br />

Standesrecht – Bemerkungen zu einem Wandlungsprozeß“.<br />

Der Referent war Ernst Benda (AnwBl 1987, 1).<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> lud zum 4. und 5.3.1988<br />

nach Dortmund zum ersten Forum „Zukunft der Anwaltschaft“.<br />

Die an jenem Forum teilgenommen haben, wissen<br />

heute noch von den geistigen Auseinandersetzungen, den<br />

Turbulenzen zu berichten, in die das Bundesverfassungsgericht<br />

die Rechtsanwälte geführt hatte. Allein an die Werbe-<br />

Möglichkeiten zu denken führte zu kaltem Entsetzen. Das<br />

Forum war damals außerstande, zum Thema Werbung irgendwelche<br />

Thesen zu formulieren (vgl. AnwBl 1987, 305).


546<br />

l<br />

Das Podium beim Arbeitskreis I: Berufsbild und Berufsverständnis des Anwalts.<br />

Der schmerzvolle Prozeß der Abgleichung der Ansichten<br />

des DAV mit denjenigen der BRAK begann. Es dauerte<br />

7 Jahre, bis am 2.9.1994 das Gesetz zur Neuordnung des<br />

Berufsrechts der Rechtsanwälte verkündet wurde. Grundsätze<br />

des neuen Rechts wurden normiert, zugleich der Anwaltschaft<br />

die Möglichkeit gegeben, eine sich selbst regulierende<br />

Berufsordnung zu beschließen. Hierzu waren<br />

wieder 2 1/2 Jahre notwendig. Am 10.12.1996 war es soweit;<br />

die Berufsordnung konnte veröffentlicht werden.<br />

Müssen die Rechtsanwälte heute, nach diesem langwierigen<br />

Prozeß, nach diesen mühevollen 10 Jahren, wiederum<br />

über sich selbst, ihren Beruf, ihr Berufsrecht nachdenken?<br />

In diesem Herbst tagt die Satzungsversammlung erneut in<br />

Berlin. Korrekturbedarf ist von allen Seiten angemeldet.<br />

Die Berufsordnung trägt das Datum 10.12.1996. Sie hat<br />

ihre Wurzeln in dem Normierungsprozeß der Jahre 1987<br />

bis 1996. Diese „Erde“ ist nicht die Wirklichkeit des Jahres<br />

1996 und auch nicht das Selbstverständnis der Anwälte des<br />

Jahres 1996, geschweige denn des Herbstes 1998. Wirklichkeit<br />

und Selbstverständnis haben das Regelwerk bereits<br />

überholt. Das ist ein Prozeß, der für alle Normen gilt. Nur<br />

die Geschwindigkeit des Überholvorgangs ist bemerkenswert,<br />

für viele atemberaubend.<br />

Die Wirklichkeit der Werbung, die tatsächlichen Kooperationsformen,<br />

das Berufsbild des Rechtsanwalts, die anwaltliche<br />

Freiberuflichkeit und Gewerblichkeit, der anwaltliche<br />

Wohlstand und die anwaltliche Armut, das Alter und<br />

die Jugend der Anwaltschaft, die Quantität und die Qualität,<br />

die Formen der Beratung selbst sind Wirklichkeiten und<br />

Ausdruck eines Selbstverständnisses, das bereits heute<br />

knapp zwei Jahre seit Inkrafttreten der Berufsordnung in<br />

Teilbereichen nicht mehr direkt, sondern nur noch im Wege<br />

der Auslegung zu erfassen ist.<br />

Unsere Lebensdynamik führt – das ist inzwischen Allgemeingut<br />

– zu einem immer schnelleren Normenumschlag.<br />

Der materielle Wert-Transfer zwischen den Generationen,<br />

zwischen den Teilgenerationen, funktioniert nur<br />

eingeschränkt. Das wissen Eltern, die noch mit ihren Kindern,<br />

insbesondere mit ihren erwachsenen Kindern kommunizieren.<br />

Das gilt für junge Anwälte im Verhältnis zu den<br />

älteren Anwälten. Weitergegeben werden immer weniger<br />

imaterielle Werte; im Kurs stehen als formelle Werte Bestand<br />

behaltene Normen wie die Verschwiegenheit, die Unabhängigkeit,<br />

nicht aber das Werbeverbot. Transferiert werden<br />

im übrigen Methoden, mit dem Wertewandel<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

umzugehen. Zu diesen Methoden gehören die großen Foren<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />

Es ist daher bereits heute richtig, daß sich die Anwaltschaft<br />

erneut mit der Ordnung des eigenen Berufs, insbesondere<br />

aber auch – und zwar vorausgehend – mit dem<br />

Begreifen, dem Verstehen, dem Akzeptieren und dem Verneinen<br />

von Wirklichkeit befaßt, die sie erzeugt und antrifft.<br />

Ist aber der DAV hierzu berufen?<br />

Aufgerufen sind in erster Linie die Rechtsanwälte selbst.<br />

Es geht um ihr Berufsleben, um ihre Existenz. Sie entwerfen<br />

ihr Berufsleben, sie entwerfen ihre Existenz. Sie haben<br />

die originäre Kompetenz. Haben sich die Rechtsanwälte<br />

freiwillig zu einem Berufsverband zusammengeschlossen,<br />

so haben die Rechtsanwälte in dieser freiwilligen Zusammenbindung<br />

und Kraft die gleiche originäre Kompetenz,<br />

sich mit diesen Fragen zu befassen.<br />

Diese Kompetenz hat nicht der Gesetzgeber. Er gibt<br />

nur den Rahmen vor. Auch das vermeintlich so dominante<br />

Steuerrecht bestimmt nicht das Berufsbild. Die originäre<br />

Kompetenz liegt auch nicht bei den Gerichten. Allzu häufig<br />

wird vergessen, daß es in erster Linie nicht das Bundesverfassungsgericht<br />

war, das 1987 das Berufsrecht stürzte, sondern<br />

die vermeintlich das Recht verletzenden Anwälte und<br />

diese Verletzung rechtfertigende Prozeßbevollmächtigten.<br />

Niemand anders als wir Anwälte gestalten diesen Beruf.<br />

Und selbst dann, wenn wir andere für uns gewähren lassen,<br />

sind wir es, die diese Delegation vornehmen.<br />

In diesem Sinne hat der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> zu dem<br />

Forum in Mainz geladen. Er hat die Anwälte zu einer offenen,<br />

mutigen, zukunftsorientierten, breit angelegten existentiellen<br />

Diskussion des eigenen Berufs, des Bilds des Anwalts,<br />

des eigenen vernünftigen Lebensentwurfs<br />

aufgerufen. Er hat gefragt: „Welchen Anwaltsberuf wollen<br />

sie zu Beginn des dritten Jahrtausends?“<br />

Das Forum ist nicht ohne die Initiative und das Handeln<br />

zweier Anwälte vorzustellen. Ludwig Koch war der entscheidende<br />

Initiator dieses Forums. Auf ihn geht bereits<br />

das Dortmunder Forum zurück. Aus der Geschäftsführung<br />

des DAV warDr. Peter Hamacher bestimmender Mitgestalter.<br />

Ihnen gebührt unser großer Dank.<br />

Der erste Tag des Forums, der 1.10.1998, gehörte drei<br />

Referaten. Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen analysierte,<br />

kritisierte die Stärken und Schwächen der Anwälte und gab


AnwBl 11/98 547<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />

Das Podium beim Arbeitskreis II: Der Anwaltsberuf als selbstgestalteter Lebenslauf, nicht als Verlegenheitslösung aus Existenznot.<br />

Prognosen für die Zukunft. Kein Anwalt, sei er jung, sei er<br />

„klein“, komme er aus einem großen Verbund, sei er Einzelanwalt,<br />

konnte sich diesen Analysen entziehen. Heussen<br />

war optimistisch. Der Markt bietet allen Anwälte eine<br />

Chance. Sie müssen diese Chance nur ergreifen. Das Referat<br />

von Rembert Brieske zu den sozialen Problemen der<br />

Anwälte gab den Contrapunkt und polarisierte. Brieske gab<br />

keine trockene Analyse der sozialen Situation der Anwälte,<br />

und eben dies wurde ihm vorgeworfen. Er wollte die unmittelbar<br />

gefühlte Betroffenheit. Anwälte denken zu wenig an<br />

die immer vorhandenen sozialen Komponenten jeder Beratung.<br />

Und Anwälte verstecken die sozialen Probleme ihrer<br />

Kollegen, die es am Markt nicht schaffen und in die Randlage<br />

abdriften. Die Betroffenheit erzeugt zu haben brachte<br />

ihm das Lob derer ein, die eben dies für notwendig erachten.<br />

Das dritte Referat hielt Prof. Dr. Christoph Hommerich<br />

zur strategischen Ausrichtung der Anwaltskanzlei. Wer<br />

Hommerich kennt, weiß, daß er mit seinem Referat die<br />

Anwälte in den Bann zu schlagen versteht. In hohem Maße<br />

einsichtig beschrieb er die negativ, die positiv am Markt<br />

operierende Praxis. Allzu leicht ist der Zuhörer geneigt, die<br />

Kritik immer beim Wettbewerber, beim Kollegen zu sehen.<br />

Dieses Referat betraf jeden Anwalt, jeden Zuhörer. Das<br />

wurde ausgesprochen.<br />

Am zweiten Tag, am 2.10.1998, teilte man sich in<br />

Arbeitskreise. Der Arbeitskreis I befaßte sich mit dem Berufsbild<br />

und dem Berufsverständnis der Anwälte. Geleitet<br />

wurde er von den Rechtsanwälten Ludwig Koch, Rembert<br />

Brieske und Dr. Peter Hamacher. Eingeleitet wurde die Arbeit<br />

durch das Referat von Herrn Rechtsanwalt Dr. Joachim<br />

Freiherr von Falkenhausen. Er suchte bei aller Vielfalt den<br />

gemeinsamen Kern anwaltlicher Tätigkeit. Es folgte das<br />

Referat von Rechtsanwalt Dr. Hans-Jürgen Hellwig der<br />

„Anwalt zwischen Kommerzialisierung und Berufsethos“.<br />

Die Kollegen Rechtsanwalt Günter Bandisch, Rechtsanwalt<br />

Dr. Hans Jochen Lüer und Rechtsanwalt Hans-Jürgen<br />

Gebhardt befaßten sich mit anwaltlichen und gewerblichen<br />

Massengeschäften.<br />

Die Diskussion um den gemeinsamen Kern der anwaltlichen<br />

Tätigkeit fand auf einem beeindruckend hohen Niveau<br />

statt. Konzentriert sich der gemeinsame Kern auf die reine<br />

rechtliche Dienstleistung? Oder sind die Qualitätsmerkmale<br />

der Unabhängigkeit, der strikten Parteilichkeit, der Sicherung<br />

des Verbots der Wahrnehmung widerstreitender Interessen<br />

und der Wahrung der Verschwiegenheit Teile des<br />

gemeinsamen Kerns (was schließlich bejaht wurde)? Wettbewerb<br />

und Kommerzialisierung, so Hellwig, sind nicht nur<br />

bestimmend für die Anwälte untereinander, sondern auch<br />

für die Mitglieder einer Sozietät. Je größer die Sozietät, um<br />

so mehr greift der Wettbewerb in das Sozietätsgefüge ein.<br />

Was die Nischentätigkeiten in den fast gewerblichen Bereichen<br />

anbelangt, so war einzusehen, daß dies nicht gegen<br />

das anwaltliche Selbstverständnis verstieß. Der Mut zur Besonderheit,<br />

zur Nische gehört zur freiberuflichen Arbeit. In<br />

besonderer Weise berührte das Referat von Rechtsanwalt<br />

Hartmut Kilger: Der Anwalt verändert die Gesellschaft.<br />

Kilger ging es nicht um den politisch agierenden Anwalt,<br />

um den „Revolutionär“, sondern um den Anwalt, der auch<br />

in dem kleinen, höchst individuellen Mandat in der Lage<br />

ist, mit seinem Mandat an einem bestimmten Punkt die Gesellschaft<br />

zu korrigieren. Im Spektakulären mag die Änderungsgewalt<br />

des Anwalts offensichtlich sein. Daß aber die<br />

Arbeit mit einem Sozialhilfefall auch an einem Ort die Gesellschaft<br />

verändern kann, beeindruckte.<br />

Der Arbeitskreis II stellte sich dem Problem des „Anwaltsberufs<br />

als selbstgestalteter Lebensentwurf, nicht als<br />

Verlegenheitslösung aus Existenznot“. Er wurde geleitet<br />

von Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg,<br />

von Rechtsanwältin Cornelia Frech und Rechtsanwalt Thomas<br />

Zerdick. Zunächst ging es in dem Referat von Rechtsanwalt<br />

und Notar Jens Peter Lachmann aus Berlin um<br />

„Das magische Berufsquadrat: Generalist, Spezialist, Kanzlei,<br />

Großsozietät“. Dem Spezialisten fliegen die Argumente<br />

zu. Aber auch der Generalist hat in Zukunft seine Chance,<br />

wenn man ihn als Vertrauter des Mandanten und Weg zum<br />

Fachmann begreift. Die Funktion der Großsozietät scheint<br />

evident zu sein. Aber auch die kleine Kanzlei wird sich am<br />

Markt behaupten, schon deshalb, weil das Vertrauensband<br />

besser zu knüpfen ist.<br />

Daß dies so ist, folgte aus den weiteren Beiträgen von<br />

Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg und<br />

Rechtsanwalt Andreas Tilp zum Marketing und zur Entwicklung<br />

und Präsentation der anwaltlichen Leistungen.<br />

Der Markt wartet nicht auf einen. Man muß das Bedürfnis<br />

des Markts erkennen. Und wo das Bedürfnis im Markt<br />

nicht erkannt ist, muß man es als Bedürfnis erzeugen, wie<br />

Kollege Tilp auf dem Gebiet der Anlageberatung überzeugend<br />

darstellte.<br />

In diesem Arbeitskreis ging es auch um die Frage, welche<br />

Chance der „Muß-Anwalt“ hat. Daß der „Anwalt aus<br />

Wille“ die Nase vorn haben wird, bedarf keiner Diskussion.


548<br />

l<br />

Das Podium beim Arbeitskreis III: Anwaltliche Tätigkeit.<br />

Aber auch der Anwalt aus Not kann sich in der Identifikation<br />

mit der anwaltlichen Arbeit zum überzeugenden Anwalt<br />

entwickeln. Die Diskussion belegte im übrigen, daß es<br />

keine zwingenden Gründe gibt, daß der Anwalt unbedingt<br />

selbständig sein muß. Auch der (dauerhaft) angestellte Anwalt<br />

hat seine Chance.<br />

Die Alterssicherung ist gut aufgehoben in der anwaltlichen<br />

Versorgung. Zur Frage der Bezahlung und Unterbezahlung<br />

junger Anwälte (Referentin: Rechtsanwältin Gerlinde<br />

Fischedick) fand man letztlich keine eindeutigen<br />

Aussagen. Was eine angemessene Bezahlung ist, scheint<br />

sich einer plakativen Formulierung zu entziehen. Den jungen<br />

Anwälten selbst fehlte der Mut zu einer Radikalformel.<br />

Der Arbeitskreis III breitete das Feld anwaltlicher Möglichkeiten<br />

aus. Vorgestellt wurde das Vertragsarztrecht und<br />

das Recht der Arbeitslosen. Das Versicherungsrecht, das<br />

„Grüne“-Recht, das sich vom Umweltrecht abhob, die<br />

Schuldnerberatung und das Betreuungsrecht (Referenten:<br />

Rechtsanwälte Prof. Hermann Plagemann, Dr. Hubert W.<br />

van Bühren, Karsten Sommer, Norbert Weber, Klaus<br />

Schlimm). Es ging in diesem Arbeitskreis auch um die<br />

nicht gerichtliche Konfliktregelung (Dr. Thomas Spörer).<br />

Die interprofessionellen Kooperationen auf nationaler und<br />

internationaler Ebene wurden behandelt (Rechtsanwalt<br />

Wolfgang Ewer, Prof. Dr. Martin Henssler). Schließlich<br />

wurden die Tätigkeitsbereiche der Beratungshotline, der<br />

Anwaltshäuser, der Rechtsberatung im Kaufhaus, der<br />

Rechtsberatungscafés, der anwaltlichen Zweitberufe vorgestellt<br />

(Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter). Der Leiter der<br />

Redaktion „Recht und Justiz“ im ZDF, Rechtsanwalt Bernhard<br />

Töpper, machte schließlich mit der Rechtsberatung im<br />

Fernsehen vertraut.<br />

Geleitet wurde dies alles von den Kollegen Dr. Klaus E.<br />

Böhm, Dr. Bernd Hirtz und Andreas Hagenkötter.<br />

Wer die Breite der rechtsanwaltlichen Tätigkeit kennenlernen<br />

wollte, war in diesem Arbeitskreis gut aufgehoben.<br />

Der Arbeitskreis IV hatte die Qualitätssicherung anwaltlicher<br />

Leistungen zum Thema. Die Leitung lag in der Hand<br />

der Rechtsanwälte Dr. Hans C. Lühn, Dr. Ulrich Stobbe<br />

und Rechtsanwältin Angelika Rüstow.<br />

In seiner Zusammenfassung zeigte sich Stobbe davon<br />

beeindruckt, daß er zum ersten Mal erlebt habe, daß Kolleginnen<br />

und Kollegen über die Qualitätsfrage aufgeschlossen<br />

zu diskutieren bereit waren. Sie seien in der Lage gewesen,<br />

sich kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen, und was<br />

noch viel wichtiger wäre, sie seien zum großen Teil auch<br />

bereit, ihre eigene Position zu überdenken. Dies sei für ihn<br />

das wesentliche Ergebnis der Arbeitsgruppe IV. Der Qualitätsbegriff<br />

(Rechtsanwalt Dr. Klaus Dieter Becker), die Relation<br />

der Qualität zum ungebremsten Zulauf zur Anwaltschaft<br />

(Rechtsanwalt Dr. Hans C. Lühn), die Organisation<br />

und Qualitätskontrolle (Prof. Dr. Christoph Hommerich)<br />

wurden nicht mehr mit Abwehr, sondern mit Neugier aufgenommen.<br />

Zum Thema TQM oder ISO 9000 brillierte<br />

eine Studentin, Manja Ehnert, TQM-Fachauditorin. Beide<br />

Qualitätswege stellen keine Alternative dar, sondern unterschiedliche<br />

Wege, die letztlich zu dem selben Ziel führen.<br />

Das Thema weitete sich unter der Überschrift „Internet für<br />

Anwälte“ durch die Referate von Rechtsanwalt Christopher<br />

Kuner und Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Chrocziel.<br />

Die eingeladenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

sollten ohne Bezug auf die Tagesarbeit diskutieren, denken,<br />

analysieren und neu formulieren. Dieses wurde aufgenommen.<br />

Die Tagung war ein Erfolg.<br />

Zum Schluß wurden Thesen formuliert. Hierüber wurde<br />

– das Vorbild des Juristentages verschweigen wir nicht –<br />

abgestimmt. Diese Ergebnisse können sie auch in diesem<br />

Heft (S. 549) lesen.<br />

Der anwaltliche Braintrust ohne konkreten Fortbildungsbezug<br />

verlangt nach einer Fortsetzung. Ich stelle mir vor, daß<br />

sich das Forum alle 5 Jahre wiederholt. Der DAV wird dies in<br />

seiner Planung einstellen. Vielleicht 2003 in Schwerin.<br />

Thesen des Forums<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

Am Samstag, dem 3. Oktober 1998 haben Rechtsanwalt<br />

Ludwig Koch (AK I), Rechtsanwalt und Notar Wolfgang<br />

Schwackenberg (AK II), Rechtsanwalt Dr. Klaus E. Böhm<br />

(AK III) und Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Stobbe (AK<br />

IV) die von den Moderatoren aufgrund der Verhandlungen<br />

der Arbeitskreise verfaßten Thesen dem Plenum vorgetragen.<br />

Der Präsident stellte die Thesen zur Abstimmung durch<br />

die Teilnehmer an der Schlußveranstaltung des Forums.<br />

Die Teilnehmer haben die Thesen in der nachfolgenden<br />

Fassung mit den verzeichneten Stimmergebnissen<br />

(Zahlen = Ja : Nein : Enthaltung) beschlossen.


AnwBl 11/98 549<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />

Das Podium beim Arbeitskreis IV: Qualitätssicherung anwaltlicher Leistungen.<br />

Berufsbild und Berufsverständnis<br />

1. Organisations- und Zusammenarbeitsformen verändern<br />

sich ständig. Kommunikationstechniken entwickeln<br />

sich fort. Dies erfordert, durch geeignete Maßnahmen ausnahmslos<br />

sicherzustellen, daß Unabhängigkeit als Synonym<br />

für Freiheit, daß Parteilichkeit im Mandanteninteresse bei<br />

strikter Wahrung der Verschwiegenheit und daß das Verbot<br />

der Wahrnehmung widerstreitender Interessen, auf das auch<br />

bei Einverständnis verschiedener Auftraggeber nicht verzichtet<br />

werden kann, weiterhin den Kern anwaltlichen Berufsverständnisses<br />

bilden. Der sich steigernde Wettbewerb<br />

im Rechtsberatungsmarkt darf daran nichts ändern.<br />

Nur so wird sichergestellt, daß die Interessen des rechtsuchenden<br />

Bürgers sachgerecht wahrgenommen werden<br />

und Anwältinnen und Anwälte durch ihre Tätigkeit an der<br />

Verwirklichung des Rechtsstaats mitwirken. In diesem<br />

Kern des anwaltlichen Berufsverständnisses, der stärker als<br />

bisher in der Öffentlichkeit zu betonen ist, liegt ein wesentlicher<br />

Wettbewerbsvorteil für Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte.<br />

Das Verbot, widerstreitende Interessen wahrzunehmen,<br />

darf in keiner Berufsordnung zur Disposition der Beteiligten<br />

stehen.<br />

50:0:8<br />

2. Anwaltliche Tätigkeit im Bereich gerichtlicher Verfahren<br />

umfaßt alles, vom Einzelmandat über Parallelprozesse,<br />

Verfahren mit sich ständig wiederholenden Sachverhalten<br />

bis zu serienmäßigen Einziehungsmandaten, welchen<br />

Umfangs auch immer.<br />

61:0:4<br />

3. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind die berufenen,<br />

rechtskundigen Vertreterinnen und Vertreter für alle<br />

Rechtsuchenden. Sie leisten Beistand, vertreten die Rechte<br />

ihrer Mandanten und gestalten dadurch eine freiheitliche,<br />

sozial orientierte Gesellschaft.<br />

67:0:0<br />

Der Anwaltsberuf als selbstgestalteter<br />

Lebensentwurf<br />

Der Wettbewerb im Rechtsberatungsmarkt wird sich<br />

weiter verschärfen.<br />

1. Eine Konzentration der Kanzleien auf bestimmte<br />

Arbeitsfelder ist aus wirtschaftlichen Gründen notwendig.<br />

57:5:5<br />

2. Die Chancen im Wettbewerb werden durch die Größe<br />

einer Kanzlei weder garantiert nocht ausgeschlossen.<br />

61:1:6<br />

3. Anwaltliche Tätigkeit muß sich am Bedarf des Mandanten<br />

orientieren. Dazu erforderliche interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />

darf berufsrechtlich nicht behindert werden.<br />

63:2:3<br />

4. Erfolg erfordert eine zielgerichtete und marktorientierte<br />

anwaltliche Tätigkeit. Neue Beratungsfelder müssen<br />

erkannt, besetzt und konsequent verkauft werden.<br />

50 : 11 : 8<br />

5. Eine Ausbildung, die eine frühzeitige Berufsentscheidung<br />

verlangt, verhindert den Anwalt aus Verlegenheit.<br />

47 : 17 : 4<br />

6. Selbständigkeit, Angestelltenverhältnis und echte<br />

freie Mitarbeit können – soweit sie auf freier Entscheidung<br />

beruhen – gleichwertige Arbeitsformen darstellen.<br />

57:4:7<br />

7. Die Frage angemessener Entlohnung von anwaltlichen<br />

Mitarbeitern bleibt Herausforderung für die Zukunft.<br />

42 : 10 : 16<br />

8. Das Versorgungswerk ist das bedarfsgerechte Altersund<br />

Invaliditätssicherungssystem der Anwältinnen und Anwälte.<br />

Das Befreiungsrecht der angestellten Anwältinnen<br />

und Anwälte darf deshalb nicht angetastet werden.<br />

61:1:8


550<br />

l<br />

Anwaltliche Tätigkeitsbereiche<br />

1. Die Sicherung und mögliche Ausweitung forensischer<br />

anwaltlicher Tätigkeit ist eine berufspolitische Aufgabe; die<br />

Möglichkeiten sind noch nicht voll genutzt. Wegen dernotwendigen<br />

Qualitätsverbesserung in der Justiz ist der Anwaltszwang,<br />

insbesondere an den Amtsgerichten, auszudehnen.<br />

Schwerpunkte der Ausweitung anwaltlicher Tätigkeit<br />

liegen im außerprozessualen Bereich. Hierfür hat das<br />

Gebührenrecht mehr als bisher Anreize zu schaffen.<br />

49:5:12<br />

2. Der Anwalt muß aktiver als bisher den Mandanten<br />

über seine Kompetenzbereiche informieren und zusätzlichen<br />

Beratungsbedarf auch im Rahmen des bestehenden<br />

Mandatsverhältnisses erkennen.<br />

62:0:4<br />

3. Im nichtforensischen Bereich ergeben sich Ausweitungsmöglichkeiten<br />

des anwaltlichen Tätigkeitssepktrums<br />

u.a. in den Bereichen:<br />

– Beratungsmarkt<br />

– außergerichtliche Konfliktbeilegung<br />

– interprofessionelle Kooperation<br />

– Verlagerung aus der Enge der Anwaltskanzlei heraus.<br />

64:0:2<br />

4. Im Beratungsmarkt sind neue Felder zu erschließen,<br />

vorhandenes Terrain ist besser zu nutzen. Anwältinnen und<br />

Anwälte müssen die an benachbarte Berufe verloren gegangenen<br />

Terrains zurückgewinnen, weitere Feldverluste vermeiden<br />

und geeignete Tätigkeitsgebiete neu besetzen.<br />

39 : 13 : 12<br />

5. Im Bereich außergerichtlicher Konfliktbleilegung besteht<br />

Marktpotential u.a. in den Bereichen:<br />

– Mediation (Mediator oder Interessenvertreter der Beteiligten)<br />

– Schiedsgerichtsverfahren (Parteienvertreter oder<br />

Schiedsrichter)<br />

– Institutionalisierte vorgerichtliche Streitbeilegung (als<br />

Parteivertreter oder Schlichter).<br />

62:0:1<br />

6. Die interprofessionelle Kooperation (national und international)<br />

kann sich auf rechtsnahe Bereiche ebenso erstrecken<br />

wie auf eher wirtschaftlich oder technisch definierte<br />

Themen. Eine großzügige Zusammenarbeit mit<br />

Drittberufen ist im Sinne der Berufsfreiheit einerseits und<br />

einer effektiven Mandatswahrnehmung andererseits umfänglich<br />

zu legitimieren, gleich ob in dauerhafter Kooperation<br />

oder einzelfallbezogen.<br />

57:8:4<br />

7. Wünschenswert ist eine Erweiterung der sozietätsfähigen<br />

Berufe auf solche, die dem Gebot der Unabhängigkeit,<br />

der beruflichen Verschwiegenheitspflicht, dem Verbot<br />

der Wahrnehmung widerstreitender Interessen und einer<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

Kammeraufsicht unterliegen. Die jeweiligen Berufsordnungen<br />

sind möglichst weitgehend zu harmonisieren.<br />

54:0:8<br />

8. Das Angebot anwaltlicher Tätigkeit muß den traditionellen<br />

Bereich der Kanzlei verlassen. Alte und neue Medien<br />

sind zu nutzen. Brennpunkte des Rechtsberatungsbedarfs<br />

sind aufzusuchen. Die Qualität der anwaltlichen<br />

Beratungsleistung ist unabhängig vom Ort der Erbringung<br />

und von dem Einsatz der Medien zu gewährleisten.<br />

57:1:4<br />

9. Die Berufsorganisationen haben die Entwicklung<br />

kreativer neuer anwaltlicher Dienstleistungsformen zu fördern<br />

und zu unterstützen.<br />

59:0:3<br />

10. Auch die Rechtsberatung in den Medien ist Anwaltssache.<br />

59:1:1<br />

Qualitätssicherung anwaltlicher Leistungen<br />

1. Die Anwaltschaft hat wegen der hohen Zugangsraten<br />

ein Quantitätsproblem.<br />

53:5:11<br />

2. Die auf den Anwaltsberuf unzureichend vorbereitetende<br />

Juristenausbildung führt bei steigendem Wettbewerb<br />

zu einem sich verschärfenden sozialen Problem, nicht zwingend<br />

zu einem Qualitätsproblem.<br />

51:4:4<br />

3. Der sich forcierende Wettbewerb innerhalb der Anwaltschaft<br />

und mit anderen Anbietern rechtlicher und wirtschaftlicher<br />

Dienstleistungen fördert die Sensibilisierung<br />

der Anwaltschaft für die Notwendigkeit hoher Qualität anwaltlicher<br />

Leistung. Die Anwaltschaft ist heute qualitätsbewußter<br />

denn je.<br />

53:0:6<br />

4. Die Qualität anwaltlicher Dienstleistungen läßt sich<br />

nicht anhand allgemein verbindlicher Standards messen. Es<br />

gibt keine abstrakten, objektiv ableitbaren Qualitätsstandards<br />

für jede Kanzlei. Die Qualitätsstandards sind vielmehr<br />

auf der Basis der von jeder Kanzlei individuell zu<br />

definierenden Kanzleiziele in einem mehrstufigen Prozeß<br />

systematisch zu erarbeiten. Das Berufs- und Haftungsrecht<br />

markiert nur die Mindeststandards anwaltlicher Leistung.<br />

52:2:6<br />

5. Die Anwaltskanzlei muß eine lernende Organisation<br />

sein, die ständig und systematisch unter Einbeziehung aller<br />

Mitarbeiter ihre Qualität prüft und verbessert. Im Qualitätsmanagement<br />

ist der Weg das Ziel. Qualitätsmanagement<br />

legt Stärken, Schwächen und Verbesserungspotentiale offen<br />

und schafft so die Grundlage für eine fortlaufende Qualitätsoptimierung.<br />

56:0:4


AnwBl 11/98 551<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />

6. Qualitätsmanagement ist mehr als kurzfristiges Marketing<br />

und erschöpft sich nicht in der Zertifizierung.<br />

53:2:2<br />

7. Die Anwaltskanzlei muß ihre Qualitätsstandards auch<br />

gegenüber den Mandanten transparent machen.<br />

53:2:3<br />

8. Die Fachanwaltschaften sind ein wesentliches Instrument,<br />

Qualität sichtbar zu machen. Dies setzt voraus, daß<br />

die Qualifikation des Fachanwalts verläßlich gewährleistet<br />

ist.<br />

53:0:4<br />

9. Die Debatte über die falsche Alternative TQM versus<br />

ISO 9000 ist unproduktiv. Beides sind sinnvolle Wege zur<br />

Qualitätssicherung.<br />

42:1:14<br />

10. Das Internet ist ein zukunftsträchtiges Medium der<br />

Information und Kommunikation für und über die Anwaltschaft.<br />

Die derzeit noch bestehenden Sicherheitsprobleme,<br />

insbesondere bei „e-mail“, sind jedoch ernst zu nehmen<br />

und zu lösen.<br />

59:0:0<br />

Auf Antrag des Präsidenten beschließen die Teilnehmer<br />

mit 44 : 12 : 3 Stimmen, bei der Abfassung der Thesen die<br />

männliche und die weibliche Sprachform gleichmäßig zu<br />

berücksichtigen.<br />

Der Präsident dankt allen Mitwirkenden und Teilnehmern<br />

für die so gelungene Gestaltung des Forums und<br />

schließt die Veranstaltung um 13.00 Uhr.<br />

Stärken und Schwächen der<br />

Anwaltschaft *<br />

– Analyse, Kritik, Prognosen –<br />

Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen, München<br />

1. Einleitung<br />

Die Einladung des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (DAV) 1 die<br />

Stärken und Schwächen der Anwaltschaft zu analysieren,<br />

hat ihre Schattenseiten, wenn der Kreis der Zuhörer hauptsächlich<br />

aus Anwälten besteht. Sie wissen ja: Zwei<br />

Anwälte – vier Meinungen! Unter fast 500 Anwälten muß<br />

ich also mit 1.000 Meinungen rechnen – und davon habe<br />

ich selbst leider nur zwei.<br />

Trotzdem habe ich diese Einladung gern angenommen,<br />

weil sie mir Gelegenheit zu einem ganz persönlichen Resümee<br />

gibt: Genau vor 25 Jahren habe ich meine Zulassung<br />

bekommen und zusammen mit drei Freunden aus einer<br />

Referendargruppe das getan, wovor uns jeder warnte: Wir<br />

haben uns selbständig gemacht! Der Markt war damals<br />

allerdings viel günstiger als heute: Es gab nur 30.000 An-<br />

wälte! Dafür aber fehlte jede Unterstützung von außen, wie<br />

sie der DAV in seinem Forum für junge Anwälte oder die<br />

Anwaltakademie mit ihren Kursen heute anbieten. Daß ältere<br />

Kollegen den jüngeren mit ihrem Wissen aufs Fahrrad<br />

helfen und so die künftige Konkurrenz schlau machen – das<br />

hätte man damals nicht für möglich gehalten.<br />

Warum sind wir als junge Anwälte nicht zu anderen<br />

Büros gegangen? Weil sich in den Sozietäten alten Stils ein<br />

selbstbewußter Unter- oder Mittelbau nur schwer entwikkeln<br />

konnte. Damals war es der individuelle Stil der Seniorpartner,<br />

der alles bis zur letzten Sekretärin hinunter prägte,<br />

wobei man die jungen Anwälte nicht selten wie Champignons<br />

behandelte: Man wurde in dunkle Zimmer geworfen,<br />

mit Aktenmist bis zur Nase zugedeckt und kaum steckte<br />

man den Kopf heraus, wurde man in Stücke gehackt und jemand<br />

zum Fraß vorgeworfen. Manche von uns hatten nach<br />

zwei Jahren noch keinen Mandanten gesehen und keinen<br />

Schriftsatz unterschrieben, sondern sammelten Urteile oder<br />

verfertigten Gutachten, deren Zweckbestimmung uns dunkel<br />

blieb. Vor all dem hatten wir mehr Angst als vor den<br />

Dschungeln des Marktes und der Unberechenbarkeit der<br />

Mandanten, die draußen auf uns warteten.<br />

So fingen wir also selbst an, mit einem Telefon, einer alten<br />

Kugelkopf-Schreibmaschine für sechshundert Mark –<br />

damals das Non-plus-ultra der Bürotechnik – und einem<br />

Haufen Durchschlagpapier, denn einen Kopierer, den man<br />

sich hätte leisten können, gab es damals noch nicht. Das<br />

Münchner Oktoberfest 1973 lieferte uns den ersten Fall:<br />

Jemand hatte seinem besten Freund einen Maßkrug über<br />

den Kopf gezogen. Das Rückgrat des Ganzen war unsere<br />

erste Sekretärin, die noch heute bei uns ist, denn die war<br />

schon etwas länger im Geschäft: Sie hat uns bei dem Bemühen,<br />

uns freizuschwimmen, mit mehr Beifall bedacht als<br />

unsere Mandanten.<br />

Diese Anfänge und die Erfahrungen, die ich während<br />

der folgenden fünfundzwanzig Jahre gemacht habe, bilden<br />

den Hintergrund für fünf Themen, in denen sich die Stärken<br />

und Schwächen der Anwaltschaft am besten widerspiegeln:<br />

– Der Anwalt als Interessenvertreter<br />

– Die Anwälte im Markt für rechtliche Dienstleistungen<br />

– Die Ausbildung der Anwälte<br />

– Das Honorarsystem<br />

und<br />

– Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

1. Die entscheidende Perspektive:<br />

Das Interesse des Mandanten<br />

Wenn man den Beitrag analysiert, den die Anwälte zur<br />

staatlichen und privaten Rechtsordnung leisten, sieht das<br />

Ergebnis so aus:<br />

– Wir setzen Ansprüche im Wege der Verhandlung und<br />

gerichtlicher Maßnahmen durch<br />

* Plenarvortrag in der Eröffnungssitzung des Forums „Zukunft<br />

der Anwaltschaft“ im Kongreßzentrum Mainz am<br />

1. Oktober 1998. Die Überlegungen sind auch Gegenstand<br />

des Buches des Referenten „Anwalt und Mandant“,<br />

das alsbald im Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln,<br />

erscheint.<br />

1 Das Thema knüpft an Hans-Jürgen Rabes Vortrag von 1971 an: „Der Beruf des<br />

Anwalts, Herausforderung in Gegenwart und Zukunft (AnwBl 1971, 226).


552<br />

l<br />

– Wir lösen die Probleme nur aus der Perspektive des<br />

Mandanten heraus und dienen niemals anderen Interessen –<br />

nicht einmal den eigenen. 2<br />

– Wir sind unabhängige und verschwiegene Berater<br />

– Wir arbeiten an den Strukturen des Rechtssystems, in<br />

dem wir Schneisen in den Urwald der Tatsachen und Meinungen<br />

schlagen<br />

– Wir beeinflussen den Stil der Rechtskultur durch das<br />

Beharren auf kritischer Vernunft<br />

– Dabei testen wir die Gesetze und deren Gebrauch anhand<br />

der Konflikte von Einzelinteressen, machen deren<br />

Mängel sichtbar und sorgen für die Akzeptanz der Ergebnisse<br />

und<br />

– Wir haften für die Ergebnisse unserer Arbeit<br />

All das geschieht aber nur und erst dann, wenn wir einen<br />

Auftrag dazu erhalten. 3<br />

Vertretung von Interessen<br />

Dabei unterscheidet sich unsere Arbeit von der anderer<br />

Berater durch einen Faktor, der gleichzeitig auch der wichtigste<br />

für unsere gesamte Arbeit ist: Wir sind immer im<br />

ausschließlichen Interesse unseres Auftraggebers tätig und<br />

müssen dessen Sicht der Dinge einseitig, also parteilich,<br />

durchsetzen. 4 Dabei kann man allerdings nur Erfolg haben,<br />

wenn man alle anderen Perspektiven ebenfalls untersucht<br />

und die Risiken und Chancen des Mandanten sorgfältig abwägt.<br />

Wer den Interessen des Mandanten treu dient, wird<br />

ihm oft etwas ganz anderes vorschlagen als ursprünglich erkennbar<br />

war: Unsere Leistung besteht nicht darin, Anweisungen<br />

auszuführen, sondern<br />

– Risiken zu bewerten,<br />

– Alternativen zu erarbeiten und<br />

– Entscheidungen durchzusetzen.<br />

Damit haben wir gleichzeitig auch die größte Konfliktquelle<br />

entdeckt, die Anwälte haben: Es ist die Frage, bis zu<br />

welchem Punkt sie für einen Mandanten noch tätig sein<br />

können, wenn sie seine Interessen nicht (oder nicht mehr)<br />

teilen.<br />

Der Anwalt als Condottiere<br />

Ein kurzer Blick in die Rechtsgeschichte zeigt, daß diese<br />

Auffassung von der Funktion der Anwälte eine uralte Tradition<br />

hat.<br />

Das Argumentieren durch Rede und Gegenrede um<br />

Rechte und Pflichten, Schuld und Sühne, ist das älteste<br />

Konfliktregelungssystem seit Menschengedenken weit vor<br />

jener Zeit, in der man von der Entwicklung kultureller Institutionen<br />

sprechen kann. 5 Schon vor fünfzehnhundert Jahren<br />

hat sich das Rechtssystem, in dem wir uns heute bewegen,<br />

in allen wesentlichen Grundzügen entwickelt. Über<br />

die Anwälte heißt es etwa im Codex Justianus:<br />

„Die Advokaten 6 , die die Probleme eines Falles ... klären<br />

und den Betroffenen helfen, das Recht wieder herzustellen,<br />

sind den Bürgern nicht weniger nützlich als der den<br />

Schlachten und Wunden trotzende Krieger, der für die Verteidigung<br />

seines Vaterlandes und für die Familie kämpft.“ 7<br />

Hier entsteht erstmals das Bild des Anwalts als Strategen<br />

8 , dem man zwar Ziele vorgibt, ihm aber die Wahl der<br />

Mittel überläßt, denn die übernommene Aufgabe gefährdet<br />

ihn stets auch selbst.<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

Dieses Bild des Landsknechts 9 für fremde Interessen ist<br />

auch der deutschen Rechtstradition nicht fremd 10 , hat in<br />

Deutschland aber – im Gegensatz zur angelsächsischen,<br />

französischen und italienischen Rechtskultur – nie recht<br />

Fuß fassen können. 11 Noch die Preußische Gerichts-Organisations-Verordnung<br />

von 1849, die in Deutschland erstmals<br />

offiziell den Begriff „Rechtsanwalt“ als Titel einführt 12 ,<br />

versteht unter ihm einen Halbbeamten, der in der Regel<br />

gleichzeitig Notar ist und keinesfalls ausschließlich für die<br />

Mandanteninteressen kämpft. 13 Die Anwälte, die die Revolutionsversuche<br />

von 1848 wesentlich beeinflußten 14 , hatten<br />

sich das anders vorgestellt.<br />

2 Deshalb haben Anwälte die Pflicht, auf eigene Fehler hinzuweisen (BGH<br />

NJW 1995, 2250) und können sich in Strafsachen nicht selbst verteidigen<br />

(BVerfG NJW 1998, 2005). Das allerdings nur im Kernbereich der anwaltlichen<br />

Tätigkeit. Sobald wir als Schiedsrichter, Mediatoren, Treuhänder, Konkursverwaltern<br />

oder in vergleichbaren Positionen tätig sind, gelten andere<br />

Pflichtenkreise.<br />

3 In Deutschland kommen diese Aufträge meist von Personen oder Firmen in<br />

deren Privatinteresse, in den Ländern des Common Law stammen sie häufig<br />

auch von Kommunen, Behörden, halbstaatlichen Instituten und ähnlichen<br />

Auftraggebern.<br />

4 Die Pflicht zur Einseitigkeit hindert aber natürlich nicht daran, Konflikte vergleichsweise<br />

zu lösen, wenn nur der Vergleich im wirklichen Interesse des<br />

Mandanten liegt (andernfalls drohen Haftungsrisiken (BGH VersR 1949, 638).<br />

5 Die germanischen Thingversammlungen, auf denen das geschah und über die<br />

Tacitus berichtet, sind mit Sicherheit schon sehr späte Entwicklungen. (Germania<br />

12.1 cit. n. Wesel „Geschichte des Rechts“ S. 267). Das zeigt die soziologisch-ethnologische<br />

Literatur (Wesel aaO).<br />

6 Lateinisch: „Der Hinzugerufene“.<br />

7 Codex Justinianus (de advoc.div. iud. 2.7 cit. n. Hartstang „Der deutsche<br />

Rechtsanwalt – Rechtstellung und Funktion in Vergangenheit und Gegenwart<br />

– 1986, S. 9).<br />

8 Cicero hat etwa 500 Jahre früher in seinem berühmten Plädoyer für Murena<br />

eine ähnliche Definition verwendet: „Wie kann man bezweifeln, daß Kriegsruhm<br />

zum Erwerb des Konsulats viel mehr Gewicht verleiht als Ansehen im<br />

bürgerlichen Recht! Du wachst vor Tagesanbruch, um deinen Klienten Bescheid<br />

zu geben, – er, um mit seinem Heer bei Zeiten das Marschziel zu erreichen;<br />

Dich weckt der Hahnenschrei, – ihn der Klang der Trompeten; – Du bereitest<br />

den Prozeß vor, – er stellt die Schlachtformation auf; Du suchst zu<br />

verhindern, daß Deine Klienten, – er, daß Städte und Läger überrumpelt werden;<br />

er weiß und kennt sich aus wie man feindliche Truppen, Du, wie man<br />

Regenwasser abwehrt“; (da geht es um Nachbarschaftsstreitigkeiten); „er versteht<br />

sich darauf, die Grenzen auszuweiten, Du, sie zu ziehen“ (auch hier<br />

greift das Bild Grenzstreitigkeiten auf)“. Cicero „Die politischen Reden I“<br />

(Sammlung Tusculum 1993 S. 527 f: Das Plädoyer führte zum Freispruch<br />

(aaO S. 729).<br />

9 Dieses Bild mag manchem Anwalt etwas einseitig erscheinen, denn natürlich<br />

trägt unsere Arbeit zum Rechtsfrieden bei, diejenige der Soldaten aber zur<br />

Friedhofsruhe. Gleichwohl brauchen wir diese Überzeichnung, da sich sonst<br />

unsere Arbeit nicht von der anderer Berater genügend abhebt, die auch im<br />

rechtlichen Dienstleistungsmarkt tätig sind.<br />

10 Der germanische „Vorsprecher ist des Rechtes Ritter“ cit. n. Hartstang S. 11.<br />

11 Noch heute ist der Beitrag der Rechtsanwälte zum Rechtssystem in Deutschland<br />

so wenig präsent, daß Uwe Wesel in seiner jüngst erschienenen „Geschichte<br />

des Rechts“ (1997) nicht einmal ein Stichwort für sie übrig hat. Dieses<br />

Buch, das „von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht“ reicht,<br />

räumt Detailproblemen, wie den Brautpreisschulden in Afrika oder Babylonien<br />

immerhin einige Seiten ein (S. 38, S. 86). Daß die Anwälte seit über 100<br />

Jahren ihren Beitrag zur Rechtskultur leisten, würde man in einem solchen<br />

Buch gern beschrieben finden – von den Leistungen der Anwälte, die als Parlamentarier<br />

tätig sind, den Verbandsanwälten und vielen anderen mittelbaren<br />

Einflüssen der Anwaltschaft ganz abgesehen.<br />

12 Zuvor taucht die Bezeichnung, jedoch ohne vergleichbare Bedeutung erlangt<br />

zu haben, in einer Novelle zur Bayer. Gerichtsordnung von 1753 vom<br />

31.8.1804 auf (Hartung/Holl „Kommentar zur Berufsordnung“ (1997) Rn 10<br />

zu § 1).<br />

13 Trotz dieser eingeschränkten Stellung waren die Anwälte damit geradezu privilegiert,<br />

wenn man sieht, wie in den 150 Jahren davor mit ihnen umgesprungen<br />

wurde. Die berühmte Kabinettsorder Friedrichs II. vom 15.12.1776, mit<br />

der den Anwälten die Talare verordnet wurden „damit man diese Spitzbuben<br />

schon von weitem erkennt“ (Hartung aaO S. 31) war noch harmlos gegenüber<br />

der Anordnung seines Vaters Friedrich Wilhelm der I., der 1713 befahl „das<br />

die übrige Advocahten und Procuratores Ihr handtwerg niederlehgen und ein<br />

ander Profession anfangen .... Die keine Pattent von mir haben und vocieren<br />

oder schreiben Memorial die sollen gebrant-Marg werden und ewig in die<br />

Karre gespannet werden ..“. Nur ein Drittel der Advokaten erhielten königliche<br />

Lizenz und für diese verordnete er schon damals: „Die Advocatten sollen<br />

schwartz gehen mit ein mentelchen biss an die Knie“ und zwar nicht nur innerhalb<br />

des Gerichtssaales sondern auch außerhalb ihrer eigentlichen Berufsausübung.<br />

Damit waren die Anwälte nahe bei den Abdeckern, Henkern und<br />

Totengräbern angesiedelt und nicht wenige von ihnen ließen die angebotenen<br />

königlichen Patente verfallen, weil ihr Stand so verrufen war, daß sie nicht<br />

einmal mehr heiraten konnten: Eine Berliner Zeitung vom 2.6.1714 schreibt:<br />

„Das hiesige Frauen-Zimmer scheinet sich zum Theil einen Ekel vor diese<br />

Mäntel zu haben“ (Hartstang aaO S. 16).<br />

14 Unter ihnen Ludwig Uhland, Hecker, Theodor Storm, Carl Stüve, Itzstein,<br />

Moosdorf, Oetker, Tzschirner u. a. Hartstang aaO FN 4 S. 20 f.


AnwBl 11/98 553<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />

Schrittweise immerhin ist die Entwicklung dann doch<br />

auf einen Status zugelaufen, wie ihn unsere Kollegen in anderen<br />

Ländern schon seit vielen hundert Jahren genießen.<br />

Qualitätstester<br />

Die engagierte Interessenvertretung ist keine einfache<br />

Sache, denn wenn wir im Interesse und Auftrag von einzelnen<br />

Mandanten das Rechtssystem testen und auf Schwachstellen<br />

abklopfen, gewinnen wir damit nicht nur Freunde.<br />

Nicht alle empfinden es als hilfreich, wenn wir unerbittlich<br />

nach den Lücken im Gesetz 15 forschen, obgleich das jeder<br />

andere Qualitätstester auch tut!<br />

Was bedeutet es denn, eine „Lücke“ im Gesetz auszumachen?<br />

Fehlt es dem Gesetz an „Nahtlosigkeit“, indem es<br />

Interpretationen zuläßt, die eigentlich nicht sein sollten?<br />

Oder war die Lücke beabsichtigt, um Ermessensspielräume<br />

zu lassen? Oder ist es überhaupt keine Lücke? Wir können<br />

keine Texte erzeugen, die so dicht sind wie Betonwände,<br />

weil Worte dem Gedankenaustausch dienen und Gedanken<br />

keine Sachen sind. Eindeutigkeit widerstrebt Worten, Mehrdeutigkeit<br />

schafft Lücken. Diese Lücken können gut oder<br />

schlecht sein, bleiben sie aber unentdeckt, so ergeben sich<br />

aus ihnen latente Gefahren für alle Beteiligten. So sorgt<br />

auch der ärgste Querulant dafür, daß gefährliche Lücken<br />

durch gerichtliche Interpretationen geschlossen werden, mit<br />

denen die Risse im Gesetz dann verspachtelt werden können.<br />

Man braucht sich nur die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

zum rechtlichen Gehör anschauen, um<br />

zu merken, daß die wichtigsten Grundsatzentscheidungen<br />

von Leuten herbeigeführt werden, die die Tatsacheninstanzen<br />

meist als Querköpfe, Querulanten oder solche ansah,<br />

die von allen guten Geistern verlassen waren. So kommt es,<br />

daß eine Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

zur fairen Verhandlungsführung durch das Gericht sich an<br />

der Frage entzündete, ob eine Kaffeemaschine mangelhaft<br />

war. 16 Grundfragen im Verhältnis zwischen dem europäischen<br />

und dem nationalen Arbeitsrecht wurden am Fall<br />

einer Sparkassen-Putzfrau aus Schleswig-Holstein geklärt 17<br />

und das anwaltliche Standesrecht kippte, als ein Anwalt<br />

sich eine Rüge der Kammer zugezogen hatte, weil er einen<br />

Richter, mit dem er sich zerstritten hatte, in einem Schriftsatz<br />

wissen ließ: „Ich muß sagen, ich habe im Laufe meines<br />

langen Anwaltslebens schon manchen Unsinn gelesen.<br />

Dies übersteigt jedoch das übliche Maß ...“. 18<br />

All das waren entweder Lücken in den Gesetzen oder<br />

die Leute, die sie auslegten, hatten Fehler gemacht. Manche<br />

Lücken sind feine Haarrisse, die man kaum entdecken<br />

kann, andere sind so breit wie Autobahnen, was man zum<br />

Beispiel vom anwaltlichen Standesrecht sagen kann: Daß<br />

dieses Regelwerk keine verfassungsgemäße Grundlage<br />

hatte, wußte man schon seit langem, es fehlte aber über lange<br />

Jahre jener Naive, der sich mit dem Kaiser ohne seine<br />

Kleider nicht abfinden wollte. Nun hat der Kaiser endlich<br />

etwas zum Anziehen, was ihm wie ich meine, nicht<br />

schlecht steht und wieder ist eine Lücke im Gesetz geschlossen.<br />

Kurz: Würde man nicht eifrig nach den Lücken<br />

im Gesetz suchen, dann könnte man sie nicht schließen, bevor<br />

wirklich tiefgreifender Schaden entsteht!<br />

Das ist unser wichtigster Beitrag zur Rechtskultur! Wir<br />

können ihn nur durch Widerspruch und durch Unterstützung<br />

der Einzelinteressen gegenüber den Kollektivinteressen<br />

leisten.<br />

Dabei geraten wir unvermeidlich einmal auf die eine,<br />

dann auf die andere Seite, was Heinrich Heine zu der Be-<br />

merkung verführt hat, wir seien die „Bratenwender der Gesetze“.<br />

19 Dieses tiefe moralische Problem kann man nur<br />

sehr vordergründig dadurch lösen, daß man z. B. nur den<br />

Verbraucher, nicht aber den Unternehmer oder nur den Vermieter,<br />

nicht aber den Mieter vertritt: So unvermeidbar eine<br />

solche Polarisierung in einzelnen Fächern sein mag, so sehr<br />

versperrt sie den Blick für die Berechtigung der jeweils anderen<br />

Position und läßt damit die wichtigste Eigenschaft<br />

verdorren, die in der anwaltlichen Arbeit entstehen soll: Es<br />

ist die Fähigkeit, jede vorgetragene Position immer wieder<br />

unvoreingenommen auf ihre Berechtigung zu untersuchen<br />

und mit dem Rechtssystem zu vergleichen.<br />

Diese konfliktreiche Arbeit erfordert einen ganz individuellen<br />

Stil, der vom Arbeitsgebiet, den Mandanten und<br />

vielen anderen Faktoren beeinflußt wird. Es gibt sicher keinen<br />

Beruf, der so charakterprägend ist, wie der des Anwalts.<br />

Die Steuerrechtler sind oft staubtrockene Gesellen,<br />

die nichts zu lachen haben 20 , ganz anders als die Musikund<br />

Medienanwälte, die jeden Tag von ihren Mandanten<br />

dramatische Briefe bekommen, bei denen sie aber oft nicht<br />

wissen, ob sie eher lachen oder weinen sollen. 21 So entwikkeln<br />

Anwälte alle möglichen Variationen zwischen steinerner<br />

Verbissenheit und jovialer Schlitzohrigkeit. Manche<br />

werden Zyniker, also Leute, die von allem den Preis, aber<br />

von nichts den Wert kennen (Oskar Wilde), andere leiden<br />

unter der Staublunge der Juristen – der Rechthaberei – und<br />

schließlich gibt es eine ganze Menge Kollegen, die gegen<br />

alle negativen Einflüsse immun sind, sich ihre gute Laune<br />

behalten und auch nach vielen Berufsjahren ihren Mandanten<br />

mit Interesse und Mitgefühl entgegentreten.<br />

Der Schutz der Grundrechte<br />

Die verschwiegene Arbeit an ausgewogenen Lösungen<br />

aus der Perspektive des Mandanten ist nur innerhalb eines<br />

rechtlich besonders geschützten Rahmens möglich, den andere<br />

Berater, die nicht so strengen Anforderungen ausgesetzt<br />

sind wie wir, nicht vergleichbar benötigen. Innerhalb<br />

dieses Rahmens brauchen wir den Schutz der Grundrechte 22<br />

dringender als alles andere für unsere Arbeit.<br />

Dazu gehören neben dem Recht auf Meinungsfreiheit in<br />

allen Verfahrensarten 23 auch der Schutz der Räume, die das<br />

Zentrum unserer Arbeit bilden, die nicht nur aus Gedanken,<br />

sondern vor allem aus Worten besteht. In unseren Räumen<br />

wird mehr als in anderen über Schicksale gesprochen und<br />

15 „Fatta la legge, trovato l´inganno“ – „Kaum ist das Gesetz gemacht, schon findet<br />

man die Umgehung“, ein italienisches Sprichwort, aus dem jahrtausende<br />

alte Erfahrung spricht.<br />

16 BVerfG NJW 1987, 2003.<br />

17 EuGH NJW 1994, 2343 – Christl Schmidt.<br />

18 BVerfG NJW 1988, 191.<br />

19 Cit. n. Söhn „Diese illiberalste Wissenschaft – Heinrich Heine und die Juristerei“<br />

NJW 1998, S.1358 (1361).<br />

20 Zu den Ausnahmen, die diese Regel bestätigen, gehört unser neuer DAV-Präsident<br />

Michael Streck, dem nicht einmal die Tätigkeit als Steuerstrafverteidiger<br />

den Spaß am Beruf verdorben hat. Dieser Spaß entsteht für Juristen, die Freude<br />

an Worten, ihrer Bedeutungsvielfalt und ihrer differenzierten Interpretationen<br />

haben, nahezu täglich.<br />

21 Wie soll man einer Schauspielerin, die früher ein Mann war, die Ansicht des<br />

Bundesarbeitsgerichts verdolmetschen, daß „der Irrtum über eine geschlechtsumgewandelte<br />

Person .... ein solcher über eine verkehrswesentliche Eigenschaft<br />

(ist)“. (BAG NJW 1991, 2723)?<br />

22 Bericht Gellner BRAK-Mitteilungen 1998, 73; Palme/ Raum „Zur verfassungsrechtlichen<br />

Problematik des großen Lauschangriffs“ JZ 1994, 447; Lorenz<br />

„Aktionismus, Populismus – Symbolismus“ Goldtdammers Archiv 1997,<br />

51; SachVerfGH vom 14.05.1996, DVBl 1996, 1423.<br />

23 BVerfG NJW 1996, 3267 – Prozeßbeleidigung; KG Berlin AnwBl 1998, 278 –<br />

Mauerschützenprozeß.


554<br />

l<br />

über Schicksale entschieden. Beim Lauschangriff sind wir<br />

einstweilen nochmal davongekommen. Trotzdem bin ich<br />

tief erschreckt, daß offenbar nur praktizierende Anwälte in<br />

diesem Punkt die nötige Sensibilität aufbringen und man<br />

das Gespür für diesen Schutzbereich schnell verliert sobald<br />

man Politiker wird, wie Otto Schily, dessen Schwierigkeiten<br />

in den eigenen Reihen und Bemühungen um Kompromisse<br />

ich allerdings nicht bestreiten will.<br />

2. Die Rechtsanwälte im Markt für rechtliche<br />

Dienstleistungen<br />

Die Berater im Markt<br />

Der Markt für rechtliche Dienstleistungen ist nahezu unbegrenzt<br />

groß. Rechtsrat wird überall dort gebraucht wird,<br />

wo Konflikte entstehen können – und das ist bekanntlich<br />

überall. Deshalb bewegen sich alle Berufe, die sich auch<br />

nur im entferntesten damit beschäftigen, jemandem einen<br />

Rat zu geben im Markt für rechtliche Dienstleistungen –<br />

auch wenn sie es selbst nicht immer wahrnehmen. Sie werden<br />

sogar haftungsrechtlich dazu gezwungen, sich auch<br />

über die rechtlichen Konsequenzen ihrer Tätigkeit klarzuwerden.<br />

Vielfach – so etwa bei Architekten und Bauingenieuren<br />

– müssen sie auf ihrem Fachgebiet über rechtliche<br />

Risiken nahezu das gleiche wissen, wie ein Anwalt. 24 Das<br />

gilt auch für Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Unternehmensberater,<br />

Personalvermittler, Werbeagenturen, Handelsvertreter,<br />

Literatur- und Medienagenten, Grundstücksmakler,<br />

Finanzberater, Versicherungs-makler und andere Berufe.<br />

25<br />

Neben ihnen sind zur Rechtsberatung außerdem ermächtigt<br />

die Behörden und Körperschaften des öffentlichen<br />

Rechts, die Verbraucherzentralen, die berufsständischen<br />

Vereinigungen und Verbände und natürlich darf jedermann,<br />

insbesondere Professoren, Richter und pensionierte Verwaltungsbeamte,<br />

„wissenschaftlich begründete Gutachten“ erstatten<br />

oder als Schiedsrichter tätig sein. 26<br />

Nimmt man all diese Personen zusammen, dann übersteigt<br />

ihre Zahl mit Sicherheit die aller zugelassenen Anwälte<br />

und sie sind im Bewußtsein der Allgemeinheit viel<br />

präsenter als wir. Dabei erkennt der Markt nicht, daß er<br />

hier in vielen Fällen nur Rechtsrat mit beschränkter Haftung<br />

erhält, weil die Ratschläge entweder unverbindlich<br />

sind oder – wie vor allem bei Rechtsgutachten selten –<br />

nicht gleichzeitig die Möglichkeit oder gar die Pflicht zur<br />

Ermittlung der Tatsachen umfassen.<br />

Es ist uns bisher nicht annähernd gelungen, unseren<br />

Mandanten klarzumachen, warum sie zum Beispiel als Manager<br />

sich bei ihren Verträgen von einem Anwalt statt von<br />

einem head-hunter über die Vor- und Nachteile des Anstellungsvertrages<br />

beraten lassen sollen. 27<br />

Wenn wir selbst den Wert einer interessenorientierten<br />

Rechtsberatung nicht erkennen, wie sollen wir ihn unseren<br />

Mandanten vermitteln können? Das müssen wir lernen und<br />

deshalb sehen wir den Anwaltsmarkt viel zu eng: Das Bedürfnis<br />

nach einer in taktischer Hinsicht nur aus der Perspektive<br />

des Mandanten erarbeiteten Strategie ist viel größer<br />

als wir denken.<br />

Im engeren Bereich der Rechtsberatung sind neben uns<br />

in erster Linie die Notare, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater<br />

tätig. Aus der Perspektive unserer Mandanten ist bisher<br />

bei weitem nicht klar genug, daß Notare 28 ebenso wie<br />

Wirtschaftsprüfer zur Objektivität verpflichtet sind und gerade<br />

nicht die einseitige Interessenwahrnehmung betreiben<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

dürfen, die den entscheidenden Vorteil für den Mandanten<br />

ausmacht. Die Steuerberater wiederum sind zwar Interessenvertreter,<br />

aber meist ohne juristische Ausbildung und es<br />

fehlt ihnen – wie übrigens auch den Notaren und Wirtschaftsprüfern<br />

– am täglichen Konflikttraining, wie man es<br />

nur mit gleichgewichtigen Partnern erwerben kann: Eine<br />

Behörde sitzt – bis man sie gerichtlich zwingen kann – zunächst<br />

immer am längeren Hebel. „Steuergerechtigkeit“ ist<br />

schon begrifflich ein Widerspruch 29 , denn am Ende kann<br />

man dem Staat kaum das Recht streitig machen, die Löcher<br />

zu stopfen: Den Rat, vielleicht auch mal die Socken zu<br />

wechseln, kann man ihm nur auf politischer Ebene geben.<br />

Es hat immer wieder Versuche gegeben, den Markt der<br />

rechtlichen Dienstleistungen so zu definieren, daß nur die<br />

Anwälte sich in ihm bewegen können. Ob ein solches Monopol<br />

wünschenswert wäre, kann ich dahingestellt sein lassen,<br />

denn es ist jedenfalls praktisch nicht durchsetzbar und<br />

die Grenzziehung würde allzuoft auch nicht im Interesse<br />

von Mandanten liegen, die einheitliche Lösungen aus einer<br />

Hand haben wollen.<br />

Wenn wir also einmal über den Tellerrand hinaus den<br />

riesigen Markt rechtlicher Dienstleistungen sehen, der nur<br />

darauf wartet, erschlossen zu werden, könnten wir uns vor<br />

Arbeit nicht mehr retten. Wir müssen dazu nur unseren<br />

Mandanten ein Gefühl dafür vermitteln, worin der Unterschied<br />

zwischen einer gewerblichen Beratung und der anwaltlichen<br />

Interessenvertretung besteht.<br />

Was wir dazu brauchen ist die nötige Offenheit des<br />

Denkens 30 und die Bereitschaft zu fachübergreifenden Kooperationen<br />

31 , in denen wir unsere Kenntnisse ganz anders<br />

vermarkten können, als es derzeit noch der Fall ist. Unser<br />

Produkt ist ja nicht nur der Rechtsrat, der, wie wir alle wissen,<br />

nur einen Teil des strategischen Konzepts bildet, das<br />

wir unseren Mandanten auch in den einfacheren Fällen zuliefern.<br />

Im Grunde sammeln wir Informationen, die wir<br />

24 Kniffka „Die Zulässigkeit rechtsbesorgender Tätigkeiten durch Architekten,<br />

Ingenieure und Projektsteuerer“ Zeitschrift für Baurecht 1994, 253 und 1995,<br />

10.<br />

25 Die entweder im Rechtsberatungsgesetz ausdrücklich genannt sind (s. § 1<br />

Abs. 1 Nr. 1 – 6 RBerG) oder die sonst „für ihre Kunden rechtliche Angelegenheiten<br />

erledigen, die mit einem Geschäft ihres Gewerbebetriebes im<br />

unmittelbaren Zusammenhang stehen. (§ 5 Ziff. 1 RBerG): BVerfG<br />

AnwBl 1998, 274 – Masterpat – Patent-Überwachung; BGH NJW 1996,<br />

1965 – Kfz-Haftpflichtversicherer; OLG Hamburg TranspR 1996, 280 –<br />

Transportversicherer; BFH NJW 1995, 1576 (Leitsatz) – Bausparvermittler;<br />

LG Hamburg AnwBl 1994, 252 – Immobilienmakler; OLG Frankfurt NJW –<br />

RR 1993, 335 – Hausverwalter BayObLG NJW – RR 1992, 81 – WEG-Verwalter;<br />

OLG Stuttgart VersR 1991, 883 – Versicherungsberater; OLG Hamm<br />

NJW – RR 1989, 1061 – Arztpraxisvermittler; OLG Hamm NJW – RR 1986,<br />

705 – Rechtsschutzversicherer.<br />

26 § 2 RBerG.<br />

27 Die Kienbaum Unternehmensberatung bietet z. B. eine Fülle intensiv recherchierter<br />

Informationen über angemessene Managergehälter, die keinem Anwalt<br />

zur Verfügung stehen, weil sie unveröffentlichtes Know-how darstellen<br />

und bei vielen Fragen, wie z. B. den Pensionsansprüchen, sind kaufmännische<br />

und rechtliche Aspekte so eng verwoben, daß man den Managern fast keine<br />

Vorwürfe machen kann, wenn sie beides nicht voneinander trennen. Diese<br />

fehlende Trennschärfe geht sogar soweit, daß im Rahmen von Ausschreibungen<br />

zu unerlaubter Rechtsberatung aufgefordert wird (BRAK-Mittl. 1997,<br />

132).In ähnlicher Weise bieten EDV-Consultingfirmen ihren Kunden neben<br />

der technischen Kompetenz gleich auch den „Standard-Projektvertrag“ an, den<br />

sie nicht nur als Formular verkaufen sondern voll durchverhandeln. Dabei<br />

werden nicht selten auch die eigenen Rechtsabteilungen umgangen, „weil die<br />

von Computern ohnehin keine Ahnung haben“.<br />

28 BGH DNotZ 1987, 157; BGH NJW 1969, 929 – Zwangsversteigerung.<br />

29 Dazu Offerhaus, Präsident des Bundesfinanzhofes, Süddeutsche Zeitung vom<br />

24./25. Mai 1998, S. 31.<br />

30 So wie es von Karl Popper für die offene Gesellschaft definiert worden ist<br />

(„Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ Bern 1957).Nur in einer offenen<br />

Gesellschaft ist Toleranz möglich, eines der wichtigsten Elemente eines funktionierenden<br />

Rechtssystems (Arthur Kaufmann „Rechtsphilosophie“ 2. Auflage<br />

1997, S. 340).<br />

31 Das hat schon Redeker in „125 Jahre <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong>“ S. 159 ff. angemahnt.


AnwBl 11/98 555<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />

strukturieren und deren Ergebnisse wir unseren Mandanten<br />

und anderen verdolmetschen: Die Kommunikation in rechtlichen<br />

Konfliktfeldern ist die Basis unseres Berufes. Dieser<br />

Markt wird aus verschiedenen Gründen auch in der Zukunft<br />

erhebliche Zuwachsraten haben:<br />

– Die Wirtschaftsentwicklung und damit die Rechtsentwicklung<br />

in Deutschland, der EU und dem Ausland wird<br />

auch und gerade in Zeiten der Rezession eher komplexer<br />

– Die Information als solche und die technische Entwicklung<br />

um sie herum werden das 21. Jahrhundert noch<br />

deutlicher prägen als die letzten dreißig Jahre<br />

– Wir haben jetzt immerhin die Marketing-Werkzeuge,<br />

um den Wert unserer Dienstleistung verdeutlichen zu können<br />

und werden davon hoffentlich auch erfolgreich Gebrauch<br />

machen.<br />

Der Streit darüber, ob Rechtsanwälte auch „unabhängige<br />

Organe der Rechtspflege“ sind, ist nur ein Streit um Worte:<br />

Die Bindung der Anwälte an das Rechtssystem ist die wesentlichste<br />

Voraussetzung ihrer Tätigkeit. Anwälte sind<br />

keine Partisanen sondern Landsknechte, die mit der Position<br />

ihrer Mandanten zugleich auch das Recht sichern. Deshalb<br />

dürfen Rechtsanwälte nicht gleichzeitig gewerblich tätig<br />

sein, haben also keine Möglichkeit ihrerseits, in die<br />

Märkte der Berater einzubrechen, die ihnen Konkurrenz<br />

machen. 32<br />

Das geht auch aus haftungsrechtlichen und steuerrechtlichen<br />

Gründen nicht. 33<br />

Allerdings sehe ich viele Kollegen, die sich an gewerblichen<br />

Unternehmen beteiligen, deren Tätigkeit unserer<br />

Arbeit nahesteht, also an Unternehmensberatungen, Maklerfirmen<br />

oder einer Gesellschaft, die die Mandanten auf die<br />

Wiederholung ihrer Führerscheinprüfung psychologisch<br />

vorbereitet. Ich finde diese Tendenz absolut richtig, denn<br />

unsere Fachkenntnisse über die jeweiligen Problemlagen<br />

verbessern die Arbeit solcher gewerblichen Berater und die<br />

Rechtsprechung setzt uns klare Grenzen, die uns zwingen,<br />

beide Tätigkeiten auseinanderzuhalten.<br />

Während wir noch in der Zeit des fast ausschließlich<br />

forensisch tätigen Anwalts aufgewachsen sind, haben wir<br />

miterlebt, wie der beratende Anwalt sich entwickelt und<br />

wir werden auch den daneben gewerblich interessierten<br />

Kollegen näher kennenlernen.<br />

Wir sollten jeder dieser Entwicklungen den Raum geben,<br />

den der Markt zuläßt. Unser berufsrechtliches Gerüst<br />

wird schon dafür sorgen, daß der Anwaltstyp nicht in der<br />

Beliebigkeit der Postmoderne verkommt.<br />

Die Struktur des Marktes<br />

Um die Risiken und Chancen der Anwälte genauer zu<br />

analysieren, muß man den rechtlichen Dienstleistungsmarkt<br />

wie folgt aufgliedern:<br />

– Privatpersonen<br />

– Gewerbliche Mandanten in Handwerk, Produktion<br />

und Handel<br />

– Industrie<br />

– Multinationale Firmen<br />

Nach dem alten Grundsatz, daß jeder Mandant langfristig<br />

den Anwalt findet, der zu ihm oder seinem Unternehmen<br />

am besten paßt, kann es nicht überraschen, daß zum<br />

Beispiel der Markt für multinationale Firmen in Deutschland<br />

im wesentlichen von 25 Büros bedient wird, in denen<br />

ca. 2.800 Anwälte arbeiten. Das sind knapp 3 Prozent der<br />

95.000 Anwälte, die derzeit registriert sind. 34<br />

Nimmt man die zahlenmäßig größten 50 Büros in<br />

Deutschland, so beschäftigen sie ca. 3.400 Anwälte und danach<br />

kommt noch eine Gruppe von ca. zwanzig Büros, die<br />

zwischen zehn und fünfundzwanzig Partnern haben. 35 Alle<br />

diese Büros und weitere kleinere Sozietäten zusammengenommen,<br />

die den Bereich der Industrie beraten werden,<br />

machen mit Sicherheit nicht mehr als zehn Prozent aller<br />

Anwälte aus. Dieses Marktsegment ist harter Konkurrenz<br />

und höchsten Qualitäts- und Haftungsansprüchen 36 ausgesetzt.<br />

Dazu gehören vor allem:<br />

– Die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die<br />

sich seit etwa zwei Jahren an vielen Standorten überörtliche<br />

Sozietäten hochziehen 37<br />

– Die international tätigen amerikanischen und englischen<br />

Sozietäten 38<br />

Gleichwohl wird man sich um die großen deutschen<br />

Büros die wenigsten Sorgen machen., denn obgleich sie<br />

schon aufgrund der historischen Entwicklung keine vergleichbare<br />

Chance zur Internationalität hatten, werden sie<br />

in diesem Wettbewerb entweder aus eigener Kraft oder<br />

über Kooperationen mithalten können. 39<br />

32 (BGH vom 21.7.1997 NJW-RR 1998, 571 – Versicherungsvermittlung).<br />

33 Haftungsrechtlich deshalb, weil die Berufshaftpflichtversicherung nur das<br />

Kernbild der anwaltlichen Tätigkeit abdeckt. Steuerrechtlich würde eine gewerbliche<br />

Tätigkeit zum Beispiel als Makler sofort zur Gewerbesteuer nicht<br />

nur für den Maklerlohn, sondern auch für die freiberuflich erwirtschafteten<br />

Umsätze führen.<br />

34 Stand vom 1.1.1998, BRAK Mitt. 1998, 86. Diese Zahl ist hochgerechnet aus<br />

den am 1.1.1998 zugelassenen 91.952 Anwälten unter Zugrundelegung der<br />

normalen Zuwachsrate, die wir in den letzten Jahren hatten. Eingerechnet sind<br />

die etwa 6.000 Syndikusanwälte (Hommerich/Prütting „Das Berufsbild des<br />

Syndikusanwalts“, Beilage zum AnwBl 11/1997, S. 15). Sie sind erfahrungsgemäß<br />

nur in geringem Umfang noch nebenher in freier Praxis tätig. Ferner<br />

wird man davon ausgehen können, daß weitere 10 – 12.000 Anwälte von ihrer<br />

Zulassung aus unterschiedlichen Motiven keinen oder nur geringen Gebrauch<br />

machen. Daß dies keine Liebhaberei ist, hat der Bundesfinanzhof erfreulicherweise<br />

jüngst entschieden (NJW 1998, 2471).Bemerkenswert ist der Anteil der<br />

Rechtsanwältinnen in Deutschland wie im Ausland. Bei uns sind es derzeit ca.<br />

22 %, also ähnlich hoch wie in Justiz und Verwaltung. Das entspricht einem<br />

allgemeinen, auch internationalen Trend (Ken Auletta „In the Company of<br />

Women“ The New Yorker vom 20.04.1998 S. 72); (Disterer „Amerikanische<br />

Großkanzleien: Die „Top 30“ BRAK-Mitt. 1998, 39: In den größten 30 Büros<br />

waren 1997 21.662 Anwälte tätig, in den größten 250 Büros insgesamt ca.<br />

56.000 Anwälte. Das sind etwa die 10 %, die den Schwerpunkt der wirtschaftsrechtlichen<br />

Beratung tragen und diese Zahl ist etwa zwei bis dreimal so<br />

hoch wie in Deutschland.<br />

35 Siehe European Counsel 3000 (1998, S. 167, 168). Oppenhoff hat schon 1967<br />

mit bemerkenswerter Genauigkeit die „mittelgroße Praxis der Zukunft“ mit 5<br />

– 20 Anwälten prognostiziert („Anwaltsgemeinschaften, ihr Sinn und Zweck„<br />

AnwBl 1967, 267).<br />

36 Christoph Louven „Die Haftung des deutschen Rechtsanwalts im internationalen<br />

Mandat“ VersR 1997, 1050.<br />

37 So vor allem Anderson Freihalter als Teil von Anderson Legal International<br />

mit derzeit 1.500 Anwälten in 31 Ländern; KPMG Legal Services; Raupach +<br />

Wollert-Elmendorff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, C + L Rechtsberatung<br />

GmbH. Sie sind die eigentlichen Konkurrenten der großen Anwaltsfirmen,<br />

denn hinter ihnen stehen riesige weltumspannende Organisationen, während<br />

das größte Anwaltsbüro der Welt Baker & McKenzie mit knapp 2.300 Anwälten<br />

weltweit und einem Honorarvolumen von 1,3 Milliarden DM (Frankfurter<br />

Allgemeine Zeitung vom 28.04.1998) erheblich kleiner als die kleinste weltweit<br />

tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist.<br />

38 Wie etwa Clifford Chance mit derzeit ca. 1.600 Anwälten und höchst dynamischer<br />

Entwicklung in Deutschland in Frankfurt und Düsseldorf; Linklaters &<br />

Alliance, ein Verbund, zu dem in Deutschland auch Openhoff & Rädler gehören.<br />

Er umfaßt weltweit 1.900 Anwälte, die sich auf 28 Büros in 16 Ländern<br />

verteilen und kontinuierlich ansteigend ihre Gewinne poolen, was am Ende zu<br />

einer vollen Fusion führen soll (JUVE Nr. 6/98) Freshfields in Kooperation<br />

mit Deringer Tessin, sowie über 15 US-amerikanische Büros, darunter Jones<br />

Day, Graham & James; aber auch das schwedische Büro Mannheimer Swartling.<br />

39 Ein Prognos-Bericht 1998 würde kaum mehr behaupten können, wir hätten<br />

uns „den Bedingungen der modernen Dienstleistungsgesellschaft nicht angepaßt“.<br />

Die Rechtsprechung versteht das langsam, auch wenn es immer wieder<br />

das Bundesverfassungsgericht sein muß, das die Pflöcke einschlägt (wie zuletzt<br />

in der Entscheidung zur Sozietät zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern<br />

(BVerfG ZIP 1998, 1068).


556<br />

l<br />

Aber auch der starke Mittelbau der Sozietäten, mit vier<br />

bis zehn Partner haben hervorragende Chancen im Wettbewerb.<br />

Das sind die ca. fünfunddreißig Prozent der Kollegen,<br />

die die kleinere Industrie und den gewerblichen Mittelstand<br />

sowie in hohem Umfang Privatpersonen beraten.<br />

Sie müssen sich in erster Linie gegen die Steuerberater<br />

durchsetzen, haben aber natürlich auch gegen viele Einzelanwälte<br />

zu kämpfen, die von unten nachdrängen. Sie sind<br />

es auch, die sich gegenüber den anwaltsfremden gewerblichen<br />

Beratern am meisten zur Wehr setzen müssen. Für ihren<br />

Erfolg gibt es zwei wesentliche Grundbedingungen:<br />

1. Wir müssen erkennen, daß der Markt nicht aus<br />

Rechtsproblemen sondern aus Unternehmen und Branchen<br />

40 besteht, deren typische Konfliktlagen und deren<br />

wirtschaftlichen Hintergrund – also den Stallgeruch der<br />

Branche – wir kennen und dafür Lösungen entwickeln müssen,<br />

die man nur findet, wenn man über den eigenen Fachbereich<br />

hinausschauen lernt.<br />

2. Wir müssen die kennzeichnenden Unterschiede unserer<br />

Beratung durch aktives Imagemarketing verdeutlichen<br />

und werden nicht erwarten können, daß die Aufträge auf<br />

uns zulaufen: Wir werden uns um sie bemühen müssen.<br />

Die zweifellos steigende Zahl der Anwälte sollten wir<br />

dabei nicht als gefährlich sondern als nützlich erkennen: Je<br />

mehr wir sind, desto klarer kann man uns im Markt erkennen<br />

und umso stärker können wir auftreten.<br />

Qualitätskriterien<br />

Dabei müssen wir uns vor allem durch hohe Qualitätsmaßstäbe<br />

von der Konkurrenz abgrenzen. Anwälte sollten<br />

ihre Arbeit<br />

– schnell<br />

– zuverlässig<br />

– engagiert<br />

tun. Es ist nicht einfach, diese drei Qualitäten und ihr<br />

Verhältnis zueinander so zu entwickeln, daß die Interessen<br />

des Mandanten und die Haftungsrisiken der Anwälte in einem<br />

ausgewogenen Verhältnis stehen. Schnelligkeit kann<br />

man durch gute Organisation erreichen, Zuverlässigkeit<br />

durch hohes Wissen und beide Bereiche lassen sich über<br />

strukturierte Organisation zum Beispiel im Wege einer Zertifizierung<br />

41 und Total Quality Management 42 auf ein hohes<br />

Niveau führen.<br />

Das Engagement hingegen wird immer von der ganz individuellen<br />

Konstellation abhängen, die zwischen Mandant<br />

und Anwalt entsteht. Es ist ein Geschenk, das man nicht<br />

kaufen, strukturieren oder entwickeln kann, und doch entsteht<br />

es nur in einem Rahmen, der aus all diesen Elementen<br />

zusammengesetzt sein muß.<br />

3. Die Ausbildung der Anwälte<br />

Abraham Lincoln, der im tiefsten Indiana gerade das<br />

Nötigste an Rechnen und Schreiben gelernt und danach als<br />

Holzfäller und Handlanger in einem Werkzeug- und Lebensmittel-<br />

Laden in Illinois gearbeitet hatte, stand trotz<br />

seines jugendlichen Alters von 24 Jahren in dem Ruf, den<br />

allabendlich im Lager aufflammenden Streit durch vernünftige<br />

Argumente schlichten zu können. Eines Tages fielen<br />

ihm in einem Transportfaß Blackstones „Commentaries on<br />

the Law of England“ in die Hand, die er dem Besitzer für<br />

einen halben Dollar abkaufte, um dort neue Ideen zu finden.<br />

In Illinois brauchte man 1837 nichts weiter als das<br />

Zeugnis von Nachbarn, daß man einen „guten moralischen<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

Charakter“ hatte, wenn man sich in die örtliche Anwaltsliste<br />

beim State Supreme Court eintragen lassen wollte. Genau<br />

das tat Lincoln, nachdem er sich drei Jahre ziemlich<br />

wahllos durch englische Rechtsbücher gelesen hatte. Er hat<br />

weder eine Universität von innen gesehen noch eine Anwaltsausbildung<br />

erhalten. Trotzdem hört man nur Rühmendes<br />

über sein anwaltliches Wirken, das ihm auch in seiner<br />

politischen Laufbahn viel geholfen hat. 43<br />

Anwaltliches Geschick ist also offenbar unabhängig von<br />

der Qualität der juristischen Ausbildung – und darauf vertraut<br />

die Deutsche Anwaltschaft teilweise heute noch!<br />

Die Zeiten haben sich aber geändert. Allerdings wird jeder,<br />

der diesen Beruf zehn Jahre ausübt (was nach meiner<br />

Erfahrung so ungefähr das Mindeste ist), alles Wesentliche<br />

gelernt haben, was er neben seiner juristischen Ausbildung<br />

braucht, um seine Arbeit wirklich gut zu machen. Das Risiko,<br />

daß dabei aber viel Schaden angerichtet wird, ist hoch<br />

und in unserem Beruf vielleicht nur deshalb nicht so augenfällig<br />

wie bei den Ärzten, weil hier kein Blut fließt. Außerhalb<br />

der Fachanwaltsausbildung 44 , die einen hohen Standard<br />

hat, bleibt also vieles dem Zufall überlassen. 45 Ich<br />

weiß das deshalb besser als vielleicht mancher andere, weil<br />

ich das Risiko, mich unmittelbar nach dem Examen selbständig<br />

zu machen, nicht eingegangen wäre, hätte ich nicht<br />

vorher parallel zum Referendariat nahezu täglich in einem<br />

Anwaltsbüro gearbeitet. Dabei habe ich mir systematisch<br />

Durchschläge gesammelt (nochmals: Kopierer gabs in diesem<br />

kleinen Büro wirklich nicht!) und Aufzeichnungen<br />

über den Aufbau der Schriftsätze, der Gutachten, der Korrespondenz<br />

und viele andere Details gemacht, die mir nützlich<br />

erschienen. Sieghart Ott, bei dem ich damals gelernt<br />

habe, hatte darüber hinaus die Freundlichkeit, mir die<br />

Hälfte meiner Diktate solange durchzustreichen, bis sie<br />

endlich so kurz und konzentriert waren, wie er sich das vorstellte<br />

– ein Luxus, den unsere jüngeren Kollegen oft nicht<br />

recht zu würdigen wissen, wenn ich ihnen das anbiete. Anderen<br />

Kollegen ging es eher wie den Lehrlingen eines japanischen<br />

Kochs, von denen mir einer über seine Ausbildung<br />

folgendes erzählte: Die Kunst der Sushi-Köche besteht weniger<br />

darin, vor dem Gast die rohen Filets in kleine Scheiben<br />

zu schneiden, als den ganzen Fisch so zu zerlegen, daß<br />

ohne großen Abfall viel Verwertbares entsteht. Wenn früh<br />

um 5 Uhr die ersten Lieferungen kamen, stellte sein Chef<br />

sich in eine Ecke seiner Küche und begann sein Handwerk<br />

40 Das Arbeitsrecht in der Baubranche (wo es um Schwarzarbeit geht) hat ganz<br />

andere Schwerpunkte als im Bankgewerbe (wo die Auseinandersetzung mit<br />

den Gewerkschaften dominiert) oder in der Medienlandschaft (wo es um vielfältige<br />

Variationen von freien Mitarbeitern geht). Darin steckt die Chance für<br />

kleine bewegliche Büros, die sich wegen solcher besonderer Branchenkenntnisse<br />

auch gegenüber den größeren gut behaupten können.<br />

41 Wie es Vorbrugg, (AnwBl 1995, 273) Waltl (NJW 1996, 1030) und andere<br />

empfehlen; DAV (Hrsg) „TQ-Qualitätsmanagement in der Anwaltskanzlei“<br />

1997; Mauer/Krämer „Braucht eine Kanzlei Ziele? – Ein Beitrag zu TQM in<br />

der Anwaltskanzlei AnwBl 1998, 113.<br />

42 Das empfehlen u. a. Streck „Die Anwendbarkeit der Normen Iso 9004 Teil 2<br />

(Leitfaden) und Iso 9001(Zertifizierungsmodell) auf die Dienstleistungen des<br />

Rechtsanwalts“, AnwBl 1997, 190; Steinbrück, Rechtsanwaltshandbuch 1997/<br />

98 S. 1559 ff.; Werner „Zertifizierung: Vorgehen des Auditors, ein Bericht aus<br />

der Praxis“ AnwBl 1997, 644.<br />

43 Philip B. Kunhardt Jr/Ph. B. Kunhardt III./ Peter W. Kunhardt „Lincoln“<br />

(Alfred Knopf, New York 1993), S. 48.<br />

44 Noch 1956 wurde „wider die Todsünde der Fachanwaltschaften“ gewettert<br />

(Neuhäuser AnwBl1956, S. 54 f.) Unter den Kolleginnen sind die Fachanwältinnen<br />

deshalb überproportional vertreten, weil sie sich häufig dem Familienrecht<br />

widmen und sich dort frühzeitig spezialisieren können: Von 1.160 Fachanwälten<br />

für Familienrecht sind 554 Rechtsanwältinnen (Anwaltsstatistik zum<br />

1.1.1998, BRAK-Mitt. 1998, 86).<br />

45 Hommerich „Anwaltsausbildung durch Anwälte – eine Forschungsstudie –<br />

AnwBl 1998, 18.


AnwBl 11/98 557<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />

mit zielbewußter Schnelligkeit, ohne auf seine Lehrlinge zu<br />

achten. Wer sich nicht schnell genug vordrängen konnte,<br />

hatte auch nach Jahren nicht verstanden, wie man die richtigen<br />

Schnitte legen mußte: Die wurden dann zum Bodenputzen<br />

abkommandiert. So ganz entfernt von der Wirklichkeit<br />

unserer heutigen Anwaltsausbildung ist das alles nicht.<br />

Die Anwaltsausbildung hat auch nur sehr mittelbar etwas<br />

mit der juristischen Ausbildung auf den Universitäten<br />

oder der Anwaltsstation im Referendariat zu tun. Sie beschäftigt<br />

sich vielmehr mit dem Berufsrecht, den Regeln<br />

der Kollegialität, dem Umgang mit den Mandanten, Behörden<br />

und Gerichten, den Fragen, die das Honorarsystem aufwirft,<br />

der Werbung, dem Marketing etc. Die vom DAV und<br />

der Hans-Soldan Stiftung mitfinanzierten Universitätsinstitute<br />

– allen voran das von Henssler geleitete Institut in<br />

Köln – haben hier Pionierarbeit geleistet, deren Früchte<br />

sich gewiß entwickeln werden.<br />

Natürlich sollte die Anwaltsausbildung in einer sinnvollen<br />

Beziehung zur Ausbildung an den Universitäten stehen.<br />

46 Ich will nur drei Ideen dazu beisteuern, die im Laufe<br />

von mehreren Jahren, in denen ich an der Humboldt Universität<br />

in Berlin Workshops über Vertragsverhandlungen<br />

gemacht habe, aus Gesprächen mit Professoren und Studenten<br />

entstanden sind:<br />

1) Die Universitätsausbildung sollte von einer Universitätsprüfung<br />

abgeschlossen werden, die von den Professoren abgehalten<br />

wird. Die Prüfungshoheit wurde den Universitäten<br />

nämlich seinerzeit nur deshalb weggenommen, weil der Staat,<br />

der in erster Linie der künftige Arbeitgeber der Juristen war,<br />

sich (wohl berechtigt) um die Qualität der Ausbildung sorgte<br />

und durch die Prüfung auf sie Einfluß nehmen wollte. Das ist<br />

heute nicht mehr nötig, denn der Ausbildungsstand auf den<br />

Universitäten befindet sich auf hohem Niveau.<br />

2) Wer die Ausbildung an der Universität bestanden hat,<br />

sollte, wie jeder Betriebs- oder Volkswirt, dafür auch einen<br />

Titel bekommen. Er kann dann nämlich nach außen hin unzweideutig<br />

belegen, daß er eine erfolgreiche akademische<br />

Ausbildung hinter sich hat und gilt nicht als „abgebrochener<br />

Volljurist“ oder Halbjurist etc.<br />

Bereits diese beiden einfachen Maßnahmen, die zudem<br />

nicht einmal Geld kosten, würden den Juristen im Arbeitsmarkt<br />

eine Chance neben den Betriebs- und Volkswirten eröffnen und<br />

den Anwaltsmarkt sofort erheblich entlasten. Allerdings werden<br />

die Kammern dann weniger zahlende Mitglieder haben.<br />

3) Jede Universität kann sich dann frei entscheiden, ob<br />

sie in bezug auf den Anwaltsmarkt ein eigenen Qualitätsprofil<br />

entwickeln will. Neben der Kooperation mit den Anwaltsinstituten<br />

würde dazu die Förderung von studentischen<br />

Praktika bei Anwälten, die Jobvermittlung und viele andere<br />

Ideen gehören, die schon diskutiert werden. 47<br />

Wir sollten die Universitätsausbildung dort konzentrieren,<br />

wo sie am leistungsfähigsten ist: Das ist die Erarbeitung<br />

der juristischen Grundlagen und nicht die Beherrschung<br />

von Spezialgebieten oder das Büffeln von Klausurlösungsschemata,<br />

die mit wissenschaftlicher Ausbildung<br />

nicht viel zu tun haben. 48<br />

Das Qualitätsprofil der interessierten Universitäten würde<br />

noch erheblich steigen, wenn sie gemeinsam mit den<br />

Anwaltsinstituten Postgraduate-Ausbildungen anbieten, die<br />

ggf. auch berufsbegleitend absolviert werden können. 49 In<br />

einem solchen Modell könnte man sich auch eine engere<br />

Verbindung zwischen der Anwaltakademie, die die Hauptlast<br />

der Weiterbildung trägt und den Universitätsinstituten 50<br />

vorstellen, um so eine kontinuierliche Fortbildung 51 besser<br />

abzusichern, die außerhalb der Fachanwaltschaften derzeit<br />

ausschließlich dem Problembewußtsein und dem guten<br />

Willen der einzelnen überlassen bleibt.<br />

Die Zeit reicht nicht, um den Einheitsjuristen – die heilige<br />

Kuh der Ausbildungsdiskussion – auch noch zu schlachten.<br />

Ich wage allerdings die These, daß es den Einheitsjuristen<br />

bereits heute nicht mehr gibt, denn selbst Gerichte und<br />

Verwaltungen erhalten nach dem 2. Staatsexamen keinen Juristen<br />

des Typs, den sie haben wollen: Anders ist es kaum erklärbar,<br />

daß es Richter- und Verwaltungsakademien gibt. Als<br />

Anwalt will ich mich über das Referendariat, so wie es derzeit<br />

ist, nicht beschweren: Zwar wurde der Referendar nur<br />

deshalb erfunden, weil man sich in der Zeit alter Burschenherrlichkeit<br />

nur schwer vorstellen konnte, wie aus einem liederlichen<br />

Jurastudenten ohne vorherigen Behördenschliff ein<br />

preußischer Landrat werden könne. Die intelligenteren Referendare<br />

wissen aber, wie sie diese Zeit sinnvoll nutzen können,<br />

wenn sie später Anwälte werden wollen: Sie gehen früh<br />

genug in die Praxis, auch wenn das bei dem verschulten<br />

Lernplan im Referendariat viel Fleiß erfordert und lernen<br />

schon vor dem zweiten Examen all das, was man als Anwalt<br />

braucht, aber in den Büchern nicht nachlesen kann. 52<br />

Traditionen haben – auch wenn sie keinem praktischen<br />

Zweck mehr dienen – meist noch einen Erinnerungswert.<br />

Sie verkörpern eine Hülle, die sich manchmal wider Erwarten<br />

mit Leben erfüllt. Diejenigen aber, die – wie Goethe<br />

einmal gesprächsweise meinte – „nur aus Bequemlichkeit<br />

gern beim Herkömmlichen bleiben, halten ihr altes System<br />

noch mit den Zähnen, wenn ihnen schon beide Arme abgehauen<br />

sind. Aber natürlich ist dann der Sturz auch umso<br />

plumper und schneller“ 53 (J. W. v. Goethe cit. n. Böttiger<br />

„Literarische Zustände“ (1998) S. 71).<br />

46 Die Literatur zur Reform der Juristenausbildung ist wirklich unübersehbar geworden<br />

(s. zuletzt Redeker, AnwBl 1998, 225); Literaturübersicht: NJW 1998<br />

Beilage zu H. 23 S. 24; von Münch NJW 1998, 2324.<br />

47 Friedrichsmeier/Schmid „Praktische Studienzeit für Rechtsstudenten – Tübinger<br />

Modell“ AnwBl 1997, 614; Ahlers, „Zur Gestaltung der universitäten Juristenausbildung“<br />

AnwBl 1998 6; Steckler „Anwaltliche Berufspraxis in der<br />

universitären Lehre“, AnwBl 1997, S. 245. Dabei müssen wir aber sehr darauf<br />

achten, daß sich die anwaltlichen Lerninhalte nicht hinterrücks in den Prüfungskatalog<br />

einschleichen, denn sonst müssen wir uns nicht wundern, wenn<br />

die Umweltschützer, die Weltraumrechtler und tausend andere Spezialisten für<br />

ihre Fächer das gleiche Recht in Anspruch nehmen. Ich würde den Fächerkatalog<br />

des Universitätsexamens insgesamt drastisch beschränken, denn mir ist<br />

ein Student, der die Grundlagen des BGB beherrscht, bei weitem lieber als jemand,<br />

der statt der Grundlagen einen mixed-Grill aller möglichen Lerninhalte<br />

zu bieten hat, die darüber hinaus meist nur halb verdaut sind.<br />

48 Johann Braun´s Anmerkungen dazu in der Zeitschrift für Rechtspolitik 1998,<br />

S.41 kann man nur unterstreichen. Mit so einer Maßnahme machen wir allerdings<br />

alle Repetitoren arbeitslos, die es ja nur deshalb gibt, weil man derzeit<br />

die Differenz zwischen den universitären Lerninhalten und der staatlich organisierten<br />

Prüfung von irgend jemand lernen muß.<br />

49 Das Geld, das die Studenten sich beim Repetitor gespart haben, können sie<br />

dann dort sinnvoller investieren.<br />

50 Man wird die Gefahr sehen müssen, daß nicht alle Anwaltsinstitute hart am<br />

Wind unserer berufsspezifischen Themen segeln sondern – bedingt durch die<br />

Nähe zur Universität – Themen von allgemeinem wissenschaftlichen Interesse<br />

aufgreifen. Das Münchner Institut z. B. läßt Vorträge über „Entwicklung und<br />

Probleme des chinesischen Zivilrechts in der Gegenwart“ halten, die zweifellos<br />

hoch- interessant, für Anwälte aber nur dann von Wert sind, wenn es gerade<br />

um die chinesischen Anwälte und nicht im allgemeinen um das Rechtssystem<br />

ginge. Wir müssen uns in diesem Bereich bewußt beschränken, weil wir<br />

sonst die notwendige Konzentration auf unsere Anliegen nie erreichen werden.<br />

51 Die geplante alleinige Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammern für die Zulassung<br />

von Anwälten deutet eine zaghafte Bewegung in dieser Richtung an (BT-<br />

Drucks. 13/9610 und unveröffentlichte Stellungnahme des DAV hierzu vom<br />

April 1998.<br />

52 Außerdem wird die Entwicklung in Europa ungeduldigen jungen Kollegen andere<br />

Auswege bieten: Wer nach dem 1. Examen in England weiterstudiert und<br />

sich dort die Zulassung holt, braucht sie mit der entsprechenden Ergänzungsprüfung<br />

später nur noch umschreiben zu lassen und hat nebenbei noch perfekt<br />

Englisch gelernt. Viele werden sogar allein mit dem englischen Anwaltstitel<br />

hier genug zu tun finden. (Puel „Die Freizügigkeit der Rechtsanwälte in Europa“<br />

AnwBl 1998, 31).<br />

53 S. FN 51.


558<br />

l<br />

4. Das Honorarsystem<br />

Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg im<br />

Markt wird das neue Honorarsystem darstellen. 54<br />

Honorar ist, wie schon der Name sagt, Ehrensache, und<br />

daher so selbstverständlich, daß man darüber nicht spricht. 55<br />

So war es jedenfalls noch 1973, in den alten Zeiten. Die<br />

Zeit des Stillschweigens war schon 1980 vorbei, als der<br />

Bundesgerichtshof 56 einem unserer Kollegen seinen Honoraranspruch<br />

über eine Million DM absprach, weil er einem<br />

Mandanten bei einem Vertrag mit Auslandsbezug das<br />

Streitwertsystem der Gebührenordnung nicht in aller Tiefe<br />

erklärt hatte. Begründung: Der Mandant hätte sicher in<br />

USA einen geeigneten Anwalt gefunden, der ihn bei den<br />

gleichen Verhandlungen, die sich über ein Jahr hinzogen,<br />

im Stundenlohn betreut hätte. Von da an ging’s bergab!<br />

Man kann in der Tat die Anwälte nicht an ein Streitwertsystem<br />

binden, das ihnen in einer Vielzahl von Fällen kein<br />

kostendeckendes Honorar zumutet und sie dann von den<br />

Bonanzas abschneiden, die diese Verluste decken sollen.<br />

Kurz: Das Zeithonorar ist zwar eine notwendige Antwort<br />

auf die internationale Konkurrenz, aber es hat auch eine<br />

sehr hohe Bedeutung, wenn wir im deutschen Markt mit<br />

Steuerberatern und Unternehmensberatern konkurrieren. 57<br />

Die Steuerberater arbeiten schon seit Jahren im Stundenlohn,<br />

wenn sie das für richtig halten und wenn Sie mir sagen,<br />

daß Anwälte mit Unternehmensberatern nicht in Konkurrenz<br />

stehen 58 , dann zeige ich ihnen gern<br />

Honorarrechnungen in erheblichen Größenordnungen, in<br />

denen der Unternehmensberater nichts anderes getan hat,<br />

als über Verträge zu verhandeln, und zwar auf höchstem juristischem<br />

Niveau!<br />

Das wesentliche Problem in unserer Konkurrenzsituation<br />

mit gewerblich tätigen Beratern besteht wahrscheinlich<br />

darin, daß es für uns nicht so leicht ist, die Wertschöpfung,<br />

die unseren Mandanten im konkreten Fall nützt, zu verdeutlichen.<br />

Dabei ist das wirklich sehr einfach, denn wir<br />

– entlasten unsere Mandanten von Arbeit,<br />

– erhöhen die Planungssicherheit,<br />

– vermeiden Verluste,<br />

– erhöhen die Liquidität,<br />

– stabilisieren Marken und Firmenwerte,<br />

– helfen dabei, Konflikte zu beenden.<br />

Manche dieser Leistungen, so vor allem das Erreichen<br />

von Planungssicherheit, entspricht dem, was auch Versicherungen<br />

tun, andere stehen dem Krisenmanagement nahe:<br />

Anwaltskosten müssen wir, wie unsere Mandanten als Risikoprämie<br />

interpretieren lernen! Was uns von anderen Beratern<br />

unterscheidet, sind die rechtlichen Werkzeuge, die aus<br />

guten Gründen nur wir benutzen dürfen – und all das ist<br />

sein Geld wert.<br />

Beim Zeithonorar müssen wir uns allerdings darüber im<br />

klaren sein, daß es sich auf der jetzt in Deutschland üblichen<br />

Höhe nicht ohne weiteres halten wird. Dafür sorgt<br />

das „Zitronenprinzip“: 59 Wenn Sie die Qualität einer Sache<br />

von außen nicht erkennen können, dann neigen Sie dazu,<br />

im Zweifel billiger einzukaufen. Und ob ein Anwalt wirklich<br />

was taugt, das sieht man leider erst, wenn man ihn ausgequetscht<br />

hat.<br />

Es gibt auch Aufträge, bei denen ein Anwalt ohne ein<br />

festes Sockelhonorar für das gleich zu Anfang übertragene<br />

Know-how nicht vernünftig arbeiten kann, so vor allem im<br />

Steuerstrafrecht oder bei der Beratung des insolventen<br />

Unternehmers. Das sind Fälle, in denen das wesentliche<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

Know-how nur dann wirksam wird, wenn es vollständig zu<br />

Anfang des Mandats übertragen wird. In solchen Fällen<br />

wäre ein Zeithonorar unangemessen und die Gebührenordnung<br />

ist schwer anzuwenden, weil man keine „Gegenstandswerte“<br />

bestimmen kann, die in das System hineinpaßten.<br />

Ich bin aber auch froh darüber, daß wir die Gebührenordnung<br />

behalten haben 60 , denn sie ist neben der Prozeßkostenhilfe<br />

das tragende Element für die Berechenbarkeit<br />

der Prozeßrisiken, die ich in anderen – auch europäischen –<br />

Ländern sehr vermisse. Der Blick über die Grenzen zeigt:<br />

Es gibt kein Land auf der ganzen Welt, in dem so schnell<br />

und so preiswert prozessiert werden kann und dadurch werden<br />

eine ganze Reihe von störenden Konflikten schnell und<br />

wirksam behoben. Ich halte die Klagen über die zu große<br />

Streitsucht der Deutschen für unberechtigt, denn die Prozesse<br />

gehen zurück – vor allem, wenn man sie ins Verhältnis<br />

zur ansteigenden Komplexität unserer Systeme setzt. 61<br />

Uns wird aber im Gegensatz zu anderen Ländern nicht die<br />

Ohnmacht zugemutet, die bei einem wirklich wichtigen<br />

Konflikt immer entsteht, wenn man sich wegen der Unberechenbarkeit<br />

des Gesamtrisikos zur Tatenlosigkeit entschließen<br />

muß. Der Gesetzgeber ärgert uns zwar immer<br />

wieder, indem er die Gebührenordnung nicht zeitgemäß anpaßt,<br />

aber unter die Sätze der Gebührenordnung der Hansestadt<br />

Lübeck von 1240 werden wir hoffentlich nicht sinken:<br />

Damals gab es „für eine schlichte Sache“ (also die Vertretung<br />

erster Instanz) drei Pfennig Honorar, „für ein gescholtenes<br />

Urteil“ (also das Berufungsverfahren) sechs Pfennig. 62<br />

Wieviel immer der Pfennig damals wert war, eine goldene<br />

Nase hat man sich damit sicher nicht verdienen können.<br />

5. Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

Ich habe lange nicht gewußt, daß es den Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />

gibt. Ich kannte nur den Münchner <strong>Anwaltverein</strong>.<br />

Da trafen sich einmal im Monat die alten Kämpfer –<br />

man sah leibhaftig z. B. Herrn Ostler und Herrn Burnhauser<br />

– und es wurden Berichte von den verschiedenen Fronten<br />

des Rechts ausgetauscht, an denen sie sich ihre Narben geholt<br />

hatten. Da gab es für uns Greenhorns schon sehr<br />

54 Es ist in den §§ 3 BRAGO, 49 b BRAGO und 22 Berufsordnung niedergelegt.<br />

55 Noch heute haben die englischen Solicitors keine unmittelbare Mandatsbeziehung<br />

und damit auch keinen Honoraranspruch gegenüber dem Mandanten,<br />

weil sie im alten System der „Fürsprecher“ nur ein Ehrenamt übernahmen.<br />

Elbert Tuttel, US-Richter am Bundesberufungsgericht, sagte 1973 in einer<br />

Rede: „Ein Anwalt hat nichts zu verkaufen. Sein einziges Kapital ist er selbst.<br />

Für seinen Rat gibt es daher keinen „richtigen“ Preis, denn was ist der Teil<br />

eines Menschen wert? Wenn er kein integerer Mensch ist, gar nichts. Andernfalls<br />

aber ist er unbezahlbar: Sein Wert ist entweder alles oder nichts.<br />

„(Menendez, Taming the Lawyers (Merrit Publishing, Santa Monica 1996),<br />

S. 104.<br />

56 BGH vom 13.03.1980 NJW 1980, 2128 – BMW Vertrieb USA.<br />

57 Krämer/Kohn-Lehnhof „Pricing für Rechtsanwälte“ AnwBl 1997, 306.<br />

58 „My own view is that todays corporate Lawyers are indeed in direct competition<br />

with consultants“ (Peter Turner in International Business Lawyer 1998,<br />

S. 248.<br />

59 Paefgen „US-amerikanische Anwaltsfirmen – ein Werkstattbericht“ AnwBl<br />

1995, 278 (283). Bei der telefonischen Rechtsberatung unter der 01900-Nummer<br />

der Firma „InfoGenie Recht“ kostet die Minute 3,63 DM (NJW 1998<br />

Heft 35 S. XXXVIII).<br />

60 Auch sie muß aber immer wieder überdacht und den Marktverhältnissen angepaßt<br />

werden, wie die „Vorschläge des Ausschusses Gebührenrecht und Gebührenstruktur<br />

des DAV zur Strukturänderung beim Anwaltsgebührenrecht“<br />

zeigen (siehe Beilage zum AnwBl 5/98).<br />

61 Die Gerichtseingänge sinken ständig, teils sogar in absoluten Zahlen, was<br />

aber nicht unmittelbar mit einer Erhöhung der Entscheidungsschnelligkeit einhergeht,<br />

(s. Kirchhof „Ist die ordentliche Gerichtsbarkeit überlastet“, BRAK-<br />

Mitt. 1998, 68).<br />

62 Hartstang s. FN 3 S. 10.


AnwBl 11/98 559<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />

brauchbare Ratschläge wie: „Der schlimmste Feind des<br />

Anwalts ist der Mandant“ oder: „Es gibt nur zwei Arten<br />

von guten Mandanten: Die einen sagen einem was zu tun<br />

ist, die anderen tun, was man ihnen sagt“. Das waren Weisheiten,<br />

deren Richtigkeit ich nach vielen Versuchen, sie zu<br />

ignorieren, am Ende doch einsehen mußte. Die Unsichtbarkeit<br />

des DAV lag wohl daran, daß er als Dachverband der<br />

örtlichen Vereine nicht von vornherein die strategischen<br />

Aufgaben hatte, die er in der Folgezeit dann in beeindrukkender<br />

Weise in die Hand genommen hat. 63 Noch bevor es<br />

den wirklich freien staatlich ungebundenen Anwalt gab<br />

(1878), hatte sich der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> schon konstituiert.<br />

Man kann ihn nicht ohne die Zusammenarbeit mit<br />

der Hans-Soldan Stiftung, dem Institut der Anwaltschaft,<br />

dem Anwaltverlag sowie den Anwaltsinstituten an den<br />

Universitäten nennen, wenn man das ganze Spektrum seiner<br />

Tätigkeiten beschreiben will. Die Arbeitsgemeinschaften<br />

des DAV, das Forum Junger Rechtsanwälte, die Gesetzgebungsausschüsse<br />

und die Fachausschüsse nehmen einen<br />

außerordentlichen Einfluß auf unser Rechtssystem. Ihre<br />

Mitarbeit bei der Neuformulierung der Berufsordnung und<br />

der erhebliche Einsatz beim Aufbau des demokratischen<br />

Rechtssystems in den Neuen Bundesländern sind historische<br />

Leistungen. 64 Ohne strategische Führung und eine klare<br />

Erkenntnis seiner Stärken hätte der DAV diese Aufgaben<br />

nicht so beeindruckend lösen können.<br />

Seine Schwächen allerdings bestehen da, wo er seine<br />

Tätigkeit über die „kommunikativen Transmissionsriemen“<br />

(wie man vor 25 Jahren gesagt hätte) in die lokalen Vereine<br />

vermitteln soll. Diese Riemen fehlen heute noch und deshalb<br />

rudern wir gelegentlich nur mit halber Kraft. Der DAV<br />

hat sich in heftigen inneren Kämpfen nach 1945 richtigerweise<br />

der föderalen Struktur der Bundesrepublik angepaßt<br />

und ist ganz bewußt ein „Verein der Vereine“. Das hat Folgen:<br />

Jeder Stamm stellt seine Delegierten und achtet sorgfältig<br />

darauf, möglichst wenig Souveränität zu verlieren.<br />

Damit hängt die Unterstützung, die der Verein seinen Mitgliedern<br />

geben kann, nahezu ausschließlich von der Qualität<br />

der örtlichen Arbeit ab. Wir brauchen den Verein aber<br />

überall da, wo wir uns gegen die Konkurrenz berufsfremder<br />

Gruppen wehren müssen. Dazu gehört auch eine Unterstützung<br />

bei Konflikten, die einzelne mit den Kammern haben,<br />

die als halbstaatliche Organe naturgemäß nach anderen<br />

Regeln vorgehen müssen als dies ein Verein tun kann. Ich<br />

erinnere mich sehr gut, daß die Münchner Kammer uns<br />

1978 ermahnt hat, eine Bürogemeinschaft mit einem englischen<br />

Büro vom Briefkopf zu nehmen, weil das damals<br />

als standeswidrig galt. Ich wäre nicht einmal auf die Idee<br />

gekommen, den DAV in einer solchen Situation um Hilfe<br />

zu bitten, hätte es mir aber wohl gewünscht. Zwischen der<br />

Kammer und dem DAV hat es immer wieder Spannungen<br />

gegeben und viele Kollegen waren der Meinung, man<br />

müsse sich sehr darum bemühen, diese abzuschaffen. Ich<br />

glaube zwischenzeitlich, daß diese Spannungen, soweit sie<br />

existieren, systembedingt sind. Ich finde, der DAV könnte<br />

aus diesen Unterschieden an manchen Stellen mehr machen<br />

als das bisher geschieht. Er unterliegt nicht den verständlichen<br />

Bindungen der Kammern und könnte seinen Mitgliedern<br />

daher gerade im Kampf um die Marktanteile mit anderen<br />

Beratern im rechtlichen Dienstleistungsmarkt Unterstützung<br />

bieten. Es hat sich ja in den letzten 10 – 15 Jahren<br />

wirklich eine Menge getan, aber immer noch ist mein<br />

Wunsch unerfüllt, das <strong>Anwaltsblatt</strong> in einer ähnlichen Aufmachung<br />

zu sehen wie den „American Lawyer“, obgleich<br />

wir für die werbende Industrie ein interessanter Markt sein<br />

sollten. Den ärztlichen Lobbyisten fällt es aufgrund der Un-<br />

terstützung durch die Pharmaindustrie in diesem Bereich<br />

natürlich leichter, aber wenn man berücksichtigt, was wir<br />

an Bürosystemen, Büromaterial, Computern, Telefonen und<br />

Autos so alles verbrauchen, dann sollten wir doch die Möglichkeit<br />

haben, im Markt selbstbewußter aufzutreten. Ich<br />

wünsche mir den DAV deshalb als Anwalt der Anwälte,<br />

also als kämpferischen Interessenvertreter für alles, was unserem<br />

Beruf und jedem einzelnen am Herzen liegt.<br />

6. Prognosen<br />

Ich möchte abschließend gemeinsam mit Ihnen einen<br />

Blick in die Zukunft bis zum Jahr 2010 werfen: Was werden<br />

wir bis dahin aus unseren Stärken und Schwächen gemacht<br />

haben?<br />

– Die Komplexität der wirtschaftlichen/technischen und<br />

politischen Vorgänge, ihre wechselseitige Vernetzung und<br />

damit der Markt der rechtlichen Dienstleistungen wird weiter<br />

wachsen<br />

– Damit wird auch die Zahl der Anwälte noch erheblich<br />

zunehmen, sich möglicherweise sogar verdoppeln: Das<br />

sollte uns aber keine Sorgen machen, wenn gleichzeitig<br />

auch die Bedeutung unserer Arbeit bekannt wird<br />

– Die Arbeit der Anwälte wird im Bewußtsein der<br />

Öffentlichkeit viel stärker verankert sein als heute, weil wir<br />

endlich die Chance haben, unsere Tätigkeit im Wettbewerb<br />

zu anderen Dienstleistern herauszustellen<br />

– Anwälte werden sich an anderen Beratungsunternehmen<br />

beteiligen, die am Rande des rechtlichen Dienstleistungs-marktes<br />

(Consulting) arbeiten und fachübergreifende<br />

Kooperationen eingehen.<br />

– Das Referendariat wird abgeschafft und statt dessen<br />

nach dem Universitätsexamen eine Postgraduate-Ausbildung<br />

stattfinden, die zu einer Prüfung vor der Kammer führt<br />

– Die Anwälte werden häufiger als jetzt in andere juristische<br />

Berufe wechseln und wieder zurückkehren<br />

– Sowohl TQM sowie das DIN/ISO-Zertifikat werden<br />

sich durchsetzen<br />

– Jede Änderung der Kommunikationstechnik 65 wird<br />

sich unmittelbar auf unsere Arbeit auswirken und uns noch<br />

mehr unter Zeitdruck setzen<br />

– Die internationalen Kooperationen zwischen Anwälten<br />

werden auch bei Büros mittlerer Größe zunehmen<br />

– Deshalb wird Englisch – das Latein der Postmoderne<br />

– noch erheblich wichtiger sein als heute<br />

– Es werden mehr Beratungsprodukte entstehen, in denen<br />

alle Rechtsprobleme aus verschiedenen Feldern in einer<br />

einheitlichen Struktur abgearbeitet werden können 66<br />

– Die Anwalts-GmbH wird sich durchsetzen, aber den<br />

Markt nicht dominieren<br />

63 Schon unter der Präsidentschaft von Hans Jürgen Rabe (seit 1978) wurden<br />

wesentliche Entwicklungen angestoßen, die unter Ludwig Koch (seit 1983) zu<br />

einer ganz neuen und modernen Ausrichtung der Arbeit des DAV geführt hat.<br />

Ihr erster Höhepunkt war die Veröffentlichung der Prognos-Studie (1987).<br />

64 Die vom DAV subventionierte Entsendung von Anwälten in die Vermögensämter<br />

gehören ebenso dazu wie die Informationsarbeit des Instituts der<br />

Anwaltschaft für die in Organisationsfragen oft hilflosen Kollegen (zur Aufbauarbeit<br />

insgesamt s. Busse, „Die Anwaltschaft im geeinten Deutschland“,<br />

AwBl 1993, 442) Man vergißt leicht, daß es in der DDR im Jahre 1989 nur<br />

600 Anwälte für 16,6 Millionen Einwohner gab, also nur einen Anwalt auf<br />

ca. 27.000 Einwohner.<br />

65 (derzeit: Kopie, Fax, E-Mail, Datenbanken; demnächst: Bildtelefon, Videokonferenzen,<br />

Sprachcomputer, Übersetzungscomputer, Internet, Intranet, etc.).<br />

66 (z. B. vom Grundstücksankauf über die Errichtung bis zum Grundstücksmanagement.)


560<br />

l<br />

Kurz: Der Anwaltsberuf wird sich zwar verändern, aber<br />

im Gegensatz zu heute wird sein wesentlicher Wert klarer<br />

erkennbar sein: Der unabhängige, interessengebundene und<br />

verschwiegene Berater ist seit Jahrtausenden ein tragendes<br />

Element jeder Rechtskultur, denn es gibt keine Kultur ohne<br />

Konflikte! Die Anwälte, die es gelernt haben, immer wieder<br />

die Perspektiven zu wechseln und immer wieder erleben<br />

müssen, wie ihre Vorstellungen angegriffen werden,<br />

entwickeln dabei mehr noch als andere Juristen Distanz<br />

auch zu sich selbst. Dadurch gehören sie zu den wichtigsten<br />

Bewahrern der kritischen Vernunft, aus deren Schlaf –<br />

wie Hegel gesagt und Goya gemalt hat – die Ungeheuer geboren<br />

werden.<br />

Dieser Beruf hat eine Faszination, der ich mich seit<br />

25 Jahren nicht entziehen kann: Man bewegt sich mitten in<br />

den Stürmen des Lebens und beschäftigt sich nicht nur wie<br />

die Wissenschaft oder die Justiz nur mit der Analyse und<br />

AUFSÄTZE<br />

Die Geschichte der<br />

Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Hechingen,<br />

Vizepräsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Teil II (Fortsetzung von AnwBl 1998, 424)<br />

Die Berufsständische Versorgung hat sich außerhalb der<br />

Anwaltschaft in einer lange Tradition etabliert. Aber sie hatte<br />

sich in der Anwaltschaft zunächst nicht durchgesetzt. Die<br />

Entwicklung bis hierher ist im letzten Heft dargestellt worden.<br />

Die Entscheidung des Gesetzgebers von 1957 nämlich<br />

die Selbständigen vom gemeinsamen Tisch der Sozialversicherung<br />

zu weisen hatte tiefe Spuren hinterlassen. Sofort<br />

nach der großen Rentenreform machten sich die Anwälte<br />

auf den Weg, eine eigenständige Versorgung schaffen.<br />

10. Das Rechtsanwaltsversicherungsgesetz<br />

Natürlich blieb ab 1957 die ungelöste Frage der Altersversorgung<br />

auf Tagesordnung sowohl des DAV als auch der<br />

BRAK. Ostler zitiert den Ausspruch eines ihrer Vizepräsidenten<br />

auf dem Anwaltstag in Stuttgart, der sich auf den<br />

Wettstreit zwischen DAV und BRAK bezog:<br />

„Also wer den größten Triumph hat, sei es in der Altersversorgung,<br />

sei es bei der BRAO, sei es in Spezialfragen, es<br />

ist nicht entsetzlich wichtig. Auf das Ziel kommt es an“ 62 .<br />

Als Zielvorstellung im Wettbewerb untereinander rangiert<br />

hier die Altersversorgung immerhin an erster Stelle!<br />

Der Erfolg der gesetzlichen Rentenversicherung enttäuschte<br />

viele Selbständige – man hatte sie ausgeschlossen.<br />

Nach einer Untersuchung des Bundesarbeitsministeriums<br />

aus dem Jahre 1958 wäre die weitaus größte Mehrheit der<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

dem Ende eines Streits. Man lernt, die Regeln der Macht<br />

anzuwenden und kann sich besser wehren als andere. Es<br />

dreht sich nicht alles nur ums Geld wie bei den Kaufleuten<br />

und auch ohne große Mittel kann man allein durch die<br />

Kraft der Gedanken und Argumente viel bewirken!<br />

Wenn wir aufhören, uns gegenseitig zu bekämpfen und<br />

stattdessen den Markt rechtlicher Dienstleistungen gemeinsam<br />

erobern, wird unser Beruf an Ansehen noch gewinnen,<br />

denn er hat, wie Feuerbach sagt, „seinen Grund in dem ewigen<br />

Recht selbst und in der ebenso ewigen Ungleichheit<br />

menschlicher Anlagen und Kräfte“. 67 Es wird immer eine<br />

Herausforderung und Ehre sein, diesem Beruf anzugehören.<br />

67 Feuerbach 1821, cit. n. Hartstang FN 3 S. 19.<br />

Selbständigen, einschließlich der Freiberufler, gewillt gewesen,<br />

wenn irgend möglich, in die gesetzliche Rentenversicherung<br />

zu kommen. Da dieser Weg verbaut war, nahm<br />

die Anwaltschaft den Versuch in Angriff, selbst eine entsprechende<br />

Altersversorgung auf Bundesebene auf die<br />

Beine zu bringen. Eine gemeinsame Kommission der<br />

BRAK und des DAV arbeitete 1959 hierfür einen Gesetzentwurf<br />

aus. Es wurde hierfür ein Sonderheft zum Jahrgang<br />

des <strong>Anwaltsblatt</strong>s 1959 herausgebracht. Man war bereit,<br />

die „Uraltlast“ zu übernehmen: was bedeutet hätte, daß<br />

viele Rechtsanwälte Renten bezogen hätten, ohne jemals einen<br />

Beitrag geleistet zu haben. Ein solches – zunächst frappierendes<br />

– Ergebnis ist im Umlageverfahren jederzeit zu<br />

realisieren. Es sei darauf hingewiesen, daß die in der Umlage<br />

finanzierte Pflegeversicherung heute an zahllose Personen<br />

zum Teil erhebliche Leistungen erbringt, ohne daß<br />

diese jemals nennenswerte Beiträge dorthin geleistet hätten.<br />

Viel Arbeit war vorausgegangen 63 : die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

hatte von Dipl.- Versicherungsmathematiker<br />

Dr. Georg Heubeck, Köln, ein versicherungsmathematisches<br />

Gutachten über eine berufsständische Alters-, Invaliditäts-<br />

und Hinterbliebenenversorgung für die Rechtsanwälte<br />

der Bundesrepublik Deutschland eingeholt. Der DAV<br />

konnte sich auf ein versicherungsmathematisches Gutachten<br />

über die Errichtung einer Bundesversicherungsanstalt der<br />

Rechtsanwälte durch den Dipl.-Mathematiker Gerhard<br />

Schalow, Bochum stützen. Beide Gutachten aus dem Jahr<br />

1959 gingen von einer Pflichtmitgliedschaft und von einer<br />

Altersgrenze von 70 Lebensjahren aus. Mit unterschiedlichen<br />

Ansätzen wurde die Schaffung eines entsprechenden<br />

Bundesversorgungswerks für realistisch angesehen. Der<br />

62 Ostler, aaO., Seite 333.<br />

63 Die nachfolgende Darstellung beruht zum Teil auf bisher nicht veröffentliche<br />

Unterlagen, die dem Verfasser vorliegen und einer gesonderten Aufarbeiten<br />

bedürfen. Die Entwicklung läßt sich aber an Hand der begleitenden Kurzberichte<br />

in AnwBl und BRAK-Mitt. verfolgen.


AnwBl 11/98 561<br />

Aufsätze l<br />

Bundesrat äußerte sich in einer Entschließung zur Gesetzesvorlage<br />

der Bundesregierung mit folgendem Wortlaut:<br />

„Der Bundesrat erkennt die Berechtigung einer Altersund<br />

Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte an, bittet<br />

aber die Bundesregierung, den Bundesrat darüber zu<br />

unterrichten, für welche weiteren zulassungspflichtigen<br />

Gruppen der freien Berufe und der anderen selbständigen<br />

Erwerbstätigen sie eine entsprechende gesetzliche Regelung<br />

beabsichtigt. Der Bundesrat bittet weiter um Unterrichtung,<br />

in welcher Weise die Bundesregierung eine gesonderte<br />

gesetzliche Regelung für nicht<br />

zulassungspflichtige selbständige Erwerbstätige für möglich<br />

hält“ 64 .<br />

Die BRAK hatte im Mai 1957 auf ihrer Tagung in Bad<br />

Soden einer Kommission den Auftrag erteilt, alle Möglichkeiten<br />

einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu prüfen<br />

und die beste Versorgung auszuwählen. Hierzu sollten<br />

auch die Verhandlungen mit den Versicherungsgesellschaften<br />

(C-D-G-K) aufgenommen werden. Es wurde eine umfangreiche<br />

Fragebogenaktion gestartet. Jeder Anwalt wurde<br />

unter der Zusicherung absoluter Anonymität zu Personalangaben,<br />

Ausbildungen und Beruf, bestehenden Versicherungsverhältnissen,<br />

wirtschaftlichen Verhältnissen, Wünschen<br />

für die Gestaltung eines Versorgungswerk befragt.<br />

Der Rücklauf war erfreulich. Dieser Fragebogen war<br />

Grundlage des erwähnten Gutachtens von Heubeck. Die erwähnte<br />

Unterkommission hat anläßlich der Tagung der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer in Münster am 14. Januar<br />

1959 einen entsprechenden Bericht vorgelegt. Es hatte<br />

schließlich im Juni 1959 eine Besprechung von Vertretern<br />

des Deutschen AnwaltVereins und der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

mit dem zuständigen Bundesminister für Arbeit<br />

Blank selbst, stattgefunden, welche dazu führte, daß im<br />

Kabinett und im Bundestag ein entsprechender Gesetzgebungsentwurf<br />

eingebracht wurde (Gesprächspartner seitens<br />

des DAV waren die Rechtsanwälte Schreiber, Frankfurt, Albert<br />

Koch, Bonn und Dr. Brangsch, Hamburg sowie von<br />

Seiten der BRAK Dr. Heim, Trier, Siemann, Hannover und<br />

Dr. Weber, Koblenz mit dem Dipl.-Volkswirt Schneider,<br />

Bonn). Es war darauf hingewiesen worden, daß das Sozialkabinett<br />

bereits 1956 die Schaffung einer gesetzlichen Altersversorgung<br />

für die freien Berufe befürwortet hatte,<br />

wenn diese es wünschten. Schwieriger Punkt war die Versorgung<br />

der Uraltlast. Da damals Neuentwicklungen in der<br />

Versorgung der Handwerker und der Landwirte auf den<br />

Weg gebracht waren, wurde an die Zurverfügungstellung<br />

von Steuergeldern gedacht: bei diesen Berufsgruppen war<br />

das ja auch vorgesehen.<br />

Im Anschluß hieran kam es zu einem Regierungsentwurf<br />

eines „Gesetzes“ über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung<br />

der Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsversicherungsgesetz<br />

65 . Das Gesetz war insofern fortschrittlich,<br />

als der Anwaltschaft überlassen werden sollte, in welcher<br />

Weise die Versicherung betrieben werden sollte. Man hätte<br />

z. B. sowohl Gruppenversicherungsverträge als auch eine<br />

„sozialversicherungsrechtliche“ Lösung wählen können.<br />

Der Gesetzentwurf überstand jedoch zwei Legislaturperioden<br />

nicht, so daß auch der (neue) letzte Gesetzentwurf vom<br />

3.6.1964 66 nicht Wirklichkeit wurde. Allerdings hatte er<br />

auch innerhalb der Anwaltschaft erhebliche Widerstände<br />

hervorgerufen. Viele junge Anwälte nämlich, die angestellt<br />

gewesen waren, hatten sich in der BfA – was möglich war<br />

– freiwillig weiter versichert. Die Syndici waren ohnehin in<br />

der BfA. Da man die Mitgliedschaft in der allgemeinen gesetzlichen<br />

Rentenversicherung damals noch als vorteilhaft<br />

empfand, bestand kein Anlaß, für eine eigene Rechtsanwaltsversorgung<br />

zu votieren. Kennzeichnend hierzu sind<br />

Äußerungen von Rechtsanwälten in der Literatur 67 , 68 .<br />

Damit waren Bemühungen auf Bundesebene gescheitert.<br />

Weder hatte der Bund die Rechtsanwälte in die allgemeine<br />

Rentenversicherung aufnehmen wollen, noch hatte er ihnen<br />

ein eigenes Rechtsanwaltsversicherungsgesetz zugebilligt.<br />

Damit war nur zu verständlich, daß die Rechtsanwälte sich<br />

abwandten und sich nun auf den landesgesetzlichen Bereich<br />

zu konzentrieren begannen – hatte doch der Bundesgesetzgeber<br />

durch den Bundesrat im ärztlichen Bereich den Weg<br />

gewiesen: die Länder waren der zuständige Ort für die geplanten<br />

Vorhaben. Heute wenig bekannt ist, daß es schon<br />

zur damaligen Zeit (wenn auch vergeblich) zu nachhaltigen<br />

Initiativen gekommen ist:<br />

a) In Rheinland/Pfalz ist das Rheinland/Pfälzische Landesgesetz<br />

über die Versorgung der Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />

– NRVG (schon!) am 22.7.1965<br />

in Kraft getreten 69 . Nach dem Vorbild des Saarlands sollten<br />

die Rechtsanwaltskammern Koblenz und Zweibrücken ein<br />

Sondervermögen mit einem Versorgungswerk heutiger Prägung<br />

auf die Beine bringen 70 . Hierzu wurden gemeinsame<br />

Kammerversammlungen abgehalten. Dort fanden aber die<br />

vorgelegten Satzungsentwürfe keine Mehrheit. Das Gesetz<br />

blieb damit ohne Wirkung. Die damalige Entwicklung ist<br />

von Eichele in sehr lesenswerter Form vor kurzem ausführlich<br />

dargestellt worden 71 .<br />

b) In Nordrhein/Westfalen wurde der Regierungsentwurf<br />

eines Gesetzes über die Versorgung der Rechtsanwälte im<br />

Lande Nordrhein/Westfalen – Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />

– RAVGNW vom 29.7.1969 eingebracht 72 . Hier<br />

sollte ein Versorgungswerk in Form einer eigenständigen<br />

Körperschaft des öffentlichen Rechts aufgebaut werden.<br />

Das Gesetz wurde jedoch nie abschließend beraten.<br />

c) Ähnliches geschah in Bayern. Auch dort wurde ein<br />

Regierungsentwurf über die Einführung der Altersversorgung<br />

für Rechtsanwälte im Rahmen der dort bestehenden<br />

Bayerischen Versicherungskammer am 30.9.1970 vorgelegt<br />

73 . Dieser Gesetzentwurf wurde durch die nachfolgende<br />

Entwicklung überholt.<br />

Die rosigen wirtschaftlichen Verhältnisse und das damit<br />

verbundene Desinteresse vieler Anwälte wie die Bemühungen<br />

der Versicherungswirtschaft verhinderten einen Erfolg. Außerdem<br />

tat sich – letztmals – wieder etwas auf Bundesebene.<br />

11. Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige<br />

In politisch bewegter Zeit entschloß sich nämlich der<br />

Gesetzgeber, die gesetzliche Rentenversicherung für Selb-<br />

64 <strong>Deutscher</strong> Bundestag – 3. Wahlperiode, Drucksache 2656, Anlage 2.<br />

65 RAVG vom 16.2.1961 (Bundestagsdrucksache III/2656).<br />

66 Bundestagsdrucksache Nr. IV/2298<br />

67 Wolfgang Philipp, Kritische Gedanken zur Rechtsanwaltsversicherung, BB<br />

1964, 855 f. Rüdiger Zuck: Der Entwurf des Rechtsanwaltsversicherungsgesetzes<br />

und das Grundgesetz BB 1965, 593 ff).<br />

68 Siehe zum Rechtsanwaltsversicherungsgesetz auch AnwBl 1961, 56, 122;<br />

AnwBl 1964, 271, 309; AnwBl 1966, 249.<br />

69 Rheinland/Pfälzisches GVBL, Seite 153.<br />

70 AnwBl 1965, 357 und 371.<br />

71 Karl Eichele Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Rheinland-Pfalz –<br />

in: Geschichte der Rechtsanwaltschaft im Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz,<br />

Festschrift zum 50jährigen Bestehen der RAK Koblenz, Luchterhand-Verlag<br />

1997 (ISBN 3-472-02674-X, Seite 279 ff.<br />

72 Landtagsdrucksache NRW VI – 1427.<br />

73 Landtagsdrucksache, 6. Legislaturperiode, 101te Sitzung, Seite 4723 ff.


562<br />

l<br />

ständige zu öffnen74 . Weitere Bemühungen der Anwaltschaft<br />

erübrigten sich damit scheinbar. Das Rentenreformgesetz<br />

vom 16. Oktober 1972 75 stellt Höhepunkt und zugleich<br />

Wendepunkt in der Geschichte der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung dar.<br />

a) Die Vorteile schienen zu überwiegen. Endlich geschah,<br />

worum man vergeblich 1957 gekämpft hatte: die<br />

Rentenversicherung war nun auch den Selbständigen zugänglich<br />

76 .<br />

Die Haltung der Anwaltschaft beleuchtet am besten folgender<br />

Vorgang: Rechtsanwalt Dr. Jürgen R. Koch, Garmisch-Partenkirchen<br />

hielt auf der 34. Hauptversammlung<br />

der BRAK vom 27. Oktober 1973 einen Vortrag zum Thema<br />

„Die Alters- und Hinterbliebenenversorgung des<br />

Rechtsanwalts nach einem Jahr Erfahrungen mit dem Rentenreformgesetz“.<br />

Er begann seinen Vortrag mit dem Satz:<br />

„Vor wenigen Tagen hat sich ein Ereignis gejährt, das<br />

als Meilenstein in der gesellschaftspolitischen Entwicklung<br />

unseres Staates gelten darf: die Verkündung des Rentenreformgesetzes<br />

vom 16. Oktober 1972 und damit die Öffnung<br />

der gesetzlichen Rentenversicherung praktisch für<br />

jedermann“.<br />

Er kommt in einem umfangreichen Referat zum Ergebnis,<br />

daß es sinnvoll sei, der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

beizutreten und von der Nachentrichtungsmöglichkeit<br />

nachhaltig Gebrauch zu machen. Er empfiehlt damals<br />

schon, auf viele Säulen zu setzen. Sein Referat endet mit<br />

der Bemerkung, daß es nicht um „entweder Lebensversicherung<br />

oder gesetzliche Rentenversicherung, sondern sowohl<br />

als auch“ gehe. Typisch für das Referat ist die Bemerkung,<br />

man müsse „mit der Inflation leben“. Das ist eines<br />

der Hauptargumente für das Umlagesystem und die hierdurch<br />

ermöglichte „dynamische Rente“ gewesen. Kennzeichnend<br />

für die nachfolgende Entwicklung ist, daß er bemerkt,<br />

er habe sich „als 60jähriger mit fast 15 Jahren<br />

Ersatz- und Ausfallzeiten natürlich für die Pflichtversicherung<br />

entschieden“. Damals konnte aus seiner Sicht und aus<br />

der Sicht der Anwaltschaft nicht abgesehen werden, daß es<br />

dereinst zu einem erheblichen Abbau der Zusagen gerade<br />

auf diesem Sektor kommen würde.<br />

b) Fast eine Groteske war das Kapitel über die „Stiftung<br />

für die Alterssicherung älterer Selbständiger“ 77 . Das Rentenreformgesetz<br />

hatte nun zwar die gesetzliche Rentenversicherung<br />

für selbständig Erwerbstätige geöffnet. Da diese –<br />

wenn schon in höheren Lebensjahren stehend – keinen längeren<br />

Versicherungsverlauf mehr erreichen konnten, war<br />

die günstige Nachentrichtungsmöglichkeit zurück bis zum<br />

1. Januar 1956 vorgesehen 78 . Es war aber abzusehen, daß<br />

viele in Betracht kommende Versicherte die Nachzahlungssumme<br />

gar nicht würden aufbringen können. Deswegen<br />

hatte Artikel 3 des Rentenreformgesetzes eine „Stiftung für<br />

die Alterssicherung älterer Selbständiger“ eingerichtet. Im<br />

ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die Begründung einen<br />

Beitrag des Bundes von 150 Millionen DM vorgesehen 79 .<br />

Stiftungszweck war die Erleichterung der Nachentrichtung<br />

von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Es<br />

sollten solche Personen gefördert werden, die ohne erhebliche<br />

Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Existenz keine<br />

Nachentrichtungsmöglichkeit gehabt hätten. Hierbei waren<br />

Personen ins Auge gefaßt, die über 50 Jahre alt waren und<br />

aus eigener Kraft keine Alterssicherung mehr erwerben<br />

konnten. Nach Maßgabe der Satzung bestand auf die Leistungen<br />

sogar ein Rechtsanspruch. Als der Vorgang bekannt<br />

wurde, meldeten sich zahlreiche Selbständige, darunter<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

auch eine größere Anzahl von Rechtsanwälten 80 . Leider geschah<br />

dies jedoch erfolglos: denn die Stiftung blieb gänzlich<br />

vermögenslos. Der Bundestag hat zwar in mehreren<br />

Anläufen versucht, die Zuwidmung eines Stiftungsvermögens<br />

auf den Weg zu bringen 81 . Schließlich stellte sich aber<br />

die Bundesregierung auf den Standpunkt, eine finanzielle<br />

Beteiligung des Bundes sei gar nicht vorgesehen. Hier sei<br />

„vorrangig die Solidarität der Wirtschaft angesprochen“ 82 .<br />

Sie zeigte kein Interesse. Vom DAV wurde noch nach Einholung<br />

eines Sachverständigengutachtens 83 bei der Hans<br />

Soldan Stiftung die Überlegung angestellt, ob die Ansprüche<br />

auch einklagbar seien 84 . Mit seinem Wissen erhob ein<br />

Einzelanwalt Klage, die vor dem Sozialgericht erfolgreich<br />

war 85 , vom Landessozialgericht dann aber an die Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />

verwiesen wurde. Da man letztlich die<br />

Bundesrepublik nicht auf Ausstattung der Stiftung mit Stiftungsvermögen<br />

verklagen konnte, und sich in der Folge das<br />

Problem der Vollstreckung stellen würde, verlief die Angelegenheit<br />

schließlich im Sande. Die vorhandenen Unterlagen<br />

dokumentieren allerdings, daß das Versorgungsproblem<br />

der Selbständigen, auch der Rechtsanwälte, nicht unterschätzt<br />

werden konnte, ja immer drängender wurde. Die<br />

Episode führte bei den in der Anwaltschaft Verantwortlichen<br />

allerdings auch letztmals zum Eindruck, daß auf den<br />

Bundesgesetzgeber kein Verlaß sein konnte: mit der Schaffung<br />

der Stiftung waren unberechtigte Hoffnungen geweckt<br />

worden, deren Einhaltung kläglich versanden mußte 86 .<br />

c) Das Rentenreformgesetz 1972 zeigte letztmals die<br />

Sonnenseite des Umlagesystems auf. Es brachte eine Ausweitung<br />

der Zusagen von 1957. Neben der Öffnung für<br />

Selbständige wurden die Flexibilisierung der Altersgrenze<br />

eingeführt und die Rente nach Mindesteinkommen geschaffen.<br />

Das „Babyjahr“ wurde damals schon diskutiert, dann<br />

jedoch – noch – nicht umgesetzt. Das Gesetz ging einher<br />

mit einer Rentenanhebung von 14,4 %, was eine beispiellose<br />

Leistungsverbesserung bedeutete. Man hatte Überschüsse<br />

prognostiziert, die sogleich in diese Anhebung eingestellt<br />

wurden. Es bestand letztmals die Vorstellung, daß<br />

das so gut funktionierende Rentenversicherungssystem<br />

offensichtlich unerschöpfliche Ressourcen hatte.<br />

Aber die Schattenseiten waren längst bekannt. Die Ressource<br />

bestand nur in der florierenden Wirtschaft und deren<br />

Aufwärtsentwicklung. Das Jahr 1975 folgte schnell. Die<br />

Folgen des Konjunktureinbruchs und der Ölpreisschock<br />

wirkten. Im übrigen ergab sich, daß man Defizite statt<br />

Überschüsse erwirtschaftete. Die Beiträge aus den zentralen<br />

Sozialversicherungszweigen (Rentenversicherung,<br />

Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung) stiegen<br />

zwischen 1970 und 1977 insgesamt um 6% an. Deswegen<br />

ging es ab dem 20. Rentenanpassungsgesetz vom Som-<br />

74 Siehe die Begründung des Gesetzgebers hierzu: BT-Drucks VI/2153.<br />

75 BGBl. 1972 I, Seite 1965.<br />

76 Siehe Überblick bei Ulrich Böhm, AnwBl 1972, 333.<br />

77 BGBl. 1072 I, 1965.<br />

78 Artikel 2 § 49 a AVG-Neuregelungsgesetz, oft als „Wahlgeschenk“ apostrophiert.<br />

79 Artikel 3, § 2 des Entwurfs, BT-Drucks VI/2153, S. 5.<br />

80 Siehe Aufruf AnwBl 1973, S.288, BRAK-Mitt. 1973, S. 129, auch FAZ vom<br />

16.4.1974.<br />

81 Z. B. Bundestagsdrucksache VI – 2153 und Verhandlungen des Deutschen<br />

Bundestages Band 77, Seite 8044 bis 8060 und Band 80, Seite 11599).<br />

82 Bundestagsdrucksache VII – 460, AnwBl 1973, S. 163 und 200.<br />

83 AnwBl Heft 1974, Umschlagseite II.<br />

84 Siehe Fußnote 63.<br />

85 SG Nürnberg, Urteil vom 28.5.1975 (AnwBl 1975, S. 252).<br />

86 Siehe auch AnwBl 1973, 163, 200; AnwBl 1974, 175, 199, 305.


AnwBl 11/98 563<br />

Aufsätze l<br />

mer 1977 an „bergab“. Es wurde die Beitragspflicht der<br />

Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung für Arbeitslosengeldbezieher<br />

eingeführt, Rentenanpassungstermine wurden<br />

immer wieder verzögert, Zugangsrenten wurden abgesenkt.<br />

Es wurde – nach der Öffnung für Selbständige<br />

besonders fatal – der Kankenversicherungsbeitrag für Rentner<br />

eingeführt, erst mit 1% dann mit der Hälfte des Gesamtbeitrags.<br />

Allein im erwähnten 20. Rentenanpassungsgesetz<br />

hat der Gesetzgeber 166 Paragraphen in 14 Gesetzen<br />

ändern müssen; im Jahr 1981 haben 6 Bundesgesetze auf<br />

72 Seiten des BGBl über 400 Einzelbestimmungen in insgesamt<br />

55 Sozialgesetzen abgeändert 87 ! Mit einem mal wurde<br />

klar, daß der Optimismus, der in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

geherrscht hatte, nicht aufrecht zu erhalten<br />

war.<br />

d) Allerdings hat das Rentenreformgesetz vom<br />

16.10.1972 auch ein Institut eingeführt, welches heute zu<br />

den Grundlagen der berufsständischen Versorgung gehört:<br />

die Nachversicherung zugunsten der Versorgungswerke. Sie<br />

wurde durch die Neuregelung der Absätze VI a und VI b<br />

des § 124 AVG möglich 88 . Damit waren die Versorgungswerke<br />

auch in diesem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

gleichgestellt 89 . Das war für die späteren Rechtsanwaltsversorgungen<br />

von erheblichem Interesse, weil für<br />

jeden Referendar, der Anwalt werden wollte, die Möglichkeit<br />

geschaffen wurde, die Zeit seiner Referendarstätigkeit<br />

in den Versicherungsverlauf bei einem Versorgungswerk<br />

einzubringen.<br />

Überhaupt hat der Bundesgesetzgeber über die Jahre hin<br />

die Existenzberechtigung der (für andere Freie Berufe bestehenden)<br />

Versorgungswerke nach und nach zur Kenntnis<br />

genommen und anerkannt. War schon durch die Schaffung<br />

der Befreiungsvorschrift § 7 Abs. 2 AVG im Jahre 1957<br />

(später § 6 SGB VI) der Durchbruch gelungen, so blieb er<br />

bei der 1972 geschaffenen Nachversicherungsmöglichkeit<br />

nicht stehen. § 166 b AFG ( jetzt § 207 SGB III) verpflichtet<br />

die Arbeitsverwaltung, für Bezieher von Arbeitslosenleistungen<br />

Beiträge an die Versorgungswerke (wie an die<br />

BfA) zu bezahlen. Entsprechendes gilt für die Pflegekassen<br />

durch § 44 Abs. 2 SGB XI. Auf gleichstellende Regelungen<br />

in ArbeitsplatzschutzG, ZivildienstG, EigungsübungsG und<br />

EntwicklungshelferG sei hier nur hingewiesen 90 . Es wurde<br />

auch notwendig, eine klare steuerrechtliche Grundlage besonders<br />

in § 5 I Nr. 8 KStG zu schaffen91 . Der Bundesgesetzgeber<br />

operierte hier jeweils mit dem Begriff „öffentlich-rechtliche<br />

Versicherungs- und Versorgungseinrichtung<br />

ihrer Berufsgruppe“. Das änderte nichts daran, daß er die<br />

auf Landesrecht beruhenden Versorgungswerke durch bundesgesetzliche<br />

Einpassungsvorschriften anerkannte und<br />

der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung als der<br />

„ersten Säule“ des gegliederten sozialen Sicherungssystems<br />

gleichstellte.<br />

12. Krisenzeichen<br />

a) Für Anwälte besonders eindrucksvoll war die Einführung<br />

des Versorgungsausgleichs im Jahre 1977 – logische<br />

und gerechte Folge der Überlegung, daß das Defizit in der<br />

Gleichberechtigung der Geschlechter auch rechtlich reduziert<br />

werden mußte. Aber in der täglichen Praxis hatte das<br />

Gesetz auch andere Auswirkungen: man mußte sich nun<br />

plötzlich mit Sozialversicherungsansprüchen befassen,<br />

wozu in der Rechtsberatung seitens der Anwaltschaft bisher<br />

kaum Anlaß bestanden hatte. Keine Scheidung war ohne<br />

Auskunft der vorhandenen Versorgungs- und Versicherungsträger<br />

möglich. Man wurde sich mehr als bisher bewußt,<br />

wie oft ein Mangel zu verteilen war, während vorhandene<br />

Rentner möglicherweise in besseren Verhältnissen<br />

lebten als ihre arbeitenden Kinder. Man sah auch, wie viele<br />

Minirenten es trotz allem gab, wie entscheidend für Viele –<br />

eben auch für viele Anwälte – die Frage nach einer geeigneten<br />

Vorsorge war. Die Sensibilität für dieses Thema<br />

wuchs 92 .<br />

b) Den Kundigen war im übrigen bekannt geworden,<br />

daß der Bundesgesetzgeber im Jahre 1979 eine Verschärfung<br />

des § 7 Abs. 2 AVG vorsah – der Status der angestellten<br />

Freiberufler in den vorhandenen Versorgungswerken<br />

der Heilberufe war noch immer nicht unangefochten. Sorgen<br />

bereiteten z. B. auch ein Grundsatzprogramm des Deutschen<br />

Gewerkschaftsbundes von 1979 und entsprechende<br />

Entwürfe der SPD, die die pflichtweise Einbeziehung der<br />

Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung zumindest<br />

ventilierten. Auch hatte man nicht übersehen, daß<br />

die – selbständigen – Künstler in einem langen Gesetzgebungsverfahren<br />

von 1976 bis 1981 in ein<br />

Sozialversicherungssystem eingepaßt wurden, das den Vermarktern<br />

Beitragspflichten auferlegte, aus denen sie keine<br />

Leistungen erzielten. Bei diesem Hintergrund war der Boden<br />

reif dafür, die lange überfällige Gründung eigener Versorgungseinrichtungen<br />

zu forcieren. Der Aufsatz von Ruland<br />

im Jahre 1982 93 , vor allem aber die Einsetzung der<br />

Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme<br />

durch die Bundesregierung dokumentieren den Eintritt in<br />

eine kritische Phase.<br />

Die Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme,<br />

die 1983 ihr Gutachten erstattete, hatte erstmals<br />

auch eine Bestandsaufnahme des gegliederten Alterssicherungssystems<br />

in Deutschland vorgelegt. Die Versorgungswerke<br />

wurden von ihr zwar als eigenständiges Sondersystem<br />

für die Angehörigen der verkammerten Freien<br />

Berufe anerkannt. Sie empfahl, deren Existenz nicht in Frage<br />

zu stellen und die zwischen den einzelnen Versorgungswerken<br />

bestehenden Unterschiede als Ausdruck der freien<br />

Gestaltungsmöglichkeiten der Berufsstände anzuerkennen.<br />

Immerhin blieb aber offen, wie die Politik diese Empfehlung<br />

umsetzen würde94 .<br />

13. Die erste Gründungswelle<br />

Nun wurde es hohe Zeit, es mußte gehandelt werden.<br />

Was sich vom erst begehrten, dann zum verachteten und<br />

schließlich zum enttäuschten Recht entwickelt hatte, wurde<br />

in eigene Hände genommen. Von da an hat die Anwaltschaft<br />

gezielt durchgesetzt, worum sie sich nun weit über<br />

87 Borchert aaO., S. 79f („ein Luftschloß zerfällt“).<br />

88 Eingefügt durch Art. 1 § 2 Nr. 34 c des RRG 1972 – BGBl. 1972 I, 1965, geltende<br />

Nachfolgevorschrift ist § 186 SGB VI.<br />

89 Siehe Hahn, aaO., Seite 207.<br />

90 Hierzu nach dem Rechtsstand von 1986 Boecken aaO., Seite 206ff.<br />

91 Gesetz zur Änderung des KStG und anderer Gesetze vom 15.8.1969, BGBl. I,<br />

S. 1182.<br />

92 Siehe z. B. AnwBl 1974, 217; AnwBl 1977, 154; AnwBl 1978, 226.<br />

93 Franz Ruland, Die freien Berufe zwischen gesetzlicher Rentenversicherung<br />

und berufsständischen Versorgungswerken, NJW 1982, 1847.<br />

94 Das Gutachten ist vergriffen. Ein Auszug ist veröffentlicht in „Die berufsständische<br />

Versorgung im Gutachten der Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme,<br />

ABV-Materialien“ Köln 1991 (ISBN 3-926502-14-2).


564<br />

l<br />

100 Jahre lang gequält hatte. Es ging in zeitlicher Folge<br />

Schlag auf Schlag:<br />

1. Vorreiter war die Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen<br />

95 als selbständige Körperschaft des öffentlichen<br />

Rechts durch Gesetz vom 14.3.1982 und einer Beitragspflicht<br />

ab Januar 1984 96 , 97 .<br />

2. Der Vorstand des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s faßte am<br />

11. Mai 1983 eine klare Entschließung zugunsten der Versorgungswerke<br />

wie folgt 98 :<br />

„Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> unterstützt die Bestrebungen,<br />

in den Bundesländern Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />

zu errichten.<br />

Die Sicherstellung der Anwälte und ihrer Familien im<br />

Alter, bei Invalidität und im Todesfall ist seit Generationen<br />

ein standespolitisches Anliegen ersten Ranges. Die Anwaltschaft<br />

hat ein Anrecht darauf, dieses Problem, ebenso<br />

wie andere freie Berufe, solidarisch zu lösen. Die Freiheit<br />

des einzelnen wird auch durch die Pflichtmitgliedschaft<br />

nicht unangemessen eingeschränkt.<br />

Die Entscheidung, ob das berufsständische Versorgungswerk<br />

die Möglichkeit eröffnen soll, anstelle einer<br />

Vollversorgung nur eine Grundversorgung mit geringeren<br />

Beiträgen zu wählen, obliegt den Kollegen jedes einzelnen<br />

Bundeslandes. Die Beitragsbelastung stellt angesichts der<br />

steuerlichen Benachteiligung der Freiberufler gegenüber<br />

den Arbeitnehmern und Beamten ein bedrückendes Problem<br />

dar, das gelöst werden muß.<br />

Die Kollegen werden ferner zu entscheiden haben, welchem<br />

Finanzierungssystem ihr Versorgungswerk folgen soll,<br />

dem Anwartschaftsdeckungsverfahren oder dem offenen<br />

Deckungsplanverfahren. Beide Finanzierungsverfahren sind<br />

für ein berufsständisches Versorgungswerk geeignet.<br />

Durch die Errichtung von berufsständischen Versorgungswerken<br />

darf der Zulassungswechsel von einem Bundesland<br />

in ein anderes nicht unangemessen erschwert werden.<br />

In diesem Fall sollte eine Wahlmöglichkeit bestehen<br />

zwischen der Mitgliedschaft in dem bisherigen Versorgungswerk<br />

und der Übertragung der bereits erworbenen<br />

Anwartschaften auf das andere Versorgungswerk.<br />

Von den Befreiungsmöglichkeiten, wie sie in den vorliegenden<br />

Satzungsentwürfen vorgesehen sind, sollte der einzelne<br />

nicht ohne sorgfältige Prüfung der Leistungen des<br />

berufsständischen Versorgungswerkes Gebrauch machen.<br />

Alle Anwälte bleiben aufgerufen, die Bemühungen um<br />

das Zustandekommen der Versorgungswerke in ihrem eigenen<br />

Interesse und im Interesse der künftigen Anwaltsgenerationen<br />

zu unterstützen“ 99 .<br />

3. Das Versorgungswerk der Rechtsanwaltskammer des<br />

Saarlandes paßte durch Satzungsänderung das schon lange<br />

bestehende Versorgungswerk am 15.10.1983 den neuen Vorgaben<br />

des AVG an 100 ; es wurde in ein Vollversorgungswerk<br />

umgewandelt 101 ,<br />

4. Die Bayerische Rechtsanwaltsversorgung entstand<br />

durch Gesetz vom 20.12.1983 102 ,<br />

5. Die Rechtsanwaltsversorgung in Schleswig-Holstein<br />

entstand durch Gesetz vom 3.9.1984 103 ,<br />

6. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande<br />

Nordrhein/Westfalen 104 entstand durch Gesetz vom<br />

6.11.1984 105 ,<br />

7. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-<br />

Württemberg 106 , 107 entstand durch Gesetz vom 20.12.1984 für<br />

die vier Baden-Württembergischen Rechtsanwaltskammern 108 ,<br />

8. Die Rheinland-Pfälzische Rechtsanwaltsversorgung<br />

entstand durch Gesetz vom 29.1.1985 109 für die beiden<br />

Rheinland/Pfälzischen Rechtsanwaltskammern 110 ,<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

9. Da inzwischen im Mai 1984 die Urabstimmung unter<br />

den Berliner Anwälten 111 negativ verlaufen war, ebenso<br />

1985 für die Bremer und Hamburger Anwälte, blieb – vor<br />

der Wiedervereinigung – nur noch das Land Hessen übrig.<br />

Es gelang auch dort schließlich zum Jahresende 1987, gegen<br />

alle politischen Widerstände das Versorgungswerk der<br />

Rechtsanwälte im Lande Hessen durchzusetzen 112 .<br />

Damit war für die Anwaltschaft die erste Stufe erreicht:<br />

die Versorgungseinrichtungen waren (von den ablehnenden<br />

Stadtstaaten abgesehen) durchweg auf Grund durchgeführter<br />

Urabstimmungen 113 in der alten Bundesrepublik flächendeckend<br />

etabliert. Bei den Gründungsarbeiten vor Ort haben<br />

sich die jeweiligen Rechtsanwaltskammern in<br />

vorbildlicher Weise engagiert.<br />

14. Der Einigungsvertrag<br />

Am 18.5.1990 wurde der Vertrag über die Schaffung einer<br />

Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der<br />

BRD und der DDR geschlossen. Dessen Art. 18 Abs. III<br />

sah für die DDR vor, daß die Errichtung berufsständischer<br />

Versorgungswerke außerhalb der Rentenversicherung möglich<br />

werden sollten. Das war durchaus nicht selbstverständlich,<br />

sondern das Ergebnis vielfältiger Bemühungen auf politischer<br />

Ebene 114 . So hatten z. B. der Bundesvorstand des<br />

95 Die Gründer waren sich der Pilotwirkung durchaus bewußt. Siehe Diethart<br />

Heinemann, Versorgungswerke der Kammer: Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen,<br />

BRAK-Mitt 82, 94; Ulrich Kirchhoff, aaO., S. 175.<br />

96 Gesetz vom 14.3.1982, NdS. GVBl. 1982, 65.<br />

97 Promotoren der niedersächsischen Initialzündung waren – was die Anwaltschaft<br />

nicht vergessen sollte – die Rechtsanwälte Ulrich Stobbe (Vorsitzender<br />

des zuständigen Landesverbands), Diethart Heinemann (Geschäftsführer der<br />

zuständigen Rechtsanwaltskammer), Ulrich Kirchhoff (Hauptgeschäftsführer<br />

der Ärzteversorgung Niedersachsen) und Hans-Hermann Reusch (Geschäftsführer<br />

des Dachverbandes ABV und Mitglied der Sachverständigenkommission<br />

Alterssicherungssysteme).<br />

98 AnwBl 1983, 256.<br />

99 Es gab einen DAV-Ausschuß „Versorgungswerke“, dem die Kollegen Bernd<br />

Bürglen, Heinz Eicher, Hans Kaiser, Hermann Plagemann, Eckhard Simon,<br />

Hans-Jürgen Sterner, Ulrich Stobbe und Erhard Senninger angehörten.<br />

100 Satzung vom 15.10.1983, Saarl. Amtsblatt 1983, 834.<br />

101 BRAK-Mitt. 1983, 166.<br />

102 Gesetz vom 20.12.1983, Bay. GVBl. 1983, 1099.<br />

103 Gesetz vom 3.9.1984, Schl.-H. GVBl. 1984, 159.<br />

104 Hierzu Peter Thümmel, Tätigkeitsbericht des Kölner <strong>Anwaltverein</strong>s, in „100<br />

Jahre Kölner <strong>Anwaltverein</strong>“ 1987 (ISBN 3-923167-06-7) S. 245.<br />

105 Gesetz vom 6.11.1984, NRW. GVBl. Nr. 62 vom 29.11.1984.<br />

106 Siehe hierzu Hans Kaiser in INFO 13 des Versorgungswerks der Rechtsanwälte<br />

in Baden-Württemberg, sowie dessen unveröffentlichter Vortrag vom<br />

24.4.1982 vor der Kammerversammlung in Mannheim (Maschinenschriftliches<br />

Manuskript).<br />

107 Siehe auch die Erwähnung in Schlußabsatz des Buches von Karl Otto Scherner,<br />

Advokaten, Revolutionäre, Anwälte, Die Geschichte der Mannheimer<br />

Anwaltschaft, Sigmaringen 1997, S. 344. Das Buch enthält eindrucksvolle<br />

Schilderungen der lokalen Anwaltschaft im vorigen Jahrhundert.<br />

108 Gesetz vom 10.12.1984, BadWttb. GBl. 1984, 671.<br />

109 Gesetz vom 29.1.1985, Rh-Pf. GVBl. 1985, 37.<br />

110 Der Präsident des DAV, Ludwig Koch, hatte an den Justizminister in Mainz,<br />

Herrn Prof. Dr. Bickel am 2. Oktober 1984 geschrieben: „Die auch von uns<br />

befürwortete gesetzliche Pflichtmitgliedschaft in den Versorgungswerken<br />

bringt keine Einschränkung der Freiheit der Advokatur mit sich. Im Gegenteil:<br />

sie gewährleistet eine gewisse Sicherheit in der Berufsausübung und<br />

gestattet älteren Kollegen, sich rechtzeitig zurückzuziehen (und damit auch<br />

der großen Zahl jüngerer Kollegen Platz zu machen). Für die Rechtspflege<br />

allgemein dürfte es von Vorteil sein, wenn eines ihrer Organe, nämlich die<br />

Anwaltschaft, in der Gewißheit einer einigermaßen angemessenen Altersversorgung<br />

ihre Pflichten erfüllen kann“. Das Schreiben ist bei Karl Eichele<br />

aaO. zitiert.<br />

111 Berliner AnwBl 1984, 120.<br />

112 Gesetz vom 16.12.1987, Hess. GVBl. 1987 I, 232.<br />

113 Baden-Württemberg BRAK-Mitt. 1983, 62, 166 und 1984, 172; Bayern<br />

BRAK-Mitt. 1983, 62 und 1984, 9; Hessen BRAK-Mitt. 1984, 102, 172 und<br />

1986, 46; Niedersachsen BRAK-Mitt. 1982, 95; Nordrhein-Westfalen BRAK-<br />

Mitt. 1984, 14; Schleswig-Holstein BRAK-Mitt. 1985, 18 und 1986, 172.<br />

114 Siehe z. B. Hans Hermann Reusch, Versorgungswerke auch in der DDR?<br />

Deutsches Ärzteblatt 1987, Seite D-449.


AnwBl 11/98 565<br />

Aufsätze l<br />

DGB und der Sprecherrat der Gewerkschaften der DDR in<br />

einer Stellungnahme vom 15.5.1990 heftig dagegen Stellung<br />

bezogen. Rudolf Dreßler hatte am 20.2.1990 die Beibehaltung<br />

der Versicherungspflicht der Selbständigen in<br />

den neuen Bundesländern empfohlen. Am 28.6.1990 wurde<br />

von der Volkskammer ein „Gesetz über die<br />

Sozialversicherung – SVG“ in das Gesetzblatt der noch bestehenden<br />

DDR gebracht, welches eine klare Sperrnorm gegen<br />

die Errichtung freiberuflicher Versorgungswerke in der<br />

DDR dadurch bedeutete, daß es ein Befreiungsrecht von<br />

der Rentenversicherung nur für Selbständige statuierte. Der<br />

Einigungsvertrag vom 31.8.1990 sah in Artikel 8 aber dann<br />

die Überleitung von Bundesrecht auf das Beitrittsgebiet<br />

vor, damit auch die wichtige Bestimmung des § 6 SGB VI.<br />

Sie sollte nach dem vor der Wiedervereinigung schon verkündeten<br />

Rentenreformgesetz 1992 115 vom 18.12.1989 am<br />

1.1.1992 (in den alten Bundesländern) in Kraft treten, erlangte<br />

mit Absatz 1, Nr. 1 und Absätzen 2 bis 5 in den neuen<br />

Bundesländern schon mit dem Beitritt Wirkung in den<br />

neuen Bundesländern 116 . Da die Kompetenzen der neuen<br />

Bundesländer denen der alten Bundesländer entsprachen,<br />

waren mit dem Einigungsvertrag die gesetzlichen Voraussetzungen<br />

für die Gründung von Berufsständischen Versorgungswerken<br />

auch in den neuen Bundesländern – unter<br />

Einschluß der Angestellten – geschaffen. Die Heilberufe<br />

sind auch hier vorangegangen und haben binnen Kürze flächendeckend<br />

gewirkt.<br />

15. Die zweite Gründungswelle<br />

Der Vorstand des DAV kam am 8.10.1993 auf seiner Sitzung<br />

in Rostock 117 auf seine frühere Empfehlung wie folgt<br />

zurück:<br />

„Die Berechtigung dieser Empfehlung ist durch Bestand<br />

und Erfolg der in den letzten 10 Jahren gegründeten sieben<br />

Rechtsanwaltsversorgungswerke bestätigt. Sie sind zu einem<br />

festen Bestandteil der Anwaltsschaft geworden. ... Im Hinblick<br />

auf die Anstrengungen, nun auch in den neuen Bundesländern<br />

Rechtsanwaltsversorgungswerke auf landesgesetzlicher<br />

Grundlage zu errichten, wird diese Empfehlung<br />

heute wiederholt und bekräftigt. Alle Kolleginnen und Kollegen<br />

bleiben aufgerufen, die Berufständische Versorgung der<br />

Rechtsanwälte durch Aufbau auch in den neuen Bundesländern<br />

zu vollenden und damit zur Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse<br />

in ganz Deutschland beizutragen“.<br />

Die Rechtsanwälte wurden in den neuen Bundesländern<br />

aktiv 118 :<br />

1. Zum Jahresende 1993 wurde das Gesetz über das Versorgungswerk<br />

der Rechtsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern<br />

verabschiedet 119 ,<br />

2. Zur selben Zeit kam auch das Gesetz über die Errichtung<br />

des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Sachsen-<br />

Anhalt zustande 120 ,<br />

3. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Freistaat<br />

Sachsen folgte zur Jahresmitte 1994 121 ,<br />

4. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Land<br />

Brandenburg geht auf ein Gesetz vom Jahresende 1995 zurück<br />

122 ,<br />

5. Das Thüringer Gesetz über das Versorgungswerk der<br />

Rechtsanwälte wurde am 31.5.1996 beschlossen 123 .<br />

Dieser Fortschritt blieb nicht ohne Rückwirkungen auf<br />

die bisher reservierte Haltung der Stadtstaaten.<br />

1. Nach langen und zähen Diskussionen hat die Kammerversammlung<br />

Berlin am 3.3.1994 einen überwältigen-<br />

den Mehrheitsbeschluß zugunsten eines Versorgungswerks<br />

zustande gebracht. Das ebenso zähe Gesetzgebungsverfahren<br />

im Berliner Abgeordnetenhaus ist im Februar 1998 abgeschlossen<br />

worden 124 .<br />

2. Am 17.9.1997 kam das Gesetz über die Rechtsanwaltsversorgung<br />

in der Freien Hansestadt Bremen (Hanseatische<br />

Rechtsanwaltsversorgung) zustande 125 . Die Satzung<br />

ist rechtzeitig vor Jahresende beschlossen und in Kraft gesetzt<br />

worden, so daß die Arbeit zum Jahresbeginn 1998<br />

aufgenommen werden konnte.<br />

Damit erreicht die Anwaltschaft nun ein Stadium, welches<br />

im Bereich der Heilberufe bereits seit längerem selbstverständlich<br />

ist: die berufsständische Versorgung ist auch<br />

für ihren Beruf flächendeckend etabliert. Es steht – sofern<br />

die Urabstimmung in Sachsen-Anhalt noch abgeschlossen<br />

werden kann – dann nur noch Hamburg beiseite; eine Ironie<br />

der Geschichte, wenn man den oben dargestellten Beitrag<br />

Hamburgs zur Diskussion in den zwanziger Jahren dieses<br />

Jahrhunderts bedenkt 126 , 127 .<br />

16. Die Friedensgrenze<br />

Ein schwelendes Problem der Vergangenheit ist die Behandlung<br />

der abhängig Beschäftigten gewesen. Angestellte<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind ja sowohl (Kraft<br />

ihres Berufs durch Kammerzulassung) Mitglied ihres Versorgungswerks<br />

und zugleich (als abhängig Beschäftigte) nach §<br />

1Abs.1,Ziff.1SGBVIMitgliedderBfA.Zwarkönnensie<br />

sichnach§6SGBVIvonderBfAbefreienlassen.Wasgeschieht<br />

aber nach Rückgabe der Anwaltszulassung – und<br />

wie war zu verfahren, wenn sich andere, neue Berufsgrup-<br />

115 BGBl. I S. 2261.<br />

116 Anlage 1 zum Einigungsvertrag, Besondere Bestimmungen zur Überleitung<br />

von Bundesrecht, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt III, Ziffer 1 b.<br />

117 AnwBl 1994, 235.<br />

118 In diesem Zusammenhang sollte die Anwaltschaft ebenfalls nicht vergessen,<br />

daß sie den Aufbau in den neuen Bundesländern der Mithilfe vieler Kolleginnen<br />

und Kollegen aus den Vorständen der etablierten Versorgungswerke, vor<br />

allem aber dem unermüdlichen Einsatz des jetzigen Hauptgeschäftsführers<br />

der ABV, Michael Jung, verdankt.<br />

119 Gesetz vom 14.12.1993, GVOBl. M-V, 1994, 6.<br />

120 Gesetz vom 13.12.1993, SachsAnh. GVBl. 1993, 761. Dieses Gesetz bestimmt<br />

allerdings in § 18 Abs. 4: „Die Beschlußfassung über die Satzung bedarf<br />

zu ihrer Wirksamkeit der Bestätigung durch zwei Drittel der Rechtsanwälte,<br />

die Pflichtmitglieder des Versorgungswerks werden sollen“. Das<br />

bedeutet die Anordnung einer nachträglichen (zeitlich nicht begrenzten) Urabstimmung.<br />

Da die Zulassungszahlen ständig zunehmen, läuft die Anwaltschaft<br />

von Sachsen-Anhalt der notwendigen Mehrheit derzeit buchstäblich<br />

wie der Hase dem Igel hinterher. Es besteht aber Hoffnung, daß diese Mehrheit<br />

demnächst zustande kommen wird. Sehr sinnvoll erscheint die gesetzliche<br />

Regelung nicht.<br />

121 Gesetz vom 16.6.1994, Sächs. GVBl. 1994, 1107.<br />

122 Gesetz vom 4.12.1995, Bbg. GVBl. I,1995, 266.<br />

123 Gesetz vom 31.5.1996, Thür. GVObl. 1996, 70.<br />

124 Gesetz vom 7.2.1998, Berl. GuVoBl. 1998 Nr. 3.<br />

125 Gesetz vom 17.9.1997, Brem. GBl. 1997, 329.<br />

126 Die Einführung eines Versorgungswerks ist in Hamburg anläßlich einer Urabstimmung<br />

im Oktober 1994 mit Mehrheit erneut abgelehnt worden. Hierbei<br />

spielte die Lebensversicherungswirtschaft eine nicht unbedeutende Rolle. Die<br />

Prophezeiung von Ostler zur Entscheidung von 1924 (siehe obige Fußnoten<br />

27 und 28) wirkt noch heute. Der Vorgang dokumentiert andererseits deutlich,<br />

daß es vom Willen der regionalen Berufsstände abhängt, ob sie eine entsprechende<br />

Einrichtung wollen oder nicht.<br />

127 Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß die ca. 30 Rechtsanwälte<br />

am Bundesgerichtshof bisher ebenfalls noch keiner Versicherungspflicht in<br />

einem Berufsständischen Versorgungswerk unterliegen. Sie hatten bei Gründung<br />

des Versorgungswerk in Baden-Württemberg nicht teilnehmen wollen.<br />

Es waren teilweise Bemühungen im Gange, ihre Teilnahme an diesem Versorgungswerk<br />

doch noch zu ermöglichen. Allerdings handelt es sich insoweit<br />

nur um ein Problem am Rande: wer BGH-Anwalt wird, ist schon längere<br />

Zeit Rechtsanwalt und damit Mitglied im Versorgungswerk seines Herkunftslandes<br />

gewesen. Dort kann er die Mitgliedschaft ohnehin fortsetzen. Auf die<br />

Dauer werden deswegen auch die meisten BGH-Anwälte als fortgesetzte<br />

Mitglieder aus ihren Herkunftsländern in der Berufsständischen Versorgung<br />

sein.


566<br />

l<br />

pen aufmachen würden, Versorgungswerke zu gründen? Hier<br />

hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.1996 eine “Friedensgrenze<br />

gezogen, welche die Verhältnisse nun klarstellt<br />

128 . Die Einzelheiten sind andernorts schon dargestellt<br />

worden 129 . Dort wird in der Zusammenfassung von einem<br />

„verfassungsfesten Kompromiß“ gesprochen, der „einerseits<br />

eine fortschreitende Herauslösung immer neuer Berufsgruppen<br />

aus der gesetzlichen Rentenversicherung verhindert, andererseits<br />

aber auch die Existenz von Versorgungswerken<br />

der klassischen Freien Berufe sichert“ 130 .<br />

Die Friedensgrenze besteht in einer Schärfung der tatbestandlichen<br />

Voraussetzungen des grundlegenden § 6<br />

Abs. 1 und 5 SGB VI 131 . Sie bedeutet den Schlußstein der<br />

Anerkennung der länderbezogenen Berufständischen Versorgung<br />

durch den Bundesgesetzgeber. Die Anwaltsversorgungswerke<br />

sind damit endgültig in ihrer Eigenschaft als<br />

Einrichtungen “sui generis etabliert und in ihrem Fortbestand<br />

gesichert 132 .<br />

17. Folgerungen<br />

Aus dieser Darstellung ergibt sich:<br />

a) berufsständische Versorgungseinrichtungen sind keine<br />

Eintagsfliegen. Hier ist ein seit bald 200 Jahren wirksamer<br />

Gedanke umgesetzt.<br />

b) Streit um Pflichtmitgliedschaft ist nutzlos. Die Diskussion<br />

ist schon im vorigen Jahrhundert ausgestanden worden<br />

– sie ist in jedem Fall aber durch die verfassungsgerichtliche<br />

Rechtsprechung Ende der fünfziger, Anfang<br />

sechziger Jahre erledigt. Freier Beruf und Pflichtmitgliedschaft<br />

widersprechen sich dann nicht, wenn es sich um eine<br />

eigene Einrichtung des Berufsstandes handelt.<br />

c) Der Konflikt mit den Lebensversicherungen hat Tradition.<br />

Die bei allen Gründungsbemühungen bis in die<br />

jüngste Zeit von dort aufgebauten Hindernisse sind im<br />

wesentlichen überwunden 133 . Fortschrittliche Gesellschaften<br />

der privaten Lebensversicherungswirtschaft haben längst erkannt,<br />

daß ein fruchtbares Nebeneinander der unterschiedlichen<br />

Sicherungssyssteme den Interessen der vorsorgenden<br />

Rechtsanwälte am ehesten gerecht wird.<br />

d) Die Anwaltschaft wäre bereit gewesen, eine bundeseinheitliche<br />

Regelung zustande zu bringen. Der Gesetzgeber<br />

des Bundes hat sie verweigert und auch die Anwälte<br />

bei der großen Rentenreform vom Tisch der damals Beglückten<br />

gewiesen. Berufsständische Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />

auf Landesebene gibt es, weil der Bundesgesetzgeber<br />

die Rechtsanwälte (mit den anderen Freien<br />

Berufen) erst nicht den Zutritt zur allgemeinen Rentenversicherung<br />

gestattete und sich dann einem eigenen Rechtsanwaltsversicherungsgesetz<br />

verweigerte.<br />

e) Die lang gehegte Hoffnung, daß – insbesondere wegen<br />

des jeweiligen Uraltbestandes, der ja keine Beiträge<br />

mehr bezahlen konnte – wie bei anderen Berufsgruppen<br />

(Landwirte!) eine staatliche Hilfe erwartet werden könne,<br />

ist in einem schmerzhaften Prozeß enttäuscht worden. Viele<br />

der älteren Kolleginnen und Kollegen, die unermüdlich gekämpft<br />

haben, sind selbst nicht mehr in den Genuß der berufsständischen<br />

Versorgung gekommen. Ihnen sollte der<br />

Dank der Jüngeren gelten.<br />

f) Es lohnt sich auch für Juristen, über Finanzierungsverfahren<br />

der sozialen Sicherheit nachzudenken. Was heute in<br />

vielfältigen Reformvorschlägen für die gesetzliche Rentenversicherung<br />

propagiert wird, ist bei den Versorgungswerken<br />

längst verwirklicht. Die Versorgungswerke der Anwalt-<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

schaft sind nach dem offenen Deckungsplanverfahren mit<br />

Ausnahme Bayerns organisiert, wo ein modifiziertes Anwartschaftsdeckungsverfahren<br />

Anwendung findet. Gemeinsam<br />

ist allen der hohe Anteil der Kapitaldeckung 134 .<br />

g) Es entspricht heute der inneren Kraft und dem Selbstverständnis<br />

der Anwaltschaft wie aller freien Berufe, daß die<br />

Bewältigung der eigenen Probleme letztlich ohne staatlich finanzielle<br />

Hilfe möglich und verwirklicht ist. Bestand kann<br />

diese Feststellung nur haben, wenn – bei Beibehaltung der<br />

Flexibilität und Vielfältigkeit des Systems – die Beschränkung<br />

auf den Kernbereich der Risiken des Freien Berufs erhalten<br />

und nicht durch wahllose Übernahme von aus anderen<br />

Systemen bekannten „Segnungen“ geschwächt wird.<br />

h) Der Bundesgesetzgeber selbst hat die Versorgungswerke<br />

inzwischen durch zahlreiche bundesgesetzliche Einpassungsvorschriften<br />

und insbesondere die wiederholte Bestätigung<br />

und Konkretisierung der Befreiungsvorschrift des<br />

§ 6 SGB VI als Magna Charta der Versorgungswerke bestätigt.<br />

Das geschah schließlich und endgültig durch die erst<br />

vor kurzem erfolgte endgültige Ziehung der „Friedensgrenze“<br />

zur gesetzlichen Rentenversicherung.<br />

Vor diesem sind die Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />

konsolidiert. Neben Rechtsanwaltskammern und Anwaltsvereinen<br />

existieren (neben der saarländischen Kammereinrichtung)<br />

in Deutschland weitere 15 ausschließlich von Anwälten<br />

verwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts!<br />

Die deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte können<br />

stolz darauf sein, in den letzten zwei Jahrzehnten erreicht<br />

zu haben, was ihre Väter seit wenigstens eineinhalb<br />

Jahrhunderten ersehnt haben: ein selbstverwaltetes, selbstfinanziertes<br />

und staatsunabhängiges Instrument, welches<br />

bei der Vorsorge für Alter, Hinterbliebene und Invalidität<br />

europaweit keinen Vergleich zu scheuen braucht. Es besteht<br />

für die Versorgungswerke und ihre inzwischen über 60000<br />

Mitglieder 135 deswegen kein Anlaß, mit Pessimismus in die<br />

Zukunft zu schauen. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge<br />

hat bei der heute umfassenden sozialpolitischen Diskussion<br />

hochaktuellen Bezug.<br />

128 Gesetz vom 15.12.1995 (BGBl. I. 1824).<br />

129 Thomas Mann, Die Friedensgrenze zwischen Anwaltsversorgung und gesetzlicher<br />

Rentenversicherung, NJW 1996, S. 1315 ff.<br />

130 Thomas Mann, aaO., S. 1320.<br />

131 Und der damit zusammenhängenden Übergangsvorschrift des § 231 SGB VI.<br />

132 Deswegen würde ein Vorhaben, die angestellten Rechtsanwälte aus den Versorgungswerken<br />

herauszulösen, um der gesetzlichen Rentenversicherung weitere<br />

Beitragszahler zuzuführen, einen schweren Verstoß gegen das vom Gesetzgeber<br />

geschaffene Vertrauen bedeuten. Ebenso kurzsichtig ist es, ohne<br />

weiteres Nachdenken Rechtsinstitute (wie z. B. Kindererziehungszeiten), die<br />

in der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt sind, nun kritiklos zur<br />

nachträglichen Einführung auch bei den Versorgungswerken zu fordern. Daß<br />

in Niedersachsen ( § 14 Abs. 3 d der Satzung), Hessen (§ 17 Abs. 4 b der Satzung)<br />

und Bremen (§ 14 Abs. 3 Ziffer 4 der Satzung) jeweils bei Gründung<br />

des betreffenden Versorgungswerks eingeführt worden sind, ändert daran<br />

nichts. Dieser Umstand dokumentiert lediglich die Satzungsautonomie. Das<br />

heute hochaktuelle Streitthema bedarf gesonderter Bearbeitung.<br />

133 Es sei hier angefügt, daß bei den derzeit laufenden Gründungsbemühungen<br />

von Versorgungswerken der Steuerberater massive Widerstände der privaten<br />

Lebensversicherungswirtschaft unter Einsatz professioneller Werbekampagnen<br />

zu beobachten sind. Der Dachverband der Versorgungswerke (ABV in<br />

Köln) hat sich deswegen veranlaßt gesehen, mit publizistischen Mitteln dagegen<br />

vorzugehen.<br />

134 Zu den Finanzierungsverfahren: Peter Thullen, Mathematische Methoden der<br />

Sozialen Sicherheit, Karlsruhe 1977.<br />

135 Zum Jahresende 1997 waren in Deutschland etwas mehr als 91 700 Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte zugelassen. Daß sie nicht alle Mitglieder der<br />

Versorgungswerke sind, liegt am noch jugendlichen Alter der Rechtsanwaltsversorgungswerke.<br />

Der Gründungsbestand hatte kein Teilnahmerecht (wenn<br />

über 60 Jahre alt) oder konnte Befreiungsrechte in Anspruch nehmen (wenn<br />

über 45 Jahre alt ). Jeder heute neu zugelassene junge Anwalt wird (außer in<br />

Hamburg und beim BGH – in Berlin und Sachsen-Anhalt erst, wenn die<br />

Rechtsgrundlagen komplettiert sein werden) Mitglied eines Versorgungswerks.


AnwBl 11/98 567<br />

Aufsätze l<br />

Die Absprache im<br />

Strafverfahren<br />

– Blickwinkel: das materielle Strafrecht –<br />

Assessor Stefan Braun, Backnang<br />

Absprachen oder Deals oder wie immer man informelle<br />

Erledigungen im Strafverfahren, bei denen insbesondere<br />

die professionellen Akteure verfahrensrelevante Umstände<br />

(bes. Verfahrensergebnisse) „aushandeln“, auch bezeichnen<br />

möchte, werfen eine Vielzahl von Problemen auf.<br />

Diese sind hauptsächlich im Bereich des Strafverfahrensrechts<br />

angesiedelt und haben die Diskussion insbesondere<br />

zum Ende der 80iger und Beginn der 90iger Jahre beschäftigt.<br />

Auch der 58. DJT 1990 hatte sich mit dieser<br />

Problematik befaßt.<br />

Zu diesen strafprozessualen Problemstellungen existiert<br />

eine beachtliche Anzahl von entsprechenden Fachbeiträgen<br />

auf die an dieser Stelle verwiesen werden muß. 1<br />

Nur vereinzelt finden sich dagegen Beiträge, die sich<br />

mit den Deals unter dem Gesichtspunkt des materiellen<br />

Strafrechts befassen. Jedoch bestehen auch hierzu Beziehungspunkte.<br />

Auch das BVerfG hat in seiner zentralen Entscheidung<br />

zum Absprachebereich vom 21.7.1987 (2 BvR<br />

1133/86) 2 u. a. ausgeführt, daß einer Verständigung zwischen<br />

Gericht und Verfahrensbeteiligten auch schon durch<br />

das Strafrecht Grenzen gesetzt sind. Näher ausgeführt wurde<br />

dies jedoch nicht.<br />

Daß diese materiell-rechtlichen Problemstellungen kaum<br />

auftauchen liegt auch an den spezifischen Fallgestaltungen,<br />

auf die noch näher einzugehen sein wird.<br />

Gleichwohl können solche Probleme durchaus relevant<br />

werden. Daher soll im folgenden nun eine etwas nähere<br />

Betrachtung der Normen erfolgen, die durch die Dealpraxis<br />

verletzt oder tangiert werden können:<br />

a.) in bezug auf die Amtsträger:<br />

aa) § 336 StGB (Rechtsbeugung)<br />

(1.) Nach § 336 StGB wird u. a. ein Richter oder anderer<br />

Amtsträger, der dienstlich mit der Leitung oder Entscheidung<br />

einer Rechtssache betraut ist, bestraft, wenn er<br />

sich dabei einer Beugung des Rechts zugunsten oder zum<br />

Nachteil einer Partei schuldig macht. Dabei umfaßt der Begriff<br />

einer Rechtssache insbesondere auch die von einem<br />

Gericht zu entscheidenden Strafsachen. 3 Unter den Begriff<br />

der „anderen Amtsträger“ fallen in diesem Zusammenhang<br />

auch die Schöffen 4 sowie der Staatsanwalt, da dieser eine<br />

Strafsache leitet, solange sie in seinen Händen liegt. 5 So<br />

kann ein Staatsanwalt beispielsweise eine Rechtsbeugung<br />

als Leiter des Ermittlungsverfahrens 6 bezüglich eigenverantwortlicher<br />

Entscheidungen etwa im Bereich der §§ 153,<br />

170 II StPO, 45 JGG begehen 7 womit der hier in Betracht<br />

kommende Bereich in zeitlicher Hinsicht über die Hauptverhandlung<br />

hinaus ausgedehnt wird und sich damit auf<br />

den gesamten Absprachebereich erstreckt. 8<br />

(2.) Zentrale Frage ist nun, ob durch eine Absprache,<br />

insbesondere durch die der Angeklagte/Beschuldigte eine<br />

geringere Strafe als ohne die Absprache oder gar, bei Ablehnung<br />

der Verständigung, eine höhere Strafe als die „normale<br />

Strafe“ erhält, das Tatbestandsmerkmal der „Beugung<br />

des Rechts“ erfüllt wird.<br />

Da § 336 StGB im Bereich des Tatbestandsmerkmals<br />

des „Rechts“ nicht nur das materielle, sondern auch prozessuales<br />

Recht umfaßt, 9 sind darüber hinaus aber auch noch<br />

weitere Fallkonstellationen, die zu keiner anderen als der<br />

„normalen Strafe“ führen, aber sonstige Normen verletzen,<br />

denkbar.<br />

Weiterhin ist eine Rechtsbeugung auch im Bereich der<br />

Ermessensentscheidungen in Form des Ermessensmißbrauchs<br />

möglich, 10 was hier insbesondere Auswirkungen im<br />

Bereich der Strafzumessung 11 haben könnte.<br />

(3.) Das Recht ist gebeugt, wenn eine Entscheidung ergeht,<br />

die im Widerspruch zu Recht und Gesetz steht. 12 Dies<br />

kommt insbesondere in Betracht bei Sachverhaltsverfälschungen,<br />

13 falscher Rechtsanwendung, 14 Verfügung einer<br />

gesetzlich nicht vorgesehenen Maßnahme 15 sowie auch bei<br />

Unterlassungen, z. B. der Nichtstellung sachgemäßer Fragen.<br />

16 Dabei ist umstritten, ob das Vorliegen einer Rechtsbeugung<br />

insoweit objektiv, subjektiv oder unter Rückgriff<br />

auf die Pflichten des Amtsträgers zu bestimmen ist. 17<br />

Nach der subjektiven Theorie ist das Recht nur dann gebeugt,<br />

wenn die Rechtsanwendung in bewußtem Widerspruch<br />

zur Überzeugung des Amtsträgers steht. 18 Wäre danach<br />

ein Amtsträger von der Rechtmäßigkeit einer<br />

Absprache überzeugt, etwa weil er sich mit dem Befund begnügt,<br />

die Einzelergebnisse seien von der Aktenlage gedeckt,<br />

19 käme eine entsprechende Strafbarkeit hier nicht in<br />

Betracht. Dieser Ansicht steht jedoch entgegen, daß ein<br />

Amtsträger nicht schon deshalb „pflichtgemäß“ handelt,<br />

weil er von der Richtigkeit seiner Auffassung überzeugt ist.<br />

Maßgebend ist vielmehr, wie er zu dieser Überzeugung ge-<br />

1 Vgl. dazu z. B. (je m. w. N.): Denker/Hamm, Der Vergleich im Strafprozeß;<br />

Schünemann, Gutachten zum 58. DJT, 1990; Kremer, Absprachen zwischen<br />

Gericht und Verfahrensbeteiligten im Strafprozeß; Schmidt-Hieber, Verständigung<br />

im Strafverfahren; Rönnau, Die Absprache im Strafprozeß; Siolek, Verständigung<br />

in der Hauptverhandlung; Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit;<br />

Gerlach, Absprachen im Strafverfahren.<br />

2 BVerfGE NStZ 1987, 419 f. = Wistra 87, 134 ff. = DRIZ 87, 196 ff.<br />

3 Sch/Schr.-Cramer § 336 Rdnr. 3.<br />

4 Dreher/Tröndle. § 336 Rdnr. 4.<br />

5 BGHSt 12, 193; Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 4.<br />

6 Wessels, StrR B T 1, § 26 I; BGHSt. 32, 357; Sch/Sch-Cramer; § 336 Rdnr. 9.<br />

7 Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 4.<br />

8 Vgl. Schünemann, Gutachten 8 131/132.<br />

9 Dähn, StGB § 336, 3; Blei, Strafrecht II B T § 112 II; Welzel, Strafrecht<br />

S. 544; Wessels B T § 16 II 2.<br />

10 BGH NJW 71, 571; BGHSt. 3, 110/4, 66/10,300.<br />

11 Wessels BT 1 § 26 II 2; OGHSt 2, 29; Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 5.<br />

12 Sch/Sch-Cramer; § 336 Rdnr. 5 a.<br />

13 BGH NJW 60, 253.<br />

14 Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 5; Sch/Sch-Cramer, § 336 Rdnr. 4.<br />

15 BGHSt. 32 359.<br />

16 Sch/Sch aaO; Dreher/Tröndle aaO.<br />

17 Wessels, StrR B t 1, § 26 II 2.<br />

18 Wessels aaO m. w. N.<br />

19 Schünemann, Gutachten B 133.


568<br />

l<br />

langt ist 20 Ansonsten könnte jeder Amtsträger durch dieses<br />

subjektive Argument seine Strafbarkeit in diesem Bereich<br />

ausschließen. Daher ist die subjektive Theorie abzulehnen.<br />

Die herrschende objektive Theorie stellt dagegen darauf<br />

ab, ob die in Frage stehende Entscheidung Recht und Gesetz<br />

in objektiver Weise widerspricht. 21 Dabei ist eine objektive<br />

fehlerhafte Rechtsanwendung aber nur zu bejahen,<br />

wenn die Auffassung des Amtsträgers eindeutig nicht einmal<br />

mehr vertretbar erscheint. 22<br />

Auch die Pflichtverletzungstheorie, nach der der Tatbestand<br />

bei mehrdeutigen Rechtsnormen dann erfüllt ist,<br />

wenn die Entscheidung trotz vertretbaren Ergebnisses aufgrund<br />

sachfremder Erwägungen getroffen wurde, fordert,<br />

daß diese Erwägungen leicht identifizierbar sein müssen. 23<br />

Fraglich ist nun, ob die Absprachen diese Voraussetzungen<br />

erfüllen. Dies kann pauschal nicht beantwortet werden,<br />

weil Absprachen in einer Vielzahl von Schattierungen und<br />

in großer Bandbreite anzutreffen sind.<br />

Greift man aus der Fülle der unterschiedlichen strafprozessualen<br />

Absprachen einige typische Fälle heraus, so ergibt<br />

sich folgendes Bild:<br />

In dem Fall, daß das Gericht nicht seiner Aufklärungspflicht<br />

genügt, sondern ein „schlankes Geständnis“ als Verurteilungsgrundlage<br />

ausreichen läßt, verletzt der Amtsträger<br />

die sich für ihn aus der Verfahrensordnung ergebenden<br />

Pflichten indem, er unter Verstoß gegen das Verfahrensrecht<br />

bestimmte Beweise nicht erhebt oder verwertet. 24 Gerade<br />

also der Prototyp einer Absprache, nämlich die Einräumung<br />

einer Strafmilderung als Gegenleistung für ein verfahrensabkürzendes<br />

Geständnis beruht somit auf einem Verstoß gegen<br />

die gerichtliche Aufklärungspflicht und erfüllt somit dieses<br />

Merkmal des objektiven Tatbestandes der Rechtsbeugung. 25<br />

Gleiches gilt für den Fall der Herabstufung eines Delikts<br />

von einem Verbrechen zu einem Vergehen, um das Verfahren<br />

dann wegen Geringfügigkeit nach § 153a StPO einstellen zu<br />

können. 26 Da eine Rechtsbeugung auch durch Ermessensmißbrauch<br />

beispielsweise im Bereich der Strafzumessung<br />

möglich ist, 27 ist der Tatbestand des § 336 StGB diesbezüglich<br />

auch dort erfüllt, wo die Einräumung eines Strafrabatts<br />

primär auf prozeßökonomischen Erwägungen beruht und<br />

nicht mehr auf der Überlegung, den Täter zu einer schuldangemessenen<br />

Strafe zu verurteilen. 28<br />

Schließlich soll auch noch der Fall der Einstellung wegen<br />

Geringfügigkeit gemäß § 153 a StPO an sich erwähnt<br />

werden. Die starke Überdehung die diese Vorschrift in der<br />

Praxis erfahren hat, 29 indem bei keineswegs geringer<br />

Schuld und gegebenenfalls vorliegendem öffentlichen Interesse<br />

dennoch das Verfahren zum Vorteil des Beschuldigten<br />

eingestellt wird, nähert sich in bedenklichem Maße einer<br />

Grenze, jenseits derer eine Rechtsbeugung angenommen<br />

werden muß. 30 Die Akteure gewinnen ihren Handlungsspielraum<br />

in diesem Bereich allerdings aus der Unbestimmtheit<br />

der Rechtsbegriffe und der mangelnden Kontrollmöglichkeit,<br />

so daß das Strafrecht als ultima ratio hier<br />

zurückhaltend angewandt werden sollte. 31<br />

Insgesamt ist festzustellen, daß in den Fällen, in denen<br />

die an der Absprache beteiligten Amtsträger die Grenze<br />

des rechtlich eindeutig Unvertretbaren nicht überschreiten<br />

und dies dürfte die Mehrzahl der Fälle sein, diese das Tatbestandsmerkmal<br />

der Beugung des Rechts nicht erfüllen<br />

und somit keine Rechtsbeugung begehen. 32 In Fällen wie<br />

den geschilderten jedoch in denen sich feststellen läßt, daß<br />

die Motive die einer Absprache zugrunde liegen gegen fundamentale<br />

Strafprozeßgrundsätze des geltenden Rechts ver-<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

stoßen und zu nach geltendem Recht ungerechtfertigten<br />

Entscheidungen führen, für die sich keine sachliche Rechtfertigung<br />

mehr finden läßt, liegt bei Vorliegen auch der<br />

übrigen Tatbestandsmerkmale, insbesondere des subjektiven<br />

Tatbestands eine Rechtsbeugung vor. 33<br />

(4.) Als weiteres Tatbestandsmerkmal setzt die Rechtsbeugung<br />

die Benachteiligung oder Bevorzugung einer Prozeßpartei<br />

voraus. Geschützt ist dabei jede am Verfahren beteiligte<br />

Person, also insbesondere auch der Beschuldigte im<br />

Strafprozeß. 34 Dieser wird dabei bevorzugt oder benachteiligt<br />

bei jeder zu unrecht erfolgenden Besser- oder Schlechterstellung.<br />

35 Dafür genügt neben außerhalb des schuldangemessenen<br />

liegende Strafen auch schon die<br />

Verschlechterung beziehungsweise Verbesserung der prozessualen<br />

Situation oder Beweislage. 36 Um dieses Tatbestandsmerkmal<br />

zu erfüllen, muß jeweils festgestellt werden,<br />

daß die Absprache zu ungerechtfertigten Entscheidungen<br />

geführt hat. Konkret muß also festgestellt werden, daß eine<br />

unzulässige Rechtsauslegung vorliegt oder sachfremde Beweggründe<br />

die Entscheidung beeinflußt haben. Insbesondere<br />

bei den genannten typischen Absprachefällen liegt eine<br />

Verschlechterung der prozessualen Situation für die Fälle<br />

der Ablegung eines Geständnisses, in aller Regel aber eine<br />

Besserstellung des Angeklagten bezüglich des Strafmaßes<br />

oder anderer Zugeständnisse an diesen vor.<br />

Somit wird auch dieses Tatbestandsmerkmal und damit<br />

der objektive Tatbestand der Rechtsbeugung insgesamt in<br />

einer ganzen Anzahl von Fallkonstellationen erfüllt sein.<br />

(5.) Im subjektiven Tatbestand setzt der Tatbestand der<br />

Rechtsbeugung Vorsatz unter Einschluß des dolus eventualis<br />

voraus. 37 Einer besonderen Absicht bedarf es nicht. 38 Ein<br />

Amtsträger hat somit Vorsatz in diesem Sinne bereits dann,<br />

wenn er mit der Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit seiner<br />

Entscheidung rechnet und sich damit abfindet. 39 Dies wird<br />

in vielen Fallgruppen im Absprachebereich ebenfalls zu bejahen<br />

sein. Aufgrund der Annahme, nichts Verbotenes zu<br />

tun, wird im subjektiven Bereich dann aber mit lrrtumsfiguren<br />

– nach Ansicht Schünemanns liegt hier dann ein Verbotirrtum<br />

vor 40 – argumentiert und auf diese Weise eine Straflosigkeit<br />

begründet.<br />

(6.) Da Rechtfertigungsgründe bei der Vorschrift des<br />

§ 336 StGB nur in Ausnahmefällen vorkommen 41 und auch<br />

20 Wessels aaO.<br />

21 Wessels aaO; Sch/Sch-Cramer: § 336 Rdnr. 5 a.<br />

22 Sch/Sch-Cramer; § 336 Rdnr. 5 a; KG NStZ 88, 557: Dreher/Tröndle, § 336<br />

Rdnr. 5; Lackner; § 336 Rdnr. 5 a.<br />

23 Vgl. Rudolphi, in ZStW 82 (1970) 610 ff. (615 ff.); Behrent, JUS 1989,<br />

945 ff. (948 f.).<br />

24 SK-StGB-Rudolphi § 336 Rdnr. 15; vgl. auch Kremer, S. 203.<br />

25 Vgl. etwa Kremer; S. 203; Rönnau, S. 231.<br />

26 Vgl. Kremer aaO.<br />

27 Sch/Sch-Cramer § 336 Rdnr. 4.<br />

28 Vgl. Kremer aaO; vgl. auch noch Rönnau, S. 231 f.<br />

29 Vgl. dazu Rönnau, S. 122 ff.<br />

30 Vgl. auch Schmidhäuser JZ 73, 529 (532).<br />

31 Rönnau, S. 232.<br />

32 Rönnau, S. 233.<br />

33 Vgl. so: Rönnau, aaO; Siolek, S. 211.<br />

34 Vgl. Lackner; StGB § 336 Rdnr. 4.<br />

35 LK-Spendel, § 336 Rdnr. 69.<br />

36 Vgl. dazu SK-Rudolphi, § 336 Rdnr. 18.<br />

37 Wessels, StrR-BT-Teil 1 § 26 II 4.<br />

38 Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 6.<br />

39 Vgl. SK-StGB-Rudolfphi, § 336 Rdnr. 20.<br />

40 Schünemann, Gutachten B 135.<br />

41 So LK-Spendel § 336 Rdnr. 71 ff.


AnwBl 11/98 569<br />

Aufsätze l<br />

die Schuld in aller Regel gegeben sein wird, stehen auch<br />

Gesichtspunkte aus diesen Bereichen in den genannten Fällen<br />

einer Strafbarkeit nicht entgegen.<br />

(7.) Zusammenfassend ergibt sich, daß insbesondere wegen<br />

des hohen Erfordernisses eines evidenten Widerspruchs<br />

der Tathandlung zum geltenden Recht und damit nur bei einer<br />

klaren Überschreitung der Grenzen des Vertretbaren 42<br />

eine Rechtsbeugung vorliegt. Dies ist in vielen Fallkonstellationen<br />

nicht der Fall. Gleichwohl sind aber auch eine Fallvarianten<br />

im Absprachebereich gegeben, bei denen diese<br />

Grenze überschritten ist und eine entsprechende Strafbarkeit<br />

vorliegt.<br />

(8.) Über die reine Subsumtion eines Sachverhalts unter<br />

die Tatbestandsmerkmale des § 336 StGB hinaus sind hier<br />

wegen der besonderen Fallkonstellationen im Absprachebereich<br />

noch einige Gesichtspunkte zu beachten die ihren<br />

Schwerpunkt nicht im materiellen sondern insbesondere im<br />

Beweisrecht haben.<br />

Zwar liegt beispielsweise bei einer objektiv fehlerhaften<br />

und unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbaren Entscheidung<br />

eines Amtsträgers der Tatbestand des § 336<br />

StGB vor. Wie aber soll eine solche Eindeutigkeit bezüglich<br />

der „Nichtvertretbarkeit“ einer Entscheidung im Zusammenhang<br />

mit einer Absprache je konkret festgestellt werden.<br />

Ist dies aber nicht möglich, bliebe ein Amtsträger<br />

selbst dann noch straflos, wenn seine Entscheidung auf<br />

sachfremden Erwägungen beruht, sich aber noch im Rahmen<br />

des Vertretbaren bewegt. 43 Selbst wenn man hier der<br />

Pflichtverletzungstheorie folgt, müßte die „Sachfremdheit“<br />

der Erwägungen leicht identifizierbar sein. Auch dies ist im<br />

Absprachebereich nur schwer anzunehmen. Weiterhin ist<br />

der Nachweis, daß sich der Amtsträger insbesondere im<br />

Bereich der Strafzumessung von sachfremden Beweggründen<br />

hatte leiten lassen erscheint kaum möglich. 44 Bei Kollegialgerichten<br />

kommt hier noch hinzu, daß dann im einzelnen<br />

festgestellt werden müßte, wie die einzelnen Richter<br />

abgestimmt haben. Dies dürfte an dem jeden Richter bindenden<br />

Beratungsgeheimnis aus § 193 GVG scheitern, das<br />

auch in einem Strafverfahren zu beachten ist. 45 .<br />

Auch wenn dies keine Aspekte des materiellen Rechts<br />

im eigentlichen Sinne sind, so tragen diese Gesichtspunkte<br />

doch sicher auch dazu bei, daß Verfahren nach § 336 StGB<br />

in der Praxis so selten relevant werden.<br />

Auch ist in diesem Bereich noch folgendes zu beachten:<br />

Nimmt man z. B. den Fall, daß das Gericht vor der Wahl<br />

steht, entweder eine Absprache durchzuführen und damit<br />

den Angeklagten letztendlich zu bevorzugen oder dies nicht<br />

zu tun und andererseits aber zahllose Strafansprüche beispielsweise<br />

verjähren zu lassen oder das Verfahrenshindernis<br />

der überlangen Verfahrensdauer auszulösen, so würde<br />

es sich, egal wie die Entscheidung diesbezüglich ausfällt,<br />

jedenfalls einer Rechtsbeugung schuldig machen. 46<br />

Daß die Strafverfolgungsbehörden so das Maximum in<br />

bezug auf die staatlichen Strafansprüche erzielen, soll ihnen<br />

nach teilweise vertretener Auffassung, jeweils auf den Einzelfall<br />

bezogen, nicht zugute kommen. 47 Hier kann vernünftigerweise<br />

aber wohl nur mit einer Art Gesamtsaldierung 48<br />

argumentiert werden, aufgrund derer, jedenfalls solange<br />

diese positiv für den staatlichen Strafanspruch ausfällt,<br />

dann keine Rechtsbeugung angenommen werden kann.<br />

Insgesamt ist die Beurteilung der Strafbarkeit von Absprachen<br />

stark von den Besonderheiten des Einzelfalles.<br />

Neben vielen unterschiedlichen Varianten gibt es aber doch<br />

einige Fallgestaltungen bei denen, ungeachtet etwaiger Be-<br />

weisprobleme, ein im Sinne des § 336 StGB relevantes Verhalten<br />

vorliegt.<br />

bb) §§ 258, 258 a StGB (Srafvereitelung im Amt)<br />

§ 258a StGB ist ein qualifizierter Fall des § 258 49 womit<br />

auch in diesem Rahmen alle dort genannten Tatbestandsalternativen<br />

in Betracht kommen.<br />

Durch die häufig bei Absprachen vereinbarten Beschränkungen<br />

auf bestimmte Tatteile oder Strafmilderungen<br />

kommt hier nun insbesondere eine Verletzung des § 258a,<br />

258 l StGB, d. h. die Tatbestandsalternative der Verfolgungsvereitelung<br />

in Betracht. Hierfür ist, wie der Wortlaut<br />

der Norm schon aussagt, auch eine teilweise Verurteilung<br />

ausreichend.<br />

Die Tathandlung des „Vereitelns“ kann in einem aktiven<br />

Tun oder, soweit eine besondere Rechtspflicht zum Tätigwerden<br />

existiert auch in einem Unterlassen bestehen. 50 Sie<br />

muß ihrer Art und Zielsetzung noch darauf gerichtet sein,<br />

die Realisierung des in § 258 Abs. 1 StGB umschriebenen<br />

Ahndungsrechts durch eine Besserstellung des Vortäters<br />

(hier also des Angeklagten) zu verhindern. 51 Dabei muß der<br />

Täter absichtlich oder wissentlich handeln. 52 Diese Voraussetzungen<br />

liegen beispielsweise vor, wenn der Täter statt<br />

wegen eines Verbrechens nur wegen eines Vergehens 53 verurteilt<br />

wird, wenn gesetzlich vorgesehene Strafschärfungen<br />

außer Betracht bleiben 54 oder Strafmilderungsgründe zu<br />

Unrecht herangezogen werden. 55 All dies kann Gegenstand<br />

von Absprachen sein.<br />

Um beurteilen zu können, ob eine Strafvereitelung aber<br />

tatsächlich vorliegt, kommt es wiederum auf die Umstände<br />

des Einzelfalles an. In vielen Absprachevarianten wird man<br />

davon nicht ausgehen können. Berücksichtigt man aber andererseits,<br />

daß viele Absprachekonstellationen durch charakterisiert<br />

sind, daß dem Angeklagten eine Gegenleistung<br />

für ein Geständnis eine geringere Strafsanktion versprochen<br />

56 oder extensiv von Einstellungsmöglichkeiten Gebrauch<br />

gemacht wird, 57 so liegt in den Fällen in denen der<br />

Strafrabatt dann zu groß ausfällt, das Tatbestandsmerkmal<br />

des „Vereitelns“ und somit auch eine Strafvereitelung vor. 58<br />

Auch an der Feststellung des subjektiven Tatbestandes<br />

(Absicht oder Wissen) wird die Strafbarkeit jedenfalls in<br />

gravierenden Fällen nicht scheitern, da es gerade das Ziel<br />

der Amtsträger ist, den Beschuldigten durch Zugeständnisse<br />

zu einer Absprache zu bewegen. 59 Die Strafverfol-<br />

42 Vgl. Wessels StR-BT-1 § 26 II 2.<br />

43 Vgl. Siolek, S. 210.<br />

44 Vgl. Siolek, S. 211.<br />

45 Vgl. Siolek, S. 213/214; auch KK-Mayr, § 193 GVG Rdnr. 7 m. w. N.<br />

46 Schünemann, Gutachten B 134.<br />

47 Vgl. Dencker/Hamm, S. 77 f.; Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers,<br />

S. 108.<br />

48 Dazu Schünemann, Gutachten B 134.<br />

49 Sch/Sch-Stree, § 258 a Rdnr. 1; Dreher/Tröndle, § 258 a Rdnr. 1.<br />

50 Vgl. dazu BGHSt 4,167.<br />

51 Wessels, StrR-BT 1 § 16 III 2; Kleinknecht/Meyer § 258 Rdnr. 5.<br />

52 Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr. 2.<br />

53 Preisendanz, § 258 Anm. II 3 b; Krey, StrR BT Bd. 1 Rdnr. 616.<br />

54 Sch/Sch-Stree, § 258 Rdnr. 16.<br />

55 Sch/Sch-Stree aaO.<br />

56 Kremer, S. 205.<br />

57 Siolek, S. 214; Rönnau, S. 236.<br />

58 Vgl. so Kremer aaO.<br />

59 Rönnau, S. 237.


570<br />

l<br />

gungsorgane konnten auch nicht darauf verweisen, daß sie<br />

mit ihrem Arrangement nur eine geringere Bestrafung „retten“<br />

wollten, der Beschuldigte ohne die Verständigung also<br />

unter Umständen gänzlich freigesprochen worden wäre,<br />

denn das wären Gesichtspunkte des Notstandes (§§ 34, 35<br />

StGB) und eine Berufung darauf scheitert regelmäßig, weil<br />

derartiges Handeln nicht erforderlich ist. Zumindest wäre<br />

ein solches Verfahren nicht angemessen im Sinne des § 34<br />

S. 2 StGB, weil das Strafprozeßrecht für diese Konstellationen<br />

ein ausreichendes anderes Instrumentarium zur Verfügung<br />

stellt. 60<br />

Insgesamt sind also viele typische Absprachekonstellationen<br />

bezüglich der Tatbestände der §§ 258, 258a StGB<br />

relevant. Gleichwohl ist auch hier wegen der besonderen<br />

Gegebenheiten im Absprachebereich über die rein materiell-rechtliche<br />

Beurteilung hinaus folgendes zu beachten:<br />

Überall dort, wo es für eine Rechtsverletzung maßgeblich<br />

auf den Willen der Beteiligten ankommt, für dessen<br />

Bildung zudem noch ein erheblicher Ermessensspielraum<br />

besteht, wie dies hier der Fall ist, kommt eine Strafbarkeit<br />

nur in Ausnahmefällen in Betracht. 61<br />

Wenn sich das Gericht innerhalb der ihm im Rahmen<br />

der Strafzumessung eingeräumten Grenzen, und zwar abstrakt<br />

betrachtet, den absoluten Grenzen des Ermessensspielraums<br />

bewegt, wird ein Nachweis der Strafvereitelung<br />

kaum möglich sein. 62<br />

Zusammenfassend sind also auch in diesem Bereich<br />

viele unbedenkliche, jedoch auch eine ganze Anzahl strafrechtlich<br />

relevanter Sachverhaltskonstellationen anzutreffen.<br />

Daß eine Strafbarkeit in aller Regel am nicht zu führenden<br />

Nachweis scheitern wird, vermag die Gefahr einer<br />

Strafbarkeit der sich die Absprachebeteiligten auch in bezug<br />

auf eine Strafvereitelung aussetzen im Einzelfall nicht<br />

zu mindern.<br />

cc) § 344 StGB (Verfolgung Unschuldiger)<br />

Der Tatbestand des § 344 StGB könnte im Zusammenhang<br />

mit einer Absprache deshalb relevant werden, weil<br />

u. U. auch ein Unschuldiger bereit sein könnte, etwa wegen<br />

der Begleitumstände, die auch ein letztlich folgender Freispruch<br />

mit sich bringen kann (langes Verfahren, psychische<br />

Belastung etc.), eine Verständigung einzugehen, aufgrund<br />

derer eine Verurteilung erfolgt.<br />

Da die Verfolgung Unschuldiger aber tatbestandlich ein<br />

absichtliches oder wissentliches Handeln des Amtsträgers<br />

voraussetzt und kein Grund ersichtlich ist, warum im Fall<br />

der Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten der<br />

Amtsträger diesen dann nicht auch freisprechen oder das<br />

Verfahren einstellen sollte, wird die Strafbarkeit schon an<br />

diesem nicht vorliegenden subjektiven Tatbestandsmerkmal<br />

scheitern. 63<br />

dd) § 343 StGB (Aussageerpressung)<br />

Hier wäre als Tatbestandsalternative im Zusammenhang<br />

allenfalls noch an das seelische Quälen zu denken, in dem<br />

dem Angeklagten bei mangelnder Kooperation ein langer<br />

Prozeß oder die Fortdauer der U-Haft in Aussicht gestellt<br />

wird. 64 Seelische Qual bedeutet jedoch eine seelische Peinigung,<br />

die geeignet ist, die geistigen und seelischen Widerstandskräfte<br />

zu zermürben. 65 Sieht man sich die diesbezüglich<br />

in Rechtsprechung 66 und Literatur genannten Fälle, wie<br />

etwa die Mitteilung von Schreckensnachrichten oder die<br />

Drohung mit der Verfolgung von Familienangehörigen an,<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

so haben diese Beispiele eine ganz andere Qualität als die<br />

im Absprachebereich in Betracht kommenden Sachverhalte.<br />

Somit sind die absprachebedingten diesbezüglichen Umstände<br />

auch nicht unter § 343 StGB zu subsumieren. Insgesamt<br />

scheidet daher eine Strafbarkeit wegen Aussageerpressung<br />

in diesem Zusammenhang aus. 67<br />

ee) § 240 StGB (Nötigung)<br />

Für die Frage, ob ein Verhalten im Rahmen von Absprachen<br />

die Norm des § 240 StGB erfüllt, sind in besonderem<br />

Maße die Besonderheiten des Einzelfalles ausschlaggebend.<br />

Das von der Nötigung geschützte Rechtsgut ist die Freiheit<br />

der Willensentschließung und Willensbetätigung. Der<br />

Mensch soll frei entscheiden können, ob er etwas tun oder<br />

lassen will (Dispositionsfreiheit) und wie er sein Tun gestalten<br />

will (Handlungsfreiheit i. e. S.). 68<br />

(1.) Der objektive Tatbestand setzt nun zunächst die Anwendung<br />

von Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen<br />

Übel voraus. In den im Absprachebereich auftretenden<br />

Fallkonstellationen dürfte der auf dem Angeklagten<br />

lastende Druck in aller Regel nicht als Gewalt in Form einer<br />

vis absoluta anzusehen sein, weil die physische Fähigkeit<br />

des Betroffenen eine bestimmte Handlung vorzunehmen<br />

oder zu unterlassen, 69 nicht beseitigt wird.<br />

Ebensowenig dürfte es sich um eine Gewaltanwendung in<br />

Form der vis compulsiva handeln, weil es auch hier seitens<br />

des Gerichts an einer physischen Kraftentfaltung 70 fehlt. 71<br />

Ohne hier näher auf die Probleme des Gewaltbegriffs im<br />

Rahmen des § 240 StGB einzugehen, kann insgesamt festgestellt<br />

werden, daß, wie immer die Tatbestandsalternative<br />

der „Gewalt“ auch interpretiert wird, 72 diese im Zusammenhang<br />

mit den Absprachen nicht von Bedeutung ist.<br />

Nähere Betrachtung verdient hier jedoch die Tatbestandsalternative<br />

der Drohung mit einem empfindlichen<br />

Übel. Dabei ist eine Drohung das lnaussichtstellen eines<br />

künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluß<br />

hat oder zu haben vorgibt. 73 Sie kann auch schlüssig erfolgen.<br />

74 Empfindlich ist das in Aussicht gestellte Übel, wenn<br />

nicht erwartet werden kann, daß der Bedrohte der Drohung<br />

in besonnener Selbstbehauptung standhalten kann. 75<br />

Werden nun Absprachen getroffen, in denen dem Angeklagten<br />

Vergünstigungen in Aussicht gestellt werden, so<br />

kann als Gegenpol zu diesem Angebot oft eine implizite<br />

60 Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 123.<br />

61 Schünemann, Gutachten B 135/136.<br />

62 Vgl. auch Kremer; S. 205; Rönnau, S. 236/237; Siolek, S. 215.<br />

63 So in Erg. auch Kremer; S. 207; Siolek, S. 215.<br />

64 Vgl. Siolek, S. 214.<br />

65 Sch/Sch-Cramer; § 343 Rdnr. 12.<br />

66 Vgl. Sch/Sch-Cramer; § 343 Rdnr. 12 m. w. N.<br />

67 So in Erg. auch Kremer, S. 207; vgl. dazu insges. auch Rönnau. S. 237 f.;<br />

Siolek, S. 215 f.<br />

68 Haft, StrR BT § 19 I 1.<br />

69 Vgl. SK-StGB-Horn § 240 Rdnr. 23.<br />

70 Vgl. dazu Dreher/Tröndle, § 240 Rdnr. 13.<br />

71 Siolek, S. 215/216.<br />

72 Vgl. allgemein zum Gewaltbegriff z. B. Haft, StrR BT § 19 II 2; BGHSt 23,<br />

46 ff.; BVerfGE 73, 206 ff. = NJW 87, 43 ff.; NJW 88, 1739 ff.<br />

73 Vgl. BGHSt 16, 386; Dreher/Tröndle § 240 Rdnr. 15.<br />

74 Dreher/Tröndle aaO.<br />

75 BGHSt 31, 201; Dreher/Tröndle § 240 Rdnr. 17.


AnwBl 11/98 571<br />

Aufsätze l<br />

Drohung gesehen werden, härter bestraft zu werden, wenn<br />

man sich nicht kooperationsbereit zeigt. 76 Weigend 77 ist hier<br />

sogar der Ansicht, eine „Normalstrafe“ existiere gar nicht,<br />

sondern es gebe nur eine Strafe für kooperatives Verhalten<br />

und eine Strafe für den Fall fehlender Kooperationsbereitschaft.<br />

Diese sei dann aber höher als die „Normalstrafe“,<br />

d. h. derjenigen, die ohne jegliche Absprache (beziehungsweise<br />

deren Versuch) verhängt worden wäre. Diese „versteckte“<br />

Drohung dürfte jedoch nicht geeignet sein, die<br />

Grenze zur Nötigung im strafrechtlichen Sinne zu überschreiten,<br />

da es sich auch um eine Belehrung durch das Gericht<br />

über die Möglichkeit der strafmildernden Berücksichtigung<br />

eines Geständnisses handeln könnte. 78<br />

Anhand dieses Beispiels wird deutlich, daß die Voraussetzungen<br />

der Drohung in vielen Fallvarianten nicht gegeben<br />

ist. Die Grenze zur Drohung i. S. d. § 240 StGB dürfte<br />

aber dann überschritten sein, wenn die Amtsträger unter<br />

Ausnutzung ihrer prozessualen Stellung und der Machtmittel<br />

dem Beschuldigten Übel androhen, die weder prozessual<br />

noch materiell-rechtlich zu begründen sind, sondern allein<br />

in der prozeßbeschleunigenden Motivation ihre Wurzel haben.<br />

79 Zu denken wäre hier konkret etwa an den Fall der<br />

Verlängerung der Untersuchungshaft ohne Haftgrund um<br />

den Beschuldigten zu einem Geständnis zu veranlassen 80<br />

oder wenn das Gericht dem Beschuldigten im Zwischenverfahren<br />

massiv bedrängt ein Geständnis abzulegen, obwohl<br />

aus den Akten bekannt war, daß der Angeklagte den Tatvorwurf<br />

nachdrücklich bestritt. 81&HZIF0;<br />

(2.) Als weiteres Tatbestandsmerkmal liegen dann Handlungen<br />

oder Unterlassungen im Zusammenhang mit getroffenen<br />

Absprachen, beispielsweise in der Ablegung eines<br />

Geständnisses, in der Nichtstellung von Beweisanträgen<br />

oder der Nichteinlegung von Rechtsmitteln, vor.<br />

In bestimmten Fallkonstellationen kann somit der objektive<br />

Tatbestand der Nötigung erfüllt sein.<br />

(3.) Der subjektive Tatbestand, d. h. die Kenntnis durch<br />

Drohung das Verhalten des Angeklagten zu erzwingen, sowie<br />

der Wille zu diesem Zwang 82 werden bei Absprachen<br />

mit oben genannten Zielrichtungen und entsprechendem<br />

Inhalt in aller Regel gegeben sein.<br />

(4.) Weiterhin muß die Tat rechtswidrig sein. Ohne an<br />

dieser Stelle auf die dogmatische umstrittene Zuordnung<br />

der dieses Tatbestandsmerkmal konkretisierenden „Verwerflichkeitsklausel“<br />

83des § 240 II StGB näher einzugehen 84 erfordert<br />

die Nötigung danach noch, daß das Verhältnis von<br />

erstrebtem Zweck zu angewandtem Mittel in einem erhöhten<br />

Grad sozialethischer Mißbilligung stehen muß. 85 Dies<br />

zu beurteilen muß durch eine Gesamtwürdigung erfolgen 86<br />

wobei neben dem Gewicht der auf dem Spiel stehenden<br />

Rechte und Interessen insbesondere auch Umfang und Intensität<br />

der Zwangswirkung mit zu berücksichtigen sind. 87<br />

Einerseits kann die Verwerflichkeit bereits dadurch indiziert<br />

sein, daß das Nötigungsmittel als solches eine strafbare<br />

Handlung darstellt. Umgekehrt wird aber die Widerrechtlichkeit<br />

der Nötigung nicht schon dadurch ausgeschlossen,<br />

daß das Nötigungsmittel als solches erlaubt ist. 88<br />

Eine Verwerflichkeit in diesem Sinne festzustellen ist<br />

nun wiederum eine Frage des Einzelfalles. Beachtet werden<br />

sollte hier jedoch, daß den Betroffenen durch die Möglichkeit<br />

zu einer Absprache grundsätzlich sogar noch eine weitere<br />

Möglichkeit eröffnet wird, auf seine prozessuale Situation<br />

positiv Einfluß nehmen zu können, als dies im<br />

„Normalfall“ der Fall wäre. Bezieht man dies in die Ge-<br />

samtbetrachtung ein, so wird in vielen Fällen eine Verwerflichkeit<br />

und somit eine Strafbarkeit abzulehnen sein.<br />

Gleichwohl ergibt sich zusammenfassend, daß in Extremfällen<br />

eine Strafbarkeit der Amtsträger nach § 240 StGB gegeben<br />

sein kann. Dies wird verallgemeinernd immer dann<br />

anzunehmen sein, wenn staatliche Entscheidungsträger unmißverständlich<br />

– ausdrücklich oder konkludent 89 – zum<br />

Ausdruck bringen, in ihre Entscheidungsfindung sachwidrige<br />

Erwägungen einfließen zu lassen 90 und der Angeklagte so in<br />

die Zwangslage kommt, der Absprache zustimmen zu müssen<br />

um angedrohte Nachteile zu vermeiden. 91<br />

ff) §§ 331 ff. StGB (Bestechungsdelikte)<br />

Auch Bestechungsdelikte können durch die Abspracheproblematik<br />

betroffen sein.<br />

Ihrem Wesen nach stellen die Amtsdelikte einen die<br />

Rechte Dritter, das Treueverhältnis zum Staat und das Vertrauen<br />

der Allgemeinheit in die Sauberkeit der Amtsführung<br />

verletzenden Mißbrauch durch deren Träger dar. 92<br />

Die Bestechungsdelikte erfassen also die Fälle, in denen<br />

der Amtsträger oder Richter dafür einen Vorteil als Gegenleistung<br />

annimmt, sich versprechen läßt oder fordert, daß er<br />

eine Diensthandlung beziehungsweise richterliche Handlung<br />

vorgenommen hat oder künftig vornimmt. 93<br />

Der Gedanke, durch eine Absprache könne der Tatbestand<br />

eines Bestechungsdelikts erfüllt werden mag zunächst<br />

eigenartig anmuten, trifft jedoch den Kern dessen, was in der<br />

Öffentlichkeit als anrüchig empfunden wird. 94 Der Verdacht,<br />

durch das enge Zusammenwirken der Strafjuristen insbesondere<br />

im Wirtschaftsstrafbereich werde ein unwürdiger „Handel<br />

mit der Gerechtigkeit“ getrieben, rückt die Strafjustiz in<br />

die Richtung von Korruption. 95 Damit wird dann aber genau<br />

das von den §§ 331 ff. StGB geschützte Rechtsgut berührt.<br />

Fraglich ist nun, ob das Verhalten der Beteiligten im Absprachebereich<br />

unter die Strafnormen der §§ 331 ff. StGB<br />

subsumiert werden kann.<br />

Zentrale Tatbestandsmerkmale in dem hier interessierenden<br />

Zusammenhang sind der von den Bestechungsdelikten<br />

geforderte „Vorteil“ sowie die erforderliche „Unrechtsvereinbarung“<br />

(„dafür“). 96<br />

76 Vgl. Dencker/Hamm, Vergleich S. 54; Siolek, DRiZ 1989, 321 (327); Kremer;<br />

S. 207 f.<br />

77 Vgl. Weigend, Jz 90, 774 (778).<br />

78 Kremer, S. 208.<br />

79 Rönnau, S. 238.<br />

80 Rönnau, S. 238; Siolek, S. 219.<br />

81 Vgl. Siolek, S. 219; vgl. auch Hans. OLG Bremen, StrV 1989, 145 ff.<br />

82 Dreher/Tröndle, § 240 Rdnr. 33.<br />

83 Dreher/Tröndle, § 240 Rdnr. 22.<br />

84 Vgl. dazu z. B. Haft, StrR BT § 19, 3.<br />

85 Sch/Sch-Eser § 240 Rdnr. 17.<br />

86 Sch/Sch-Eser aaO.<br />

87 BGHSt 34, 77.<br />

88 Sch/Sch-Eser § 240 Rdnr. 19/20.<br />

89 Rönnau, S. 238.<br />

90 Siolek, S. 219.<br />

91 Kremer, S. 208.<br />

92 Vgl. Dreher/Tröndle vor § 331 Rdnr. 1 m. w. N.<br />

93 Vgl. zur Systematik der Bestechungsdelikte Haft, StrR BT § 39 I 1.<br />

94 Rönnau, S. 233.<br />

95 Rönnau, aaO.<br />

96 Vgl. Haft, StrR BT § 39; BGHSt 15, 249; Dreher/Tröndle vor § 331 Rdnr. 15.


572<br />

l<br />

Vorteil ist dabei eine Leistung des Zuwendenden, auf<br />

die der Amtsträger keinen gesetzlich begründeten Anspruch<br />

hat und die ihn materiell oder auch immateriell in seiner<br />

wirtschaftlichen, rechtlichen oder auch nur persönlichen<br />

Lage objektiv besser stellt. 97 Als immaterielle Vorteile werden<br />

etwa genannt die Erhaltung von Karrierechancen 98 oder<br />

die Erringung der Gunst des Vorgesetzten. 99 Auch die bloße<br />

Befriedigung des Ehrgeizes und der Eitelkeit soll unter der<br />

Voraussetzung, daß dies noch einem objektiv meßbaren Inhalt<br />

aufweist, für die Erfüllung des Vorteils in diesem Sinne<br />

genügen. 100<br />

Eine Unrechtsvereinbarung liegt vor, wenn ein Beziehungsverhältnis<br />

zwischen Diensthandlung und Vorteil besteht,<br />

101 d. h. eine Übereinstimmung zwischen Täter und<br />

Zuwender über das Gewähren eines Vorteils als Gegenleistung<br />

für die Diensthandlung gegeben ist. 102<br />

Ob dies der Fall ist oder nicht, ist auch hier stark von<br />

den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängig. In<br />

vielen Fällen werden die Absprachen diese Voraussetzungen<br />

nicht erfüllen. Betrachtet man aber eine typische Absprachekonstellation<br />

bei der sich Leistung (i. d. R. ein Geständnis<br />

aber auch z. B. der Verzicht auf prozessuale<br />

Rechte) und Gegenleistung (i. d. R. Strafmilderung) im Gegenseitigkeitsverhältnis<br />

gegenüberstehen, so können hier<br />

durchaus Probleme entstehen. Ob in dieser Fallkonstellation<br />

in dem Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung<br />

eine von allen Bestechungsdelikten geforderte Unrechtsvereinbarung<br />

zu sehen ist, hängt zunächst davon ab,<br />

ob dem Amtsträger als Gegenleistung für die Amtshandlung<br />

ein unmittelbarer oder mittelbarer Vorteil zuwächst<br />

oder versprochen wird. 103<br />

Fraglich ist hier, worin der Vorteil für den Amtsträger<br />

im Zusammenhang mit der Absprache gesehen werden<br />

könnte. Das Geständnis selbst oder sonstige Zugeständnisse<br />

des Angeklagten (etwa der Verzicht auf eine Revisionsrüge)<br />

scheiden als Vorteil aus, da diese für den Richter keine<br />

irgendwie gearteten Zuwendungen darstellen. 104<br />

Ein i. S. d. §§ 331 ff. StGB beachtlicher Vorteil könnte<br />

jedoch darin liegen, daß das Gericht eine Arbeitserleichterung<br />

beziehungsweise eine Prozeßverkürzung und damit<br />

eventuell verbundene, immaterielle, persönliche Vorteile<br />

wie etwa einen guten Eindruck bei Vorgesetzten durch<br />

schnellere Verfahrenserledigung; dadurch Steigerung der<br />

Karrierechancen, die Befriedigung des Ehrgeizes oder auch<br />

reine Zeitersparnis erlangt. Ob diese „Vorteile“ jedoch ausreichen,<br />

um den Tatbestand eines Bestechungsdelikts zu erfüllen<br />

erscheint fraglich. Zweifelhaft ist zunächst einmal,<br />

ob die Arbeitserleichterung als rein tatsächlicher Reflex einer<br />

Prozeßhandlung (etwa eines Geständnisses) überhaupt<br />

Gegenstand einer Unrechtsvereinbarung sein kann. Dies ist<br />

wohl abzulehnen, da es zulässig ist, ein Geständnis unter<br />

bestimmten Umständen strafmildernd zu berücksichtigen. 105<br />

Weiterhin ist zu beachten, daß der Zusammenhang zwischen<br />

Leistung und Gegenleistung dann fehlt, wenn die<br />

Hingabe der Leistung nur bei Gelegenheit der Handlung<br />

und nicht für diese erfolgt. 106 Zwar geht es dem Amtsträger<br />

bei einer Absprache in der Regel um eine Arbeitserleichterung.<br />

Da aber auch beispielsweise Gesichtspunkte wie Kostenersparnis<br />

und Vermeidung von für die Zeugen belastenden<br />

Vernehmungen eine erhebliche Rolle spielen und dies<br />

Aspekte sind, die der Allgemeinheit oder den Zeugen, jedenfalls<br />

aber nicht dem Amtsträger nutzen, sollte hier im<br />

Einzelfall eine Gesamtbetrachtung erfolgen. Danach dürfte<br />

eine Strafbarkeit des Amtsträgers nur in extremen Ausnah-<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

mefällen, nämlich dann, wenn die genannten Gesichtspunkte<br />

ausschließlich und eindeutig im Vordergrund stehen<br />

anzunehmen sein.<br />

Letztlich scheitert die Annahme eines Vorteils bei Vorliegen<br />

einer Arbeitserleichterung daran, daß der Vorteilsbegriff,<br />

wie er teilweise von der Rechtsprechung und der<br />

Literatur 107 vertreten wird, zu weit greift. 108<br />

Die völlige Entmaterialisierung des Begriffs des Vorteils<br />

würde im Ergebnis dazu führen, daß praktisch jede Höflichkeit,<br />

die den Amtsträger erfreut, unter die Bestechungsdelikte<br />

fällt. Es ist daher erforderlich, hier eine vernünftige<br />

Beschränkung vorzunehmen. In der Literatur wird in diesem<br />

Zusammenhang überwiegend vorgeschlagen, für die<br />

§§ 331 ff. StGB nur solche immateriellen Vorteile ausreichen<br />

zu lassen, die einen objektiv meßbaren Inhalt haben<br />

und den Amtsträger in irgendeiner Weise tatsächlich besserstellen.<br />

109 Dem ist zuzustimmen. 110<br />

Die Befriedigung des Ehrgeizes oder der Eitelkeit oder<br />

die Erringung der Gunst des Vorgesetzten mögen nun immaterielle<br />

Vorteile sein, 111 die weitere Voraussetzung des<br />

objektiv meßbaren lnhalts 112 vermögen diese Aspekte meines<br />

Erachtens jedoch nicht zu erfüllen. Da es bei den hier<br />

in Rede stehenden Fällen also wohl an einer objektiv meßbaren<br />

Besserstellung des Richters fehlt, scheidet eine Strafbarkeit<br />

im Sinne der Bestechungsdelikte in aller Regel<br />

aus. 113<br />

b) bezüglich des/der Verteidiger/s<br />

aa) § 258 StGB (Strafvereitelung)<br />

Über das bereits oben 114 zur Strafvereitelung in bezug<br />

auf die Amtsträger gesagte hinaus, ergibt sich bezüglich<br />

des Verteidigers im Hinblick auf den die Strafnorm des<br />

§ 258 StGB unter dem Aspekt täterschaftlichen Handelns<br />

(§ 25 I StGB) folgendes:<br />

Ob sich ein Verteidiger durch die Teilnahme an einer<br />

Verständigung wegen Strafvereitelung strafbar macht oder<br />

nicht kann nicht pauschal sondern auch hier wiederum nur<br />

für den konkreten Fall beziehungsweise für bestimmte Fallgruppen<br />

entschieden werden, Dabei stellt das Problem der<br />

Strafbarkeit des Verteidigers im Rahmen von Absprachen<br />

97 BGHSt 31, 278; Sch/Sch-Cramer; § 331 Rdnr 19; Dreher/Tröndle, § 331<br />

Rdnr. 11.<br />

98 BGH NJW 1985, 2656.<br />

99 Sch/Sch-Cramer; § 331 Rdnr. 21.<br />

100 Sch/Sch-Cramer § 331 Rdnr. 21 m. w. N.; a. a. Dreher/Tröndle § 331<br />

Rdnr. 11 m. w. N.<br />

101 Vgl. Haft, StrR BT § 39 II 3.<br />

102 Vgl. Dreher/Tröndle § 331 Rdnr. 15.<br />

103 Rönnau, S. 234.<br />

104 Rönnau, S. 234 f.<br />

105 Vgl. dazu Rönnau, S. 235.<br />

106 Dreher/Tröndle, § 331 Rdnr. 17.<br />

107 Vgl. die Nachweise zu Rechtsprechung und Literatur bei Bauchrowitz, Vorteilsbegriff,<br />

S. 24 ff.<br />

108 Rönnau, S. 235.<br />

109 Vgl. nur SK-StGB-Rudolfphi § 331 Rdnr. 21 m. w. N.; Bauchrowitz, Vorteilsbegriff,<br />

1988.<br />

110 So auch z. B. Rönnau, S. 235.<br />

111 Vgl. dazu Sch/Sch-Cramer § 331 Rdnr. 21.<br />

112 Sch/Sch-Cramer aaO.<br />

113 Vgl. Rönnau aaO.<br />

114 Vgl. Teil I B. 6.) a) bb).


AnwBl 11/98 573<br />

Aufsätze l<br />

einen Teilaspekt des Gesamtproblemkomplexes „Strafverteidigung<br />

und Strafvereitelung“ dar. 115<br />

Der Verteidiger befindet sich ständig in der Nähe strafbarer<br />

Strafvereitelung. 116 Wann nun die Grenze zur Strafbarkeit<br />

überschritten ist, ist Gegenstand einer Vielzahl von<br />

Differenzierungen wie beispielsweise daß der Verteidiger<br />

alles zu unterlassen habe, was der Erreichung der Wahrheit<br />

und Gerechtigkeit hinderlich wäre 117 oder daß eine Strafbarkeit<br />

auf „extreme Mißbräuche“ beschränkt sein müsse. 118<br />

Bei solchen Formulierungen bleibt vieles unklar.<br />

Will man die Grenze zwischen zulässigem und unzulässigem<br />

Verteidiger-Verhalten bestimmen, so ist vom von<br />

§ 258 StGB geschützten Rechtsgut auszugehen. 119 Geschütztes<br />

Rechtsgut ist die staatliche Strafrechtspflege. 120<br />

Diese soll ihre Aufgabe, den staatlichen Strafanspruch<br />

durchzusetzen, ungehindert erfüllen können. 121 Da aber eine<br />

„Behinderung“ der Strafrechtspflege durch die Institutionalisierung<br />

der Verteidigung in den §§ 137 ff. StPO vom<br />

Gesetz gewollt ist, muß das Rechtsgut des § 258 StGB insoweit<br />

noch präzisiert werden: Im Hinblick auf die Verteidigung<br />

schützt § 258 StGB die Strafrechtspflege vor<br />

prozeßordnungswidrigen Behinderungen. Die Grenze zwischen<br />

strafbarer Strafvereitelung und straflosem Verteidigerverhalten<br />

läuft deshalb parallel zu der Grenze zwischen<br />

prozessual zulässigem und unzulässigem Verhalten. 122<br />

Prozessual pflichtgemäßes Verhalten ist nicht strafbar. 123<br />

Es fehlt bereits am objektiven Tatbestand des § 258 StGB,<br />

denn im Rahmen dieser Vorschrift kann der staatliche<br />

„Strafanspruch“ nur insoweit beeinträchtigt werden, wie er<br />

prozessual durchsetzbar ist. Mangelt es daran, ist das<br />

Rechtsgut des § 258 StGB nicht verletzt. 124 . Teilweise wird<br />

das Verteidigerhandeln aber auch als Rechtfertigungsgrund<br />

angesehen. 125 Paulus 126 sieht den Anknüpfungspunkt dafür,<br />

ob Verteidigerverhalten Strafvereitelung ist nicht in der<br />

„Prozeßordnungswidrigkeit“, sondern in einer Anknüpfung<br />

an den Gesichtspunkt der „Prozeßhandlung“. Eine solche<br />

könne nie tatbestandsmäßig i. S. d. § 258 StGB sein. Diesbezüglich<br />

ist aber fraglich, ob bestimmte Absprachen überhaupt<br />

unter den Begriff der Prozeßhandlung i. d. S. gezogen<br />

werden können und im allgemeinen stellt sich die<br />

Frage, was unter prozessual pflichtgemäßem Verhalten zu<br />

verstehen ist.<br />

Was prozessual zulässig ist, bestimmt sich nach den Regeln<br />

der StPO und den allgemeinen Grundsätzen des Prozeßrechts.<br />

Da die StPO die Verteidigerbefugnisse aber nur fragmentarisch<br />

regelt 127 und bezüglich der Verständigungen<br />

ohnehin keine Regeln existieren, hilft auch diese Feststellung<br />

hier nicht weiter. Auch sind in diesem Bereich zwei Grundkonzeptionen<br />

bezüglich der Bedingungen rechtlich zulässigen<br />

Verteidigerverhaltens heillos im Streit, nämlich die „Vertreter<br />

– und die Organtheorie“. 128 Es geht dabei um ein<br />

allgemeines Maßprinzip und damit um Grenzen, an denen<br />

formal an sich statthaftes Prozeßverhalten soll umschlagen<br />

können in prozessuale Unzulässigkeit und gegebenenfalls<br />

materiell-rechtliche Strafvereitelung Rechtsaxiomatisch diese<br />

Grenze zu allgemeiner oder auch nur überwiegender Akzeptanz<br />

zu markieren ist bisher nicht gelungen, weshalb unter<br />

Verzicht auf eine generelle Leitlinie oft nur punktuell-kasuistische<br />

Lösungen angeboten werden. 129 Ohne auf die genannte<br />

Streitfrage näher eingehen zu wollen werden zusammenfassend<br />

Abgrenzungskriterien in der Funktion<br />

beziehungsweise der Aufgabe des Verteidigers gesucht. 130<br />

Der Rechtsanwalt ist nach §§ 1, 31 BRAO unabhängiges Organ<br />

der Rechtspflege. Sein Beruf ist staatlich gebundener<br />

Vertrauensberuf, der ihm eine auf Wahrheit und Gerechtig-<br />

keit verpflichtete amtsähnliche Stellung zuweist, 131 die er<br />

freilich unter Wahrung der Schweigepflicht und Treuepflicht<br />

gegenüber seinem Auftraggeber auszuüben hat. 132<br />

Dabei ist er nicht zur Unparteilichkeit, sondern zur Einseitigkeit<br />

zugunsten des Beschuldigten gegenüber den<br />

Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht verpflichtet. 133<br />

Betrachtet man die Absprachefälle vor diesem Hintergrund<br />

so ergibt sich bei dem Versuch einer Systematisierung<br />

der Fallvarianten folgendes Ergebnis: 134<br />

(1.) Relativ einfach sind die Fälle gelagert, in denen der<br />

Verteidiger im Zusammenhang mit einer Absprache eine<br />

strafbare Handlung begeht. 135 Zu denken wäre hier beispielsweise<br />

an eine Nötigung oder an Fallkonstellationen in<br />

denen der Anwalt etwa Zeugen besticht oder zur Falschaussage<br />

verleitet um in eine bessere Verständigungsposition zu<br />

kommen. 136 Hier liegt bei vorliegenden übrigen Tatbestandsvoraussetzungen<br />

eine Strafvereitelung vor.<br />

(2.) Unproblematisch sind auch die Fälle, in denen weder<br />

materiell-strafrechtliche noch prozessuale Normen verletzt<br />

werden. Hier liegt kein strafrechlich relevantes Verhalten<br />

vor. Auch eine Verletzung lediglich standesrechtlicher<br />

Regeln könnte keine Strafbarkeit begründen. 137<br />

(3.) Ebenfalls strafrechtlich unbedenklich sind Absprachen<br />

über Gegenstände, die zur Disposition der Verfahrensbeteiligten<br />

stehen. Dabei kommt es auch nicht darauf an,<br />

ob es sich um Einigungen im Bereich der Verfahrensgestaltung<br />

handelt, oder um solche – wie beispielsweise eine<br />

Strafantragsrücknahme –, die das „Ob“ eines Verfahrens<br />

überhaupt betreffen. 138<br />

(4.) Fraglich sind Fälle, in denen im Rahmen einer Verständigung<br />

Einfluß auf Beurteilungs- und Ermessensspielräume<br />

genommen wird. 139 So beziehen sich strafprozessuale<br />

115 Vgl. dazu nur z. B. Strzyz, Die Abgrenzung von Strafverteidigung und Strafvereitelung;<br />

Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers; ders.: Der Strafverteidiger<br />

im Strafverfahren, S. 218 ff.; Müller; StrV 81, 90 ff.; Krekeler; NStZ<br />

89, 146 ff.; Paulus, NStZ 92, 305 ff. jeweils mit vielen weiteren Nachweisen.<br />

116 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, S. 34.<br />

117 Vgl. dazu und zu weiteren, wie er es nennt „nichtssagenden Formeln“,<br />

Müller, StrV 81, 91 (94) m. w. N.<br />

118 Vgl. Beulke, Der Strafverteidiger im Strafverfahren, S. 219 m. w. N.<br />

119 Krekeler; NStZ 89, 146.<br />

120 Haft, StrR BT § 25 I 1; Krekeler aaO.<br />

121 Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr. 1.<br />

122 Krekeler; NStZ 89, 146.<br />

123 Krekeler; aaO; grundlegend BGHSt 29,102; Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7<br />

m. w. N.<br />

124 KG, Beschluß v. 12.11.1987 in NStZ 88, 178 f.; Krekeler aaO; Dreher/<br />

Tröndle aaO. m. w. N.<br />

125 Vgl. z. B. Müller; StrV 81, 90 (94); siehe auch Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7<br />

m. w. N.<br />

126 NStZ 92, 305 (311).<br />

127 Krekeler aaO.<br />

128 Vgl. Paulus, NStZ 92, 305.<br />

129 Vgl. dazu zusammenfassend Paulus, NStZ 92, 305 (306) m. w. N.<br />

130 Vgl. näher Paulus, NStZ 92, 305 (306 ff.).<br />

131 So: BVerfGE 38, 105 (119); Krit: Krekeler. NStZ 89, 146 ff.; vgl. insgesamt<br />

auch Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7 m. w. N.<br />

132 Vgl. Dreher/Tröndle aaO. m. w. N.<br />

133 Kleinknecht/Meyer vor § 137 Rdnr. 1; Peters S. 213; Krey StPO 1/535.<br />

134 Vgl. dazu insgesamt: Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 116 ff.<br />

insbes. 118 ff.<br />

135 Vgl. dazu Müller, StrV 81, 90 (94).<br />

136 Die hier in der Literatur genannten Beispiele müssen auch für den Absprachebereich<br />

gelten; vgl. dazu jew. m. w. N. z. B. Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr.<br />

20; Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7; Lackner; § 258 Rdnr. 8 ff. sowie Müller<br />

aaO.<br />

137 Vgl. sowohl auch Krekeler; NStZ 89, 146 (147).<br />

138 Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 118.<br />

139 Vgl. Beulke, aaO. Rdnr. 119.


574<br />

l<br />

Vergleiche häufig auf eine Vorabkonkretisierung gesetzlich<br />

eingeräumter Ermessensspielräume beispielsweise im Bereich<br />

der Strafzumessung bei § 46 StGB oder im strafprozessualen<br />

Bereich bei §§ 154,154a; §§ 112 ff. StPO.<br />

„Verhandlungen“ über die Art und Weise, wie von einem<br />

Beurteilungsspielraum beziehungsweise von Ermessen<br />

Gebrauch gemacht werden könnte, stellen aber kein unzulässiges<br />

Vorgehen dar 140 und sind dementsprechend keine<br />

Strafvereitelung. 141 Es ist den Verfahrensbeteiligten also<br />

keineswegs verwehrt, die denkbaren Auswirkungen bestimmter<br />

Verhaltensweisen aufzuzeigen. Dabei ist allerdings<br />

zu beachten, daß zum einen die jeweils zur Diskussion<br />

stehenden Verhaltensweise nicht unter Drohung oder<br />

sonstigem Zwang erreicht werden darf und zum anderen<br />

die Auswirkungen auf Verfahrensfortgang oder -ergebnis<br />

zulässig sein müssen. 142<br />

(5.) Problematisch sind die Verständigungen, bei denen<br />

vom Legalitätsprinzip und von der Untersuchungsmaxime<br />

abgewichen wird. 143 Zu denken ist etwa an eine Verständigung<br />

über die Strafhöhe oder über den weiteren Verfahrensfortgang<br />

(z. B. Teilfreispruch gegen Verzicht auf Ladung<br />

weiterer Zeugen). Sofern der Verfolgungs-, Anklage- oder<br />

Verurteilungszwang abbedungen wird, muß man diese Absprachen<br />

als rechtlich unzulässig und somit als strafbar einstufen.<br />

144 Eindeutig als Strafvereitelung sind demnach zu<br />

qualifizieren beispielsweise Vereinbarungen mit dem Inhalt,<br />

eine bestimmte täterschaftlich begangene Straftat lediglich<br />

als Beihilfehandlung einzustufen beziehungsweise zu Unrecht<br />

einen minderschweren Fall anzunehmen. 145 Auch die<br />

Verkürzung der Beweisaufnahme entgegen der eigentlichen<br />

Überzeugung des Gerichts ist mit richterlicher Aufklärung<br />

und Legalitätsprinzip nicht mehr zu vereinbaren. 146<br />

Insgesamt ist das strafrechtliche Risiko durch eine unzulässige<br />

Verständigung nach § 258 StGB bestraft zu werden<br />

nicht zu leugnen. Daß es bisher gleichwohl noch nicht zu<br />

einer Verurteilung eines Verfahrensbeteiligten gekommen<br />

ist, dürfte an den freilich außerhalb der materiellen Betrachtung<br />

liegenden aber trotzdem zu beachtenden mangelnden<br />

Nachweisbarkeit des subjektiven Tatbestandes liegen, denn<br />

den Beteiligten müßte nachgewiesen werden, daß sie die<br />

vorgeworfene Tat tatsächlich für möglich gehalten haben. 147<br />

Schließlich wäre es auch zweifelhaft, ob der Verteidiger<br />

im Falle einer Verurteilung wegen § 258 StGB infolge des<br />

Abschlusses einer nicht gerechtfertigten Absprache mit einer<br />

Bestrafung als Täter oder Teilnehmer zu rechnen hätte.<br />

Da eine Absprache nur bei aktiver Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten<br />

zustande kommt, spricht trotz der fehlenden<br />

„Gleichberechtigung“ der Beteiligten 148vieles für eine täterschaftliche<br />

Haftung. 149 Hier kommt vieles auf den konkreten<br />

Einzelfall an. Vergleiche bezüglich der Teilnahmeform<br />

auch die folgenden Ausführungen.<br />

Zusammenfassend besteht bei vielen in der Praxis vorkommenden<br />

Verständigungsvarianten die Gefahr einer<br />

Strafbarkeit für den Verteidiger.<br />

bb) § 356 StGB (Parteiverrat)<br />

Nach § 356 StGB ist ein Anwalt strafbar, der bei den<br />

ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in<br />

derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand<br />

pflichtwidrig dient. Abs. II der Vorschrift enthält dabei<br />

noch einen Qualifikationstatbestand für den Fall, daß<br />

der Anwalt im Einverständnis mit der Gegenpartei zum<br />

Nachteil seiner Partei handelt. 150<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

Als geschütztes Rechtsgut wird überwiegend das Vertrauen<br />

der Öffentlichkeit in das Funktionieren des Anwaltsstandes<br />

angesehen. 151 Hierdurch werden aber zumindest<br />

mittelbar auch die Interessen des Auftraggebers, d. h. hier<br />

also des Beschuldigten/Angeklagten geschützt. 152<br />

Im Zusammenhang mit der Absprachepraxis stellt sich<br />

nun die Frage, ob ein Verteidiger wegen der oft engen Zusammenarbeit<br />

mit den anderen Prozeßbeteiligten, die auch<br />

als „Super-Schulterschluß“ der professionellen Akteure des<br />

Strafverfahrens bezeichnet wird, 153 sich noch im Rahmen<br />

des von § 356 StGB erlaubten bewegt oder ob diesbezüglich<br />

schon eine entsprechende Strafbarkeit vorliegt. 154 Dies<br />

ergibt sich insbesondere daraus, daß häufig die Angeklagten,<br />

d. h. also die Betroffenen selbst nicht oder nur unvollständig<br />

in die Verständigungsgespräche miteinbezogen werden<br />

155 und der Verteidiger zur Umsetzung des Deals auf die<br />

Angeklagten i. d. R. bezüglich der Ablegung eines Geständnisses<br />

einwirkt. 156<br />

Insbesondere hierin könnte nun eine Benachteiligung<br />

des Angeklagten i. S. d. § 356 StGB liegen, denn bei § 356<br />

I StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt,<br />

157 bei dem es für die Strafbarkeit des Anwalts letztlich<br />

unerheblich ist, ob durch seine Tätigkeit die Interessen<br />

der jeweils vertretenen Partei beeinträchtigt werden oder<br />

nicht. Ausreichend hierfür ist, daß er in derselben Sache für<br />

mehrere Parteien tätig geworden ist. 158<br />

Konkret wird das Problem dann auch in Fällen, in denen<br />

der Verteidiger aktiv an der Verurteilung eines sich selbst als<br />

unschuldig bezeichnenden Klienten mitwirkt, 159 der bestreitende<br />

Mandant nachdrücklich zur Absprache gedrängt 160<br />

oder nach erfolgter Verständigung nicht über eine mögliche<br />

lnfragestellung 161 desselben aufgeklärt wird. Auch wird argumentiert,<br />

insbesondere im Bereich der Pflichtverteidigung<br />

und auch allgemeinen im Hinblick auf eine künftige gute<br />

Zusammenarbeit zwischen Verteidiger und Gericht bestehe<br />

die Gefahr einer dadurch motivierten Vernachlässigung der<br />

Interessen der Mandanten durch die Anwälte. 162<br />

140 Beulke aaO; Schmidt-Hieber NJW 89, 284.<br />

141 Beulke aaO.<br />

142 Beulke aaO.<br />

143 Beulke aaO. Rdnr. 120.<br />

144 Beulke aaO.<br />

145 Beulke aaO. m. w. N.<br />

146 Beulke aaO. Rdnr. 122.<br />

147 Vgl. Beulke, aaO. Rdnr. 123 und 146 ff. vgl. zum subj. Tatbestand auch z. B.<br />

Arzt/Weber, StrafR Bes. Teil LH 4 § 258, Rdnr. 253.<br />

148 Vgl. Beulke aaO. Rdnr. 116.<br />

149 Vgl. dazu Beulke aaO. Rdnr. 123 und 151 ff.; vgl. allgemein dazu auch Maurach/Schroeder.<br />

StrR BT 2 § 100 II Rdnr. 20.<br />

150 Dreher/Tröndle, § 356 Rdnr. 12.<br />

151 Sch/Sch-Cramer; § 356 Rdnr. 1; BGHSt. 15, 336.<br />

152 Sch/Sch-Cramer; § 356 Rdnr 1.<br />

153 Schünemann, Gutachten B 138; Schünemann, NJW 89, 1895 (1903 ff.).<br />

154 Vgl. auch Siolek, S. 221.<br />

155 Vgl. dazu oben die Umfrageergebnisse S. 18 ff (21/23); auch Dahs, Handbuch,<br />

Rdnr. 67 sowie die Ergebnisse der Schünemann Umfrage NJW 89,<br />

1895 (1901).<br />

156 Vgl. Siolek, S. 221.<br />

157 Vgl. Dreher/Tröndle, § 356 Rdnr. 1.<br />

158 Sch/Sch Cramer; § 356 Rdnr. 3.<br />

159 Vgl. Dahs, NStZ 88, 153 (156); Schünemann, NJW 89, 1895 (1900).<br />

160 Vgl. Rönnau, S. 240.<br />

161 Vgl. Kremer; S. 211.<br />

162 Vgl. Rönnau, S. 240; Hübsch, Symposium, S. 74.


AnwBl 11/98 575<br />

Aufsätze l<br />

Auch wenn diese Überlegungen einen Parteiverrat „untechnisch“<br />

verstanden nahelegen, so scheitert dessen Vorliegen<br />

doch jedenfalls am von § 356 StGB vorausgesetzten<br />

Parteibegriff. Parteien im Sinne des Tatbestandes des Parteiverrats<br />

sind alle Rechtssubjekte, die miteinander widerstreitenden<br />

Interessen an einer Rechtssache beteiligt sind. 163<br />

Die Staatsanwaltschaft zählt nun zwar zu den Verfahrensbeteiligten,<br />

weil sie durch eigene Willenserklärungen im<br />

prozessualen Sinne gestaltend am Verfahren mitwirkt. 164<br />

Sie ist jedoch nicht mit eigenen (widerstreitenden) Interessen<br />

an der Rechtssache beteiligt. Dies folgt daraus, daß sie<br />

nach § 160 II StPO auch die zur Entlastung des Beschuldigten<br />

beitragenden Umstände zu ermitteln hat. 165 Somit ist<br />

die Staatsanwaltschaft zur Objektivität verpflichtet und damit<br />

nicht Partei i. d. S. 166 Jedenfalls fehlt es aber im Verhältnis<br />

der Parteien, denen der Anwalt dient an einem lnteressengegensatz<br />

als entscheidendem Gesichtspunkt der von<br />

§ 356 geforderten Pflichtwidrigkeit. 167 Aus diesem für die<br />

Anwälte in § 45 Nr. 2 BRAO geregelten Grundsatz ist abzuleiten,<br />

daß sich ein lnteressengegensatz nur ergeben<br />

kann, wenn eine andere Partei den Anwalt zur Tätigkeit in<br />

der entsprechenden Rechtsangelegenheit beauftragt hatte.<br />

Hierzu fehlt es aber im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft. 168<br />

Das Gericht ist nicht Prozeßsubjekt, weil es als Träger<br />

des gerichtlichen Verfahrens den Verfahrensbeteiligten gegenüber<br />

als Nichtbeteiligter in Erscheinung tritt. 169 Dies<br />

läßt sich auch aus § 159 III GVG entnehmen. 170 Somit<br />

scheidet auch diesbezüglich eine Subsumtion unter den Parteibegriff<br />

aus.<br />

Zusammenfassend kommt daher eine Strafbarkeit der<br />

Anwälte wegen Parteiverrat nicht in Betracht.<br />

cc) § 203 I Nr. 3 StGB (Verletzung von<br />

Privatgeheimnissen/Verschwiegenheitspflicht)<br />

Nach § 203 I Nr. 3 StGB ist u. a. ein Rechtsanwalt strafbar,<br />

der unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm<br />

in seiner diesbezüglichen Eigenschaft anvertraut wurde.<br />

Rechtsgut des § 203 StGB ist die Privatsphäre 171 aber<br />

auch das Allgemeininteresse in die Verschwiegenheit der<br />

dort genannten Berufszweige. 172 Eine Verletzung dieser<br />

Norm durch eine Absprache kommt nun deshalb in Betracht,<br />

weil in der Praxis häufig eine Vereinbarung abgesprochen<br />

wird, ohne den Angeklagten hieran zu beteiligen.<br />

173 Gibt aber ein Verteidiger in einem Gespräch mit den<br />

anderen Verfahrensbeteiligten ihm bekanntgewordene, für<br />

seinen Mandanten ungünstige Umstände preis, so zerstört<br />

er damit die Grundlage des Vertrauensverhältnisses zu diesem.<br />

174 Andererseits haben solche Gespräche ja aber gerade<br />

den Sinn, daß die Beteiligten ihre Ansichten unverblümt<br />

austauschen können, was jedoch für den Verteidiger dann<br />

auch beinhaltet, eigene kritische Einschätzungen der Verteidigungssituation<br />

abzugeben, 175 zu denen er freilich, zumindest<br />

mittelbar, nur über die vom Angeklagten stammenden<br />

Informationen gelangt ist. 176 Somit können solche in diesem<br />

Zusammenhang preisgegebene Informationen durchaus,<br />

wenn schon nicht als anvertraut, so doch, da jedenfalls kraft<br />

Berufsausübung zur Kenntnis des Anwalts gelangt, 177 als<br />

sonst bekannt geworden i. S. d. § 203 StGB, eingeordnet<br />

werden. 178<br />

Klarer sind in diesem Zusammenhang dann die Fälle, in<br />

denen vom Verteidiger im Rahmen von Absprachen ohne<br />

Einverständnis des Angeklagten ein ihm anvertrautes Geständnis<br />

weitergegeben oder aber die Ablegung eines solchen<br />

in Aussicht gestellt wird. In einem solchen Falle<br />

könnte dann bei Scheitern der Verständigung im weiteren<br />

Verlauf der Verhandlung nur noch schwerlich eine auf Freispruch<br />

zielende Verteidigungsstrategie mit Aussicht auf Erfolg<br />

gewählt werden. 179 Auch wenn es von der jeweiligen<br />

Prozeßsituation abhängt und es in diesem Bereich doch<br />

auch entscheidend auf das Geschick des Verteidigers ankommt,<br />

so bietet die Absprache doch breiten Raum für einen<br />

Verstoß gegen den Tatbestand des § 203 StGB. 180 Dies<br />

insbesondere dann, wenn das Verteidigerverhalten nicht mit<br />

dem Mandanten abgestimmt wird. 181<br />

Zu bedenken ist, daß der Verteidiger bemüht ist, seinen<br />

Mandanten, insgesamt betrachtet, vorteilhaft zu vertreten.<br />

Die Frage ist somit, ob in einem solchen Falle dann noch<br />

ein unbefugtes Handeln i. S. d. § 203 StGB angenommen<br />

werden kann. Grundsätzlich ist verfügungsbefugt bezüglich<br />

des Geheimnisses nur der Geheimnisträger, also der Mandant.<br />

182 In Betracht käme aber eine Einwilligung des Angeklagten.<br />

Dies würde aber u. a. die Erklärung der Einwilligung<br />

im voraus erfordern. 183 Diese kann zwar auch<br />

konkludent erklärt werden, 184 trotzdem wird angesichts des<br />

Umstandes, daß der Angeklagte häufig gar nicht einbezogen<br />

wird, diese Erfordernis oft nicht gegeben sein. Schließlich<br />

könnte noch eine mutmaßliche Einwilligung vorliegen,<br />

wenn der Anwalt glaubt, im vermeintlichen Interesse und<br />

Einverständnis des Angeklagten zu handeln, 185 beziehungsweise<br />

trotz Möglichkeit der Nachfrage ohne weiteres davon<br />

ausgegangen werden kann, daß der Mandant auf die Wahrung<br />

des Geheimnisses keinen Wert legt. Dies wiederum<br />

setzt aber voraus, daß das mangelnde Interesse des Berechtigten<br />

offen zutage getreten ist. 186 Dies ist dann eine Frage<br />

des Einzelfalles.<br />

Da, wie ausgeführt, der Anwalt in der Regel im Interesse<br />

des Angeklagten handeln will, könnte so eine mutmaßliche<br />

Einwilligung durchaus angenommen werden. Insgesamt<br />

kommt es aber immer auf den Einzelfall an.<br />

Zusammenfassend besteht somit in diesem Bereich, wenn<br />

auch nur durch ungeschicktes Taktieren, so doch insgesamt<br />

betrachtet, die Gefahr einer Strafbarkeit gem. § 203 StGB.<br />

163 Vgl. SK-Rudolphi, § 356 Rdnr. 20.<br />

164 Kleinknecht/Meyer; Einl. Rdnr. 71/72.<br />

165 Vgl. Roxin, StrVerfR § 10 III 1.<br />

166 Vgl. Schäfer; StrVerfR, Rdnr. 29; Roxin, StrVerfR, § 10 III 1.<br />

167 Vgl. Sch/Sch-Cramer; § 356 Rdnr. 17.<br />

168 Vgl. Siolek, S. 222.<br />

169 Kleinknecht/Meyer; Einl. Rdnr. 71; BVerfGE 21, 139 (145); 30, 149 (153,<br />

160).<br />

170 Kleinknecht/Meyer; Einl. Rdnr. 71.<br />

171 Haft, BT § 13 I; Dreher/Tröndle, § 203 Rdnr. 1 a.<br />

172 Sch/Sch-Lenckner, § 203 Rdnr 3.<br />

173 Vgl. neben den Umfrageergebnissen auch z. B. Siolek, S. 222; Schünemann,<br />

Gutachten B 139.<br />

174 Dahs. Handbuch Rdnr. 43.<br />

175 Vgl. Schünemann, Gutachten B 139 m. w. N.<br />

176 Vgl. dazu Siolek, S. 222.<br />

177 Vgl. Dreher/Tröndle, § 203 Rdnr. 8; Sch/Sch-Lenckner; § 203 Rdnr. 15.<br />

178 Vgl. Schünemann, Gutachten B 140.<br />

179 Vgl. Siolek, S. 223; Dahs, NStZ 88, 153 (156); auch Rönnau, S. 241.<br />

180 So auch Rönnau, S. 241.<br />

181 Vgl. auch Kremer, S. 213.<br />

182 Vgl. Sch/Sch-Lenckner; § 203 Rdnr. 23 m. w. N.<br />

183 BGHSt 7, 295.<br />

184 Wessels, AT § 9 I 2.<br />

185 Dreher/Tröndle, § 203 Rdnr. 28.<br />

186 Sch/Sch-Lenckner; § 203 Rdnr. 27.


576<br />

l<br />

c) Strafbarkeit des Verteidigers und/oder des Angeklagten<br />

sowie der übrigen Beteiligten als Teilnehmer<br />

(1.) Soweit eine Absprache insbesondere die Tatbestände<br />

der Rechtsbeugung oder der Strafvereitelung im Amt erfüllt,<br />

muß diesbezüglich auch die Strafbarkeit des Verteidigers<br />

und des Angeklagten geprüft werden. 187 Der Verteidiger<br />

könnte insoweit wegen Anstiftung oder Beihilfe zum<br />

Sonderdelikt der Rechtsbeugung beziehungsweise wegen<br />

mittäterschaftlicher Strafvereitelung zu belangen sein. Für<br />

den Angeklagten käme möglicherweise eine Anstiftung<br />

oder Beihilfe wegen Rechtsbeugung in Betracht. 188 Auch<br />

hier kommt es wieder auf den Einzelfall an.<br />

Bezüglich der Anstiftung entstehen Probleme, weil<br />

diese die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zur Begehung<br />

einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat voraussetzt<br />

(§ 26 StGB). Für das Element des „bestimmens“ ist dabei<br />

wesentlich, daß erst der Anstifter im Täter den Entschluß<br />

zur Tat hervorruft. 189 Ist der Täter zur konkreten Tat bereits<br />

fest entschlossen (sog. omni modo facturus) kommt eine<br />

Anstiftung nicht mehr in Betracht. 190 In Fällen, in denen<br />

das Gericht oder die Staatsanwaltschaft die Absprache angeregt<br />

haben oder ohnehin eine Verständigung gesucht<br />

hätte, scheidet Anstiftung daher von vornherein aus. Außerhalb<br />

der materiell-rechtlichen Betrachtung liegt auch hier<br />

der gleichwohl zu beachtende Aspekt, daß das Vorliegen<br />

dieses Sachverhalts kaum feststellbar ist. 191 Weiterhin ist zu<br />

beachten, daß der Verteidiger auch keine Verantwortung für<br />

die restlose Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs<br />

trägt. Daher kann seine Mitwirkung an einer prozeßordnungswidrigen<br />

Absprache auch nicht als rechtlich relevante<br />

Förderung einer etwa daraufhin vom Gericht begangenen<br />

Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt durch rechtswidrig<br />

milde Bestrafung gesehen werden, denn er hat ja<br />

umgekehrt das Recht und sogar die Pflicht, für den völligen<br />

Freispruch zu kämpfen. 192 Dieselben Überlegungen müssen<br />

für die entsprechenden Fallkonstellationen auch zu einer<br />

grundsätzlichen Verneinung bezüglich einer möglichen Beihilfe<br />

gelten. 193 In den bereits angesprochenen Fällen in denen<br />

sich der Verteidiger strafbar macht ist er dann Täter beziehungsweise<br />

Mittäter, nicht aber Anstifter oder Gehilfe.<br />

Eine Strafbarkeit des Angeklagten gem. § 258 StGB<br />

kommt wegen dessen Abs. V nicht in Betracht. Im übrigen<br />

gelten die für den Verteidiger genannten Gesichtspunkte<br />

auch für den Angeklagten entsprechend. 194 Darüber hinaus<br />

kommt hierfür die Straflosigkeit auch noch der Gesichtspunkt<br />

der notwendigen Teilnahme 195 hinzu. 196 Droht das<br />

Gesetz nur bestimmten Beteiligten Strafe an (so hier bei<br />

§§ 258, 258a; § 336 StGB), so sind die übrigen Beteiligten<br />

straflos, soweit sie nur das tun, was zur Verwirklichung des<br />

Delikts begrifflich notwendig ist. 197 Zwar führt unter eingeschränkten<br />

Voraussetzungen eine rollenüberschreitende<br />

Mitwirkung auch dort zur Strafbarkeit. 198 Dafür liegen regelmäßig<br />

aber keine Anhaltspunkte vor. 199 Auch muß bei<br />

Delikten in spezialgesetzlich geregelten Verhaltenssystemen<br />

das Verhalten unter Einbeziehung der Prozeßrolle gewürdigt<br />

werden. 200 Deshalb ist die Ablegung eines „schlanken<br />

Geständnisses“ durch den Angeklagten bezüglich der<br />

daraufhin ergehenden Akte der Strafrechtspflege straflos. 201<br />

Dem Angeklagten kommt hier, unabhängig von der Art seiner<br />

Beeinflussung keine Verantwortlichkeit für die Akte<br />

der Strafrechtspflege zu. 202<br />

(2.) Problematisch können schließlich auch noch Fälle<br />

werden, in denen sich der Verteidiger etwa nach § 203<br />

StGB strafbar machen kann. Hier wäre bezüglich der anderen<br />

Beteiligten (Staatsanwaltschaft, Gericht) ebenfalls an<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

eine Strafbarkeit als Teilnehmer zu denken. Dies kann<br />

jedoch nur am konkreten Einzelfall entschieden werden.<br />

(3.) Die Beteiligungsprobleme in diesem Bereich bieten<br />

zusammenfassend eine Fülle von bis heute kaum thematisierten<br />

Zurechnungsproblemen, 203 die in diesem Rahmen<br />

nicht erörtert werden können.<br />

d) Zusammenfassung<br />

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Beurteilung<br />

der Strafbarkeit der an Absprachen Beteiligten nur für<br />

den Einzelfall und nicht pauschal zu beurteilen ist. In vielen<br />

Fallkonstellationen bewegen sich die Beteiligten jedoch<br />

an der Grenze des rechtlich zulässigen. In einigen Fallvarianten<br />

werden diese Grenzen auch überschritten. Die Argumente,<br />

eine Strafbarkeit scheitere in der Regel daran, daß<br />

ein entsprechender Nachweis meist nicht geführt werden<br />

könne und die Staatsanwaltschaft als ermittelnde Behörde<br />

sei ja selbst beteiligt, 204 was eine Aufklärung nicht gerade<br />

fördere, zeigen, in welch ein Spannungsfeld man sich hier<br />

bewegt. Insgesamt ist also der Absprachebereich für die<br />

Beteiligten auch mit erheblichen Risiken behaftet.<br />

Als Konsequenz hieraus ergibt sich, daß der Problemkomplex<br />

der strafprozessualen Absprachen, die sich bei<br />

realistischer Betrachtungsweise ohnehin nicht (mehr) verhindern<br />

lassen und auch bei den Beteiligten auf eine breite<br />

Akzeptanz stoßen, durch eine gesetzliche Regelung geregelt<br />

werden sollten.<br />

Dies neben vielen strafprozessualen Argumenten aus<br />

materieller Sicht auch deshalb, um die Beteiligten vor der<br />

Gefahr zu bewahren, sich durch eine mittlerweile wohl<br />

gebräuchliche Vorgehensweise 205 auch noch strafbar zu<br />

machen.<br />

(Das Manuskript ist im Februar 1998 abgeschlossen)<br />

187 Vgl. diesbezüglich insbesondere Schünemann, Gutachten B 137 f. und Siolek,<br />

S. 219 ff.<br />

188 AaO.<br />

189 BGHSt 9, 379.<br />

190 Vgl. z. B. Dreher/Tröndle § 26 Rdnr. 3 m. w. N.<br />

191 Siolek, aaO.<br />

192 Schünemann, Gutachten B 137 f.<br />

193 Siolek, aaO.<br />

194 Vgl. auch Siolek, aaO.<br />

195 Vgl. dazu allg. LK-Roxin vor § 26 Rdnr. 27 ff.; SK-StGB-Samson vor § 26<br />

Rdnr. 43 ff.; Sch/Sch-Cramer vor §§ 25 ff. Rdnr. 49; Dreher/Tröndle vor<br />

§ 25 Rdnr. 6.<br />

196 Siehe Schünemann, Gutachten B 138; Siolek, aaO.<br />

197 Sch/Sch-Cramer vor §§ 25 ff. Rdnr. 46.<br />

198 Nämlich dann, wenn der Tatbestand zumindest auch dem Schutz des notwendigen<br />

Teilnehmers dient (LK-Roxin vor § 26 Rdnr. 33; Schünemann, Gutachten<br />

B 138 Fn. 410 m. w. N.; Siolek, aaO Fn. 68).<br />

199 Siolek, aaO.<br />

200 Schünemann, aaO.<br />

201 Schünemann, aaO.<br />

202 Schünemann, aaO; Siolek, aaO.<br />

203 Vgl. Schünemann, Gutachten B 138.<br />

204 Siolek, S. 223; Rönnau, S. 242.<br />

205 Vgl. dazu etwa die Untersuchungen von: Schünemann (dazu die Verweise in<br />

seinem Gutachten zu 58 DJT, 1990; Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung<br />

1993, S. 30 ff.; Lüdemann/Bußmann, KrimJ 1989, 54 ff.; Hassemer/Hippler,<br />

StrV 1986, 360 ff.


AnwBl 11/98 577<br />

Aufsätze l<br />

Der Betriebsübergang am<br />

Wendepunkt?<br />

– Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Betriebsübergang<br />

–<br />

Rechtsanwalt Dr. Gerhard Schäder, München<br />

1. Einleitung<br />

1972 hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem<br />

Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 1 § 613 a BGB in<br />

das Dienstvertragsrecht eingefügt. Die Bestimmung sollte<br />

den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern<br />

eine gesicherte Rechtsposition verschaffen und die<br />

Rechtsfolgen eines Betriebsinhaberwechsels einer einheitlichen<br />

Regelung unterwerfen 2 .<br />

Seine erste Änderung erfuhr § 613 a BGB 1980 mit dem<br />

arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz 3 . Die Änderung<br />

war notwendig geworden, da der Rat der Europäischen Gemeinschaften<br />

am 14.2.1977 eine Richtlinie zur Angleichung<br />

der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die<br />

Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang<br />

von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen (77/<br />

187/EWG) 4 erlassen hatte. Der EG-Gesetzgeber hielt eine<br />

solche Regelung für notwendig, da sowohl auf nationaler,<br />

wie auch auf Gemeinschaftsebene die Unternehmenszusammenschlüsse<br />

durch Betriebsübertragungen erheblich angestiegen<br />

waren und durch die Übertragung oftmals die soziale<br />

Lage des Arbeitnehmer beeinflußt worden war 5 .Die<br />

deutsche Regelung des § 613 a BGB wurde um Absatz 1<br />

Satz 2-4 (Rechte und Pflichten aus einem Tarifvertrag oder<br />

einer Betriebsvereinbarung) und Absatz 4 (Kündigungsverbot)<br />

ergänzt.<br />

Die bislang letzte Ergänzung erfolgte mit dem Gesetz<br />

über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen<br />

(SpTrUG) vom 5.4.1991 6 , das eine vorteilhaftere<br />

Rechtsstellung des Betriebsveräußerers bei der Aufspaltung<br />

bestimmt.<br />

2. Rechtsprechung des EuGH<br />

Da die Mitgliedsstaaten der EU die Richtlinie umsetzen<br />

mußten und die innerstaatlichen Regelungen im Einklang<br />

mit der Richtlinie zu stehen haben, kann bei Auslegungsproblemen<br />

der EuGH von den nationalen Gerichten im<br />

Rahmen eines Vorlageverfahrens gemäß Art. 177 EWG-<br />

Vertrag angerufen werden. Der EuGH hat, soweit dies ersichtlich<br />

ist, bisher in 25 Entscheidungen 7 zur Richtlinie<br />

Stellung bezogen. Während einige Entscheidungen weder<br />

in der Literatur noch in der Rechtsprechung entsprechenden<br />

Niederschlag gefunden haben, sind manche Entscheidungen<br />

geradezu als sensationell eingestuft worden und auch in<br />

entsprechenden Umfang in Entscheidungen und Abhandlungen<br />

eingegangen.<br />

Heiß diskutiert worden ist die Problematik zu dem deutschen<br />

Spezifikum des Widerspruchsrechtes, vor allem im<br />

Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 5.8.1988 8 .<br />

Dabei hatte der EuGH entschieden, daß der Arbeitnehmer<br />

nicht auf seine Rechte, die ihm aus der Richtlinie zustehen,<br />

verzichten kann und daß eine Verkürzung der Rechte auch<br />

mit Zustimmung des Arbeitnehmers nicht erfolgen darf.<br />

Ein Teil der Literatur hatte daraufhin angenommen, daß das<br />

„Heiligtum Widerspruchsrecht“ des BAG gegen die Richtlinie<br />

und die Auslegung des EuGH verstieße 9 . Bei Durchsicht<br />

der Entscheidung und dem der Entscheidung zugrundeliegendem<br />

Sachverhalt war aber klar, daß der EuGH nur<br />

den Verzicht einzelner Rechte im Rahmen eines Betriebsüberganges<br />

verneinte, zu dem allgemeinen Widerspruchsrecht<br />

allerdings keinerlei Aussage traf. Da für die deutsche<br />

Rechtsprechung die Ehre auf dem Spiel stand und durch<br />

das Verständnis der Literatur erhebliche Unsicherheiten aufgetreten<br />

waren, wurden dem EuGH gleich von drei deutschen<br />

Gerichten die Frage nach der Zulässigkeit des Widerspruchsrechtes<br />

vorgelegt 10 . Der EuGH hat in einer äußerst<br />

kurzen und knappen Entscheidung, so wie es seine Art ist,<br />

das deutsche Widerspruchsrecht für zulässig erklärt 11 .<br />

Diese Entscheidung hat nochmals klar gezeigt, daß der<br />

EuGH Einzelfallentscheidungen trifft, die auf den zu beurteilenden<br />

Fall zugeschnitten sind. Verallgemeinerungen<br />

dieser Entscheidungen können sehr schnell in die falsche<br />

Richtung führen. Diese Problematik resultiert nach der<br />

Auffassung des Verfassers aus der verhältnismäßig geringen<br />

Anzahl von EuGH-Entscheidungen und deren äußerst<br />

kurzen Begründungen. Da nur wenige Entscheidungen des<br />

EuGH zur Lösung der vielschichtigen Probleme des Betriebsüberganges<br />

zur Verfügung stehen, werden die Aussagen<br />

des EuGH, die auf den zu entscheidenden Fall zugeschnitten<br />

sind, auf sämtliche ähnliche Sachverhalte oder gar<br />

völlig allgemein angewandt. Unterstützt wird dies durch<br />

die allgemein formulierten und sehr knappen Begründungen<br />

des EuGH. Dieses Gericht macht sich nicht nur annähernd<br />

so viel Mühe, seine Rechtsauffassung darzulegen und umfassend<br />

zu begründen, wie ein deutsches Arbeitsgericht.<br />

Meist werden die Auffassungen der Parteien ausführlicher<br />

dargelegt, als die eigene Begründung. Diese besteht oftmals<br />

nur in dem Verweis auf eine von einer der Parteien dargelegten<br />

Meinung oder in einer knappen Begründung mit einem<br />

oder zwei Argumenten. Insoweit ist nach der hier vertretenen<br />

Meinung erhebliche Kritik an der Rechtsprechung<br />

des EuGH angebracht. Zwar mag eine nur der Masse nach<br />

1 BGBl. I 1972, 13.<br />

2 BT- Drucks., VI / 1786, S. 59.<br />

3 Vom 13.8.1980, BGBl. I 1980, 1308.<br />

4 ABl. EG Nr. L 61 vom 5.3.1977, S. 26.<br />

5 So die Begründung des Richtlinienvorschlages, abgedruckt in RdA 1975, 125.<br />

6 BGBl. I 1991, 854.<br />

7 So auch: Memorandum der EU-Kommission zu den erworbenen Ansprüchen<br />

der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Anhang II; KOM (97)<br />

85 endg., Katalognr. CB -CO -97- 077- DE- C ISBN 92-78-16349-X; DB<br />

1997, 1030.<br />

8 RSen 144/87 und 145/87, Slg. 1988, 2559, in der BRD erstmals veröffentlicht<br />

von Meilicke, DB 1990, 1770. Zu der Problematik dieser Entscheidung hat der<br />

EuGH aber schon vorher in EuGH v. 10.2.1988, RS 324/86, Slg. 1988, 739<br />

Stellung genommen. Diese Entscheidung blieb aber bei der Diskussion völlig<br />

außer Acht.<br />

9 Bauer, NZA 1990, 888, NZA 1991, 139; Meilicke DB 1990, 1770; Berger-Delhey<br />

und Gaul in Anm. zu EuGH, EzA Nr.89 zu § 613 a BGB.<br />

10 ArbG Bamberg, DB 1991, 1382; ArbG Hamburg, EuZW 1992, 32; BAG,<br />

NJW 1993, 488.<br />

11 RSen 132/91, 138/91, 139/91, EuZW 1993, 161 = NZA 1993, 169 = DB 1993,<br />

230. Der EuGH hat die Zulässigkeit des Widerspruchsrechtes damit begründet,<br />

daß eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />

mit dem Erwerber gegen dessen Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes<br />

und des Arbeitgebers verstossen würde.


578<br />

l<br />

umfangreiche Begründung die vertretene Meinung nicht<br />

stützen, ein intensives Auseinandersetzen mit der Gegenmeinung<br />

und deren Argumentation, sowie der Versuch die<br />

eigenen Argumente auszufeilen und stichhaltig zu machen,<br />

führt aber eher zu einem befriedigenden Ergebnis. Der<br />

EuGH erfüllt diese Anforderungen leider nicht und wird<br />

seine Praxis kaum durch diese Ausführungen ändern. Deshalb<br />

muß bei der Auslegung der EuGH-Entscheidungen erhebliche<br />

Sorgfalt angewandt werden. Wichtig ist, daß der<br />

EuGH nur den vorgelegten Einzelfall entscheidet, der gerade<br />

nicht völlig verallgemeinert werden kann.<br />

3. Entscheidung des EuGH v. 14.4.1994 12<br />

Ähnlich wie die Entscheidung des EuGH vom<br />

5.8.1988 13 schien nun eine weitere Entscheidung des EuGH<br />

zum Betriebsübergang vom 14.4.1994 die Gemüter zu erhitzen<br />

und eine weitere Diskussion über die Rechtsprechung<br />

des EuGH zu entfachen.<br />

Der Entscheidung vorangegangen war ein Vorlagebeschluß<br />

des LAG Schleswig-Holstein 14 , mit dem der EuGH<br />

ersucht wurde, darüber zu entscheiden, ob Reinigungsaufgaben,<br />

wenn sie vertraglich einer Fremdfirma übertragen<br />

werden, einem Betriebsteil gleichgestellt werden können<br />

und ob dies dann auch gelte, wenn die Reinigungsaufgaben<br />

nur von einer einzigen Arbeitnehmerin wahrgenommen<br />

werden. Ausgangspunkt des Vorlagebeschlusses war die<br />

von Frau Christel Schmidt erhobene Kündigungsschutzklage.<br />

Diese Klage richtete sich gegen eine Kündigung des<br />

Arbeitgebers, der die bisher von Frau Schmidt erledigten<br />

Reinigungsaufgaben auf eine Fremdfirma übertragen hatte.<br />

Die Fremdfirma schlug Frau Schmidt vor, zu einem höheren<br />

Monatslohn bei ihr zu arbeiten, was von Frau Schmidt<br />

wegen erheblichen Mehrarbeitszeiten abgelehnt wurde.<br />

Der EuGH entschied, daß die Richtlinie auf den vorgelegten<br />

Fall anwendbar ist, auch wenn die übergegangenen<br />

Aufgaben von nur einer Arbeitnehmerin erledigt wurden.<br />

Er begründete seine Auffassung damit, daß ein Betriebsübergang<br />

gegeben sei, wenn die Identität der wirtschaftlichen<br />

Einheit gewahrt wird. Die Wahrung der Identität sei<br />

dann gegeben, wenn dieselbe oder eine gleichartige Tätigkeit<br />

vom neuen Inhaber tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen<br />

wird. Insoweit verweist der Gerichtshof<br />

auf seine bisherige Rechtsprechung 15 . Des weiteren führt<br />

der Gerichtshof aus, daß es für einen Betriebsübergang,<br />

ausreichend sein kann, wenn der übertragene Tätigkeitsbereich<br />

nur eine untergeordneten Bedeutung hat und nicht in<br />

einem notwendigen Zusammenhang mit dem Unternehmenszweck<br />

steht. Diese Ausführungen dienen allerdings<br />

nur dazu, festzustellen, wann die Richtlinie noch anwendbar<br />

sein kann, nicht aber welche Voraussetzungen gegeben<br />

sein müssen, daß ein Betriebsteil vorliegt. Auch findet sich<br />

im Urteil trotz der klaren Vorlageformulierung keine Definition<br />

des Betriebsteiles. Zwar setzt sich der EuGH mit der<br />

Argumentation, daß Betriebsmittel mitübergehen müßten<br />

dadurch auseinander, daß der Gerichtshof dies nicht als allein<br />

entscheidendes Kriterium ansieht, so daß auch ohne<br />

Übergang von Betriebsmitteln ein Betriebsübergang vorliegen<br />

könne. Dennoch nennt der EuGH hier abermals nicht<br />

die Kriterien für das Vorliegen eines Betriebsteiles. Die<br />

Ausführungen zur wirtschaftlichen Einheit, die der EuGH<br />

als entscheidend betrachtet, gehen nach der Auffassung des<br />

Autors an dem eigentlichen Problem des Vorliegens eines<br />

Betriebsteiles vorbei, da dies die Problematik des Überganges<br />

betrifft.<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

Bei der Prüfung, ob ein Betriebsübergang gegeben ist<br />

oder nicht, muß zuerst geprüft werden, ob ein Betriebsteil<br />

gegeben ist, sodann, ob dieser Betriebsteil übergegangen<br />

ist. Diese beiden Prüfungspunkte sollten nicht miteinander<br />

vermischt werden. Deshalb sind die Definitionen für Betriebsteil<br />

und Übergang zu unterscheiden. Es kann nämlich<br />

ein Betriebsteil gegeben sein, der aber nicht oder nicht<br />

komplett an den Erwerber übergeht.<br />

Nach der hier vertretenen Auffassung mangelt es der Entscheidung<br />

an einer fundierten Begründung. Der Betriebsteil<br />

wird nicht definiert, der Begriff des Betriebteiles mit dem<br />

des Überganges 16 vermengt. Der Gerichtshof führt im wesentlichen<br />

aus, wann die Anwendbarkeit der Richtlinie nicht<br />

ausgeschlossen ist, bestimmt aber die Anwendbarkeit nicht<br />

positiv. Der EuGH hat wiederum einen Einzelfall entschieden,<br />

der mangels allgemeingültiger Ausführungen nicht einfach<br />

auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen werden darf.<br />

4. Umsetzung des Urteils in der deutschen<br />

Rechtsprechung<br />

Die deutsche Rechtsprechung hat unmittelbar auf das<br />

Urteil des EuGH reagiert. So hat das ArbG Hamburg mit<br />

Urteil vom 4.7.1994 17 festgestellt, daß ein Betriebsübergang<br />

die Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel<br />

nicht voraussetzt, sondern eine bloße Funktionsnachfolge<br />

ausreichend ist. Gegenstand des Verfahrens war die<br />

Auflösung eines Nebenbetriebes Reinigungsdienst mit 27<br />

Arbeitnehmern und die Übertragung der Reinigung auf eine<br />

Fremdfirma. Die Klägerin war Arbeitnehmerin des Teilbetriebes<br />

und ihr Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber wegen<br />

der Übertragung gekündigt worden. Die Kündigung wurde<br />

wegen Verstoßes gegen § 613 a Abs. 4 BGB für unwirksam<br />

erklärt. Das Gericht hat sich seiner eigenen Auffassung<br />

nicht an die Rechtsprechung des BAG 18 gehalten, das den<br />

Übergang der wesentlichen Betriebsmittel voraussetze.<br />

Vielmehr wird auf einen „tätigkeitsbezogenen Betriebsbegriff“<br />

abgestellt. Da die Identität der wirtschaftliche Einheit<br />

gewahrt worden sei, weil die Fremdfirma als Funktionsnachfolger<br />

dieselbe Geschäftstätigkeit weitergeführt habe,<br />

liege ein Betriebsteilübergang vor.<br />

Das Urteil übernimmt unreflektiert die Rechtsprechung<br />

des EuGH und setzt eine eigene Auslegung in die Tat um.<br />

Es wird allgemein darauf abgestellt, daß eine Funktionsnachfolge<br />

ausreichend sei. In dieser Allgemeinheit ist die Rechtsprechung<br />

sicherlich nicht zu verstehen. Der vollkommene<br />

Verzicht auf einen Betriebsmittelübergang und das Abstellen<br />

auf einen tätigkeitsbezogenen Betriebsbegriff ist unrichtig<br />

und war wohl auch vom EuGH nicht gewünscht. Der EuGH<br />

hat in seinem Urteil nur ausgeführt, daß der Übergang von<br />

Betriebsmitteln nicht in allen Fällen notwendig ist.<br />

Ähnlich unreflektiert hat das LAG Hamm 19 bei schlichter<br />

Funktionsnachfolge einen Betriebsübergang angenommen,<br />

wobei andere Gerichte dies abgelehnt haben 20 .<br />

12 RS 392/92, NJW 1994, 2343 = DB 1994, 1371.<br />

13 Fn. 8.<br />

14 Vom 27.9.1992, Az. 1 Sa 235/92; EuZW 1993, 296 L.<br />

15 Grundlegend zu der Problematik, ob ein Übergang gegeben ist: EuGH v.<br />

18.3.1986, RS 24/85, Slg. 1986, 1119.<br />

16 Zum Begriff Übergang ausführlich und kritisch: Wank, DB 1997, 1229.<br />

17 DB 1994, 1424.<br />

18 Z. B. NZA 1994, 260.<br />

19 AZ 11 (19) SA 1900/93.<br />

20 LAG Hamm, DB 1997, 48; LAG Düsseldorf, BB 1996, 431.


AnwBl 11/98 579<br />

Aufsätze l<br />

In dem Verfahren des LAG Schleswig-Holstein 21 , das zu<br />

dem umstrittenen Urteil des EuGH geführt hat, haben sich<br />

die Parteien verglichen. In diesem Vergleich wurde die Entscheidung<br />

sicherlich zu Gunsten der Arbeitnehmerin berücksichtigt.<br />

5. Stellungnahme der Literatur<br />

Die nahezu einhellige Meining in der Literatur 22 hält das<br />

Urteil des EuGH für eine Katastrophe und sieht darin den<br />

Untergang der bisher vom BAG herausgearbeiteten Kriterien<br />

des Betriebsüberganges.<br />

Z. B. Junker 23 nannte das Urteil in einer Hitliste der<br />

schwarzen Serie der Entscheidungen des EuGH auf Platz 3.<br />

Als Begründung für die Entscheidung sah er die Motivation<br />

des EuGH möglichst viele Fälle unter die Richtlinie zu subsumieren.<br />

Auch Buchner 24 kritsierte die Entscheidung des EuGH,<br />

da ein Betriebsteilübergang angenommen werde, ohne daß<br />

es auf den Übergang irgendwelcher Betriebsmittel ankomme.<br />

Dies widerspreche der bisherigen Bewertung, die<br />

auf die dem arbeitstechnischen Zweck gewidmeten Sachund<br />

Rechtsgesamtheit abstelle.<br />

Röder/Baeck 25 sahen die Entscheidung des EuGH als<br />

Bedrohung für die Externalisierung (Outsourcing), insbesondere<br />

auf dem Dienstleistungssektor, an. Sie hielten eine<br />

Ausdehnung auf Produktionsbetriebe und anderweitige<br />

Auftragsvergabe von schon von Dritten erledigten Aufgaben<br />

nicht für ausgeschlossen.<br />

Bauer 26 erkannte die Entscheidung des EuGH nur auf<br />

Dienstleistungsunternehmen beschränkt, sieht aber die<br />

Möglichkeit, daß die Entscheidung auch auf Produktionsbetriebe<br />

ausgedehnt werden könne.<br />

Voss 27 führte aus, daß der EuGH Tatbestand und Rechtsfolge<br />

in unzulässiger Weise miteinander verknüpfe und dadurch<br />

eine Differenzierung nicht mehr möglich sei. Ein<br />

Übergang liege nur vor, wenn ein „Betriebssubstrat“, zumindest<br />

aber das „know how“ übertragen wird.<br />

Am 8.9.1994 hatte die Politik, nämlich die EU-Kommission<br />

neben anderen Änderungsvorschlägen schon auf das Urteil<br />

reagiert und einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie<br />

Übergang von Betrieben erarbeitet 28 . Darin hieß es in Art. 1<br />

Abs. 1 Satz 2: „Als Übergang i. S. dieser Richtlinie wird<br />

der Übergang einer Tätigkeit angesehen, die vom Übergang<br />

einer Wirtschaftseinheit, die ihre Identität bewahrt, begleitet<br />

wird. Der alleinige Übergang einer Tätigkeit eines Unternehmens,<br />

Betriebes oder Betriebsteiles, unabhängig davon,<br />

ob sie mittelbar oder unmittelbar ausgeübt wird, stellt als<br />

solcher keinen Übergang i. S. der Richtlinie dar.“ Der Vorschlag<br />

wollte mit der Regelung erreichen, daß das alleinige<br />

Übertragen von Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich<br />

der Richtlinie fällt, sondern auch zumindest der Betriebsteil,<br />

der zu der Tätigkeit gehört, mitübergeht. Der Vorschlag war<br />

dennoch nicht klar und hätte bei Erlaß weitere Fragen aufgeworfen<br />

29 , klargestellt hätte er lediglich, daß der alleinige<br />

Übergang einer Tätigkeit nicht für einen Betriebs-/Betriebsteilübergang<br />

ausreichend ist 30 . Die Kommission hat den Vorschlag<br />

wegen Widerspruch des Europäischen Parlamentes<br />

nicht weiter verfolgt.<br />

6. Entscheidung des EuGH v. 11.3.1997 31<br />

Das ArbG Bonn 32 legte dem EuGH abermals nach Art.<br />

177 EWG-Vertrag einen Fall zur Vorabentscheidung vor. In<br />

diesem Verfahren wurden Reinigungsaufgaben von einem<br />

Unternehmen auf ein anderes Unternehmen übertragen. Der<br />

Klägerin Frau Ayse Süzen und sieben weiteren Mitarbeitern<br />

war gekündigt worden, da der Reinigungsauftrag dem Arbeitgeber<br />

entzogen wurde. Das Unternehmen, das nun den<br />

Auftrag erhielt, bot der Klägerin keine, aber den anderen<br />

sechs Arbeitnehmern eine Beschäftigung an.<br />

Der EuGH entschied, wie es kaum anders zu erwarten<br />

war 33 , daß dies einen Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie<br />

darstellen kann, überläßt die endgültige Beurteilung, bei<br />

Benennung der Kriterien, dem nationalen Gericht. Insbesondere<br />

kann es ausreichen, wenn ein nach Zahl und Sachkunde<br />

wesentlicher Teil des Personals übernommen werden soll 34 .<br />

Allerdings ist es für einen Betriebsübergang keine zwingende<br />

Voraussetzung, daß ein Vertrag zwischen den übernehmenden<br />

Parteien besteht, es reicht aus, wenn ein Dritter dazwischengeschaltet<br />

ist, z. B. der Eigentümer oder<br />

Verpächter 35 . Als wesentlich verweist der EuGH wieder auf<br />

die Identität der Einheit bei tatsächlicher Weiterführung oder<br />

Wiederaufnahme des Betriebes. Der bloße Verlust eines Auftrages<br />

an einen Mitbewerber stellt keinen Übergang dar. Allerdings<br />

kann es ein wesentliches Kriterium für einen Betriebsübergang<br />

darstellen, wenn die „Hauptbelegschaft“<br />

übernommen wird, insbesondere in Branchen, in denen die<br />

menschliche Arbeitskraft wesentlich ist.<br />

Die Literatur scheint sich nun mit dieser Klarstellung<br />

zufrieden zu geben 36 und sieht mit dem Urteil wieder eine<br />

Rückkehr zur Rechtssicherheit 37 .<br />

Nachdem die Neufassung der Richtlinie 38 damit wohl<br />

auch nicht mehr nötig war, hat sich die EU-Kommission<br />

21 Vergl. Fn 14.<br />

22 Junker NJW 1994, 2527; Buchner DB 1994, 1417; Schmitt, WiB 1994, 395;<br />

Bauer BB 1994, 1433; Schwerdtner WPrax 10/1994, 4; Röder/Baeck NZA<br />

1994, 542; Blomeyer, Anm. zu EzA § 613a Nr. 113; Hanau, ZIP 1994, 1038;<br />

Voss, NZA 1995, 205; Henssler, NZA 1994, 930; Heinze, FS-Henckel, 401,<br />

408; Joost, FS-Wlotzke, 683; Loritz, Anm. zu AP § 613 a BGB Nr. 106; Lutter,<br />

ZIP 1994, 1514; Preis, ZIP 1995, 1514; Ziemons, ZIP 1995, 987; Wollenschläger/Pollert,<br />

ZfA 1996, 547, Schiefer, DB 1995, 275; Ziemons, ZIP 1995,<br />

987.<br />

Wohl anderer Ansicht: Zwanziger, DB 1994, 2621; Trittin, AiB 1994, 466;<br />

Zuleeg, Arbeitsrecht der Gegenwart 1995, 41; Wendling-Schröder, AuR 1995,<br />

126; Heilmann, ArbuR 1996, 168.<br />

23 NJW 1994, 2527.<br />

24 DB 1994, 1417.<br />

25 NZA 1994, 542.<br />

26 BB 1994, 1433.<br />

27 NZA 1995, 205.<br />

28 Abl. EG Nr. C 274/10; DB 1994, 1979; Vorgeschlagen wurde der Entwurf von<br />

Kommissar Flynn. Ziel des Änderungsvorschlages ist unter anderem die Präzisierung<br />

des Anwendungsbereiches der bestehenden Richtlinie, insbesondere<br />

Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 14.4.1994.Hierzu: Bauer, DB 1994, 1982;<br />

Waas, EuZW 195, 52; Hanau, ZIP 1994, 1568.<br />

29 Welche Wirtschaftseinheit muß bei einer Dienstleistung mitübergehen? Gerade<br />

diese Frage hat sich der EuGH in dem Urteil vom 14.4.1994 gestellt.<br />

Diese Frage bleibt aber auch nach dem Vorschlag offen.<br />

30 Die Kritiker in der deutschen Literatur hätten sich darüber gefreut. Wenn aber<br />

schon eine Neuregelung geschaffen werden sollte, dann hätte diese nicht übereilt<br />

und ohne über weitere Probleme nachzudenken erlassen werden dürfen.<br />

31 Rs. C 13/95; NZA 1997, 433; DB 1997, 628.<br />

32 EuZW 1995, 651; DB 1995, 582.<br />

33 Als einziger wohl zustimmend: Trittin, DB 1997, 1333: „Christel Schmidt bestätigt“.<br />

34 Zur Problematik der Auslegung dieses Kriteriums: Brößke, BB 1997, 1412,<br />

der richtiger weise ausführt, daß es auf den Einzelfall ankommt und zu untersuchen<br />

ist, ob mit den übernommenen Arbeitnehmern der Betrieb oder Betriebsteil<br />

weitergeführt werden kann.<br />

35 Dies hatte der EuGH bereits vorher in zwei anderen Verfahren judiziert: Rs. C<br />

171/94 und C 172/94, EuGHE 1996, 1253 = DB 1996, 683.<br />

36 Buchner, NZA 1997, 408:„Eine konsensfähige Entscheidung“; Heinze; DB<br />

1997, 677: „Überwindung der Irritationen“; Bauer, DB 1997, 1030, Einf. zum<br />

Memorandum der EU-Kommission: „gewisse Beruhigung eingetreten“.<br />

37 So: Heinze, DB 1997, 677.<br />

38 Vgl.: Fn 25.


580<br />

l<br />

entschlossen ein Memorandum zu den erworbenen Ansprüchen<br />

der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen<br />

zu erarbeiten und zu veröffentlichen 39 . Darin wird die wesentliche<br />

EuGH-Rechtsprechung dargestellt und zusammengefaßt,<br />

als auch Hinweise zur Beurteilung gegeben. Es muß<br />

jedoch darauf hingewiesen werden, daß das Memorandum<br />

keinen bindenden Charakter hat und der EuGH jederzeit davon<br />

abweichen kann. Da sich die wesentlichen Ausführungen<br />

jedoch auf dessen Rechtsprechung stützen, wird eine<br />

Abweichung allenfalls gering sein, so daß es in der Praxis<br />

Verwertung finden kann und wird. Die Kommission hat<br />

hier erkannt, daß einzelne Klarstellungen im Rahmen einer<br />

Zusammenfassung angezeigt sind.<br />

7. Eigene Stellungnahme<br />

Wie bereits angeklungen, kann der Verfasser die einhellige<br />

Aufregung über das Ergebnis der EuGH-Rechtsprechung<br />

nicht ganz nachvollziehen. Zwar ist an der Urteilsbegründung<br />

und den unklaren Aussagen des EuGH herbe<br />

Kritik angebracht, die Auswirkungen dieser Rechtsprechung<br />

werden stets erheblich überschätzt.<br />

Nimmt man sich einmal die Rechtsprechung des BAG<br />

zur Hand 40 , so stellt man fest, daß das höchste deutsche Arbeitsgericht<br />

hinsichtlich der Problematik, wann die Voraussetzungen<br />

eines Überganges erfüllt sind, nicht wesentlich<br />

andere Aussagen als der EuGH trifft.<br />

So hat das BAG im Urteil vom 9.2.1994, also zeitlich<br />

vor der Christel-Schmidt Entscheidung des EuGH, unter<br />

anderen Folgendes ausgeführt:<br />

„Nach ständiger Rechtsprechung des BAG machen die<br />

übernommenen sächlichen und immateriellen Betriebsmittel<br />

einen Betrieb i. S. von § 613 a BGB schon dann aus,<br />

wenn der neue Inhaber mit ihnen und mit Hilfe der Arbeitnehmer<br />

bestimmte arbeitstechnische Zwecke weiterverfolgen<br />

kann. Dabei ist es nicht erforderlich, daß alle Wirtschaftsgüter,<br />

die bisher zu dem Betrieb des alten Inhabers<br />

gehörten, auf den neuen Betriebsinhaber übergehen. Unwesentliche<br />

Bestandteile des Betriebes bleiben außer Betracht.“<br />

„Für die Frage, welche Betriebsmittel für die Erfüllung<br />

der arbeitstechnischen Zwecke wesentlich sind, ist auf die<br />

Eigenart des Betriebes abzustellen. Für Handels- und<br />

Dienstleistungsbetriebe, deren Betriebsvermögen hauptsächlich<br />

aus Rechtsbeziehungen besteht, sind es in erster<br />

Linie die immateriellen Betriebsmittel wie Kundenstamm,<br />

Kundenlisten, die Geschäftsbeziehungen zu Dritten, das<br />

„Know how“ und der „good will“, ebenso wie die Einführung<br />

des Unternehmens auf dem Markt, ggf. auch Geschäftsräume<br />

und Geschäftslage, sofern diese Bestandteile<br />

des Betriebes es ermöglichen, den bisherigen Kundenkreis<br />

zu halten und auf den neuen Betriebsinhaber überzuleiten.“<br />

„Der bisherige Betriebsinhaber kann immaterielle<br />

Wirtschaftsgüter, namentlich know how und good will einschließlich<br />

der Kundenbeziehungen und Branchenkenntnisse<br />

dadurch auf den Betriebserwerber übertragen, daß<br />

im allseitigen Einvernehmen Arbeitnehmer, die diese immateriellen<br />

Betriebsmittel verkörpern, zum Erwerber<br />

wechseln, um dort ihr Wissen einzusetzen.“<br />

„Der Abschluß der Arbeitsverträge noch vor bzw. wenige<br />

Tage nach der Schließung des Betriebs der L spricht<br />

dafür, daß die Beklagte von Anfang an vorhatte, mit dem<br />

eingespielten Team von Arbeitnehmern, insbesondere mit<br />

AnwBl 11/98<br />

Aufsätze<br />

dem durch die Einstellung des Herrn M übernommenen<br />

know-how, den bisherigen Betriebszweck fortzuführen.“<br />

Mit Urteil vom 19.11.1996, mithin vor der neuesten<br />

EuGH-Entscheidung hat das BAG folgendes ausgeführt 41 :<br />

„Für die Annahme eines rechtsgeschäftlichen Betriebsüberganges<br />

i. S. von § 613 a BGB kommt es entscheidend<br />

darauf an, daß ein zuvor stillgelegter Betrieb mit allen wesentlichen<br />

Betriebsmitteln in der Weise erworben wird,<br />

daß die arbeitstechnischen Zwecke des Betriebes weiterverfolgt<br />

werden können.“<br />

„Die Übernahme einer entsprechenden Verpflichtung<br />

und die tatsächliche Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern<br />

sprechen aber für die Absicht des Erwerbers, die bisherige<br />

betriebliche Leitungsfähigkeit zu verwerten und damit<br />

für einen Betriebsübergang.“<br />

Das BAG unterscheidet zunächst einmal nach der Art<br />

des Betriebes. Problematisch sind vor allem Dienstleistungsunternehmen,<br />

wie die vom BAG entschiedenen Fälle<br />

als auch die EuGH-Rechtsprechung zeigen. Bei Unternehmen<br />

dieser Art gibt es oftmals keine „greifbaren“ Betriebsmittel,<br />

sondern nur oder hauptsächlich immaterielle Betriebsmittel.<br />

Deshalb kann es bei solchen Betrieben oder<br />

Betriebsteilen für einen Betriebsübergang i. S. des § 613a<br />

BGB nicht auf die Übertragung von materiellen Betriebsmitteln<br />

ankommen.<br />

Wenn es auf die Übertragung der immateriellen Betriebsmittel<br />

ankommt, wird die Frage aufgeworfen, wie immaterielle<br />

Betriebsmittel übertragen werden. Das BAG führt<br />

dazu aus, daß die Übertragung auch durch den Wechsel von<br />

Arbeitnehmer, die das wesentliche Wissen mitbringen, erfolgen<br />

kann. Diese Entscheidungen bezogen sich auf den<br />

Übergang eines Betriebes, der auf den Handels- und<br />

Dienstleistungssektor tätig war.<br />

Der vom EuGH entschiedene Fall Christel Schmidt betraf<br />

ein Betriebsteil, nämlich die Raumpflege, in den nur<br />

eine Arbeitnehmerin beschäftigt war. Dabei stellt sich wiederum<br />

die Frage, welche Betriebsmittel überhaupt vorhanden<br />

sind. Materielle Betriebsmittel sind die Putz- und Pflegemittel,<br />

als auch dazugehörige Instrumente. Für einen<br />

Betriebsteilübergang müssen diese jedoch nicht übertragen<br />

werden. Da die Raumpflege nur betriebseigen war, bestanden<br />

die immateriellen Betriebsmittel wohl in der Kenntnis<br />

der Räumlichkeiten und der vorzugehenden Putzweise.<br />

Diese sind in der betroffenen Arbeitnehmerin verkörpert 42 .<br />

Da zu dem Betriebsteil nur eine Arbeitnehmerin gehörte,<br />

verbindet sich die Voraussetzung und die Folge des Betriebsüberganges<br />

in einem. Wechselt die Arbeitnehmerin<br />

zum Erwerber, so liegt ein Betriebsübergang vor und das<br />

Arbeitsverhältnis geht über. Voraussetzung für den Betriebsübergang<br />

wäre demnach, daß das Arbeitsverhältnis<br />

übergeht. Dies kann natürlich nicht sein, denn dann beißt<br />

sich die Katze in den Schwanz. In dem ersten vom BAG<br />

entschiedenen Fall war dies einfacher, da ein Arbeitsvertrag<br />

mit dem Arbeitnehmer abgeschlossen wurde, der die imma-<br />

39 Vgl.: Fn 7.<br />

40 Beispielsweise: BAG, DB 1981, 1140; DB 1985, 1399; DB 1994, 1144 = NJW<br />

1995, 73; NJW 1995, 75; NZA 1995, 222 = BB 1995, 570; BAG, DB 1997,<br />

1036.<br />

41 BAG, DB 1997, 1036.<br />

42 So auch das BAG, NJW 1995, 73 (74).


AnwBl 11/98 581<br />

Aufsätze l<br />

teriellen Betriebsmittel verkörperte. Bei seinen Ausführungen<br />

bezieht sich das BAG aber in beiden Entscheidungen<br />

unter anderem auch darauf, ob die Fremdfirma beabsichtigt,<br />

mit dem in den Arbeitnehmern verkörperten knowhow<br />

das Betriebsteil weiterzuführen.<br />

Die vom EuGH entschiedenen Fälle zeigen aber eine Lösungsmöglichkeit<br />

auf, die im Ergebnis von dem Gedanken<br />

der BAG-Rechtsprechung nicht weit entfernt ist. Ein Übergang<br />

ist dann gegeben, wenn die immateriellen Betriebsmittel<br />

zumindest übergehen sollten. Auf den tatsächlichen Übergang<br />

kann es insoweit nicht ankommen, da dazu schließlich<br />

der Übergang des Arbeitsverhältnisses notwendig wäre, was<br />

aber die Folge von § 613a BGB ist. In dem EuGH-Fall Christel<br />

Schmidt hat die Fremdfirma Frau Schmidt angeboten,<br />

bei ihr zu arbeiten. Dies sollte zu einem höheren Lohn bei<br />

einer gesteigerten Arbeitszeit erfolgen. Die Fremdfirma<br />

wollte also die in der Arbeitnehmerin verkörperten immateriellen<br />

Betriebsmittel erhalten. Nachdem diese übergehen<br />

sollten, muß ein Betriebsteilübergang bejaht werden. Würde<br />

ein Übergang verneint werden, so wäre bei der hier vorliegenden<br />

Fallkonstellation ein Übergang ausgeschlossen.<br />

Bei Externalisierung einer Dienstleistung kann es nicht<br />

angehen, daß die Arbeitnehmer zu schlechteren Bedingung<br />

bei der Fremdfirma angestellt werden können. § 613a BGB<br />

will nämlich gerade verhindern, daß dieselbe Arbeit für einen<br />

anderen Arbeitgeber zu schlechteren Arbeitsbedingungen<br />

geleistet werden muß oder das Arbeitsverhältnis bei einer<br />

Ablehnung der schlechteren Arbeitsbedingungen durch<br />

den Arbeitnehmer endet. Frau Schmidt wollte die schlechteren<br />

Arbeitsbedingungen (erhebliche Mehrarbeitszeiten)<br />

nicht akzeptieren. Der EuGH hat demnach richtig entschieden,<br />

nur leider in der Begründung die hier ausgeführten<br />

Einschränkungen nicht klar ausgesprochen, was nun ergänzend<br />

in der Süzen-Entscheidung erfolgte.<br />

Die Entscheidungen liegen nicht weit entfernt von der<br />

Rechtsprechung des BAG, das einen Übergang der immateriellen<br />

Betriebsmittel im Wechsel von Arbeitnehmern, die<br />

diese verkörpern, sieht. Der Fall Schmidt zeigt, daß es nicht<br />

immer auf den tatsächlichen Übergang ankommen kann.<br />

Dies muß aber auch dann gelten, wenn mehr als eine Arbeitnehmerin<br />

dem Betriebsteil zuzuordnen sind, weil es<br />

auch bei einer Mehrzahl von Arbeitnehmer möglich ist, daß<br />

es aufgrund des Angebotes der Fremdfirma zu schlechteren<br />

Arbeitsbedingungen weiter zu arbeiten nicht zu einem<br />

Übergang der immateriellen Betriebsmittel kommt, da der<br />

oder die Arbeitnehmer es ablehnen zu schlechteren Arbeitsbedingungen<br />

zu arbeiten.<br />

Nicht zu vergessen ist, daß sich diese Ausführungen nur<br />

auf die Besonderheit, daß sehr wenige Betriebsmittel zur<br />

Verfügung stehen, auch sehr wenige immaterielle, bezieht.<br />

Daher sind diese Ausführungen nicht ohne weiteres auf<br />

sämtliche andere Dienstleistungen zu übertragen. Abzustellen<br />

ist stets auf die konkret vorhandenen Betriebsmittel.<br />

Wenn sich die wesentlichen Betriebsmittel aber in der Person<br />

des Arbeitnehmers verkörpern, so reicht es aus, daß<br />

diese Betriebsmittel übergehen sollten. Sind noch andere<br />

nicht in der Person des Arbeitnehmers verkörperte immaterielle<br />

Betriebsmittel vorhanden, so sind dies natürlich bei<br />

der Beurteilung, was wesentliche Betriebsmittel sind zu berücksichtigen.<br />

Sind sie wesentlich, so setzt ein Betriebsübergang<br />

auch den tatsächlichen Übergang voraus.<br />

Der Verfasser sieht in der hier vertreten Auffassung die<br />

Lösung für das Dilemma der Externalisierung von Dienstleistungen<br />

wie folgt:<br />

1. Zunächst muß festgestellt werden, ob die Einheit in<br />

der Form eines Betriebsteiles organisiert ist.<br />

2. Sodann muß festgestellt werden, welche wesentlichen<br />

Betriebsmittel vorhanden sind.<br />

3. Bestehen die wesentlichen Betriebsmittel nur aus<br />

immateriellen Betriebsmittel, so ist zu prüfen, ob diese in<br />

den Arbeitnehmern verkörpert sind.<br />

4. Ist dies der Fall, so reicht es für den Übergang eines<br />

Betriebes oder Betriebsteiles aus, daß diese wesentlichen<br />

immateriellen in der Person des Arbeitnehmers verkörperten<br />

Betriebsmittel übergehen sollten. Dies wird meist gegeben<br />

sein, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Fremdfirma<br />

dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz anbietet. Hinsichtlich<br />

des wesentlichen Teils (nach Art und Sachkunde 43 )<br />

kommt es auf die Eigenart des Betriebes und der konkreten<br />

im Arbeitnehmer verkörperten Betriebsmittel an.<br />

Zur Klarstellung sei nochmals erwähnt, daß bei dem<br />

Vorhandensein von wesentlichen materiellen Betriebsmittel<br />

und/oder wesentlichen immateriellen Betriebsmittel, die<br />

nicht in der Person des Arbeitnehmers verkörpert sind,<br />

diese tatsächlich übergehen müssen, um die Voraussetzungen<br />

nach § 613 a BGB zu erfüllen. Allerdings müssen nach<br />

dem BAG 44 und des EuGH 45 nicht sämtliche wesentlichen<br />

Betriebsmittel übergehen, sondern es kommt vielmehr auf<br />

eine Gesamtschau an. Daher ist stets auf den Einzelfall abzustellen.<br />

Dies sollte auch bei der Interpretation von Rechtsprechung<br />

des EuGH gelten. Bei Fragen in der Zukunft<br />

sollten sich die Arbeitsgerichte nicht schäuen, dem EuGH<br />

entsprechende Fragen vorzulegen 46 .<br />

(Das Manuskript ist Ende 1997 abgeschlossen worden.)<br />

43 Hierzu auch: Brößke, BB 1997, 1412.<br />

44 DB 1994, 1144.<br />

45 Zuletzt; EuGH, DB 1997, 628 = NZA 1997, 433; Hierzu auch: Buchner, NZA<br />

1997, 408.<br />

46 So bereits geschehen vom LAG Hessen, NZA-RR 1997, 41 zu dem Fall, daß<br />

ein Lehrgang von einem anderen Unternehmen fortgeführt wird wegen Liquidation<br />

des ersten Unternehmens und ein erheblicher Teil der Lehrkräfte übernommen<br />

wird. Nach der hier vertretenen Auffassung ist ein Betriebsübergang<br />

gegeben.<br />

Buchhinweis<br />

Günter Holly: „Heiter betrachtet“, ART & GRAFIK Verlag,<br />

Ettlingen, 5. Aufl. 1997, 127 S., geb., 19,80 DM<br />

Im ART & GRAFIK VERLAG erschien „Heiter betrachtet“ von<br />

dem Kollegen Rechtsanwalt Günter Holly. Der Autor hat sich nach<br />

40 Jahren von seiner Anwaltstätigkeit zurückgezogen und hat nun<br />

Zeit und Muße, sich den heiteren Dingen zu widmen. Mit Witz<br />

und ausgefeilter Formulierung begeistert er den Leser. Seine Gedichte<br />

sind zeitlose Betrachtungen über das Leben. In humorvollen<br />

Reimen sind ernste Gedanken verpackt. Es ist schön, zu sehen, daß<br />

die 40jährige Anwaltstätigkeit den Geist und den Humor beflügelt.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn


582<br />

0<br />

Zwangsschlichtung –<br />

Nein danke!<br />

„Es war einmal ein Rechtsstaat,<br />

den eine immer größer werdende Anzahl<br />

von Rechtsanwälten zum eigenen<br />

Vorteil mißbrauchte: Sie erzeugten mit<br />

immer mehr aussichtslosen Rechtsstreitigkeiten<br />

– selbst bei niedrigstem<br />

Streitwert – eine Prozeßflut, in der die<br />

Justiz zu ertrinken drohte. Finanziert<br />

wurde dieses ruchlose Unterfangen<br />

von Rechtsschutzversicherungen, die<br />

aus friedfertigen Bürgern prozeßwütige<br />

Streithansel machten und den<br />

Rechtsanwälten zur Zweit-Villa im<br />

Tessin und zur Segelyacht in der Karibik<br />

verhalfen“.<br />

Dieses Märchen – immer wieder<br />

erzählt – hat keinerlei Wahrheitsgehalt<br />

und wird durch Fakten und empirische<br />

Untersuchungen eindeutig widerlegt:<br />

Rechtsanwälte erledigen mehr als<br />

70% der ihnen übertragenen Mandate<br />

außergerichtlich; sie versuchen aus eigenem<br />

Interesse, Prozesse mit niedrigem<br />

Gegenstandswert zu vermeiden,<br />

da sie erst ab einem Streitwert von<br />

3.000,– DM kostendeckend arbeiten<br />

können. Obgleich sich die Zahl der<br />

Rechtsanwälte und das Prämienaufkommen<br />

der Rechtsschutzversicherungen<br />

in den letzten Jahrzehnten vervielfacht<br />

haben, sind die Neuzugänge bei<br />

den Zivilgerichten rückläufig.<br />

Alle wissenschaftlichen Studien,<br />

zuletzt eine vom Bundesjustiz-Ministerium<br />

veranlaßte Strukturanalyse der<br />

Justiz, haben ergeben, daß rechtsschutzversicherte<br />

Prozeßparteien sich<br />

im wesentlichen nicht anders verhalten<br />

als nichtversicherte, sie prozessieren<br />

insbesondere keineswegs erfolgloser,<br />

sondern in manchen Bereichen sogar<br />

erfolgreicher als Nichtversicherte.<br />

Und dennoch: Die Legende lebt.<br />

An Richterstammtischen und in<br />

Ministerialvorlagen für „Justizreformen“,<br />

mit denen weitere Rechtswegverkürzungen,Gerichtskostenerhöhungen<br />

und richterliche Arbeitserleichterungen<br />

begründet werden, ist immer<br />

von einer Prozeßflut die Rede, die es<br />

einzudämmen gilt.<br />

Tatsächlich sind gerade in den letzten<br />

Jahren die Eingänge bei den Zivilgerichten<br />

rückläufig, vorsichtige Justizminister<br />

sprechen daher nicht mehr<br />

von einer Prozeßflut, sondern kryptisch<br />

von einer „Konsolidierung auf<br />

hohem Stand“. Da die bundesweiten<br />

Zahlen nur mit großen Verzögerungen<br />

und unvollständig bekanntgegeben<br />

werden, hier einige Zahlen aus Nordrhein-Westfalen,<br />

die strukturell auch in<br />

anderen Bundesländern nicht wesentlich<br />

anders sein dürften:<br />

Neuzugänge bei den Amtsgerichten:<br />

1993 1994 1995 1996 1997<br />

451.303 446.213 427.547 420.013 415.918<br />

Noch drastischer sind die Rückgänge<br />

bei den Landgerichten, da die Eingangszahlen<br />

1996 noch deutlich unter<br />

den Eingangszahlen von 1970 (!) liegen:<br />

1970 1980 1987<br />

97.535 99.432 102.953<br />

1988 1989 1990<br />

101.044 99.787 101.132<br />

1991 1992 1993<br />

100.254 106.581 94.098<br />

1994 1995 1996<br />

87.081 86.487 86.985<br />

Nunmehr dient das eingangs geschilderte<br />

Märchen als Begründung<br />

dafür, den Zugang zu den Amtsgerichten<br />

durch ein vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren<br />

zu erschweren.<br />

Der Gedanke, Meinungsverschiedenheiten<br />

einvernehmlich zu regeln,<br />

ist so alt, wie die Menschheit selbst.<br />

Seit der Neandertaler die Keule aus<br />

der Hand gelegt und die Sprache als<br />

Mittel der Kommunikation entdeckt<br />

hat, wurde immer wieder versucht,<br />

einvernehmliche und außergerichtliche<br />

Streitschlichtung durchzuführen.<br />

Von der Antike bis zur Gegenwart<br />

gab es immer Einrichtungen, die sich<br />

um Vermittlung und Konfliktbewältigung<br />

ohne gerichtliche Entscheidung<br />

bemüht haben.<br />

Zur Zeit steht die Mediation im<br />

Vordergrund, die sich insbesondere im<br />

familienrechtlichen Bereich bereits bewährt<br />

hat.<br />

AnwBl 11/98<br />

Alle Erfahrungen mit außergerichtlicher<br />

Konfliktbewältigung haben eines<br />

gemeinsam:<br />

Erfolgsaussichten bestehen nur<br />

dann, wenn alle Konfliktbeteiligten<br />

ein Interesse an dieser einvernehmlichen<br />

Regelung haben.<br />

Eine Zwangsschlichtung gegen den<br />

Willen beider Parteien oder einer der<br />

Parteien ist damit von Anfang an zum<br />

Scheitern verurteilt. Ein besonders abwegiges<br />

Kriterium für eine Zwangsschlichtung<br />

ist der Streitwert: Jeder<br />

Praktiker weiß, daß gerade bei kleineren<br />

Streitigkeiten oft nicht die Sache,<br />

sondern das Prinzip oder andere Kriterien<br />

im Vordergrund stehen. Eine gesetzlich<br />

verordnete Schlichtung in<br />

einem Vorschaltverfahren kann diese<br />

Fehlentwicklung nicht verhindern,<br />

sondern allenfalls verstärken: Wer den<br />

Streit sucht und mit aller Gewalt ausfechten<br />

möchte, sieht in dem zwangsweise<br />

vorgeschalteten Verfahren eine<br />

weitere Instanz, in der er sich darstellen<br />

und seine Streitlust ausleben kann.<br />

Wer – wie in vielen Zivilprozessen<br />

zu beobachten ist – nur Zeit gewinnen<br />

will, wird sich erst recht über ein vorgeschaltetes<br />

Schlichtungsverfahren<br />

freuen, zumal nach den bisherigen Plänen<br />

der Länder-Justizminister durch<br />

das Schlichtungsverfahren keine gesonderten<br />

Kosten entstehen sollen.<br />

In Nordrhein-Westfalen gibt es das<br />

Schiedsamtsgesetz von 1992, nach<br />

dem vor Schiedspersonen in vermögensrechtlichen<br />

Streitigkeiten ohne<br />

Rücksicht auf den Streitwert ein Güteverfahren<br />

durchgeführt werden kann,<br />

für Privatklageverfahren ist dieses Verfahren<br />

zwingend vorgeschrieben. Über<br />

zivilrechtliche Schlichtungen der<br />

Schiedspersonen ist bislang nichts bekannt<br />

geworden. Die geringe Akzeptanz<br />

der Schlichtungsverfahren in zivilrechtlichen<br />

Belangen dürfte in<br />

erster Linie darauf zurückzuführen<br />

sein, daß die Schiedspersonen keine<br />

Juristen sind.<br />

Die von einigen Rechtsanwaltskammern<br />

eingerichteten Schiedsstellen<br />

haben ebenfalls keine große Akzeptanz<br />

gefunden. Dies dürfte daran liegen,<br />

daß Rechtsanwälte nur wenig geneigt<br />

sind, sich mit ihren Mandanten<br />

zu einem Berufskollegen zu begeben,


AnwBl 11/98 583<br />

Editorial<br />

der aufgrund seiner hohen Sachkompetenz<br />

schlichtet oder entscheidet. Hier<br />

besteht die allzu menschliche und<br />

nicht ganz unberechtigte Befürchtung,<br />

daß der Mandant sich in Zukunft unmittelbar<br />

dem Kollegen anvertraut, der<br />

ihn durch seine Qualifikation und souveräne<br />

Schlichtungsverhandlung ihn<br />

beeindruckt hat.<br />

Aus beiden Erfahrungen müssen<br />

Lehren gezogen werden:<br />

Schlichter müssen Juristen sein,<br />

allerdings keine unmittelbaren Konkurrenten<br />

der Verfahrensbevollmächtigten.<br />

Anwaltliche Schlichtungsstellen<br />

oder Schiedsgerichte sollten daher nur<br />

mit Rechtsanwälten besetzt werden, die<br />

in anderen Gerichtsbezirken tätig sind.<br />

Trotz der nicht vorhandenen Prozeßflut<br />

und trotz der fehlenden Notwendigkeit<br />

der Entlastung der Richter<br />

scheinen die Justizminister von der<br />

Einführung einer obligatorischen<br />

Schlichtung nicht ablassen zu wollen.<br />

Die Anwaltschaft hat sich zwar bereiterklärt,<br />

diese Schlichtungsverfahren<br />

durchzuführen, allerdings nicht zu den<br />

Gebühren, die bislang im Gespräch<br />

waren. Wenn die Anwaltschaft sich<br />

nicht bewegt, muß befürchtet werden,<br />

daß gleichwohl Schlichtungsstellen<br />

eingerichtet werden, allerdings ohne<br />

Beteiligung der Anwaltschaft.<br />

Als nach der Wende 1989 Bundesrechtsanwaltskammer<br />

und <strong>Deutscher</strong><br />

<strong>Anwaltverein</strong> gemeinsam Rechtsanwälte<br />

in die neuen Bundesländer entsandt<br />

haben, die dort als Richter tätig<br />

waren und am Aufbau einer ordentlichen<br />

Justiz mitwirkten, war die<br />

Zustimmung in der Bevölkerung sehr<br />

groß, da vielen erstmalig bewußt wurde,<br />

daß auch alle Rechtsanwälte die<br />

Befähigung zum Richteramt haben.<br />

Dieser Vorgang war ein großer Prestigegewinn<br />

für die Anwaltschaft.<br />

Die Anwaltschaft sollte daher überlegen,<br />

von sich aus Schlichtungsstellen<br />

einzurichten und gemeinsam mit der<br />

Justiz zu finanzieren und zwar nicht<br />

fallbezogen, sondern orientiert an einem<br />

Richtergehalt.<br />

Es gibt eine Vielzahl junger Kolleginnen<br />

und Kollegen, die froh wären,<br />

an zwei Tagen in der Woche mit 2/5<br />

eines Richtergehalts als Schiedsrichter<br />

arbeiten zu können.<br />

Aber auch viele erfahrene Kollegen<br />

werden sicherlich zu gewinnen sein,<br />

das Amt eines Schlichters und<br />

Schiedsrichters auszuüben, selbst<br />

wenn die Bezahlung nicht den sonstigen<br />

Einkommensverhältnissen entspricht.<br />

Die Anwaltschaft sollte die Chance<br />

nutzen, sich als Organ der Rechtspflege<br />

zu präsentieren und deutlich zu<br />

machen, daß Rechtsanwälte keine<br />

schlechteren Juristen als Richter sind.<br />

Der irrationale Drang der Justizminister,<br />

im Justizhaushalt weitere Sparmaßnahmen<br />

durchzuführen, ist gerade<br />

im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit<br />

unverständlich, da in diesem Bereich<br />

angesichts der drastischen Gebührenerhöhungen<br />

im Jahre 1994 nahezu<br />

kostendeckend gearbeitet wird. Während<br />

der Staat ständig nach neuen<br />

Arbeitsplätzen ruft, hat die Justiz<br />

nichts anderes im Sinn, als Arbeitsplätze<br />

abzubauen und zwar nicht nur<br />

bei den Richterstellen, sondern auch in<br />

den anderen Bereichen.<br />

Der immer wieder heraufbeschworene<br />

Justizbeamte, der mit seinem Karren<br />

die Akten transportiert, wird<br />

sicherlich nur das Heer der Arbeitslosen<br />

vergrößern, wenn sein Arbeitsplatz<br />

abgebaut wird, da er auf dem freien<br />

Markt kaum eine seine Fähigkeiten<br />

angemessene Stelle finden wird.<br />

Die Anwaltschaft darf nicht nur<br />

reagieren, sie muß agieren: Rechtsanwaltskammer<br />

und <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />

sollten gemeinsam Schlichtungsstellen<br />

einrichten, die von den<br />

beiden Berufsorganisationen und der<br />

Justiz finanziert werden.<br />

Die Akzeptanz dieser Schlichtungsstellen<br />

kann nicht durch Zwang erzielt<br />

werden, vielmehr werden diese<br />

Schlichtungsstellen nur dann Erfolg haben,<br />

wenn sie gegenüber der ordentlichen<br />

Justiz Vorteile bieten: Die<br />

Schlichtungsstellen müssen mit qualifizierten<br />

Juristen besetzt werden, die<br />

schnell und sachkundig arbeiten. Ein<br />

zusätzlicher Anreiz könnte darin bestehen,<br />

daß bei einer Einigung vor dieser<br />

Schlichtungsstelle die Gerichtskosten<br />

erlassen werden, während die<br />

Rechtschutzversicherungen, wenn es<br />

zu einer Schlichtung kommt, auf die ansonsten<br />

zwischenzeitlich übliche<br />

Selbstbeteiligung an den Verfahrenskosten<br />

verzichten.<br />

Es erscheint wenig sinnvoll, die<br />

Inanspruchnahme der Schlichtungsstellen<br />

vom Streitwert abhängig zu<br />

machen. Vielmehr sollte den Richtern<br />

überlassen werden, die ihnen geeigneten<br />

Fälle an diese Schlichtungsstellen<br />

zu verweisen. Zwar wird auch hier<br />

sehr schnell die Sorge der Anwaltskol-<br />

legen zu hören sein, daß Richter dann<br />

die jeweils schwierigen und ihnen<br />

lästig erscheinenden Fällen „abwimmeln“.<br />

Warum nicht ?<br />

Zeigen wir der ordentlichen<br />

Justiz, daß die Anwaltschaft effizient<br />

auch im richterlichen Bereich arbeiten<br />

kann !<br />

Machen wir der ordentlichen Justiz<br />

Konkurrenz !<br />

Das Schlichtungsverfahren darf<br />

nicht mit dem Makel des „Armenrechts“<br />

belegt werden, weil dort nur<br />

Streitigkeiten mit geringem Gegenstandswert<br />

verhandelt werden.<br />

Wie im vergangenen Jahrhundert<br />

der Aufdruck „made in Germany“ zunächst<br />

als Diskriminierung gedacht<br />

und sich später als Markenzeichen entwickelt<br />

hat, so muß auch das Schiedsverfahren<br />

als sinnvolle und oft auch<br />

bessere Alternative zur ordentlichen<br />

Justiz Fuß fassen.<br />

Von der ordentlichen Gerichtsbarkeit<br />

sagt man gelegentlich: Die erste Instanz<br />

entscheidet schnell, die zweite richtig.<br />

Die Anwaltschaft sollte Schiedsgerichte<br />

anbieten, von denen es dann<br />

heißt, sie entscheiden schnell und<br />

richtig.<br />

Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

Köln<br />

Vorsitzender der DAV-<br />

Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht


584<br />

MN<br />

5 %<br />

DAV-Intern<br />

Landesverbandskonferenz<br />

Auf Einladung des Landesanwaltvereins<br />

Sachsen-Anhalt fand die diesjährige<br />

Konferenz der Landesverbandsvorsitzenden<br />

vom 3. bis 5. September<br />

1998 in Halle statt. Der im Mai dieses<br />

Jahres neu gewählte Obmann der Landesverbandskonferenz,<br />

Rechtsanwalt<br />

Rolf-Michael Eggert, Mecklenburg-<br />

Vorpommern hatte bereits im Vorfeld<br />

angekündigt, daß die Kommunikation<br />

zwischen den örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>en,<br />

den Landesverbänden und dem<br />

Dachverband DAV einArbeitsschwerpunkt<br />

während seiner Amtszeit sein<br />

werde. Er warb in diesem Zusammenhang<br />

besonders für den verstärkten Einsatz<br />

der Kommunikationsmöglichkeiten<br />

durch das Internet. Die Landesverbände<br />

stehen der Nutzung dieser Möglichkeiten<br />

offen gegenüber. Ein weiterer<br />

Schwerpunkt der Konferenz war die<br />

Diskussion um die Reform der Juristenausbildung.<br />

Dieses Thema war im<br />

übrigen auch Gesprächsgegenstand bei<br />

dem Begrüßungsabend in Anwesenheit<br />

der Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt,<br />

Karin Schubert. Mit besonderem<br />

Interesse nahmen die Landesverbände<br />

die Ankündigung des DAV-Präsidenten<br />

auf, daß ein Wandel in der<br />

Unternehmensphilosophie der Deutschen<br />

AnwaltAkademie GmbH bevorstehe.<br />

Geplant sei ein Ausbildungsverbund<br />

der Deutschen AnwaltAkademie,<br />

der DAV-Arbeitsgemeinschaften und<br />

der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e, wobei daran<br />

gedacht sei, die unterschiedliche<br />

Preisgestaltung für Nichtmitglieder und<br />

Mitglieder wieder einzuführen. Zum<br />

Abschluß der Konferenz kündigte der<br />

frühere Obmann der Landesverbandskonferenz,<br />

Rechtsanwalt Dr. Gerd<br />

Krieger, Baden-Württemberg sein Ausscheiden<br />

aus diesem Gremium an, da<br />

er nicht mehr erneut für den Vorsitz<br />

des Landesverbandes Baden-Württemberg<br />

kandidieren werde. Rechtsanwalt<br />

Uwe Kärgel, Berlin, Vizepräsident des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s dankte ihm<br />

noch einmal für seine Verdienste um<br />

die Landesverbände und den Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>. Der Obmann, Rechtsanwalt<br />

Rolf-Michael Eggert sprach dem<br />

Vorsitzenden des gastgebenden Landesverbandes,<br />

Rechtsanwalt Dr. Siegfried<br />

Brandt, Sachsen-Anhalt seinen Dank<br />

für die hervorragende Organisation und<br />

Gestaltung sowohl der Konferenz als<br />

auch des Rahmenprogramms aus. Die<br />

nächste Landesverbandskonferenz wird<br />

anläßlich des Anwaltstages im Mai<br />

1999 in Bonn stattfinden. Zur Herbstkonferenz<br />

vom 2. bis 4. September<br />

1999 hat der Vorsitzende des Landesverbandes<br />

Rheinland-Pfalz, Rechtsanwalt<br />

Reinhard Matissek eingeladen.<br />

Rechtsanwältin Heidemarie Haack-<br />

Schmahl, Bonn<br />

DAV-Pressemitteilungen<br />

Zu wenige Fälle der<br />

Strafverteidigung von<br />

Jugendlichen in<br />

Jugendgerichtssachen<br />

Es besteht ein bedenkliches rechtsstaatliches<br />

Defizit an anwaltlicher Vertretung<br />

von Jugendlichen vor Gericht.<br />

Die Beiordnung von Rechtsanwälten<br />

in Jugendstrafsachen erfolgt zu wenig,<br />

daher ist eine gesetzliche Neuregelung<br />

erforderlich. Nicht nur Erwachsenen,<br />

sondern gerade auch Jugendlichen<br />

müssen kompetente Verteidiger an die<br />

Seite gestellt werden, die deren Interessen<br />

vertreten. Darauf weist der<br />

Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> (DAV) hin.<br />

Während bei Verfahren vor den<br />

Schöffengerichten 1995 über 70% der<br />

angeklagten Erwachsenen anwaltlich<br />

vertreten waren, verzeichnet die Statistik<br />

für die Jugendschöffengerichte lediglich<br />

knapp 50%. Beim Jugendrichter<br />

(Einzelrichter) sind weniger als 20%<br />

der Angeklagten anwaltlich vertreten.<br />

Dies ist vor dem Hintergrund um<br />

so bedenklicher, daß 61 % aller Ermittlungsverfahren<br />

im Bereich der Jugendkriminalität<br />

im Wege der informellen<br />

Erledigung bei der Staatsanwaltschaft<br />

beendet werden. Das bedeutet, daß<br />

diejenigen Fälle, die zu Gericht kommen,<br />

von erheblichem Gewicht sind.<br />

Daraus folgt, so der DAV, daß dies<br />

eigentlich alles Fälle notwendiger Verteidigung<br />

sind.<br />

Die in solchen Verfahren vorgesehen<br />

Jugendgerichtshelfer können kompetent<br />

nicht die Rechte der Angeklagten<br />

ausreichend wahren. Dies folgt<br />

schon aus der Doppelfunktion der<br />

Jugendgerichtshelfer von betreuend<br />

helfender Tätigkeit einerseits und Ermittlungstätigkeit<br />

andererseits. Trotzdem<br />

ist zu erkennen, daß Jugend-<br />

gerichtshelfer zunehmend die Verteidigerrolle<br />

übernehmen.<br />

Der DAV stellt an den Gesetzgeber<br />

die Forderung, gesetzlich zu regeln,<br />

daß für alle Fälle, in denen Anklage<br />

vor dem Jugendschöffengericht und<br />

Jugendrichter erhoben wird, ein Strafverteidiger<br />

beizuordnen ist. Bis dahin<br />

ist es nach Ansicht des DAV dringend<br />

nötig, die Möglichkeit der Beiordnung<br />

von Rechtsanwälten in Jugendgerichtssachen<br />

großzügig anzuwenden.<br />

DAV-Pressemitteilung 24/98 v. 8.9.98<br />

PR-Referat<br />

AnwBl 11/98<br />

Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> hat<br />

erstmals wieder seit 1988 ein Forum<br />

„Zukunft der Anwaltschaft“ vom 1.<br />

bis 3. Oktober 1998 in Mainz veranstaltet.<br />

Auf dem Forum ging es u. a.<br />

um zukunftsorientierte Fragen der Anwaltschaft,<br />

das Berufsbild und Berufsverständnis<br />

des Anwalts und die<br />

anwaltlichen Tätigkeitsbereiche. Nur<br />

die Rechtsanwälte selbst können ihr<br />

Berufsbild und ihr Berufsverständnis<br />

eigenverantwortlich diskutieren. Rund<br />

um das Forum gab es eine Reihe von<br />

Meldungen. Der Präsident des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt<br />

Dr. Michael Streck, gab im Vorfeld der<br />

Nachrichtenagentur Reuters und der<br />

Nachrichtenagentur dpa ein Interview.<br />

Thema des ersten Tages des Forums<br />

war neben der Situation der Anwaltschaft<br />

auch die Juristenausbildung.<br />

Hierüber berichtete das Handelsblatt<br />

am 2. Oktober 1998. Über das Problem<br />

der Juristenaubildung wird Dr.<br />

Streck zitiert: „Wir sind der einzige<br />

Berufsstand, der den gesamten Rest<br />

(der jährlichen Absolventen) aufnehmen<br />

muß.“ Die Zahl der neu zugelassenen<br />

Rechtsanwälte steige dadurch<br />

jährlich um rund 8%. Dies habe zur<br />

Folge, daß es zunehmend neben dem<br />

Willensanwalt auch den Mußanwalt<br />

geben werde. Der Juristennachwuchs<br />

müsse künftig viel stärker auf den Job<br />

in der Kanzlei ausgerichtet werden.<br />

Den Widerspruch der Ausbildung zur<br />

späteren Tätigkeit charakterisiert Dr.<br />

Streck wie folgt: „Wenn Sie Anwalt<br />

werden wollen, müssen Sie Unternehmer<br />

sein. Weil sie aber als Beamter<br />

ausgebildet werden, sind Sie bald ein<br />

gebrochener Mann.“


AnwBl 11/98 585<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Weiter berichtet das Handelsblatt<br />

über ein Referat auf dem Forum von<br />

Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen,<br />

München, der in seinem Eröffnungsvortrag<br />

den Teilnehmern Mut gemacht<br />

hat. „Der Markt für rechtliche Dienstleistung<br />

ist nahezu unbegrenzt groß.<br />

Rechtsrat wird überall dort gebraucht,<br />

wo Konflikte entstehen können, und<br />

das ist bekanntlich überall.“ Nach Dr.<br />

Heussen müssen verstärkt die Vorteile<br />

der Rechtsanwaltschaft gegenüber dem<br />

Mandanten herausgehoben werden. Bezüglich<br />

der Abrechnung schlägt er vor,<br />

daß verstärkt Beratungen auf der Basis<br />

von Zeit- und Sockelhonoraren abgerechnet<br />

werden sollten.<br />

Über die Ansichten des DAV zur<br />

Juristenausbildung berichtet auch die<br />

Stuttgarter Zeitung vom 2./3. Oktober<br />

1998. Hier wird auch, wie in<br />

einem Artikel des Tagesspiegel vom<br />

2./3. Oktober 1998 auf das Problem<br />

aufmerksam gemacht, daß es nach Angaben<br />

des DAV zunehmend Anwälte<br />

gäbe, die von der Sozialhilfe leben<br />

müßten. Darüber dürfe auch die relativ<br />

geringe Arbeitslosigkeit unter Juristen<br />

nicht hinwegtäuschen. Das Problem<br />

sei, so Dr. Michael Streck, der unbegrenzte<br />

Zulauf zur Anwaltschaft, weil<br />

Staat und Wirtschaft drastisch Stellen<br />

einsparten. In einem Interview mit<br />

der Augsburger Allgemeinen vom<br />

1. Oktober 1998 erläutert Dr. Streck<br />

nochmals die Vorstellung des DAV zur<br />

Juristenausbildung. Er führt aber auch<br />

aus, daß das Problem der Juristenschwemme<br />

nicht allein die Sache der<br />

Anwaltschaft sein könne. Es gäbe zuviele<br />

Juristen, nicht zuviele Anwälte.<br />

Das Mengenproblem hätte der Staat<br />

geschaffen, weil er für Jura, im Gegensatz<br />

zu anderen Fächern wie Medien<br />

oder Pharmazie, nie einen anständigen<br />

numerus clausus eingeführt<br />

habe. Zur Finanzierung der Ausbildung<br />

führt Dr. Streck aus: „Es geht<br />

darum, ob der Staat für alle bezahlt –<br />

dann bilden wir auch ohne Begrenzung<br />

aus –, oder ob in den einzelnen<br />

Bereichen Justiz, Verwaltung, Industrie<br />

und Anwaltschaft nur nach Bedarf<br />

ausgebildet wird. Wir sind auch<br />

hier gerne bereit, unseren Beitrag zu<br />

leisten, aber eben nur so viel, wie nötig<br />

ist. Die Realität sieht bisher aber<br />

leider anders aus: Der Staat praktiziert<br />

einen erbarmungslosen numerus clausus,<br />

die Wirtschaft sucht sich die besten<br />

Leute raus, und wir sollen die soziale<br />

und letztlich staatliche<br />

Verantwortung für den Rest tragen.“<br />

Die Vorstellung des DAV zur Juristenausbildung<br />

war ebenso Gegen-<br />

stand einer Meldung in der FAZ am<br />

5.Oktober 1998. Am gleichen Tage<br />

setzt sich ein Kommentar ebenfalls in<br />

der FAZ damit auseinander. Hier wird<br />

die Festellung von Dr. Streck bestätigt,<br />

daß Qualität und Ruf des Anwaltsstandes<br />

durch die Entwicklung des ungebremsten<br />

Zustroms zur Anwaltschaft<br />

beeinträchtigt werden könne. Der<br />

Kommentator stellt fest: „Doch wird<br />

auch der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

schwerlich bestreiten können, daß das<br />

richtig beschriebene und zu Recht<br />

beklagte Phänomen nicht Folge des<br />

Ausbildungsganges, sondern der Tatsache<br />

ist, daß so viele junge Leute<br />

Akademiker und so viele Akademiker<br />

Juristen werden wollen.“<br />

Über ein weiteres Referat des ersten<br />

Tages von Rechtsanwalt und Notar<br />

Rembert Brieske, Vorstandsmitglied<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, berichtet<br />

das Handelsblatt am 5. Oktober 1998.<br />

Nach seiner Ansicht gäbe es in den<br />

Großstädten bereits eine beängstigende<br />

Zahl von arbeitslosen Rechtsanwälten.<br />

Manche Berufsanfänger würden unbezahlt<br />

oder gar kostenlos in alt eingesessenen<br />

Kanzleien als „freie Mitarbeiter“<br />

arbeiten, um wenigstens einen<br />

Fuß in die Türe zu bekommen. Sein<br />

Appell an die Kolleginnen und Kollegen:<br />

„Unser Berufsstand muß endlich<br />

aufwachen und Solidarität üben.“<br />

Das Forum machte sich in mehreren<br />

Arbeitskreisen auf die Suche nach<br />

neuen Aufgabenfeldern und unentdeckten<br />

Nischen. Über die innovativen<br />

Tätigkeitsbereiche informiere Rechtsanwalt<br />

Andreas Hagenkötter,<br />

Geschäftsführer im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>.<br />

In dem Bericht des Handelsblatts<br />

vom 5. Oktober 1998 wird<br />

Hagenkötter zitiert: „Wir sollten uns<br />

nicht zu schade sein, Hausverwaltung,<br />

Inkasso oder Versicherungsmaklerei<br />

zu übernehmen.“ Darüber hinaus<br />

müsse über weitere Tätigkeitsbereiche<br />

wie etwa das Rechtsberatungs-Café,<br />

Rechtsberatung im Kaufhaus, das Anwaltsmobil<br />

u.ä. nachgedacht werden.<br />

„Schnell, kompetent und günstig“<br />

müsse der Rechtsrat sein, damit die<br />

Hemmschwelle beim potentiellen Kunden<br />

sinke. Es gehe darum, daß der Anwalt<br />

zum Kunden müsse. Die Diskussion<br />

um neue Betätigungsfelder war<br />

auch Gegenstand einer dpa-Meldung<br />

vom 5. Oktober 1998. Hierin konnte<br />

Rechtsanwalt Hagenkötter seine Vorstellung<br />

erneut vertiefen. Nach der<br />

dpa-Meldung könne der Spickzettel für<br />

die Besorgungstour künftig wie folgt<br />

aussehen: Lebensmittel einkaufen,<br />

Schuhe zum Besohlen bringen, Ur-<br />

laubsfotos abholen, Blumenstrauß binden<br />

lassen, zum Anwalt gehen. Das<br />

Problem sei, daß auch Finanzdienstleister,<br />

Versicherer und Verbände ständig<br />

neue Serviceangeobte für ratsuchende<br />

Bürger anböten. Die Anwaltschaft dürfe<br />

sich dieser Entwicklung nicht verschließen<br />

und muß neue Möglichkeiten<br />

aufzeigen. Hagenkötter: „Wir müssen<br />

herausgehen aus den Kanzleien und<br />

uns auf unsere Kundschaft zu bewegen.“<br />

Gleichzeitig wird in der Meldung<br />

darauf hingewiesen, daß der Anwalt<br />

im Kaufhausbüro bei weitem nicht alle<br />

Rechtstreitigkeiten beilegen könne. In<br />

vielen Fällen wird auch weiterhin eine<br />

intensive Bearbeitung in der klassischen<br />

Kanzlei nötig sein.<br />

Der Sprecher des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt Swen<br />

Walentowski, gab zu dem selben Thema<br />

am 9. Oktober 1998 Radio Gong<br />

aus Nürnberg, dem Hessischen Rundfunk<br />

am 10. Oktober 1998 und dem<br />

Nachrichtensender berlin aktuell 93,6<br />

am 11. Oktober 1998 Interviews.<br />

Walentowski berichtete über die Vorschläge<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

und den Stand der Diskussion. Er hob<br />

dabei hervor: “Wir wissen, daß Lieschen<br />

Müller genauso gerne zum Anwalt<br />

geht wie zum Zahnarzt. Diese<br />

Hemmschwelle muß überwunden werden.<br />

Daher muß man darüber nachdenken,<br />

wie man Lieschen Müller erreicht.<br />

Es geht darum, die Qualität der anwaltlichen<br />

Dienstleistung dem Kunden nahezubringen.<br />

Das kann auch bedeuten,<br />

daß man aus der Kanzlei heraus müsse<br />

und dem Kunden entgegenkommen<br />

muß. Der Vorteil der Beratung durch<br />

die Anwaltschaft im Vergleich mit anderen<br />

Dienstleistern läßt sich bereits in<br />

den Vorschriften zum Mandantenschutz,<br />

wie die gesetzlich verankerte<br />

Verschwiegenheitspflicht, das Zeugnisverweigerungsrecht<br />

des Anwalts und<br />

die Berufshaftpflichtversicherung feststellen.„<br />

Weiter führt Walentowski aus:<br />

„Die Skepsis einiger Kolleginnen und<br />

Kollegen muß ernst genommen werden.<br />

Dies bedeutet, daß unsere Diskussion<br />

weitergehen muß. Letztlich kommt es<br />

allerdings darauf an, wie Qualität der<br />

anwaltlichen Tätigkeit den Mandanten<br />

erreicht – wo und über welches Medium<br />

dies geschieht, könnte doch zunächst<br />

zweitrangig sein.“<br />

Über die am letzten Tag des Forums<br />

„Zukunft der Anwaltschaft“ verabschiedeten<br />

Thesen berichtet auch<br />

das Handelsblatt in seinem Bericht<br />

am 5. Oktober 1998 zusammenfassend.<br />

Die Anwaltschaft solle sich<br />

künftig nicht nur als Prozeßvertreter


586<br />

MN<br />

und Vertragsgestalter, sondern auch als<br />

Streitvermeider und Schlichter und<br />

mehr und mehr als Rechtsberater verstehen.<br />

Der Anwalt der Zukunft betreue<br />

zunehmend den Mandanten<br />

rundum und binde dabei auch Angehörige<br />

anderer Berufsfelder ein. Dabei<br />

werden multiprofessionelle und<br />

überörtliche, gar internationale Zusammenschlüsse<br />

zunehmen.<br />

Über den Inhalt des Forums stand<br />

der Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael<br />

Streck, dem Hessischen Rundfunk am<br />

2. Oktober 1998 Rede und Antwort.<br />

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Dr. Dierk Mattik,<br />

gab dem Nachrichtensender berlin<br />

aktuell 93,6 am 1. Oktober 1998<br />

Einblick in das Forum „Zukunft der<br />

Anwaltschaft“. Er berichtete, daß es<br />

wesentlich sei, wie man den Markt<br />

gestalten könne, daß alle, die den Weg<br />

in die Rechtsanwaltschaft finden,<br />

Lohn und Brot haben werden. Auf<br />

dem Forum sollen Thesen entwickelt<br />

werden, um sich besser auf die Zukunft<br />

vorbereiten zu können. Der Vorteil<br />

der Anwaltschaft liege darin, daß<br />

es eine hohe Qualität der Ausbildung<br />

gäbe und der Rechtsanwalt der einzig<br />

absolute Interessenvertreter seiner<br />

Mandanten sei. „Die Zukunft muß gestaltet<br />

werden, dies wollen wir mit<br />

dem Forum tun“, so Dr. Dierk Mattik.<br />

Großer Lauschangriff<br />

Altbundeskanzler Dr. Helmut Kohl<br />

hat im Rahmen des Wahlkampfes eine<br />

Ausweitung des Großen Lauschangriffs<br />

gefordert. Er kündigte an, er<br />

wolle „die Hürden beseitigen, die SPD,<br />

Grüne und PDS gemeinsam gegen das<br />

Abhören von Gangsterwohnungen errichtet<br />

haben“. Damit konnten nur die<br />

Ausnahmeregelungen für die Berufe<br />

mit Zeugnisverweigerungsrecht, also<br />

auch für die Rechtsanwaltschaft, gemeint<br />

sein. Hier war es nun Aufgabe<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, im Interesse<br />

der Anwaltschaft zu protestieren<br />

und die Forderung nach einer Ausweitung<br />

des Großen Lauschangriffs<br />

auch auf die Anwaltskanzleien zurückzuweisen.<br />

Über die Haltung des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s wurden die Zuschauer<br />

der Tagesschau am 17.<br />

September 1998 um 20.00 Uhr informiert.<br />

In den Tagesthemen am selben<br />

Tag kam der Hauptgeschäftsführer des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, Dr. Dierk<br />

Mattik, zu Wort: „Es ist ganz wesentlich,<br />

daß der rechts- und ratsuchende<br />

Bürger die Möglichkeit hat, eine Kanz-<br />

lei aufzusuchen und zu wissen, daß<br />

diese nicht abgehört wird.“<br />

Der DAV lehne jede Verschärfung<br />

ausdrücklich ab, zumal mit der neuen<br />

Regelung noch keine Erfahrungen<br />

gesammelt worden seien, hießt es in<br />

einer Reuters-Meldung vom 18. September<br />

1998. Darüber berichteten auch<br />

die dpa und ADN am 17. September<br />

1998. „Ohne Not die erst etwa ein halbes<br />

Jahr alte Regelung in Frage zu<br />

stellen, ist überflüssig und schädlich“,<br />

wird der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> in<br />

der Berliner Zeitung vom 18. September<br />

1998 zitiert. Daß der DAV bereits<br />

Bedenken gegen die geltende Regelung<br />

habe und jede Verschärfung ausdrücklich<br />

ablehne, weiß der General-<br />

Anzeiger am 18. September 1998 und<br />

der Kölner Stadtanzeiger am 16. September<br />

1998 zu berichten. „Der Große<br />

Lauschangriff muß den Beweis erst<br />

noch erbringen, daß er etwas bringt.<br />

Die Ausnahmeregelung für Rechtsanwälte<br />

und Notare ist dringend notwendig,<br />

damit ratsuchende Menschen<br />

in dieser Gesellschaft eine letzte<br />

Rückzugsmöglichkeit haben“, wird der<br />

DAV in der Badischen Zeitung am 18.<br />

September 1998 zitiert. Über die Haltung<br />

des DAV berichtet auch die<br />

Schweriner Volkszeitung, ebenso wie<br />

die Bremer Nachrichten und die<br />

Nürnberger Zeitung. Über die Hoffnung<br />

des DAV, daß es sich bei den Vorstellungen<br />

Kohls lediglich um Wahlkampfgetöse<br />

handele, berichtet der<br />

Reutlinger General-Anzeiger, der<br />

General-Anzeiger Bonn und der<br />

Weser Kurier am 18. September 1998.<br />

Darüber hinaus wurden die Meldungen<br />

der Nachrichtenangeturen in einer<br />

Vielzahl weiterer regionaler und überregionaler<br />

Tageszeitungen abgedruckt,<br />

auf deren Erwähnung wegen der Anzahl<br />

an dieser Stelle verzichtet wird.<br />

Zulässigkeit des Lügendetektors<br />

Der Bundesgerichtshof muß grundsätzlich<br />

entscheiden, ob ein Angeklagter<br />

zum Beweis seiner Unschuld eine<br />

Befragung mit einem Lügendetektor in<br />

das Verfahren einbringen darf. Nach<br />

Urteilen des Bundesgerichtshofs und<br />

des Bundesverfassungsgerichts ist es<br />

bisher so, daß der Einsatz in einem<br />

Strafverfahren nicht erlaubt ist. Der<br />

Polygraph ist auch innerhalb der Anwaltschaft<br />

umstritten. Über den Stand<br />

der Meinungen berichtete Rechtsanwalt<br />

Rüdiger Deckers, Mitglied des<br />

Strafrechtsausschusses des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, am 15. September<br />

1998 in einem Interview im Saarländischen<br />

Rundfunk in der Sendung<br />

AnwBl 11/98<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

„SR 1/Infozeit“. Der Saarländische<br />

Rundfunk veröffentlichte über den Inhalt<br />

des Interviews auch eine Pressemeldung<br />

am selben Tag.<br />

Daß die Verwendung von Lügendetektoren<br />

die Möglichkeit böten,<br />

unschuldigen Angeklagten zu ihrem<br />

Recht zu verhelfen, war auch Gegenstand<br />

eines Interviews des Hauptgeschäftsführers<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />

Dr. Dierk Mattik, im<br />

MDR Halle am 15. September 1998.<br />

Für Hintergrundinformation für die<br />

Deutsche Welle am 23. September 1998<br />

vermittelte das PR-Referat Rechtsanwalt<br />

Günter Bandisch, Mitglied des<br />

Strafrechtsauschusses des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, den Vorsitzenden des<br />

Strafrechtsausschusses des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt Eberhard<br />

Kempf, für RTL am 7.<br />

September 1998 und Rechtsanwalt Rüdiger<br />

Deckers, ebenfalls Mitglied des<br />

Strafrechtsausschusses des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, für Antenne 1 aus<br />

Stuttgart am 15. September 1998.<br />

Über die durch den DAV mitgeteilten<br />

Chancen und Risiken der Verwendung<br />

von Polygraphen berichtet<br />

auch das Handelsblatt am<br />

16. September 1998. Nach Auskunft<br />

von Rechtsanwalt Rüdiger Deckers<br />

müßten allerdings die Richter beachten,<br />

daß der Test lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage<br />

sei, berichtet<br />

Die Welt am 16. September 1998.<br />

Rechtsanwalt Deckers wurde von der<br />

Sächsischen Zeitung am 16. September<br />

1998 interviewt. Hierin erläutert<br />

er: „Wir haben es mit einem begrenzt<br />

aussagefähigen Testverfahren zu tun.<br />

Die Verwendbarkeit der Ergebnisse<br />

hängt stark von der Arbeit des sachverständigen<br />

Psychologen ab, der<br />

zunächst in einem ausführlichen<br />

Gespräch mit dem Verdächtigen die<br />

Kontrollfragen erarbeitet.“ Für den<br />

Polygraphen könne sprechen, daß dieser<br />

dem unschuldig Angeklagten eine<br />

Möglichkeit bieten könnte, zu seinem<br />

Recht zu kommen. Über diesen Hinweis<br />

des DAV berichtet die Hessische<br />

Allgemeine Zeitung, die Lübecker<br />

Nachrichten, die Rheinpalz, die<br />

Ruhr-Nachrichten, die Frankfurter<br />

Rundschau, die Westfälischen Nachrichten<br />

und eine Vielzahl weiterer<br />

regionaler Tageszeitungen am 16. September<br />

1998. Über die beschränkte<br />

Aussagekraft der Polygraphen berichtet<br />

auch die Allgäuer Zeitung aus<br />

Kempten, die Ludwigsburger Kreiszeitung<br />

und die Berliner Morgenpost<br />

am 16. September 1998.


AnwBl 11/98 587<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

In den Westfälischen Nachrichten<br />

vom 22. September 1998 berichtet<br />

Rechtsanwalt Deckers, daß es eine harte<br />

Debatte unter den Kollegen über den<br />

Lügendetektor-Test gäbe. Er berichtet<br />

auch darüber, daß der DAV nochkeine<br />

abschließende Meinung dazu habe.<br />

Juristenausbildung<br />

Eines der Schwerpunktthemen<br />

beim Deutschen Juristentag in Bremen<br />

war die Reform der Juristenausbildung.<br />

Dort debattierte man mehrere<br />

Tage und beklagte sich über den Stand<br />

der Ausbildung. Festgestellt wurde,<br />

daß es eine Reform geben müsse.<br />

Umso verwunderlicher war allerdings<br />

dann das Ergebnis am Abstimmungstag:<br />

Zunächst einmal soll das bisherige<br />

Modell beibehalten werden. Der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> hat sich an der<br />

Diskussion aktiv beteiligt und sein „V-<br />

Modell“ näher erläutert. Daß es für<br />

den Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> zunächst<br />

einmal darum geht, beim Referendariat<br />

anzusetzen und dieses nach dem<br />

späteren Beruf ausgerichtet werden<br />

müsse, berichtet der Weser Kurier am<br />

23. September 1998. „Unser Problem“,<br />

wird der Präsident des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Dr.Michael<br />

Streck, zitiert, „sind die vielen, die<br />

Anwalt werden müssen, obwohl sie<br />

nie gelernt haben, parteilich zu sein,<br />

wie es der Anwalt sein muß.“ Der<br />

DAV schlägt daher vor: Am Ende des<br />

Studiums entscheiden sich die jungen<br />

Juristen, ob sie Richter oder Anwalt<br />

werden wollen. Entsprechend unterschiedlich<br />

wird die zweijährige Referendarzeit<br />

auch gestaltet. Daß nach<br />

Ansicht des DAV die Einheitsausbildung<br />

gescheitert sei, weiß auch die<br />

FAZ am 26. September 1998 zu berichten.<br />

Jährlich strömten mehrere tausend<br />

noch nicht qualifizierte<br />

Berufsanfänger in die Anwaltschaft.<br />

Einen Ausweg könne nur die getrennte<br />

Ausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst<br />

bieten.<br />

Die Forderung des DAV, die künftigen<br />

Advokaten selbst ausbilden zu dürfen,<br />

meldet das Handelsblatt am 22.<br />

September 1998. Es könne nicht mehr<br />

jeder Jurist Anwalt werden, sondern<br />

nur noch derjenige, der hoch motiviert<br />

sei und einen Ausbildungsplatz bekommen<br />

habe, wird der DAV-Präsident<br />

Dr. Streck im Tagesspiegel am 23.<br />

September 1998 und im General-Anzeiger<br />

vom gleichen Tage zitiert.<br />

Strafrecht<br />

Die SPD-Rechtsexpertin Herta<br />

Däubler-Gmelien hatte vorgeschlagen,<br />

die Bagatelldelikte zu entkriminalisieren<br />

und durch ein Bußgeld zu verfolgen.<br />

Die im DAV organisierten Strafrechtler<br />

haben diesen Vorstoß begrüßt.<br />

In einer ADN-Meldung vom 9. September<br />

1998 kommt Rechtsanwalt<br />

Rüdiger Deckers zu Wort. Er wandte<br />

sich zugleich gegen den Vorwurf, eine<br />

Entkriminalisierung von Bagatelldelikten<br />

untergrabe das Rechtsbewußtsein.<br />

Das Unrechtsbewußtsein beim Ladendiebstahl<br />

sei vor allem auf die werbepsychologischen<br />

Mechanismen in<br />

Großkaufhäusern zurückzuführen.<br />

Dem nun auf strafrechtlichem Wege<br />

entgegenzuwirken, sei widersprüchlich<br />

und zäume das Pferd von hinten auf.<br />

Diesen Standpunkt vertrat Deckers<br />

auch in einem Interview mit dem<br />

Sender Radio Berlin am<br />

10. September 1998.<br />

Bezüglich der beschleunigten Verfahren<br />

wurde der Vorsitzende des<br />

Strafrechtsausschusses des DAV,<br />

Rechtsanwalt Eberhard Kempf, vom<br />

Focus am 21. September 1998 interviewt.<br />

Auf die Frage, was der DAV<br />

gegen das beschleunigte Verfahren<br />

habe, entgegnete Kempf: „Generell<br />

habe er (der DAV) nichts dagegen,<br />

wenn die Justiz zügig vorankommt –<br />

gerade bei den Bagatelldelikten, für<br />

die das beschleunigte Verfahren ja vorgesehen<br />

ist. Auch für die Tatverdächtigen<br />

ist es besser, wenn sie möglichst<br />

schnell wissen, woran sie sind. Der<br />

Beschuldigte muß sich aber immer<br />

noch von einem Anwalt beraten lassen<br />

können. Wir wollen deshalb, daß die<br />

Justiz jeden Beschuldigten mit dem<br />

anwaltlichen Notdienst zusammenbringt.“<br />

Ein Anwalt werde auch bei<br />

einfachen Verfahren benötigt, da alles<br />

schon vorgekommen sei. Blutproben<br />

würden vertauscht, dem Beschuldigten<br />

wird im Geschäft etwas in die Tasche<br />

gesteckt oder der Kaufhausdetektiv hat<br />

ihn gar verprügelt.<br />

Über die Ungerechtigkeit im Verfahren<br />

der kurzen Prozesse, wie es der<br />

DAV sieht, berichtet auch Focus am<br />

21. September 1998 in einem weiteren<br />

Beitrag.<br />

Im Lande Brandenburg gibt es den<br />

wohl bundesweit höchsten Prozentsatz<br />

an beschleunigten Verfahren. Eine<br />

Stellungnahme hierzu gab Rechtsanwalt<br />

Dr. Stefan König, Mitglied des<br />

Strafrechtsausschusses des DAV, dem<br />

Radiosender ORB.<br />

Daß die Forderung nach dem Führerscheinentzug<br />

auch bei Nichtverkehrsstraftaten<br />

völlig aus dem Zusammenhang<br />

eines Gesamtkonzeptes<br />

gerissen wurde und dies wohl aus<br />

wahlkampftaktischen Gründen geschehen<br />

ist, erläutert Rechtsanwalt und<br />

Notar Rembert Brieske in den 20-Uhr-<br />

Nachrichten auf Kabel 1 am 23. September<br />

1998.<br />

Über die Gen-Datei und den genetischen<br />

Fingerabdruck berichtet die<br />

Kölner Illustrierte in ihrer September-Ausgabe.<br />

Hierin wird der DAV zitiert:<br />

„Der Ruf nach der Errichtung einer<br />

Gen-Datei wird in der<br />

Öffentlichkeit mit der Behauptung begründet,<br />

ihre Errichtung diene dem<br />

Schutz der Bevölkerung durch Ergreifung<br />

schwerer Straftäter, insbesondere<br />

Sexualverbrecher. Es wird dabei unterstellt,<br />

daß insbesondere dieser Täterkreis<br />

zu Wiederholungstaten neige.<br />

Statistisch ist das nicht belegt.“<br />

Ein Beitrag in der Frankfurter<br />

Rundschau vom 17. September 1998<br />

beschäftigt sich mit den überfüllten<br />

deutschen Gefängnissen. Grundsätzlich<br />

gehe die Tendenz dahin, daß das<br />

Strafklima in der Bundesrepublik sich<br />

verschärft habe. Rechtsanwalt Prof.<br />

Dr. Franz Salditt vom Strafrechtsausschuß<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

konzertiert, daß sich auch in Deutschland<br />

die amerikanische Auffassung<br />

durchsetze, Täter auszugrenzen statt<br />

sie zu resozialisieren.<br />

Die Geschehnisse in den USA um<br />

den Sonderermittler Starr in Bezug auf<br />

die Bundesrepublik war Thema einer<br />

Sendung im NDR 2 am 22. September<br />

1998. Die rechtlichen Erläuterungen<br />

gab Rechtsanwalt Eberhard Kempf.<br />

Der September-Jour fixe des DAV<br />

widmete sich den aktuellen Problemen<br />

der Jugendkriminalität. Als Gesprächspartner<br />

hatte der DAV die Rechtsanwälte<br />

Lukas Pieplow und Joachim<br />

Schmitz-Justen, Köln, eingeladen, vermeldet<br />

recht intern am 17. September<br />

1998. Die beiden Referenten wiesen<br />

darauf hin, daß das Jugendgerichtsgesetz<br />

vor 75 Jahren verabschiedet<br />

worden sei. Schon damals habe man<br />

erkannt, daß für den Bereich der 14<br />

bis 21-jährigen der Grundsatz „erziehen<br />

statt strafen“ zu gelten habe. Von<br />

dieser Einstellung dürfe man sich nicht<br />

wegbewegen. Der DAV fordert, gesetzlich<br />

zu regeln, daß für alle Fälle, in denen<br />

Anklage vor dem Jugendschöffengericht<br />

und Jugendrichter erhoben<br />

wird, ein Strafverteidiger beizuordnen<br />

sei, da das System mit den Jugendgerichtshelfern<br />

unzureichend sei. Bis zu


588<br />

MN<br />

einer gesetzlichen Änderung sei es<br />

dringend nötig, die Möglichkeit der<br />

Beiordnung von Rechtsanwälten in<br />

Jugendgerichtssachen großzügig anzuwenden.<br />

Rund ums Verkehrsrecht<br />

Mit den Änderungen im Straßenverkehrsgesetz<br />

bezüglich des Führen<br />

eines Fahrzeugs unter Medikamentenund<br />

Drogeneinfluß beschäftigt sich die<br />

Nachrichtenagentur ADN am 16. September<br />

1998. Ähnliche Erfolge, wie<br />

bei der Herabsetzung der Promillegrenzung,<br />

werden bei der Entdeckung<br />

und Ahndung von Fahrten unter Drogen-<br />

und Medikamenteneinfluß so<br />

schnell nicht erwartet. Nach Ansicht<br />

von Rechtsanwalt Dr. Georg Greißinger,<br />

Mitglied des Ausschusses und des<br />

Geschäftsführenden Ausschusses der<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>, sei dafür verantwortlich<br />

eine Reihe von Anwendungsproblemen,<br />

die eine Umsetzung<br />

des Gesetzes in der Praxis äußerst<br />

schwierig mache. So seien noch keine<br />

geeigneten Vortests entwickelt worden,<br />

mit deren Hilfe die Streifenbeamten<br />

Fahrer unter Drogen- oder Medikamenteneinfluß<br />

erkennen könnten,<br />

um bei einem positiven Ergebnis die<br />

Entnahme einer Blutprobe zu veranlassen.<br />

Die Schulung der Beamten sei<br />

zwar in vollem Gange, aber die Änderung<br />

im Straßenverkehrsgesetz entpuppe<br />

sich als eine nur mangelhaft vorbereitete<br />

Initiative, der kein großer<br />

Erfolg beschieden sei. Daran ändere<br />

auch nicht, daß der Vorstoß als Beitrag<br />

zu mehr Verkehrssicherheit prinzipiell<br />

in die richtige Richtung gehe.<br />

Der Vorsitzende des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht im Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>, Rechtsanwalt<br />

Hans-Jürgen Gebhardt, erläutert in<br />

einem Interview des Saarländischen<br />

Rundfunks am 24. September 1998,<br />

daß sich die Verkehrsrechtsanwälte im<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> gegen die<br />

Einführung einer black box für das<br />

Auto ausgesprochen haben. Durch die<br />

Ausstattung von Autos mit solchen<br />

Fahrdatenspeichern könnten die Rechte<br />

des Einzelnen eingeschränkt werden,<br />

befürchtet Gebhardt. Wenn das Gerät<br />

erst einmal eingeführt sei, würde am<br />

Ende die perfekte Überwachung des<br />

Autofahrers stehen. Mit der black box<br />

habe man den „Polizisten auf dem Beifahrersitz“.<br />

Dieses Interview hat Eingang<br />

gefunden in einen Bericht in Die<br />

Welt vom 25. September 1998 und in<br />

den Patriot am 25. September 1998.<br />

Der Pressedienst der Verkehrsrechtsanwälte<br />

im DAV berichtet über<br />

ein Urteil des Oberlandesgerichts<br />

Zweibrücken. Wenn ein Autofahrer lediglich<br />

aufgrund eines sog. Augenblickversagens<br />

ein Tempolimit übersieht,<br />

darf gegen ihn nicht automatisch<br />

ein Fahrverbot verhängt werden. Nur,<br />

wenn die Pflichtverletzung subjektiv<br />

auf grobem Leichtsinn, grober Nachlässigkeit<br />

oder Gleichgültigkeit beruhe,<br />

sei eine solche Maßnahme angemessen.<br />

Der Kraftfahrer war auf der<br />

Autobahn bei Tempo 100 Geschwindigkeitsbegrenzung<br />

mit 150 Stundenkilometern<br />

geblitzt worden. Vor dem<br />

Amtsgericht berief er sich ohne Erfolg<br />

darauf, daß er das Schild nicht gesehen<br />

habe. Das Oberlandesgericht hob<br />

das Urteil auf und bemängelte, daß die<br />

erste Instanz nicht berücksichtigt habe,<br />

daß bei objektiv schwerwiegenden<br />

Verkehrsverstößen Situationen gegeben<br />

sein können, die erfahrungsgemäß<br />

auch dem sorgfältigen und pflichtbewußten<br />

Kraftfahrer unterlaufen. In der<br />

erneuten Verhandlung verzichtete das<br />

Amtsgericht auf die Verhängung des<br />

Fahrverbotes. Dieser Pressedienst wurde<br />

von ADN am 21. September 1998<br />

verbreitet.<br />

Über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />

Oldenburg berichten<br />

die Verkehrsrechtsanwälte im Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>, die von ADN am<br />

21. September 1998 veröffentlicht<br />

wurde. Hier ging es darum, daß, bevor<br />

die Straßenverkehrsbehörde einem<br />

Autofahrer die Führung eines Fahrtenbuches<br />

auferlege, ihr Ermittlungsspielraum<br />

auszunutzen sei. Nur wenn feststehe,<br />

daß ein Kfz-Halter bei den<br />

Nachforschungen nach einem Verkehrssünder<br />

endgültig seine Beteiligung<br />

verweigere, ist die Zwangsmaßnahme<br />

angemessen.<br />

Nach einem Urteil des Amtsgerichts<br />

Eschweiler ist derjenige, der<br />

nach einem Verkehrsunfall einen Sachverständigen<br />

mit der Begutachtung des<br />

Schadens beauftragt, nicht verpflichtet,<br />

eine Marktanalyse zu betreiben. Die<br />

Verkehrsrechtsanwälte berichten, daß<br />

nach Ansicht der Richter für einen<br />

Geschädigten weder die Möglichkeit<br />

noch die Notwendigkeit bestehe, zu<br />

überprüfen, ob die vom Sachverständigen<br />

veranschlagte Summe korrekt ist<br />

oder nicht. Im verhandelten Fall hatte<br />

die gegnerische Versicherung dem<br />

Kläger die volle Erstattung der Gutachterrechnung<br />

verweigert, weil sie<br />

diese in einigen Punkten für überhöht<br />

hielt. Diese Auffassung wies das Gericht<br />

zurück. Es habe sich um einen<br />

anerkannten Sachverständigen gehan-<br />

AnwBl 11/98<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

delt, dessen Forderungen durchaus im<br />

üblichen Rahmen lagen. Über die<br />

Veröffentlichung der Verkehrsrechtsanwälte<br />

berichtet die Passauer Neue<br />

Presse am 8. September 1998 und die<br />

Ostsee Zeitung, Rostock, am 22.<br />

September 1998.<br />

Kritik an der Zusammenlegung von<br />

Justiz- und Innenministerium in NRW<br />

Anläßlich des Deutschen Juristentages<br />

in Bremen luden die Richterinnen<br />

und Richter und die Staatsanwältinnen<br />

und Staatsanwälte in der Gewerkschaft<br />

ÖTV Bezirk Weser-Ems<br />

auf eine Pressekonferenz ein, da ihrer<br />

Ansicht nach das Thema unberechtigterweise<br />

auf dem DJT keine Erwähnung<br />

fand. Die Pressekonferenz wurde<br />

außerhalb der Räume des DJT veranstaltet.<br />

An ihr nahm für den Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong> der Präsident Dr.<br />

Michael Streck teil. Weitere Teilnehmer<br />

waren der Bundesvorsitzende des<br />

Deutschen Richterbundes, Rainer<br />

Voss, der Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer,<br />

Frank Jonigk<br />

und der Bundessprecher der Richter<br />

und Staatsanwälte in der ÖTV, Klaus<br />

Thommes, teil. Hierbei warf Dr. Streck<br />

dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten<br />

vor, die Bedeutung des<br />

Justizministeriums als sensibler Berührungspunkt<br />

zwischen den Gewalten<br />

nicht erkannt zu haben. Er kritisierte<br />

Clement als bloßen Macher. Die Fusion<br />

in Deutschland sei ein Zeichen<br />

rechtsstaatlicher Unkultur, weiß die<br />

Süddeutsche Zeitung am 24. September<br />

1998 zu berichten. Die Nordsee<br />

Zeitung führt am gleichen Tage die<br />

Äußerung Strecks weiter aus, daß<br />

Clement ein kulturelles Minuszeichen<br />

gesetzt habe, das besage, die Justiz<br />

interessiert mich nicht, sie ist nicht<br />

wichtig. „Gerechtigkeit ist für einen<br />

Macher realtiv überflüssig.“<br />

Verschiedenes<br />

Über die Unterhaltsflucht berichtete<br />

die Sendung „Service-Zeit“ im NDR-<br />

Fernsehen am 29. September 1998.<br />

Hierfür wurde Rechtsanwalt Roland<br />

Garbe, stellvertretender Vorsitzender<br />

der Arbeitsgemeinschaft Familienund<br />

Erbrecht des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />

interviewt.<br />

Am 8. September 1998 berichtete<br />

WDR 4 über die Anwalt-Hotlines.<br />

Hier wurde auch über die Haltung des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s berichtet.<br />

Der DAV sieht darin ein neues Betätigungsfeld<br />

für den Berufsstand, eine<br />

Möglichkeit, Menschen zu erreichen,


AnwBl 11/98 589<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

die sonst nicht zum Anwalt gehen<br />

würden. Der Sprecher des DAV,<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

konnte in einem Interview mit dem<br />

Nachrichtensender berlin aktuell 93,6<br />

am 9. Oktober 1998 diese Beurteilung<br />

näher erläutern.<br />

Die Helmstädter Nachrichten berichten<br />

am 26. September 1998 über<br />

die Mediation. Hier wird Rechtsanwältin<br />

Angelika Rüstow, Geschäftsführerin<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, mitden<br />

Worten zitiert: „Wenn die Leute die<br />

Mediation nicht wollen, macht es keinen<br />

Sinn. Denn der Mediatior hat ja<br />

keine Zwangsmittel zur Verfügung.“<br />

Was die Mediation von anderen Formen<br />

der außergerichtlichen Einigung<br />

unterscheide, ist die Freiwilligkeit, mit<br />

der die „Streithähne“ und der Mediatior<br />

nach einer akzeptablen Lösung suchen.<br />

Wer aus juristischer Perspektive im<br />

Recht ist, bleibt dabei ungeklärt – zumindest<br />

vorläufig. Doch gerade der<br />

Verzicht auf das Rechthaben macht<br />

eine Mediation oft schwierig. Sind die<br />

Fronten verhärtet, stoße der beste Vermittler<br />

auch an seine Grenzen.<br />

In Köln kam es zu einem vielbeachteten<br />

Verfahren. Hier wurde ein<br />

Bäcker für den Betrag von 3,90 DM<br />

verklagt, da das gekaufte Brot nicht<br />

ordnungsgemäß gewesen sei. Er wurde<br />

verurteilt, an die Klägerin 7,10 DM<br />

Schadensersatz zu zahlen. Darüber<br />

hinaus darf der Verklagte sich über<br />

300,00 DM Gerichtskosten freuen.<br />

Hierüber berichtete RTL in der Mittagsnachrichtensendung<br />

„Punkt 12“.<br />

Hierfür wurde der Sprecher des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt<br />

Swen Walentowski, interviewt. Dieser<br />

konnte darin einen Ausblick auf die<br />

Zukunft der Obligatorischen Streitschlichtung<br />

geben. Danach müssen<br />

nach dem Willen der Gesetzgeber bis<br />

zu einem gewissen Streitwert die Kontrahenten<br />

zunächst eine gütliche Einigung<br />

versucht haben.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

Bonn<br />

AG Mediation im DAV<br />

Erste Mitgliederversammlung<br />

und Fachtagung der<br />

Arbeitsgemeinschaft<br />

Mediation im Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong><br />

Der Geschäftsführende Ausschuß<br />

der Arbeitsgemeinschaft Mediation im<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> lädt alle<br />

Mitglieder sehr herzlich zur ersten<br />

Mitgliederversammlung ein, die am<br />

5. Dezember 1998 von 10 bis voraussichtlich<br />

11 Uhr in Frankfurt am<br />

Main, Holiday Crown Plaza Hotel,<br />

stattfinden wird. An die Mitgliederversammlung<br />

schließt sich die Fachtagung<br />

an, auf die Sie einen ersten Hinweis<br />

auf Seite ... dieses Heftes finden.<br />

Der Geschäftsführende Ausschuß gibt<br />

die Tagesordnung der Mitgliederversammlung<br />

wie folgt bekannt:<br />

1. Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses.<br />

2. Bericht des Schatzmeisters.<br />

3. Aussprache.<br />

4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses.<br />

5. Wahl einer Kassenprüferin/eines<br />

Kassenprüfers.<br />

6. Wahl des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

7. Verschiedenes.<br />

Anträge zur Tagesordnung sind spätestens<br />

21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />

beim Geschäftsführenden<br />

Ausschuß eingehend unter der Anschrift<br />

Adenauerallee 106, 53113 Bonn zu stellen<br />

und müssen von mindestens 10 Mitgliedern<br />

unterstützt werden.<br />

Der Teilnehmerbeitrag für die Fachtagung<br />

beträgt für Mitglieder 240 DM, für<br />

Mitglieder des Forums Junge Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte 140 DM<br />

und für Nichtmitglieder 450 DM.<br />

Ihre Anmeldung nimmt für uns<br />

das Veranstaltungsbüro der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mediation im Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>, Ellerstr. 48, 53119 Bonn,<br />

Telefon: 0228/98366-35, Fax: 0228/<br />

98366-67 entgegen. Dort beantwortet<br />

man Ihnen auch gern weitere Fragen.<br />

Für eine neue Streitkultur<br />

Warum Mediation?<br />

In der politischen Diskussion wirbt<br />

die Anwaltschaft gern mit der statistischen<br />

Größe, daß 70% der Streitfälle,<br />

die der Anwaltschaft unterbreitet werden,<br />

nicht bei Gericht landen. Nicht<br />

alle Fälle werden jedoch beigelegt im<br />

eigentlichen Sinne. Nicht wenige werden<br />

nicht weiterverfolgt, weil sie nach<br />

Beratung durch den Anwalt unter dem<br />

Blickwinkel einer Anspruchsgrundlage<br />

nicht aussichtsreich erscheinen. Eine<br />

Anspruchsgrundlage oder ein Klagantrag<br />

erschöpft aber nicht den<br />

Lebenssachverhalt, aus dem ein Kon-<br />

flikt entstanden ist. Den heutige Advokat<br />

sollte seine Aufgabe nicht mehr<br />

vornehmlich darin sehen, den ihm vorgetragenen<br />

Sachverhalt unter eine<br />

Rechtsnorm zu subsumieren und diese<br />

mit den ihm gegebenen Mitteln der<br />

Verhandlung oder des Prozesses<br />

durchzusetzen. Eine solche, immer<br />

noch im Zentrum der Ausbildung stehende,<br />

Betrachtungsweise reduziert<br />

des Lebensproblem, das der Klient<br />

vorträgt, auf ein Rechtsproblem. Dadurch<br />

wird es für den Klienten oft unkenntlich,<br />

er versteht es nicht mehr<br />

und glaubt eher widerwillig, alles dem<br />

Anwalt überlassen zu müssen.<br />

Ein neues Verständnis von Streitkultur<br />

sollte hier ansetzen und unserem beruflichen<br />

„Werkzeugkasten“ eine weitere<br />

Konfliktbearbeitungsmethode<br />

hinzufügen, die Mediation. Die bisherigen<br />

„Werkzeuge“ Verhandlungen<br />

und (leider fast einzige Verfahrensalternative)<br />

Prozeß, werden den Erwartungen,<br />

die der immer mehr umkämpfte<br />

Markt und das rechtssuchende Publikum<br />

mit Recht haben, nicht mehr gerecht.<br />

Ist nämlich der Prozeß die „beste<br />

Alternative“ zur Verhandlung, gerät oftmals<br />

die Verhandlung selbst zu einer<br />

Art verkapptem Prozeß.<br />

Erweitern wir hingegen unsere<br />

beruflichen Möglichkeiten um die<br />

Konfliktbeilegungsmethode Mediation,<br />

werden wir erfahren, daß wir über die<br />

Berücksichtigung von Interessen, gemeinsamen<br />

Möglichkeiten und Optionen<br />

in ein intensiveres Verständnis der<br />

Lebenssituation oder der Wirtschaftssituation<br />

des Mandanten geraten, aus<br />

der heraus ein „Problem“ uns zur Lösung<br />

vorgelegt wird. Wir können daran<br />

mitwirken, den Abstand zwischen<br />

den Mandanten und der Problemlösung<br />

zu verringern, der heute oft noch<br />

durch das undurchschaubere Recht gebildet<br />

wird. Die Eigenverantwortlichkeit<br />

und die Möglichkeiten zur Selbstgestaltung<br />

der Konfliktlösung werden<br />

hierdurch gestärkt.<br />

Deshalb ist es nicht nur wichtig,<br />

dem Klienten die Mediation durch einen<br />

geschulten und erfahrenen, rechtskundigen<br />

Dritten als weiteren Weg der<br />

Konfliktlösung anbieten zu können;<br />

die eigene Einübung in die Methoden<br />

der Mediation bereichert den beruflichen<br />

„Werkzeugkasten“ nämlich auch<br />

um Fähigkeiten und Erfahrungen, die<br />

von großem Wert sind für die AnwältInnen,<br />

die nach wie vor Interessenund<br />

Parteivertreter bleiben und sich<br />

nicht auf die besondere anwaltliche<br />

Tätigkeitsform der Mediation konzentrieren.


590<br />

MN<br />

Die Einführung von Mediation in die<br />

Anwaltspraxis<br />

Fragt man nach den praktischen<br />

Aussichten für eine Veränderung der<br />

Streitkultur im weiten Spektrum der<br />

anwaltlichen Tätigkeiten, so ergibt<br />

sich ein durchaus differenziertes Bild.<br />

Je weniger der Mediationsprozeß unter<br />

Kostendruck steht, oder wo er öffentlich<br />

finanziert wird, wie z. B. in der<br />

Umweltmediation, in der Schulmediation<br />

und im Täter/Opferausgleich,<br />

desto intensiver wird über den Mediationsprozeß<br />

eine Veränderung der konfliktträchtigen<br />

Lebensumstände angestrebt,<br />

eine positive Veränderung und<br />

direkte Entwicklung der „Streitparteien“<br />

für möglich gehalten. Besonders<br />

deutlich prallen Anspruch und Rahmenbedingungen<br />

aufeinander im<br />

Bereich der Familienmediation, in der<br />

gerade mit Rücksicht auf die Belange<br />

der Kinder die Verwirklichung eines<br />

die Verhältnisse verändernden Ansatzes<br />

wünschenswert wäre, sehr häufig<br />

jedoch wegen begrenzter Mittel nicht<br />

intensiv genug betrieben werden kann.<br />

Am anderen Ende des Spannungsbogens<br />

steht die Wirtschaftsmediation<br />

mit deutlich von Zeit- und vor allem<br />

Kostendruck diktierten Rahmenbedingungen<br />

und einer außerordentlichen<br />

starken Ergebniserwartung („schnell,<br />

günstig, effizient“). Aber auch diese<br />

stark ergebnisorientierte Mediationsform<br />

wird eine Veränderung der Streitkultur<br />

bewirken, weil sie, wie jeder<br />

Erfolg, Nachahmung anregt, Neugier<br />

für ihre Bedingungen und Voraussetzungen<br />

hervorruft und dadurch eine<br />

eher schleichende Veränderung des<br />

eigenen Verhaltens der Akteure, sei es<br />

in der Wirtschaft selbst, sei es auf dem<br />

Beratungssektor, bewirkt.<br />

Der Kern der so propagierten neuen<br />

Streitkultur ist die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit<br />

der Betroffenen und<br />

die Forderung der eigenen Suche nach<br />

eigenverantworteten Problemlösungen.<br />

Das wird in mehr oder weniger großem<br />

Ausmaß gelingen, je weiter die<br />

Betroffenen sich auf eine unter Anleitung<br />

erfolgende Problemanalyse einlassen,<br />

die nicht selten wohlgehütete<br />

persönliche Reservate durchstreifen<br />

muß. Diese Angst vor der Entblößung<br />

findet sich genauso im menschlich-allzumenschlichen<br />

Bereich innerhalb der<br />

Familie, wie im Sachkontflikt der<br />

hochspezialisierten Sachkenner.<br />

Welchen Anforderungen müssen wir<br />

uns stellen?<br />

So vielfältig wie die Anforderungen<br />

des „Marktes“ sind Qualifikationen<br />

und persönliche Referenzen, Eig-<br />

nung und Vorlieben der Mediatoren.<br />

Mediation kann sich jedoch nur dann<br />

erfolgreich und glaubwürdig im Markt<br />

verankern, wenn dem Konfliktprofil<br />

ein maßgeschneidertes Mediatorenprofil<br />

beigegeben wird. Es wird sich nicht<br />

immer in einer Person vereinigt finden<br />

und auch der Erwerb komplementärer<br />

Kenntnisse und die Fortbildung in<br />

Konfliktdynamik und Psychologie<br />

allein macht nicht die Mahnung zur<br />

interprofessionellen Zusammenarbeit<br />

überflüssig. Gerade die Anwaltschaft<br />

sieht sich in der Mediationsszene immer<br />

wieder dem mehr oder weniger<br />

laut erhobenen Vorwurf der Selbstüberschätzung<br />

ausgesetzt. Es wird ein<br />

weitverbreiteter Mangel an Konfliktkompetenz<br />

unterstellt. Sicherlich wäre<br />

es die falsche Einstellung, die Abstimmung<br />

von Problemprofil und Mediatorenprofil<br />

dadurch zu bewerkstelligen,<br />

daß der Mediator den Konflikt an sein<br />

Profil anpaßt. Genauso bedenklich<br />

wäre es, der Versuchung nachzugeben,<br />

sich allzu schnell an den „Markt“ anzupassen,<br />

indem z. B. der Erwartung<br />

nach schnellen Lösungen nachgegeben<br />

wird, ohne eine Konfliktanalyse unternommen<br />

und eine eigene Lösungsentwicklung<br />

durch die Betroffenen gefördert<br />

zu haben. Beides zu leisten und<br />

die Notwendigkeit dieser Schritte z. B.<br />

auch den kaufmännischen Beteiligten<br />

klarzumachen, gehört zu dem notwendigen<br />

Lern- und Entwicklungsprozeß<br />

auf der Nachfrageseite. Es wird auch<br />

für den zeitgestreßten Manager nicht<br />

zu leugnen sein, daß nicht allein die<br />

schnelle Problemlösung seine Aufgabe<br />

ist, sondern daß auch die Problemanalyse,<br />

und damit die Chance zur<br />

Problemprävention zu guter Unternehmensführung<br />

und zum Controlling gehören.<br />

Die ARGE Mediation<br />

Die Mediation erfordert in den verschiedenen<br />

Rechtsgebieten, im Familienrecht,<br />

im Arbeitsrecht, im Handels-<br />

und Wirtschaftsrecht, im<br />

Baurecht, im gewerblichen Rechtsschutz,<br />

in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten<br />

und in internationalen Konflikten,<br />

jeweils unterschiedliche<br />

Methoden und Gedankenansätze. Alle<br />

haben jedoch einen gemeinsamen Verfahrenskern<br />

und ein letztlich gemeinsames<br />

Zielverständnis. Aufgabe der<br />

ARBEITSGEMEINSCHAFT ME-<br />

DIATION im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />

ist es, diese Interessen zu bündeln und<br />

zu fördern. Der geschäftsführende<br />

Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mediation freut sich deshalb darüber,<br />

daß die Mitgliederzahl seit der Gründung<br />

im Mai dieses Jahres auf fast<br />

200 gewachsen ist und ermuntert alle<br />

interessierten Kollegen und Kolleginnen,<br />

an der ersten Fachtagung und<br />

Mitgliederversammlung am 6.12.1998<br />

in Frankfurt teilzunehmen. Die vielfältige<br />

Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten<br />

der Mediation kommt z. B. in zahlreichen<br />

Kongressen und<br />

Veranstaltungen zum Ausdruck, die<br />

gerade im Herbst dieses Jahres stattfinden<br />

und stattgefunden haben, z. B.<br />

den WIPO-Workshop Wirtschaftsmediation<br />

in Genf, den Straßburger Kongreß<br />

des Europarates über die europäische<br />

Familienmediation (Materialien<br />

können bei der Geschäftsstelle der<br />

ARGE Mediation in Bonn angefordert<br />

werden), den Kongreß Wirtschaftsmediation<br />

der Münchner Gesellschaft für<br />

Wirtschaftsmediation und Konfliktmanagement<br />

Ende Oktober und den Kongreß<br />

über Schnittstellen der Mediation<br />

(OSV, Mitte Oktober in Bonn). Weitere<br />

Informationen sind bei der Geschäftsstelle<br />

der ARGE Mediation in<br />

Bonn zu erhalten.<br />

Erste Mitgliederversammlung und<br />

Herbsttagung am 5. Dezember 1998<br />

Die mit der ersten Mitgliederversammlung<br />

und Fachtagung der<br />

Arbeitsgemeinschaft Mediation beginnende<br />

und weiter vor uns liegende<br />

Arbeit wird, davon bin ich überzeugt,<br />

den Beweis erbringen, daß das Lernen<br />

von anderen Disziplinen und das Lernen<br />

voneinander, die Offenheit für<br />

Neues und die Auseinandersetzung<br />

mit unserem ethischen Selbstverständnis<br />

die These bestätigt, daß Mediation<br />

Anwaltssache ist (vgl. § 18 der Berufsordnung).<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Grisebach,<br />

Offenburg<br />

Vorsitzender des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />

Mediation<br />

AG Verkehrsrecht des DAV<br />

AnwBl 11/98<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Geschäftsbericht 1997/98 des<br />

Vorsitzenden des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses der AG Verkehrsrecht<br />

Auch im 19. Jahr ihres Bestehens<br />

hat sich unsere ARGE kontinuierlich<br />

weiterentwickelt. Dies gilt sowohl für<br />

die von uns angebotenen Serviceleistungen<br />

als auch die Mitgliederzahl.<br />

Im März diesen Jahres haben wir<br />

die Grenze von 4.000 Mitgliedern


AnwBl 11/98 591<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

überschritten. Das 4.000 ste Mitglied,<br />

Frau Kollegin Poll aus Aachen, ist<br />

heute hier anwesend. Wir heißen sie<br />

stellvertretend für alle Neumitglieder<br />

willkommen und bedanken uns für<br />

ihre Bereitschaft zur Mitarbeit in unserer<br />

ARGE mit einem Buchpräsent<br />

aus der Schriftenreihe der ARGE sowie<br />

einer Einladung zu den diesjährigen<br />

Homburger Tagen.<br />

1. Fortbildung<br />

Ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit<br />

war – wie schon in den letzten Jahren –<br />

die Fortbildungsarbeit und zwar schon<br />

deshalb, weil die Satzung unsere Mitglieder<br />

zur ständigen Fortbildung verpflichtet.<br />

Darüber hinaus aber auch<br />

deshalb, weil wir davon überzeugt<br />

sind, daß nur eine gut ausgebildete<br />

Anwaltschaft den vor allem im Verkehrsrecht<br />

zunehmenden Verdrängungsversuchen<br />

Paroli bieten kann. Im<br />

einzelnen haben wir im Berichtszeitraum<br />

folgende Fortbildungsveranstaltungen<br />

angeboten:<br />

a) Fortbildung für junge Kollegen<br />

Nachdem die ursprünglich als Eintagesveranstaltung<br />

angebotenen Seminare<br />

auf ein lebhaftes Interesse gestoßen<br />

sind, haben wir, aufbauend auf<br />

diesen Einführungskursen, zweitägige<br />

Vertiefungsseminare für junge Kollegen<br />

und Referendare angeboten.<br />

Tagungsorte der mit 490 Teilnehmer<br />

besuchten Veranstaltungen waren<br />

Bad Bramstedt, Oldenburg, Hannover,<br />

Hagen, Neubrandenburg, Halle, Neuss<br />

und Berlin. Mit Referenten aus den eigenen<br />

Reihen konnten wir die Seminare<br />

zu sehr günstigen Preisen anbieten.<br />

Referiert haben 4 Teams (Burmann/<br />

Hillmann; Höfle/Haag bzw. Beck;<br />

Fleischmann/Gebhardt sowie Rochow/<br />

Ziegert).<br />

b) Bundesweite Veranstaltungen<br />

Zum 18. Mal werden (diesmal am<br />

Tag nach der Mitgliederversammlung)<br />

BGH-Richter in Würzburg über „Die<br />

Rechtsprechung des BGH in Verkehrssachen<br />

im Jahr 1997“ referieren. In<br />

diesem Jahr ist das Verkehrsversicherungsrecht<br />

hinzugekommen, zu dem<br />

Herr R. BGH Römer referiert, während<br />

zu den Themen Verkehrszivilbzw.<br />

Verkehrsstrafrecht, wie gewohnt,<br />

die Richter am BGH Dr. von Gerlach<br />

und Dr. von Tolksdorf referieren.<br />

Die 17. Homburger Tage am<br />

25.10.1997 wurden von mehr als 210<br />

Teilnehmern, darunter 17 BGH-Richtern<br />

und über 120 Anwälten besucht.<br />

Zum Thema „Spätschäden im Haftpflichtrecht“<br />

referierte Frau Richterin<br />

am BGH Dr. Gerda Müller, Karlsruhe,<br />

zu dem Thema „Reintra“ drei Vertreter<br />

der Bayerischen Rückversicherung AG<br />

München (A. Klug, H. Schleich, Dr.<br />

Uwe Wandl) sowie der Vors. Richter<br />

am BGH a. D. Dr. Erich Steffen,<br />

Karlsruhe, und zum Thema „Aktuelle<br />

Fragen aus der Personenversicherung“<br />

Herr Richter am BGH Wolfgang<br />

Römer, Karlsruhe.<br />

Am 26.11.1997 haben wir in Offenbach<br />

gemeinsam mit der Deutschen<br />

Verkehrszeitung (Geschäftsführer Dr.<br />

Belzer) ein Seminar zu den Risiken<br />

beim Transport veranstaltet. Teilnehmerwaren<br />

neben Anwälten auch Spediteure<br />

und Fuhrunternehmer, was einen<br />

interessanten Erfahrungsaustausch<br />

und vielversprechende berufliche Kontakte<br />

ermöglichte.<br />

Das Seminar fand so großen Anklang,<br />

daß wir die Fortbildung auf diesem<br />

Rechtsgebiet intensivieren wollen.<br />

Zwei weitere Veranstaltungen sind bereits<br />

geplant, die erste am 9.5.1998 in<br />

Dortmund und die zweite – wiederum<br />

in Zusammenarbeit mit dem Deutschen<br />

Verkehrsverlag – am 17.9.1998<br />

in Offenbach.<br />

Gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht haben wir am<br />

6./7.3.1998 in Bad Kreuznach eine<br />

Fortbildungsveranstaltung zum Thema<br />

„Die Verteidigung in Verkehrssachen“<br />

durchgeführt.<br />

Unter den 244 Teilnehmern waren<br />

u. a. Generalbundesanwalt Nehm, sowie<br />

der Vors. Richter am BGH a. D.<br />

Dr. Steffen und als Referent Herr<br />

Richter am BGH Dr. Tolksdorf.<br />

Mit dieser Veranstaltung haben die<br />

beiden Arbeitsgemeinschaften die frühere<br />

gemeinsame Veranstaltungsreihe<br />

wieder aufleben lassen und nach dem<br />

großen Erfolg beschlossen im 2Jahres-<br />

Turnus in Bad Kreuznach eine Fortbildungsveranstaltung<br />

zum Verkehrsstrafrecht<br />

durchzuführen. Die nächste wird<br />

im Jahr 2000, am 3. Wochenende im<br />

März, stattfinden.<br />

c) Regionalveranstaltungen<br />

Themen und Referenten des regionalen<br />

Fortbildungsprogramms:<br />

– Richter am BGH Dr. Klaus Tolksdorf,<br />

Karlsruhe u. Dipl. Physiker<br />

Dr. Ulrich Löhle, Freiburg:<br />

„Der Sachverständige im Verkehrsprozeß“<br />

– Vors. Richter am OLG Hellmut<br />

Münstermann, Köln/Aachen:<br />

„Das Versicherungsvertragsrecht –<br />

aus der Praxis für die Praxis“<br />

– Richter am BGH Dr. Manfred<br />

Lepa, Bonn/Karlsruhe:<br />

„Fahrlässigkeitshaftung und Gefährdungshaftung<br />

– Typische Probleme<br />

des Haftungsgrundes in der Praxis“<br />

– Rechtsanwalt Dr. Kurt Reinking,<br />

Köln:<br />

„Leasing und Drittfinanzierung von<br />

Kraftfahrzeugen – Probleme bei<br />

verschiedenen Vertragsgestaltungen,<br />

insbesondere bei der Schadensregulierung“<br />

– Reg. Dir. Klaus-Ludwig Haus,<br />

Homburg/Saar:<br />

„Aktuelle Probleme im Verkehrsverwaltungsrecht:<br />

Amtshaftung,<br />

Wiedererteilung der Fahrerlaubnis,<br />

Abschlepp-Probleme“<br />

– Prof. Dr. Friedrich Dencker, Münster:<br />

„Der Verkehrsstrafprozeß. Tägliche<br />

Probleme in der Praxis“<br />

– Richter am BGH Wolfgang Römer,<br />

Karlsruhe:<br />

„Der Verkehrsunfall in seinen versicherungsvertraglichen<br />

Folgen“<br />

– Rechtsanwältin Erna-Maria Eichner,ADAC-Rechtsschutzversicherungs<br />

AG, München:<br />

„Die Verkehrsrechtsschutzversicherung<br />

und gebührenrechtliche Probleme<br />

in der täglichen Praxis“<br />

d) Sonderveranstaltungen<br />

Mit der am 11.10.1997 in Rostock<br />

durchgeführten Veranstaltung zur<br />

Rechtsprechung des dortigen OLG’s<br />

haben wir unsere Seminarreihe zur<br />

Rechtsprechung des jeweiligen Oberlandesgerichtes<br />

fortgesetzt und damit<br />

bereits die 3. Veranstaltung dieser Art<br />

in den neuen Bundesländern durchgeführt.<br />

Zum Verkehrszivilrecht referierte<br />

Ri. OLG Jürgen Boll und zum Strafrecht<br />

Ri. OLG Jürgen Gabe. Mit 108<br />

Teilnehmern nahmen mehr als 10 %<br />

der im OLG-Bezirk Rostock zugelassenen<br />

Anwälte teil.<br />

Zu den Themen<br />

– Direktregulierung durch Versicherer<br />

und Dritte<br />

– Interessenschutz von Sachverständigen<br />

und Werkstätten<br />

– Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz<br />

– Anwaltsmarketing<br />

haben jeweils die Referenten,<br />

Rechtsanwältin Karin Nickel, Witten,<br />

Rechtsanwalt Rüdiger Nickel, Hanau,<br />

Rechtsanwalt Joachim Otting, Grünberg<br />

sowie Rechtsanwalt Holger


592<br />

MN<br />

Rochow 4 Nachmittagsveranstaltungen<br />

durchgeführt. In diesen Veranstaltungen<br />

konnten wir die durch das Regulierungsverhalten<br />

verschiedener Versicherer<br />

entstandenen besonderen<br />

Probleme mit der Kollegenschaft besprechen.<br />

Die Veranstaltungsreihe<br />

wird fortgesetzt.<br />

2. Richard-Spiegel-Preis<br />

Nach der 2. Verleihung des Richard-Spiegel-Preises<br />

im Rahmen der<br />

Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht am 26.4.<br />

1997 im Maritim Hotel Würzburg an<br />

Herrn Dipl. Physiker Dr. Ulrich Löhle/<br />

Freiburg (Laudatio Richter am BGH<br />

Dr. Klaus Tolksdorf) erfolgt im<br />

Anschluß an die Würzburger Fachveranstaltung<br />

am 25.4.1998 auf der Würzburger<br />

Festung Marienburg die 3. Verleihung<br />

des Richard-Spiegel-Preises<br />

an Herrn Rechtsanwalt Wolf Dieter<br />

Beck/München, vormals Leiter des<br />

Referats Verkehrsrecht in der Juristischen<br />

Zentrale des ADAC. Die Laudatio<br />

hält der 1. Vizepräsident des<br />

ADAC, Herr Kollege Rolf-P. Rocke<br />

aus Hamburg.<br />

Der Preisträger hat sich um die<br />

Entwicklung des Verkehrsrechts und<br />

gleichermaßen um die Arbeitsgemeinschaft<br />

verdient gemacht. Deutlich<br />

wird dies z. B. durch die zahlreichen<br />

Veröffentlichungen und durch seine<br />

Aktivitäten auf den Verkehrsgerichtstagen.<br />

Er war viele Jahre ständiger<br />

Gast bei den Sitzungen des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses, dem er mit<br />

Rat und in schwierigen Situationen<br />

auch mit Tat zur Seite stand. Auch<br />

heute noch ist er als Dozent für die<br />

Arbeitsgemeinschaft tätig.<br />

3. Pressearbeit<br />

a) Journalistenseminar<br />

Vom 6. bis zum 8.6.1997 fand in<br />

Lembach das Journalistenseminar statt,<br />

an dem 25 in überregionalen Medien<br />

arbeitende Journalisten teilnahmen.<br />

Themen waren das Rechtsberatungsgesetz,<br />

die Reform des Ordnungswidrigkeiten-<br />

und des Straßenverkehrsgesetzes.<br />

Nach den um neuere Verkehrsrechtsprechung<br />

ergänzten Referaten<br />

hatten die Journalisten Gelegenheit zu<br />

Fragen und Hintergrundgesprächen<br />

mit den beiden Referenten Dr. Greißinger<br />

und Gebhardt. Das Seminar hat<br />

in vielen Print- und Telemedien Wiederhall<br />

gefunden.<br />

b) Pressedienst<br />

Wie in den vergangenen Jahren erschien<br />

der Pressedienst 12x jährlich<br />

mit jeweils 3 Entscheidungen, die über<br />

den Presseverteiler der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht an mehr als 220<br />

Redaktionen verteilt werden. Wir können<br />

feststellen, daß unsere Stellungnahmen<br />

und Informationen immer größere<br />

Resonanz in den Medien finden.<br />

c) Presseerklärung<br />

– 23. April 1997, Nr. V 3/97:<br />

Dr. Ulrich Löhle, Freiburg i. Br.<br />

mit dem Richard-Spiegel-Preis ausgezeichnet<br />

– Juli 1997, Nr. V 4/97:<br />

Verkehrsrechts-Anwälte des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s jetzt im Internet<br />

– Juli 1997, Nr. V 5/97:<br />

„Testphase“ für Radfahrer gefährdet<br />

Sicherheit<br />

– 27. August 1997, Nr. 6/97:<br />

DAV-Verkehrsrechts-Anwälte stellen<br />

ihren Anwalt-Suchservice auf<br />

der Internationalen Automobil-Ausstellung<br />

(IAA) vor<br />

– 25. August 1997, Nr. V 7/97:<br />

Abstandsmessung bundesweit in<br />

Frage gestellt<br />

– 10. September 1997, Nr. V 8/97:<br />

DAV-Verkehrsrechts-Anwälte stellen<br />

ihre Anwalt-Suchhilfe auf der<br />

Internationalen Automobil-Ausstellung<br />

(IAA) vor.<br />

– 17. Oktober 1997, Nr. V 9/97:<br />

Ab 1.10.1997: Anwaltsuche leicht<br />

gemacht – DAV-Verkehrs-Anwälte<br />

im Internet<br />

– 18. Oktober 1997, Nr. V 10/97:<br />

Homburger Tage 1997 – Anwaltliche<br />

Hilfe bei der Unfallschadenregulierung<br />

zahlt sich aus<br />

– 26. Januar 1998, Nr. V 1/98:<br />

Verkehrsrechtsanwälte bestätigt:<br />

BGH verbietet das „carpartner-System“<br />

der Haftpflichtversicherer.<br />

– 18. Februar 1997, Nr. V 2/98:<br />

Ansprüche Unfallgeschädigter sollen<br />

beschränkt werden.<br />

d) Jourfix des DAV<br />

Am 12.3.1998 fand in Bonn ein<br />

Pressegespräch zur beabsichtigten<br />

Neuregelung schadensersatzrechtlicher<br />

Vorschriften statt. Als Ansprechpartner<br />

stand den Journalisten Rechtsanwalt<br />

Gebhardt zur Verfügung. Zu dem<br />

Thema dieses Pressegespräches erreichen<br />

uns auch heute noch ständig Anfragen<br />

von Journalisten.<br />

AnwBl 11/98<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

4. Fachanwalt<br />

Wir sind mit vielen anderen Institutionen<br />

der Auffassung, daß für das Gebiet<br />

des Verkehrs- bzw. Versicherungsrechts<br />

eine Fachanwaltschaft eingeführt<br />

werden müßte. Wir haben<br />

deshalb die Präsidenten aller Anwaltskammern<br />

und die Mitglieder der Satzungsversammlung<br />

angeschrieben und<br />

unter Darlegung unseres Standpunktes<br />

um Unterstützung gebeten. Wenn wir<br />

derzeit auch noch keine Mehrheit finden,<br />

so konnten wir doch feststellen,<br />

daß wesentlich mehr Kammern als bisher<br />

unser Anliegen unterstützen wollen.<br />

5. Internet<br />

Unser Internet Anwaltssuchdienst<br />

(www.recht-und-verkehr.de) läuft planmäßig<br />

seit Oktober 1997. Der Suchdienst<br />

verzeichnet – mit steigender<br />

Tendenz – zur Zeit mehr als 140 Anfragen<br />

nach Anwälten. Unsere Informationsseiten<br />

für Mitglieder und Journalisten<br />

werden täglich mehrere 100<br />

Mal angewählt.<br />

Unbefriedigend ist leider nach wie<br />

vor die verhältnismäßig geringe Zahl<br />

der Beteiligten. Offenbar haben die<br />

Kollegen die Bedeutung und die Chancen<br />

dieses neuen Mediums noch nicht<br />

erkannt.<br />

6. Mitteilungsblatt<br />

Im Berichtszeitraum sind wieder 4<br />

Ausgaben unter der seit langer Zeit bewährten,<br />

ehrenamtlichen Schriftleitung<br />

des Kollegen Dr. Chemnitz/Pinneberg<br />

erschienen. Mit der Ausgabe 1/98<br />

haben wir das Erscheinungsbild etwas<br />

moderner gestaltet, sind für weitere<br />

Vorschläge und Anregungen jedoch<br />

dankbar. Die Druckauflage liegt derzeit<br />

bei 4.500 Exemplaren pro Ausgabe.<br />

7. Schriftenreihe<br />

Die Beiträge der Homburger Tage<br />

1997 erscheinen als Band 22 und wurden<br />

als Beilage zum Mitteilungsblatt<br />

1/98 allen Mitliedern überreicht. In<br />

der Zwischenzeit ist Band 23 zu dem<br />

Thema „Haftungsrisiken beim Transport<br />

vermeiden“ erschienen. Die in<br />

Bad Kreuznach gehaltenen Referate<br />

werden demnächst als Band 24 erscheinen.<br />

8. zfs<br />

Die Abonnentenzahl der vom Geschäftsführenden<br />

Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht herausgegebenen<br />

„Zeitschrift für Scha-


AnwBl 11/98 593<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

densrecht“ liegt bei über 3.600 (Stand<br />

Dezember 1997). Mit 477 Abonnenten<br />

aus der Arbeitsgemeinschaft beträgt<br />

dieser Anteil inzwischen 13 % (Vorjahr:<br />

12,4 %).<br />

9. Mitgliederliste<br />

Die neue Mitgliederliste ist in Auftrag<br />

gegeben und soll in den nächsten<br />

Wochen fertiggestellt und dem MittBl<br />

2/98 beigefügt werden.<br />

10.Versicherungen<br />

– Regulierungsempfehlungen:<br />

Veränderungen haben sich ergeben<br />

mit Wirkung zum 1.4.1997 durch<br />

Ausscheiden der Agrippina und der<br />

Patria Versicherung, beide Köln<br />

–<br />

(aufgrund eines Wechsels zu einer<br />

neuen Mutter-Konzerngesellschaft).<br />

Schlichtungsausschuß DAV/GDV:<br />

Es fanden 2 Sitzungen der 4 Mitglieder<br />

des Schlichtungsausschusses<br />

(Gerstner VHV, Schäfer HUK-<br />

Coburg, Dr. Greißinger, Gebhardt)<br />

statt.<br />

Die Veröffentlichung von Empfehlungen<br />

des Schlichtungsausschuß<br />

erfolgte bislang in der zfs 1997, 84<br />

und 163, im MittBl 2/95, 33 sowie<br />

im <strong>Anwaltsblatt</strong> 1996, 281.<br />

Allerdings zeigt eine Vielzahl von<br />

Rückfragen, daß in manchen Punkten<br />

immer noch keine Klarheit<br />

besteht; dies gilt für Versicherer<br />

und Anwälte gleichermaßen. Der<br />

Schlichtungsausschuß hat deshalb<br />

–<br />

eine Kommentierung zu den immer<br />

wieder auftretenden Streitpunkten<br />

verfaßt, die Veröffentlichung wird<br />

in den nächsten Wochen erfolgen.<br />

Motorcare und ähnliche Entwicklungen:<br />

Fortsetzung der Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft<br />

zusammen mit<br />

dem ADAC und anderen betroffenen<br />

Berufs- und Branchenverbänden<br />

gegen Motorcare bzw.<br />

Württembergische Versicherung;<br />

inzwischen<br />

Maßnahmen.<br />

durch gerichtliche<br />

– Zentralruf<br />

Die Erreichbarkeit des Zentralrufes<br />

hat sich in letzter Zeit verbessert,<br />

allerdings haben viele Kollegen die<br />

Sorge, daß der neugestaltete Zentralruf<br />

ein Mittel unter vielen ist,<br />

mit denen die Versicherungswirtschaft<br />

die Anwaltschaft zur<br />

Schadensregulierung herausdrängen<br />

will.<br />

Die Kollegen Dr. Greißinger und<br />

Ziegert haben kürzlich die Gelegenheit<br />

genutzt, sich die Abläufe<br />

beim Zentralruf in Hamburg genauer<br />

anzusehen und erläutern zu lassen.<br />

Dabei haben sie auch auf die<br />

Bedenken der Anwaltschaft hingewiesen<br />

(Bericht im MittBl 97, 93).<br />

11. Mitarbeit in anderen Verbänden<br />

– Vorstand DAV: Dr. Greißinger ist<br />

weiterhin vom Vorstand des DAV in<br />

den Geschäftsführenden Ausschuß<br />

der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

entsandtes Mitglied. Darüber<br />

hinaus ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />

seit der DAV-<br />

Mitgliederversammlung im Mai<br />

1997 gewähltes Mitglied im Vorstand<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />

– Verkehrsgerichtstag: Dr. Greißinger<br />

wurde im Januar 1998 von der Mitgliederversammlung<br />

der Deutschen<br />

Akademie für Verkehrswissenschaft<br />

einstimmig für eine weitere 4jährige<br />

Amtsperiode in den Vorstand<br />

gewählt. Frau Kollegin Wernet ist<br />

unverändert seit Januar 1997 Vizepräsidentin<br />

des Verkehrsgerichtstages.<br />

Wernet u. Gebhardt sind Mitglieder<br />

im Vorbereitungsausschuß<br />

dort.<br />

– Beim 36. DVGT 1998 im Januar<br />

waren aus den Reihen der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht aktiv:<br />

RAuN Eckhard Höfle, Groß-Gerau,<br />

als Referent im AK II (Beschleunigung<br />

in Verkehrsstrafverfahren<br />

und in Bußgeldverfahren)<br />

RA Dr. Uwe Greger, Frankfurt<br />

a. M., als Leiter des AK VII (Inline-Skater)<br />

RA Wolf Dieter Beck, München,<br />

als Betreuer des AK V. (Verkehrsüberwachung).<br />

Beim Begrüßungsabend der Arbeitsgemeinschaft<br />

im „Kaiserworth“<br />

im Jahre 1998 versammelten<br />

sich etwa 110 Mitglieder,<br />

Pressevertreter, Richter und weitere<br />

Ehrengäste, z. B. der Präsident des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Felix<br />

Busse.<br />

– GUVU: Schultheis ist weiterhin Mitglied<br />

im Vorstand der Gesellschaft<br />

für Ursachenforschung bei Verkehrsunfällen<br />

e. V., Köln, Mitgliedschaft<br />

auch beim „Institut für Sachverständigenwesen<br />

e.V./IFS), Köln.<br />

– zfs: Schriftleiter Dr. Greißinger;<br />

Mitglied im Redaktionsausschuß<br />

Ziegert; Herausgeber: Der Geschäftsführende<br />

Ausschuß der Ar-<br />

beitsgemeinschaft Verkehrsrecht.<br />

DAV-Verkehrsrechtsausschuß: Unveränderte<br />

Beteiligung der Arbeitsgemeinschaft<br />

beim Verkehrsrechtsausschuß<br />

des DAV mit Dr.<br />

Burmann, Fleischmann, Gebhardt<br />

und Dr. Greißinger, Vorsitzender ist<br />

der Regionalbeauftragte für Groß-<br />

Gerau, Höfle.<br />

Fleischmann und Gebhardt sind<br />

Dozenten der Anwaltsakademie,<br />

Gebhardt hat für die Arbeitsgemeinschaft<br />

auf dem Deutschen<br />

Sachverständigentag in Bonn am<br />

13.3.1998 referiert, Ziegert auf der<br />

Tagung der GFU in Köln.<br />

Stiewe hat die Arbeitsgemeinschaft<br />

bei der Einweihung der GTÜ in<br />

Berlin vertreten.<br />

Greißinger und Höfle haben im<br />

Bundesjustizministerium unsere<br />

Kritik gegen die geplante Änderung<br />

schadensersatzrechtlicher Vorschriften<br />

vorgetragen.<br />

Fleischmann und Hillmann haben<br />

ihr im Deutschen Anwaltsverlag erschienenes<br />

Buch zum Verkehrszivilrecht<br />

herausgebracht.<br />

12. Regionalbeauftragte<br />

Ursprünglich sollten die Regionalbeauftragten<br />

lediglich die regionalen<br />

Fortbildungsveranstaltungen betreuen.<br />

In der Zwischenzeit sind sie zu einem<br />

wichtigen Ratgeber für den Geschäftsführenden<br />

Ausschuß geworden.<br />

Dem Erfahrungsaustausch dient<br />

deshalb eine zweitägige jährliche Regionalbeauftragtentagung,<br />

die diesmal<br />

am 5./6.12.1997 mit 21 Teilnehmern in<br />

Halle/Saale stattfand.<br />

Bei unseren Regionalbeauftragten,<br />

den Kolleginnen Eifler, Neubrandenburg,<br />

und Wernet, München, sowie den<br />

Kollegen Dietz, Bad Hersfeld; Elsner,<br />

Hagen; Ficht, Nürnberg; Fleischmann,<br />

Hanau; Greißinger, Hannover; Häcker,<br />

Würzburg; Härtel, Freiburg; Hillmann<br />

III, Oldenburg; Höfle, Groß-Gerau;<br />

Hörl, Stuttgart; Rochow, Bad Bramstedt;<br />

Schultheis, Düsseldorf; Stiewe,<br />

Berlin; Wilde, Halle/Saale, sowie Ziegert,<br />

Hannover, darf ich mich für die<br />

auch im ablaufenden Jahr geleistete Arbeit<br />

recht herzlich bedanken.<br />

Frau Kollegin Wernet hat im Hinblick<br />

auf ihre – nicht zuletzt mit ihrem<br />

Amt als Vizepräsidentin des Deutschen<br />

Verkehrsgerichtstags zusammenhängende<br />

große Arbeitsbelastung gebeten,<br />

sie von ihrer Verpflichtung als<br />

Regionalbeauftragte zu entbinden.<br />

Herr Kollege Riedmayer, München,<br />

wird ihr nachfolgen.


594<br />

MN<br />

13. Geschäftsführender Ausschuß<br />

Mitglieder des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses sind wie bisher die Kollegin<br />

Wernet, München, die Kollegen<br />

Dr. Burmann, Erfurt; Fleischmann,<br />

Hanau; Dr. Greißinger, Hildesheim;<br />

Schultheis, Aachen; Ziegert, Lüneburg,<br />

sowie Gebhardt, Homburg/Saar.<br />

An unseren Sitzungen nehmen mit<br />

beratender Stimme darüber hinaus der<br />

Schriftleiter des MittBl und Ehrenmitglied<br />

Rechtsanwalt Dr. Chemnitz und<br />

als ständiger Gast und Vertreter des<br />

ADAC seit dem Ausscheiden des Kollegen<br />

Beck nun der Kollege Dr. Jung teil.<br />

Neben den jeweils anläßlich der<br />

überregionalen Veranstaltungen durchgeführten<br />

Sitzungen ist der Geschäftsführende<br />

Ausschuß zu 2 jeweils dreitägigen<br />

Arbeitssitzungen zusammengekommen:<br />

Am 19. bis 21.9.1997 in Piding/<br />

Oberbayern und am 13. bis 15.2.1998<br />

in Erfurt.<br />

Darüber hinaus haben alle Vorstandsmitglieder<br />

an der Regionalbeauftragtentagung<br />

in Halle/Saale und<br />

jeweils mindestens ein Mitglied des<br />

Vorstandes an den bedeutendsten deutschen<br />

verkehrsrechtlichen Veranstaltungen<br />

teilgenommen.<br />

Der Kollegin Wernet, München, sowie<br />

den Kollegen Dr. Burmann, Erfurt;<br />

Fleischmann, Hanau; Dr. Greißinger,<br />

Hildesheim; Schultheis,<br />

Aachen; Ziegert, Lüneburg, darf ich<br />

für ihre auch in diesem Jahr wieder geleistete<br />

hervorragende Arbeit ebenso<br />

danken wie für die loyale Zusammenarbeit.<br />

Bereits jetzt darf ich Sie darauf hinweisen,<br />

daß die ARGE ihr 20jähriges<br />

Bestehen im nächsten Jahr mit einem<br />

Festakt am 25.4.1999 in Würzburg feiern<br />

wird. Die Veranstaltung ist eingebettet<br />

in das Presseseminar und die<br />

Mitgliederversammlung (23.4.1999)<br />

sowie die am 24.4.1999 stattfindende<br />

Fortbildungsveranstaltung zur Rechtsprechung<br />

des BGH und die Verleihung<br />

des Richard-Spiegel-Preises. Ich<br />

bitte, den Termin jetzt schon vorzumerken.<br />

Ich kann nicht schließen ohne festzustellen,<br />

daß es unsere Arbeit erheblich<br />

erleichtern und unsere Arbeitsgemeinschaft<br />

stärken werde, wenn sich<br />

noch mehr Kolleginnen und Kollegen<br />

bereitfinden könnten, an verantwortlicher<br />

Stelle mitzuarbeiten. Dies kann<br />

auch in einem regional begrenzten<br />

Rahmen geschehen.<br />

Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt,<br />

Homburg/Saar<br />

Fortbildungsveranstaltung<br />

zum neuen Transportrecht<br />

Am 9.5.1998 veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht in<br />

Dortmund eine bundesweite Fortbildungsveranstaltung<br />

zum neuen Transportrecht,<br />

an der über 80 Kollegen teilnahmen.<br />

Durch das Transportrechtsreformgesetz,<br />

welches am 1.7.1998 in Kraft<br />

treten soll, wird das Transportrecht<br />

neu geordnet und die bisherige Zersplitterung<br />

der rechtlichen Regelung<br />

für nationale Gütertransporte beseitigt.<br />

Die bislang noch geltenden Sonderregelungen<br />

wie KVO oder GüKUMB<br />

entfallen. Die Referenten, Rechtsanwalt<br />

Detlef Neufang (Bonn) und<br />

Rechtsanwalt Dr. Jürgen Temme (Düsseldorf)<br />

stellten detailliert die wichtigsten<br />

Neuregelungen des Transportrechtsreformgesetzes<br />

dar. Hierbei bildeten<br />

die Haftungsregelungen einen<br />

Schwerpunkt. Breiten Raum nahmen<br />

auch die Erörterungen ein, inwieweit<br />

von den gesetzlichen Bestimmungen<br />

abweichende Regelungen in AGB’s zulässig<br />

sind. Die Neuregelungen sind<br />

nur noch teilweise dispositiv. Insbesondere<br />

die Bestimmungen über die<br />

Haftungen dem Grunde nach sind<br />

AGB-fest ausgestaltet. Lediglich die<br />

Haftungshöhe kann innerhalb eines<br />

vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmens<br />

durch AGB abweichend geregelt<br />

werden. Darüber hinaus sind Abweichungen<br />

von den gesetzlichen Regelungen<br />

nur noch dann möglich, wenn<br />

sie in Individualvereinbarungen getroffen<br />

werden.<br />

Die Arbeitsgemeinschaft wird sich<br />

auch in Zukunft mit den Problemen<br />

des Transportrechts beschäftigen. Für<br />

den 17.9.1998 ist in Frankfurt in Zusammenarbeit<br />

mit der Deutschen Verkehrszeitung<br />

(DVZ) ein Symposium<br />

zu Fragen des Transportrechts geplant.<br />

Gegenstand dieses Symposiums, welches<br />

sich sowohl an Anwälte wie auch<br />

Transporteure richtet, werden neben<br />

den haftungsrechtlichen Problemen<br />

des neuen Transportrechts auch die<br />

sich aus den Neuregelungen ergebenden<br />

versicherungsrechtlichen Konsequenzen<br />

sein. Darüber hinaus werden<br />

auch die Bußgeld- bzw. strafrechtlichen<br />

Konsequenzen bei Verstößen gegen<br />

die Gefahrgutverordnung erörtert<br />

werden *.<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Burmann,<br />

Erfurt<br />

* Anmerkung der Redaktion: Das<br />

Symposium am 17. September 1998 wurde<br />

mit erfreulicher Resonanz – ca. 100 Teilnehmer<br />

– in Frankfurt durchgeführt.<br />

AnwBl 11/98<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Erich<br />

Klinge€<br />

Am 30. September 1998 starb im<br />

Alter von 73 Jahren Rechtsanwalt<br />

Justizrat Dr. Erich Klinge.<br />

Erich Klinge war von 1978 bis<br />

1989 Vizepräsident des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s und gehörte dem DAV-<br />

Vorstand von 1971 bis 1990 an. Er<br />

war 20 Jahre lang von 1971 bis 1991<br />

Vorsitzender des Vereins der Rechtsanwälte<br />

Koblenz e.V. Von 1978 bis 1994<br />

stand er dem Anwaltsverband Rheinland-Pfalz<br />

vor. Darüber hinaus leitete<br />

Dr. Klinge das Kuratorium der Deutschen<br />

Anwaltakademie von 1980 bis<br />

1983 und von 1990 bis 1993.<br />

Dr. Klinge ist Träger der Justizrat-<br />

Dr.-Karl-Weber-Plakette, welche aus<br />

Anlaß des 40jährigen Bestehens der<br />

Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk<br />

Koblenz erstmals<br />

1987 gestiftet und ihm in diesem Jahr<br />

verliehen wurde.<br />

Erich Klinge, geboren in Wesel,<br />

schlug in Koblenz Wurzeln. Am<br />

20. Juli 1955 wurde er hier als Rechtsanwalt<br />

zugelassen, trat in die Kanzlei<br />

Dr. Brabeck ein und engagierte sich<br />

von Anfang an in beispielhafter Weise<br />

für seinen Berufsstand und für die<br />

Rechtspflege.<br />

Untrennbar verbunden mit seinem<br />

Namen ist das Beratungshilfegesetz,<br />

das auch Minderbemittelten erlaubt,<br />

sich außergerichtliche Beratung beim<br />

Anwalt ihrer Wahl zu holen. Justizrat<br />

Dr. Erich Klinge wird der „Vater“ dieses<br />

Gesetzes genannt, für das er lange<br />

kämpfte.<br />

Erich Klinge war ein nobler Anwalt<br />

und umfassend gebildet. Davon<br />

zeugen nicht zuletzt seine vielfältigen<br />

literarischen Aktivitäten.<br />

Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> wird<br />

das Gedenken an Erich Klinge bewahren.


AnwBl 11/98 595<br />

EUROPA<br />

Der Gerichtshof im Jahr 1997<br />

– Vorstellung des Jahresberichts des Gerichtshofes und des<br />

Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften<br />

für das Jahr 1997 –<br />

1997 hat der Gerichtshof starke Anstrengungen unternommen,<br />

um die bei ihm anhängigen Rechtssachen zügig<br />

zu bearbeiten. Diese Anstrengungen haben Früchte getragen:<br />

Der Gerichtshof hat 242 Urteile (gegenüber 193 im Jahr<br />

1996) und 135 Beschlüsse zur Erledigung von Rechtssachen<br />

erlassen (gegenüber ungefähr 100 im Vorjahr), dabei<br />

hat er 456 Rechtssachen abgeschlossen (gegenüber ungefähr<br />

350 im Jahr 1996), im selben Zeitraum sind bei ihm<br />

445 neue Rechtssachen eingegangen, am 31.12.1997 belief<br />

sich die Zahl der nicht erledigten Rechtssachen auf 683,<br />

was einem normalen Verlauf entspricht und keinen besorgniserregenden<br />

Rückstand anzeigt.<br />

1997 hat der Gerichtshof 168 Urteile erlassen, mit denen<br />

er von den nationalen Gerichten vorgelegte Vorabentscheidungsfragen<br />

beantwortet hat. Einige Beispiele zeigen die<br />

Bedeutung dieses Verfahrens für die Konstruktion der Gemeinschaft.<br />

So hat der Gerichtshof über die gemeinschaftsrechtliche<br />

Gültigkeit des schwedischen Alkoholgesetzes, das den Alkoholkonsum<br />

beschränken soll, entschieden. Er hat festgestellt,<br />

daß das in Schweden bestehende Monopol nicht<br />

benutzt werde, um die inländischen Erzeugnisse zu begünstigen.<br />

Sodann hat er bestätigt, daß das verfolgte Ziel der<br />

öffentlichen Gesundheit rechtmäßig sei. Daher hat er entschieden,<br />

daß das Monopol mit dem EG-Vertrag vereinbar<br />

sei. Dagegen hat er die Erlaubnisregelung beanstandet, die<br />

ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für den Handel darstelle.<br />

Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben<br />

ist ebenfalls ein Gegenstand, der gemeinschaftsrechtlich<br />

geregelt ist. Der Gerichtshof hat im vergangenen<br />

Jahr entschieden, daß eine Bestimmung, die Frauen gegenüber<br />

männlichen Bewerbern bevorzugt, erlaubt sein könne,<br />

wenn sie eine Öffnungsklausel enthalte, die eine Prüfung<br />

jedes Einzelfalls garantiere, um die den weiblichen Bewerbern<br />

eingeräumte Priorität dann nicht mehr gelten zu lassen,<br />

wenn eines oder mehrere Kriterien in bezug auf die<br />

Person des männlichen Bewerbers zu dessen Gunsten überwiegen.<br />

Die Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit<br />

wirken sich unmittelbar auf die Möglichkeit für die Arbeitnehmer<br />

und ihre Familienangehörigen aus, frei zu- oder abzuwandern.<br />

In mehreren Urteilen hat der Gerichtshof die<br />

Grundprinzipien dieser Materie angewandt. So sind die<br />

Staaten nach wie vor befugt, ihre Sozialpolitik festzulegen<br />

und die Höhe der Sozialleistungen zu bestimmen; sie dürfen<br />

aber keine Diskriminierungen der Staatsangehörigen<br />

anderer Mitgliedstaaten schaffen. Die Gemeinschaftsbürger,<br />

die innerhalb der Gemeinschaft z. B. als Arbeitnehmer,<br />

Studenten oder Ruhegehaltsempfänger zu- oder abwandern,<br />

verlieren nicht bestimmte Rechte etwa im Bereich der<br />

Krankenversicherung oder der Rente allein deshalb, weil<br />

sie ihren Wohnort ändern.<br />

Bezüglich der beim Gerichtshof erhobenen direkten<br />

Klagen ist insbesondere das Urteil zu erwähnen, mit dem<br />

der Gerichtshof Frankreich auf Klage der Kommission wegen<br />

der Passivität verurteilt hat, die seine Behörden jahrelang<br />

an den Tag gelegt hatten, als Privatpersonen Obst- und<br />

Gemüsetransporte aus den anderen Mitgliedstaaten blokkierten.<br />

Der Gerichtshof war der Auffassung, daß der freie<br />

Warenverkehr nicht nur die von den Staaten geschaffenen<br />

Handelsbeschränkungen verbiete, sondern es den Staaten<br />

auch untersage, vom Erlaß solcher Maßnahmen abzusehen,<br />

die erforderlich sind, um Beeinträchtigungen gleich welchen<br />

Ursprungs zu begegnen.<br />

In bezug auf die Ein- und Ausfuhr von Gas und Elektrizität<br />

hatte die Kommission beim Gerichtshof beantragt, die<br />

in vier Staaten aufrechterhaltenen Monopolsysteme wegen<br />

Beeinträchtigung des Gemeinsamen Marktes zu verurteilen.<br />

Die betroffenen Staaten machten zu ihrer Verteidigung geltend,<br />

ihr System sei erforderlich, um die Dienstleistung von<br />

allgemeinem Interesse, die die Verteilung von Energie darstelle,<br />

zu gewährleisten. Der Gerichtshof hat die Klage der<br />

Kommission mit der Begründung abgewiesen, der EG-Vertrag<br />

räume den Staaten bezüglich der Art und Weise, in der<br />

sie bestimmte Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem<br />

Interesse betrauen, einen gewissen Ermessensspielraum<br />

ein.<br />

Im Rechtsmittelverfahren schließlich können Urteile des<br />

Gerichts erster Instanz angefochten werden.<br />

Eine wachsende Zahl von Rechtsmitteln wird vom Gerichtshof<br />

durch Beschluß zurückgewiesen. Diese Entwicklung<br />

zeigt klar, daß das Rechtsmittelverfahren nicht zu<br />

einem Rechtszug systematischer Berufungen gegen die<br />

Urteile des Gerichts werden wird. Das Rechtsmittel bleibt<br />

somit ein besonderes Verfahren, das auf die Prüfung von<br />

Rechtsfragen ausgerichtet ist.<br />

1997 hat das Gericht 173 Rechtssachen erledigt. Darüber<br />

hinaus hat das Gericht Sitzungen in vier Serien von<br />

Rechtssachen auf dem Gebiet des Wettbewerbs (insgesamt<br />

82 Rechtssachen) vorbereitet, und zwar in den Bereichen<br />

Karton (Sitzungen vom 28.6. bis 10.7.1997), Zement, Stahlträger<br />

und PVC. Die Bearbeitung dieser vier Serien von<br />

Rechtssachen hat beträchtliche Ressourcen beansprucht.<br />

Beim Gericht sind umfangreiche Serien neuer Rechtssachen<br />

anhängig gemacht worden, wodurch sich die Zahl der<br />

neu eingegangenen Rechtssachen im Berichtsjahr auf insgesamt<br />

624 erhöhte (gegenüber 220 Rechtssachen im Vorjahr).<br />

295 dieser Rechtssachen wurden von Zollagenten eingereicht,<br />

die im wesentlichen auf Ersatz des Schadens<br />

klagen, der ihnen angeblich aufgrund der Vollendung des in<br />

der Einheitlichen Europäischen Akte vorgesehenen Binnenmarktes<br />

entstanden ist.<br />

Einige Beispiele zeigen die Bedeutung und die Vielfalt<br />

zahlreicher Rechtssachen, die beim Gericht anhängig gemacht<br />

wurden.<br />

Auf dem Gebiet des Wettbewerbs hat sich ein Urteil in<br />

bezug auf Mobilkranunternehmen insbesondere mit den Fri-


596<br />

sten befaßt, die die Kommission bei der Behandlung einer<br />

bei ihr anhängigen Sache einzuhalten hat. Das Gericht hat<br />

entschieden, es sei ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts,<br />

daß die Kommission beim Erlaß von Entscheidungen<br />

am Ende der Verwaltungsverfahren in Wettbewerbssachen<br />

eine angemessene Frist zu wahren habe.<br />

Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen hatte sich das<br />

Gericht zu einer Steuermaßnahme zu äußern, die der französische<br />

Staat zugunsten der Post, also einer Einrichtung, die<br />

auch im Wettbewerbsbereich tätig ist, angeordnet hatte.<br />

Nach Auffassung des Gerichts fiel die Maßnahme gemäß<br />

den Bestimmungen über Unternehmen, die mit Dienstleistungen<br />

von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut<br />

seien (Artikel 90 Abs. 2 EG-Vertrag), nicht unter das Beihilfenverbot.<br />

Sie solle nämlich nur die Mehrkosten ausgleichen,<br />

die sich aus der Erfüllung der besonderen Aufgaben der Post<br />

(Belieferung des gesamten Staatsgebiets und Leistung eines<br />

Beitrags zur Raumordnung) ergäben, und ihre Anordnung<br />

sei erforderlich, damit dieses Unternehmen seine Verpflichtungen<br />

als öffentlicher Dienstleistungserbringer unter wirtschaftlich<br />

tragbaren Bedingungen erfüllen könne. Ein gegen<br />

dieses Urteil beim Gerichtshof eingelegtes Rechtsmittel ist<br />

im März 1998 als unbegründet zurückgewiesen worden.<br />

Eine besondere Gruppe stellen die zahlreichen Schadensersatzklagen<br />

im Milchquotenbereich dar, die von Landwirten<br />

mehrerer Mitgliedstaaten im Anschluß an ein Urteil des Gerichtshofes<br />

erhoben wurden. Die Landwirte waren vorübergehend<br />

an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert worden.<br />

Das Gericht hat begonnen, diese Rechtssachen nach und<br />

nach zu erledigen, und sich insbesondere zu den Voraussetzungen<br />

für die Verjährung der Schadensersatzansprüche und<br />

zur Rechtsstellung einer Gruppe von Erzeugern geäußert, die<br />

nicht unter das genannte Urteil des Gerichtshofes fällt.<br />

Das Gericht hat auch die rechtliche Lage von Unternehmen<br />

geprüft, gegen die mit einer Entscheidung, die sie<br />

nicht rechtzeitig angefochten hatten, Sanktionen verhängt<br />

worden waren und die auf der Grundlage eines Urteils des<br />

Gerichtshofes, das diese Entscheidung auf Klage anderer<br />

Adressaten teilweise für nichtig erklärt hatte, eine erneute<br />

Prüfling der Entscheidung beantragten. Nach Auffassung<br />

des Gerichts ist die Kommission zu einer solchen erneuten<br />

Prüfling verpflichtet, wenn die Feststellung rechtswidriger<br />

Praktiken mit der Begründung für nichtig erklärt werde,<br />

daß diese Praktiken nicht bewiesen seien, und wenn dem<br />

betreffenden Unternehmen in der Entscheidung aufgrund<br />

derselben Tatsachen vorgeworfen werde, sich an diesen<br />

Praktiken beteiligt zu haben. Soweit die erneute Prüfung<br />

die Rechtswidrigkeit der Feststellung in bezug auf dieses<br />

Unternehmen ergebe, sei die Kommission außerdem verpflichtet,<br />

dem Unternehmen etwaige Geldbußen zu erstatten.<br />

Gegen dieses Urteil ist beim Gerichtshof Rechtsmittel<br />

eingelegt worden.<br />

Bezüglich des Zugangs der Öffentlichkeit zu Dokumenten<br />

der Gemeinschaftsorgane hat das Gericht schließlich seine<br />

1995 mit dem Urteil Carvel und Guardian Newspapers/Rat<br />

eingeleitete Rechtsprechung bestätigt und vervollständigt. Beabsichtigt<br />

die Kommission, den Zugang zu bestimmten Dokumenten<br />

zu verweigern, um die Geheimhaltung ihrer Beratungen<br />

zu wahren, so hat sie (gemäß ihrem Beschluß, der<br />

insoweit mit dem entsprechenden Beschluß des Rates übereinstimmt)<br />

ihr etwaiges Interesse an der Geheimhaltung gegen<br />

das Interesse abzuwägen, das der Bürger daran hat, den<br />

beantragten Zugang zu erhalten. Die Frage des Zugangs zu<br />

Dokumenten der Gemeinschaftsorgane führt übrigens zu einer<br />

zunehmenden Zahl von Klagen beim Gericht.<br />

AnwBl 11/98<br />

Europa<br />

Der Jahresbericht ist nur ein Teil des Angebots an Informationsmitteln,<br />

die der Gerichtshof zur Verfügung stellt. In<br />

diesem Zusammenhang möchten wir Sie insbesondere auf<br />

unsere Internet-Site hinweisen, über die der vollständige<br />

Wortlaut aller Urteile des Gerichtshofes und des Gerichts<br />

erster Instanz in den zwölf Amtssprachen verbreitet wird.<br />

Sie finden dort auch einen Kalender der vorgesehenen Tätigkeiten<br />

sowie die Pressemitteilungen und weitere Informationen<br />

von allgemeinem Interesse.<br />

Mitgeteilt durch die Presseabteilung des Europäischen<br />

Gerichtshofes in Luxemburg<br />

Europaweite Zulassung von Inkassobüros zum<br />

Mahnverfahren?<br />

Wird das deutsche Rechtsberatungsgesetz und das darin<br />

enthaltene Verbot der gerichtlichen Geltendmachung von<br />

Forderungen für Inkassobüros mit europäischer Hilfe<br />

durchlöchert?<br />

Im Vorfeld der Diskussion um den Richtlinienvorschlag<br />

der Kommission zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im<br />

Handelsverkehr (EG-ABl. C 168/1998, S. 13 ff.) stand tatsächlich<br />

zu befürchten, daß Inkassobüros zumindest bei der<br />

Durchführung von Mahnverfahren mit Rechtsanwälten<br />

gleichgestellt werden sollten. Zwar hat die Europäische<br />

Kommission unterdessen ihre Position bekräftigt, wonach<br />

sie mit diesem Richtlinienvorschlag die „Qualität und Kompetenz<br />

der Rechtsberufe nicht in Frage“ stellen wollte (vgl.<br />

Antwort auf die schriftliche Anfrage von MdEP Blott; EG-<br />

ABl. Nr. C 310 vom 9. Oktober 1998, S. 60 f.). Allerdings<br />

sieht der Vorschlag u. a. die Einführung eines „beschleunigten<br />

Beitreibungsverfahrens für unbestrittene Geldforderungen“<br />

in den Mitgliedstaaten vor, unter gleichzeitiger Möglichkeit<br />

des Gläubigers, sich von einer „dritten Person“<br />

vertreten zu lassen, verbunden mit einer europaweiten Zulassung<br />

von Inkassounternehmen. Praktisch hätte dies zu der<br />

oben erwähnten Konsequenz der Zulassung der Inkassounternehmen<br />

zum Mahnverfahren in Deutschland geführt.<br />

Das Europäische Parlament hat jedoch bei grundsätzlicher<br />

Billigung des Richtlinienvorschlags in erster Lesung<br />

am 17. September 1998 in Straßburg die Einwände ernstgenommen,<br />

die der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> in Brüssel zusammen<br />

mit seinen Kooperationspartnern Délégation des<br />

Barreaux de France und Consejo General de la Abogacia<br />

Española gegen den Vorschlag vorgebracht hat (vgl.<br />

AnwBl 1998, 261 ff.) und nunmehr klargestellt, daß nach<br />

seiner Auffassung die nationalen Regelungen zur anwaltlichen<br />

Vertretung im gerichtlichen Verfahren von dieser<br />

Richtlinie unberührt bleiben sollen.<br />

Es bleibt abzuwarten, welche Fassung der Richtlinienvorschlag<br />

bei den nunmehr anstehenden Beratungen im Rat<br />

der Europäischen Union annehmen wird (zum Verfahren<br />

vgl. Art. 189 b EGV).<br />

Der Richtlinienvorschlag mit den Änderungen des Europäischen<br />

Parlaments kann beim DAV Büro Brüssel angefordert<br />

werden, per Telefax: +32-2-280.28.13 oder per elektronischer<br />

Post: bruessel@anwaltverein.de.<br />

Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., DAV Büro Brüssel


AnwBl 11/98 597<br />

6<br />

Umrechnungs- und Rundungsregeln<br />

im Zusammenhang mit der Umstellung<br />

auf den Euro<br />

Steuerberater Dr. Martin Strahl, Köln *<br />

1. Problemstellung<br />

Nach dem 31.12.1998 können steuerliche Aufzeichnungen<br />

oder Bücher wahlweise in DM oder in Euro geführt<br />

werden. Ebenso kann erstmals für 1999 die steuerliche Ergebnisermittlung<br />

– unabhängig davon, ob es sich um eine<br />

Einnahmenüberschußrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG<br />

oder einen Jahresabschlusses nach § 4 Abs. 1 EStG handelt<br />

– in DM oder in Euro erfolgen. Spätestens zum 1.1.2002<br />

muß die Umstellung auf den Euro vorgenommen werden.<br />

Wird bereits zuvor für den Euro als Größe der Rechnungslegung<br />

optiert, ist die Währungsumrechnung nach Maßgabe<br />

EU-einheitlicher Regeln vorzunehmen. Ihrer Darstellung<br />

und Erläuterung ist der folgende Beitrag gewidmet.<br />

2. Umrechnung von DM in Euro und umgekehrt<br />

Die Umrechnungsregeln sind in Art. 4 Abs. 1 der EG-<br />

Verordnung 1103/97 vom 17.6.1997, AmtBl. EG L 162, S.<br />

1 (= EWS 1997, 263), festgelegt worden. Danach wird der<br />

Umrechnungskurs als Betrag der jeweiligen nationalen<br />

Währung eines Teilnehmerstaates ausgedrückt, der einem<br />

Euro entspricht. Er wird mit sechs signifikanten Stellen<br />

(einschließlich der Vorkommastellen) angegeben. Die exakten<br />

Umrechnungskurse werden erst am 1.1.1999 durch den<br />

Europäischen Rat festgelegt, so daß sie zum gegenwärtigen<br />

Zeitpunkt noch nicht bekannt sind. Sie können aber recht<br />

genau geschätzt werden, weil am 1.1.1999 eine Ecu zu<br />

einem Euro wird und der Durchschnittswert der Ecu, in<br />

den Währungen der Mitgliedstaaten ausgedrückt, nur geringfügigen<br />

Schwankungen unterliegt.<br />

Die Festlegung des Kurses mit sechs signifikanten Stellen<br />

bedeutet in bezug auf die DM, daß sie mit einer Vorkomma-<br />

und fünf Nachkommastellen erfolgt, z. B. 1 Euro =<br />

1,97632 DM. Demgegenüber wird der Kurs der spanischen<br />

Währung mit drei Vorkomma- und drei Nachkommastellen<br />

bekanntgegeben, z. B. 1 Euro = 202,137 Ptas. Die italienische<br />

Lira wird mit vier Vorkomma- und zwei Nachkommastellen<br />

im Verhältnis zu einem Euro festgelegt, z. B.<br />

1 Euro = 1.942,03 Lit., während die Kursangabe des<br />

irischen Pfundes sechs Nachkommastellen beinhaltet, z. B.<br />

1 Euro = 0,771961 Ir £. Zwar werden in der Fachliteratur<br />

derzeit verschiedene Umrechnungskurse für die DM<br />

genannt, doch kann davon ausgegangen werden, daß der<br />

maßgebliche Kurs zum 1.1.1999 nicht weit von den Wertverhältnissen<br />

zum 31.12.1997 abweichen wird. Zu diesem<br />

Zeitpunkt betrug der Kurs 1,97632 DM je Euro, vgl. das<br />

Gemeinsame Kommuniqué zur Festlegung der unwiderruflichen<br />

Umrechnungskurse für den Euro v. 3.5.1998, in:<br />

Rechtliche Grundlagen zur Einführung der Euro-Währung,<br />

Düsseldorf 1998, 921.<br />

l<br />

Bei der Durchführung von Währungsumrechnungen dürfen<br />

die festgelegten Kurse weder gerundet noch um eine<br />

oder mehrere Stellen gekürzt werden, vgl. Art. 4 Abs. 2 der<br />

EG-Verordnung 1103/97. Durch diese Maßgabe wird sichergestellt,<br />

daß Verzerrungen – die sich im Normalfall allerdings<br />

nur im Pfennigbereich bewegen würden – aufgrund<br />

der Währungsumrechnung vermieden werden.<br />

Die festgelegten Umrechnungskurse finden sowohl für<br />

Umrechnungen des Euro in nationale Währungseinheiten<br />

als auch umgekehrt Anwendung. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />

daß aus ihnen abgeleitete inverse Kurse (z. B. 1 DM =<br />

0,50599 Euro) nicht zugelassen sind, vgl. Art. 4 Abs. 3 der<br />

EG-Verordnung 1103/97. Auch diese Regelung dient dem<br />

Ziel, Wertverschiebungen aufgrund der Umstellung auf den<br />

Euro auszuschließen.<br />

Für die praktische Anwendung bedeutet dies, daß die<br />

Umrechnung der nationalen Währungseinheit (z. B. DM) in<br />

Euro im Wege der Division des jeweiligen DM-Betrages<br />

durch den Umrechnungskurs erfolgt. Soll demgegenüber<br />

ein in Euro ausgedrückter Betrag in die nationale Währung<br />

umgerechnet werden, ist er mit dem Umrechnungskurs zu<br />

multiplizieren. Aufgrund des Verbotes der Anwendung inverser<br />

Kurse ist es hingegen unzulässig, den Euro-Betrag<br />

durch den inversen Kurs zu dividieren oder den DM-Betrag<br />

mit dem inversen Kurs zu multiplizieren, um den Ausdruck<br />

in der jeweils anderen Währungseinheit zu erhalten.<br />

Ist die Umrechnung abgeschlossen, erfolgt in einem<br />

weiteren Schritt die Auf- oder Abrundung des Ergebnisses<br />

auf die entsprechende Untereinheit (bei Umrechnung in<br />

Euro also auf Cent, bei Umrechnung in DM auf Pfennige).<br />

Aufzurunden ist, wenn die Anwendung des Umrechnungskurses<br />

zu einem Resultat genau in der Mitte oder oberhalb<br />

der Mitte führt, anderenfalls ist abzurunden, vgl. Art. 5 der<br />

EG-Verordnung 1103/97.<br />

Zur Verdeutlichung der Umrechnungs- und Rundungsregeln<br />

dienen die folgenden Beispiele, denen ein Kurs von<br />

1,97632 DM je Euro zugrunde gelegt wird:<br />

Beispiel 1: Im Jahre 1999 führt der Rechtsanwalt X<br />

seine Aufzeichnungen noch in DM. Er bezieht einen neuen<br />

Schreibtisch von einer Möbelwerkstatt, die bereits auf Euro<br />

umgestellt hat. Zur Erfassung in der Anlagenbuchhaltung<br />

muß der Rechnungsbetrag von (angenommen) 5.221,50<br />

Euro in DM umgerechnet werden.<br />

N Umrechnung Euro in DM:<br />

5.221,50 Euro x 1,97632 DM/Euro = 10.319,35488 DM<br />

gerundet: 10.319,35 DM.<br />

(Die Verwendung des inversen Kurses 0,50599 Euro/<br />

DM hätte statt dessen 10.319,37 DM ergeben. Diese<br />

Abweichung ist zwar geringfügig, doch resultiert sie<br />

nur aus einem einzigen Geschäftsvorfall. Mit der Zahl<br />

der Geschäftsvorfälle vervielfachen sich die Abweichungen.)<br />

Beispiel 2: Es sei unterstellt, daß die Buchführung des<br />

Rechtsanwalts X zum 1.1.2000 auf den Euro umgestellt<br />

* Sozietät Felix €, Carlé, Korn, Stahl, Heißenberg, Kupfer, Köln


598<br />

l<br />

wird. Daraus ergibt sich das Erfordernis, weiterhin auf DM<br />

lautende Eingangsrechnungen in Euro umzurechnen. Es<br />

geht eine Rechnung über 7.412,56 DM ein.<br />

N Umrechnung DM in Euro:<br />

7.412,56 DM : 1,97632 DM/Euro = 3.750,68815 Euro<br />

gerundet: 3.750,69 Euro.<br />

(Hier beläuft sich die Abweichung bei Anwendung<br />

des inversen Kurses auf einen Cent.)<br />

3. Umrechnung der nationalen Währung eines Teilnehmerstaates<br />

in DM und umgekehrt<br />

Nach dem 31.12.1998 sind Umrechnungen zwischen nationalen<br />

Währungen verschiedener an der Europäischen<br />

Währungsunion teilnehmender Staaten zwingend in einem<br />

zweistufigen Verfahren durchzuführen. Es ist folglich nicht<br />

mehr zulässig, z. B. DM unmittelbar in niederländische<br />

Gulden umzurechnen. Vielmehr ist zunächst der Ausgangsbetrag<br />

in Euro auszudrücken. Der ermittelte Euro-Betrag<br />

darf auf drei Dezimalstellen gerundet werden (Wahlrecht)<br />

und ist dann in einem zweiten Schritt in die gewünschte<br />

Währung zu transformieren, vgl. Art. 4 Abs. 4 der EG-Verordnung<br />

1103/97. Auch dieses Verfahren sei an einem Beispiel<br />

verdeutlicht:<br />

Der in Nürnberg ansässige Rechtsanwalt Y, der in 1999<br />

seine Bücher noch in DM führt, bezieht Fachliteratur von<br />

einem österreichischen Verlag, der in Schilling fakturiert.<br />

Rechnungsbetrag: 5.200 öS. Dieser Betrag ist wie folgt in<br />

DM umzurechnen:<br />

N 1. Schritt: Umrechnung Schilling in Euro:<br />

5.200 öS : 13,9020 öS/Euro = 374,04690 Euro<br />

N 2. Schritt: Umrechnung Euro in DM:<br />

374,04690 Euro x 1,97632 DM/Euro =739,23637 DM<br />

gerundet: 739,24 DM.<br />

(Alternativ darf der Euro-Betrag vor der Umrechnung<br />

in DM auf drei Nachkommastellen gerundet werden:<br />

374,047 Euro x 1,97632 DM/Euro = 739,23657 DM<br />

gerundet: 739,24 DM.)<br />

4. Umrechnung der nationalen Währung eines<br />

Drittlandes in DM und umgekehrt<br />

Auch wenn ein in der Währung eines Drittlandes (dazu<br />

gehören sämtliche Nicht-EU-Mitgliedstaaten sowie Großbritannien,<br />

Griechenland, Dänemark und Schweden) ausgedrückter<br />

Betrag in DM oder umgekehrt umzurechnen ist,<br />

muß wie oben unter Punkt (3) dargestellt verfahren werden,<br />

d. h. die Währungsumrechnung ist stets in einem zweistufigen<br />

Verfahren über den Euro vorzunehmen.<br />

Verkehrsrecht<br />

Empfehlungen für die Kfz-Schadenregulierung<br />

Schlichtungsausschuß – Erläuterungen *<br />

Der Schlichtungsausschuß faßt die bisher gegebene Erläuterung<br />

der Empfehlungen wie folgt zusammen:<br />

1. Rechtsanwälte und Kfz-Haftpflichtversicherer bemühen<br />

sich um eine zügige, rationelle und kostengünstige<br />

Unfallschadenregulierung.<br />

AnwBl 11/98<br />

Mitteilungen<br />

Die zügige, rationelle und kostengünstige Schadenregulierung<br />

liegt im Interesse aller Beteiligten, also der Geschädigten<br />

und ihrer Anwälte, aber auch der Versicherer und ihrer<br />

Versicherungsnehmer. Unnötiger, somit kostspieliger<br />

und zeitaufwendiger Arbeitsaufwand ist zu vermeiden.<br />

Höhere Kosten gehen nicht nur zu Lasten der Beteiligten,<br />

sondern auch der Versichertengemeinschaft. Die Gebührenregelung<br />

ist ein wichtiger Teil der Verhaltens- und Abrechnungsgrundsätze.<br />

Die sonstigen Empfehlungen stehen ihr<br />

indes gleichwertig gegenüber.<br />

In diesem Sinne sollte die telefonische Schadenregulierung<br />

stärker genutzt werden, insbesondere dann, wenn<br />

Grund und Höhe strittig sind, da durch ein Telefongespräch<br />

eine vergleichsweise Regelung leichter herbeizuführen ist<br />

als durch Korrespondenz.<br />

Stärker genutzt werden sollte zudem das Telefax, wenn<br />

geeignet, mit handschriftlicher Antwort oder Notiz durch<br />

Rückfax, was die Bearbeitungsvorgänge vereinfacht.<br />

Auch bei vereinfachter Schadenregulierung sollen Mindestanforderungen<br />

gewahrt werden, etwa durch eine nachvollziehbare<br />

Abrechnung, wenn die Zahlung von der Anspruchsbezifferung<br />

abweicht.<br />

2.Verhandlungen mit dem Geschädigten, insbesondere<br />

Vergleichsverhandlungen, sollen von Vertretern der betreffenden<br />

Versicherung nur mit dem vom Geschädigten<br />

bestellten Rechtsanwalt geführt werden.<br />

Wenn direkter Kontakt mit dem Geschädigten erforderlich<br />

ist, z. B. zwecks Besichtigung das Unfallfahrzeugs,<br />

soll dies nur nach vorheriger Verständigung des beauftragten<br />

Anwalts geschehen; denn auch bei solchen Vorgängen<br />

kann juristischer Rat an den Mandanten für dessen richtiges<br />

Verhalten erforderlich sein. Direkte Kontakte, insbesondere<br />

Verhandlungen, stören im übrigen das Mandatsverhältnis,<br />

widersprechen aber auch einer fairen Schadenregulierung.<br />

Unter Verhandlungen sind Gespräche des Versicherers mit<br />

dem Geschädigten zur Erledigung des Schadenfalles zu verstehen,<br />

nicht die bloße Weitergabe von Informationen, so<br />

z. B. des Haussachverständigen über den Minderwert, Restwert<br />

u. a. m.<br />

3. Vor Beauftragung eines Sachverständigen soll der<br />

Rechtsanwalt, wenn die Wahrung der Interessen seines<br />

Mandanten dies zuläßt, mit dem Versicherer prüfen, ob<br />

die Beauftragung erforderlich ist. Entsprechendes gilt<br />

für weitere Fragen der Schadenminderung (z. B. Unfallfinanzierung,<br />

Anmietung eines Mietwagens).<br />

Diese Empfehlung ist Ausgestaltung der Empfehlung in<br />

Ziffer 1. Klargestellt wird, daß das Mandanteninteresse im<br />

Vordergrund steht. Allein daran hat sich das Verhalten des<br />

Anwalts zu orientieren. Dem widerspricht nicht Ziffer 3<br />

der Empfehlungen. Ist nämlich eine Beweissicherung durch<br />

einen Sachverständigen überflüssig, dann könnte die Einholung<br />

eines Sachverständigengutachtens gegen die Schadenminderungspflicht<br />

gem. § 254 Abs. 2 BGB verstoßen.<br />

Bei großen und schwierigen Schäden (möglicher Totalschaden,<br />

130%-Grenze usw.) entspricht es regelmäßig dem<br />

Mandanteninteresse, ein Sachverständigengutachten einzuholen.<br />

* Der Wortlaut der Empfehlungen ist fettgedruckt. Die Empfehlungen wurden<br />

bislang veröffentlicht in der zfs (Zeitschrift für Schadensrecht) 1994, 393 und<br />

im AnwBl 1993, 474; 1991, 480; 1991, 150. Fortschreibungen insbesondere<br />

zum Kreis der beteiligten Versicherer finden sich im AnwBl 1997, 112; 1996,<br />

533; 1995, 366 und 94. Zum Schlichtungsausschuß für die Empfehlungen sei<br />

verwiesen auf AnwBl 1995, 366; 1996, 281 sowie zfs 1996, 122; 1997, 84 und<br />

163; 1998, 201.


AnwBl 11/98 599<br />

Mitteilungen l<br />

Der Schaden ist, soweit vertretbar, zu begrenzen. Dies<br />

wird vor allem bei Sachfolgeschäden in Betracht kommen.<br />

Alle Beteiligten sind in die Pflicht genommen, auch der<br />

Geschädigte und sein Anwalt. Das erfordert schon die<br />

Schadenminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB).<br />

Bei kleineren, auch für den Laien offensichtlichen Einfachschäden,<br />

z. B. Blechschäden, bei denen erkennbar dahinterliegende<br />

oder tragende Fahrzeugteile nicht betroffen<br />

sind, reicht die Vorlage des Kostenvoranschlags einer qualifizierten<br />

Fachwerkstatt oder der Reparaturrechnung statt<br />

eines Sachverständigengutachtens. Häufig wird ein Anwalt<br />

erst eingeschaltet, wenn der Mandant oder für ihn die Reparaturwerkstatt<br />

bereits einen Sachverständigen mit der Schadenschätzung<br />

beauftragt hat. In diesen Fällen ist gleichwohl,<br />

den Empfehlungen entsprechend, zu verfahren. Ein<br />

Verstoß gegen Ziffer 3. liegt nicht vor, denn vor Mandatserteilung<br />

kann sich der Anwalt mit dem Versicherer nicht abstimmen.<br />

Was Einfachschäden sind, wird in der Praxis bisher unterschiedlich<br />

gehandhabt. Teilweise wird auf die Begutachtung<br />

bei zu erwartenden Reparaturkosten von nicht mehr<br />

als 1.000 DM, teilweise von nicht mehr als 2.000 DM verzichtet.<br />

Eine einheitliche Linie ist wünschenswert. Die Gesellschaften,<br />

die den Empfehlungen entsprechend regulieren,<br />

erwägen nun, bei Reparaturkosten bis zu 3.000 DM an<br />

Fahrzeugen, die nicht älter als 5 Jahre sind, grundsätzlich<br />

(Stichproben sind zulässig) auf die Hinzuziehung eines<br />

Sachverständigen zu verzichten, wenn der Geschädigte den<br />

Kostenvoranschlag einer qualifizierten Fachwerkstatt vorlegt.<br />

Die dadurch entstehenden Kosten werden dann erstattet,<br />

sofern nicht die Reparatur durchgeführt wird und die<br />

Kosten damit verrechnet werden können.<br />

Vor einer Unfallfinanzierung muß dem Versicherer Gelegenheit<br />

gegeben werden, angemessenen Vorschuß zu zahlen,<br />

wenn nicht ausnahmsweise das Mandanteninteresse<br />

eine sofortige Unfallfinanzierung nötig macht.<br />

Der Anwalt sollte mit dem Mandanten, der erwägt, einen<br />

Mietwagen zu nehmen, erörtern, ob dies notwendig ist,<br />

gegebenenfalls auch insoweit Kontakt zum Versicherer aufnehmen,<br />

besonders im Hinblick auf Abschluß eines Mietvertrags<br />

zu günstigen Preisen.<br />

4. Anwälte sollten für die Anmeldung von Kfz-Haftpflichtschäden<br />

den zwischen dem DAV und dem Gesamtverband<br />

der Deutschen Versicherungswirtschaft – früher<br />

HUK-Verband – vereinbarten einheitlichen Fragebogen<br />

für Anspruchsteller verwenden.Versicherer sollten in diesem<br />

Falle auf die Verwendung eines eigenen Fragebogens<br />

verzichten.<br />

Der vom ehemaligen HUK-Verband – jetzt GDV – und<br />

dem DAV erarbeitete einheitliche Geschädigten-Fragebogen<br />

soll der beiderseitigen Arbeitserleichterung im Sinne von<br />

Ziffer 1. dienen. Seine Verwendung gewährleistet, daß die<br />

Korrespondenz im Regelfall minimiert werden kann, weil<br />

sich bei vollständiger Beantwortung der Fragen Rückfragen<br />

im allgemeinen erübrigen. Der Fragebogen wird demnächst<br />

inhaltlich vereinfacht und EDV-gerecht überarbeitet.<br />

5. Der Name des Sachbearbeiters sowohl der bevollmächtigten<br />

Anwaltskanzlei als auch der Versicherung<br />

soll aus der Korrespondenz erkennbar sein.<br />

Das gilt im übrigen auch für die Bezeichnung der Parteien.<br />

Die bloße Angabe von Aktenzeichen und Schadennummern<br />

ist nicht hinreichend und führt zu Schwierigkeiten,<br />

wenn auch nur eine Ziffer oder ein Buchstabe versehentlich<br />

falsch ist oder weggelassen wird.<br />

Die Empfehlung dient der Beschleunigung, insbesondere<br />

auch bei telefonischer Kontaktaufnahme. Deshalb sollte<br />

auch die Telefondurchwahlnummer angegeben werden.<br />

6. Rechtsanwälte und Kraftfahrtversicherer sollten im<br />

Falle eines Anrufs, der den jeweiligen Partner nicht erreicht,<br />

unverzüglich zurückrufen.<br />

Diese Empfehlung wird noch unzureichend befolgt,<br />

weshalb immer noch zeit- und kostenaufwendig korrespondiert<br />

werden muß.<br />

7. Vielfältige und häufige Meinungsverschiedenheiten<br />

zwischen Versicherern und Rechtsanwälten über Art und<br />

Höhe der bei außergerichtlichen Unfallschadenregulierungen<br />

zu ersetzenden Anwaltsgebühren stellen für beide<br />

Seiten eine unerfreuliche und unrationelle Belastung dar.<br />

Die Gebührenpauschalierung betrifft nur die Höhe der<br />

Gebühren, nicht auch den Grund, also die Frage der Erstattungsfähigkeit.<br />

Sie richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.<br />

Die Regulierungsempfehlungen beziehen sich nach ihrem<br />

Wortlaut nur auf Rechtsanwälte, nicht auch auf verkammerte<br />

Rechtsbeistände.<br />

Für beide Seiten machen die Empfehlungen nur Sinn,<br />

wenn sie strikt angewendet werden.<br />

Zur Vermeidung solcher Meinungsverschiedenheiten<br />

und im Interesse einer außergerichtlichen Schadenregulierung<br />

wird wie folgt verfahren:<br />

a) Im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt des<br />

Geschädigten und dem Kfz-Haftpflichtversicherer des<br />

Schädigers zahlt der Versicherer dem Rechtsanwalt<br />

anstelle der ihm nach den §§ 118, 22, 23, 31 BRAGO<br />

entstandenen Gebühren, unabhängig davon, ob ein Vergleich<br />

geschlossen wurde oder eine Besprechung stattgefunden<br />

hat, einen einheitlichen Pauschbetrag in Höhe<br />

einer 15/10-Gebühr nach dem Erledigungswert der Angelegenheit.<br />

Sind Gegenstand der Regulierung (auch) Körperschäden,<br />

erhöht sich die Gebühr ab einem Gesamterledigungswert<br />

von 20.000 DM auf 17,5/10.<br />

Erledigungswert ist grundsätzlich der gezahlte Betrag.<br />

Das gilt auch bei Abrechnung auf Totalschadenbasis. Besteht<br />

offenkundig Anspruch auf Neuwagenentschädigung<br />

(BGH NJW 82, 433), so ist Erledigungswert der (eventuell<br />

rabattierte) Neupreis. Das gilt auch, wenn unter Verzicht<br />

auf Neuwagenanschaffung repariert wird. Berechtigte Feststellungsansprüche<br />

können zur Erhöhung des Erledigungswertes<br />

führen.<br />

Die Empfehlung ist keine eigene Rechtsquelle für den<br />

Gebührenanspruch. Ob die Gebühren als Sachfolgeschaden<br />

zu erstatten sind, richtet sich nach dem allgemeinen Schadenersatzrecht.<br />

Die Gebührenpauschalierung ist eine<br />

Mischkalkulation. Unerheblich ist, ob Besprechungen in<br />

der später nicht zu realisierenden Erwartung durchgeführt<br />

werden, die Anwaltskosten seien, den Empfehlungen entsprechend,<br />

abzurechnen und eine gesonderte Besprechungsgebühr<br />

falle nicht an. Dann ist dennoch nach BRAGO abzurechnen.<br />

Sie kann sich deshalb im konkreten Einzelfall<br />

auch zu Lasten des Anwalts oder des Versicherers auswirken.<br />

Pauschaliert wird die Höhe des Gebührensatzes. Er besagt<br />

nichts über den Gegenstandswert im Hinblick auf ein<br />

Anerkenntnis etwa betreffend Zukunftsschaden. Er richtet<br />

sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Bei anerkanntem<br />

Zukunftsschaden kann trotz des Vorbehalts abgerechnet<br />

werden.


600<br />

l<br />

Der Versicherer sollte den Rechtsanwalt über an Dritte,<br />

etwa aufgrund Sicherungsabtretung, geleistete Zahlungen<br />

informieren. Das gebieten Sinn und Zweck der Regulierungsempfehlungen.<br />

Wie dem Wortlaut zu entnehmen ist, betrifft die Gebührenpauschalierung<br />

lediglich das Verhältnis zwischen dem<br />

Rechtsanwalt des Geschädigten und dem Kfz-Haftpflichtversicherer,<br />

nicht auch das zu seinem Mandanten, obgleich<br />

der Anwalt einen Gebührenanspruch nur ihm gegenüber<br />

hat, der, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, erstattungsfähig<br />

ist. Diese Empfehlung darf aber nicht zu des Mandanten<br />

oder seines Rechtsschutzversicherers Lasten angewendet<br />

werden. Wenn also der Anwalt nach den<br />

Regulierungsempfehlungen verfährt und sich im Einzelfall<br />

höhere gesetzliche Gebühren ergeben, kann er die Differenz<br />

von seinem Auftraggeber dann nicht verlangen, wenn<br />

sie nur darauf zurückzuführen ist, daß die Pauschale eben<br />

geringer als die gesetzlichen Gebühren ist. Anderes kann<br />

freilich gelten, wenn sich die Differenz aus unterschiedlichen<br />

Geschäftswerten ergibt, d. h. der Erledigungswert und<br />

der am Mandat auszurichtende Geschäftswert nicht übereinstimmen.<br />

Maßgebend ist also das Mandatsverhältnis.<br />

Vor der Mandatserteilung geleistete Vorschußzahlungen<br />

sind in den Erledigungswert einzurechnen, es sei denn, daß<br />

dadurch bestimmte Schadenposten schon vollständig reguliert<br />

sind.<br />

Durch Abgeltung sowohl der Gebühr des § 118 Abs. 1<br />

Nr. 2 als auch des § 23 BRAGO ist die Möglichkeit eröffnet,<br />

sich auch über geringfügige Differenzen zu einigen.<br />

Nach dem Wortlaut von Ziffer 7. a) ist durch die Gebührenpauschalierung<br />

auch die Hebegebühr des § 22 BRAGO<br />

mit abgegolten. Dies gilt auch dann, wenn der Anwalt unter<br />

Angabe der Bankverbindung gebeten hat, die einzelnen<br />

Schadenbeträge direkt dem Geschädigten zu überweisen.<br />

Die Gebührenpauschale, die mit der Gesamtschadensabrechnung<br />

oder auch nach Übersendung der Gebührenrechnung<br />

gezahlt wird, muß dann verrechnet werden, wenn die<br />

Angelegenheit später doch noch – auch prozessual – weiterverfolgt<br />

wird. Es ist arbeits- und kostensparend, wenn<br />

mit der vermuteten letzten Zahlung, auch ohne daß bereits<br />

eine Gebührenrechnung vorliegt, die Pauschale bereits beglichen<br />

wird. Gegebenenfalls sind also überzahlte Beträge<br />

zu erstatten.<br />

Nach dem Wortlaut der Regulierungsempfehlungen ist<br />

die Zahlung eines Vorschusses auf die Gebührenpauschale<br />

auch für sich lange hinziehende Schadenregulierungen<br />

nicht geregelt. In Ausnahmefällen sollte jedoch, z. B. bei<br />

einer Regulierungsdauer von mehr als einem Jahr, ein Vorschuß<br />

bis zur Höhe von 10/10 nach dem regulierten Betrag<br />

beansprucht werden können.<br />

Die Gebührenpauschalierung ist auch auf Eigenvertretung<br />

des Rechtsanwalts anwendbar. Im übrigen gelten die<br />

allgemeinen Grundsätze.<br />

b) Wird der Rechtsanwalt in einem Haftpflichtschadenfall<br />

auch mit der Abwicklung des Kaskoschadens beauftragt,<br />

dann wird der Erledigungswert angesetzt, der<br />

ohne Inanspruchnahme der Kaskoversicherung in Ansatz<br />

käme.<br />

Diese Regelung betrifft die Fälle, in denen zunächst der<br />

Kaskoversicherer über den Rechtsanwalt in Anspruch genommen<br />

wird. Um eine Diskussion über die Höhe des Gegenstandswertes<br />

zu vermeiden, soll der Geschädigte so ge-<br />

AnwBl 11/98<br />

Mitteilungen<br />

stellt werden, als würde auch der Fahrzeugschaden im<br />

Rahmen der Haftungsquote gegenüber dem Haftpflichtversicherer<br />

geltend gemacht.<br />

c) Vertritt der Rechtsanwalt mehrere durch ein Schadenereignis<br />

Geschädigte, so errechnet sich der zu ersetzende<br />

Pauschbetrag aus der Summe der Erledigungswerte.<br />

Er erhöht sich in diesen Fällen auf 20/10; betrifft die<br />

Regulierung (auch) Körperschäden, auf 22,5/10 ab einem<br />

Gesamterledigungswert von 20.000 DM.<br />

Die Empfehlungen sehen eine Begrenzung des Erledigungswertes<br />

der Höhe nach nicht vor, doch ist die Pauschalgebühr<br />

ab einem Wert von 20.000 DM auf 17,5/10 zu<br />

erhöhen, wenn auch Körperschäden Gegenstand der Regulierung<br />

sind. Das gilt für ab 1. Juli 1994 erteilte Mandats.<br />

Ziffer 7. c) gilt auch dann, wenn zwei Unfallbeteiligte<br />

denselben Anwalt, z. B. Fahrer und Beifahrer, aus gutem<br />

Grund unabhängig voneinander beauftragen. Es kommt<br />

nicht darauf an, ob das Mandat gemeinsam oder getrennt<br />

erteilt wird. Gerade um Streit darüber, ob es sich um eine<br />

oder mehrere Angelegenheiten handelt, zu vermeiden, wurden<br />

die Regulierungsempfehlungen so gefaßt.<br />

Eine Angelegenheit im Sinne der Regulierungsempfehlungen<br />

liegt sogar dann vor, wenn es sich um Ansprüche<br />

mehrerer Personen handelt, die am selben Unfall beteiligt<br />

waren, sich aber in verschiedenen Fahrzeugen befanden.<br />

Ein Anwendungsfall von Ziffer 7. liegt dann nicht vor,<br />

wenn eine einheitliche Forderung geltend gemacht wird,<br />

die mehreren zusteht (z. B. Beschädigung eines Fahrzeugs,<br />

das mehreren Eigentümern gehört).<br />

d) Auslagen werden dem Rechtsanwalt nach den gesetzlichen<br />

Vorschriften ersetzt. Mehrwertsteuer auf die<br />

Anwaltskosten wird nicht ersetzt, wenn der Geschädigte<br />

vorsteuerabzugsberechtigt ist.<br />

Wenn der Anwalt mehrere Geschädigte vertritt, kann<br />

die Auslagenpauschale des § 26 BRAGO nur einmal verlangt<br />

werden; denn es handelt sich um eine Angelegenheit<br />

im Sinne der Regulierungsempfehlungen.<br />

Zu den zu ersetzenden Auslagen gehört auch die Akteneinsichtspauschale<br />

gem. Nr. 9003 Anl. 1 zu § 11 Abs. 1<br />

GKG von 15 DM; denn es handelt sich um Rechtsverfolgungskosten.<br />

Anders ist dies dann, wenn der Anwalt seinen<br />

Mandanten auch verteidigt, also ohnehin Akteneinsicht erforderlich<br />

ist.<br />

Wenn bei mehreren Auftraggebern unterschiedliche<br />

Mehrwertsteuerpflicht besteht, also z. B. einer vorsteuerabzugsberechtigt<br />

ist und ein anderer nicht, dann ist die Mehrwertsteuer<br />

im Verhältnis der den Geschädigten zu ersetzenden<br />

Schadensbeträge auszuweisen.<br />

e) Wird der Haftpflichtversicherer für eine ausländische<br />

Versicherungsgesellschaft tätig, dann gilt die Regelung<br />

nur, wenn die ausländische Versicherungsgesellschaft<br />

sie gegen sich gelten läßt.<br />

Nach den Regulierungsempfehlungen ist es als Grundsatz<br />

anzusehen, daß bei der Schadenregulierung für einen<br />

ausländischen Versicherer die Pauschalvergütung nicht gilt,<br />

sondern nach BRAGO abgerechnet werden muß. Nur ausnahmsweise,<br />

nämlich dann, wenn sich der ausländische<br />

Versicherer ausdrücklich einbinden läßt, sind die Empfehlungen<br />

anzuwenden, gleichgültig, ob dessen Erklärung vor<br />

oder nach Abschluß der Schadenregulierung eingeht. Dasselbe<br />

gilt, wenn ein deutsches Versicherungsunternehmen<br />

durch das Deutsche Büro Grüne Karte mit der Schadenre-


AnwBl 11/98 601<br />

Mitteilungen l<br />

gulierung beauftragt wird; denn letzteres leistet für den ausländischen<br />

Haftpflichtversicherer Regulierungshilfe. Nichts<br />

anderes gilt auch für rechtlich selbständige Tochterunternehmen<br />

solcher Gesellschaften.<br />

Dem Anwalt steht es frei, bei der mit der Regulierung<br />

beauftragten Gesellschaft anzufragen, ob die Pauschalregelung<br />

gelten soll. Eine Liste der ausländischen Gesellschaften,<br />

die diese anwenden wollen, gibt es nicht.<br />

f) Die Regelung gilt grundsätzlich nur für den Fall der<br />

vollständigen außergerichtlichen Schadenregulierung;<br />

bei nur teilweiser Regulierung dann, wenn der Ausgleich<br />

weiterer Schadenpositionen einvernehmlich vorbehalten<br />

bleibt. Sie gilt dann nicht, wenn über einen Teilanspruch,<br />

sei es auch nur über die Kosten, gerichtlich entschieden<br />

worden ist.<br />

Diese Empfehlung soll auf eine möglichst endgültige<br />

abschließende Regulierung hinwirken, einvernehmlicher<br />

Vorbehalt einzelner Schadenposten ausgenommen, z. B. bei<br />

Personenschäden mit ungewisser zukünftiger Entwicklung.<br />

Für die „vollständige außergerichtliche Schadenregulierung“<br />

ist lediglich entscheidend, welche Ansprüche der<br />

vom Geschädigten beauftragte Anwalt letztendlich noch<br />

geltend macht. Verfolgt er die zur Sicherung abgetretenen<br />

Ansprüche, z. B. Sachverständigenkosten, nicht mehr weiter,<br />

so ist das Einvernehmen des Versicherers damit nicht<br />

erforderlich. Das weitere Verhalten des Abtretungsgläubigers<br />

ist ohne Belang. Wenn er den abgetretenen Anspruch<br />

(gerichtlich) weiterverfolgt, ist dies für den Anwalt unschädlich.<br />

Ein Verstoß gegen die Regulierungsempfehlungen liegt<br />

nicht vor, wenn ein Teilbetrag erst nach Klageerhebung gezahlt<br />

wird. Anders ist dies dann, wenn „echte Einwendungen“<br />

gegen die Begründetheit des Restersatzanspruchs<br />

nicht erhoben werden, Fälle der geschilderten Art sich wiederholen,<br />

also „Methode“ dahinter zu vermuten ist. Dasselbe<br />

gilt, wenn die Regulierungsempfehlungen dadurch unterlaufen<br />

werden, daß es der Versicherer auf ein<br />

Versäumnisurteil ankommen läßt.<br />

Ein Verstoß gegen die Regulierungsempfehlungen liegt<br />

grundsätzlich auch dann nicht vor, wenn die Restforderung<br />

nach Klageerhebung gezahlt und dann die Klage nicht zurückgenommen,<br />

sondern in der Hauptsache für erledigt erklärt<br />

wird. Dies ist ebenfalls nur anders zu beurteilen, wenn<br />

„Methode“ dahintersteckt.<br />

Darauf hinzuweisen ist, daß die Empfehlungen nicht anwendbar<br />

sind, wenn über einen Teil gerichtlich entschieden<br />

worden ist, nicht schon, wenn er lediglich gerichtlich anhängig<br />

war und dann noch vor streitiger Verhandlung außergerichtlich<br />

erledigt wird. Diese Regelung wurde auf<br />

Wunsch der Anwaltschaft aufgenommen, um zu vermeiden,<br />

daß es Versicherer aus Kostengründen auf eine Klage ankommen<br />

lassen und so nur die 10/10-Gebühr nach § 31<br />

Abs. 1 BRAGO entstehen lassen, nicht aber die 15/10-Pauschale.<br />

Eine PKH-Entscheidung ist ebenso wie ein gerichtlich<br />

protokollierter Vergleich einer gerichtlichen Entscheidung<br />

gleichzusetzen. Das gilt auch, wenn dieser nur den Grund<br />

der Ansprüche betrifft, über die Höhe dann eine außergerichtliche<br />

Einigung erfolgt.<br />

Wird wegen eines Teils der geltend gemachten Ansprüche<br />

prozessiert, kann betreffend die erledigten Forderungen<br />

gemäß BRAGO abgerechnet werden.<br />

Liegen die Voraussetzungen für eine Gebührenpauschalierung<br />

nicht vor, sind die Anwaltskosten also nach der<br />

Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung abzurechnen, ist ein<br />

Verstoß gegen die Regulierungsempfehlungen nicht gegeben,<br />

wenn der Anwalt mehr als die Mittelgebühr nach<br />

§ 118 BRAGO in Ansatz bringt; denn dies ist keine Frage<br />

des Verhaltenskodex, sondern nach § 12 BRAGO zu beurteilen.<br />

Bei einvernehmlichem Vorbehalt ist Erledigungswert zunächst<br />

der gezahlte Betrag. Bei endgültiger Erledigung sind<br />

die gezahlten Gebühren als Vorschuß zu verrechnen.<br />

g) Die Regelung gilt generell für die Rechtsanwälte<br />

nicht (mehr), die von ihr, sei es auch nur in einem Einzelfall,<br />

abweichen.<br />

Selbstverständlich ist, daß nicht wahlweise nach den<br />

Empfehlungen oder BRAGO von Fall zu Fall abgerechnet<br />

werden kann, je nachdem, was im Einzelfall von Vorteil ist.<br />

8.Vertritt der Anwalt mehrere Geschädigte und reguliert<br />

er den Schaden eines oder mehrerer Mandanten außergerichtlich,<br />

während er für einen oder mehrere andere<br />

eine gerichtliche Entscheidung herbeiführt, sind dies<br />

gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten. Demzufolge<br />

kann der außergerichtlich erledigte Teil den vorstehenden<br />

Regeln entsprechend pauschaliert abgerechnet<br />

werden.<br />

Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Gebühren<br />

auch bei der Vertretung mehrerer Geschädigter pauschaliert<br />

abgerechnet werden sollen (vgl. Ziffer 7. c), doch<br />

entstehen aus einer mehrere Angelegenheiten dann, wenn<br />

der Schaden eines Klienten außergerichtlich erledigt wird,<br />

der Ersatzanspruch eines anderen aber ausprozessiert werden<br />

muß.<br />

Die Empfehlung ist eine Sonderregelung gegenüber Ziffer<br />

7. f). Kommt es letztendlich doch ohne gerichtliche Entscheidung<br />

zu einer Gesamtregulierung, sind die Gebühren<br />

entsprechend Ziffer 7. c) abzurechnen.<br />

Die Regelung braucht nicht angewendet zu werden,<br />

wenn<br />

– der Sachschaden durch eine Zwischenfinanzierung erhöht<br />

wurde, ohne daß dem Versicherer vorher Gelegenheit<br />

zur Zahlung gegeben war,<br />

– generell, wenn sich der Rechtsanwalt in Widerspruch<br />

zu der von der Bundesrechtsanwaltskammer über die<br />

Zusammenarbeit von Anwälten mit Unfallhelfern veröffentlichten<br />

Auffassung (Stapelvollmacht, Beteiligung<br />

an einem Unfallhelferring usw. (AnwBl 71, 133) gesetzt<br />

hat.<br />

Bei einer Zwischenfinanzierung gilt die Ausnahme nach<br />

Maßgabe Ziffer 3.<br />

Der Versicherer kann Anwälte, die an Unfallhelferringen<br />

mitwirken, von der Pauschalregelung ausschließen.<br />

In den neuen Bundesländern ist nach den dort gültigen<br />

Gebührensätzen abzurechnen.<br />

Die Empfehlungen gelten selbstverständlich auch für<br />

Rechtsanwälte mit Sitz in den neuen Bundesländern, freilich<br />

unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Ermäßigung<br />

von 10% (vgl. OLG Dresden AnwBl 97, 42).<br />

Der Schlichtungsausschuß<br />

gez. Schäfer (Mitglied der K-Schadenkommission des<br />

GDV)<br />

gez. Gerstner (Mitglied der K-Schadenkommission des GDV)<br />

gez. Greißinger (DAV)<br />

gez. Gebhardt (DAV)


602<br />

l<br />

Haftpflichtfragen<br />

Rechtsanwalt Michael Dobmaier<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Haftungsfälle bei Versicherungsmandaten<br />

I. § 12 III VVG<br />

Die Vielzahl von neueren Entscheidungen zu § 12 III<br />

VVG verdeutlicht die Haftungsanfälligkeit der dort normierten<br />

Ausschlußfrist. Die im folgenden zitierten Urteile<br />

verweisen nicht nur auf häufige Fehlerquellen, sondern geben<br />

z. T. auch Argumentationshilfen, wenn eine Klage an<br />

der (vermeintlichen) Fristversäumung, die das Gericht von<br />

Amts wegen zu beachten hat, zu scheitern droht.<br />

1. Fristsetzung<br />

Vorausetzung für eine wirksame Fristsetzung ist ein<br />

eindeutiger und unmißverständicher Hinweis des Versicherers<br />

in seinem Ablehnungsschreiben, daß er von seiner Leistungsverpflichtung<br />

allein schon dann frei ist, wenn der<br />

Anspruch nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich<br />

geltend gemacht wird. Einigkeit besteht darin, daß die<br />

wörtliche Formulierung des § 12 III VVG nicht übernommen<br />

werden muß. Die Instanzgerichte beurteilen jedoch die<br />

Frage, was unter der gerichtlichen Geltendmachung zu verstehen<br />

ist, unterschiedlich. Das LG Hannover (VersR 97,<br />

562) hält den Hinweis „im Wege der Klage“ für ausreichend<br />

und lehnt die gegenteilige Rechtsprechung (vgl. die<br />

Nachweise bei Prölss, VVG, 26. Aufl., § 12 Rdnr. 35 f ),<br />

die einen Hinweis auf das Mahnverfahren (sofern zulässig)<br />

für erforderlich hält, ausdrücklich ab.<br />

Die dem VN in Kopie zugegangene Ablehnung genügt<br />

lt. OLG Koblenz (VersR 96, 700) dem schriftlichen Formerfordernis<br />

nicht. Eine dem anwaltlich vertretenen VN<br />

unmittelbar übermittelte Deckungsablehnung ist nach OLG<br />

Köln (r+s 97, 2) unschädlich, auch wenn der Anwalt keine<br />

Abschrift erhalten hat. Eine weitere Entscheidung des OLG<br />

Köln (r+s 98, 316) stellt unter Hinweis auf BGH VersR 90,<br />

882; 87, 39 fest, daß das Ablehnungsschreiben demjenigen<br />

übersandt werden muß, der nach dem Kenntnisstand des<br />

Versicherers Forderungsinhaber ist und Ansprüche erhoben<br />

hat. Das muß nicht immer der VN sein.<br />

Zur Fristberechnung ist genau zu prüfen, wann das Ablehnungsschreiben<br />

zugegangen ist, insbesondere dann, wenn<br />

die Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft wird. Erinnert sei<br />

an einen bereits von Borgmann (AnwBl 97, 560) besprochenen<br />

Beschluß des OLG Köln (VersR 97, 605 = NJW RR 97,<br />

862). Dort ging ein Einschreibebrief der Kanzlei an einem<br />

Samstag zu, der vom Anwalt entgegengenommen und vom<br />

Personal erst am folgenden Montag mit dem Eingangsstempel<br />

versehen wurde. Der Senat entschuldigt die daraufhin erfolgte<br />

fehlerhafte Fristberechnung nicht, weil er es als einen<br />

Organisationsmangel ansieht, wenn die Eingangspost vom<br />

Samstag nicht gesondert behandelt wird.<br />

2. Unwirksamkeit der Frist<br />

Die Berufung auf die Ausschlußfrist kann gegen Treu<br />

und Glauben verstoßen bzw. kann Hemmung eingetreten<br />

sein, wenn der Versicherer nach der Ablehnung erneut in die<br />

AnwBl 11/98<br />

Mitteilungen<br />

Sachprüfung eintritt. Hier ist aber Vorsicht geboten. Nach einem<br />

Urteil des OLG Hamm (r+s 98, 315) setzt dies eine eindeutige<br />

Willenserklärung des Versichereres voraus, daß er<br />

auf Einhaltung der Klagefrist nicht mehr besteht, was sich<br />

nicht allein der weiterhin geführten Korrespondenz entnehmen<br />

läßt. Das KG (VersR 97, 433) begründet dies damit, daß<br />

dem Versicherer kein Nachteil daraus erwachsen kann, wenn<br />

er entgegenkommenderweise nochmals in die Prüfung eintritt.<br />

Es empfiehlt sich daher, ggf. mit dem Versicherer ausdrücklich<br />

und rechtzeitig eine Fristverlängerung zu vereinbaren<br />

oder ihn zum Verzicht zu bewegen.<br />

Hat der Versicherer innerhalb der Sechsmonatsfrist<br />

selbst Klage gegen den VN auf Erstattung vermeintlicher<br />

Zuvielzahlungen erhoben und ist der VN der Klage entgegengetreten,<br />

verstößt es nach Ansicht des LG Saarbrükken<br />

(VersR 97, 173) gegen Treu und Glauben, wenn sich<br />

der Versicherer bei einer anschließenden Klageerhebung<br />

mit umgekehrten Vorzeichen auf § 12 III VVG beruft. Das<br />

LG folgert dies aus dem Sinn und Zweck der Norm, die<br />

dem Versicherer alsbald Klarheit über seine Leistungsverpflichtung<br />

geben soll (vgl. z. B. BGH NJW 95, 599).<br />

3.Wahrung der Frist<br />

Eine unzulässige Klage kann die Frist dann wahren,<br />

wenn der Mangel (auch nach Fristablauf) geheilt wird und<br />

eine Sachentscheidung ergeht, vgl. Prölss, aaO, Rdnr. 62.<br />

Bei einem rechtskräftigen Prozeßurteil und erneuter (zulässiger)<br />

Klageerhebung ist lt. OLG Saarbrücken (VersR 97,<br />

434) die Frist jedoch versäumt, die Anwendung von § 212<br />

II BGB scheidet mangels Analogiefähigkeit aus.<br />

Die Zustellung nach Fristablauf bei rechtzeitiger Klageeinreichung<br />

ist unschädlich, wenn sie „demnächst“ erfolgt,<br />

vgl. § 270 III ZPO. Zu beachten ist, daß der Gerichtskostenvorschuß<br />

nach Zahlungsaufforderung ohne schuldhaftes<br />

Verzögern einzuzahlen ist. Das OLG Celle (r+s 98,<br />

6) verneint dies, wenn zwischen Anforderung und Einzahlung<br />

sechs Wochen liegen. Länger als zwei Wochen sollte<br />

nicht zugewartet werden.<br />

Nach dem Urteil des BGH vom 17.11.94 (NJW RR 95,<br />

252, vgl. auch Borgmann, AnwBl 95, 190) gereicht es dem<br />

Anwalt zum Nachteil, wenn er den Mandanten nach gerichtlicher<br />

Kostenvorschußanforderung zwar eindringlich<br />

unter Hinweis auf „schwere Nachteile hinsichtlich etwaiger<br />

Fristabläufe“ an die Zahlung erinnert, nicht jedoch expressis<br />

verbis „auf den Zusammenhang zwischen der Zahlung<br />

des Gerichtskostenvorschusses, der Zustellung der Dekkungsklage<br />

und der Erhaltung des Versicherungsschutzes“<br />

aufmerksam macht. Der BGH räumt lediglich ein Mitverschulden<br />

(Quote 2/5) des Mandanten ein.<br />

Läßt die Zahlungsaufforderung auf sich warten, sollte<br />

unbedingt innerhalb von knapp drei Wochen bei Gericht<br />

nachgefragt werden, vgl. Schlee AnwBl 92, 228 unter Hinweis<br />

auf BGH, Urteil vom 15.1.92 in VersR 92, 433.<br />

Bei einer Entscheidung des OLG Hamm (NJW RR 98,<br />

1104) erfolgte Klageeinreichung, Kostenanforderung und<br />

Einzahlung noch vor Fristablauf, zugestellt wurde jedoch<br />

erst ca. fünf Monate später. Was war geschehen? Zunächst<br />

hatte der Kostenbeamte das vom Kläger zutreffend angegebene<br />

Aktenzeichen mißverstanden. Einen Tag nach Fristablauf<br />

wurde der Irrtum aufgeklärt und die Akte der<br />

Geschäftsstelle zugeleitet. Statt die Akte dem Vorsitzenden<br />

vorzulegen wurde sie auf die bereits zuvor (für den Fall der


AnwBl 11/98 603<br />

Mitteilungen l<br />

Nichtzahlung) verfügte Sechsmonatsfrist gelegt. Erst nach<br />

schriftlicher Intervention des Anwalts wurde fünf Monate<br />

später die Zustellung angeordnet. Für die Nachlässigkeit<br />

des Gerichts mag man Verständnis aufbringen, nicht hingegen,<br />

wenn das OLG den Anwalt dafür verantwortlich<br />

macht, nicht energisch genug auf die Zustellung gedrängt<br />

zu haben, und die Klage mangels Fristwahrung abweist.<br />

Selbst der Vortrag, der Kläger habe in Kenntnis seines<br />

Anwalts zweimal telefonisch bei Gericht nachgefragt, half<br />

nicht weiter, da dem Anwalt hätte bekannt sein müssen,<br />

„daß mündliche Nachfragen eher ,untergehen’ als schriftliche<br />

Nachfragen, insbesondere dann, wenn nicht einmal<br />

sichergestellt ist, daß man mit einem zuständigen Sachbearbeiter<br />

gesprochen hat.“ So wörtlich das OLG. Schließlich<br />

hätte sich der Anwalt aufgrund der Wirkungslosigkeit der<br />

Nachfragen des Klägers schon erheblich früher einschalten<br />

können und müssen. Hätte der Senat anders entschieden,<br />

wenn das Gericht auch nach dem anwaltlichen Einschreiten<br />

untätig geblieben wäre?<br />

Ein bis zum letzten Tag eingereichter PKH-Antrag wahrt<br />

nach ständiger Rechtssprechung des BGH (z. B. NJW 91,<br />

1745; NJW RR 89, 675) die Klagefrist des § 12 III VVG,<br />

wenn die Klagepartei nach Entscheidung über den Antrag<br />

alles ihr Zumutbare tut, damit die Klage „demnächst“ zugestellt<br />

wird. Das sog. Beschleunigungsgebot ist nach Ansicht<br />

des OLG Köln (r+s 98, 441) nicht verletzt, wenn vom<br />

Gericht mehrfach gewährte Stellungnahmefristen zwar ausgenutzt,<br />

aber eingehalten werden. Etwas anderes würde nur<br />

dann gelten, wenn das Gericht bei der ersten Fristbewilligung<br />

darauf hinweist, daß wegen des Anspruchs auf rechtliches<br />

Gehör Frist gewährt, dadurch aber eine Verletzung<br />

des Beschleunigungsgebots nicht vermieden wird.<br />

II. Abfindungserklärung mit Vorbehalt<br />

Verhandlungen mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer<br />

werden oft mit einer Abfindungsvereinbarung zum<br />

Abschluß gebracht, bei der der materielle Zukunftsschaden<br />

vorbehalten bleibt. Werden mehr als drei Jahre später weitere<br />

Ansprüche erhoben, ist die Überraschung groß, wenn<br />

der Versicherer die Verjährungseinrede erhebt (§§ 852<br />

BGB, 3 Nr. 3 PflVG).<br />

Solch eine Abfindungserklärung stellt i. d. R. lediglich<br />

ein schuldbestätigendes (deklaratorisches) Anerkenntnis<br />

dar. Da die Ersatzpflicht „dem Grunde nach“ meistens außer<br />

Streit steht, kann nicht von einem schuldbegründenden<br />

(kostitutiven) Anerkenntnis mit dreißigjähriger Verjährung<br />

ausgegangen werden.<br />

Der BGH (z. B. VersR 92, 1091) weist jedoch darauf hin,<br />

daß sich der Versicherer dann nicht auf die Verjährung berufen<br />

kann, wenn in der Aufnahme des Vorbehalts eine „konstitutive“<br />

Befreiung von der Verjährungseinrede zu sehen ist.<br />

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es dem Versicherer<br />

bei Vergleichsabschluß auch darum gegangen ist, den<br />

Geschädigten von der Erhebung einer Feststellungsklage abzuhalten,<br />

vgl. BGH VersR 85, 62 = NJW 85, 791.<br />

Bei einer Entscheidung des OLG Oldenburg (VersR 97,<br />

1443) lag dies klar auf der Hand. Nach Klageerhebung, die<br />

sich auch auf die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige<br />

Schäden erstreckte, kam es nach Verhandlungen zu einem<br />

außergerichtlichen Vorbehaltsvergleich, woraufhin die Klage<br />

zurückgenommen wurde.<br />

Weiter geht das OLG München im Urteil vom 21.7.98 (5 U<br />

5920/97). Der Senat entnimmt das Abhalten von der Klageerhebung<br />

allein dem Umstand, daß der Versicherer die Abfindungserklärung<br />

vorformuliert (was üblich ist) und den Vorbehalt<br />

von sich aus mitaufgenommen hat. Dem Anwalt, der<br />

wegen der vermeintlichen Verjährung mit einer Haftpflichtklage<br />

konfrontiert war, wurde damit jedenfalls geholfen.<br />

Selbst wenn Verjährung nicht eingetreten ist, muß beachtet<br />

werden, daß bei wiederkehrenden Leistungen ebenso<br />

wie bei einem rechtskräftigen Feststellungsurteil § 218 II<br />

BGB gilt, vgl. BGH VersR 85, 62.<br />

AnwaltFormulare. Hrsg.von Heidel/Pauly/Amend,<br />

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Wissensstand zu halten. Das Werk von Heidl, Pauly und<br />

Amend ermöglicht es insbesondere, seine anwaltliche Tätigkeit<br />

auch in Bereichen ausüben zu können, die nicht Tätigkeits- oder<br />

Interessenschwerpunkte sind.<br />

Rechtsanwalt Dipl.-Inform. Dr. iur. Marcus Werner, Köln


604<br />

l<br />

7<br />

Berufsrecht<br />

BRAO § 28 Abs. 1; UWG § 1<br />

Ein Rechtsanwalt, der einer überörtlichen Sozietät angehört, verstößt<br />

in wettbewerbswidriger Weise gegen das Zweigstellenverbot<br />

des § 28 Abs. 1 BRAO, wenn er in den Kanzleiräumen der<br />

andernorts residierenden Sozietätsmitglieder eine Zweigstelle<br />

unterhält und darauf in seinem Anwaltsbriefkopf dadurch hinweist,<br />

daß er seinen Namen auch unter der Kanzleiadresse der<br />

andernorts residierenden Mitglieder der überörtlichen Sozietät<br />

anführt.<br />

BGH, Urt. v. 2.4.1998 – I ZR 4/96<br />

Aus den Gründen: I. Das BerG hat angenommen, daß die Kl<br />

für den geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch<br />

klagebefugt sei. Hiergegen wendet sich die Revision<br />

ohne Erfolg.<br />

Eine Rechtsanwaltskammer hat die Klagebefugnis eines rechtsfähigen<br />

Verbandes zur Förderung gewerblicher Interessen i. S. d.<br />

§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG (st. Rspr.; vgl. u. a. BGHZ 109, 153, 156<br />

– Anwaltswahl durch Mieterverein; 119, 225, 227 – Überörtliche<br />

Anwaltssozietät; BGH, Urt. v. 30.4.1997 – I ZR 154/95, GRUR<br />

1997, 914, 915 = WRP 1997, 1051 – Die Besten II; vgl. weiter –<br />

allgemein zur Klagebefugnis der Kammern freier Berufe – BGH,<br />

Urt. v. 9.10.1997 – I ZR 92/95, WRP 1998, 172, 173 – Professorenbezeichnung<br />

in der Arztwerbung III; vgl. auch BVerfG, Beschl.<br />

v. 30.9.1981 – 1 BvR 545/81 und Beschl. v. 18.3.1992 – 1 BvR<br />

1503/88; zur Klagebefugnis öffentlich-rechtlicher Kammern gem.<br />

§ 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG vgl. BGHZ 81, 229, 230). Die Kammern<br />

freier Berufe sind Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen<br />

i. S. d. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, weil auch sie – ungeachtet ihrer<br />

öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung – die beruflichen Belange<br />

ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern haben. Die Klagebefugnis<br />

der Rechtsanwaltskammern besteht – sofern die sonstigen Voraussetzungen<br />

der Klagebefugnis gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG gegeben<br />

sind – auch hinsichtlich der Geltendmachung<br />

wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche gegen ihre Mitglieder.<br />

Die dagegen von der Revision, aber auch noch in der neueren<br />

Literatur, erhobenen Bedenken (vgl. Henssler/Prütting, BRAO, § 73<br />

Rdnr. 13; Kleine-Cosack, BRAO, 3. Aufl., § 62 Rdnr. 3; Büttner,<br />

Festschrift Vieregge, S. 99, 116 ff.; vgl. auch Krämer, Festschrift<br />

Piper, S. 327, 332 f., jeweils m. w. N.) greifen nicht durch (vgl.<br />

dazu aus der Literatur u. a. Feuerich/Braun, BRAO, 3. Aufl., § 73<br />

Rdnr. 12; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl.,<br />

Kap. 13 Rdnr. 20 f.; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses,<br />

2. Aufl., Rdnr. 407 f., 469; GroßKomm.UWG/ Erdmann, § 13<br />

Rdnr. 52 f.; Kort GRUR 1997, 701, 710, jeweils m. w. N.). Der<br />

Funktionsbereich und Aufgabenkreis der Rechtsanwaltskammer<br />

reicht über die ihr durch Gesetz oder Satzung ausdrücklich zugewiesenen<br />

Aufgaben hinaus und umfaßt auch diejenigen Belange<br />

der Anwaltschaft, die den Berufsstand als Ganzen berühren (vgl.<br />

BGHZ 79, 390, 392 ff. – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft;<br />

109, 153, 156 f. – Anwaltswahl durch Mieterverein, m. w. N.).<br />

Dazu gehört auch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen, soweit<br />

dadurch der Wettbewerb von Mitgliedern der Kammer hinsichtlich<br />

ihrer Dienstleistung, der Rechtsberatung, berührt wird<br />

(vgl. dazu auch BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II; vgl.<br />

auch BGH, Urt. v. 10.10.1996 – I ZR 129/94, GRUR 1997, 313,<br />

314 = WRP 1997, 325 – Architektenwettbewerb). Es ist Sache der<br />

Rechtsanwaltskammer zu entscheiden, wie sie diese ihr im öffentlichen<br />

Interesse übertragene Aufgabe wahrnimmt (vgl. dazu BGHZ<br />

79, 390, 392 f. – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft). Eine Beschränkung<br />

der Klagebefugnis gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG auf<br />

die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen von Nichtanwälten oder<br />

Nichtmitgliedern der betreffenden Rechtsanwaltskammer läßt sich<br />

AnwBl 11/98<br />

dem Gesetz nicht entnehmen. Ebenso schließt die Möglichkeit berufsrechtlicher<br />

Maßnahmen die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen<br />

Ansprüchen nicht aus, mit denen bestimmte Verhaltensweisen<br />

gerade als Wettbewerbsverstöße angegriffen werden.<br />

Dies wird besonders deutlich in Fällen, in denen neben Rechtsanwälten<br />

andere an einem Wettbewerbsverstoß beteiligt sind. Die der<br />

Rechtsanwaltskammer als Verband zur Förderung gewerblicher Interessen<br />

eingeräumte Klagebefugnis zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen<br />

wäre unvollständig, wenn sie in einem solchen Fall<br />

nicht zum Vorgehen gegen alle an dem Wettbewerbsverstoß Beteiligten<br />

berechtigen würde (vgl. dazu – zur Klagebefugnis von Architektenkammern<br />

– BGH GRUR 1997, 313, 314 f. – Architektenwettbewerb).<br />

Weder die UWG-Novelle 1986 noch die UWG-<br />

Novelle 1994, durch die § 13 UWG jeweils neu gefaßt worden ist,<br />

haben an der Klagebefugnis der Rechtsanwaltskammern etwas geändert,<br />

obwohl dem Gesetzgeber die Rechtsprechung der Wettbewerbsgerichte<br />

zur Klagebefugnis der Kammern der freien Berufe<br />

bekannt war (vgl. BGHZ 109, 153, 156 – Anwaltswahl durch Mieterverein;<br />

BGH GRUR 1997, 313, 314 – Architektenwettbewerb;<br />

BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II).<br />

II. 1. Das BerG hat die Ansicht vertreten, daß der Bekl durch<br />

die Verwendung des beanstandeten Briefkopfes wettbewerbswidrig<br />

i. S. d. § 1 UWG handele. Nach § 28 Abs. 1 BRAO sei es dem<br />

Rechtsanwalt untersagt, eine Zweigstelle einzurichten. Der Bekl<br />

verstoße gegen dieses Verbot, wenn er durch die Angabe seines<br />

Namens unter der Anschrift der Kanzlei in L. darauf hinweise, daß<br />

er dort eine Zweigstelle betreibe. Dieser Gesetzesverstoß verschaffe<br />

dem Bekl einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber rechtstreuen<br />

Mitbewerbern und sei geeignet, den Wettbewerb unter Rechtsanwälten<br />

wesentlich zu beeinträchtigen. Gegen die Wirksamkeit des<br />

§ 28 Abs. 1 BRAO bestünden weder aus verfassungsrechtlicher<br />

Sicht noch aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts<br />

Bedenken.<br />

2. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung<br />

stand. Der Bekl handelt wettbewerbswidrig, wenn er im geschäftlichen<br />

Verkehr den beanstandeten Briefkopf verwendet, auf dem<br />

sein Name unter den Anschriften der beiden Kanzleien der überörtlichen<br />

Sozietät, der er angehört, aufgeführt ist (§ 1 UWG i. V. m.<br />

§ 28 Abs. 1 BRAO).<br />

a) Ein Rechtsanwalt, der – ohne eine Ausnahmegenehmigung<br />

nach § 28 Abs. 1 Satz 2 BRAO zu besitzen – durch die Gestaltung<br />

seines Kanzleibriefbogens den Eindruck erweckt, er betreibe eine<br />

Zweigstelle, oder der in dieser Weise auf eine von ihm tatsächlich<br />

eingerichtete Zweigstelle hinweist, verstößt gegen § 28 Abs. 1<br />

BRAO (vgl. BGHZ 119, 225, 236 – Überörtliche Anwaltssozietät;<br />

BGH, Urt. v. 5.5.1994 – I ZR 57/92, GRUR 1994, 736, 737 =<br />

WRP 1994, 613 – Intraurbane Sozietät; OLG Stuttgart NJW 1993,<br />

1336).<br />

Einen solchen Verstoß gegen § 28 Abs. 1 BRAO hat das BerG<br />

rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Bekl betreibt neben der Kanzlei,<br />

die er in F. zusammen mit anderen Rechtsanwälten unterhält, in L.<br />

in den Kanzleiräumen der Rechtsanwälte, mit denen er in einer<br />

überörtlichen Sozietät verbunden ist, eine Zweigstelle und weist<br />

darauf durch die Gestaltung seines Anwaltsbriefkopfs hin.<br />

Eine Zweigstelle i. S. d. § 28 Abs. 1 BRAO ist jede Kanzlei,<br />

die neben einer bereits bestehenden Kanzlei eingerichtet oder unterhalten<br />

wird (vgl. Henssler/Prütting aaO § 28 Rdnr. 5). Der Bekl<br />

hat in L. nicht schon dadurch eine zweite Kanzlei eingerichtet, daß<br />

er mit dort residierenden Rechtsanwälten eine überörtliche Sozietät<br />

eingegangen ist. Mit einer solchen Sozietät ist nicht wesensmäßig<br />

verbunden, daß die Kanzlei der auswärtigen Sozietätsmitglieder für<br />

die beteiligten Rechtsanwälte jeweils zu einer Zweigstelle wird.<br />

Vielmehr können auch bei einer überörtlichen Sozietät die beteiligten<br />

Rechtsanwälte weiterhin gem. §§ 18, 27 BRAO „ihre“ Kanzlei<br />

jeweils an dem Ort des Gerichts haben, bei dem sie zugelassen<br />

sind (vgl. BGHZ 108, 290, 294 f.; 119, 225, 230 – Überörtliche<br />

Anwaltssozietät). Die Kanzleien der beteiligten Rechtsanwälte


AnwBl 11/98 605<br />

Rechtsprechung l<br />

werden auch nicht dann schon jeweils zu Zweigstellen, wenn in<br />

der Kanzlei des einen Mandate für den assoziierten, andernorts residierenden<br />

Rechtsanwalt entgegengenommen werden oder wenn<br />

in der Kanzlei des assoziierten Rechtsanwalts eine beratende Tätigkeit<br />

ausgeübt wird (vgl. BGHZ 119, 225, 230 – Überörtliche Anwaltssozietät).<br />

Eine Zweigstelle ist jedoch anzunehmen, wenn der<br />

Rechtsanwalt seine Kanzlei nicht nur an dem Ort seiner Zulassung<br />

hat, sondern auch die Kanzlei am anderen Ort rechtlich als „seine“<br />

Kanzlei zu werten ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn er auch<br />

diese zweite Kanzlei – ähnlich wie die erste – zu einem tatsächlichen<br />

Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit (zu einer „Niederlassung“)<br />

macht (vgl. BGHZ 108, 290, 294 f.; vgl. auch Henssler/<br />

Prütting aaO § 28 Rdnr. 8; Odersky, Festschrift Merz, S. 439,<br />

443 f.).<br />

Der Bekl hat selbst vorgetragen, daß er in L. eine zweite Kanzlei<br />

unterhalte. Er sei gleichermaßen in F. und L. erreichbar und<br />

könnte auch L. ohne weiteres zum Mittelpunkt seiner Tätigkeit machen,<br />

wenn dort die Mehrzahl von Mandanten ansässig wäre. Bei<br />

dieser Sachlage ist es unerheblich, daß das Büro in L. zugleich<br />

Kanzlei der dort residierenden Rechtsanwälte der überörtlichen Sozietät<br />

ist und die Kanzlei in F. nach wie vor den Mittelpunkt der<br />

Tätigkeit des Bekl bildet.<br />

b) Gegen die Wirksamkeit des § 28 Abs. 1 BRAO bestehen<br />

keine verfassungsrechtlichen Bedenken.<br />

(1) Das Zweigstellenverbot, von dessen Verfassungsmäßigkeit<br />

die Rechtsprechung des BGH bis in die jüngste Zeit ohne weiteres<br />

ausgegangen ist (vgl. BGHZ 108, 290, 294; 117, 382, 384; 119,<br />

225, 227 – Überörtliche Anwaltssozietät), verletzt auch unter den<br />

heutigen Verhältnissen nicht die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte<br />

Freiheit der Berufsausübung (vgl. dazu auch OLG Stuttgart<br />

NJW 1993, 1336, 1337; Feuerich/Braun aaO § 28 Rdnr. 2;<br />

vgl. aber auch Henssler/Prütting aaO § 28 Rdnr. 4; Kleine-Cosack<br />

aaO § 28 Rdnr. 2). Das Gesetz bezweckt mit § 28 BRAO, dessen<br />

Zielsetzung durch die Regelungen des § 18 BRAO über das Lokalisationsgebot<br />

und des § 27 BRAO über die Kanzleipflicht des Anwalts<br />

unterstützt wird, daß ein Rechtsanwalt grundsätzlich seine<br />

Berufstätigkeit nur von einer Stelle aus betreibt, die den Mittelpunkt<br />

seiner Tätigkeit bildet. Dies soll der Gefahr vorbeugen, daß<br />

Rechtsanwälte zwischen mehreren Kanzleien pendeln und für<br />

Rechtsuchende, andere Angehörige der rechtsberatenden Berufe,<br />

Gerichte und Behörden nur in eingeschränktem Umfang erreichbar<br />

sind (vgl. dazu Odersky aaO S. 442; Henssler/Prütting aaO § 28<br />

Rdnr. 3; Feuerich/Braun aaO § 28 Rdnr. 3). Auch bei der durch<br />

Art. 12 Abs. 1 GG geforderten vollen Berücksichtigung der Fortschritte<br />

in der Kommunikationstechnik und der heute bestehenden<br />

Verkehrsmöglichkeiten (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 29.10.1997 –<br />

1 BvR 780/87 S. 24) beruht diese Regelung immer noch auf Gründen<br />

des Allgemeinwohls, die hinreichend sind, die Beschränkung<br />

der Freiheit der Berufsausübung auch bei einer Gesamtabwägung<br />

als zumutbar zu rechtfertigen.<br />

Aus ähnlichen Erwägungen hat auch das BVerfG die Vorschriften<br />

über das Lokalisationsgebot (§ 18 BRAO) und die Kanzleipflicht<br />

(§ 27 BRAO) als verfassungsrechtlich statthafte Regelungen<br />

der Berufsausübung beurteilt und als verfassungsrechtlich unbedenklich<br />

angesehen (zu § 18 BRAO: BVerfG NJW 1990, 1033;<br />

NJW 1993, 3192; ebenso BGHZ 111, 339, 342 f.; BGH, Beschl. v.<br />

24.4.1989 – AnwZ (B) 4/89, BGHR BRAO § 18 Abs. 1 – Lokalisierungsgebot<br />

1; zu § 27 BRAO: BVerfGE 72, 26, 30 ff.; BVerfG<br />

NJW 1990, 1033; ebenso BGH, Beschl. v. 12.12.1988 – AnwZ (B)<br />

37/88, BGHR BRAO § 27 Abs. 2 – Residenzpflicht 1; Beschl. v.<br />

19.2.1990 – AnwZ (B) 73/89, BRAK-Mitt. 1991, 102, 103;<br />

Feuerich/Braun aaO § 27 Rdnr. 2).<br />

Der Gesetzgeber hat dementsprechend auch nach der ausdrücklichen<br />

Anerkennung überörtlicher Sozietäten durch die Einfügung<br />

des § 59a BRAO in das Gesetz (durch das Gesetz zur Neuordnung<br />

des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom<br />

2.9.1994, BGBl. I S. 2278) an dem Zweigstellenverbot festgehalten.<br />

(2) Entgegen der Ansicht der Revision bedeutet § 28 BRAO<br />

nicht eine i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG willkürliche Ungleichbehandlung<br />

derjenigen Rechtsanwälte, die im Inland eine Zweigstelle einrichten<br />

wollen, gegenüber den inländischen Rechtsanwälten, denen<br />

nach § 29a BRAO gestattet ist, in anderen Staaten Kanzleien einzurichten<br />

und zu unterhalten. Die Vorschrift des § 29 a BRAO be-<br />

trifft Sachverhalte, die sich von den in § 28 BRAO geregelten<br />

Sachverhalten in wesentlichen Punkten unterscheiden (vgl. dazu<br />

die Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Änderung<br />

des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte,<br />

BT-Drucks. 11/3253 S. 17; vgl. Feuerich/Braun aaO § 29a Rdnr. 1<br />

ff.; Henssler/Prütting aaO § 29a Rdnr. 1 ff.). Sie hat den Zweck,<br />

die Möglichkeiten für die internationale Betätigung und Zusammenarbeit<br />

der Rechtsanwälte zu verbessern. Aufgrund der zunehmenden<br />

internationalen Verflechtung der Wirtschaft ist der Bedarf<br />

an fachkundigem Rat über fremdes Recht im In- und Ausland stark<br />

angewachsen. Durch eine grenzüberschreitende Dienstleistungstätigkeit<br />

kann er nicht ausreichend gedeckt werden. Rechtsuchende<br />

benötigen vielfach, auch soweit es um die Beratung in Fragen des<br />

ausländischen Rechts geht, an ihrem Aufenthaltsort ständig ansprechbare,<br />

fachkundige Berater, die zugleich über eine feste Verbindung<br />

zum Ausland verfügen (vgl. dazu auch BGH, Urt. v.<br />

21.1.1993 – I ZR 43/91, GRUR 1993, 675, 676 = WRP 1993, 703 –<br />

Kooperationspartner). Diesem Bedürfnis will § 29 a BRAO, auch<br />

im Interesse der Wettbewerbsmöglichkeiten der inländischen<br />

Rechtsanwälte bei der internationalen Beratungstätigkeit, entsprechen.<br />

Für Zweigstellen inländischer Kanzleien in Deutschland besteht<br />

kein vergleichbarer Bedarf der Rechtsuchenden. Soweit im Einzelfall<br />

enge überregionale Verflechtungen bestehen, kann dem u. a.<br />

auch durch die Einrichtung überörtlicher Sozietäten Rechnung getragen<br />

werden. Auf diesem Weg können im übrigen Rechtsanwälte<br />

auch im Inland in zulässiger Weise ihr Interesse daran verfolgen,<br />

auch überörtlich Beratungsaufträge von Mandanten zu erhalten.<br />

c) Wie das BerG weiter zutreffend entschieden hat, verschafft<br />

der Verstoß gegen das Zweigstellenverbot dem Bekl einen Vorsprung<br />

gegenüber rechtstreuen Rechtsanwälten im Wettbewerb.<br />

Die Unterhaltung einer Zweigstelle und der Hinweis darauf im<br />

Briefkopf erweitert nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des<br />

BerG die Möglichkeiten der Mandatsbeschaffung, weil die Ortsansässigkeit<br />

für Rechtsuchende bei der Wahl des Rechtsanwalts nach<br />

wie vor vielfach ein maßgeblicher Gesichtspunkt ist. Die Unterhaltung<br />

einer Zweigstelle ermöglicht es dem Bekl, gegenüber dem<br />

rechtsuchenden Publikum wie ein ortsansässiger Rechtsanwalt aufzutreten.<br />

Dies ist ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil auch im<br />

Wettbewerb um Beratungsaufträge außerhalb gerichtlicher Verfahren.<br />

3. Der in der Gestaltung des Briefkopfs liegende Wettbewerbsverstoß<br />

ist nach der rechtsfehlerfreien Beurteilung des BerG auch<br />

geeignet, den Wettbewerb unter Rechtsanwälten wesentlich zu beeinträchtigen<br />

(§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG).<br />

In den Angaben auf den Briefbögen seiner Anwaltskanzlei<br />

liegt eine wichtige Werbemaßnahme des Rechtsanwalts (vgl. dazu<br />

auch BGH, Urt. v. 17.4.1997 – I ZR 219/94, GRUR 1997, <strong>925</strong>, 926<br />

= WRP 1997, 1064 – Ausgeschiedener Sozius, m. w. N.). Gerade<br />

auch durch diese Werbemaßnahme wird der Verstoß gegen das<br />

Zweigstellenverbot, der in der Unterhaltung einer zweiten Kanzlei<br />

liegt, nach außen hin wirksam und zur Grundlage für den dargelegten<br />

– erheblichen – Wettbewerbsvorteil, der mit einer Zweigstelle<br />

verbunden ist. Die dadurch bewirkte Beeinträchtigung des Wettbewerbs<br />

wird durch die vom BerG festgestellte Nachahmungsgefahr<br />

noch deutlich verstärkt.<br />

BRAO §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff. 1 a), 113, 114<br />

Anwaltsgerichtliches Berufsverbot auf dem Gebiet des Strafrechts<br />

für die Dauer eines Jahres als Rechtsfolge einer Berufpflichtverletzung<br />

nach BRAO §§ 43, 59b Abs. 2 Ziff. 1 a), § 113,<br />

§ 114 (Weiterleitung von Briefen des Mandanten aus der Untersuchungshaft<br />

an Zeugin als Verteidigerpost).<br />

Schleswig-Holsteinischer Anwaltsgerichtshof, Urt. v. 19.6.1998 –<br />

2 AGH 4/98<br />

Sachverhalt: Der 1947 geborene Betroffene wurde 1976 als<br />

Rechtsanwalt zugelassen und 1982 zum Notar ernannt. Berufsrechtlich<br />

ist er bisher nicht in Erscheinung getreten.<br />

Die Staatsanwaltschaft hat dem Betroffenen vorgeworfen,<br />

schuldhaft die Pflicht verletzt zu haben, als Anwalt seinen Beruf


606<br />

l<br />

gewissenhaft auszuüben. Er habe als (Pflicht)Verteidiger in dem<br />

Strafverfahren gegen A, der sich in Untersuchungshaft befunden<br />

habe, in der JVA geschriebene Briefe des A an dessen ehemalige<br />

Verlobte, die Zeugin Z als Verteidigerpost deklariert unter Umgehung<br />

der Briefkontrolle in Empfang genommen und sie an die<br />

Zeugin Z weitergeleitet. Mit den Teils in deutscher, überwiegend in<br />

türkischer Sprache verfaßten Briefen habe A die Zeugin zur Rücknahme<br />

ihrer polizeilichen Aussage und zu einer falschen Aussage<br />

bewegen wollen, wobei er gedroht habe, sie und einige Mitglieder<br />

ihrer Familie zu töten.<br />

Das Anwaltsgericht Schleswig hat eine Berufspflichtverletzung<br />

nach §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff. 1a), 113, 114 BRAO festgestellt und<br />

gegen den Betroffenen die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines<br />

Verweises und einer Geldbuße von 4.000 DM verhängt.<br />

Aus den Gründen: ... III. Der Schuldspruch des Anwaltsgerichts<br />

ist aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung rechtskräftig. Das<br />

Anwaltsgericht hat u. a. ausgeführt:<br />

„Durch sein Verhalten hat der Betroffene schuldhaft die Pflicht<br />

verletzt, den Beruf des Rechtsanwalts gewissenhaft auszuüben. Gegen<br />

das Gebot der Gewissenhaftigkeit hat er im groben Maße verstoßen.<br />

Auch, wenn sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit nicht<br />

auf das Gebiet des Strafrechts erstreckt, wußte er, wie er eingeräumt<br />

hat, daß die Weiterleitung eines ,Verteidigerpost’ bezeichneter<br />

Schriftstücke, die einer richterlichen Kontrolle entzogen werden,<br />

untersagt ist. Derartige Schriftstücke sind gem. § 148 StPO<br />

zurückzuweisen, was dem Betroffenen bekannt war.<br />

Die unzulässige Weiterleitung der unkontrollierten Post an die<br />

Verlobte seines Mandanten war auch deshalb unverantwortlich,<br />

weil der Betroffene jedenfalls die in türkischer Sprache verfaßten<br />

Briefe nicht einmal auf deren strafrechtlich relevanten Inhalt überprüfen<br />

konnte. So stellte sich heraus, daß hierin massive Drohungen<br />

enthalten waren, die ein bestimmtes Verhalten von Zeugen eines<br />

Strafprozesses bewirken sollten. Es war sowohl der Verlobten<br />

seines Mandanten als auch deren Familie mit dem Tod gedroht<br />

worden. Wenn der Betroffene dies auch nicht wußte und ihm weder<br />

die Kenntnis der Bedrohung und des Versuchs von Zeugenbeeinflussungen<br />

noch deren Inkaufnahme unterstellt wird, so steht<br />

seine Handlung in gröbstem Maße im Gegensatz zu seinen Pflichten<br />

als Rechtsanwalt, einem Organ der Rechtspflege. Dies war<br />

dem Betroffenen bekannt.“<br />

Bereits diese Feststellungen ergeben eine vorsätzliche schwere<br />

Berufspflichtverletzung des Betroffenen. Die vom Anwaltsgericht<br />

verhängten Maßnahmen, nämlich Verweis und Geldbuße von 4.000<br />

DM, sind nicht ausreichend, um den Betroffenen an die Einhaltung<br />

seiner Berufspflichten mit dem erforderlichen Nachdruck zu mahnen<br />

und dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung einer integren<br />

Anwaltschaft zu genügen. Abgesehen davon, daß durch das Verhalten<br />

des Betroffenen dem Ansehen des Anwaltsstandes schwerer<br />

Schaden zugefügt worden ist, ist auch die Gefährdung der Rechtspflege<br />

durch sein Tun zu berücksichtigen. Ein ordnungsgemäßes<br />

und faires Strafverfahren ist nicht mehr gewährleistet, wenn Zeugen<br />

und Beteiligte durch Drohungen eines Angeschuldigten aus<br />

der Haft heraus auf derartige Weise beeinflußt werden (sollen), somit<br />

Sinn und Zweck einer Untersuchungshaft und hier der damit<br />

verbundenen Briefkontrolle durch einen Anwalt unterlaufen wird.<br />

Auch darf das Schutzbedürfnis der Geschädigten und Zeugen vor<br />

derartigen Machenschaften zwischen Untersuchungshäftling und<br />

Anwalt nicht außer Acht gelassen werden.<br />

Es kann nicht schuldmindernd berücksichtigt werden, daß der<br />

Betroffene den Inhalt eines wesentlichen Teils der Briefe nicht<br />

kannte, weil sie in türkischer Sprache verfaßt waren. Der Betroffene<br />

hat sich in keiner Weise hinsichtlich des Inhalts dieser Briefe<br />

zu vergewissern versucht, diese nicht einmal mit seinem Mandanten<br />

besprochen, um sich über deren Inhalt und den mit ihnen verfolgten<br />

Zweck informieren lassen, um auf diese Weise sicherzustellen,<br />

daß sie keine Drohungen oder ähnliches enthielten. Es<br />

entlastet ihn auch nicht, daß der erste, noch in deutscher Sprache<br />

abgefaßte Brief, halbwegs unverfänglich war. Immerhin wußte er,<br />

daß sein Mandant strafrechtlich bereits erheblich in Erscheinung<br />

getreten war, ferner wußte er um die Schwere der Anschuldigungen<br />

gegen seinen Mandanten. Unter diesen Vorausssetzungen die<br />

in türkischer Sprache verfaßten Folgebriefe ohne weitere Prüfung<br />

auf strafrechtlich relevanten Inhalt an die Geschädigte und Zeugin<br />

AnwBl 11/98<br />

Rechtsprechung<br />

Z weiterzuleiten, stellt sich – wie bereits das Anwaltsgericht zu<br />

Recht ausgeführt hat – als in einem außerordentlichen Maße verantwortungsloses<br />

Tun dar. Der Betroffene hat sich letztlich zum<br />

Komplizen für die üblen Machenschaften seines Mandanten und<br />

damit auch als Verteidiger für andere Straftäter erpreßbar gemacht,<br />

weil sich derartige Pflichtverletzungen in einschlägigen Kreisen<br />

schnell herumzusprechen pflegen.<br />

Zugunsten des Betroffenen ist allerdings zu berücksichtigen,<br />

daß er berufsrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist und<br />

darüber hinaus sein Fehlverhalten eingeräumt hat. Er hat sein Fehlverhalten<br />

im nachhinein bedauert und eine Wiederholung nach<br />

eigenem Bekunden für künftige Fälle im Rahmen der Hauptverhandlung<br />

vor dem Anwaltsgericht zwar ausgeschlossen und auch<br />

in der Berufungsverhandlung sein Fehlverhalten in objektiver Hinsicht<br />

nach wie vor ohne wenn und aber bejaht, aber in subjektiver<br />

Hinsicht zu relativieren versucht. Er hat nämlich erklärt, daß er im<br />

Moment der Tat nicht gewußt habe, etwas Unrechtes zu tun, weil<br />

er auf Versöhnung seines Mandanten und der Zeugin Z habe hinwirken<br />

wollen. Das ist indes als Schutzbehauptung zu werten.<br />

Diese Einlassung wäre nur dann glaubhaft, wenn er sich über den<br />

Inhalt der auch in türkischer Sprache verfaßten Briefe die nötige<br />

Aufklärung und Gewißheit verschafft hätte. Es geht immerhin<br />

nicht nur um einen, sondern um mehrere, insgesamt mindestens<br />

vier zeitlich aufeinander folgende Briefe, die der Betroffene unter<br />

Umgehung der Postkontrolle an die Zeugin Z weiterleitete.<br />

Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen<br />

sprechenden Umstände ist die Verhängung eines beschränkten und<br />

befristeten Vertretungsverbotes gem. §§ 113, 114 Abs. 1 Nr. 4<br />

BRAO tat- und schuldangemessen. Es erscheint aber sowohl gerechtfertigt,<br />

das Ordnungswidrigkeitenrecht von dem Vertretungsverbot<br />

auszunehmen als auch das Verbot auf die Dauer eines Jahres,<br />

also die Mindestdauer, zu befristen.<br />

Die Auswirkungen stellen die berufliche Existenz des Betroffenen<br />

nicht nachhaltig in Frage, weil er nach eigenen Angaben nur<br />

gelegentlich, etwa drei- bis viermal pro Jahr als Strafverteidiger<br />

tätig ist, der Schwerpunkt seiner Tätigkeit im übrigen in der zivilrechtlichen<br />

lnteressenwahrnehmung liegt.<br />

Mitgeteilt vom Pressereferenten des Schleswig-Holsteinischen<br />

OLG, Schleswig<br />

BGB § 198; BRAO § 51 b; ZPO § 234<br />

1. Bei einem fehlerhaften Prozeßverhalten eines Rechtsanwalts,<br />

das zu einer dem Mandanten nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung<br />

führt, beginnt die Frist für die Verjährung von Schadensersatzansprüchen<br />

des Mandanten gegen ihn, wenn diese<br />

Entscheidung in einem weiteren Rechtszug nicht mehr zugunsten<br />

des Mandanten geändert werden kann.<br />

2.Von einer solchen Unabänderbarkeit ist auszugehen, wenn der<br />

Anwalt die Berufungsfrist versäumt und ein Wiedereinsetzungsgesuch<br />

nicht mit beachtlichen Wiedereinsetzungsgründen versieht.<br />

Nach Ablauf der Frist des § 234 I ZPO kann in solchen<br />

Fällen nicht erwartet werden, daß es noch zu einer Korrektur<br />

der nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung kommt. Insbesondere<br />

ändert hieran nichts eine weitere sofortige Beschwerde<br />

gegen die zurückgewiesene Erstbeschwerde zum BGH. In solchen<br />

Fällen ist insbesondere nicht auf die Rechtskraft des nachteiligen<br />

Ersturteils abzustellen.<br />

3. Ein sekundärer Anspruch des Mandanten auf Schadensersatz<br />

steht dem Mandanten zu, wenn der Anwalt die Primärverjährung<br />

herbeigeführt hat, indem er bei fortbestehendem Mandat eine<br />

Pflicht, den Mandanten auf die eigene Regreßhaftung und die drohende<br />

Verjährung hinzuweisen, schuldhaft verletzt hat. Eine solche<br />

Verpflichtung entfällt, wenn der Anwalt davon ausgehen darf, daß<br />

der Mandant wegen der Haftungsfrage anwaltlich beraten wird<br />

oder auf anderem Wege sowohl über den Schadensersatzanspruch<br />

als auch dessen Verjährung Kenntnis erhalten hat.<br />

OLG München, Urt. v. 10.7.1998 – AZ 21 U 2992/98 (nicht rechtskräftig)<br />

Aus den Gründen: Ein sogenannter primärer Schadensersatzanspruch<br />

des Kl wegen positiver Vertragsverletzung des Anwaltsver-


AnwBl 11/98 607<br />

Rechtsprechung l<br />

trags wäre gem. § 51 b BRAO (in der Fassung des Gesetzes zur<br />

Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte<br />

vom 2.9.1994) = § 51 BRAO a. F. verjährt. Der Bekl hat die<br />

Einrede der Verjährung erhoben (vgl. § 222 BGB).<br />

1) Mit dem Ablauf der 2-Wochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO,<br />

spätestens mit dem am 7.7.1994 zugestellten Beschluß des OLG<br />

München vom 27.6.1994, durch den die Wiedereinsetzung des Kl<br />

bezüglich der versäumten Berufungsbegründungsfrist abgelehnt wurde,<br />

ist der geltend gemachte Schaden entstanden und hat die Verjährung<br />

begonnen. Eine andere als die dann vom OLG getroffene Entscheidung<br />

oder eine Änderung des Beschlusses des OLG in einem<br />

weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten war auszuschließen.<br />

Nach § 51b Fall 1 BRAO verjährt der vertragliche Schadensersatzanspruch<br />

des Mandanten gegen den Rechtsanwalt in drei Jahren<br />

von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist. Ein<br />

Schadensersatzanspruch ist im Hinblick auf die allgemeine Regel<br />

in § 198 S. 1 BGB entstanden, wenn der Rechtsanwalt die pflichtwidrige<br />

schadenstiftende Handlung begangen und einen Schaden<br />

herbeigeführt hat. Ein Schaden ist eingetreten, wenn die Vermögenslage<br />

des Auftraggebers infolge der Handlung im Vergleich mit<br />

dem früheren Vermögensstand schlechter geworden ist. Dabei muß<br />

nicht feststehen, ob ein Schaden bestehen bleibt und damit endgültig<br />

wird. Ob und wann der Kl von dem Schaden erfahren hat, ist<br />

unerheblich. Am Eintritt des Schadens und damit an der Entstehung<br />

eines Schadensersatzanspruches als Voraussetzung des Verjährungsbeginns<br />

fehlt es, wenn noch offen ist, ob ein pflichtwidriges<br />

Verhalten zu einem Schaden führt. Bei einem fehlerhaften<br />

Prozeßverhalten des Rechtsanwalts, das zu einer dem Mandanten<br />

nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung führt, ist ein Schaden<br />

dann eingetreten, wenn diese Entscheidung in einem weiteren<br />

Rechtszug nicht mehr zugunsten des Mandanten geändert werden<br />

kann (vgl. BGH NJW 1992, 2828/2829).<br />

Demgemäß hat hier die Primärverjährung mit dem Ablauf der<br />

Wiedereinsetzungsfrist wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist<br />

begonnen. Damit war für den Kl eine als Schaden anzusehende<br />

Verschlechterung der Vermögenslage eingetreten. Denn<br />

von da an hatte der Kl keine ernsthafte Möglichkeit mehr, tragende<br />

Wiedereinsetzungsgründe vorzubringen. Daran ändert es nichts,<br />

daß der Rechtsanwalt für den Mandanten die Ablehnung der Wiedereinsetzung<br />

und die Verwerfung der Berufung des Kl noch mit<br />

Rechtsmitteln bekämpft hat, eben weil beachtliche Wiedereinsetzungsgründe<br />

nicht fristgerecht vorgetragen waren. Nach Ablauf der<br />

Frist des § 234 Abs. 1 ZPO konnte nicht mehr erwartet werden,<br />

daß es noch zu einer Korrektur des Urteils des LG München I v.<br />

28.2.1994 kommen würde (vgl. BGH NJW 1996, 48/50).<br />

Es war insbesondere ausgeschlossen, daß die sofortige Beschwerde<br />

des Kl gegen den Beschluß des OLG v. 27.6.1994 Erfolg<br />

haben würde, nämlich daß der BGH die Frage des Organisationsverschuldens<br />

des Bekl anders als das OLG werten würde. Der<br />

BGH hat wiederholt entschieden, daß die Frist zur Begründung<br />

eines Rechtsmittels, die mit dem Eingang der Rechtsmittelschrift<br />

bei dem angerufenen Gericht beginnt, alsbald „bei“ oder „nach“<br />

der Einreichung der Rechtsmittelschrift im Fristenkalender vermerkt<br />

werden muß, wobei ein solcher Vermerk zu überprüfen und<br />

gegebenenfalls zu korrigieren ist, wenn später eine gerichtliche<br />

Mitteilung des genauen Eingangsdatums eingeht (Beschl. d. BGH<br />

v. 8.11.1994, Seite 5 m. w. N. Im Wiedereinsetzungsgesuch des Kl<br />

war jedoch nicht das Vorbringen enthalten, daß im Büro seines<br />

Prozeßbevollmächtigten eine diesen Grundsätzen entsprechende<br />

Organisation bestanden habe.<br />

Das gleiche gilt für die Behandlung neuen Vorbringens im Wiedereinsetzungsverfahren<br />

nach Fristablauf. Solches kann nicht mehr<br />

berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind nämlich alle Umstände,<br />

die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch<br />

wessen Verschulden es zu der Versäumung der Frist gekommen ist,<br />

mit dem Wiedereinsetzunsgesuch innerhalb der 2-Wochenfrist des<br />

§ 234 Abs. 1 ZPO darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen<br />

(BGH aaO, Seite 6 m. w. N.). Eine Ausnahme von diesem<br />

Grundsatz war im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es handelte<br />

sich nicht um eine zulässige Ergänzung bisherigen Vorbringens,<br />

sondern um neues Vorbringen.<br />

Damit ist der Schaden nicht erst mit der letztinstanzlichen Entscheidung<br />

über die sofortige Beschwerde durch den Beschl. d.<br />

BGH v. 8.11.1994 eingetreten.<br />

Das Urt. d. BGH v. 23.3.1987 (BGHZ 100, 228 = NJW 1987,<br />

1887/1888), welches für den Schadenseintritt auf den Zeitpunkt der<br />

Rechtskraft des Urteils abstellt, steht hier nicht entgegen. Die Entscheidung<br />

betraf einen anders gelagerten Sachverhalt, bei dem bis<br />

zur Rechtskraft des Urteils in einem Musterprozeß offen war, ob<br />

ein pflichtwidriges, mit einem Risiko behaftetes Verhalten zu einem<br />

Schaden führen würde.<br />

Die bei Gericht am 14.7.1997 eingegangene Klage v. 11.7.1997<br />

hat die Verjährung somit nicht mehr rechtzeitig unterbrochen (vgl.<br />

§ 209 Abs. 1 BGB).<br />

2) Der Kl hat keinen sekundären Anspruch, welcher dem Bekl<br />

die Einrede der Primärverjährung verwehrt. Ein Sekundäranspruch<br />

steht dem Auftraggeber zu, wenn der Anwalt die Primärverjährung<br />

herbeigeführt hat, indem er bei fortbestehendem Mandat – oder bei<br />

einem neuen Auftrag über denselben Gegenstand – eine Pflicht,<br />

den Mandanten auf die eigene Regreßhaftung und die drohende<br />

Verjährung hinzuweisen, schuldhaft verletzt hat (BGH DB 1996,<br />

977/978). Hat der Anwalt vor Ablauf der Verjährung des Primäranspruchs<br />

begründeten Anlaß zu prüfen, ob er dem Mandanten<br />

durch einen Fehler Schaden zugefügt hat, und muß er dabei eine<br />

entsprechende Pflichtverletzung erkennen, so hat er hierauf und<br />

auf die kurze Verjährung des § 51b BRAO hinzuweisen. Diese Verpflichtung<br />

entfällt aber dann, wenn der Anwalt davon ausgehen<br />

darf, daß der Mandant wegen der Haftungsfrage anwaltlich beraten<br />

wird oder auf anderem Wege sowohl über den Schadensersatzanspruch<br />

als auch dessen Verjährung Kenntnis erhalten hat (BGH<br />

NJW 1996, 48/50 m. w. N.).<br />

Hier hat der Bekl den Kl bereits mit Schreiben vom 19.7.1994<br />

darauf hingewiesen, daß der Kl ihn wegen eines etwaigen Schadens<br />

haftbar machen könne.<br />

Im Hinblick auf die grundsätzliche Verpflichtung des Anwalts,<br />

den Mandanten auch auf den Beginn und die Dauer der Verjährung<br />

(§ 51 b BRAO) hinzuweisen, durfte der Bekl davon ausgehen, daß<br />

der Kl über die Verjährung des Schadensersatzanspruchs ausreichend<br />

unterrichtet war.<br />

Der vom Kl selbst eingereichten „Klage“ vom 30.12.1995, für<br />

die kein Vorschuß einbezahlt und die nicht zugestellt wurde, läßt<br />

sich immerhin entnehmen, daß dem Kl die Verjährungsproblematik<br />

als solche bewußt war („die Klage zunächst zur Vermeidung der<br />

Verjährung einzubringen“. Allerdings ergibt sich daraus noch keine<br />

konkrete Kenntnis des Kl von der Rechtslage, daß der Anspruch<br />

auf Schadensersatz in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjährt,<br />

in dem der Anspruch entstanden ist. Indem der Kl für die von ihm<br />

erhobenen Schadensersatzansprüche aber sogar mit einer kürzeren<br />

Verjährungsfrist, als in § 51b BRAO bestimmt, rechnete, fehlt es<br />

hier an einer Kausalität der Unkenntnis des Kl von der gesetzlichen<br />

3-Jahresfrist für den Verjährungseintritt.<br />

Die Kenntnis des Kl von der Verjährung des Schadensersatzanspruchs<br />

folgt aus der Sicht des Bekl vor allem aus dem Anruf des<br />

Kl vom 3.3.1997 mit der Bitte, auf die Einrede der Verjährung zu<br />

verzichten; mit Schreiben vom 4.3.1997 hat der Bekl dem Kl hierzu<br />

mitgeteilt, daß er nach Rücksprache mit dem Vermögensschadensversicherer<br />

auf die Einrede der Verjährung nicht verzichten<br />

könne. Der Kl hatte somit rechtzeitig die zutreffende Kenntnis<br />

sowohl über den Schadensersatzanspruch als auch über dessen<br />

Verjährung. Hiervon durfte der Bekl ausgehen. Der Zeitpunkt der<br />

Bitte um einen Verzicht auf die Verjährungseinrede entsprach der<br />

Rechtslage. Es stand noch ein angemessener Zeitraum bis zum<br />

Ende der Primärverjährung für die Einleitung verjährungsunterbrechender<br />

Schritte zur Verfügung. Das Ende der Primärverjährung<br />

war gerade noch nicht so nahe gerückt, daß der Bekl auf den Gedanken<br />

hätte kommen können oder müssen, dem Kl drohe die Gefahr<br />

der Verjährung, zumal da der Bekl den hohen Bildungsstand<br />

seines Mandanten (Diplom-Chemiker) zugrundelegen konnte.<br />

Bei Würdigung und Abwägung der genannten Umstände des<br />

vorliegenden Falles, nämlich dem jedenfalls weitaus überwiegenden<br />

Verursachungsbeitrag des Kl, der dem Bekl zur maßgeblichen<br />

Zeit den Eindruck zutreffender eigener Kenntnis über den Schadensersatzanspruch<br />

und dessen Verjährung vermittelt hat, tritt zumindest<br />

der erheblich mindere Beitrag des allenfalls leicht fahrlässig<br />

handelnden Bekl, falls jener überhaupt bejaht werden kann,<br />

völlig zurück (vgl. § 254 BGB).<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Reinhard Knapp, München


608<br />

l<br />

BGB §§ 254, 276, 611<br />

1. Zur Pflicht des Anwalts, bei mehreren in Betracht kommenden<br />

Maßnahmen diejenige zu treffen, welche die sicherste und<br />

gefahrloseste ist.<br />

2. Der Entwurf eines Schriftsatzes durch den Verkehrsanwalt<br />

beschränkt weder die Verantwortlichkeit des Prozeßbevollmächtigten<br />

für den Inhalt dieses Schriftsatzes, noch für dessen rechtzeitige<br />

Einreichung.<br />

3. Verursachen Verkehrsanwalt und Prozeßbevollmächtigter einen<br />

Schaden für den Mandanten durch Pflichtwidrigkeiten, so<br />

haben sie aus dem Gedanken der Zweckgemeinschaft als Gesamtschuldner.<br />

Das Maß der Verursachung und des Verschuldens<br />

ist nur eine Frage des Innenverhältnisses.<br />

OLG München, Urt. von 27.2.1998 – 21 U 4491/97<br />

Aus den Gründen: Die Berufung der Kl ist zulässig und begründet.<br />

Die Kl hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />

33.611,40 DM wegen positiver Vertragsverletzung des von den<br />

Bekl am 7.12.1994 bestätigten Anwaltsvertrags. Denn die Bekl<br />

haben schuldhaft die Verjährung des Werklohnanspruchs der Kl<br />

(mit-)verursacht.<br />

Kraft des Anwaltsvertrages (§§ 675, 611 Abs. 1 BGB) ist der<br />

Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers in<br />

den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung umfassend<br />

wahrzunehmen. Er muß sein Verhalten so einrichten, daß er Schädigungen<br />

seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur<br />

von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet.<br />

Welche konkreten Pflichten aus diesen allgemeinen Grundsätzen<br />

abzuleiten sind, richtet sich nach dem erteilten Mandat und<br />

den Umständen des einzelnen Falles. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen<br />

in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste<br />

und gefahrloseste ist (BGH NJW-RR 1990, 1241/1242;<br />

NJW 1988, 1079/1080/1082).<br />

Für die Bekl, die mit der Geltendmachung der Werklohnansprüche<br />

zumindest gegen den Verwalter und Wohnungseigentümer O.<br />

beauftragt waren, ergab sich aus dem übernommenen Mandat die<br />

Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Ansprüche der Kl gegen<br />

den Besteller des Werks nicht verjähren (vgl. BGH NJW 1988,<br />

1079/1081).<br />

Die drohende Verjährung des Anspruchs der Kl (§§ 196 Abs. 1<br />

Nr. 1, 198, 201 BGB) war für die Bekl erkennbar. Bei Werklohnforderungen<br />

beginnt die Verjährung gem. § 641 BGB mit der Abnahme.<br />

Das Fehlen von Angaben zur Abnahme des Werkes in dem<br />

Klageentwurf vom 29.11.1994 schloß eine Abnahme bereits im<br />

Jahr 1992 keineswegs aus. Eine zumindest konkludente Abnahme<br />

durch Ingebrauchnahme der fünf Kamine im Jahr 1992 war nach<br />

dem den Bekl bekannten Sachverhalt naheliegend.<br />

Die Anforderung weiterer Informationen von dem Verkehrsanwalt<br />

durch die Beklagten mit Faxschreiben vom 7.12.1994 mit<br />

dem Hinweis, daß erst nach Vorlage der ergänzenden Erläuterungen<br />

die Klage eingereicht werde, vermag die Bekl nicht ausreichend<br />

zu entlasten. Diese waren vielmehr verpflichtet, sich rechtzeitig,<br />

naheliegenderweise telefonisch, wegen der ausbleibenden<br />

Antwort zu erkundigen. Die Bekl haben jene Anwaltspflichten verletzt,<br />

indem sie nach Absendung ihres Faxschreibens vom<br />

7.12.1994 untätig blieben. Ihnen ist eine schuldhafte Verletzung<br />

des Anwaltsvertrags insoweit vorzuwerfen, als die Verjährungsfrist<br />

für die Ansprüche der Kl abgelaufen ist. Sie haben das Mandat<br />

übernommen, für die Kl eine Klage in Höhe von 36.779,14 DM<br />

zuzüglich Zinsen zu erheben, welche (bei ordnungsgemäßer Zustellung)<br />

die drohende Verjährung unterbrochen hätte.<br />

Der Entwurf eines Schriftsatzes durch den Verkehrsanwalt beschränkt<br />

weder die Verantwortlichkeit des Prozeßbevollmächtigten<br />

für den Inhalt des Schriftsatzes, noch für dessen rechtzeitige Einreichung<br />

(vgl. BGH NJW 1988, 1079/1082). Den mit der Prozeßvertretung<br />

beauftragten Bekl oblag die Pflicht zu ordnungsmäßigem<br />

prozessualem Handeln gegenüber dem Prozeßgericht. Die<br />

Pflichten der Prozeßbevollmächtigten änderten sich nicht dadurch,<br />

daß der Nebenintervenient als Verkehrsanwalt in die Korrespondenz<br />

zwischen ihnen und der Kl eingeschaltet war und die Klageschrift<br />

entwarf (vgl. BGH NJW 1988, 3013/3014; NJW-RR 1990,<br />

1241/1243).<br />

AnwBl 11/98<br />

Rechtsprechung<br />

Im vorliegenden Fall besteht eine gesamtschuldnerische Haftung<br />

der Bekl und des Verkehrsanwalts, der, seinerseits bereits im<br />

April 1994 von der Kl beauftragt, weder auf die drohende Verjährung<br />

hinwies, noch das Faxschreiben der Bekl vom 7.12.1994<br />

rechtzeitig beantwortete. Die Prozeßbevollmächtigten und der Verkehrsanwalt<br />

haben nämlich jeder in seinem Verantwortungsbereich<br />

eine Schadensursache für denselben Schaden pflichtwidrig und<br />

schuldhaft gesetzt. Im Verhältnis von Verkehrsanwalt und Prozeßanwalt<br />

bestand hier eine Zweckgemeinschaft (vgl. Rinsche, Die<br />

Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 5. Aufl., Rdnr. I 170,<br />

178 bis 181 m. w. N.; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 3. Aufl.,<br />

Kapitel-VII. Rdnr. 37).<br />

Da eine gesamtschuldnerische Haftung besteht, kann sich weder<br />

der Verkehrsanwalt, noch der Prozeßbevollmächtigte, wenn er<br />

allein in Anspruch genommen wird, auf ein Mitverschulden des<br />

anderen berufen, das sich die Partei gem. §§ 254, 278 BGB anrechnen<br />

lassen müßte. Das Maß der Verursachung und des Verschuldens<br />

ist dann nur eine Frage des internen Ausgleichs (§ 426<br />

BGB; Rinsche aaO, Rdnr. I. 180, 182 m. w. N.).<br />

Der Rechtsanwalt, der seinem Auftraggeber wegen positiver<br />

Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat diesen<br />

bei der Schadensersatzleistung so zu stellen, wie er bei pflichtgemäßem<br />

Verhalten des Anwalts stünde. Für diese hypothetische Betrachtung<br />

ist maßgebend, wie der Vorprozeß nach Auffassung des<br />

Gerichts, das mit dem gegen den Prozeßbevollmächtigten gerichteten<br />

Schadensersatzanspruch befaßt ist, richtigerweise hätte entschieden<br />

werden müssen. Auszugehen ist dabei von dem Sachverhalt,<br />

der dem Gericht des Vorprozesses unterbreitet und von<br />

diesem Gericht aufgeklärt worden wäre. Die Frage, was geschehen<br />

wäre, wenn der Rechtsanwalt pflichtgemäß gehandelt hätte, ist<br />

nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier<br />

Überzeugung zu entscheiden (BGH NJW-RR 1990, 1 241/1244 f.).<br />

Die Kl hat den ihr entstandenen Schaden schlüssig vorgetragen<br />

(wird ausgeführt).<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Reinhard Knapp, München<br />

BGB §§ 249, 254, 675<br />

1. Zur Schadensersatzpflicht eines Rechtsanwalts, der es unterläßt,<br />

den Entschädigungsanspruch seines Mandanten wegen eines<br />

Brandschadens gegen eine Versicherungsanstalt rechtzeitig<br />

geltend zu machen.<br />

BayObLG, Urt. v. 15.12.1997 – 1Z RR 338/96<br />

Aus den Gründen: 1. Zwischen den Parteien bestand ein Anwaltsvertrag,<br />

der als Dienstvertrag eine entgeltliche Geschäftsbesorgung<br />

(§ 675 BGB) zum Gegenstand hatte (Palandt/Putzo BGB<br />

57. Aufl. Einf. vor § 611 Rdnr. 21: MünchKomm/Söllner BGB<br />

3. Aufl. § 611 Rdnr. 86; Rinsche Die Haftung des Rechtsanwalts<br />

und Notars 4. Aufl. Rdnr. I 4; Vollkommer Anwaltshaftungsrecht<br />

Rdnr. 2). Gegenstand des Vertrags war die Regulierung des Brandschadens<br />

gegenüber der Nebenintervenientin, gegebenenfalls auch<br />

die Prozeßvertretung. Das BerG hat festgestellt, daß der Bekl zu 2<br />

im Rahmen des Mandatsverhältnisses als Sozius tätig geworden<br />

ist. Es hat daher zu Recht angenommen, daß das Mandat beiden<br />

Bekl (§§ 705, 421 BGB) erteilt worden war und eine Pflichtverletzung<br />

beiden Bekl zuzurechnen ist (vgl. BGHZ 56, 355; BGH NJW<br />

1993, 1779/1780; Palandt/Heinrichs Rdnr. 8, MünchKomm/Selb<br />

Rdnr. 8, jeweils zu § 425; Vollkommer Rdnr. 57 ff.; Rinsche<br />

Rdnr. I 161).<br />

2. Der Anspruch wird darauf gestützt, daß die Bekl es pflichtwidrig<br />

unterlassen hätten, den vom Kl beanspruchten höheren Entschädigungsbetrag<br />

gegen die Nebenintervenientin gerichtlich geltend<br />

zu machen und dadurch der Anspruch des Kl erloschen sei.<br />

Das BerG hat den Schadensersatzanspruch des Kl gegen die Bekl<br />

mit der Begründung verneint, daß das Unterlassen der Bekl für den<br />

Schadenseintritt nicht kausal geworden sei, weil der Anspruch gegen<br />

die Nebenintervenientin auch noch nach Beendigung des<br />

Mandats hätte geltend gemacht werden können. Diese Auffassung<br />

widerspricht allgemein anerkannten Grundsätzen, die in ständiger<br />

Rechtsprechung zur Anwaltshaftung entwickelt wurden (vgl. BGH


AnwBl 11/98 609<br />

Rechtsprechung l<br />

VersR 1985, 146, BGH NJW 1993, 1779: Vollkommer Rdnr. 345<br />

ff.; Rinsche Rdnr. I 237).<br />

a) Ein Anwalt haftet aus positiver Vertragsverletzung, wenn<br />

sein Verhalten bei Mandatserledigung pflichtwidrig und die Pflichtwidrlgkeit<br />

von ihm zu vertreten war, hierdurch beim Mandanten<br />

ein Schaden eingetreten ist, und das pflichtwidrige Handeln oder<br />

Unterlassen des Anwalts für den Schadenseintritt ursächlich war<br />

(vgl. Vollkommer Rdnr. 20). Die Bekl handelten dadurch pflichtwidrig,<br />

daß sie es unterließen, während des Bestehens ihres Mandats<br />

den Anspruch des Kl auf eine höhere Entschädigung gerichtlich<br />

geltend zu machen, obwohl sie hierzu beauftragt waren.<br />

Spätestens nachdem die Nebenintervenientin die mit Schriftsatz<br />

der Bekl vom 21.2.1992 geforderte höhere Entschädigung mit<br />

Schreiben vom 25.2.1992 endgültig abgelehnt hatte, hätten die<br />

Bekl weitere Schritte unternehmen müssen. Es bestand kein nachvollziehbarer<br />

Grund, weshalb sie mehr als 2 1/2 Jahre mit der Klage<br />

zuwarteten. Die Untätigkeit der Bekl über einen so langen Zeitraum<br />

hinweg stellte eine Pflichtverletzung dar, zumal sie die Frage<br />

der Erlöschensfrist nicht geklärt hatten und sie nicht darauf vertrauen<br />

konnten, daß der Anspruch erst zum 31.12.1994 erlöschen<br />

werde. Sie haben daher die Pflichtwidrigkeit auch zu vertreten<br />

(§ 276 BGB).<br />

b) Die pflichtwidrige Unterlassung der Klage war für den eingetretenen<br />

Schadenserfolg auch ursächlich, vorausgesetzt daß der<br />

Kl tatsächlich von der Nebenintervenientin eine höhere Entschädigung<br />

hätte verlangen können. Eine Unterlassung ist nämlich dann<br />

kausal, wenn die gebotene Handlung den Schadenseintritt verhindert<br />

hätte (Palandt/Heinrichs Vorbem. v. § 249 Rdnr. 84; Larenz<br />

Schuldrecht I 14. Aufl. § 27 III c; Vollkommer Rdnr. 346). Hätten<br />

die Bekl alsbald Klage erhoben, wäre die Frist von 3 Jahren, nach<br />

welcher der Entschädigungsanspruch erlischt (vgl. dazu unten 3 b),<br />

unterbrochen worden (Art. 16 Abs. 1 VersG, Art. 71 Abs. 2<br />

AGBGB i. V. m. § 209 BGB).<br />

c) Ausgehend vom Rechtsstandpunkt des OLG, der Anspruch<br />

sei erst mit Ablauf des Jahres 1994 erloschen, wird der Ursachenzusammenhang<br />

zwischen der Pflichtverletzung der Bekl und dem<br />

Schadenseintritt nicht dadurch „unterbrochen“, daß der Kl nach<br />

Beendigung des Mandats noch die Möglichkeit hatte, Klage zu erheben,<br />

und sein neuer anwaltschaftlicher Vertreter es unterlassen<br />

hat, hiervon Gebrauch zu machen. Eine „Unterbrechung des Ursachenzusammenhangs“<br />

wird dann angenommen, wenn ein Dritter in<br />

völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen<br />

Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache<br />

setzt, die den Schaden erst endgültig herbeiführt (vgl. BGH NJW<br />

1986, 1329/1331 und 1993, 1779/1780; MünchKomm/Grunsky<br />

vor § 249 Rdnr. 52 ff. weist darauf hin, daß es sich um kein Kausalitätsproblem<br />

handelt, sondern um einen Haftungsausschluß aus<br />

Wertungsgesichtspunkten). Davon kann hier nicht gesprochen werden.<br />

Der anwaltschaftliche Vertreter des Kl hat im Gegenteil nach<br />

Herausgabe der Handakten durch die Bekl im Oktober 1994 im<br />

folgenden Monat nochmals die Forderung gegenüber der Nebenintervenientin<br />

geltend gemacht und weitere Schritte nur unterlassen,<br />

weil diese sich auf das Erlöschen des Entschädigungsanspruchs bereits<br />

im April 1994 berufen hatte.<br />

Die Annahme des BerG, die Unterlassung der Bekl sei nicht<br />

kausal, ist daher nicht haltbar. ...<br />

Mitgeteilt von Richter am BayObLG Johann Demharter, München<br />

BGB § 852<br />

1. Nimmt ein Versicherer in einer von ihm vorformulierte Abfindungserklärung<br />

von sich aus den Vorbehalt für künftigen materiellen<br />

Schaden mit auf, hat er die Kl von der Erhebung einer<br />

Feststellungsklage abgehalten.<br />

2. Der Versicherer muß sich dann hinsichtlich der Verjährung so<br />

behandeln lassen, als sei Feststellungsklage erhoben worden. (LS<br />

der Einsenderin)<br />

OLG München, Urt. v. 21.7.1998 – 5 U 5920/97<br />

Aus den Gründen: Die zulässigen Berufungen der Kl und ihrer<br />

Streithelferin sind unbegründet.<br />

Die Vorinstanz hat die Klage gegen den Bekl zu Recht abgewiesen,<br />

weil der Kl durch das Verhalten ihres damaligen anwaltlichen<br />

Vertreters, des Bekl, kein Schaden entstanden ist. Die Streithelferin<br />

als Haftpflichtversicherer des Schädigers kann sich<br />

gegenüber der Kl nicht auf die Einrede der Verjährung berufen. Sie<br />

hat die Regulierung von Verdienstausfall ab 1.7.1991 zu Unrecht<br />

wegen Verjährung abgelehnt. Damit sind dem Bekl im Zusammenhang<br />

mit seiner Mandatserfüllung bezüglich der Unfallangelegenheit<br />

der Kl keine Pflichtverletzungen anzulasten.<br />

Die Streithelferin kann sich im Rahmen der am 3.6.1991 von<br />

der Kl abgegebenen Abfindungserklärung nicht darauf berufen,<br />

daß alle in der Abfindungserklärung vorbehaltenen zukünftigen<br />

materiellen Schäden der dreijährigen Verjährung des § 852 BGB, §<br />

14 StVG, § 3 Nr. 3 PflVG unterliegen.<br />

Zwar hat der BGH in seiner Entscheidung v. 26.5.1992 (VersR<br />

92/1091) klargestellt, daß der Schadensersatzanspruches eines<br />

Unfallgeschädigten gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers<br />

in 3 Jahren verjährt, wenn der Haftpflichtversicherer lediglich<br />

ein deklaratorisches Anerkenntnis in der Weise abgibt, daß von der<br />

Abfindung der zukünftige materielle Schaden, soweit kein Sozialversicherer<br />

leistet, ausgenommen bleibt.<br />

Der BGH hat allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, daß<br />

sich der Haftpflichtversicherer dann nicht auf die Verjährung berufen<br />

kann, wenn in der Aufnahme des Vorbehalts in die Abfindungserklärung<br />

und deren Entgegennahme durch den Haftpflichtversicherer<br />

ein zu einer Verjährungsfrist von 30 Jahren führendes selbständiges<br />

Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers i. S. v. § 781<br />

BG8 liegen würde oder wenn durch Vereinbarung der Parteien der<br />

Anspruch des Geschädigten auf Ersatz seines Zukunftsschadens<br />

wie bei einem Feststellungsurteil gem. § 218 Abs. 1 BGB von der<br />

Verjährungseinrede des Haftpflichtversicherers aus § 852 Abs. 1<br />

BGB befreit worden wäre (BGH VersR 1992, 1091).<br />

Die Entgegennahme der Abfindungserklärung durch die Streithelferin<br />

bewirkt im vorliegenden Fall nach Auffassung des Senats,<br />

daß sich diese nicht auf die dreijährige Verjährung berufen kann,<br />

da hier die Annahme begründet ist, daß die Geschädigte und Anspruchsinhaberin<br />

„konstitutiv“ von der Verjährungseinrede befreit<br />

sein sollte. Eine Befreiung der Kl von der Verjährungseinrede<br />

kommt dann in Betracht, wenn es dem Schädiger bzw. seinem Versicherer,<br />

also der Streithelferin darum geht, die Erhebung einer<br />

Feststellungsklage, die im Erfolgsfalle zu einem langfristigen Ausschluß<br />

der Verjährungseinrede führt, abzuwenden.<br />

Im vorliegenden Fall lag zwar noch keine Feststellungsklage<br />

der Kl vor, die infolge der Abfindungserklärung zurückgenommen<br />

wurde (wie im Fall des OLG Oldenburg, NJW-RR 1997, 1181).<br />

Das Verhalten der Streitverkündeten stellt sich jedoch als<br />

gleichwertig dar. Die Streitverkündete hat nicht einen von der Kl<br />

vorgelegten Abfindungsvertrag mit Vorbehalt entgegengenommen.<br />

Sie hat vielmehr von sich aus ein Vergleichsangebot umfassend<br />

vorformuliert und den Vorbehalt für künftigen materiellen Schaden<br />

von sich aus mitaufgenommen. Damit hat die Streitverkündete<br />

nicht erst die Erhebung einer im Raum stehenden Feststellungsklage<br />

abgewartet, sondern die Kl von der Erhebung einer solchen<br />

Feststellungsklage bereits im Vorfeld abgehalten.<br />

Der Senat stellt dieses aktive Mitwirken der Streithelferin, das<br />

letztlich dazu führte, daß keine Feststellungsklage im Vertrauen auf<br />

den Vorbehalt erhoben wurde, der Konstellation gleich, daß wegen<br />

der Einräumung des Vorbehalts eine bereits anhängige Feststellungsklage<br />

zurückgenommen wird (vgl. OLG Oldenburg aaO).<br />

Der nach Schluß der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Tod<br />

der Beklagtenpartei führt nicht zur Unterbrechung, § 246 ZPO. Ein<br />

Aussetzungsantrag wurde nicht gestellt.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwältin Dr. Brigitte Borgmann, München


610<br />

l<br />

Gebührenrecht<br />

BRAGO § 84 Abs. 2, § 105 Abs. 1; §12<br />

1. Aus dem Wortlaut sowie einer systematischen und historischen<br />

Auslegung des § 105 BRAGO ergibt sich, daß die Anwendung<br />

des § 84 Abs. 2 BRAGO nicht durch § 105 Abs. 1 und 2<br />

BRAGO ausgeschlossen ist.<br />

2. Zur Mittelgebühr bei Einstellung eines OWi-Verfahrens wegen<br />

Geschwindigkeitsüberschreitung, wenn dargelegt wurde, daß der<br />

Bekl aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen auf die<br />

Fahrerlaubnis angewiesen sei. (LS der Red.)<br />

AG Neustadt a. Rbge., Urt. v. 9.7.1997 –20 C 591/97<br />

Aus den Gründen: Der Kl hat gegen den Bekl gem. §§ 675,<br />

612 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 419,75 DM aufgrund<br />

seiner Tätigkeit im Bußgeldverfahren gem. §§ 105 Abs. 3, 84<br />

Abs. 2 BRAGO.<br />

Ein Rechtsanwalt, der an einer Einstellung mitgewirkt hat,<br />

erhält gem. § 84 Abs. 2 BRAGO die Gebühr des § 83 Abs. 1 BRA-<br />

GO, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Diese<br />

Vorschrift des Sechsten Abschnitts gilt gem. § 105 Abs. 3 BRAGO<br />

für die Gebühren im Bußgeldverfahren sinngemäß.<br />

In dem Bußgeldverfahren gegen den Bekl hat der Kl durch<br />

seine Verhandlungen mit der Verwaltungsbehörde erreicht, daß das<br />

Verfahren endgültig gem. § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2<br />

StPO eingestellt wurde. Die Anwendung des § 84 Abs. 2 BRAGO<br />

ist nicht durch § 105 Abs. 1, 2 BRAGO ausgeschlossen (LG Mühlhausen,<br />

LG Bielefeld, AnwBl 1997, 351, 352). Das ergibt sich aus<br />

dem Wortlaut sowie einer systematischen und historischen Auslegung<br />

des § 105 BRAGO. Mit der Formulierung „im übrigen“<br />

wird die Anwendung des § 105 Abs. 3 BRAGO nicht auf die Verfahrensabschnitte<br />

beschränkt, die § 105 Abs. 1, 2 BRAGO nicht<br />

erfaßt. Anderenfalls müßte auch § 105 Abs. 2 BRAGO die Anwendung<br />

des § 84 Abs. 2 BRAGO ausschließen. Es käme eine Anwendung<br />

selbst dann nicht in Betracht, wenn ein Bußgeldverfahren<br />

nach gerichtlicher Anhängigkeit außerhalb einer Hauptverhandlung<br />

eingestellt wird. Zudem bekäme der Verteidiger gem. § 105 Abs. 2<br />

BRAGO die Gebühr des § 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO selbst dann,<br />

wenn er nur außerhalb der Hauptverhandlung tätig geworden ist.<br />

§ 105 Abs. 1, 2 BRAGO beziehen sich nicht auf bestimmte Verfahrensabschnitte,<br />

sondern regeln vielmehr den Gebührennormalfall.<br />

So tritt im Normalfall der Verteidiger in der Hauptverhandlung auf<br />

und kann gem. § 105 Abs. 2 BRAGO die Gebühr des § 83 Abs. 1<br />

Nr. 3 BRAGO berechnen. § 105 Abs. 3 BRAGO erfaßt die verbleibenden<br />

Sonderkonstellationen, die eine andere Gebührenberechnung<br />

begründen. Insoweit findet eine sinngemäße Anwendung der<br />

Vorschriften des Sechsten Abschnitts statt. Die Formulierung des<br />

§ 105 Abs. 3 BRAGO ist dahingehend zu verstehen, daß für die<br />

vom Normalfall abweichenden Gebührenkonstellationen die Vorschriften<br />

des Sechsten Abschnitts sinngemäß gelten. Unschädlich<br />

ist es, daß sich erst aus den Vorschriften des Sechsten Abschnitts<br />

diese Sonderfälle ergeben und dadurch ein Grundsatz-Ausnahme-<br />

Verhältnis entsteht. Das entspricht gerade dem Sinn und Zweck des<br />

Gesetzes. Es soll für die Verteidigung ein Anreiz geschaffen werden,<br />

zur Beschleunigung des Verfahrens beizutragen und eine<br />

Hauptverhandlung zu vermeiden (BT-Drucksache 12/6962 S.106;<br />

LG Arnsberg, LG Wuppertal, JurBüro 1997, 24 f.; AG Aurich, AG<br />

Brakel, AG Bühl, AG Düsseldorf, AnwBl 1997, 43 f.; AG Darmstadt,<br />

AnwBl 1997, 353). Dem würde es widersprechen, den Verteidiger<br />

erst dann gebührenrechtlich besserzustellen, wenn die Akten<br />

bei Gericht eingegangen sind. Unschädlich für die Anwendung<br />

des § 84 Abs. 2 BRAGO ist es, daß die Regelung weniger geeignet<br />

ist, die Leistung des Anwalts zu berücksichtigen (Otto, JurBüro<br />

1994, 396). Dieses erfolgt hat nämlich erst bei der Bemessung der<br />

Gebührenhöhe zu erfolgen. Die Regelungen der § 105 Abs. 1, 2<br />

BRAGO sind auch nicht überflüssig, zumal es im Sechsten Abschnitt<br />

der BRAGO kein Verfahren vor der Verwaltungsbehörde<br />

gibt.<br />

Der Höhe nach ist zwischen den Parteien unstreitig, daß der Kl<br />

berechtigt ist, die Mittelgebühr zugrunde zu legen. Daher verbleibt<br />

ein noch zu zahlender Betrag von 419,75 DM.<br />

AnwBl 11/98<br />

Rechtsprechung<br />

Der Bekl befindet sich aufgrund der Zahlungsablehnung seines<br />

Rechtsschutzversicherers, die er sich zurechnen lassen muß, seit<br />

dem 14.11.1996 im Verzug. Die Zinshöhe ergibt sich aus § 288<br />

BGB. ...<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt und Notar Torsten Heiner, Garbsen<br />

BRAGO § 84 Abs. 1, § 105 Abs. 2, § 12<br />

1. Ordnungswidrigkeiten haben nicht generell unterdurchschnittliche<br />

Bedeutung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.<br />

2. Der Gesetzgeber hat Bußgeld- und Strafverfahren gebührenrechtlich<br />

gleichgestellt.<br />

3. Eine überdurchschnittlich Rechtslage begründet die vom Verteidiger<br />

in Ansatz gebrachte Mittelgebühr, auch wenn das Verfahren<br />

in tatsächlicher Hinsicht nicht schwierig gelagert war.<br />

(LSe der Red.)<br />

AG Dillingen a. d. Donau, Beschl. v. 29.4.1997 – OWi 3/91<br />

Aus den Gründen: Mit Kostenfestsetzungsbeschl. v. 8.12.1994<br />

setzte das AG Dillingen an der Donau unter anderem eine Vorverfahrensgebühr<br />

von 150,– DM und eine Gebühr für die Vertretung<br />

außerhalb der Hauptverhandlung ebenfalls von 150,– DM fest.<br />

Hiergegen wendet sich die Verteidigung mit der Erinnerung, mit<br />

der sie eine Vorverfahrensgebühr von 285,– DM und eine Gebühr<br />

gem. §§ 105 II, 84 I BRAGO von ebenfalls 285,– DM beantragt.<br />

Daraufhin wurde der Kostenfestsetzungsbeschluß mit Entscheidung<br />

des Rpflegers vom 14.2.1995 dahingehend ergänzend, daß dem Betroffenen<br />

ein weiterer Betrag von 115,– DM (weitere 50,– DM Vorverfahrensgebühr,<br />

weitere 50,– DM für die Vertretung außerhalb<br />

der Hauptverhandlung, weitere 15,– DM Mehrwertsteuer) aus der<br />

Staatskasse zu erstatten sind.<br />

Die Verteidigung hat auch aufgrund dieses Beschlusses das eingelegte<br />

Rechtsmittel aufrecht erhalten.<br />

Es hat im Ergebnis Erfolg.<br />

Zwar geht der Rpfleger in seinen beiden Entscheidungen zutreffend<br />

davon aus, daß Bußgeldverfahren im Vergleich zu Strafverfahren<br />

grundsätzlich unterdurchschnittliche Bedeutung zukomme.<br />

Dies ergäbe sich schon aus ihrer gesetzlichen Wertung.<br />

Das Gesetz habe nämlich Verstöße gegen die StVO und ihre Nebengesetze,<br />

welche früher als Übertretung geahndet wurden, durch<br />

die Einführung des Ordnungswidrigkeitengesetzes bewußt ihres<br />

kriminellen Charakters entkleidet.<br />

Das bedeutet aber nicht, daß Ordnungswidrigkeiten generell<br />

unterdurchschnittliche Bedeutung hätten und in tatsächlicher sowie<br />

rechtlicher Hinsicht von minderem Anspruch wären. Vielmehr ist<br />

die Sach- und Rechtslage durch die Umwandlung der Verkehrsdelikte<br />

zu Ordnungswidrigkeiten keineswegs einfach geworden. Darüber<br />

hinaus weist eine Ordnungswidrigkeit, die nach einem anderen<br />

Gesetz zu behandeln ist, ohne hin oft einen komplizierten<br />

Tatbestand auf (Hartmann, Kostengesetze, 27. Auflage, Rdnr. 29 zu<br />

§ 105 BRAGO). Der Verteidiger weist deshalb zurecht darauf hin,<br />

daß der Gesetzgeber bei der Neufassung der BRAGO die gebührenrechtliche<br />

Gleichstellung von Bußgeld- und Strafverfahren eingeführt<br />

hat.<br />

Es kommt hinzu, daß das vorliegende Verfahren nicht in tatsächlicher,<br />

wohl aber in rechtlicher Hinsicht schwierig gelagert<br />

war. Wie der Verteidiger zutreffend vorträgt, war die rechtliche<br />

Beurteilung des tatsächlichen Geschehens von der Verwaltungsbehörde,<br />

die den Bußgeldbescheid erlassen hatte, unzutreffend vorgenommen<br />

worden. Im Bußgeldbescheid, der immerhin eine Geldbuße<br />

von 675,– DM verhängt hatte, war dem Betroffenen nämlich<br />

eine Ordnungswidrigkeit nach § 7bI Nr. 1b Fahrpersonalgesetz<br />

vorgeworfen worden. Für Ordnungswidrigkeiten nach dieser Bestimmung<br />

gilt aber gem. § 5 OWiG der sogenannte Gebietsgrundsatz<br />

mit der Folge, daß nur solche Zuwiderhandlungen geahndet<br />

werden können, die zumindest teilweise auf dem Gebiet der Bundesrepublik<br />

Deutschland begangen worden sind. Der Betroffene<br />

hatte aber die ihm zur Last gelegte Tat erkennbar nicht in der Bundesrepublik<br />

Deutschland, sondern in Österreich bzw. Italien begangen.


AnwBl 11/98 611<br />

Rechtsprechung l<br />

Der Verteidiger mußte deshalb, um den Sachverhalt rechtlich<br />

zutreffend beurteilen zu können, diese vom Gewerbeaufsichtsamt<br />

Augsburg vorgenommene unrichtige Würdigung mittels eingehender<br />

Kenntnisse schwieriger Spezialgesetze, auch der europäischen<br />

Rechts, kritisch prüfen. Das Gericht teilt deshalb seine Auffassung,<br />

daß die Rechtslage deutlich überdurchschnittlich schwierig gelagert<br />

war.<br />

Die vom Verteidiger in Ansatz gebrachten Gebühren erscheinen<br />

deshalb im vorliegenden Verfahren angemessen.<br />

Sie sind wie folgt festzusetzen:<br />

Vorverfahrensgebühr gem. § 105, 84, 83 BRAGO 285,– DM<br />

Gebühr für die Vertretung außerhalb des Hauptverhandlung 285,– DM<br />

Auslagenpauschale gem. § 26 BRAGO 30,– DM<br />

15 % Mehrwertsteuer gem. § 2S BRAGO 90,– DM<br />

Insgesamt 690,– DM<br />

Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 46 OWiG; 464 bII<br />

StPO.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Michael Sauren, Gersthofen<br />

BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />

1. Auch bei einer Einstellung eines Bußgeldverfahrens durch die<br />

Verwaltungsbehörde kommt der volle Gebührenrahmen des § 84<br />

Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />

2. Für die Höhe der anzusetzenden Anwaltsgebühr ist das<br />

Baumgärtelsche System zugrunde zu legen. (LS der Redaktion)<br />

AG Freiburg i. Br., Beschl. v. 5.11.1996 – 28 GS (OWi) 83/96<br />

Aus den Gründen: Der nach § 108 Abs. 1 OWiG zulässige,<br />

weil rechtzeitig eingelegte Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

ist als unbegründet zurückzuweisen. Die Verwaltungsbehörde hat<br />

mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheid vom 22.8.1996<br />

die zu erstattenden notwendigen Auslagen zutreffend mit 225,40<br />

DM festgesetzt.<br />

Zutreffend ist zunächst, daß vorliegend der volle Gebührenrahmen<br />

des § 84 Abs. 2 BRAGO zur Anwendung kommt. Für das<br />

Bußgeldverfahren gelten nach § 105 Abs. 3 BRAGO alle Vorschriften<br />

des sechsten Abschnittes der BRAGO, also auch § 84<br />

Abs. 2 BRAGO. So war bis zum Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes<br />

1994 (das die Änderung im § 84 Abs. 2 BRAGO<br />

brachte) völlig unstreitig, daß die Verweisung in § 105 Abs. 3<br />

BRAGO sämtliche Vorschriften des sechsten Abschnittes der BRA-<br />

GO erfaßt. Warum nach Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes<br />

1994 anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich.<br />

Für die Höhe der anzusetzende Anwaltsgebühr ist nach Auffassung<br />

des Gerichtes das Baumgärtelsche System zugrunde zu legen<br />

(vgl. Baumgärtel, Versicherungsrecht 1978, 581, 584). Die Anwendung<br />

der Punktetabelle nach Baumgärtel ist nach ständiger Rechtsprechung<br />

des AG Freiburg und des LG Freiburg zutreffend, da<br />

ihre Anwendung keinen Verstoß gegen § 12 BRAGO darstellt.<br />

Dieses System wird dem Interesse des Betroffenen am ehesten gerecht,<br />

da es auf den in § 12 BRAGO genannten Bewertungsmerkmalen<br />

aufbaut, den vom Gesetz vorgeschriebenen Gebührenrahmen<br />

voll ausschöpft und zudem einfach und überschaubar ist. Das<br />

Baumgärtelsche Punktesystem sieht die Berücksichtigung aller<br />

Umstände, insbesondere die Berücksichtigung der besonderen tatsächlichen<br />

und rechtlichen Schwierigkeiten, des Umfanges der Tätigkeit<br />

des Verteidigers sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse<br />

des Betroffenen vor (wird ausgeführt).<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Werner Karlin, Waldkirch<br />

BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />

1. Auch bei Einstellung eines Bußgeldverfahrens vor der Ordnungsbehörde<br />

kommt § 84 Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />

2. Regelmäßig ist die Mittelgebühr ersatzfähig.<br />

(LS der Redaktion)<br />

AG Donaueschingen, Beschl. v. 11.10.1996 – 4 OWi 137/96<br />

Aus den Gründen: Am 1.7.1996 erging gegen ... ein Bußgeldbescheid<br />

des Ordnungsamtes der Stadt D. In diesem wurde dem<br />

Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen.<br />

Hiergegen ließ der Betroffene durch seinen Verteidiger, Rechtsanwalt<br />

K., Einspruch einlegen. Mit Schreiben vom 12.7.1996 wies<br />

Rechtsanwalt K. darauf hin, daß die vom ermittelnden Beamten<br />

ausgesprochene Vermutung, daß der Betroffene der Fahrzeugführer<br />

sei, nicht ausreichend sei. Des weiteren wurde Verfahrenseinstellung<br />

beantragt. Am 22.8.1996 stellte daraufhin das Ordnungsamt<br />

der Stadt D. das Verfahren ein.<br />

Mit Schriftsatz vom 3.9.1996 machte Rechtsanwalt K. beim<br />

Ordnungsamt seine Auslagen geltend. Unter anderem begehrte er,<br />

eine Gebühr gem. §§ 105 III, 84 II BRAGO in Höhe von<br />

500,00 DM festzusetzen. Durch Kostenentscheidung der Bußgeldstelle<br />

der Stadt D. vom 11.9.1996 wurde Rechtsanwalt K. eine Mittelgebühr<br />

gem. §§ 105 II, 83 I Nr. 3 BRAGO in Höhe von<br />

350,00 DM zugesprochen. Hierauf beantragte Rechtsanwalt K.<br />

gegen die Kostenentscheidung gerichtliche Entscheidung.<br />

Der gem. §§ 108, 62 OWiG zulässige Antrag ist begründet.<br />

Gemäß § 105 III BRAGO richten sich die Gebühren des Rechtsanwalts<br />

nach dem sechsten Abschnitt der BRAGO. Unmittelbar<br />

kommt hierdurch § 84 BRAGO zur Anwendung (§ 83 ist nicht<br />

direkt, sondern nur aufgrund einer Verweisung anwendbar, da sich<br />

diese Vorschrift auf den ersten Rechtszug und nicht auf das Verfahren<br />

vor der Verwaltungsbehörde bezieht). § 84 II BRAGO und<br />

nicht Absatz 1 dieser Vorschrift findet Anwendung, da das Verfahren<br />

durch Einstellungsverfügung der Stadt D. vom 22.8.1996 endgültig<br />

eingestellt wurde. Aufgrund dessen richtet sich die Vergütung<br />

wegen des Verweises in § 84 II BRAGO nach § 83 I Nr. 3<br />

BRAGO, da ein Beitrag des Verteidigers zur Förderung des Verfahrens<br />

ersichtlich ist. Gemäß §§ 84 III, 83 I Nr. 3 BRAGO reicht der<br />

Gebührenrahmen von 100,00 bis 1.300,00 DM. Regelmäßig ist<br />

hiervon die Mittelgebühr ersatzfähig. Sie wird wie folgt berechnet:<br />

100,00 DM + 1.300,00 DM = 1.400,00 DM: 2 = 700,00 DM. Da<br />

Rechtsanwalt K. nur 500,00 DM in Ansatz brachte, ist seine Berechnung<br />

nicht überhöht. Ihm sind folgende notwendige Auslagen<br />

zu ersetzen:<br />

Gebühr §§ 105 III, 84 II BRAGO: 500,00 DM<br />

Post-/Telekommunikationsentgelt § 26 BRAGO: 30,00 DM<br />

7 Kopien § 27 BRAGO: 7,00 DM<br />

Zwischensumme netto: 537,00 DM<br />

zzgl. 15 % Umsatzsteuer § 25 BRAGO: 80,55 DM<br />

Summe: 617,55 DM<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Werner Karlin, Waldkirch<br />

BRAGO § 86, § 100 Abs. 1 Satz 1; StPO § 467Abs. 1<br />

Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest, daß dem Verteidiger<br />

für die Revisionsinstanz keine Gebühr nach § 86 BRAGO<br />

zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft die Revision zurücknimmt,<br />

ohne das Rechtsmittel zuvor begründet zu haben.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.1998 – 1 Ws 913 – 914/97<br />

Aus den Gründen: Gebührenansprüche für das Revisionsverfahren<br />

gemäß §§ 100 Abs. 1 Satz 1, 86 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BRA-<br />

GO sind den Rechtsanwälten R und D nicht entstanden. Es entspricht<br />

der st. Rspr. des Senats, daß dem Verteidiger für eine<br />

eventuelle Tätigkeit in der Revisionsinstanz keine Gebühr nach<br />

§ 86 BRAGO zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt,<br />

das Rechtsmittel in der Folgezeit aber ohne vorherige Begründung<br />

wieder zurückgenommen hat (vgl. Senatsbeschluß v. 5.9.1989<br />

– 1 Ws 759/89 –, abgedruckt in NStE § 97 BRAGO Nr. 5; ferner<br />

OLG Köln in OLGSt § 86 BRAGO Nr. 2 und OLG Koblenz in<br />

OLGSt § 86 BRAGO Nr. 3, sämtlich m. w. N.). An dieser Auffassung<br />

hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest. Erst die Revisionsrechtfertigung<br />

zeigt Umfang und Zielrichtung des Rechtsmittels<br />

auf und gibt dem Angekl und dem Verteidiger die<br />

Möglichkeit, sich sinnvoll auf das weitere Verfahren und die relevanten<br />

Rechtsprobleme einzustellen. Deshalb ist eine vorherige<br />

Tätigkeit des Rechtsanwalts weder notwendig noch sinnvoll. Das<br />

gilt um so mehr, als eine Revision der Staatsanwaltschaft häufig<br />

nur vorsorglich eingelegt und nach Vorliegen des schriftlichen Ur-


612<br />

l<br />

teils wieder zurückgenommen wird, wie es auch hier geschehen<br />

ist. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang ferner auf die gesetzliche<br />

Regelung des § 347 Abs. 1 Satz 1 StPO. Hiernach ist die<br />

Revisionsschrift dem Gegner erst zuzustellen, wenn die Revision<br />

rechtzeitig eingelegt und die Revisionsanträge rechtzeitig und in<br />

der vorgeschriebenen Form angebracht sind. Daraus folgt, daß der<br />

Gegner erst dann von Amts wegen von der Revisionseinlegung in<br />

Kenntnis gesetzt werden muß, wenn das Gericht, dessen Urteil angefochten<br />

wird, bei der ihm obliegenden Vorprüfung die Revision<br />

als zulässig erachtet und das Rechtsmittel nicht nach § 346 Abs. 1<br />

StPO verworfen hat. Dies belegt auch von Gesetzes wegen, daß<br />

aus der Sicht eines verständigen Verteidigers im Revisionsverfahren<br />

weder Notwendigkeit noch Anlaß besteht, vor der Begründung<br />

der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision eine anwaltliche<br />

Tätigkeit zu entfalten. Mangels Kenntnis des Umfangs und der<br />

Zielrichtung der Revision nebst der innewohnenden rechtlichen<br />

Problematik ist sie zu diesem Zeitpunkt offensichtlich überflüssig<br />

und nicht geeignet, das Revisionsverfahren zu fördern oder in irgendeiner<br />

Weise zu beeinflussen. Voraussetzung für die Entstehung<br />

einer Gebühr kann aber immer nur eine prozessual sinnvolle Tätigkeit<br />

des Verteidigers sein. Daran ändert nichts, daß dieser – wie<br />

hier – regelmäßig mit der Übersendung der Urteilsausfertigung davon<br />

in Kenntnis gesetzt wird, daß die Staatsanwaltschaft das Urteil<br />

mit der Revision angefochten hat. Er muß dann die weitere Entwicklung<br />

und insbesondere abwarten, ob die Revision begründet<br />

wird. Erst dann kann er jedenfalls aus gebührenrechtlicher Sicht<br />

prozessual sinnvoll und zweckdienlich tätig werden. Eine sachgemäße<br />

Verteidigung macht es bei Revisionseinlegung ohne Begründung<br />

allenfalls erforderlich, dem Mandanten die Gesichtspunkte<br />

darzulegen, die die Staatsanwaltschaft zu diesem Schritt bewogen<br />

haben mögen, und ihm anzuraten, mit einer Reaktion bis zum Eingang<br />

der Rechtsmittelrechtfertigung zu warten. Diese Beratung<br />

aber ist – ebenso wie die eventuell „zur Beruhigung“ des Mandanten<br />

angezeigte Besprechung über mögliche Erfolgsaussichten der<br />

Revision – mit den Gebühren für die Vorinstanz abgegolten (vgl.<br />

OLG Köln, aaO). Denn der Verteidiger, der bereits in der Vorinstanz<br />

tätig war, verfügt bereits aus diesem Rechtszug über die insoweit<br />

notwendigen Kenntnisse.<br />

Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.<br />

Der abweichenden Auffassung des OLG Stuttgart (vgl. DAR<br />

1994, 86/87) kann nicht gefolgt werden. Die Entscheidung trägt<br />

den aufgezeigten Zusammenhängen zwischen Verfahrens- und Gebührenrecht<br />

nicht hinreichend Rechnung und ist mit den Voraussetzungen<br />

der Entstehung gebührenrechtlicher Ansprüche auf der<br />

Grundlage einer sinnvollen prozessualen Tätigkeit schwerlich vereinbar.<br />

Sie bietet deshalb keine Veranlassung, von der st. Rspr. des<br />

Senats abzurücken.<br />

2. Soweit sich die die Wahlverteidigergebühren des Rechtsanwalts<br />

D betreffende Beschwerde gegen die Kürzung der für<br />

die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine v. 9., 11., 19.,<br />

23.12.1996 und 2.1.1997 erstattet verlangten Gebühren richtet, ist<br />

sie aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses<br />

und der Vorlageentscheidung der Strafkammer unbegründet. Die<br />

festgesetzten Gebühren für diese Terminstage tragen den Kriterien<br />

der Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO Rechnung. Zu Recht<br />

hat die Rechtspflegerin insoweit auch auf die zeitliche Dauer des<br />

jeweiligen Termins abgestellt und entsprechend differenziert. Im<br />

übrigen überschreiten die Gebührensätze des Rechtsanwalts D hinsichtlich<br />

der fraglichen Termine die Grenze von 20 %, bis zu deren<br />

Höhe eine unbillige Gebührenbestimmung nicht vorliegt (vgl. Senatsbeschluß<br />

v. 6.12.1988 – 1 Ws 1157/88 – in NStE § 12 BRAGO<br />

Nr. 2; ferner OLG Düsseldorf – 2. Strafsenat – 2 Ws 617/89 in<br />

NStE § 12 BRAGO Nr. 4 m. w. N.).<br />

Mitgeteilt von VRiOLG Gotthard Schröter, Düsseldorf<br />

BRAGO § 99<br />

Allein der Umstand, daß der Wahlverteidiger, „neben“ dem der<br />

Pflichtverteidiger verteidigt hat, „federführend“ die Verteidigung<br />

bearbeitet hat, führt nicht zur Verneinung des Merkmals<br />

„besondere Schwierigkeit“ i. S.v. § 99 Abs. 1 BRAGO<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 122/98<br />

AnwBl 11/98<br />

Rechtsprechung<br />

Aus den Gründen: II. Dem Antragsteller war – entgegen der<br />

Stellungnahme des Leiters des Dezernats – gemäß § 99 BRAGO<br />

eine Pauschvergütung zu bewilligen, da er in einer sowohl „besonders<br />

schwierigen“ als auch „besonders umfangreichen“ Sache tätig<br />

geworden ist.<br />

Der Senat vermag sich der Einschätzung des Leiters des Dezernats<br />

10 in seiner o. a. Stellungnahme, es habe sich nicht um eine<br />

„besonders schwierige“ Sache im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO<br />

gehandelt, nicht anzuschließen. Diese stützt sich auf die Auffassung<br />

des Vorsitzenden der Strafkammer, der zu dem Pauschvergütungsantrag<br />

dahin Stellung genommen hat, daß die Sache für den<br />

Pflichtverteidiger keine besonderen Schwierigkeiten geboten habe:<br />

„Rechtsanwalt G war Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger<br />

Rechtsanwalt R, der die Verteidigung federführend bearbeitet hat“.<br />

Zwar schließt sich der Senat grundsätzlich der Einschätzung des<br />

Gerichtsvorsitzenden an (vgl. zur insoweit st. Rspr. des Senats u. a.<br />

Beschl. v. 13.2.1998 – 2 (s) 4-260 bis 262/97). Von diesem Grundsatz<br />

ist vorliegend jedoch eine Ausnahme zu machen. Allein der<br />

Umstand, daß der Wahlverteidiger, „neben“ dem der Pflichtverteidiger<br />

verteidigt hat, „federführend“ die Verteidigung bearbeitet hat,<br />

führt nicht zur Verneinung des Merkmals „besondere Schwierigkeit“.<br />

Das gilt insbesondere dann, wenn – wie vorliegend – nicht<br />

alltäglich auftretende, tatsächlich und rechtlich schwierige Fragen<br />

des Außenwirtschaftsgesetzes den Verfahrensgegenstand bilden, in<br />

die sich auch der Pflichtverteidiger, will er die Pflichtverteidigung<br />

im Interesse des Angekl ordnungsgemäß, führen, einarbeiten muß.<br />

Daß der Antragsteller dies nicht getan hat, läßt sich den dem Senat<br />

vorliegenden Akten nicht entnehmen.<br />

Darüber hinaus ist der Antragsteller nach Auffassung des Senats<br />

auch in einem im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO „besonders<br />

umfangreichen“ Verfahren tätig geworden. Bei der Beurteilung dieser<br />

Frage verkennt der Senat zwar nicht, daß die Hauptverhandlungstermine,<br />

an denen der Antragsteller teilgenommen hat, teilweise<br />

nur erheblich unterdurchschnittlich lang waren und die<br />

Termine mit einem Termin/Woche auch nur locker terminiert waren.<br />

Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß der Antragsteller<br />

dem ehemaligen Angekl erst im ersten Hauptverhandlungstermin<br />

beigeordnet worden ist und er sich deshalb während laufender<br />

Hauptverhandlung in den umfangreichen Prozeßstoff hat einarbeiten<br />

müssen. Insoweit kann er auch nicht darauf verwiesen werden,<br />

er sei, was er selbst vor seiner Beiordnung erklärt habe, über den<br />

Verfahrensstand und den Prozeßstoff informiert gewesen, die insoweit<br />

als Wahlverteidiger entfalteten Tätigkeiten seien im Rahmen<br />

der Pauschvergütung nicht zu berücksichtigen. Denn abgesehen davon,<br />

daß nicht ersichtlich ist, daß der Antragsteller vor der Übernahme<br />

der Pflichtverteidiger überhaupt als Wahlverteidiger mandatiert<br />

war, besagt die von ihm abgegebene Erklärung nicht, daß er<br />

sich bereits vor der Beiordnung in das umfangreiche Aktenmaterial<br />

eingearbeitet hatte. Vielmehr geht der Senat – entsprechend dem<br />

Inhalt der Erwiderung des Antragstellers vom 16.6.1998 – davon<br />

aus, daß allein eine Information über den Verfahrensgegenstand<br />

nicht ausreichend, die Tätigkeit als Pflichtverteidiger ordnungsgemäß<br />

wahrzunehmen und der Antragsteller sich zusätzlich weiter in<br />

das umfangreiche Aktenmaterial hat einarbeiten müssen und eingearbeitet<br />

hat. Diese Tätigkeit wird nicht vollständig durch die teilweise<br />

kurzen Hauptverhandlungstermine kompensiert, zumal deren<br />

durchschnittliche Dauer immerhin fast fünf Stunden betragen hat.<br />

Bei der Bemessung der demnach zu bewilligen Pauschvergütung<br />

hat der Senat, da der Antrag des Antragstellers nicht eindeutig<br />

ist, dessen Antrag wie folgt ausgelegt: Der Antragsteller hat eine<br />

Pauschvergütung von 3.695,50 DM beantragt. Dieser als Pauschvergütung<br />

geltend gemachte Betrag entspricht genau dem Betrag<br />

entspricht, der bisher schon gesetzlichen Gebühren, Auslagen und<br />

Mehrwertsteuer festgesetzt und gezahlt worden ist. Dies läßt nach<br />

Auffassung des Senats den Schluß zu, daß der Antragsteller zusätzlich<br />

zu den ihm zustehenden gesetzlichen Gebühren und Auslagen<br />

nochmals den ihm bereits bewilligten Betrag als Pauschvergütung<br />

beantragt hat.<br />

Unter Zugrundelegung der dem Antragsteller zustehenden gesetzlichen<br />

Gebühren von insgesamt 3.140 DM erschien dem Senat<br />

hier ein Pauschvergütung von 4.200 DM, womit die Mittelgebühr<br />

leicht überschritten ist, ausreichend und angemessen. Bei der Bemessung<br />

hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere<br />

auch die teilweise nur geringe Dauer der Hauptverhandlungstermine,<br />

berücksichtigt.


AnwBl 11/98 613<br />

Rechtsprechung l<br />

Demgemäß war der weitergehende Antrag abzulehnen. Eine<br />

Pauschvergütung in Höhe oder etwa in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühren<br />

kommt nach st. Rspr. des Senats nur dann in Betracht,<br />

wenn der Antragsteller durch die Tätigkeit im Verfahren<br />

über einen längeren Zeitraum ausschließlich oder fast auschließlich<br />

in Anspruch genommen worden wäre (vgl. u. a. zuletzt Senat in<br />

JurBüro 1997, 84). Das ist hier aber, was angesichts der überschaubaren<br />

Verfahrensdauer keiner näheren Darlegung bedarf, nicht der<br />

Fall.<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />

BRAGO § 99<br />

Zur Gewährung eines weiteren Vorschusses auf eine demnächst<br />

gem. § 99 BRAGO zu bewilligende Pauschvergütung.<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 8.1.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 248/97<br />

Aus den Gründen: Der Antragsteller war seit dem 7.6.1994 zunächst<br />

als Wahlverteidiger des Angekl B. tätig und ist danach seit<br />

seiner Bestellung am 6.2.1996 als Pflichtverteidiger in einem besonders<br />

umfangreichen und besonders schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren<br />

tätig.<br />

Durch Senatsbeschl. v. 22.5.1997 (2 (s) Sbd. 5 – 90/97) ist dem<br />

Antragsteller insbesondere im Hinblick auf seine Tätigkeit ab Beginn<br />

der Hauptverhandlung am 26.4.1996 ein Vorschuß in Höhe<br />

von 15.000,– DM auf eine demnächst zu bewilligende Pauschvergütung<br />

gewährt worden. In jenem Beschluß, auf den Bezug genommen<br />

und auf den verwiesen wird, hat der Senat auch auf die<br />

Grundsätze und Kriterien hingewiesen, nach denen auch ohne eine<br />

entsprechende gesetzliche Bestimmung ganz ausnahmsweise ein<br />

Vorschuß auf eine künftige Pauschvergütung bewilligt werden<br />

kann.<br />

Mit Schriftsatz vom 4.11.1997, auf den ebenfalls verwiesen<br />

wird, hat der Antragsteller mit näheren Ausführungen beantragt,<br />

ihm eine weitere Vorschußzahlung auf eine Pauschvergütung in<br />

Höhe von 25.000,- DM zu bewilligen. Diesen Antrag hält der Senat<br />

unter weiterem Festhalten an den bislang vielfach dargelegten<br />

Grundsätzen für die Bewilligung eines Vorschusses auf eine künftige<br />

Pauschvergütung – im Ergebnis entsprechend der dem Antragsteller<br />

bekanntgegebenen Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse<br />

vom 1.12.1997 – jedenfalls zum Teil für begründet.<br />

Der Antragsteller hat seinen Arbeitsaufwand für das vorliegende<br />

Verfahren und die sich daraus ergebende besondere Härte bei<br />

Versagung eines – weiteren – Vorschusses auf eine Pauschvergütung<br />

noch hinreichend dargelegt. Unter Berücksichtigung aller<br />

Umstände hält der Senat bereits jetzt zum Ausgleich für die unbillige<br />

Härte, die bei Versagung einer erneuten Abschlagszahlung auf<br />

eine spätere Pauschvergütung entstehen würde, die Bewilligung<br />

eines weiteren Vorschusses von 10.000,- DM für angemessen.<br />

Dieser Betrag ergibt sich insbesondere aus folgenden Erwägungen:<br />

Seit der letzten Bewilligung eines Vorschusses durch Senatsbeschl.<br />

v. 22.5.1997 hat der Antragsteller bis zum 4.11.1997 an<br />

weiteren 27 Hauptverhandlungstagen teilgenommen und seitdem<br />

bis heute, dem für die Bemessung maßgeblichen Zeitpunkt, an<br />

maximal weiteren 14 Hauptverhandlungstagen, insgesamt also an<br />

41 Hauptverhandlungstagen. Bei dem Bemessungsmaßstab, den<br />

der Senat bei der Bewilligung eines Vorschusses bislang angelegt<br />

hat und von dem abzuweichen kein Anlaß besteht, bedeutet dies,<br />

daß unter Zugrundelegung eines weiteren Arbeitstages pro Sitzungswoche<br />

mit zwei Hauptverhandlungstagen und bei Orientierung<br />

an der einem Pflichtverteidiger zustehenden Gebühr für einen<br />

weiteren Hauptverhandlungstag sich jetzt rechnerisch ein zusätzlicher<br />

Betrag ergäbe, der noch etwas unter der nunmehr festgesetzten<br />

weiteren Vorschußzahlung läge.<br />

Unter weiterer Berücksichtigung der Voraussetzung, daß die<br />

Höhe der bewilligten Vorschüsse durch den Gang des weiteren Verfahrens<br />

vermutlich nicht mehr nach unten beeinflußt werden kann<br />

und unter weiterem Festhalten daran, daß die Höchstgebühren eines<br />

Wahlverteidigers in der Regel die Obergrenze der Pauschvergütung<br />

darstellen und dieser Betrag jedenfalls im Rahmen einer –<br />

vom Gesetz nicht vorgesehenen – Vorschußbewilligung nicht erreicht<br />

oder gar überschritten werden soll (vgl. Senatsbeschl. v.<br />

20.8.1997 in 2 (s) Sbd. 5 – 146/97 betreffend den weiteren Pflichtverteidiger<br />

des Angekl B., Rechtsanwalt Z.), steht der jetzt festgesetzte<br />

weitere Vorschußbetrag auch in angemessenem Verhältnis zu<br />

der Höhe der bereits erfolgten Bewilligungen von Vorschüssen und<br />

weiteren Vorschüssen in vergleichbaren Fällen auch im vorliegenden<br />

Verfahren.<br />

Unter Ablehnung des der Höhe nach weitergehenden Antrags<br />

ist dieser Betrag von 10.000,– DM daher – neben bereits entstandenen<br />

und künftig entstehenden Ansprüchen auf gesetzliche Gebühren<br />

und Auslagen sowie Vorschüsse auf diese sowie zusätzlich<br />

zum bereits bewilligten Vorschuß auf eine Pauschvergütung festgesetzt<br />

worden.<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />

BRAGO § 99<br />

Bei der Gewährung eines – ausnahmsweise – zu bewilligenden<br />

Vorschusses auf eine demnächst gem. § 99 BRAGO zu gewährende<br />

Pauschvergütung ist zu berücksichtigen, daß das nach der<br />

Rechtsprechung des BVerfG dem Pflichtverteidiger zugunsten<br />

des Gemeinwohls auferlegte Sonderopfer nicht so groß werden<br />

darf, daß die finanziellen Einbußen des Rechtsanwalts unter Berücksichtigung<br />

der von ihm erbrachten Tätigkeiten unverhältnismäßig<br />

werden.<br />

Ist das Verfahren gegen den Mandanten endgültig erledigt, wird<br />

es aber gegen andere Angekl noch fortgeführt, kann dem<br />

Pauschvergütungsanspruch des Verteidigers, der Pflichtverteidiger<br />

des ausgeschiedenen Angekl ist, nicht entgegengehalten werden,<br />

die Akten seien wegen der Fortführung des Verfahrens<br />

nicht entbehrlich. Zumindest ist diesem Pflichtverteidiger dann<br />

ein Vorschuß auf einem demnächst zu gewährende Pauschvergütung<br />

zu bewilligen.<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 64 bis 70/98<br />

Aus den Gründen: 1. Der Senat hat in der Vergangenheit bereits<br />

wiederholt entschieden, daß Bewilligung eines Vorschusses<br />

auf eine demnächst etwa zu gewähre Pauschvergütung nur in Ausnahmefällen<br />

und in der Regel nur unter den besonderen Voraussetzungen<br />

in Betracht kommt, daß der Pflichtverteidiger in einem sogenannten<br />

„Monsterverfahren“ tätig geworden ist, er infolge des<br />

außergewöhnlichen Umfangs seiner Pflichtverteidigertätigkeit eine<br />

sehr lange Zeit hindurch an der Ausübung einer weiteren beruflichen<br />

Tätigkeit weitgehend gehindert war und die Versagung von<br />

Teilzahlungen auf eine voraussichtliche spätere Pauschvergütung<br />

als eine unzumutbare Härte für den Verteidiger erscheinen müßte,<br />

die ggf. bis zu existentiellen Konsequenzen führen könnte (st.<br />

Rspr. des Senats, vgl. u. a. Beschl. v. 25.4.1996 – 2(s) Sbd. 4-49/96<br />

in ZAP EN-Nr. 474/96 = Anwalts-Gebühren-Spezial 1996, 125 mit<br />

Anmerkung Madert; siehe auch Beschl. v. 20.8.1997 – 2 (s) Sbd.<br />

5.146/97 in AnwBl 1998, 219, jeweils m. w. N.). Ferner muß bereits<br />

im gegenwärtigen Verfahrensstadium eine Pauschvergütung<br />

unabhängig vom weiteren Verlauf des noch nicht abgeschlossenen<br />

Verfahrens mit großer Sicherheit zu erwarten sein und auch die<br />

Höhe des Vorschusses durch den Gang des weiteren Verfahrens<br />

voraussichtlich nicht mehr nach unten beeinflußt werden können.<br />

An dieser Rechtsprechung, die darauf beruht, daß die BRAGO<br />

auch nach den Änderungen durch das Kostenrechtsänderungsgesetz<br />

v. 24.6.1994. (BGBl. I, Seite 1325) einen Vorschuß auf eine<br />

Pauschvergütung nicht vorsieht, hält der Senat grundsätzlich fest.<br />

Danach wird also eine Vorschußzahlung nur in Ausnahmefällen in<br />

Betracht kommen, wobei allerdings zu berücksichtigen sein wird,<br />

daß das nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 68, 237,<br />

245, 255) dem (Pflicht-) Verteidiger zugunsten des Gemeinwohls<br />

auferlegte (Sonder-) Opfer nicht so groß werden darf, daß die finanziellen<br />

Einbußen des Rechtsanwalt unter Berücksichtigung der<br />

von ihm erbrachten Tätigkeiten unverhältnismäßig werden. Deshalb<br />

geht der Senat davon aus, daß in (Umfangs-) Verfahren wie<br />

dem vorliegenden, wenn die übrigen o. a. Voraussetzungen gegeben<br />

sind, in der Regel nach etwa einem Jahr und/oder rund 50<br />

Hauptverhandlungstagen die Gewährung eines Vorschusses in Betracht<br />

kommen kann.


614<br />

l<br />

Nach den o. a. Grundsätzen ist damit vorliegend – entgegen der<br />

o. a. Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 – den gestellten<br />

Vorschußanträgen stattzugeben. Es handelt sich um ein sehr umfangreiches<br />

und – entsprechend der Stellungnahme des Gerichtsvorsitzenden,<br />

der sich der Senat derzeit anschließt – auch um ein –<br />

zumindest – schwieriges Verfahren, das die Arbeitszeit der Antragsteller<br />

in erheblichem Umfang in Anspruch nimmt. Sie sind i. d. R.<br />

an zwei Tagen/Woche durch die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen<br />

ausgelastet, zumindest einen weiteren Tag müssen<br />

sie zur Vorbereitung und/oder Nachbereitung der Hauptverhandlung<br />

aufwenden. Damit müssen sie an drei Arbeitstagen/Woche<br />

dem Verfahren zur Verfügung stehen und können in dieser Zeit, die<br />

mehr als die Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit<br />

ausmacht, anderen beruflichen Tätigkeiten nicht nachgehen. Stellt<br />

man dieser Belastung die den Antragstellern bislang zustehenden<br />

gesetzlichen Gebühren von 18.000 bis 19.000 DM gegenüber, ergibt<br />

sich eine Einnahme von rund 115 bzw. 120 DM/Tag. Das ist,<br />

auch unter Berücksichtigung der teilweise nur geringen/unterdurchschnittlichen<br />

Verhandlungsdauer, nach Auffassung des Senats im<br />

Sinn der o. a. Ausführungen unzumutbar.<br />

Der Senat hat auch keine Zweifel, daß das Verfahren in seinem<br />

weiteren Verlauf „besonders umfangreich“ bleiben wird. Dafür<br />

sprechen schon der bislang mitgeteilte Umfang des vorliegenden<br />

Aktenmaterials sowie auch die weiteren terminierten Hauptverhandlungstage.<br />

Unter Berücksichtigung aller, derzeit erkennbaren Umstände<br />

des Einzelfalls erschien dem Senat bei allen Antragstellern, die die<br />

Gewährung eines Vorschusses beantragt haben, unter Anwendung<br />

des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Bewilligung eines Vorschusses<br />

von jeweils 10.000 DM angemessen. Dabei hat der Senat<br />

sich an der einem Pflichtverteidiger für einen weiteren Hauptverhandlungstag/Woche<br />

zustehenden Gebühr orientiert und außerdem<br />

mit in Erwägung gezogen, daß die Pauschvergütungen voraussichtlich<br />

nicht mehr nach unter beeinflußt werden können (vgl. auch<br />

Beschl. des Senats v. 10.1.1997 – 2 (s) Sbd. 5-220/97 – StraFo<br />

1997, 95 – und Beschl. v. 3.2.1997 – 2 (s) Sbd. 5-47/97). Dafür<br />

spricht schon der bisherige erhebliche Umfang des Verfahrens.<br />

Die weitergehenden, erheblich über die bewilligten 10.000 DM<br />

hinausgehenden Anträge waren demgemäß abzulehnen.<br />

2. Nach den vorstehenden Ausführungen war den Rechtsanwälten<br />

Sch und B gem. § 99 Abs. 1 BRAGO ein Pauschvergütung zu<br />

bewilligen.<br />

Insoweit weist der Senat zunächst darauf hin, daß – entgegen<br />

der Auffassung des Leiters des Dezernats – gegenüber den geltend<br />

gemachten Pauschvergütungsansprüchen nicht darauf verwiesen<br />

werden kann, die erforderliche Gesamtschau des Verfahrens sei<br />

wegen der Fortführung des Verfahrens und den deshalb nicht zur<br />

Verfügung stehenden Akten nicht möglich, weshalb die Gewährung<br />

von Pauschvergütungen abzulehnen sei. Denn mit der endgültigen<br />

Einstellung des Verfahrens gegen die ehemalige Angekl K<br />

Sch ist die den Antragstellern Sch und B zu vergütende Tätigkeit<br />

abgeschlossen. Damit steht ihnen nach st. Rspr. des Senats der<br />

Pauschvergütungsanspruch zu. Daß das Verfahren gegen die übrigen<br />

Angekl fortgeführt und deshalb die Akten nur schwer oder<br />

überhaupt nicht entbehrlich sind, kann nicht zu Lasten dieser Antragsteller<br />

gehen. Ihnen kann nicht zugemutet werden, ggf. bis<br />

zum rechtskräftigen, derzeit überhaupt nicht absehbaren Abschluß<br />

des Verfahrens gegen alle Angekl, der sich noch mehrere Jahre<br />

hinziehen kann, auf die Gewährung einer Pauschvergütung zu warten.<br />

Vielmehr muß durch geeignete Maßnahmen, ggf. kurzfristige<br />

Akteneinsicht o. ä., sichergestellt werden, daß möglichst zeitnah<br />

über die gestellten Anträge entschieden werden kann.<br />

Der Senat hat vorliegend jedoch davon abgesehen, selbst die<br />

gesamten Verfahrensakten, etwa in der bevorstehenden Sommerpause,<br />

beizuziehen. Er hat vielmehr die Anregung von Rechtsanwalt<br />

Sch in dessen Erwiderung v. 2.6.1998 auf die Stellungnahme<br />

des Leiters des Dezernats 10 aufgegriffen und – nach dem derzeitigen<br />

Erkenntnisstand – über die Gewährung einer Pauschvergütung<br />

entschieden. Für diese Vorgehensweise sprach insbesondere auch,<br />

daß den anderen Verteidigern Vorschüsse auf demnächst zu bewilligende<br />

Pauschvergütungen gewährt worden sind. Eine abschließende<br />

Entscheidung über die gestellten Anträge wird erfolgen, sobald<br />

die Verfahren gegen alle Angekl abgeschlossen sind.<br />

AnwBl 11/98<br />

Rechtsprechung<br />

Auf der Grundlage der obigen Ausführungen waren Rechtsanwalt<br />

Sch und Rechtsanwalt B Pauschvergütungen zu bewilligen, da<br />

sie in einem zumindest -„besonders umfangreichen“ Verfahren tätig<br />

geworden sind. Ob das Verfahren auch „besonders schwierig“<br />

war, vermag der Senat derzeit nicht abschließend zu beurteilen.<br />

Bei der Bemessung der Pauschvergütungen hat der Senat alle<br />

derzeit erkennbaren Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Das<br />

waren insbesondere die zahlreichen Hauptverhandlungstermine,<br />

die jedoch teilweise nur von unterdurchschnittlicher Dauer waren.<br />

Berücksichtigt hat der Senat neben der langen Verfahrensdauer<br />

vor allem auch, daß die Antragsteller neben der Teilnahme an den<br />

38 bzw. 37 Hauptverhandlungsterminen ebenfalls mindestens einen<br />

Tag/Woche zur Vor- bzw. Nachbereitung benötigt haben. Insgesamt<br />

erschien – unter Berücksichtigung der den Antragsteller zustehenden<br />

gesetzlichen Gebühren von rund 14.000 DM – eine Pauschvergütung<br />

von jeweils 25.000 DM derzeit angemessen.<br />

Darüber hinaus konnte derzeit eine Pauschvergütung nicht gewährt<br />

werden. Insoweit weist der Senat aber schon darauf hin, daß<br />

nach seinem derzeitigen Erkenntnisstand kaum für jeden Verhandlungstag<br />

Gebühren in Höhe der von den Antragstellern geltend gemachten<br />

Wahlverteidigerhöchstgebühren von 1.520 DM in Betracht<br />

kommen dürften. Grds. kann zwar nach st. Rspr. des Senats die<br />

einem Pflichtverteidiger nach § 99 Abs. 1 BRAGO zu gewährende<br />

Pauschvergütung auch die Höchstgebühren eines Wahlanwalts erreichen.<br />

Das kommt aber nach ebenfalls st. Rspr. des Senats nur in<br />

Betracht, wenn das Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger<br />

beigeordnet wurde, die Arbeitskraft des Rechtsanwalts<br />

über eine sehr lange Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in<br />

Anspruch genommen hat (vgl. Beschl. des Senats v. 16.9.1996 –<br />

2 (s) Sbd. 4-95 u. 96/96 – JurBüro 1997, 84 = StraFo 1997, 63).<br />

Das hat der Senat z. B. in einem Fall, in dem sich 120 Hauptverhandlungstage<br />

auf rund 11/2 Jahre verteilten, also die Hauptverhandlungstage<br />

mit etwa 1 bis 2 Hauptverhandlungen in der Woche<br />

nicht sehr dicht terminiert waren, und zudem die durchschnittliche<br />

Terminsdauer teilweise nur unterdurchschnittlich lang war, verneint.<br />

Das vorliegende Verfahren scheint damit vergleichbar zu<br />

sein. Eine abschließende Beurteilung behält der Senat sich jedoch<br />

für den bereits erwähnten späteren Zeitpunkt vor.<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />

BRAGO § 99; StPO § 153 Abs. 2<br />

Hat ein Pflichtverteidiger auch noch nach einer gem. § 153<br />

Abs. 2 StPO erfolgten Einstellung des Verfahrens für seinen<br />

Mandanten Tätigkeiten erbracht, sind diese im Rahmen der Bewilligung<br />

einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO grundsätzlich<br />

nicht zu berücksichtigen.<br />

OLG Hamm, Beschl. v. 15.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 110/98<br />

Aus den Gründen: Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz v.<br />

9.6.1998 zur Begründung seines Antrags darauf hinweist, daß er<br />

auch noch nach der gem. § 153 Abs. 2 StPO erfolgten Einstellung<br />

des Strafverfahrens für die frühere Angekl im Zusammenhang mit<br />

Fragen der Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen tätig<br />

war, hat der Senat diese Tätigkeit im Rahmen der Bewilligung der<br />

Pauschvergütung nicht berücksichtigt. Nach dem eindeutigen Wortlaut<br />

des § 99 BRAGO ist in besonders umfangreichen und schwierigen<br />

Strafsachen dem gerichtlich bestellten Verteidiger eine<br />

Pauschvergütung zu bewilligen. So entspricht es der ständigen<br />

Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 9.5.1997, 2 (s) Sbd. 5 –<br />

34 – 41/97, Beschl. v. 12.8.1997, 2 (s) Sbd. 5 – 109 – 113/97 und<br />

Beschl. v. 4.12.1997, 2 (s) Sbd. 5 – 211/97), daß die von einem<br />

Antragsteller vor seiner gerichtlichen Bestellung zum Pflichtverteidiger<br />

als Wahlverteidiger geleisteten Tätigkeiten im Rahmen der<br />

Bewilligung der Pauschvergütung nicht berücksichtigt werden.<br />

Gleiches muß für die Tätigkeit gelten, die ein Pflichtverteidiger<br />

nach Beendigung seiner Bestellung leistet. Nach allgemeiner Meinung<br />

endet die Pflichtverteidigerbestellung mit der Rechtskraft des<br />

Strafverfahrens, worauf auch bereits der 4. Strafsenat in seinem<br />

Beschl. v. 29.8.1996 (4 Ws 386/96) in diesem Verfahren hingewiesen<br />

hat. Lediglich für das Wiederaufnahmeverfahren ist die Fortgeltung<br />

der Pflichtverteidigerbestellung anerkannt. Auf die nach<br />

Rechtskraft des Strafverfahrens sonst erforderlichen Nachtragsent-


AnwBl 11/98 615<br />

Rechtsprechung l<br />

scheidungen soll sich die Bestellung nicht erstrecken (vgl. LR-<br />

Dünnebier, StPO, 23. Aufl., § 141 Rn. 39). Selbst wenn man zu der<br />

Auffassung neigt, daß der Angekl nicht nur in der Hauptverhandlung<br />

des Beistandes bedarf und deshalb hinsichtlich nachträglicher<br />

Entscheidungen eine differenzierte Auffassung vertritt (vgl. OLG<br />

Bamberg, StV 1985, 140), ist im vorliegenden Fall weder erkennbar<br />

noch vorgetragen, aus welchem Grunde ausnahmsweise die<br />

Fortgeltung der Beiordnung nach Einstellung des Strafverfahrens<br />

anzunehmen ist. Die von dem Antragsteller nach Einstellung des<br />

Strafverfahrens geleistete Tätigkeit, die im übrigen auch nicht im<br />

einzelnen dargetan ist, war mithin vorliegend im Rahmen der Bewilligung<br />

der Pauschvergütung nicht zu berücksichtigen.<br />

Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />

BGB § 1836<br />

1. Zur Frage der Vergütung eines Berufsbetreuers, der nicht<br />

Rechtsanwalt ist, bei Anwendung von § 1836 Abs. 1 BGB<br />

2. Für die Bemessung von Bürokosten des nicht anwaltlichen Betreuers<br />

sind weder Modellrechnungen noch die Umstände, die<br />

ein Büro mittleren Zuschnitts für einen Berufsbetreuer ausmachen<br />

sollen, allgemein anerkannt. Eine – quotale – Bemessung<br />

nach den Kosten von Rechtsanwaltskanzleien ist nicht möglich.<br />

3. Die Festsetzung eines Stundensatzes von 100 DM netto für<br />

einen nicht anwaltlichen Berufsbetreuer, der Politikwissenschaftler<br />

ist, ist nicht unangemessen niedrig.<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.5.1998 – 4 W 31/98<br />

Aus den Gründen: 1. Das LG hat ausgeführt daß der Beschwerdeführer<br />

gerichtsbekannt Berufsbetreuer sei und der Betreute vermögend<br />

gewesen sei. Der Vergütungsanspruch richte sich deshalb<br />

nach § 1836 Abs. 1 i. V. m. § 1908 i BGB. Bei der Ermessensentscheidung<br />

über den Stundensatz sei zu beachten daß dem Betreuer<br />

sein Zeitaufwand, die anteiligen Büro- und Personalkosten für ein<br />

Büro mittleren Zuschnitts sowie die anfallende Mehrwertsteuer zu<br />

ersetzen seien. Daneben müsse die Vergütung ein angemessenes<br />

Honorar enthalten. Die Vergütungssätze nach § 1836 Abs. 2 BGB<br />

stellten insoweit lediglich eine Mindestvergütung dar. Nach diesen<br />

Grundsätzen würden in der Rechtsprechung für Rechtsanwälte als<br />

Berufsbetreuer überwiegend Vergütungssätze um ca. 200 DM pro<br />

Stunde für angemessen erachtet. Diese Stundensätze könnten auf<br />

den Beschwerdeführer allerdings nicht ohne weiteres übertragen<br />

werden. Das LG hat sodann unter Anwendung der Grundsätze der<br />

obergerichtlichen Rechtsprechung seine Schätzung dahin ausgeübt,<br />

daß es einen Nettostundensatz von 100 DM für angemessen hielt.<br />

2. Die Ausführungen des LG halten der rechtlichen Nachprüfung<br />

stand (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).<br />

a) Die Angemessenheit der Vergütung eines Berufsbetreuers –<br />

um einen solchen handelt es sich bei dem Beschwerdeführer –<br />

wird bestimmt durch den nachgewiesenen Zeitaufwand und die<br />

Honorare, die allgemein in der Berufsgruppe, welcher der Betreuer<br />

angehört, bezahlt werden. Gibt es solche Vergleichsbeträge nicht,<br />

kann auf die Honorierung ähnlicher Berufsgruppen mit gleicher<br />

Ausbildung zurückgegriffen werden. Hinzuzurechnen ist ein Risikozuschlag<br />

für freie Berufe (BayObLG FamRZ 1994, 124). Bei der<br />

Bemessung des Stundensatzes sind alle entstehenden Bürokosten,<br />

einschließlich Personalkosten und Mehrwertsteuer zu berücksichtigen.<br />

Abzustellen ist in diesem Zusammenhang nicht auf die konkret<br />

entstehenden Bürokosten des Betreuers, sondern auf die Kosten,<br />

die Berufsbetreuer üblicherweise für ein Büro mittleren Zuschnitts<br />

aufwenden (BayObLG FamRZ 1995, 692; OLG<br />

Schleswig, OLG-Report 1997 355, 356). Die Vergütung muß aber<br />

über den Ersatz von Kosten hinaus ein angemessenes Honorar für<br />

den Berufsbetreuer erbringen. Dabei gelten die Sätze des § 1836<br />

Abs. 2 BGB nicht; sie können lediglich eine Mindestvergütung darstellen,<br />

aber die Vergütung nach § 1836 Abs. 1 BGB nicht nach<br />

oben begrenzen (BayObLG FamRZ 1994, 124; BayObLG FamRZ<br />

1996, 1168, 1169).<br />

Bei der zu bewilligenden Vergütung sind als weitere Umstände<br />

zu berücksichtigen die Größe des Vermögens des Betreuten, die<br />

Bedeutung und die Schwierigkeit der dem Betreuer obliegenden<br />

Geschäfte und der sich hieraus ergebende Grad der Verantwortung<br />

(BayObLG FamRZ 1996, 1168, 1169; BayObLG FamRZ 1997,<br />

700).<br />

Für Rechtsanwälte, die als Berufsbetreuer tätig sind, hat der Senat<br />

für die Betreuung eines nicht mittellosen Betroffenen in der<br />

Regel einen Stundensatz von 200 DM einschließlich Mehrwertsteuer<br />

zugrunde gelegt und je nach den Umständen des Einzelfalles einen<br />

höheren oder auch niedrigeren Stundensatz gerechtfertigt gehalten<br />

(Beschl. v. 27.6.1997 – 4 W 30/97; vgl. auch BayObLG<br />

FamRZ 1997, 700).<br />

b) Vom Gericht der weiteren Beschwerde kann eine Ermessensentscheidung<br />

nur auf Rechtsfehler überprüft werden (§§ 27 Abs. 1<br />

FGG, 550 ZPO). Ein solcher liegt vor, wenn das Tatgericht sich des<br />

ihm zustehenden Ermessens nicht bewußt war, von ungenügenden<br />

oder verfahrenswidrig zustandegekommenen Feststellungen ausgegangen<br />

ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat, der<br />

Bewertung relevanter Umstände unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt<br />

hat, gegen Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht<br />

beachtet,. von seinem Ermessen einen dem Zweck der Ermächtigung<br />

nicht entsprechenden Gebrauch gemacht oder die gesetzlichen<br />

Grenzen des Ermessens überschritten hat (BGH FamRZ<br />

1990, 1097; BGH NJW-RR 1993, 795, 796).<br />

c) Eine Überprüfung anhand dieser Grundsätze läßt keine<br />

Rechtsfehler der landgerichtlichen Entscheidung erkennen.<br />

aa) Zutreffend hat das LG bei der Bemessung des Stundensatzes<br />

den vom Beschwerdeführer ermittelten Stundensatz von 173,75<br />

DM netto außer Ansatz gelassen. Zwar hat der Beschwerdeführer<br />

durch einen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer anhand von Erfahrungswerten<br />

die Bürokosten ermitteln lassen. Dabei wurde aber offensichtlich<br />

die personelle und sachliche Ausstattung des Bürobetriebes<br />

des Kl zugrunde gelegt. Dies ergibt sich bereits aufgrund<br />

der Tatsache, daß drei angestellte Arbeitskräfte – ein Vollzeit-Arbeitsplatz<br />

und zwei Teilzeit-Arbeitsplätze – in die Ermittlung der<br />

Bürokosten eingeflossen sind. Wie jedoch der Beschwerdeführer<br />

selbst nicht verkennt, ist nicht auf die konkret entstehenden Bürokosten<br />

des Betreuers abzustellen, sondern auf die Kosten, die Berufsbetreuer<br />

üblicherweise für ein Büro mittleren Zuschnitts aufwenden<br />

(BayObLG FamRZ 1995, 692; BayObLG FamRZ 1996,<br />

1168, 1169). Für die Ermittlung der Bürokosten eines als Betreuer<br />

tätigen Rechtsanwaltes ist dabei anerkannt, daß auf Modellrechnungen<br />

bezüglich des Unkostenanteils am Gesamtumsatz von<br />

Rechtsanwaltskanzleien oder auf die vom statistischen Bundesamt<br />

ermittelten Zahlen für Einzelpraxen von Rechtsanwälten ohne Einzelpraxen<br />

für Fachanwälte zurückgegriffen werden kann (vgl.<br />

BayObLG FamRZ 1997, 700, 701). Bei einem nicht anwaltlichen<br />

Berufsbetreuer – wie vorliegend – sind die Bürokosten jedoch geringer.<br />

Das LG hat diesbezüglich aber auch bezüglich des Stundensatzes<br />

ohne Bürokosten eine Schätzung vorgenommen, wobei es<br />

sich an den in der Rechtsprechung zugrunde gelegten Stundensätzen<br />

orientiert hat. Diese Verfahrensweise ist nicht zu beanstanden,<br />

da Modellrechnungen bezüglich des Unkostenanteils und nicht einmal<br />

die Umstände, die ein Büro mittleren Zuschnitts für einen Berufsbetreuer<br />

ausmachen sollen, nicht allgemein anerkannt sind.<br />

Bei der vom LG vorgenommenen Schätzung konnten insbesondere<br />

die bereits vom Bayerischen Oberlandesgericht ausgeurteilten<br />

Stundensätze von 80 DM netto für einen Diplompädagogen und<br />

Bankkaufmann (FamRZ 1996, 1168), von 75 DM netto für einen<br />

Diplom-Sozialpädagogen (FamRZ 1996, 1169) und von 65 DM<br />

netto für einen Dipl.-Sozialarbeiter (FamRZ 1997, 701) zugrunde<br />

gelegt werden. Neuerdings hat auch das OLG Schleswig (FamRZ<br />

1998, 509, 510) einen Stundensatz von 75 DM für einen Sozialpädagogen<br />

(FH) für angemessen gehalten. In Anbetracht des dabei<br />

gesteckten Rahmens hat das LG sein Ermessen nicht zum Nachteil<br />

des Beschwerdeführers fehlerhaft ausgeübt, wenn es für den Beschwerdeführer,<br />

einen Politikwissenschaftler mit Nebenfächern Soziologie<br />

und Jura einen Stundensatz von 100 DM netto veranschlagt<br />

hat ...<br />

Mitgeteilt von dem 4. Zivilsenat des OLG Karlsruhe in Freiburg


616<br />

l<br />

Streitwert, Kosten, Erstattung<br />

BRAGO § 8 Abs. 2 S. 2; GKG §§ 12, 13<br />

1. Zum Streitwert in Beleidigungssachen.<br />

2. Das Verbot einer reformatio in peius gilt im Verfahren über<br />

eine Streitwertbeschwerde nicht. (LSe der Redaktion)<br />

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.7.1998 – 14 W 41/98<br />

Aus den Gründen: Die Beschwerde der Änwälte der Kl, mit<br />

der sie die Heraufsetzung der Streitwerts von (zusammen) 8.000<br />

DM auf 19.000 DM erstreben, ist zulässig (§ 9 Abs. 2 S. 2 BRA-<br />

GO; zur Beschwer des Anwalts bei zu geringer Festsetzung des<br />

Streitwerts vgl. Hillach-Rohs, Handbuch des Streitwerts in bürgerlichen<br />

Rechtsstreitigkeiten, 8. Aufl., § 97 X S. 497), aber nicht begründet.<br />

Das Rechtsmittel führt insgesamt nicht zu einer Erhöhung,<br />

sondern zu einer Herabsetzung der Wertfestsetzung; das Verbot einer<br />

reformatio in peius gilt im Verfahren über eine Streitwertbeschwerde<br />

nicht (Hillach-Rohs aaO § 97 XII b S. 499).<br />

1. Den Wert des Unterlassungsantrags hat das LG mit Recht<br />

mit 4.000 DM bewertet; der Senat tritt dem bei.<br />

a. Der genannte Antrag (auf Unterlassung der Bezeichnung der<br />

Kl mit üblen, überwiegend der Sexualsphäre entlehnten Schimpfworten)<br />

stellt eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit dar. Der<br />

Wert des Streitgegenstands ist in solchen Fällen unter Berücksichtigung<br />

aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs<br />

und der Bedeutung der Sache und der Vermögensverhältnisse der<br />

Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 12 Abs. 2 S. 1 GKG).<br />

Der Umfang der Sache ist gering. Ihre Bedeutung darf angesichts<br />

der mit der Klage zu bekämpfenden üblen Beschimpfungen der Kl<br />

einerseits nicht zu gering veranschlagt werden, es darf andererseits<br />

aber auch nicht übersehen werden, daß es sich bei dem Rechtsstreit<br />

jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage (vgl. § 15<br />

GKG) um eine bedauerliche Auseinandersetzung unter Bewohnerinnen<br />

desselben Hauses handelte, die durch wechselseitige Beleidigungen<br />

(und auch Tätlichkeiten) geprägt zu sein schien, ohne<br />

daß davon ausgegangen werden könnte, daß eine breitere Öffentlichkeit<br />

hiervon Kenntnis erlangt oder gar Interesse daran gezeigt<br />

hätte (zum gegenläufigen Vortrag der Kl s. sogleich). Über die Einkommensverhältnisse<br />

der Kl ist nichts Genaueres bekannt, die<br />

Bekl erhält demgegenüber Sozialhilfe und hat zur Verteidigung gegen<br />

die Klage daher auch PKH beantragt. Wenn das LG der durch<br />

diese Umstände geprägten Streitsache den Ausgangswert (immerhin)<br />

von Kindschaftssachen (§ 12 Abs. 2 S. 3 GKG) und den Mindestwert<br />

einer Ehesache (§ 12 Abs. 2 S. 4 2. Hs. GKG) beigemessen<br />

hat, liegt hierin keine unangemessene Geringschätzung des<br />

Werts der persönlichen Ehre.<br />

b. Zutreffend ist an sich der Hinweis der Kl, daß bei der Bemessung<br />

des Gegenstandswerts von Ehrenschutzsachen gebührend<br />

zu berücksichtigen ist, wenn der Streit in die breite Öffentlichkeit<br />

getragen worden ist (Hinweis auf Schneider-Herget, Streitwertkommentar<br />

für den Zivilprozeß, 11. Aufl., Rdnr. 4501, vgl. allerdings<br />

auch dieselben aaO Rdnr. 1192). Daß das der Fall gewesen wäre,<br />

ist freilich nicht ersichtlich: Die Anzeige der Bekl in der Zeitung<br />

„K a“ mit dem Text<br />

„Wenn die üblen Verleumdungen und böswilligen Lügen von<br />

Frau ... (= Kl) gegen mich nicht aufhören, bin ich leider gezwungen,<br />

gerichtlich gegen sie wieder vorzugehen.<br />

(Name der Bekl)“<br />

trägt entgegen der Ansicht der Kl gerade nicht die mit der<br />

Unterlassungsklage zu bekämpfenden Äußerungen in eine breitere<br />

Öffentlichkeit, sondern führt nur – gleichviel ob mit guten Gründen<br />

oder nicht – Klage darüber, daß sich die Bekl ihrerseits ehrenkränkenden<br />

Angriffen der Kl gegenübergesehen habe. Daß die beleidigenden<br />

Äußerungen sonst in K und/oder Umgebung größere Publizität<br />

erlangt hätten, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht<br />

ersichtlich.<br />

c. Die begehrte Festsetzung des Werts der Unterlassungsklage<br />

auf einen Betrag von 8.000 DM läßt sich schließlich nicht mit der<br />

in § 13 Abs. 1 S. 2 GKG bzw. § 8 Abs. 2 S. 2 BRAGO getroffenen<br />

gesetzlichen Regelung begründen. Es ist nicht ersichtlich, was aus<br />

der Regelung des Auffangwerts von Streitigkeiten in Verfahren vor<br />

Gerichten der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsbarkeit für die<br />

AnwBl 11/98<br />

Rechtsprechung<br />

Bewertung der Streitsache gewonnen werden könnte. Gleiches gilt<br />

für die an zweiter Stelle genannte Bestimmung der BRAGO: Der<br />

dort vorgesehene Wert ist kein Regelwert, von dem nur unter besonderen<br />

Umständen abgewichen werden kann, sondern nur ein<br />

Hilfswert für den Fall, daß eine individuelle Bewertung nicht möglich<br />

ist (LAG Stuttgart, AnwBl 1982, 312); vor dem Rückgriff auf<br />

diesen Wert sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um einen Wert<br />

zu finden, der für den Rechtsanwalt angemessene und für den Auftraggeber<br />

tragbare Gebühren ergibt (Fraunholz, in: Riedel-Sußbauer,<br />

BRAGO, 7. Aufl., § 8 Rdnr. 50, auch zu den Kriterien, die bei<br />

der Bemessung der Gebühr in nicht vermögensrechtlichen Angelegenheiten<br />

– § 8 Abs. 2 S. 2 BRAGO – zu berücksichtigen sind).<br />

2. Auf 2.000 DM heraufgesetzt hat der Senat die Bewertung<br />

des Widerrufsanspruchs der Kl. Dieser Wert erscheint angemessen.<br />

Die geringere Wertfestsetzung gegenüber dem Wert des Unterlassungsanspruchs<br />

ergibt sich aus der Erwägung, daß der Widerruf<br />

lediglich gegenüber einer Person erklärt werden soll, während der<br />

Unterlassungsanspruch Äußerungen der Bekl gegenüber einem<br />

zwar begrenzten, aber doch größeren Personenkreis unterbinden<br />

soll.<br />

3. Herabzusetzen war demgegenüber der Wert des Schmerzensgeldanspruchs<br />

der Kl. Der insoweit erhobene Anspruch auf Zahlung<br />

von 3.000 DM kann nur teilweise (in Höhe von 500 DM) bei<br />

der Bemessung des Streitwerts berücksichtigt werden, als er nämlich<br />

zum Ausgleich für eine von der Bekl angeblich verübte Körperverletzung<br />

(durch Schläge mit der Handtasche und den Fäusten)<br />

begehrt wird. Der Rest des Anspruchs (in Höhe von 2.500 DM,<br />

vgl. S. 5 f. der Klageschrift) hat bei der Streitwertbemessung dagegen<br />

außer Betracht zu bleiben (§ 12 Abs. 3 GKG), da er zum Ausgleich<br />

für eben die Eingriffe in Ehre und Persönlichkeitsrecht verlangt<br />

wird, die die Kl zum Gegenstand ihrer – höher zu<br />

bewertenden, s. o. 1. – Unterlassungsklage gemacht hat (vgl. OLG<br />

Köln, VersR 1994, 875) ...<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Hermann Knodel, Kenzingen<br />

impressum<br />

Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong> e. V., Adenauerallee 106, 53113 Bonn,<br />

Tel. 02 28 / 26 07- 0, Fax 02 28 / 26 07 46. Schriftleitung: Dr. Peter Hamacher (v. i.<br />

S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers. Verlag:<br />

<strong>Deutscher</strong> Anwaltverlag und Institut der Anwaltschaft GmbH, Lengsdorfer<br />

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Dienste GmbH, Rosemarie Schwarz und Ingrid Oestreich (v. i. S. d. P.),<br />

Baumweg 19, 60316 Frankfurt a. M., Tel. 0 69 / 94 33 31 -0 Fax 0 69 / 499 03 86.<br />

Technische Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen,<br />

Tel. 02 01 / 86 12 208, Fax 02 01 / 86 12 241. Erscheinungsweise: Monatlich<br />

zur Monatsmitte. Bezugspreis: Jährlich 198,– DM (inkl. MWSt.) zzgl. Versandkosten,<br />

Einzelpreis 18,– DM (inkl. MWSt.). Für Mitglieder des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten. Bestellungen:<br />

Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat<br />

vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die<br />

Schriftleitung bestimmte Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers<br />

zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt.<br />

Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das<br />

gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />

Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen.<br />

Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung des Verlages.<br />

ISSN 0171-7227.<br />

w


XVIII<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite VIII)<br />

Veranstaltungen Ausland<br />

AIJA Regionaltreffen Wien<br />

vom 11. – 13. 2. 1999<br />

Vom 11. – 13. Februar 1999 wird in<br />

Wien das deutschsprachige Regionaltreffen<br />

der Association Internationale<br />

des Jeunes Avocats (AIJA) stattfinden.<br />

Das Regionaltreffen ist eingebettet in<br />

ein Seminar zum Thema „Die bekannte<br />

Marke und andere ausgewählte<br />

Rechtsfragen im Kennzeichenrecht“<br />

und schließt am Samstag, dem<br />

13. 2. 1999, mit einer fakultativen<br />

Teilnahme am Juristenball in der<br />

Neuen Hofburg.<br />

Donnerstag, 11. Februar 1999<br />

17.00 Uhr Registrierung<br />

19.00 Uhr Willkommenscocktail<br />

20.00 Uhr Get together<br />

Abendessen (fakultativ)<br />

Freitag, 12. Februar 1999<br />

08.30 Uhr Registrierung<br />

09.00 Uhr Begrüßung und<br />

Eröffnung<br />

09.15 Uhr Internationale Anerkennung<br />

und Schutz<br />

09.45 Uhr<br />

der bekannten Marke<br />

Die bekannte Marke<br />

in der Rechtsprechung<br />

(Erschöpfung des<br />

Markenrechts und<br />

Verbot des Reimports)<br />

10.30 Uhr Kaffeepause<br />

11.00 Uhr Rechtsvergleichende<br />

Betrachtung des<br />

Schutzes der<br />

bekannten Marke<br />

in Österreich,<br />

Deutschland und<br />

Schweiz<br />

12.45 Uhr Mittagessen<br />

14.00 Uhr Die wirtschaftliche<br />

Bedeutung der<br />

bekannten Marke<br />

für ein Unternehmen<br />

14.45 Uhr Die bekannte Marke in<br />

der Werbung<br />

15.30 Uhr Kaffeepause<br />

16.00 Uhr Rechtsvergleichende<br />

Fallstudie:Wie wird<br />

der Schutz der<br />

bekannten Marke<br />

in Österreich,<br />

Deutschland und<br />

Schweiz in der Praxis<br />

durchgesetzt?<br />

20.00 Uhr Heuriger<br />

Samstag, 13. Februar 1999<br />

09.00 Uhr Entwicklungen auf<br />

dem Gebiet der<br />

Gemeinschaftsmarke:<br />

Was gibt es Neues aus<br />

Alicante?<br />

09.45 Uhr Neuere Entwicklungen<br />

im markenrechtlichen<br />

10.30 Uhr<br />

Schutz von Zeitschriften-<br />

und Buchtiteln<br />

Kaffeepause<br />

11.00 Uhr Neuerungen auf dem<br />

Gebiet des Schutzes<br />

12.00 Uhr<br />

von geographischen Angaben<br />

und Ursprungsbezeichnungen<br />

Abschließende<br />

Paneldiskussion<br />

12.45 Uhr Mittagessen<br />

19.30 Uhr Empfang und Präsentation<br />

alter juristischer<br />

Urkunden im Prunksaal<br />

der Österreichischen<br />

Nationalbibliothek in<br />

21.00 Uhr<br />

der Hofburg (fakultativ)<br />

Juristenball in der Neuen<br />

Hofburg (fakultativ)<br />

Administratives<br />

Die Teilnahmegebühren variieren zwischen<br />

ATS 2.800,– und ATS 3.800,–<br />

für AIJA-Mitglieder bzw. Nicht-Mitglieder.<br />

Nach dem 21.12.1998 erhöhen sich<br />

die Gebühren um jeweils ATS 500,–.<br />

Begleitpersonen zahlen ATS 2.500,–<br />

bzw. nach dem 21.12.1998 ATS<br />

2.700,–.<br />

DETEKTEI & AUSKUNFTEI<br />

EVA SIPPEL<br />

22177 Hamburg · Bauernrosenweg 16-24 · Tel. 040/613475<br />

Fax 040/6910359<br />

Interessenten wenden sich bitte an:<br />

Dr. Georg Kresbach, Wolf Theiss &<br />

Partners, Schubertring 8, A-1010 Wien<br />

Tel.: +43151510, Fax: +4315151025<br />

Steuerberaterprüfung<br />

Vorbildungsvoraussetzungen für die<br />

Zulassung zur Steuerberaterprüfung;<br />

Freie Mitarbeiter bei Steuerberatern<br />

und Steuerberatungsgesellschaften<br />

Der Bundesfinanzhof hat in seinem<br />

Urteil vom 12.8.1997 –VII R 32/97<br />

(BStBl II 1998 S. 166) erneut entschieden,<br />

daß die Tätigkeit eines Rechtsferendars<br />

als freier Mitarbeiter bei einem<br />

Steuerberater keine unbefugte<br />

Hilfeleistung in Steuersachen darstellt<br />

und deshalb auf die für die Zulassung<br />

zur Steuerberatung erforderliche berufspraktische<br />

Tätigkeit angerechnet<br />

werden kann.<br />

Die im Bezugsschreiben vertretene gegenteilige<br />

Auffassung kann deshalb<br />

nach Ansicht der für das Steuerberatungsrecht<br />

zuständigen Vertreter der<br />

obersten Finanzbehörden des Bundes<br />

und der Länder nicht mehr aufrechterhalten<br />

werden. Die Beauftragung eines<br />

freien Mitarbeiters kann folglich auch<br />

nicht länger als eine nach § 10 StBerG<br />

i. V. m. § 7 BerufsO mitteilungspflichtige<br />

Verletzung von Berufspflichten<br />

angesehen werden; entsprechende Abmahnungen<br />

waren rechtswidrig.<br />

Schreiben des BMF v. 4. Mai 1998 –<br />

IVA 3 – S 0850 – 4/98<br />

Beilagenhinweis<br />

Dieser Ausgabe liegen eine Postkarte der<br />

Firma AnNoText GmbH, eine Verlegerbeilage<br />

„Der Euro kommt ...“, der<br />

Prospekt „ZPO“ des C.H. Beck Verlages,<br />

sowie als Teilbeilagen eine Information<br />

des Verlages Praktisches Wissen GmbH<br />

und der Prospekt „BPK“ des Haufe<br />

Verlages bei.<br />

bekannt durch Presse, Funk, Fernsehen u. gute Arbeit.<br />

Seit Jahren unentbehrliche Helfer für viele Anwälte<br />

im In- und Ausland.<br />

Anschriften, Arbeitgeber und Ermittlung von Pfändungsmöglichkeiten für pauschal 80,– DM zzgl. MWSt. allerorts.<br />

Beobachtungen in Ehe- und Strafsachen. Kostenlose Beratung. Schreiben Sie uns unverbindlich oder rufen Sie an.


XXVI<br />

4<br />

9 Das Landgericht Düsseldorf hatte zu<br />

entscheiden, ob die Veröffentlichung<br />

von Informationen im Internet einen<br />

Gegendarstellungsanspruch<br />

impliziere – vergleichbar dem presserechtlichenGegendarstellungsanspruch.<br />

Die Frage wurde von der<br />

Fachliteratur häufig dahingehend bejaht,<br />

daß das periodische Anbieten von<br />

aktualisierten und redaktionell aufbereiteten<br />

Inhalten in der Wirkung einem<br />

Printmedium gleichkomme. Ein analoger<br />

Gegendarstellungsanspruch müsse<br />

daher grundsätzlich gegeben sein. Die<br />

rechtliche Einordnung von elektronischen<br />

Angeboten bzw. Mediendiensten<br />

ist im Einzelfall aber noch umstritten.<br />

Nur der Mediendienstestaatsvertrag<br />

hat den Gegendarstellungsanspruch in<br />

§ 10 MDStV festgeschrieben.<br />

Im vorliegenden Fall ging es um<br />

Inhalte einer (üblichen) Homepage im<br />

World-Wide-Web. Das Gericht ging<br />

hier von einem „Mediendienst“ aus.<br />

Der Anbieter habe aber jedenfalls kein<br />

journalistisch-redaktionell aufbereitetes<br />

Angebot geführt, – das den Inhalt<br />

eines exisitierenden Printmediums<br />

wiedergegeben habe. Auch regelmäßige<br />

Aktualisierung mache daraus noch<br />

keine periodische Veröffentlichung.<br />

Ein Anspruch nach dem MDStV<br />

komme daher nicht in Betracht. Und<br />

das Teledienstegesetz (Teil des<br />

IuKDG) kennt ohnehin keinen Gegendarstellungsanspruch.<br />

Zu berücksichtigen sei außerdem, daß<br />

eine Veröffentlichung im Internet keinen<br />

derartigen Publizitätsgrad erreiche,<br />

wie ein vom Massenpublikum regelmäßig<br />

genutztes Printmedium. (HIT)<br />

LG Düsseldorf, Beschluß vom<br />

29. April 1998, Az.: 12 O 132/98<br />

(nicht rechtskräftig).<br />

9 Glücklicherweise werden Hompages<br />

bzw. Informationsangebote im Internet<br />

mittlerweile zumeist auch mit der postalischen<br />

Adresse des Anbieters versehen.<br />

Bei Änderungen in der Struktur<br />

der Seite, Umbenennungen oder Unerreichbarkeit<br />

ist es für den Nutzer sonst<br />

in vielen Fällen aufwendig bis unmöglich,<br />

den Anbieter konventionell zu<br />

kontaktieren. Verbraucherverbände haben<br />

das aktuell für Fälle des Elektronik<br />

Commerce moniert. Der Kunde<br />

könne sonst z. B. Gewährleistungsrechte<br />

nur schwer durchsetzen.<br />

Anbieter von „Telediensten“ sind ohnehin<br />

gesetzlich verpflichtet, eine<br />

Kennzeichnung mit Name, Anschrift,<br />

Internet – Aktuell<br />

Firma und Vertretungsberechtigtem<br />

anzubringen. (HIT)<br />

(§ 6 Teledienstegesetz).<br />

9 Die Index GmbH Berlin bietet in<br />

Zusammenarbeit mit dem Weka-Verlag<br />

und Forum-direkt den elektronischen<br />

„DV-Markt“. Das „Business-<br />

Plattform für die IT-Branche“ genannte<br />

Angebot gliedert sich in die<br />

Bereiche: Zeitschriften, Marketing,<br />

Finanzen, Personal, Know-How,<br />

Recht, Service.<br />

Ein kostenlos abfragbares Zeitschriftenarchiv<br />

beherbergt rund 19.100 Artikel<br />

aus z. Zt. 18 EDV-Zeitschriften<br />

(u.a.IX,Internet-World,Computer-<br />

Zeitung). Einfache logische und zeitliche<br />

Eingrenzungsmöglichkeiten für<br />

die Suche sind gegeben. Die Suche<br />

nach „Telnet“ ab 1.1.1997 brachte<br />

z. B. 135 Treffer, die nach „Telefon“<br />

920. Die Trefferliste enthält nach Relevanz<br />

geordnete Kurztexte der Artikel<br />

(Abstracts). Die jeweiligen Volltexte<br />

sind kostenpflichtig ebenfalls<br />

abrufbar. (HIT)<br />

http:/www.dv-markt.de/zeitschriften/<br />

Im Bereich „Recht“ finden sich rund<br />

90 EDV-Musterverträge (Verkauf/Miete,<br />

Wartung, Entwicklung, Personen-,<br />

Gesellschaftsrecht) zum kostenpflichtigen<br />

Download. Daneben wird ein Vertragscheck<br />

für eigene EDV-Verträge<br />

angeboten. (HIT)<br />

http:/www.dv-markt.de/recht/<br />

9 Der MBO-Verlag in Münster hat<br />

eine vielseitige CD-ROM-Gesetzesdatenbank<br />

aufgelegt. Nach Herstellerangabe<br />

mit über 100.000 Seiten<br />

Bundesrecht, Landesrecht und Urteilen<br />

(rund 50.000 Leitsätze). Neuartig<br />

ist die Option, ein vollständiges<br />

deutsches Landesrecht mit auszuwählen.<br />

CD-Kunden haben ergänzenden<br />

Zugang zur aktuellen Internet-<br />

Datenbank des Verlages. Die CD<br />

wird regelmäßig aktualisiert und enthält<br />

ein Suchsystem, das Normen<br />

und Urteile in Bezug setzt und bei<br />

Bedarf stufenweise anzeigt. (HIT)<br />

http:/www.mbo-verlag.de/<br />

9 Amtsgerichte im Internet. Vertreten<br />

sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit:<br />

AG Coburg, AK Kronach,<br />

AG Lichtenfels (Justizbehörden Coburg<br />

über http://www.jura.uni-sb.de/<br />

Gerichte/LG-Coburg/ ); ebenso AG<br />

Hof, AG Wunsiedel (Justizbehörden<br />

Hof über:<br />

http://www.baynet.de/justiz/ ).<br />

Es sind zumeist allgemeine Beschreibungen<br />

der Einrichtungen, Lagepläne,<br />

Anfahrtskizzen; Pressemitteilungen<br />

oder fachliche Links verfügbar.<br />

Ähnlich verfährt das AG Erding.<br />

Hier eröffnet man die Seite jedoch<br />

mit einem repäsentativen Foto des<br />

Gerichts und bietet einen Prozeßkostenrechner.<br />

http://www.justiz.bayern.de/AG-Erding/<br />

Das Angebot des AG Passau besticht<br />

durch ausführliche bebilderte Lagepläne<br />

der Gerichtszweigstellen sowie<br />

durch mehrstufige Stadtpläne. Der<br />

Übersichtsrahmen links außen war<br />

schwer lesbar.<br />

http://www.passau.de/justiz/<br />

Das AG Potsdam benutzt als einziges<br />

Gericht keine (gewöhnungsbedürftige)<br />

Frametechnik in der Anzeige. Etwas<br />

besonderes ist die aktuelle Abrufbarkeit<br />

von Handelsregister, Vereinsregister,<br />

Güterrechtsregister, Zwangsversteigerungen,<br />

Aufgeboten, u. ä. Die<br />

amtliche Inbetriebnahme der elektronischen<br />

Register erfolgt nach Ankündigung<br />

ab Mitte 10/98 und war zu diesem<br />

Zeitpunkt auch schon weitgehend<br />

verfügbar.<br />

http://www.Amtsgericht-Potsdam.org/<br />

Reine Zwangsversteigerungsdaten bieten<br />

auch die AG Dortmund, Bochum,<br />

Gelsenkirchen-Buer, Ahaus. Jeweils<br />

abrufbar z. B. über<br />

http://home.t-online.de/home/<br />

agdortmund.zvg/<br />

Weitere Gerichts- und Versteigerungsdaten<br />

unter: http://www.zvg.com/ und<br />

http://www.sachsen.de/GerichtsTafel/<br />

Das AG Biberach/Riß hält auch Kurzbeschreibungen<br />

neuer Gesetze und<br />

Gerichtsentscheidungen vor. Hier kann<br />

weiterhin die aktuelle Düsseldorfer<br />

Unterhaltstabelle aufgerufen werden.<br />

Die umfangreiche Frametechnik ist<br />

leider mit einigen Standard-Bildschirmgrößen<br />

nicht gut lesbar. (HIT)<br />

http://members.aol.com/agbiberach/<br />

Zusammengestellt von Rechtsanwalt<br />

Timm Hitzfeld, Augsburg<br />

(HIT) und Rechtsanwalt Udo<br />

Henke, DAV, Bonn (HEN).


4<br />

Qualität in der Kanzlei – Tips und<br />

Informationen<br />

Wie geht es weiter?<br />

In Kanzleibroschüren finden sich immer<br />

wieder Zusätze wie „Die Zufriedenheit<br />

der Mandanten ist das oberste<br />

Ziel“ oder vergleichbare Formulierungen.<br />

Dabei fällt auf, daß es häufig an<br />

der Präzisierung fehlt, wie die Mandantenzufriedenheit<br />

von Anwälten und<br />

Mitarbeitern konkret verwirklicht werden<br />

kann. Die Folge ist, daß es viele<br />

Kanzleien nicht schaffen, den auf dem<br />

Papier dokumentierten Willen auch<br />

tatsächlich zu leben und mandantenorientiertes<br />

Verhalten in der eigenen<br />

Kanzlei zu praktizieren.<br />

Die Bedeutung der<br />

Mandantenzufriedenheit<br />

Die Bedeutung der Mandantenzufriedenheit<br />

für den Erfolg der Kanzlei<br />

wird vielfach unterschätzt. Dabei liegt<br />

es eigentlich auf der Hand, daß der<br />

Mandant der Kanzlei ein neues Mandat<br />

nur dann übertragen wird, wenn er<br />

sich unter Berücksichtigung des Gesamtbildes,<br />

daß er von der Kanzlei gewonnen<br />

hat, gut beraten fühlt.<br />

Kenntnisse über<br />

Mandantenanforderungen und<br />

-zufriedenheit ermitteln<br />

Wie erfährt die Kanzlei aber etwas<br />

über die Zufriedenheit der eigenen<br />

Mandanten und wie geht sie vor allen<br />

Dingen mit dem Feedback des Mandanten<br />

um, wenn es einmal negativ<br />

ausfällt? Voraussetzung ist zunächst<br />

einmal, die Anforderungen und die<br />

Zufriedenheit des Mandanten mit der<br />

erbrachten Leistung zu ergründen:<br />

Was wollen und wie zufrieden sind die<br />

Mandanten tatsächlich? Bevor allerdings<br />

mit der Erhebung der Kundenzufriedenheit<br />

(„Wie zufrieden sind Sie<br />

mit ... ?) begonnen wird, sollten zunächst<br />

konkrete Qualitätsmerkmale<br />

der in der Kanzlei zu erbringenden<br />

Leistungen („Was ist dem Mandanten<br />

wichtig?“) ermittelt werden. Erst wenn<br />

diese bekannt sind, ist die Erhebung<br />

der Zufriedenheit für diese Merkmale<br />

sinnvoll. Ansonsten werden die Antworten,<br />

die beispielsweise im Rahmen<br />

der Beantwortung eines Fragebogens<br />

gegeben werden, keine zuordnenbare<br />

Aussagekraft besitzen.<br />

XXXI<br />

Was erwartet also der Mandant im<br />

Hinblick auf die Mandatsbearbeitung<br />

abgesehen von der juristischen Qualität,<br />

die er ohnehin als gegeben voraussetzt?<br />

Allgemeine Bewertungskriterien<br />

sind zum Beispiel die Erreichbarkeit<br />

des Anwalts, die Transparenz des<br />

Preis-/ Leistungsverhältnisses, die Qualifikation<br />

und Auskunftsfähigkeit der<br />

Mitarbeiter, die Wartezeit auf Termine,<br />

die Einhaltung von zugesagten Rückrufen<br />

oder die Freundlichkeit und das<br />

Einfühlungsvermögen von Anwalt und<br />

Mitarbeiter. Die Aufzählung läßt sich<br />

beliebig fortführen und jede Kanzlei<br />

muß individuell festlegen, welche Qualitätskriterien<br />

der betreuten Klientel<br />

gerecht werden. Darauf aufbauend<br />

kann dann ein auf die individuellen<br />

Bedürfnisse der Kanzlei zugeschnittener<br />

Fragebogen erstellt werden.<br />

Der Umgang mit Beschwerden<br />

Schuldzuweisungen gegenüber den<br />

Mitarbeitern sind die gängige Reaktion<br />

des Anwalts auf Mandantenbeschwerden.<br />

Damit ist dem Mandanten nicht<br />

gedient, denn eine inhaltliche Auseinandersetzung<br />

mit seiner Beschwerde<br />

findet in aller Regel nicht statt. Aber<br />

auch die Kanzlei versäumt die Chance,<br />

berechtigte Kritikpunkte zur organisatorischen<br />

Weiterentwicklung zu nutzen<br />

und damit einen wesentlichen Schritt<br />

in Richtung Mandantenzufriedenheit<br />

und damit einen wichtigen Schritt in<br />

Richtung Mandantenbindung zu gehen.<br />

In der nächsten Ausgabe finden Sie daher<br />

Tips, wie das Beschwerdemanagement<br />

so gestaltet werden kann, daß<br />

Mitarbeiter und Mandanten gleichermaßen<br />

davon profitieren.<br />

Wie ist die Rubrik zu erreichen?<br />

Mit Fragen, Anregungen oder Beiträgen<br />

wenden Sie sich bitte an:<br />

AdvoConsult<br />

Rechtsanwältin Gabriela Freitag<br />

Bocholder Straße 257a<br />

45356 Essen<br />

Telefon: 0201 -861 81-12<br />

Telefax: 0201 -86181-11<br />

E-Mail: Info@advoconsult.de

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