925,3 kB - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />
Aus dem Inhalt<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
Einführung und Rückblick (Streck) 545<br />
Thesen des Forums 548<br />
Stärken und Schwächen der Anwaltschaft<br />
(Heussen) 551<br />
Aufsätze<br />
Absprachen im Strafverfahren (Braun) 567<br />
Editorial<br />
Zwangsschlichtung – Nein danke! 582<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
PR-Referat zum Forum „Zukunft der<br />
Anwaltschaft“ 584<br />
Mitteilungen<br />
Euro: Umrechnungs- und Rundungsregeln 597<br />
Rechtsprechung<br />
BGH: Briefkopf bei überörtlicher Sozietät 604<br />
AG Neustadt a. Rbge.: Mittelgebühr bei<br />
OWi-Verfahren 610<br />
Beilage: Der Euro kommt – auch zum Anwalt!<br />
11/98<br />
November <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag
II<br />
Rechtsprechung<br />
Berufsrecht<br />
BGH, Urt. v. 2.4.1998 – I ZR 4/96<br />
BRAO § 28 Abs. 1; UWG § 1<br />
Ein Rechtsanwalt, der einer überörtlichen Sozietät angehört, verstößt in wettbewerbswidriger<br />
Weise gegen das Zweigstellenverbot des § 28 Abs. 1 BRAO, wenn er in den Kanzleiräumen<br />
der andernorts residierenden Sozietätsmitglieder eine Zweigstelle unterhält<br />
und darauf in seinem Anwaltsbriefkopf dadurch hinweist, daß er seinen Namen auch unter<br />
der Kanzleiadresse der andernorts residierenden Mitglieder der überörtlichen Sozietät<br />
anführt. – S. 604<br />
Schleswig-Holsteinischer Anwaltsgerichtshof, Urt. v. 19.6.1998 – 2 AGH 4/98<br />
BRAO §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff. 1 a), 113, 114<br />
Anwaltsgerichtliches Berufsverbot auf dem Gebiet des Strafrechts für die Dauer eines<br />
Jahres als Rechtsfolge einer Berufpflichtverletzung nach BRAO §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff.<br />
1 a), § 113, § 114 (Weiterleitung von Briefen des Mandanten aus der Untersuchungshaft<br />
an Zeugin als Verteidigerpost). – S. 605<br />
OLG München, Urt. v. 10.7.1998 – AZ 21 U 2992/98 (nicht rechtskräftig)<br />
BGB § 198; BRAO § 51 b; ZPO § 234<br />
1. Bei einem fehlerhaften Prozeßverhalten eines Rechtsanwalts, das zu einer dem Mandanten<br />
nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung führt, beginnt die Frist für die Verjährung<br />
von Schadensersatzansprüchen des Mandanten gegen ihn, wenn diese Entscheidung<br />
in einem weiteren Rechtszug nicht mehr zugunsten des Mandanten geändert werden<br />
kann.<br />
2. Von einer solchen Unabänderbarkeit ist auszugehen, wenn der Anwalt die Berufungsfrist<br />
versäumt und ein Wiedereinsetzungsgesuch nicht mit beachtlichen Wiedereinsetzungsgründen<br />
versieht. Nach Ablauf der Frist des § 234 I ZPO kann in solchen Fällen<br />
nicht erwartet werden, daß es noch zu einer Korrektur der nachteiligen erstinstanzlichen<br />
Entscheidung kommt. Insbesondere ändert hieran nichts eine weitere sofortige Beschwerde<br />
gegen die zurückgewiesene Erstbeschwerde zum BGH. In solchen Fällen ist insbesondere<br />
nicht auf die Rechtskraft des nachteiligen Ersturteils abzustellen.<br />
3. Ein sekundärer Anspruch des Mandanten auf Schadensersatz steht dem Mandanten zu,<br />
wenn der Anwalt die Primärverjährung herbeigeführt hat, indem er bei fortbestehendem<br />
Mandat eine Pflicht, den Mandanten auf die eigene Regreßhaftung und die drohende Verjährung<br />
hinzuweisen, schuldhaft verletzt hat. Eine solche Verpflichtung entfällt, wenn der<br />
Anwalt davon ausgehen darf, daß der Mandant wegen der Haftungsfrage anwaltlich beraten<br />
wird oder auf anderem Wege sowohl über den Schadensersatzanspruch als auch dessen<br />
Verjährung Kenntnis erhalten hat. – S. 606<br />
OLG München, Urt. von 27.2.1998 – 21 U 4491/97<br />
BGB §§ 254, 276, 611<br />
1. Zur Pflicht des Anwalts, bei mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen diejenige<br />
zu treffen, welche die sicherste und gefahrloseste ist.<br />
2. Der Entwurf eines Schriftsatzes durch den Verkehrsanwalt beschränkt weder die Verantwortlichkeit<br />
des Prozeßbevollmächtigten für den Inhalt dieses Schriftsatzes, noch für<br />
dessen rechtzeitige Einreichung.<br />
3. Verursachen Verkehrsanwalt und Prozeßbevollmächtigter einen Schaden für den Mandanten<br />
durch Pflichtwidrigkeiten, so haben sie aus dem Gedanken der Zweckgemeinschaft<br />
als Gesamtschuldner. Das Maß der Verursachung und des Verschuldens ist nur<br />
eine Frage des Innenverhältnisses. – S. 608<br />
BayObLG, Urt. v. 15.12.1997 – 1Z RR 338/96<br />
BGB §§ 249, 254, 675<br />
1. Zur Schadensersatzpflicht eines Rechtsanwalts, der es unterläßt, den Entschädigungsanspruch<br />
seines Mandanten wegen eines Brandschadens gegen eine Versicherungsanstalt<br />
rechtzeitig geltend zu machen. – S. 608<br />
OLG München, Urt. v. 21.7.1998 – 5 U 5920/97<br />
BGB § 852<br />
1. Nimmt ein Versicherer in einer von ihm vorformulierte Abfindungserklärung von sich<br />
aus den Vorbehalt für künftigen materiellen Schaden mit auf, hat er die Kl von der Erhebung<br />
einer Feststellungsklage abgehalten.<br />
2. Der Versicherer muß sich dann hinsichtlich der Verjährung so behandeln lassen, als sei<br />
Feststellungsklage erhoben worden. (LS der Einsenderin) – S. 609<br />
Gebührenrecht<br />
AG Neustadt a. Rbge., Urt. v. 9.7.1997 –20 C 591/97<br />
BRAGO § 84 Abs. 2, § 105 Abs. 1; § 12<br />
1. Aus dem Wortlaut sowie einer systematischen und historischen Auslegung des § 105<br />
BRAGO ergibt sich, daß die Anwendung des § 84 Abs. 2 BRAGO nicht durch § 105<br />
Abs. 1 und 2 BRAGO ausgeschlossen ist.<br />
2. Zur Mittelgebühr bei Einstellung eines OWi-Verfahrens wegen Geschwindigkeitsüberschreitung,<br />
wenn dargelegt wurde, daß der Bekl aus gesundheitlichen und beruflichen<br />
Gründen auf die Fahrerlaubnis angewiesen sei. (LS der Red.) – S. 610<br />
AG Dillingen a. d. Donau, Beschl. v. 29.4.1997 – OWi 3/91<br />
BRAGO § 84 Abs. 1, § 105 Abs. 2, § 12<br />
1. Ordnungswidrigkeiten haben nicht generell unterdurchschnittliche Bedeutung in tatsächlicher<br />
und rechtlicher Hinsicht.<br />
2. Der Gesetzgeber hat Bußgeld- und Strafverfahren gebührenrechtlich gleichgestellt.<br />
3. Eine überdurchschnittlich Rechtslage begründet die vom Verteidiger in Ansatz gebrachte<br />
Mittelgebühr, auch wenn das Verfahren in tatsächlicher Hinsicht nicht schwierig<br />
gelagert war. (LSe der Red.) – S. 610<br />
AG Freiburg i. Br., Beschl. v. 5.11.1996 – 28 GS (OWi) 83/96<br />
BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />
1. Auch bei einer Einstellung eines Bußgeldverfahrens durch die Verwaltungsbehörde<br />
kommt der volle Gebührenrahmen des § 84 Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />
2. Für die Höhe der anzusetzenden Anwaltsgebühr ist das Baumgärtelsche System zugrunde<br />
zu legen. (LS der Redaktion) – S. 611<br />
AG Donaueschingen, Beschl. v. 11.10.1996 – 4 OWi 137/96<br />
BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />
1. Auch bei Einstellung eines Bußgeldverfahrens vor der Ordnungsbehörde kommt § 84<br />
Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />
2. Regelmäßig ist die Mittelgebühr ersatzfähig.<br />
(LS der Redaktion) – S. 611<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.1998 – 1 Ws 913 – 914/97<br />
BRAGO § 86, § 100 Abs. 1 Satz 1; StPO § 467 Abs. 1<br />
Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest, daß dem Verteidiger für die Revisionsinstanz<br />
keine Gebühr nach § 86 BRAGO zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft die Revision<br />
zurücknimmt, ohne das Rechtsmittel zuvor begründet zu haben. – S. 611<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 122/98<br />
BRAGO § 99<br />
Allein der Umstand, daß der Wahlverteidiger, „neben“ dem der Pflichtverteidiger verteidigt<br />
hat, „federführend“ die Verteidigung bearbeitet hat, führt nicht zur Verneinung des<br />
Merkmals „besondere Schwierigkeit“ i. S. v. § 99 Abs. 1 BRAGO – S. 612<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 8.1.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 248/97<br />
BRAGO § 99<br />
Zur Gewährung eines weiteren Vorschusses auf eine demnächst gem. § 99 BRAGO zu<br />
bewilligende Pauschvergütung. – S. 613<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 64 bis 70/98<br />
BRAGO § 99<br />
Bei der Gewährung eines – ausnahmsweise – zu bewilligenden Vorschusses auf eine<br />
demnächst gem. § 99 BRAGO zu gewährende Pauschvergütung ist zu berücksichtigen,<br />
daß das nach der Rechtsprechung des BVerfG dem Pflichtverteidiger zugunsten des Gemeinwohls<br />
auferlegte Sonderopfer nicht so groß werden darf, daß die finanziellen Einbußen<br />
des Rechtsanwalts unter Berücksichtigung der von ihm erbrachten Tätigkeiten unverhältnismäßig<br />
werden.<br />
Ist das Verfahren gegen den Mandanten endgültig erledigt, wird es aber gegen andere<br />
Angekl noch fortgeführt, kann dem Pauschvergütungsanspruch des Verteidigers, der<br />
Pflichtverteidiger des ausgeschiedenen Angekl ist, nicht entgegengehalten werden, die<br />
Akten seien wegen der Fortführung des Verfahrens nicht entbehrlich. Zumindest ist diesem<br />
Pflichtverteidiger dann ein Vorschuß auf einem demnächst zu gewährende Pauschvergütung<br />
zu bewilligen. – S. 613<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 15.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 110/98<br />
BRAGO § 99; StPO § 153 Abs. 2<br />
Hat ein Pflichtverteidiger auch noch nach einer gem. § 153 Abs. 2 StPO erfolgten Einstellung<br />
des Verfahrens für seinen Mandanten Tätigkeiten erbracht, sind diese im Rahmen<br />
der Bewilligung einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO grundsätzlich nicht zu<br />
berücksichtigen. – S. 614<br />
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.5.1998 – 4 W 31/98<br />
BGB § 1836<br />
1. Zur Frage der Vergütung eines Berufsbetreuers, der nicht Rechtsanwalt ist, bei Anwendung<br />
von § 1836 Abs. 1 BGB<br />
2. Für die Bemessung von Bürokosten des nicht anwaltlichen Betreuers sind weder Modellrechnungen<br />
noch die Umstände, die ein Büro mittleren Zuschnitts für einen Berufsbetreuer<br />
ausmachen sollen, allgemein anerkannt. Eine – quotale – Bemessung nach den Kosten<br />
von Rechtsanwaltskanzleien ist nicht möglich.<br />
3. Die Festsetzung eines Stundensatzes von 100 DM netto für einen nicht anwaltlichen<br />
Berufsbetreuer, der Politikwissenschaftler ist, ist nicht unangemessen niedrig. – S. 615<br />
Streitwert, Kosten, Erstattung<br />
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.7.1998 – 14 W 41/98<br />
BRAGO § 8 Abs. 2 S. 2; GKG §§ 12, 13<br />
1. Zum Streitwert in Beleidigungssachen.<br />
2. Das Verbot einer reformatio in peius gilt im Verfahren über eine Streitwertbeschwerde<br />
nicht. (LSe der Redaktion) – S. 616
Im Auftrag des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Ludwig Koch<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
545 Forum „Zukunft der Anwaltschaft“: Einführung und<br />
Rückblick<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln<br />
Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
548 Thesen des Forums<br />
551 Stärken und Schwächen der Anwaltschaft<br />
– Analyse, Kritik, Prognosen –<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen, München<br />
Aufsätze<br />
560 Die Geschichte der Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />
Teil II (Forts. von AnwBl 1998, 424)<br />
Von Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Hechingen<br />
567 Die Absprache im Strafverfahren<br />
– Blickwinkel: das materielle Strafrecht –<br />
Von Assessor Stefan Braun, Backnang<br />
577 Der Betriebsübergang am Wendepunkt<br />
– Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH –<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Gerhard Schäder, München<br />
Buchhinweis:<br />
Holly: „Heiter betrachtet“ (Walentowski)<br />
Editorial<br />
582 Zwangsschlichtung – Nein danke!<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Bonn, Adenauerallee 106<br />
Jahrgang 48<br />
November 1998<br />
584 DAV-Intern: Landesverbandskonferenz<br />
Von Rechtsanwältin Heidemarie Haack-Schmahl, Bonn<br />
DAV-Pressemitteilungen<br />
PR- Referat<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />
589 AG Mediation im DAV:<br />
Erste Mitgliederversammlung und Fachtagung der<br />
AG Mediation<br />
Für eine neue Streitkultur<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Klaus Grisebach, Offenburg<br />
590 AG Verkehrsrecht des DAV:<br />
Geschäftsbericht 1997 / 98 des Vorsitzenden des<br />
Geschäftsführenden Ausschusses der AG Verkehrsrecht<br />
Von Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt,<br />
Homburg/Saar<br />
b 11/ 9 8<br />
l<br />
594 Fortbildungsveranstaltung zum neuen Transportrecht<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Michael Burmann, Erfurt<br />
Personalien:<br />
Erich Klinge €<br />
Europa<br />
595 Der Gerichtshof im Jahre 1997<br />
596 Europaweite Zulassung von Inkassobüros zum<br />
Mahnverfahren?<br />
Von Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />
Mitteilungen<br />
597 Gebührenfragen:<br />
Umrechnungs- und Rundungsregeln im Zusammenhang<br />
mit der Umstellung auf den Euro<br />
Von Steuerberater Dr. Martin Strahl, Köln<br />
598 Verkehrsrecht:<br />
Empfehlungen für die Kfz-Schadenregulierung<br />
Schlichtungsausschuß-Erläuterungen<br />
602 Haftpflichtfragen:<br />
Haftungsfälle bei Versicherungsmandaten<br />
Von Rechtsanwalt Michael Dobmaier,<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
603 Buchhinweis:<br />
Anwaltformulare, hrsg. von Heidel/Pauly/Amend<br />
(Werner)<br />
Rechtsprechung<br />
(Übersicht und Leitsätze siehe Seite II)<br />
604 Berufsrecht<br />
610 Gebührenrecht<br />
616 Streitwert, Kosten, Erstattung<br />
544 Impressum<br />
Auf dem Umschlag<br />
Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />
DAV-Service Seite IV<br />
DAV-Informationen Seite VI, VIII, XVIII<br />
Internet-Aktuell Seite XXVI<br />
Qualität in der Kanzlei Seite XXXI
VI<br />
4<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
In diesem Heft auf Seite 584 bis 594:<br />
Landesverbandskonferenz / DAV-Pressemitteilung<br />
/ PR-Referat / AG Mediation:<br />
1. MV / Für eine neue Streitkultur<br />
/ AG Verkehrsrecht: Geschäftsbericht<br />
1997 / 98 / Erich Klinge €<br />
Gebührenrecht in AGS Nr. 11/98<br />
9 von Eicken: Neuregelung der Anfechtung<br />
von Rechtspflegerentscheidungen<br />
in der Kosten- und<br />
Vergütungsfestsetzung<br />
9 BAG: Vergleichsgebühr bei einem<br />
Rechtsanwalt als Sachverständigem<br />
9 VG Wiesbaden: Erörterungsgebühr<br />
bei Telefonkonferenz<br />
9 FG Kassel: Besprechungsgebühr –<br />
Abgrenzung zur Sachstandsanfrage<br />
und zur Informationsbeschaffung<br />
9 OLG Köln: Zur Aufklärungspflicht<br />
des RA über die Höhe der voraussichtlich<br />
entstehenden Kosten<br />
9 VGH Kassel: Streitwert – beamtenrechtliche<br />
Konkurrentenklage um<br />
Übertragung eines höherbewerteten<br />
Dienstpostens<br />
9 BVerfG: Prozeßkostenhilfe bei<br />
Nachlaßpflegschaft<br />
Infos<br />
Recht im Fernsehen<br />
Die ZDF-Rechtsserie „Wie würden<br />
Sie entscheiden?“ beschäftigt am Donnerstag,<br />
19. November 1998 um 20.15<br />
Uhr unter dem Titel „Vergewaltigt –<br />
Die Stimme des Täters“ mit<br />
Beweismitteln und den Grenzen der<br />
Ermittlungsmöglichkeiten der Polizei.<br />
Im Vordergrund steht die Frage, was<br />
ist, wenn nur die Stimme des Täters<br />
als Beweismittel dient und sich der<br />
Verdächtige nicht einem Stimmenvergleich<br />
stellen möchte. Experten im<br />
Studio sind der Münchener<br />
Straftrechtswissenschaftlicher Prof.<br />
Dr. Claus Roxin, der langjährige Vorsitzende<br />
der Polizeigewerkschaft,<br />
Hermann Lutz und der Stimmenforscher<br />
des Bundeskriminalamtes, Prof.<br />
Dr. Hermann Künzel.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn<br />
Hülfskasse<br />
<strong>Deutscher</strong> Rechtsanwälte<br />
Aufruf zur<br />
Weihnachtsspende 1998<br />
Sehr geehrte Frau Kollegin,<br />
sehr geehrter Herr Kollege,<br />
im Namen der 400 zu Weihnachten<br />
1997 bedachten Kolleginnen, Kollegen<br />
und deren Familien danken wir Ihnen<br />
herzlich! Denn Ihre große Hilfsbereitschaft<br />
ermöglichte es, daß Spendengelder<br />
in Höhe von DM 449.444,00 allein<br />
im Dezember 1997 von der<br />
Hülfskasse <strong>Deutscher</strong> Rechtsanwälte<br />
ausgekehrt werden konnten. Von diesem<br />
Betrag wurden auch 74 minderjährigen<br />
bzw. in Ausbildung befindlichen<br />
Kindern Buchwünsche erfüllt.<br />
Damit wir auch in diesem Jahr<br />
zumindestens zum Weihnachtsfest<br />
bundesweit den unverschuldet in Not<br />
geratenen Kolleginnen und Kollegen<br />
sowie deren Angehörigen finanziell<br />
das Leben etwas erleichtern können,<br />
bitten wir Sie:<br />
Helfen Sie zu Weihnachten 1998 mit<br />
Ihrer Spende!<br />
Hiermit bereiten Sie doppelte Freude:<br />
Für die Empfänger Ihrer Spende ist,<br />
neben der großen materiellen Hilfe,<br />
besonders wichtig das Bewußtsein,<br />
daß die Solidarität der Anwaltschaft<br />
auch in schwierigen Zeiten Bestand<br />
hat.<br />
Jede Spende ist steuerabzugsfähig.<br />
Wenn Sie einen Betrag für einen wirklich<br />
guten Zweck – ganz gleich in welcher<br />
Höhe – zur Verfügung stellen<br />
wollen, überweisen Sie ihn bitte auf<br />
eines der folgenden Konten:<br />
Deutsche Bank Hamburg (BLZ<br />
200 70000) Konto-Nr. 0309906 Postbank<br />
Hamburg (BLZ 200 100 20) Konto-Nr.<br />
47403-203<br />
Bitte geben Sie Ihre Anschrift deutlich<br />
und vollständig an. Eine steuerabzugsfähige<br />
Spendenbescheinigung<br />
geht Ihnen unverzüglich zu.<br />
Abschließend noch eine Bitte: Sollte<br />
Ihnen im Kollegenkreis ein Notfall bekannt<br />
sein, informieren Sie uns. Wir<br />
helfen gern!<br />
Hülfskasse <strong>Deutscher</strong> Rechtsanwälte,<br />
Kl. Johannisstr. 6 V, 20457 Hamburg,<br />
Tel. 040/36 50 79, Fax 040/37 46 45.<br />
Veranstaltungen Inland<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Termin/Ort: 3.–5. 12. 1998, Leipzig<br />
Thema: Einführungskurs<br />
Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Referenten: RA Dr. Kurt Bartenbach<br />
RA Günther Eisenführ,<br />
Patentanwalt, Dipl.-Ing.<br />
Preis: 890,– DM; 790,– DM jeweils<br />
zzgl. 16% MwSt.<br />
für GRUR-Mitglieder<br />
und Patentanwälte<br />
Seminar: R 51557-98<br />
Termin/Ort: 3.–5. 12. 1998,<br />
Dortmund<br />
Thema: Einführung in den<br />
Anwaltsberuf<br />
Referenten: RA Dr. Klaus Bauer<br />
RAuN Dr. Thomas Grote<br />
RA Wolfgang Madert<br />
Preis: 670,– DM; 350,– DM<br />
für Junganwälte bis<br />
2 Jahre nach Zulassung<br />
und Referendare<br />
Seminar: R 82660-98<br />
Termin/Ort: 5. 12. 1998, Bielefeld<br />
Thema: Gebührenrecht<br />
kompakt<br />
Referent: RA Dr. Günter Schmeel<br />
Preis: 390,– DM; 190,– DM<br />
für Junganwälte bis<br />
2 Jahre nach Zulassung<br />
und Referendare, jew.<br />
zzgl. 16 % MwSt.<br />
Seminar: R 11453-98<br />
Termin/Ort: 5. 12. 1998, Hamm<br />
Thema: Haftung beim<br />
Verkehrsunfall<br />
Referent: Ri. am OLG Heinz Diehl<br />
Preis: 390,– DM; 190,– DM<br />
für Junganwälte bis<br />
2 Jahre nach Zulassung<br />
und Referendare, jew.<br />
zzgl. 16 % MwSt.<br />
Seminar: R 12356-98<br />
(Fortsetzung auf Seite VIII)
VIII<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite VI)<br />
Termin/Ort: 5. 12. 1998, Düsseldorf<br />
Thema: Die<br />
Verfassungsbeschwerde<br />
Referent: RA Dr. Michael Kleine-<br />
Cosack<br />
Preis: 390,– DM; 190,– DM<br />
für Junganwälte bis<br />
2 Jahre nach Zulassung<br />
und Referendare, jew.<br />
zzgl. 16 % MwSt.<br />
Seminar: R 12457-98<br />
Termin/Ort: 5. 12. 1998, Kassel<br />
Thema: Das familienrechtliche<br />
Mandat<br />
Referent: RA Ralf Mecklenbrauck<br />
Preis: 260,– DM; 160,– DM<br />
für Junganwälte bis<br />
2 Jahre nach Zulassung<br />
und Referendare, jew.<br />
zzgl. 16 % MwSt.<br />
Seminar: R 31271-98<br />
Anmeldung und Info: DeutscheAnwaltAkademie,<br />
Ellerstr. 48, 53119 Bonn,<br />
Tel. 0228/98366-77, Fax 98366-66<br />
AG Strafrecht des DAV<br />
Regionale Veranstaltungen<br />
(Fortbildung nach § 14 Fachanwaltsordnung)<br />
Datum/Ort: 4.-5.12.98, Hannover<br />
Thema: Steuerstrafrecht<br />
Referenten: RA Dr. Carsten Kuhlmann<br />
RA Olaf G. von Briel<br />
Datum/Ort: 11.-12.12.98, Potsdam<br />
Thema: Revisionsrecht<br />
Referenten: Prof. Dr. Reinhold Schlothauer<br />
RA Dr. Ralf Neuhaus<br />
Datum/Ort: 15.-16.1.99, München<br />
(neuer Termin<br />
statt 22./23.1.)<br />
Thema: Das neue Strafund<br />
Strafprozeßrecht<br />
Referenten: RA Dr. Volkmar Mehle<br />
RA Rainer Brüssow<br />
RAuN Dr. Wilhelm Krekeler<br />
RA Norbert Gatzweiler<br />
Preis: 500,– DM für Mitglieder<br />
der ARGE; 700,– DM für<br />
Nichtmitglieder<br />
(inkl. Mittagessen)<br />
Datum/Ort: 5.12.98, Hamburg<br />
Thema: Korruptionsstrafrecht<br />
Referenten: RA Martin Amelung<br />
RA Hanns W. Feigen<br />
Datum/Ort: 5.12.98, Stuttgart<br />
Thema: Verkehrs- und<br />
Bußgeldverfahren<br />
Referent: RA Rainer Brüssow<br />
Preis: 350,– DM für Mitglieder<br />
der ARGE; 500,– DM für<br />
Nichtmitglieder<br />
(inkl. Mittagessen)<br />
Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />
weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />
Ulrich Wendling, Hirschmannstraße<br />
7, 53359 Rheinbach, Telefon:<br />
02226/912091, Fax: 02226/910295<br />
Kaiserin-Friedrich-Stiftung<br />
Datenschutz und Schweigepflicht<br />
in der Medizin<br />
Die Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das<br />
ärztliche Fortbildungswesen veranstaltet<br />
ihr 22. Symposion für Juristen<br />
und Ärzte am 15./16. Januar 1999 in<br />
Berlin zum Thema: „Datenschutz und<br />
Schweigepflicht in der Medizin“.<br />
Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr.<br />
med. J. Hammerstein, Prof. Dr. med.<br />
W. Schlungbaum, Dr. med. Dr. jur. Ch.<br />
Dierks, Dr. jur. Christoph Jansen<br />
Programm (Auszug): Renommierte<br />
Experten referieren aus juristischer<br />
und medizinischer Sicht über folgende<br />
Themenkomplexe:<br />
– Ärztliche Schweigepflicht gegenüber<br />
Dritten (Angehörige, Kollegen und<br />
Medien)<br />
– Ärztliche Schweigepflicht im Krankenhaus<br />
und innerhalb des Gesundheitswesens<br />
– Ärztliche Schweigepflicht in der medizinischen<br />
Forschung<br />
– Ärztliche Schweigepflicht und Datenschutz<br />
im Verfahrensrecht<br />
– Moderne Datenverarbeitung und Datenschutz<br />
(Praxisnetze, Telemedizin)<br />
Anmeldeschluß: 1. Dezember 1998<br />
Tagungsgebühr: 150,– DM<br />
(incl. Tagungsbericht)<br />
Veranstalterin (Auskunft und Anmeldung):<br />
Kaiserin-Friedrich-Stiftung<br />
für das ärztliche Fortbildungswesen,<br />
Robert-Koch-Platz 7, 10115 Berlin<br />
(Mitte), Telefon: 0 30 / 30 88 89 20,<br />
Telefax: 0 30 /30 88 89 26<br />
Europ. Rechtsakademie Trier<br />
Veranstaltungen im Dezember1998<br />
Termin/Ort: 30.11./1.12.1998, Trier<br />
Thema: Staatliche Beihilfen und<br />
Gemeinschaftsrecht<br />
(Englisch, Deutsch)<br />
Termin/Ort: 7./8.12.1998, Trier<br />
Thema: Aktuelle Entwicklungen<br />
im europäischen<br />
Vertriebsrecht –<br />
Panorama nach dem<br />
Grünbuch (Englisch)<br />
Termin/Ort: 3./4.12.1998, Brüssel<br />
Thema: Anerkennung von<br />
Diplomen in einem<br />
Europa für<br />
Weiterbildung und<br />
Berufe<br />
(Englisch, Französisch)<br />
Termin/Ort: 10./11.12.1998, Trier<br />
Thema: Strategien für die<br />
Osterweiterung der<br />
Europäischen Union<br />
(Deutsch,<br />
Englisch, Französisch)<br />
Termin/Ort: 4.12.1998, Trier<br />
Thema: Gemeinschaftsrecht<br />
und Sport –<br />
Aktuelle Entwicklungen<br />
(Deutsch, Französisch)<br />
Termin/Ort: 3./4.12.1998, Trier<br />
Thema: Korruptionsbekämpfung<br />
in der Europäischen<br />
Union 1998<br />
(Deutsch, Englisch,<br />
Französisch)<br />
Termin/Ort: 3./4.12.1998, Trier<br />
Thema: Steuerwettbewerb im<br />
Binnenmarkt: Der vorgeschlageneVerhaltenskodex<br />
und andere Fragen<br />
der Unternehmensbesteuerung<br />
(Deutsch, Englisch,<br />
Französisch)<br />
Anmeldung/Info: Europäische Rechtsakademie<br />
Trier, Metzer Allee 4, D-54295 Trier,<br />
Tel. +49 (0)651-937370, Fax +49 (0)651-<br />
9373790<br />
(Fortsetzung auf Seite XVIII)
Im Auftrag des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Ludwig Koch<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
FORUM „ZUKUNFT DER ANWALTSCHAFT“<br />
Kongreßzentrum Kurfürstliches Schloß zu Mainz<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Bonn, Adenauerallee 106<br />
Jahrgang 48 AQl November 1998<br />
Nachrichten für die Mitglieder<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s e. V.<br />
1. bis 3. Oktober 1998 in Mainz<br />
Einführung und Rückblick<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Streck, Köln,<br />
Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Am 14.7.1987 hat das Bundesverfassungsgericht die<br />
Rechtswidrigkeit eines großen Teils des damaligen Standesrechts<br />
der Anwälte festgestellt.<br />
Die Irritation war groß. Wer sollte jetzt handeln? Der Gesetzgeber?<br />
Die Rechtsanwaltskammern? Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong>?<br />
Die Rechtsanwälte, wo immer sie organisiert<br />
sind? Oder sollte man die Ehrengerichte so lange beschäftigen,<br />
bis durch sie das neue Berufsrecht geformt worden wäre.<br />
Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> hat dies als Aufgabe der<br />
Anwälte begriffen, und zwar in vorausahnender Antizipation:<br />
Am 19.11.1987 wurden die Beschlüsse vom 14.7.1987<br />
bekannt. Bereits einen Monat vorher, am 16.10.1987, befaßte<br />
sich der Kölner <strong>Anwaltverein</strong> anläßlich seines 100jährigen<br />
Jubiläums mit dem Thema „Die Anwälte und ihr<br />
Standesrecht – Bemerkungen zu einem Wandlungsprozeß“.<br />
Der Referent war Ernst Benda (AnwBl 1987, 1).<br />
Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> lud zum 4. und 5.3.1988<br />
nach Dortmund zum ersten Forum „Zukunft der Anwaltschaft“.<br />
Die an jenem Forum teilgenommen haben, wissen<br />
heute noch von den geistigen Auseinandersetzungen, den<br />
Turbulenzen zu berichten, in die das Bundesverfassungsgericht<br />
die Rechtsanwälte geführt hatte. Allein an die Werbe-<br />
Möglichkeiten zu denken führte zu kaltem Entsetzen. Das<br />
Forum war damals außerstande, zum Thema Werbung irgendwelche<br />
Thesen zu formulieren (vgl. AnwBl 1987, 305).
546<br />
l<br />
Das Podium beim Arbeitskreis I: Berufsbild und Berufsverständnis des Anwalts.<br />
Der schmerzvolle Prozeß der Abgleichung der Ansichten<br />
des DAV mit denjenigen der BRAK begann. Es dauerte<br />
7 Jahre, bis am 2.9.1994 das Gesetz zur Neuordnung des<br />
Berufsrechts der Rechtsanwälte verkündet wurde. Grundsätze<br />
des neuen Rechts wurden normiert, zugleich der Anwaltschaft<br />
die Möglichkeit gegeben, eine sich selbst regulierende<br />
Berufsordnung zu beschließen. Hierzu waren<br />
wieder 2 1/2 Jahre notwendig. Am 10.12.1996 war es soweit;<br />
die Berufsordnung konnte veröffentlicht werden.<br />
Müssen die Rechtsanwälte heute, nach diesem langwierigen<br />
Prozeß, nach diesen mühevollen 10 Jahren, wiederum<br />
über sich selbst, ihren Beruf, ihr Berufsrecht nachdenken?<br />
In diesem Herbst tagt die Satzungsversammlung erneut in<br />
Berlin. Korrekturbedarf ist von allen Seiten angemeldet.<br />
Die Berufsordnung trägt das Datum 10.12.1996. Sie hat<br />
ihre Wurzeln in dem Normierungsprozeß der Jahre 1987<br />
bis 1996. Diese „Erde“ ist nicht die Wirklichkeit des Jahres<br />
1996 und auch nicht das Selbstverständnis der Anwälte des<br />
Jahres 1996, geschweige denn des Herbstes 1998. Wirklichkeit<br />
und Selbstverständnis haben das Regelwerk bereits<br />
überholt. Das ist ein Prozeß, der für alle Normen gilt. Nur<br />
die Geschwindigkeit des Überholvorgangs ist bemerkenswert,<br />
für viele atemberaubend.<br />
Die Wirklichkeit der Werbung, die tatsächlichen Kooperationsformen,<br />
das Berufsbild des Rechtsanwalts, die anwaltliche<br />
Freiberuflichkeit und Gewerblichkeit, der anwaltliche<br />
Wohlstand und die anwaltliche Armut, das Alter und<br />
die Jugend der Anwaltschaft, die Quantität und die Qualität,<br />
die Formen der Beratung selbst sind Wirklichkeiten und<br />
Ausdruck eines Selbstverständnisses, das bereits heute<br />
knapp zwei Jahre seit Inkrafttreten der Berufsordnung in<br />
Teilbereichen nicht mehr direkt, sondern nur noch im Wege<br />
der Auslegung zu erfassen ist.<br />
Unsere Lebensdynamik führt – das ist inzwischen Allgemeingut<br />
– zu einem immer schnelleren Normenumschlag.<br />
Der materielle Wert-Transfer zwischen den Generationen,<br />
zwischen den Teilgenerationen, funktioniert nur<br />
eingeschränkt. Das wissen Eltern, die noch mit ihren Kindern,<br />
insbesondere mit ihren erwachsenen Kindern kommunizieren.<br />
Das gilt für junge Anwälte im Verhältnis zu den<br />
älteren Anwälten. Weitergegeben werden immer weniger<br />
imaterielle Werte; im Kurs stehen als formelle Werte Bestand<br />
behaltene Normen wie die Verschwiegenheit, die Unabhängigkeit,<br />
nicht aber das Werbeverbot. Transferiert werden<br />
im übrigen Methoden, mit dem Wertewandel<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
umzugehen. Zu diesen Methoden gehören die großen Foren<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />
Es ist daher bereits heute richtig, daß sich die Anwaltschaft<br />
erneut mit der Ordnung des eigenen Berufs, insbesondere<br />
aber auch – und zwar vorausgehend – mit dem<br />
Begreifen, dem Verstehen, dem Akzeptieren und dem Verneinen<br />
von Wirklichkeit befaßt, die sie erzeugt und antrifft.<br />
Ist aber der DAV hierzu berufen?<br />
Aufgerufen sind in erster Linie die Rechtsanwälte selbst.<br />
Es geht um ihr Berufsleben, um ihre Existenz. Sie entwerfen<br />
ihr Berufsleben, sie entwerfen ihre Existenz. Sie haben<br />
die originäre Kompetenz. Haben sich die Rechtsanwälte<br />
freiwillig zu einem Berufsverband zusammengeschlossen,<br />
so haben die Rechtsanwälte in dieser freiwilligen Zusammenbindung<br />
und Kraft die gleiche originäre Kompetenz,<br />
sich mit diesen Fragen zu befassen.<br />
Diese Kompetenz hat nicht der Gesetzgeber. Er gibt<br />
nur den Rahmen vor. Auch das vermeintlich so dominante<br />
Steuerrecht bestimmt nicht das Berufsbild. Die originäre<br />
Kompetenz liegt auch nicht bei den Gerichten. Allzu häufig<br />
wird vergessen, daß es in erster Linie nicht das Bundesverfassungsgericht<br />
war, das 1987 das Berufsrecht stürzte, sondern<br />
die vermeintlich das Recht verletzenden Anwälte und<br />
diese Verletzung rechtfertigende Prozeßbevollmächtigten.<br />
Niemand anders als wir Anwälte gestalten diesen Beruf.<br />
Und selbst dann, wenn wir andere für uns gewähren lassen,<br />
sind wir es, die diese Delegation vornehmen.<br />
In diesem Sinne hat der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> zu dem<br />
Forum in Mainz geladen. Er hat die Anwälte zu einer offenen,<br />
mutigen, zukunftsorientierten, breit angelegten existentiellen<br />
Diskussion des eigenen Berufs, des Bilds des Anwalts,<br />
des eigenen vernünftigen Lebensentwurfs<br />
aufgerufen. Er hat gefragt: „Welchen Anwaltsberuf wollen<br />
sie zu Beginn des dritten Jahrtausends?“<br />
Das Forum ist nicht ohne die Initiative und das Handeln<br />
zweier Anwälte vorzustellen. Ludwig Koch war der entscheidende<br />
Initiator dieses Forums. Auf ihn geht bereits<br />
das Dortmunder Forum zurück. Aus der Geschäftsführung<br />
des DAV warDr. Peter Hamacher bestimmender Mitgestalter.<br />
Ihnen gebührt unser großer Dank.<br />
Der erste Tag des Forums, der 1.10.1998, gehörte drei<br />
Referaten. Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen analysierte,<br />
kritisierte die Stärken und Schwächen der Anwälte und gab
AnwBl 11/98 547<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />
Das Podium beim Arbeitskreis II: Der Anwaltsberuf als selbstgestalteter Lebenslauf, nicht als Verlegenheitslösung aus Existenznot.<br />
Prognosen für die Zukunft. Kein Anwalt, sei er jung, sei er<br />
„klein“, komme er aus einem großen Verbund, sei er Einzelanwalt,<br />
konnte sich diesen Analysen entziehen. Heussen<br />
war optimistisch. Der Markt bietet allen Anwälte eine<br />
Chance. Sie müssen diese Chance nur ergreifen. Das Referat<br />
von Rembert Brieske zu den sozialen Problemen der<br />
Anwälte gab den Contrapunkt und polarisierte. Brieske gab<br />
keine trockene Analyse der sozialen Situation der Anwälte,<br />
und eben dies wurde ihm vorgeworfen. Er wollte die unmittelbar<br />
gefühlte Betroffenheit. Anwälte denken zu wenig an<br />
die immer vorhandenen sozialen Komponenten jeder Beratung.<br />
Und Anwälte verstecken die sozialen Probleme ihrer<br />
Kollegen, die es am Markt nicht schaffen und in die Randlage<br />
abdriften. Die Betroffenheit erzeugt zu haben brachte<br />
ihm das Lob derer ein, die eben dies für notwendig erachten.<br />
Das dritte Referat hielt Prof. Dr. Christoph Hommerich<br />
zur strategischen Ausrichtung der Anwaltskanzlei. Wer<br />
Hommerich kennt, weiß, daß er mit seinem Referat die<br />
Anwälte in den Bann zu schlagen versteht. In hohem Maße<br />
einsichtig beschrieb er die negativ, die positiv am Markt<br />
operierende Praxis. Allzu leicht ist der Zuhörer geneigt, die<br />
Kritik immer beim Wettbewerber, beim Kollegen zu sehen.<br />
Dieses Referat betraf jeden Anwalt, jeden Zuhörer. Das<br />
wurde ausgesprochen.<br />
Am zweiten Tag, am 2.10.1998, teilte man sich in<br />
Arbeitskreise. Der Arbeitskreis I befaßte sich mit dem Berufsbild<br />
und dem Berufsverständnis der Anwälte. Geleitet<br />
wurde er von den Rechtsanwälten Ludwig Koch, Rembert<br />
Brieske und Dr. Peter Hamacher. Eingeleitet wurde die Arbeit<br />
durch das Referat von Herrn Rechtsanwalt Dr. Joachim<br />
Freiherr von Falkenhausen. Er suchte bei aller Vielfalt den<br />
gemeinsamen Kern anwaltlicher Tätigkeit. Es folgte das<br />
Referat von Rechtsanwalt Dr. Hans-Jürgen Hellwig der<br />
„Anwalt zwischen Kommerzialisierung und Berufsethos“.<br />
Die Kollegen Rechtsanwalt Günter Bandisch, Rechtsanwalt<br />
Dr. Hans Jochen Lüer und Rechtsanwalt Hans-Jürgen<br />
Gebhardt befaßten sich mit anwaltlichen und gewerblichen<br />
Massengeschäften.<br />
Die Diskussion um den gemeinsamen Kern der anwaltlichen<br />
Tätigkeit fand auf einem beeindruckend hohen Niveau<br />
statt. Konzentriert sich der gemeinsame Kern auf die reine<br />
rechtliche Dienstleistung? Oder sind die Qualitätsmerkmale<br />
der Unabhängigkeit, der strikten Parteilichkeit, der Sicherung<br />
des Verbots der Wahrnehmung widerstreitender Interessen<br />
und der Wahrung der Verschwiegenheit Teile des<br />
gemeinsamen Kerns (was schließlich bejaht wurde)? Wettbewerb<br />
und Kommerzialisierung, so Hellwig, sind nicht nur<br />
bestimmend für die Anwälte untereinander, sondern auch<br />
für die Mitglieder einer Sozietät. Je größer die Sozietät, um<br />
so mehr greift der Wettbewerb in das Sozietätsgefüge ein.<br />
Was die Nischentätigkeiten in den fast gewerblichen Bereichen<br />
anbelangt, so war einzusehen, daß dies nicht gegen<br />
das anwaltliche Selbstverständnis verstieß. Der Mut zur Besonderheit,<br />
zur Nische gehört zur freiberuflichen Arbeit. In<br />
besonderer Weise berührte das Referat von Rechtsanwalt<br />
Hartmut Kilger: Der Anwalt verändert die Gesellschaft.<br />
Kilger ging es nicht um den politisch agierenden Anwalt,<br />
um den „Revolutionär“, sondern um den Anwalt, der auch<br />
in dem kleinen, höchst individuellen Mandat in der Lage<br />
ist, mit seinem Mandat an einem bestimmten Punkt die Gesellschaft<br />
zu korrigieren. Im Spektakulären mag die Änderungsgewalt<br />
des Anwalts offensichtlich sein. Daß aber die<br />
Arbeit mit einem Sozialhilfefall auch an einem Ort die Gesellschaft<br />
verändern kann, beeindruckte.<br />
Der Arbeitskreis II stellte sich dem Problem des „Anwaltsberufs<br />
als selbstgestalteter Lebensentwurf, nicht als<br />
Verlegenheitslösung aus Existenznot“. Er wurde geleitet<br />
von Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg,<br />
von Rechtsanwältin Cornelia Frech und Rechtsanwalt Thomas<br />
Zerdick. Zunächst ging es in dem Referat von Rechtsanwalt<br />
und Notar Jens Peter Lachmann aus Berlin um<br />
„Das magische Berufsquadrat: Generalist, Spezialist, Kanzlei,<br />
Großsozietät“. Dem Spezialisten fliegen die Argumente<br />
zu. Aber auch der Generalist hat in Zukunft seine Chance,<br />
wenn man ihn als Vertrauter des Mandanten und Weg zum<br />
Fachmann begreift. Die Funktion der Großsozietät scheint<br />
evident zu sein. Aber auch die kleine Kanzlei wird sich am<br />
Markt behaupten, schon deshalb, weil das Vertrauensband<br />
besser zu knüpfen ist.<br />
Daß dies so ist, folgte aus den weiteren Beiträgen von<br />
Rechtsanwalt und Notar Wolfgang Schwackenberg und<br />
Rechtsanwalt Andreas Tilp zum Marketing und zur Entwicklung<br />
und Präsentation der anwaltlichen Leistungen.<br />
Der Markt wartet nicht auf einen. Man muß das Bedürfnis<br />
des Markts erkennen. Und wo das Bedürfnis im Markt<br />
nicht erkannt ist, muß man es als Bedürfnis erzeugen, wie<br />
Kollege Tilp auf dem Gebiet der Anlageberatung überzeugend<br />
darstellte.<br />
In diesem Arbeitskreis ging es auch um die Frage, welche<br />
Chance der „Muß-Anwalt“ hat. Daß der „Anwalt aus<br />
Wille“ die Nase vorn haben wird, bedarf keiner Diskussion.
548<br />
l<br />
Das Podium beim Arbeitskreis III: Anwaltliche Tätigkeit.<br />
Aber auch der Anwalt aus Not kann sich in der Identifikation<br />
mit der anwaltlichen Arbeit zum überzeugenden Anwalt<br />
entwickeln. Die Diskussion belegte im übrigen, daß es<br />
keine zwingenden Gründe gibt, daß der Anwalt unbedingt<br />
selbständig sein muß. Auch der (dauerhaft) angestellte Anwalt<br />
hat seine Chance.<br />
Die Alterssicherung ist gut aufgehoben in der anwaltlichen<br />
Versorgung. Zur Frage der Bezahlung und Unterbezahlung<br />
junger Anwälte (Referentin: Rechtsanwältin Gerlinde<br />
Fischedick) fand man letztlich keine eindeutigen<br />
Aussagen. Was eine angemessene Bezahlung ist, scheint<br />
sich einer plakativen Formulierung zu entziehen. Den jungen<br />
Anwälten selbst fehlte der Mut zu einer Radikalformel.<br />
Der Arbeitskreis III breitete das Feld anwaltlicher Möglichkeiten<br />
aus. Vorgestellt wurde das Vertragsarztrecht und<br />
das Recht der Arbeitslosen. Das Versicherungsrecht, das<br />
„Grüne“-Recht, das sich vom Umweltrecht abhob, die<br />
Schuldnerberatung und das Betreuungsrecht (Referenten:<br />
Rechtsanwälte Prof. Hermann Plagemann, Dr. Hubert W.<br />
van Bühren, Karsten Sommer, Norbert Weber, Klaus<br />
Schlimm). Es ging in diesem Arbeitskreis auch um die<br />
nicht gerichtliche Konfliktregelung (Dr. Thomas Spörer).<br />
Die interprofessionellen Kooperationen auf nationaler und<br />
internationaler Ebene wurden behandelt (Rechtsanwalt<br />
Wolfgang Ewer, Prof. Dr. Martin Henssler). Schließlich<br />
wurden die Tätigkeitsbereiche der Beratungshotline, der<br />
Anwaltshäuser, der Rechtsberatung im Kaufhaus, der<br />
Rechtsberatungscafés, der anwaltlichen Zweitberufe vorgestellt<br />
(Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter). Der Leiter der<br />
Redaktion „Recht und Justiz“ im ZDF, Rechtsanwalt Bernhard<br />
Töpper, machte schließlich mit der Rechtsberatung im<br />
Fernsehen vertraut.<br />
Geleitet wurde dies alles von den Kollegen Dr. Klaus E.<br />
Böhm, Dr. Bernd Hirtz und Andreas Hagenkötter.<br />
Wer die Breite der rechtsanwaltlichen Tätigkeit kennenlernen<br />
wollte, war in diesem Arbeitskreis gut aufgehoben.<br />
Der Arbeitskreis IV hatte die Qualitätssicherung anwaltlicher<br />
Leistungen zum Thema. Die Leitung lag in der Hand<br />
der Rechtsanwälte Dr. Hans C. Lühn, Dr. Ulrich Stobbe<br />
und Rechtsanwältin Angelika Rüstow.<br />
In seiner Zusammenfassung zeigte sich Stobbe davon<br />
beeindruckt, daß er zum ersten Mal erlebt habe, daß Kolleginnen<br />
und Kollegen über die Qualitätsfrage aufgeschlossen<br />
zu diskutieren bereit waren. Sie seien in der Lage gewesen,<br />
sich kritisch mit dem Thema auseinanderzusetzen, und was<br />
noch viel wichtiger wäre, sie seien zum großen Teil auch<br />
bereit, ihre eigene Position zu überdenken. Dies sei für ihn<br />
das wesentliche Ergebnis der Arbeitsgruppe IV. Der Qualitätsbegriff<br />
(Rechtsanwalt Dr. Klaus Dieter Becker), die Relation<br />
der Qualität zum ungebremsten Zulauf zur Anwaltschaft<br />
(Rechtsanwalt Dr. Hans C. Lühn), die Organisation<br />
und Qualitätskontrolle (Prof. Dr. Christoph Hommerich)<br />
wurden nicht mehr mit Abwehr, sondern mit Neugier aufgenommen.<br />
Zum Thema TQM oder ISO 9000 brillierte<br />
eine Studentin, Manja Ehnert, TQM-Fachauditorin. Beide<br />
Qualitätswege stellen keine Alternative dar, sondern unterschiedliche<br />
Wege, die letztlich zu dem selben Ziel führen.<br />
Das Thema weitete sich unter der Überschrift „Internet für<br />
Anwälte“ durch die Referate von Rechtsanwalt Christopher<br />
Kuner und Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Chrocziel.<br />
Die eingeladenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
sollten ohne Bezug auf die Tagesarbeit diskutieren, denken,<br />
analysieren und neu formulieren. Dieses wurde aufgenommen.<br />
Die Tagung war ein Erfolg.<br />
Zum Schluß wurden Thesen formuliert. Hierüber wurde<br />
– das Vorbild des Juristentages verschweigen wir nicht –<br />
abgestimmt. Diese Ergebnisse können sie auch in diesem<br />
Heft (S. 549) lesen.<br />
Der anwaltliche Braintrust ohne konkreten Fortbildungsbezug<br />
verlangt nach einer Fortsetzung. Ich stelle mir vor, daß<br />
sich das Forum alle 5 Jahre wiederholt. Der DAV wird dies in<br />
seiner Planung einstellen. Vielleicht 2003 in Schwerin.<br />
Thesen des Forums<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
Am Samstag, dem 3. Oktober 1998 haben Rechtsanwalt<br />
Ludwig Koch (AK I), Rechtsanwalt und Notar Wolfgang<br />
Schwackenberg (AK II), Rechtsanwalt Dr. Klaus E. Böhm<br />
(AK III) und Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Stobbe (AK<br />
IV) die von den Moderatoren aufgrund der Verhandlungen<br />
der Arbeitskreise verfaßten Thesen dem Plenum vorgetragen.<br />
Der Präsident stellte die Thesen zur Abstimmung durch<br />
die Teilnehmer an der Schlußveranstaltung des Forums.<br />
Die Teilnehmer haben die Thesen in der nachfolgenden<br />
Fassung mit den verzeichneten Stimmergebnissen<br />
(Zahlen = Ja : Nein : Enthaltung) beschlossen.
AnwBl 11/98 549<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />
Das Podium beim Arbeitskreis IV: Qualitätssicherung anwaltlicher Leistungen.<br />
Berufsbild und Berufsverständnis<br />
1. Organisations- und Zusammenarbeitsformen verändern<br />
sich ständig. Kommunikationstechniken entwickeln<br />
sich fort. Dies erfordert, durch geeignete Maßnahmen ausnahmslos<br />
sicherzustellen, daß Unabhängigkeit als Synonym<br />
für Freiheit, daß Parteilichkeit im Mandanteninteresse bei<br />
strikter Wahrung der Verschwiegenheit und daß das Verbot<br />
der Wahrnehmung widerstreitender Interessen, auf das auch<br />
bei Einverständnis verschiedener Auftraggeber nicht verzichtet<br />
werden kann, weiterhin den Kern anwaltlichen Berufsverständnisses<br />
bilden. Der sich steigernde Wettbewerb<br />
im Rechtsberatungsmarkt darf daran nichts ändern.<br />
Nur so wird sichergestellt, daß die Interessen des rechtsuchenden<br />
Bürgers sachgerecht wahrgenommen werden<br />
und Anwältinnen und Anwälte durch ihre Tätigkeit an der<br />
Verwirklichung des Rechtsstaats mitwirken. In diesem<br />
Kern des anwaltlichen Berufsverständnisses, der stärker als<br />
bisher in der Öffentlichkeit zu betonen ist, liegt ein wesentlicher<br />
Wettbewerbsvorteil für Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte.<br />
Das Verbot, widerstreitende Interessen wahrzunehmen,<br />
darf in keiner Berufsordnung zur Disposition der Beteiligten<br />
stehen.<br />
50:0:8<br />
2. Anwaltliche Tätigkeit im Bereich gerichtlicher Verfahren<br />
umfaßt alles, vom Einzelmandat über Parallelprozesse,<br />
Verfahren mit sich ständig wiederholenden Sachverhalten<br />
bis zu serienmäßigen Einziehungsmandaten, welchen<br />
Umfangs auch immer.<br />
61:0:4<br />
3. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind die berufenen,<br />
rechtskundigen Vertreterinnen und Vertreter für alle<br />
Rechtsuchenden. Sie leisten Beistand, vertreten die Rechte<br />
ihrer Mandanten und gestalten dadurch eine freiheitliche,<br />
sozial orientierte Gesellschaft.<br />
67:0:0<br />
Der Anwaltsberuf als selbstgestalteter<br />
Lebensentwurf<br />
Der Wettbewerb im Rechtsberatungsmarkt wird sich<br />
weiter verschärfen.<br />
1. Eine Konzentration der Kanzleien auf bestimmte<br />
Arbeitsfelder ist aus wirtschaftlichen Gründen notwendig.<br />
57:5:5<br />
2. Die Chancen im Wettbewerb werden durch die Größe<br />
einer Kanzlei weder garantiert nocht ausgeschlossen.<br />
61:1:6<br />
3. Anwaltliche Tätigkeit muß sich am Bedarf des Mandanten<br />
orientieren. Dazu erforderliche interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />
darf berufsrechtlich nicht behindert werden.<br />
63:2:3<br />
4. Erfolg erfordert eine zielgerichtete und marktorientierte<br />
anwaltliche Tätigkeit. Neue Beratungsfelder müssen<br />
erkannt, besetzt und konsequent verkauft werden.<br />
50 : 11 : 8<br />
5. Eine Ausbildung, die eine frühzeitige Berufsentscheidung<br />
verlangt, verhindert den Anwalt aus Verlegenheit.<br />
47 : 17 : 4<br />
6. Selbständigkeit, Angestelltenverhältnis und echte<br />
freie Mitarbeit können – soweit sie auf freier Entscheidung<br />
beruhen – gleichwertige Arbeitsformen darstellen.<br />
57:4:7<br />
7. Die Frage angemessener Entlohnung von anwaltlichen<br />
Mitarbeitern bleibt Herausforderung für die Zukunft.<br />
42 : 10 : 16<br />
8. Das Versorgungswerk ist das bedarfsgerechte Altersund<br />
Invaliditätssicherungssystem der Anwältinnen und Anwälte.<br />
Das Befreiungsrecht der angestellten Anwältinnen<br />
und Anwälte darf deshalb nicht angetastet werden.<br />
61:1:8
550<br />
l<br />
Anwaltliche Tätigkeitsbereiche<br />
1. Die Sicherung und mögliche Ausweitung forensischer<br />
anwaltlicher Tätigkeit ist eine berufspolitische Aufgabe; die<br />
Möglichkeiten sind noch nicht voll genutzt. Wegen dernotwendigen<br />
Qualitätsverbesserung in der Justiz ist der Anwaltszwang,<br />
insbesondere an den Amtsgerichten, auszudehnen.<br />
Schwerpunkte der Ausweitung anwaltlicher Tätigkeit<br />
liegen im außerprozessualen Bereich. Hierfür hat das<br />
Gebührenrecht mehr als bisher Anreize zu schaffen.<br />
49:5:12<br />
2. Der Anwalt muß aktiver als bisher den Mandanten<br />
über seine Kompetenzbereiche informieren und zusätzlichen<br />
Beratungsbedarf auch im Rahmen des bestehenden<br />
Mandatsverhältnisses erkennen.<br />
62:0:4<br />
3. Im nichtforensischen Bereich ergeben sich Ausweitungsmöglichkeiten<br />
des anwaltlichen Tätigkeitssepktrums<br />
u.a. in den Bereichen:<br />
– Beratungsmarkt<br />
– außergerichtliche Konfliktbeilegung<br />
– interprofessionelle Kooperation<br />
– Verlagerung aus der Enge der Anwaltskanzlei heraus.<br />
64:0:2<br />
4. Im Beratungsmarkt sind neue Felder zu erschließen,<br />
vorhandenes Terrain ist besser zu nutzen. Anwältinnen und<br />
Anwälte müssen die an benachbarte Berufe verloren gegangenen<br />
Terrains zurückgewinnen, weitere Feldverluste vermeiden<br />
und geeignete Tätigkeitsgebiete neu besetzen.<br />
39 : 13 : 12<br />
5. Im Bereich außergerichtlicher Konfliktbleilegung besteht<br />
Marktpotential u.a. in den Bereichen:<br />
– Mediation (Mediator oder Interessenvertreter der Beteiligten)<br />
– Schiedsgerichtsverfahren (Parteienvertreter oder<br />
Schiedsrichter)<br />
– Institutionalisierte vorgerichtliche Streitbeilegung (als<br />
Parteivertreter oder Schlichter).<br />
62:0:1<br />
6. Die interprofessionelle Kooperation (national und international)<br />
kann sich auf rechtsnahe Bereiche ebenso erstrecken<br />
wie auf eher wirtschaftlich oder technisch definierte<br />
Themen. Eine großzügige Zusammenarbeit mit<br />
Drittberufen ist im Sinne der Berufsfreiheit einerseits und<br />
einer effektiven Mandatswahrnehmung andererseits umfänglich<br />
zu legitimieren, gleich ob in dauerhafter Kooperation<br />
oder einzelfallbezogen.<br />
57:8:4<br />
7. Wünschenswert ist eine Erweiterung der sozietätsfähigen<br />
Berufe auf solche, die dem Gebot der Unabhängigkeit,<br />
der beruflichen Verschwiegenheitspflicht, dem Verbot<br />
der Wahrnehmung widerstreitender Interessen und einer<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
Kammeraufsicht unterliegen. Die jeweiligen Berufsordnungen<br />
sind möglichst weitgehend zu harmonisieren.<br />
54:0:8<br />
8. Das Angebot anwaltlicher Tätigkeit muß den traditionellen<br />
Bereich der Kanzlei verlassen. Alte und neue Medien<br />
sind zu nutzen. Brennpunkte des Rechtsberatungsbedarfs<br />
sind aufzusuchen. Die Qualität der anwaltlichen<br />
Beratungsleistung ist unabhängig vom Ort der Erbringung<br />
und von dem Einsatz der Medien zu gewährleisten.<br />
57:1:4<br />
9. Die Berufsorganisationen haben die Entwicklung<br />
kreativer neuer anwaltlicher Dienstleistungsformen zu fördern<br />
und zu unterstützen.<br />
59:0:3<br />
10. Auch die Rechtsberatung in den Medien ist Anwaltssache.<br />
59:1:1<br />
Qualitätssicherung anwaltlicher Leistungen<br />
1. Die Anwaltschaft hat wegen der hohen Zugangsraten<br />
ein Quantitätsproblem.<br />
53:5:11<br />
2. Die auf den Anwaltsberuf unzureichend vorbereitetende<br />
Juristenausbildung führt bei steigendem Wettbewerb<br />
zu einem sich verschärfenden sozialen Problem, nicht zwingend<br />
zu einem Qualitätsproblem.<br />
51:4:4<br />
3. Der sich forcierende Wettbewerb innerhalb der Anwaltschaft<br />
und mit anderen Anbietern rechtlicher und wirtschaftlicher<br />
Dienstleistungen fördert die Sensibilisierung<br />
der Anwaltschaft für die Notwendigkeit hoher Qualität anwaltlicher<br />
Leistung. Die Anwaltschaft ist heute qualitätsbewußter<br />
denn je.<br />
53:0:6<br />
4. Die Qualität anwaltlicher Dienstleistungen läßt sich<br />
nicht anhand allgemein verbindlicher Standards messen. Es<br />
gibt keine abstrakten, objektiv ableitbaren Qualitätsstandards<br />
für jede Kanzlei. Die Qualitätsstandards sind vielmehr<br />
auf der Basis der von jeder Kanzlei individuell zu<br />
definierenden Kanzleiziele in einem mehrstufigen Prozeß<br />
systematisch zu erarbeiten. Das Berufs- und Haftungsrecht<br />
markiert nur die Mindeststandards anwaltlicher Leistung.<br />
52:2:6<br />
5. Die Anwaltskanzlei muß eine lernende Organisation<br />
sein, die ständig und systematisch unter Einbeziehung aller<br />
Mitarbeiter ihre Qualität prüft und verbessert. Im Qualitätsmanagement<br />
ist der Weg das Ziel. Qualitätsmanagement<br />
legt Stärken, Schwächen und Verbesserungspotentiale offen<br />
und schafft so die Grundlage für eine fortlaufende Qualitätsoptimierung.<br />
56:0:4
AnwBl 11/98 551<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />
6. Qualitätsmanagement ist mehr als kurzfristiges Marketing<br />
und erschöpft sich nicht in der Zertifizierung.<br />
53:2:2<br />
7. Die Anwaltskanzlei muß ihre Qualitätsstandards auch<br />
gegenüber den Mandanten transparent machen.<br />
53:2:3<br />
8. Die Fachanwaltschaften sind ein wesentliches Instrument,<br />
Qualität sichtbar zu machen. Dies setzt voraus, daß<br />
die Qualifikation des Fachanwalts verläßlich gewährleistet<br />
ist.<br />
53:0:4<br />
9. Die Debatte über die falsche Alternative TQM versus<br />
ISO 9000 ist unproduktiv. Beides sind sinnvolle Wege zur<br />
Qualitätssicherung.<br />
42:1:14<br />
10. Das Internet ist ein zukunftsträchtiges Medium der<br />
Information und Kommunikation für und über die Anwaltschaft.<br />
Die derzeit noch bestehenden Sicherheitsprobleme,<br />
insbesondere bei „e-mail“, sind jedoch ernst zu nehmen<br />
und zu lösen.<br />
59:0:0<br />
Auf Antrag des Präsidenten beschließen die Teilnehmer<br />
mit 44 : 12 : 3 Stimmen, bei der Abfassung der Thesen die<br />
männliche und die weibliche Sprachform gleichmäßig zu<br />
berücksichtigen.<br />
Der Präsident dankt allen Mitwirkenden und Teilnehmern<br />
für die so gelungene Gestaltung des Forums und<br />
schließt die Veranstaltung um 13.00 Uhr.<br />
Stärken und Schwächen der<br />
Anwaltschaft *<br />
– Analyse, Kritik, Prognosen –<br />
Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen, München<br />
1. Einleitung<br />
Die Einladung des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (DAV) 1 die<br />
Stärken und Schwächen der Anwaltschaft zu analysieren,<br />
hat ihre Schattenseiten, wenn der Kreis der Zuhörer hauptsächlich<br />
aus Anwälten besteht. Sie wissen ja: Zwei<br />
Anwälte – vier Meinungen! Unter fast 500 Anwälten muß<br />
ich also mit 1.000 Meinungen rechnen – und davon habe<br />
ich selbst leider nur zwei.<br />
Trotzdem habe ich diese Einladung gern angenommen,<br />
weil sie mir Gelegenheit zu einem ganz persönlichen Resümee<br />
gibt: Genau vor 25 Jahren habe ich meine Zulassung<br />
bekommen und zusammen mit drei Freunden aus einer<br />
Referendargruppe das getan, wovor uns jeder warnte: Wir<br />
haben uns selbständig gemacht! Der Markt war damals<br />
allerdings viel günstiger als heute: Es gab nur 30.000 An-<br />
wälte! Dafür aber fehlte jede Unterstützung von außen, wie<br />
sie der DAV in seinem Forum für junge Anwälte oder die<br />
Anwaltakademie mit ihren Kursen heute anbieten. Daß ältere<br />
Kollegen den jüngeren mit ihrem Wissen aufs Fahrrad<br />
helfen und so die künftige Konkurrenz schlau machen – das<br />
hätte man damals nicht für möglich gehalten.<br />
Warum sind wir als junge Anwälte nicht zu anderen<br />
Büros gegangen? Weil sich in den Sozietäten alten Stils ein<br />
selbstbewußter Unter- oder Mittelbau nur schwer entwikkeln<br />
konnte. Damals war es der individuelle Stil der Seniorpartner,<br />
der alles bis zur letzten Sekretärin hinunter prägte,<br />
wobei man die jungen Anwälte nicht selten wie Champignons<br />
behandelte: Man wurde in dunkle Zimmer geworfen,<br />
mit Aktenmist bis zur Nase zugedeckt und kaum steckte<br />
man den Kopf heraus, wurde man in Stücke gehackt und jemand<br />
zum Fraß vorgeworfen. Manche von uns hatten nach<br />
zwei Jahren noch keinen Mandanten gesehen und keinen<br />
Schriftsatz unterschrieben, sondern sammelten Urteile oder<br />
verfertigten Gutachten, deren Zweckbestimmung uns dunkel<br />
blieb. Vor all dem hatten wir mehr Angst als vor den<br />
Dschungeln des Marktes und der Unberechenbarkeit der<br />
Mandanten, die draußen auf uns warteten.<br />
So fingen wir also selbst an, mit einem Telefon, einer alten<br />
Kugelkopf-Schreibmaschine für sechshundert Mark –<br />
damals das Non-plus-ultra der Bürotechnik – und einem<br />
Haufen Durchschlagpapier, denn einen Kopierer, den man<br />
sich hätte leisten können, gab es damals noch nicht. Das<br />
Münchner Oktoberfest 1973 lieferte uns den ersten Fall:<br />
Jemand hatte seinem besten Freund einen Maßkrug über<br />
den Kopf gezogen. Das Rückgrat des Ganzen war unsere<br />
erste Sekretärin, die noch heute bei uns ist, denn die war<br />
schon etwas länger im Geschäft: Sie hat uns bei dem Bemühen,<br />
uns freizuschwimmen, mit mehr Beifall bedacht als<br />
unsere Mandanten.<br />
Diese Anfänge und die Erfahrungen, die ich während<br />
der folgenden fünfundzwanzig Jahre gemacht habe, bilden<br />
den Hintergrund für fünf Themen, in denen sich die Stärken<br />
und Schwächen der Anwaltschaft am besten widerspiegeln:<br />
– Der Anwalt als Interessenvertreter<br />
– Die Anwälte im Markt für rechtliche Dienstleistungen<br />
– Die Ausbildung der Anwälte<br />
– Das Honorarsystem<br />
und<br />
– Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
1. Die entscheidende Perspektive:<br />
Das Interesse des Mandanten<br />
Wenn man den Beitrag analysiert, den die Anwälte zur<br />
staatlichen und privaten Rechtsordnung leisten, sieht das<br />
Ergebnis so aus:<br />
– Wir setzen Ansprüche im Wege der Verhandlung und<br />
gerichtlicher Maßnahmen durch<br />
* Plenarvortrag in der Eröffnungssitzung des Forums „Zukunft<br />
der Anwaltschaft“ im Kongreßzentrum Mainz am<br />
1. Oktober 1998. Die Überlegungen sind auch Gegenstand<br />
des Buches des Referenten „Anwalt und Mandant“,<br />
das alsbald im Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln,<br />
erscheint.<br />
1 Das Thema knüpft an Hans-Jürgen Rabes Vortrag von 1971 an: „Der Beruf des<br />
Anwalts, Herausforderung in Gegenwart und Zukunft (AnwBl 1971, 226).
552<br />
l<br />
– Wir lösen die Probleme nur aus der Perspektive des<br />
Mandanten heraus und dienen niemals anderen Interessen –<br />
nicht einmal den eigenen. 2<br />
– Wir sind unabhängige und verschwiegene Berater<br />
– Wir arbeiten an den Strukturen des Rechtssystems, in<br />
dem wir Schneisen in den Urwald der Tatsachen und Meinungen<br />
schlagen<br />
– Wir beeinflussen den Stil der Rechtskultur durch das<br />
Beharren auf kritischer Vernunft<br />
– Dabei testen wir die Gesetze und deren Gebrauch anhand<br />
der Konflikte von Einzelinteressen, machen deren<br />
Mängel sichtbar und sorgen für die Akzeptanz der Ergebnisse<br />
und<br />
– Wir haften für die Ergebnisse unserer Arbeit<br />
All das geschieht aber nur und erst dann, wenn wir einen<br />
Auftrag dazu erhalten. 3<br />
Vertretung von Interessen<br />
Dabei unterscheidet sich unsere Arbeit von der anderer<br />
Berater durch einen Faktor, der gleichzeitig auch der wichtigste<br />
für unsere gesamte Arbeit ist: Wir sind immer im<br />
ausschließlichen Interesse unseres Auftraggebers tätig und<br />
müssen dessen Sicht der Dinge einseitig, also parteilich,<br />
durchsetzen. 4 Dabei kann man allerdings nur Erfolg haben,<br />
wenn man alle anderen Perspektiven ebenfalls untersucht<br />
und die Risiken und Chancen des Mandanten sorgfältig abwägt.<br />
Wer den Interessen des Mandanten treu dient, wird<br />
ihm oft etwas ganz anderes vorschlagen als ursprünglich erkennbar<br />
war: Unsere Leistung besteht nicht darin, Anweisungen<br />
auszuführen, sondern<br />
– Risiken zu bewerten,<br />
– Alternativen zu erarbeiten und<br />
– Entscheidungen durchzusetzen.<br />
Damit haben wir gleichzeitig auch die größte Konfliktquelle<br />
entdeckt, die Anwälte haben: Es ist die Frage, bis zu<br />
welchem Punkt sie für einen Mandanten noch tätig sein<br />
können, wenn sie seine Interessen nicht (oder nicht mehr)<br />
teilen.<br />
Der Anwalt als Condottiere<br />
Ein kurzer Blick in die Rechtsgeschichte zeigt, daß diese<br />
Auffassung von der Funktion der Anwälte eine uralte Tradition<br />
hat.<br />
Das Argumentieren durch Rede und Gegenrede um<br />
Rechte und Pflichten, Schuld und Sühne, ist das älteste<br />
Konfliktregelungssystem seit Menschengedenken weit vor<br />
jener Zeit, in der man von der Entwicklung kultureller Institutionen<br />
sprechen kann. 5 Schon vor fünfzehnhundert Jahren<br />
hat sich das Rechtssystem, in dem wir uns heute bewegen,<br />
in allen wesentlichen Grundzügen entwickelt. Über<br />
die Anwälte heißt es etwa im Codex Justianus:<br />
„Die Advokaten 6 , die die Probleme eines Falles ... klären<br />
und den Betroffenen helfen, das Recht wieder herzustellen,<br />
sind den Bürgern nicht weniger nützlich als der den<br />
Schlachten und Wunden trotzende Krieger, der für die Verteidigung<br />
seines Vaterlandes und für die Familie kämpft.“ 7<br />
Hier entsteht erstmals das Bild des Anwalts als Strategen<br />
8 , dem man zwar Ziele vorgibt, ihm aber die Wahl der<br />
Mittel überläßt, denn die übernommene Aufgabe gefährdet<br />
ihn stets auch selbst.<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
Dieses Bild des Landsknechts 9 für fremde Interessen ist<br />
auch der deutschen Rechtstradition nicht fremd 10 , hat in<br />
Deutschland aber – im Gegensatz zur angelsächsischen,<br />
französischen und italienischen Rechtskultur – nie recht<br />
Fuß fassen können. 11 Noch die Preußische Gerichts-Organisations-Verordnung<br />
von 1849, die in Deutschland erstmals<br />
offiziell den Begriff „Rechtsanwalt“ als Titel einführt 12 ,<br />
versteht unter ihm einen Halbbeamten, der in der Regel<br />
gleichzeitig Notar ist und keinesfalls ausschließlich für die<br />
Mandanteninteressen kämpft. 13 Die Anwälte, die die Revolutionsversuche<br />
von 1848 wesentlich beeinflußten 14 , hatten<br />
sich das anders vorgestellt.<br />
2 Deshalb haben Anwälte die Pflicht, auf eigene Fehler hinzuweisen (BGH<br />
NJW 1995, 2250) und können sich in Strafsachen nicht selbst verteidigen<br />
(BVerfG NJW 1998, 2005). Das allerdings nur im Kernbereich der anwaltlichen<br />
Tätigkeit. Sobald wir als Schiedsrichter, Mediatoren, Treuhänder, Konkursverwaltern<br />
oder in vergleichbaren Positionen tätig sind, gelten andere<br />
Pflichtenkreise.<br />
3 In Deutschland kommen diese Aufträge meist von Personen oder Firmen in<br />
deren Privatinteresse, in den Ländern des Common Law stammen sie häufig<br />
auch von Kommunen, Behörden, halbstaatlichen Instituten und ähnlichen<br />
Auftraggebern.<br />
4 Die Pflicht zur Einseitigkeit hindert aber natürlich nicht daran, Konflikte vergleichsweise<br />
zu lösen, wenn nur der Vergleich im wirklichen Interesse des<br />
Mandanten liegt (andernfalls drohen Haftungsrisiken (BGH VersR 1949, 638).<br />
5 Die germanischen Thingversammlungen, auf denen das geschah und über die<br />
Tacitus berichtet, sind mit Sicherheit schon sehr späte Entwicklungen. (Germania<br />
12.1 cit. n. Wesel „Geschichte des Rechts“ S. 267). Das zeigt die soziologisch-ethnologische<br />
Literatur (Wesel aaO).<br />
6 Lateinisch: „Der Hinzugerufene“.<br />
7 Codex Justinianus (de advoc.div. iud. 2.7 cit. n. Hartstang „Der deutsche<br />
Rechtsanwalt – Rechtstellung und Funktion in Vergangenheit und Gegenwart<br />
– 1986, S. 9).<br />
8 Cicero hat etwa 500 Jahre früher in seinem berühmten Plädoyer für Murena<br />
eine ähnliche Definition verwendet: „Wie kann man bezweifeln, daß Kriegsruhm<br />
zum Erwerb des Konsulats viel mehr Gewicht verleiht als Ansehen im<br />
bürgerlichen Recht! Du wachst vor Tagesanbruch, um deinen Klienten Bescheid<br />
zu geben, – er, um mit seinem Heer bei Zeiten das Marschziel zu erreichen;<br />
Dich weckt der Hahnenschrei, – ihn der Klang der Trompeten; – Du bereitest<br />
den Prozeß vor, – er stellt die Schlachtformation auf; Du suchst zu<br />
verhindern, daß Deine Klienten, – er, daß Städte und Läger überrumpelt werden;<br />
er weiß und kennt sich aus wie man feindliche Truppen, Du, wie man<br />
Regenwasser abwehrt“; (da geht es um Nachbarschaftsstreitigkeiten); „er versteht<br />
sich darauf, die Grenzen auszuweiten, Du, sie zu ziehen“ (auch hier<br />
greift das Bild Grenzstreitigkeiten auf)“. Cicero „Die politischen Reden I“<br />
(Sammlung Tusculum 1993 S. 527 f: Das Plädoyer führte zum Freispruch<br />
(aaO S. 729).<br />
9 Dieses Bild mag manchem Anwalt etwas einseitig erscheinen, denn natürlich<br />
trägt unsere Arbeit zum Rechtsfrieden bei, diejenige der Soldaten aber zur<br />
Friedhofsruhe. Gleichwohl brauchen wir diese Überzeichnung, da sich sonst<br />
unsere Arbeit nicht von der anderer Berater genügend abhebt, die auch im<br />
rechtlichen Dienstleistungsmarkt tätig sind.<br />
10 Der germanische „Vorsprecher ist des Rechtes Ritter“ cit. n. Hartstang S. 11.<br />
11 Noch heute ist der Beitrag der Rechtsanwälte zum Rechtssystem in Deutschland<br />
so wenig präsent, daß Uwe Wesel in seiner jüngst erschienenen „Geschichte<br />
des Rechts“ (1997) nicht einmal ein Stichwort für sie übrig hat. Dieses<br />
Buch, das „von den Frühformen bis zum Vertrag von Maastricht“ reicht,<br />
räumt Detailproblemen, wie den Brautpreisschulden in Afrika oder Babylonien<br />
immerhin einige Seiten ein (S. 38, S. 86). Daß die Anwälte seit über 100<br />
Jahren ihren Beitrag zur Rechtskultur leisten, würde man in einem solchen<br />
Buch gern beschrieben finden – von den Leistungen der Anwälte, die als Parlamentarier<br />
tätig sind, den Verbandsanwälten und vielen anderen mittelbaren<br />
Einflüssen der Anwaltschaft ganz abgesehen.<br />
12 Zuvor taucht die Bezeichnung, jedoch ohne vergleichbare Bedeutung erlangt<br />
zu haben, in einer Novelle zur Bayer. Gerichtsordnung von 1753 vom<br />
31.8.1804 auf (Hartung/Holl „Kommentar zur Berufsordnung“ (1997) Rn 10<br />
zu § 1).<br />
13 Trotz dieser eingeschränkten Stellung waren die Anwälte damit geradezu privilegiert,<br />
wenn man sieht, wie in den 150 Jahren davor mit ihnen umgesprungen<br />
wurde. Die berühmte Kabinettsorder Friedrichs II. vom 15.12.1776, mit<br />
der den Anwälten die Talare verordnet wurden „damit man diese Spitzbuben<br />
schon von weitem erkennt“ (Hartung aaO S. 31) war noch harmlos gegenüber<br />
der Anordnung seines Vaters Friedrich Wilhelm der I., der 1713 befahl „das<br />
die übrige Advocahten und Procuratores Ihr handtwerg niederlehgen und ein<br />
ander Profession anfangen .... Die keine Pattent von mir haben und vocieren<br />
oder schreiben Memorial die sollen gebrant-Marg werden und ewig in die<br />
Karre gespannet werden ..“. Nur ein Drittel der Advokaten erhielten königliche<br />
Lizenz und für diese verordnete er schon damals: „Die Advocatten sollen<br />
schwartz gehen mit ein mentelchen biss an die Knie“ und zwar nicht nur innerhalb<br />
des Gerichtssaales sondern auch außerhalb ihrer eigentlichen Berufsausübung.<br />
Damit waren die Anwälte nahe bei den Abdeckern, Henkern und<br />
Totengräbern angesiedelt und nicht wenige von ihnen ließen die angebotenen<br />
königlichen Patente verfallen, weil ihr Stand so verrufen war, daß sie nicht<br />
einmal mehr heiraten konnten: Eine Berliner Zeitung vom 2.6.1714 schreibt:<br />
„Das hiesige Frauen-Zimmer scheinet sich zum Theil einen Ekel vor diese<br />
Mäntel zu haben“ (Hartstang aaO S. 16).<br />
14 Unter ihnen Ludwig Uhland, Hecker, Theodor Storm, Carl Stüve, Itzstein,<br />
Moosdorf, Oetker, Tzschirner u. a. Hartstang aaO FN 4 S. 20 f.
AnwBl 11/98 553<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />
Schrittweise immerhin ist die Entwicklung dann doch<br />
auf einen Status zugelaufen, wie ihn unsere Kollegen in anderen<br />
Ländern schon seit vielen hundert Jahren genießen.<br />
Qualitätstester<br />
Die engagierte Interessenvertretung ist keine einfache<br />
Sache, denn wenn wir im Interesse und Auftrag von einzelnen<br />
Mandanten das Rechtssystem testen und auf Schwachstellen<br />
abklopfen, gewinnen wir damit nicht nur Freunde.<br />
Nicht alle empfinden es als hilfreich, wenn wir unerbittlich<br />
nach den Lücken im Gesetz 15 forschen, obgleich das jeder<br />
andere Qualitätstester auch tut!<br />
Was bedeutet es denn, eine „Lücke“ im Gesetz auszumachen?<br />
Fehlt es dem Gesetz an „Nahtlosigkeit“, indem es<br />
Interpretationen zuläßt, die eigentlich nicht sein sollten?<br />
Oder war die Lücke beabsichtigt, um Ermessensspielräume<br />
zu lassen? Oder ist es überhaupt keine Lücke? Wir können<br />
keine Texte erzeugen, die so dicht sind wie Betonwände,<br />
weil Worte dem Gedankenaustausch dienen und Gedanken<br />
keine Sachen sind. Eindeutigkeit widerstrebt Worten, Mehrdeutigkeit<br />
schafft Lücken. Diese Lücken können gut oder<br />
schlecht sein, bleiben sie aber unentdeckt, so ergeben sich<br />
aus ihnen latente Gefahren für alle Beteiligten. So sorgt<br />
auch der ärgste Querulant dafür, daß gefährliche Lücken<br />
durch gerichtliche Interpretationen geschlossen werden, mit<br />
denen die Risse im Gesetz dann verspachtelt werden können.<br />
Man braucht sich nur die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />
zum rechtlichen Gehör anschauen, um<br />
zu merken, daß die wichtigsten Grundsatzentscheidungen<br />
von Leuten herbeigeführt werden, die die Tatsacheninstanzen<br />
meist als Querköpfe, Querulanten oder solche ansah,<br />
die von allen guten Geistern verlassen waren. So kommt es,<br />
daß eine Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />
zur fairen Verhandlungsführung durch das Gericht sich an<br />
der Frage entzündete, ob eine Kaffeemaschine mangelhaft<br />
war. 16 Grundfragen im Verhältnis zwischen dem europäischen<br />
und dem nationalen Arbeitsrecht wurden am Fall<br />
einer Sparkassen-Putzfrau aus Schleswig-Holstein geklärt 17<br />
und das anwaltliche Standesrecht kippte, als ein Anwalt<br />
sich eine Rüge der Kammer zugezogen hatte, weil er einen<br />
Richter, mit dem er sich zerstritten hatte, in einem Schriftsatz<br />
wissen ließ: „Ich muß sagen, ich habe im Laufe meines<br />
langen Anwaltslebens schon manchen Unsinn gelesen.<br />
Dies übersteigt jedoch das übliche Maß ...“. 18<br />
All das waren entweder Lücken in den Gesetzen oder<br />
die Leute, die sie auslegten, hatten Fehler gemacht. Manche<br />
Lücken sind feine Haarrisse, die man kaum entdecken<br />
kann, andere sind so breit wie Autobahnen, was man zum<br />
Beispiel vom anwaltlichen Standesrecht sagen kann: Daß<br />
dieses Regelwerk keine verfassungsgemäße Grundlage<br />
hatte, wußte man schon seit langem, es fehlte aber über lange<br />
Jahre jener Naive, der sich mit dem Kaiser ohne seine<br />
Kleider nicht abfinden wollte. Nun hat der Kaiser endlich<br />
etwas zum Anziehen, was ihm wie ich meine, nicht<br />
schlecht steht und wieder ist eine Lücke im Gesetz geschlossen.<br />
Kurz: Würde man nicht eifrig nach den Lücken<br />
im Gesetz suchen, dann könnte man sie nicht schließen, bevor<br />
wirklich tiefgreifender Schaden entsteht!<br />
Das ist unser wichtigster Beitrag zur Rechtskultur! Wir<br />
können ihn nur durch Widerspruch und durch Unterstützung<br />
der Einzelinteressen gegenüber den Kollektivinteressen<br />
leisten.<br />
Dabei geraten wir unvermeidlich einmal auf die eine,<br />
dann auf die andere Seite, was Heinrich Heine zu der Be-<br />
merkung verführt hat, wir seien die „Bratenwender der Gesetze“.<br />
19 Dieses tiefe moralische Problem kann man nur<br />
sehr vordergründig dadurch lösen, daß man z. B. nur den<br />
Verbraucher, nicht aber den Unternehmer oder nur den Vermieter,<br />
nicht aber den Mieter vertritt: So unvermeidbar eine<br />
solche Polarisierung in einzelnen Fächern sein mag, so sehr<br />
versperrt sie den Blick für die Berechtigung der jeweils anderen<br />
Position und läßt damit die wichtigste Eigenschaft<br />
verdorren, die in der anwaltlichen Arbeit entstehen soll: Es<br />
ist die Fähigkeit, jede vorgetragene Position immer wieder<br />
unvoreingenommen auf ihre Berechtigung zu untersuchen<br />
und mit dem Rechtssystem zu vergleichen.<br />
Diese konfliktreiche Arbeit erfordert einen ganz individuellen<br />
Stil, der vom Arbeitsgebiet, den Mandanten und<br />
vielen anderen Faktoren beeinflußt wird. Es gibt sicher keinen<br />
Beruf, der so charakterprägend ist, wie der des Anwalts.<br />
Die Steuerrechtler sind oft staubtrockene Gesellen,<br />
die nichts zu lachen haben 20 , ganz anders als die Musikund<br />
Medienanwälte, die jeden Tag von ihren Mandanten<br />
dramatische Briefe bekommen, bei denen sie aber oft nicht<br />
wissen, ob sie eher lachen oder weinen sollen. 21 So entwikkeln<br />
Anwälte alle möglichen Variationen zwischen steinerner<br />
Verbissenheit und jovialer Schlitzohrigkeit. Manche<br />
werden Zyniker, also Leute, die von allem den Preis, aber<br />
von nichts den Wert kennen (Oskar Wilde), andere leiden<br />
unter der Staublunge der Juristen – der Rechthaberei – und<br />
schließlich gibt es eine ganze Menge Kollegen, die gegen<br />
alle negativen Einflüsse immun sind, sich ihre gute Laune<br />
behalten und auch nach vielen Berufsjahren ihren Mandanten<br />
mit Interesse und Mitgefühl entgegentreten.<br />
Der Schutz der Grundrechte<br />
Die verschwiegene Arbeit an ausgewogenen Lösungen<br />
aus der Perspektive des Mandanten ist nur innerhalb eines<br />
rechtlich besonders geschützten Rahmens möglich, den andere<br />
Berater, die nicht so strengen Anforderungen ausgesetzt<br />
sind wie wir, nicht vergleichbar benötigen. Innerhalb<br />
dieses Rahmens brauchen wir den Schutz der Grundrechte 22<br />
dringender als alles andere für unsere Arbeit.<br />
Dazu gehören neben dem Recht auf Meinungsfreiheit in<br />
allen Verfahrensarten 23 auch der Schutz der Räume, die das<br />
Zentrum unserer Arbeit bilden, die nicht nur aus Gedanken,<br />
sondern vor allem aus Worten besteht. In unseren Räumen<br />
wird mehr als in anderen über Schicksale gesprochen und<br />
15 „Fatta la legge, trovato l´inganno“ – „Kaum ist das Gesetz gemacht, schon findet<br />
man die Umgehung“, ein italienisches Sprichwort, aus dem jahrtausende<br />
alte Erfahrung spricht.<br />
16 BVerfG NJW 1987, 2003.<br />
17 EuGH NJW 1994, 2343 – Christl Schmidt.<br />
18 BVerfG NJW 1988, 191.<br />
19 Cit. n. Söhn „Diese illiberalste Wissenschaft – Heinrich Heine und die Juristerei“<br />
NJW 1998, S.1358 (1361).<br />
20 Zu den Ausnahmen, die diese Regel bestätigen, gehört unser neuer DAV-Präsident<br />
Michael Streck, dem nicht einmal die Tätigkeit als Steuerstrafverteidiger<br />
den Spaß am Beruf verdorben hat. Dieser Spaß entsteht für Juristen, die Freude<br />
an Worten, ihrer Bedeutungsvielfalt und ihrer differenzierten Interpretationen<br />
haben, nahezu täglich.<br />
21 Wie soll man einer Schauspielerin, die früher ein Mann war, die Ansicht des<br />
Bundesarbeitsgerichts verdolmetschen, daß „der Irrtum über eine geschlechtsumgewandelte<br />
Person .... ein solcher über eine verkehrswesentliche Eigenschaft<br />
(ist)“. (BAG NJW 1991, 2723)?<br />
22 Bericht Gellner BRAK-Mitteilungen 1998, 73; Palme/ Raum „Zur verfassungsrechtlichen<br />
Problematik des großen Lauschangriffs“ JZ 1994, 447; Lorenz<br />
„Aktionismus, Populismus – Symbolismus“ Goldtdammers Archiv 1997,<br />
51; SachVerfGH vom 14.05.1996, DVBl 1996, 1423.<br />
23 BVerfG NJW 1996, 3267 – Prozeßbeleidigung; KG Berlin AnwBl 1998, 278 –<br />
Mauerschützenprozeß.
554<br />
l<br />
über Schicksale entschieden. Beim Lauschangriff sind wir<br />
einstweilen nochmal davongekommen. Trotzdem bin ich<br />
tief erschreckt, daß offenbar nur praktizierende Anwälte in<br />
diesem Punkt die nötige Sensibilität aufbringen und man<br />
das Gespür für diesen Schutzbereich schnell verliert sobald<br />
man Politiker wird, wie Otto Schily, dessen Schwierigkeiten<br />
in den eigenen Reihen und Bemühungen um Kompromisse<br />
ich allerdings nicht bestreiten will.<br />
2. Die Rechtsanwälte im Markt für rechtliche<br />
Dienstleistungen<br />
Die Berater im Markt<br />
Der Markt für rechtliche Dienstleistungen ist nahezu unbegrenzt<br />
groß. Rechtsrat wird überall dort gebraucht wird,<br />
wo Konflikte entstehen können – und das ist bekanntlich<br />
überall. Deshalb bewegen sich alle Berufe, die sich auch<br />
nur im entferntesten damit beschäftigen, jemandem einen<br />
Rat zu geben im Markt für rechtliche Dienstleistungen –<br />
auch wenn sie es selbst nicht immer wahrnehmen. Sie werden<br />
sogar haftungsrechtlich dazu gezwungen, sich auch<br />
über die rechtlichen Konsequenzen ihrer Tätigkeit klarzuwerden.<br />
Vielfach – so etwa bei Architekten und Bauingenieuren<br />
– müssen sie auf ihrem Fachgebiet über rechtliche<br />
Risiken nahezu das gleiche wissen, wie ein Anwalt. 24 Das<br />
gilt auch für Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Unternehmensberater,<br />
Personalvermittler, Werbeagenturen, Handelsvertreter,<br />
Literatur- und Medienagenten, Grundstücksmakler,<br />
Finanzberater, Versicherungs-makler und andere Berufe.<br />
25<br />
Neben ihnen sind zur Rechtsberatung außerdem ermächtigt<br />
die Behörden und Körperschaften des öffentlichen<br />
Rechts, die Verbraucherzentralen, die berufsständischen<br />
Vereinigungen und Verbände und natürlich darf jedermann,<br />
insbesondere Professoren, Richter und pensionierte Verwaltungsbeamte,<br />
„wissenschaftlich begründete Gutachten“ erstatten<br />
oder als Schiedsrichter tätig sein. 26<br />
Nimmt man all diese Personen zusammen, dann übersteigt<br />
ihre Zahl mit Sicherheit die aller zugelassenen Anwälte<br />
und sie sind im Bewußtsein der Allgemeinheit viel<br />
präsenter als wir. Dabei erkennt der Markt nicht, daß er<br />
hier in vielen Fällen nur Rechtsrat mit beschränkter Haftung<br />
erhält, weil die Ratschläge entweder unverbindlich<br />
sind oder – wie vor allem bei Rechtsgutachten selten –<br />
nicht gleichzeitig die Möglichkeit oder gar die Pflicht zur<br />
Ermittlung der Tatsachen umfassen.<br />
Es ist uns bisher nicht annähernd gelungen, unseren<br />
Mandanten klarzumachen, warum sie zum Beispiel als Manager<br />
sich bei ihren Verträgen von einem Anwalt statt von<br />
einem head-hunter über die Vor- und Nachteile des Anstellungsvertrages<br />
beraten lassen sollen. 27<br />
Wenn wir selbst den Wert einer interessenorientierten<br />
Rechtsberatung nicht erkennen, wie sollen wir ihn unseren<br />
Mandanten vermitteln können? Das müssen wir lernen und<br />
deshalb sehen wir den Anwaltsmarkt viel zu eng: Das Bedürfnis<br />
nach einer in taktischer Hinsicht nur aus der Perspektive<br />
des Mandanten erarbeiteten Strategie ist viel größer<br />
als wir denken.<br />
Im engeren Bereich der Rechtsberatung sind neben uns<br />
in erster Linie die Notare, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater<br />
tätig. Aus der Perspektive unserer Mandanten ist bisher<br />
bei weitem nicht klar genug, daß Notare 28 ebenso wie<br />
Wirtschaftsprüfer zur Objektivität verpflichtet sind und gerade<br />
nicht die einseitige Interessenwahrnehmung betreiben<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
dürfen, die den entscheidenden Vorteil für den Mandanten<br />
ausmacht. Die Steuerberater wiederum sind zwar Interessenvertreter,<br />
aber meist ohne juristische Ausbildung und es<br />
fehlt ihnen – wie übrigens auch den Notaren und Wirtschaftsprüfern<br />
– am täglichen Konflikttraining, wie man es<br />
nur mit gleichgewichtigen Partnern erwerben kann: Eine<br />
Behörde sitzt – bis man sie gerichtlich zwingen kann – zunächst<br />
immer am längeren Hebel. „Steuergerechtigkeit“ ist<br />
schon begrifflich ein Widerspruch 29 , denn am Ende kann<br />
man dem Staat kaum das Recht streitig machen, die Löcher<br />
zu stopfen: Den Rat, vielleicht auch mal die Socken zu<br />
wechseln, kann man ihm nur auf politischer Ebene geben.<br />
Es hat immer wieder Versuche gegeben, den Markt der<br />
rechtlichen Dienstleistungen so zu definieren, daß nur die<br />
Anwälte sich in ihm bewegen können. Ob ein solches Monopol<br />
wünschenswert wäre, kann ich dahingestellt sein lassen,<br />
denn es ist jedenfalls praktisch nicht durchsetzbar und<br />
die Grenzziehung würde allzuoft auch nicht im Interesse<br />
von Mandanten liegen, die einheitliche Lösungen aus einer<br />
Hand haben wollen.<br />
Wenn wir also einmal über den Tellerrand hinaus den<br />
riesigen Markt rechtlicher Dienstleistungen sehen, der nur<br />
darauf wartet, erschlossen zu werden, könnten wir uns vor<br />
Arbeit nicht mehr retten. Wir müssen dazu nur unseren<br />
Mandanten ein Gefühl dafür vermitteln, worin der Unterschied<br />
zwischen einer gewerblichen Beratung und der anwaltlichen<br />
Interessenvertretung besteht.<br />
Was wir dazu brauchen ist die nötige Offenheit des<br />
Denkens 30 und die Bereitschaft zu fachübergreifenden Kooperationen<br />
31 , in denen wir unsere Kenntnisse ganz anders<br />
vermarkten können, als es derzeit noch der Fall ist. Unser<br />
Produkt ist ja nicht nur der Rechtsrat, der, wie wir alle wissen,<br />
nur einen Teil des strategischen Konzepts bildet, das<br />
wir unseren Mandanten auch in den einfacheren Fällen zuliefern.<br />
Im Grunde sammeln wir Informationen, die wir<br />
24 Kniffka „Die Zulässigkeit rechtsbesorgender Tätigkeiten durch Architekten,<br />
Ingenieure und Projektsteuerer“ Zeitschrift für Baurecht 1994, 253 und 1995,<br />
10.<br />
25 Die entweder im Rechtsberatungsgesetz ausdrücklich genannt sind (s. § 1<br />
Abs. 1 Nr. 1 – 6 RBerG) oder die sonst „für ihre Kunden rechtliche Angelegenheiten<br />
erledigen, die mit einem Geschäft ihres Gewerbebetriebes im<br />
unmittelbaren Zusammenhang stehen. (§ 5 Ziff. 1 RBerG): BVerfG<br />
AnwBl 1998, 274 – Masterpat – Patent-Überwachung; BGH NJW 1996,<br />
1965 – Kfz-Haftpflichtversicherer; OLG Hamburg TranspR 1996, 280 –<br />
Transportversicherer; BFH NJW 1995, 1576 (Leitsatz) – Bausparvermittler;<br />
LG Hamburg AnwBl 1994, 252 – Immobilienmakler; OLG Frankfurt NJW –<br />
RR 1993, 335 – Hausverwalter BayObLG NJW – RR 1992, 81 – WEG-Verwalter;<br />
OLG Stuttgart VersR 1991, 883 – Versicherungsberater; OLG Hamm<br />
NJW – RR 1989, 1061 – Arztpraxisvermittler; OLG Hamm NJW – RR 1986,<br />
705 – Rechtsschutzversicherer.<br />
26 § 2 RBerG.<br />
27 Die Kienbaum Unternehmensberatung bietet z. B. eine Fülle intensiv recherchierter<br />
Informationen über angemessene Managergehälter, die keinem Anwalt<br />
zur Verfügung stehen, weil sie unveröffentlichtes Know-how darstellen<br />
und bei vielen Fragen, wie z. B. den Pensionsansprüchen, sind kaufmännische<br />
und rechtliche Aspekte so eng verwoben, daß man den Managern fast keine<br />
Vorwürfe machen kann, wenn sie beides nicht voneinander trennen. Diese<br />
fehlende Trennschärfe geht sogar soweit, daß im Rahmen von Ausschreibungen<br />
zu unerlaubter Rechtsberatung aufgefordert wird (BRAK-Mittl. 1997,<br />
132).In ähnlicher Weise bieten EDV-Consultingfirmen ihren Kunden neben<br />
der technischen Kompetenz gleich auch den „Standard-Projektvertrag“ an, den<br />
sie nicht nur als Formular verkaufen sondern voll durchverhandeln. Dabei<br />
werden nicht selten auch die eigenen Rechtsabteilungen umgangen, „weil die<br />
von Computern ohnehin keine Ahnung haben“.<br />
28 BGH DNotZ 1987, 157; BGH NJW 1969, 929 – Zwangsversteigerung.<br />
29 Dazu Offerhaus, Präsident des Bundesfinanzhofes, Süddeutsche Zeitung vom<br />
24./25. Mai 1998, S. 31.<br />
30 So wie es von Karl Popper für die offene Gesellschaft definiert worden ist<br />
(„Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ Bern 1957).Nur in einer offenen<br />
Gesellschaft ist Toleranz möglich, eines der wichtigsten Elemente eines funktionierenden<br />
Rechtssystems (Arthur Kaufmann „Rechtsphilosophie“ 2. Auflage<br />
1997, S. 340).<br />
31 Das hat schon Redeker in „125 Jahre <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong>“ S. 159 ff. angemahnt.
AnwBl 11/98 555<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />
strukturieren und deren Ergebnisse wir unseren Mandanten<br />
und anderen verdolmetschen: Die Kommunikation in rechtlichen<br />
Konfliktfeldern ist die Basis unseres Berufes. Dieser<br />
Markt wird aus verschiedenen Gründen auch in der Zukunft<br />
erhebliche Zuwachsraten haben:<br />
– Die Wirtschaftsentwicklung und damit die Rechtsentwicklung<br />
in Deutschland, der EU und dem Ausland wird<br />
auch und gerade in Zeiten der Rezession eher komplexer<br />
– Die Information als solche und die technische Entwicklung<br />
um sie herum werden das 21. Jahrhundert noch<br />
deutlicher prägen als die letzten dreißig Jahre<br />
– Wir haben jetzt immerhin die Marketing-Werkzeuge,<br />
um den Wert unserer Dienstleistung verdeutlichen zu können<br />
und werden davon hoffentlich auch erfolgreich Gebrauch<br />
machen.<br />
Der Streit darüber, ob Rechtsanwälte auch „unabhängige<br />
Organe der Rechtspflege“ sind, ist nur ein Streit um Worte:<br />
Die Bindung der Anwälte an das Rechtssystem ist die wesentlichste<br />
Voraussetzung ihrer Tätigkeit. Anwälte sind<br />
keine Partisanen sondern Landsknechte, die mit der Position<br />
ihrer Mandanten zugleich auch das Recht sichern. Deshalb<br />
dürfen Rechtsanwälte nicht gleichzeitig gewerblich tätig<br />
sein, haben also keine Möglichkeit ihrerseits, in die<br />
Märkte der Berater einzubrechen, die ihnen Konkurrenz<br />
machen. 32<br />
Das geht auch aus haftungsrechtlichen und steuerrechtlichen<br />
Gründen nicht. 33<br />
Allerdings sehe ich viele Kollegen, die sich an gewerblichen<br />
Unternehmen beteiligen, deren Tätigkeit unserer<br />
Arbeit nahesteht, also an Unternehmensberatungen, Maklerfirmen<br />
oder einer Gesellschaft, die die Mandanten auf die<br />
Wiederholung ihrer Führerscheinprüfung psychologisch<br />
vorbereitet. Ich finde diese Tendenz absolut richtig, denn<br />
unsere Fachkenntnisse über die jeweiligen Problemlagen<br />
verbessern die Arbeit solcher gewerblichen Berater und die<br />
Rechtsprechung setzt uns klare Grenzen, die uns zwingen,<br />
beide Tätigkeiten auseinanderzuhalten.<br />
Während wir noch in der Zeit des fast ausschließlich<br />
forensisch tätigen Anwalts aufgewachsen sind, haben wir<br />
miterlebt, wie der beratende Anwalt sich entwickelt und<br />
wir werden auch den daneben gewerblich interessierten<br />
Kollegen näher kennenlernen.<br />
Wir sollten jeder dieser Entwicklungen den Raum geben,<br />
den der Markt zuläßt. Unser berufsrechtliches Gerüst<br />
wird schon dafür sorgen, daß der Anwaltstyp nicht in der<br />
Beliebigkeit der Postmoderne verkommt.<br />
Die Struktur des Marktes<br />
Um die Risiken und Chancen der Anwälte genauer zu<br />
analysieren, muß man den rechtlichen Dienstleistungsmarkt<br />
wie folgt aufgliedern:<br />
– Privatpersonen<br />
– Gewerbliche Mandanten in Handwerk, Produktion<br />
und Handel<br />
– Industrie<br />
– Multinationale Firmen<br />
Nach dem alten Grundsatz, daß jeder Mandant langfristig<br />
den Anwalt findet, der zu ihm oder seinem Unternehmen<br />
am besten paßt, kann es nicht überraschen, daß zum<br />
Beispiel der Markt für multinationale Firmen in Deutschland<br />
im wesentlichen von 25 Büros bedient wird, in denen<br />
ca. 2.800 Anwälte arbeiten. Das sind knapp 3 Prozent der<br />
95.000 Anwälte, die derzeit registriert sind. 34<br />
Nimmt man die zahlenmäßig größten 50 Büros in<br />
Deutschland, so beschäftigen sie ca. 3.400 Anwälte und danach<br />
kommt noch eine Gruppe von ca. zwanzig Büros, die<br />
zwischen zehn und fünfundzwanzig Partnern haben. 35 Alle<br />
diese Büros und weitere kleinere Sozietäten zusammengenommen,<br />
die den Bereich der Industrie beraten werden,<br />
machen mit Sicherheit nicht mehr als zehn Prozent aller<br />
Anwälte aus. Dieses Marktsegment ist harter Konkurrenz<br />
und höchsten Qualitäts- und Haftungsansprüchen 36 ausgesetzt.<br />
Dazu gehören vor allem:<br />
– Die großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, die<br />
sich seit etwa zwei Jahren an vielen Standorten überörtliche<br />
Sozietäten hochziehen 37<br />
– Die international tätigen amerikanischen und englischen<br />
Sozietäten 38<br />
Gleichwohl wird man sich um die großen deutschen<br />
Büros die wenigsten Sorgen machen., denn obgleich sie<br />
schon aufgrund der historischen Entwicklung keine vergleichbare<br />
Chance zur Internationalität hatten, werden sie<br />
in diesem Wettbewerb entweder aus eigener Kraft oder<br />
über Kooperationen mithalten können. 39<br />
32 (BGH vom 21.7.1997 NJW-RR 1998, 571 – Versicherungsvermittlung).<br />
33 Haftungsrechtlich deshalb, weil die Berufshaftpflichtversicherung nur das<br />
Kernbild der anwaltlichen Tätigkeit abdeckt. Steuerrechtlich würde eine gewerbliche<br />
Tätigkeit zum Beispiel als Makler sofort zur Gewerbesteuer nicht<br />
nur für den Maklerlohn, sondern auch für die freiberuflich erwirtschafteten<br />
Umsätze führen.<br />
34 Stand vom 1.1.1998, BRAK Mitt. 1998, 86. Diese Zahl ist hochgerechnet aus<br />
den am 1.1.1998 zugelassenen 91.952 Anwälten unter Zugrundelegung der<br />
normalen Zuwachsrate, die wir in den letzten Jahren hatten. Eingerechnet sind<br />
die etwa 6.000 Syndikusanwälte (Hommerich/Prütting „Das Berufsbild des<br />
Syndikusanwalts“, Beilage zum AnwBl 11/1997, S. 15). Sie sind erfahrungsgemäß<br />
nur in geringem Umfang noch nebenher in freier Praxis tätig. Ferner<br />
wird man davon ausgehen können, daß weitere 10 – 12.000 Anwälte von ihrer<br />
Zulassung aus unterschiedlichen Motiven keinen oder nur geringen Gebrauch<br />
machen. Daß dies keine Liebhaberei ist, hat der Bundesfinanzhof erfreulicherweise<br />
jüngst entschieden (NJW 1998, 2471).Bemerkenswert ist der Anteil der<br />
Rechtsanwältinnen in Deutschland wie im Ausland. Bei uns sind es derzeit ca.<br />
22 %, also ähnlich hoch wie in Justiz und Verwaltung. Das entspricht einem<br />
allgemeinen, auch internationalen Trend (Ken Auletta „In the Company of<br />
Women“ The New Yorker vom 20.04.1998 S. 72); (Disterer „Amerikanische<br />
Großkanzleien: Die „Top 30“ BRAK-Mitt. 1998, 39: In den größten 30 Büros<br />
waren 1997 21.662 Anwälte tätig, in den größten 250 Büros insgesamt ca.<br />
56.000 Anwälte. Das sind etwa die 10 %, die den Schwerpunkt der wirtschaftsrechtlichen<br />
Beratung tragen und diese Zahl ist etwa zwei bis dreimal so<br />
hoch wie in Deutschland.<br />
35 Siehe European Counsel 3000 (1998, S. 167, 168). Oppenhoff hat schon 1967<br />
mit bemerkenswerter Genauigkeit die „mittelgroße Praxis der Zukunft“ mit 5<br />
– 20 Anwälten prognostiziert („Anwaltsgemeinschaften, ihr Sinn und Zweck„<br />
AnwBl 1967, 267).<br />
36 Christoph Louven „Die Haftung des deutschen Rechtsanwalts im internationalen<br />
Mandat“ VersR 1997, 1050.<br />
37 So vor allem Anderson Freihalter als Teil von Anderson Legal International<br />
mit derzeit 1.500 Anwälten in 31 Ländern; KPMG Legal Services; Raupach +<br />
Wollert-Elmendorff Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, C + L Rechtsberatung<br />
GmbH. Sie sind die eigentlichen Konkurrenten der großen Anwaltsfirmen,<br />
denn hinter ihnen stehen riesige weltumspannende Organisationen, während<br />
das größte Anwaltsbüro der Welt Baker & McKenzie mit knapp 2.300 Anwälten<br />
weltweit und einem Honorarvolumen von 1,3 Milliarden DM (Frankfurter<br />
Allgemeine Zeitung vom 28.04.1998) erheblich kleiner als die kleinste weltweit<br />
tätige Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ist.<br />
38 Wie etwa Clifford Chance mit derzeit ca. 1.600 Anwälten und höchst dynamischer<br />
Entwicklung in Deutschland in Frankfurt und Düsseldorf; Linklaters &<br />
Alliance, ein Verbund, zu dem in Deutschland auch Openhoff & Rädler gehören.<br />
Er umfaßt weltweit 1.900 Anwälte, die sich auf 28 Büros in 16 Ländern<br />
verteilen und kontinuierlich ansteigend ihre Gewinne poolen, was am Ende zu<br />
einer vollen Fusion führen soll (JUVE Nr. 6/98) Freshfields in Kooperation<br />
mit Deringer Tessin, sowie über 15 US-amerikanische Büros, darunter Jones<br />
Day, Graham & James; aber auch das schwedische Büro Mannheimer Swartling.<br />
39 Ein Prognos-Bericht 1998 würde kaum mehr behaupten können, wir hätten<br />
uns „den Bedingungen der modernen Dienstleistungsgesellschaft nicht angepaßt“.<br />
Die Rechtsprechung versteht das langsam, auch wenn es immer wieder<br />
das Bundesverfassungsgericht sein muß, das die Pflöcke einschlägt (wie zuletzt<br />
in der Entscheidung zur Sozietät zwischen Anwaltsnotaren und Wirtschaftsprüfern<br />
(BVerfG ZIP 1998, 1068).
556<br />
l<br />
Aber auch der starke Mittelbau der Sozietäten, mit vier<br />
bis zehn Partner haben hervorragende Chancen im Wettbewerb.<br />
Das sind die ca. fünfunddreißig Prozent der Kollegen,<br />
die die kleinere Industrie und den gewerblichen Mittelstand<br />
sowie in hohem Umfang Privatpersonen beraten.<br />
Sie müssen sich in erster Linie gegen die Steuerberater<br />
durchsetzen, haben aber natürlich auch gegen viele Einzelanwälte<br />
zu kämpfen, die von unten nachdrängen. Sie sind<br />
es auch, die sich gegenüber den anwaltsfremden gewerblichen<br />
Beratern am meisten zur Wehr setzen müssen. Für ihren<br />
Erfolg gibt es zwei wesentliche Grundbedingungen:<br />
1. Wir müssen erkennen, daß der Markt nicht aus<br />
Rechtsproblemen sondern aus Unternehmen und Branchen<br />
40 besteht, deren typische Konfliktlagen und deren<br />
wirtschaftlichen Hintergrund – also den Stallgeruch der<br />
Branche – wir kennen und dafür Lösungen entwickeln müssen,<br />
die man nur findet, wenn man über den eigenen Fachbereich<br />
hinausschauen lernt.<br />
2. Wir müssen die kennzeichnenden Unterschiede unserer<br />
Beratung durch aktives Imagemarketing verdeutlichen<br />
und werden nicht erwarten können, daß die Aufträge auf<br />
uns zulaufen: Wir werden uns um sie bemühen müssen.<br />
Die zweifellos steigende Zahl der Anwälte sollten wir<br />
dabei nicht als gefährlich sondern als nützlich erkennen: Je<br />
mehr wir sind, desto klarer kann man uns im Markt erkennen<br />
und umso stärker können wir auftreten.<br />
Qualitätskriterien<br />
Dabei müssen wir uns vor allem durch hohe Qualitätsmaßstäbe<br />
von der Konkurrenz abgrenzen. Anwälte sollten<br />
ihre Arbeit<br />
– schnell<br />
– zuverlässig<br />
– engagiert<br />
tun. Es ist nicht einfach, diese drei Qualitäten und ihr<br />
Verhältnis zueinander so zu entwickeln, daß die Interessen<br />
des Mandanten und die Haftungsrisiken der Anwälte in einem<br />
ausgewogenen Verhältnis stehen. Schnelligkeit kann<br />
man durch gute Organisation erreichen, Zuverlässigkeit<br />
durch hohes Wissen und beide Bereiche lassen sich über<br />
strukturierte Organisation zum Beispiel im Wege einer Zertifizierung<br />
41 und Total Quality Management 42 auf ein hohes<br />
Niveau führen.<br />
Das Engagement hingegen wird immer von der ganz individuellen<br />
Konstellation abhängen, die zwischen Mandant<br />
und Anwalt entsteht. Es ist ein Geschenk, das man nicht<br />
kaufen, strukturieren oder entwickeln kann, und doch entsteht<br />
es nur in einem Rahmen, der aus all diesen Elementen<br />
zusammengesetzt sein muß.<br />
3. Die Ausbildung der Anwälte<br />
Abraham Lincoln, der im tiefsten Indiana gerade das<br />
Nötigste an Rechnen und Schreiben gelernt und danach als<br />
Holzfäller und Handlanger in einem Werkzeug- und Lebensmittel-<br />
Laden in Illinois gearbeitet hatte, stand trotz<br />
seines jugendlichen Alters von 24 Jahren in dem Ruf, den<br />
allabendlich im Lager aufflammenden Streit durch vernünftige<br />
Argumente schlichten zu können. Eines Tages fielen<br />
ihm in einem Transportfaß Blackstones „Commentaries on<br />
the Law of England“ in die Hand, die er dem Besitzer für<br />
einen halben Dollar abkaufte, um dort neue Ideen zu finden.<br />
In Illinois brauchte man 1837 nichts weiter als das<br />
Zeugnis von Nachbarn, daß man einen „guten moralischen<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
Charakter“ hatte, wenn man sich in die örtliche Anwaltsliste<br />
beim State Supreme Court eintragen lassen wollte. Genau<br />
das tat Lincoln, nachdem er sich drei Jahre ziemlich<br />
wahllos durch englische Rechtsbücher gelesen hatte. Er hat<br />
weder eine Universität von innen gesehen noch eine Anwaltsausbildung<br />
erhalten. Trotzdem hört man nur Rühmendes<br />
über sein anwaltliches Wirken, das ihm auch in seiner<br />
politischen Laufbahn viel geholfen hat. 43<br />
Anwaltliches Geschick ist also offenbar unabhängig von<br />
der Qualität der juristischen Ausbildung – und darauf vertraut<br />
die Deutsche Anwaltschaft teilweise heute noch!<br />
Die Zeiten haben sich aber geändert. Allerdings wird jeder,<br />
der diesen Beruf zehn Jahre ausübt (was nach meiner<br />
Erfahrung so ungefähr das Mindeste ist), alles Wesentliche<br />
gelernt haben, was er neben seiner juristischen Ausbildung<br />
braucht, um seine Arbeit wirklich gut zu machen. Das Risiko,<br />
daß dabei aber viel Schaden angerichtet wird, ist hoch<br />
und in unserem Beruf vielleicht nur deshalb nicht so augenfällig<br />
wie bei den Ärzten, weil hier kein Blut fließt. Außerhalb<br />
der Fachanwaltsausbildung 44 , die einen hohen Standard<br />
hat, bleibt also vieles dem Zufall überlassen. 45 Ich<br />
weiß das deshalb besser als vielleicht mancher andere, weil<br />
ich das Risiko, mich unmittelbar nach dem Examen selbständig<br />
zu machen, nicht eingegangen wäre, hätte ich nicht<br />
vorher parallel zum Referendariat nahezu täglich in einem<br />
Anwaltsbüro gearbeitet. Dabei habe ich mir systematisch<br />
Durchschläge gesammelt (nochmals: Kopierer gabs in diesem<br />
kleinen Büro wirklich nicht!) und Aufzeichnungen<br />
über den Aufbau der Schriftsätze, der Gutachten, der Korrespondenz<br />
und viele andere Details gemacht, die mir nützlich<br />
erschienen. Sieghart Ott, bei dem ich damals gelernt<br />
habe, hatte darüber hinaus die Freundlichkeit, mir die<br />
Hälfte meiner Diktate solange durchzustreichen, bis sie<br />
endlich so kurz und konzentriert waren, wie er sich das vorstellte<br />
– ein Luxus, den unsere jüngeren Kollegen oft nicht<br />
recht zu würdigen wissen, wenn ich ihnen das anbiete. Anderen<br />
Kollegen ging es eher wie den Lehrlingen eines japanischen<br />
Kochs, von denen mir einer über seine Ausbildung<br />
folgendes erzählte: Die Kunst der Sushi-Köche besteht weniger<br />
darin, vor dem Gast die rohen Filets in kleine Scheiben<br />
zu schneiden, als den ganzen Fisch so zu zerlegen, daß<br />
ohne großen Abfall viel Verwertbares entsteht. Wenn früh<br />
um 5 Uhr die ersten Lieferungen kamen, stellte sein Chef<br />
sich in eine Ecke seiner Küche und begann sein Handwerk<br />
40 Das Arbeitsrecht in der Baubranche (wo es um Schwarzarbeit geht) hat ganz<br />
andere Schwerpunkte als im Bankgewerbe (wo die Auseinandersetzung mit<br />
den Gewerkschaften dominiert) oder in der Medienlandschaft (wo es um vielfältige<br />
Variationen von freien Mitarbeitern geht). Darin steckt die Chance für<br />
kleine bewegliche Büros, die sich wegen solcher besonderer Branchenkenntnisse<br />
auch gegenüber den größeren gut behaupten können.<br />
41 Wie es Vorbrugg, (AnwBl 1995, 273) Waltl (NJW 1996, 1030) und andere<br />
empfehlen; DAV (Hrsg) „TQ-Qualitätsmanagement in der Anwaltskanzlei“<br />
1997; Mauer/Krämer „Braucht eine Kanzlei Ziele? – Ein Beitrag zu TQM in<br />
der Anwaltskanzlei AnwBl 1998, 113.<br />
42 Das empfehlen u. a. Streck „Die Anwendbarkeit der Normen Iso 9004 Teil 2<br />
(Leitfaden) und Iso 9001(Zertifizierungsmodell) auf die Dienstleistungen des<br />
Rechtsanwalts“, AnwBl 1997, 190; Steinbrück, Rechtsanwaltshandbuch 1997/<br />
98 S. 1559 ff.; Werner „Zertifizierung: Vorgehen des Auditors, ein Bericht aus<br />
der Praxis“ AnwBl 1997, 644.<br />
43 Philip B. Kunhardt Jr/Ph. B. Kunhardt III./ Peter W. Kunhardt „Lincoln“<br />
(Alfred Knopf, New York 1993), S. 48.<br />
44 Noch 1956 wurde „wider die Todsünde der Fachanwaltschaften“ gewettert<br />
(Neuhäuser AnwBl1956, S. 54 f.) Unter den Kolleginnen sind die Fachanwältinnen<br />
deshalb überproportional vertreten, weil sie sich häufig dem Familienrecht<br />
widmen und sich dort frühzeitig spezialisieren können: Von 1.160 Fachanwälten<br />
für Familienrecht sind 554 Rechtsanwältinnen (Anwaltsstatistik zum<br />
1.1.1998, BRAK-Mitt. 1998, 86).<br />
45 Hommerich „Anwaltsausbildung durch Anwälte – eine Forschungsstudie –<br />
AnwBl 1998, 18.
AnwBl 11/98 557<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />
mit zielbewußter Schnelligkeit, ohne auf seine Lehrlinge zu<br />
achten. Wer sich nicht schnell genug vordrängen konnte,<br />
hatte auch nach Jahren nicht verstanden, wie man die richtigen<br />
Schnitte legen mußte: Die wurden dann zum Bodenputzen<br />
abkommandiert. So ganz entfernt von der Wirklichkeit<br />
unserer heutigen Anwaltsausbildung ist das alles nicht.<br />
Die Anwaltsausbildung hat auch nur sehr mittelbar etwas<br />
mit der juristischen Ausbildung auf den Universitäten<br />
oder der Anwaltsstation im Referendariat zu tun. Sie beschäftigt<br />
sich vielmehr mit dem Berufsrecht, den Regeln<br />
der Kollegialität, dem Umgang mit den Mandanten, Behörden<br />
und Gerichten, den Fragen, die das Honorarsystem aufwirft,<br />
der Werbung, dem Marketing etc. Die vom DAV und<br />
der Hans-Soldan Stiftung mitfinanzierten Universitätsinstitute<br />
– allen voran das von Henssler geleitete Institut in<br />
Köln – haben hier Pionierarbeit geleistet, deren Früchte<br />
sich gewiß entwickeln werden.<br />
Natürlich sollte die Anwaltsausbildung in einer sinnvollen<br />
Beziehung zur Ausbildung an den Universitäten stehen.<br />
46 Ich will nur drei Ideen dazu beisteuern, die im Laufe<br />
von mehreren Jahren, in denen ich an der Humboldt Universität<br />
in Berlin Workshops über Vertragsverhandlungen<br />
gemacht habe, aus Gesprächen mit Professoren und Studenten<br />
entstanden sind:<br />
1) Die Universitätsausbildung sollte von einer Universitätsprüfung<br />
abgeschlossen werden, die von den Professoren abgehalten<br />
wird. Die Prüfungshoheit wurde den Universitäten<br />
nämlich seinerzeit nur deshalb weggenommen, weil der Staat,<br />
der in erster Linie der künftige Arbeitgeber der Juristen war,<br />
sich (wohl berechtigt) um die Qualität der Ausbildung sorgte<br />
und durch die Prüfung auf sie Einfluß nehmen wollte. Das ist<br />
heute nicht mehr nötig, denn der Ausbildungsstand auf den<br />
Universitäten befindet sich auf hohem Niveau.<br />
2) Wer die Ausbildung an der Universität bestanden hat,<br />
sollte, wie jeder Betriebs- oder Volkswirt, dafür auch einen<br />
Titel bekommen. Er kann dann nämlich nach außen hin unzweideutig<br />
belegen, daß er eine erfolgreiche akademische<br />
Ausbildung hinter sich hat und gilt nicht als „abgebrochener<br />
Volljurist“ oder Halbjurist etc.<br />
Bereits diese beiden einfachen Maßnahmen, die zudem<br />
nicht einmal Geld kosten, würden den Juristen im Arbeitsmarkt<br />
eine Chance neben den Betriebs- und Volkswirten eröffnen und<br />
den Anwaltsmarkt sofort erheblich entlasten. Allerdings werden<br />
die Kammern dann weniger zahlende Mitglieder haben.<br />
3) Jede Universität kann sich dann frei entscheiden, ob<br />
sie in bezug auf den Anwaltsmarkt ein eigenen Qualitätsprofil<br />
entwickeln will. Neben der Kooperation mit den Anwaltsinstituten<br />
würde dazu die Förderung von studentischen<br />
Praktika bei Anwälten, die Jobvermittlung und viele andere<br />
Ideen gehören, die schon diskutiert werden. 47<br />
Wir sollten die Universitätsausbildung dort konzentrieren,<br />
wo sie am leistungsfähigsten ist: Das ist die Erarbeitung<br />
der juristischen Grundlagen und nicht die Beherrschung<br />
von Spezialgebieten oder das Büffeln von Klausurlösungsschemata,<br />
die mit wissenschaftlicher Ausbildung<br />
nicht viel zu tun haben. 48<br />
Das Qualitätsprofil der interessierten Universitäten würde<br />
noch erheblich steigen, wenn sie gemeinsam mit den<br />
Anwaltsinstituten Postgraduate-Ausbildungen anbieten, die<br />
ggf. auch berufsbegleitend absolviert werden können. 49 In<br />
einem solchen Modell könnte man sich auch eine engere<br />
Verbindung zwischen der Anwaltakademie, die die Hauptlast<br />
der Weiterbildung trägt und den Universitätsinstituten 50<br />
vorstellen, um so eine kontinuierliche Fortbildung 51 besser<br />
abzusichern, die außerhalb der Fachanwaltschaften derzeit<br />
ausschließlich dem Problembewußtsein und dem guten<br />
Willen der einzelnen überlassen bleibt.<br />
Die Zeit reicht nicht, um den Einheitsjuristen – die heilige<br />
Kuh der Ausbildungsdiskussion – auch noch zu schlachten.<br />
Ich wage allerdings die These, daß es den Einheitsjuristen<br />
bereits heute nicht mehr gibt, denn selbst Gerichte und<br />
Verwaltungen erhalten nach dem 2. Staatsexamen keinen Juristen<br />
des Typs, den sie haben wollen: Anders ist es kaum erklärbar,<br />
daß es Richter- und Verwaltungsakademien gibt. Als<br />
Anwalt will ich mich über das Referendariat, so wie es derzeit<br />
ist, nicht beschweren: Zwar wurde der Referendar nur<br />
deshalb erfunden, weil man sich in der Zeit alter Burschenherrlichkeit<br />
nur schwer vorstellen konnte, wie aus einem liederlichen<br />
Jurastudenten ohne vorherigen Behördenschliff ein<br />
preußischer Landrat werden könne. Die intelligenteren Referendare<br />
wissen aber, wie sie diese Zeit sinnvoll nutzen können,<br />
wenn sie später Anwälte werden wollen: Sie gehen früh<br />
genug in die Praxis, auch wenn das bei dem verschulten<br />
Lernplan im Referendariat viel Fleiß erfordert und lernen<br />
schon vor dem zweiten Examen all das, was man als Anwalt<br />
braucht, aber in den Büchern nicht nachlesen kann. 52<br />
Traditionen haben – auch wenn sie keinem praktischen<br />
Zweck mehr dienen – meist noch einen Erinnerungswert.<br />
Sie verkörpern eine Hülle, die sich manchmal wider Erwarten<br />
mit Leben erfüllt. Diejenigen aber, die – wie Goethe<br />
einmal gesprächsweise meinte – „nur aus Bequemlichkeit<br />
gern beim Herkömmlichen bleiben, halten ihr altes System<br />
noch mit den Zähnen, wenn ihnen schon beide Arme abgehauen<br />
sind. Aber natürlich ist dann der Sturz auch umso<br />
plumper und schneller“ 53 (J. W. v. Goethe cit. n. Böttiger<br />
„Literarische Zustände“ (1998) S. 71).<br />
46 Die Literatur zur Reform der Juristenausbildung ist wirklich unübersehbar geworden<br />
(s. zuletzt Redeker, AnwBl 1998, 225); Literaturübersicht: NJW 1998<br />
Beilage zu H. 23 S. 24; von Münch NJW 1998, 2324.<br />
47 Friedrichsmeier/Schmid „Praktische Studienzeit für Rechtsstudenten – Tübinger<br />
Modell“ AnwBl 1997, 614; Ahlers, „Zur Gestaltung der universitäten Juristenausbildung“<br />
AnwBl 1998 6; Steckler „Anwaltliche Berufspraxis in der<br />
universitären Lehre“, AnwBl 1997, S. 245. Dabei müssen wir aber sehr darauf<br />
achten, daß sich die anwaltlichen Lerninhalte nicht hinterrücks in den Prüfungskatalog<br />
einschleichen, denn sonst müssen wir uns nicht wundern, wenn<br />
die Umweltschützer, die Weltraumrechtler und tausend andere Spezialisten für<br />
ihre Fächer das gleiche Recht in Anspruch nehmen. Ich würde den Fächerkatalog<br />
des Universitätsexamens insgesamt drastisch beschränken, denn mir ist<br />
ein Student, der die Grundlagen des BGB beherrscht, bei weitem lieber als jemand,<br />
der statt der Grundlagen einen mixed-Grill aller möglichen Lerninhalte<br />
zu bieten hat, die darüber hinaus meist nur halb verdaut sind.<br />
48 Johann Braun´s Anmerkungen dazu in der Zeitschrift für Rechtspolitik 1998,<br />
S.41 kann man nur unterstreichen. Mit so einer Maßnahme machen wir allerdings<br />
alle Repetitoren arbeitslos, die es ja nur deshalb gibt, weil man derzeit<br />
die Differenz zwischen den universitären Lerninhalten und der staatlich organisierten<br />
Prüfung von irgend jemand lernen muß.<br />
49 Das Geld, das die Studenten sich beim Repetitor gespart haben, können sie<br />
dann dort sinnvoller investieren.<br />
50 Man wird die Gefahr sehen müssen, daß nicht alle Anwaltsinstitute hart am<br />
Wind unserer berufsspezifischen Themen segeln sondern – bedingt durch die<br />
Nähe zur Universität – Themen von allgemeinem wissenschaftlichen Interesse<br />
aufgreifen. Das Münchner Institut z. B. läßt Vorträge über „Entwicklung und<br />
Probleme des chinesischen Zivilrechts in der Gegenwart“ halten, die zweifellos<br />
hoch- interessant, für Anwälte aber nur dann von Wert sind, wenn es gerade<br />
um die chinesischen Anwälte und nicht im allgemeinen um das Rechtssystem<br />
ginge. Wir müssen uns in diesem Bereich bewußt beschränken, weil wir<br />
sonst die notwendige Konzentration auf unsere Anliegen nie erreichen werden.<br />
51 Die geplante alleinige Zuständigkeit der Rechtsanwaltskammern für die Zulassung<br />
von Anwälten deutet eine zaghafte Bewegung in dieser Richtung an (BT-<br />
Drucks. 13/9610 und unveröffentlichte Stellungnahme des DAV hierzu vom<br />
April 1998.<br />
52 Außerdem wird die Entwicklung in Europa ungeduldigen jungen Kollegen andere<br />
Auswege bieten: Wer nach dem 1. Examen in England weiterstudiert und<br />
sich dort die Zulassung holt, braucht sie mit der entsprechenden Ergänzungsprüfung<br />
später nur noch umschreiben zu lassen und hat nebenbei noch perfekt<br />
Englisch gelernt. Viele werden sogar allein mit dem englischen Anwaltstitel<br />
hier genug zu tun finden. (Puel „Die Freizügigkeit der Rechtsanwälte in Europa“<br />
AnwBl 1998, 31).<br />
53 S. FN 51.
558<br />
l<br />
4. Das Honorarsystem<br />
Eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg im<br />
Markt wird das neue Honorarsystem darstellen. 54<br />
Honorar ist, wie schon der Name sagt, Ehrensache, und<br />
daher so selbstverständlich, daß man darüber nicht spricht. 55<br />
So war es jedenfalls noch 1973, in den alten Zeiten. Die<br />
Zeit des Stillschweigens war schon 1980 vorbei, als der<br />
Bundesgerichtshof 56 einem unserer Kollegen seinen Honoraranspruch<br />
über eine Million DM absprach, weil er einem<br />
Mandanten bei einem Vertrag mit Auslandsbezug das<br />
Streitwertsystem der Gebührenordnung nicht in aller Tiefe<br />
erklärt hatte. Begründung: Der Mandant hätte sicher in<br />
USA einen geeigneten Anwalt gefunden, der ihn bei den<br />
gleichen Verhandlungen, die sich über ein Jahr hinzogen,<br />
im Stundenlohn betreut hätte. Von da an ging’s bergab!<br />
Man kann in der Tat die Anwälte nicht an ein Streitwertsystem<br />
binden, das ihnen in einer Vielzahl von Fällen kein<br />
kostendeckendes Honorar zumutet und sie dann von den<br />
Bonanzas abschneiden, die diese Verluste decken sollen.<br />
Kurz: Das Zeithonorar ist zwar eine notwendige Antwort<br />
auf die internationale Konkurrenz, aber es hat auch eine<br />
sehr hohe Bedeutung, wenn wir im deutschen Markt mit<br />
Steuerberatern und Unternehmensberatern konkurrieren. 57<br />
Die Steuerberater arbeiten schon seit Jahren im Stundenlohn,<br />
wenn sie das für richtig halten und wenn Sie mir sagen,<br />
daß Anwälte mit Unternehmensberatern nicht in Konkurrenz<br />
stehen 58 , dann zeige ich ihnen gern<br />
Honorarrechnungen in erheblichen Größenordnungen, in<br />
denen der Unternehmensberater nichts anderes getan hat,<br />
als über Verträge zu verhandeln, und zwar auf höchstem juristischem<br />
Niveau!<br />
Das wesentliche Problem in unserer Konkurrenzsituation<br />
mit gewerblich tätigen Beratern besteht wahrscheinlich<br />
darin, daß es für uns nicht so leicht ist, die Wertschöpfung,<br />
die unseren Mandanten im konkreten Fall nützt, zu verdeutlichen.<br />
Dabei ist das wirklich sehr einfach, denn wir<br />
– entlasten unsere Mandanten von Arbeit,<br />
– erhöhen die Planungssicherheit,<br />
– vermeiden Verluste,<br />
– erhöhen die Liquidität,<br />
– stabilisieren Marken und Firmenwerte,<br />
– helfen dabei, Konflikte zu beenden.<br />
Manche dieser Leistungen, so vor allem das Erreichen<br />
von Planungssicherheit, entspricht dem, was auch Versicherungen<br />
tun, andere stehen dem Krisenmanagement nahe:<br />
Anwaltskosten müssen wir, wie unsere Mandanten als Risikoprämie<br />
interpretieren lernen! Was uns von anderen Beratern<br />
unterscheidet, sind die rechtlichen Werkzeuge, die aus<br />
guten Gründen nur wir benutzen dürfen – und all das ist<br />
sein Geld wert.<br />
Beim Zeithonorar müssen wir uns allerdings darüber im<br />
klaren sein, daß es sich auf der jetzt in Deutschland üblichen<br />
Höhe nicht ohne weiteres halten wird. Dafür sorgt<br />
das „Zitronenprinzip“: 59 Wenn Sie die Qualität einer Sache<br />
von außen nicht erkennen können, dann neigen Sie dazu,<br />
im Zweifel billiger einzukaufen. Und ob ein Anwalt wirklich<br />
was taugt, das sieht man leider erst, wenn man ihn ausgequetscht<br />
hat.<br />
Es gibt auch Aufträge, bei denen ein Anwalt ohne ein<br />
festes Sockelhonorar für das gleich zu Anfang übertragene<br />
Know-how nicht vernünftig arbeiten kann, so vor allem im<br />
Steuerstrafrecht oder bei der Beratung des insolventen<br />
Unternehmers. Das sind Fälle, in denen das wesentliche<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
Know-how nur dann wirksam wird, wenn es vollständig zu<br />
Anfang des Mandats übertragen wird. In solchen Fällen<br />
wäre ein Zeithonorar unangemessen und die Gebührenordnung<br />
ist schwer anzuwenden, weil man keine „Gegenstandswerte“<br />
bestimmen kann, die in das System hineinpaßten.<br />
Ich bin aber auch froh darüber, daß wir die Gebührenordnung<br />
behalten haben 60 , denn sie ist neben der Prozeßkostenhilfe<br />
das tragende Element für die Berechenbarkeit<br />
der Prozeßrisiken, die ich in anderen – auch europäischen –<br />
Ländern sehr vermisse. Der Blick über die Grenzen zeigt:<br />
Es gibt kein Land auf der ganzen Welt, in dem so schnell<br />
und so preiswert prozessiert werden kann und dadurch werden<br />
eine ganze Reihe von störenden Konflikten schnell und<br />
wirksam behoben. Ich halte die Klagen über die zu große<br />
Streitsucht der Deutschen für unberechtigt, denn die Prozesse<br />
gehen zurück – vor allem, wenn man sie ins Verhältnis<br />
zur ansteigenden Komplexität unserer Systeme setzt. 61<br />
Uns wird aber im Gegensatz zu anderen Ländern nicht die<br />
Ohnmacht zugemutet, die bei einem wirklich wichtigen<br />
Konflikt immer entsteht, wenn man sich wegen der Unberechenbarkeit<br />
des Gesamtrisikos zur Tatenlosigkeit entschließen<br />
muß. Der Gesetzgeber ärgert uns zwar immer<br />
wieder, indem er die Gebührenordnung nicht zeitgemäß anpaßt,<br />
aber unter die Sätze der Gebührenordnung der Hansestadt<br />
Lübeck von 1240 werden wir hoffentlich nicht sinken:<br />
Damals gab es „für eine schlichte Sache“ (also die Vertretung<br />
erster Instanz) drei Pfennig Honorar, „für ein gescholtenes<br />
Urteil“ (also das Berufungsverfahren) sechs Pfennig. 62<br />
Wieviel immer der Pfennig damals wert war, eine goldene<br />
Nase hat man sich damit sicher nicht verdienen können.<br />
5. Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
Ich habe lange nicht gewußt, daß es den Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />
gibt. Ich kannte nur den Münchner <strong>Anwaltverein</strong>.<br />
Da trafen sich einmal im Monat die alten Kämpfer –<br />
man sah leibhaftig z. B. Herrn Ostler und Herrn Burnhauser<br />
– und es wurden Berichte von den verschiedenen Fronten<br />
des Rechts ausgetauscht, an denen sie sich ihre Narben geholt<br />
hatten. Da gab es für uns Greenhorns schon sehr<br />
54 Es ist in den §§ 3 BRAGO, 49 b BRAGO und 22 Berufsordnung niedergelegt.<br />
55 Noch heute haben die englischen Solicitors keine unmittelbare Mandatsbeziehung<br />
und damit auch keinen Honoraranspruch gegenüber dem Mandanten,<br />
weil sie im alten System der „Fürsprecher“ nur ein Ehrenamt übernahmen.<br />
Elbert Tuttel, US-Richter am Bundesberufungsgericht, sagte 1973 in einer<br />
Rede: „Ein Anwalt hat nichts zu verkaufen. Sein einziges Kapital ist er selbst.<br />
Für seinen Rat gibt es daher keinen „richtigen“ Preis, denn was ist der Teil<br />
eines Menschen wert? Wenn er kein integerer Mensch ist, gar nichts. Andernfalls<br />
aber ist er unbezahlbar: Sein Wert ist entweder alles oder nichts.<br />
„(Menendez, Taming the Lawyers (Merrit Publishing, Santa Monica 1996),<br />
S. 104.<br />
56 BGH vom 13.03.1980 NJW 1980, 2128 – BMW Vertrieb USA.<br />
57 Krämer/Kohn-Lehnhof „Pricing für Rechtsanwälte“ AnwBl 1997, 306.<br />
58 „My own view is that todays corporate Lawyers are indeed in direct competition<br />
with consultants“ (Peter Turner in International Business Lawyer 1998,<br />
S. 248.<br />
59 Paefgen „US-amerikanische Anwaltsfirmen – ein Werkstattbericht“ AnwBl<br />
1995, 278 (283). Bei der telefonischen Rechtsberatung unter der 01900-Nummer<br />
der Firma „InfoGenie Recht“ kostet die Minute 3,63 DM (NJW 1998<br />
Heft 35 S. XXXVIII).<br />
60 Auch sie muß aber immer wieder überdacht und den Marktverhältnissen angepaßt<br />
werden, wie die „Vorschläge des Ausschusses Gebührenrecht und Gebührenstruktur<br />
des DAV zur Strukturänderung beim Anwaltsgebührenrecht“<br />
zeigen (siehe Beilage zum AnwBl 5/98).<br />
61 Die Gerichtseingänge sinken ständig, teils sogar in absoluten Zahlen, was<br />
aber nicht unmittelbar mit einer Erhöhung der Entscheidungsschnelligkeit einhergeht,<br />
(s. Kirchhof „Ist die ordentliche Gerichtsbarkeit überlastet“, BRAK-<br />
Mitt. 1998, 68).<br />
62 Hartstang s. FN 3 S. 10.
AnwBl 11/98 559<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“ l<br />
brauchbare Ratschläge wie: „Der schlimmste Feind des<br />
Anwalts ist der Mandant“ oder: „Es gibt nur zwei Arten<br />
von guten Mandanten: Die einen sagen einem was zu tun<br />
ist, die anderen tun, was man ihnen sagt“. Das waren Weisheiten,<br />
deren Richtigkeit ich nach vielen Versuchen, sie zu<br />
ignorieren, am Ende doch einsehen mußte. Die Unsichtbarkeit<br />
des DAV lag wohl daran, daß er als Dachverband der<br />
örtlichen Vereine nicht von vornherein die strategischen<br />
Aufgaben hatte, die er in der Folgezeit dann in beeindrukkender<br />
Weise in die Hand genommen hat. 63 Noch bevor es<br />
den wirklich freien staatlich ungebundenen Anwalt gab<br />
(1878), hatte sich der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> schon konstituiert.<br />
Man kann ihn nicht ohne die Zusammenarbeit mit<br />
der Hans-Soldan Stiftung, dem Institut der Anwaltschaft,<br />
dem Anwaltverlag sowie den Anwaltsinstituten an den<br />
Universitäten nennen, wenn man das ganze Spektrum seiner<br />
Tätigkeiten beschreiben will. Die Arbeitsgemeinschaften<br />
des DAV, das Forum Junger Rechtsanwälte, die Gesetzgebungsausschüsse<br />
und die Fachausschüsse nehmen einen<br />
außerordentlichen Einfluß auf unser Rechtssystem. Ihre<br />
Mitarbeit bei der Neuformulierung der Berufsordnung und<br />
der erhebliche Einsatz beim Aufbau des demokratischen<br />
Rechtssystems in den Neuen Bundesländern sind historische<br />
Leistungen. 64 Ohne strategische Führung und eine klare<br />
Erkenntnis seiner Stärken hätte der DAV diese Aufgaben<br />
nicht so beeindruckend lösen können.<br />
Seine Schwächen allerdings bestehen da, wo er seine<br />
Tätigkeit über die „kommunikativen Transmissionsriemen“<br />
(wie man vor 25 Jahren gesagt hätte) in die lokalen Vereine<br />
vermitteln soll. Diese Riemen fehlen heute noch und deshalb<br />
rudern wir gelegentlich nur mit halber Kraft. Der DAV<br />
hat sich in heftigen inneren Kämpfen nach 1945 richtigerweise<br />
der föderalen Struktur der Bundesrepublik angepaßt<br />
und ist ganz bewußt ein „Verein der Vereine“. Das hat Folgen:<br />
Jeder Stamm stellt seine Delegierten und achtet sorgfältig<br />
darauf, möglichst wenig Souveränität zu verlieren.<br />
Damit hängt die Unterstützung, die der Verein seinen Mitgliedern<br />
geben kann, nahezu ausschließlich von der Qualität<br />
der örtlichen Arbeit ab. Wir brauchen den Verein aber<br />
überall da, wo wir uns gegen die Konkurrenz berufsfremder<br />
Gruppen wehren müssen. Dazu gehört auch eine Unterstützung<br />
bei Konflikten, die einzelne mit den Kammern haben,<br />
die als halbstaatliche Organe naturgemäß nach anderen<br />
Regeln vorgehen müssen als dies ein Verein tun kann. Ich<br />
erinnere mich sehr gut, daß die Münchner Kammer uns<br />
1978 ermahnt hat, eine Bürogemeinschaft mit einem englischen<br />
Büro vom Briefkopf zu nehmen, weil das damals<br />
als standeswidrig galt. Ich wäre nicht einmal auf die Idee<br />
gekommen, den DAV in einer solchen Situation um Hilfe<br />
zu bitten, hätte es mir aber wohl gewünscht. Zwischen der<br />
Kammer und dem DAV hat es immer wieder Spannungen<br />
gegeben und viele Kollegen waren der Meinung, man<br />
müsse sich sehr darum bemühen, diese abzuschaffen. Ich<br />
glaube zwischenzeitlich, daß diese Spannungen, soweit sie<br />
existieren, systembedingt sind. Ich finde, der DAV könnte<br />
aus diesen Unterschieden an manchen Stellen mehr machen<br />
als das bisher geschieht. Er unterliegt nicht den verständlichen<br />
Bindungen der Kammern und könnte seinen Mitgliedern<br />
daher gerade im Kampf um die Marktanteile mit anderen<br />
Beratern im rechtlichen Dienstleistungsmarkt Unterstützung<br />
bieten. Es hat sich ja in den letzten 10 – 15 Jahren<br />
wirklich eine Menge getan, aber immer noch ist mein<br />
Wunsch unerfüllt, das <strong>Anwaltsblatt</strong> in einer ähnlichen Aufmachung<br />
zu sehen wie den „American Lawyer“, obgleich<br />
wir für die werbende Industrie ein interessanter Markt sein<br />
sollten. Den ärztlichen Lobbyisten fällt es aufgrund der Un-<br />
terstützung durch die Pharmaindustrie in diesem Bereich<br />
natürlich leichter, aber wenn man berücksichtigt, was wir<br />
an Bürosystemen, Büromaterial, Computern, Telefonen und<br />
Autos so alles verbrauchen, dann sollten wir doch die Möglichkeit<br />
haben, im Markt selbstbewußter aufzutreten. Ich<br />
wünsche mir den DAV deshalb als Anwalt der Anwälte,<br />
also als kämpferischen Interessenvertreter für alles, was unserem<br />
Beruf und jedem einzelnen am Herzen liegt.<br />
6. Prognosen<br />
Ich möchte abschließend gemeinsam mit Ihnen einen<br />
Blick in die Zukunft bis zum Jahr 2010 werfen: Was werden<br />
wir bis dahin aus unseren Stärken und Schwächen gemacht<br />
haben?<br />
– Die Komplexität der wirtschaftlichen/technischen und<br />
politischen Vorgänge, ihre wechselseitige Vernetzung und<br />
damit der Markt der rechtlichen Dienstleistungen wird weiter<br />
wachsen<br />
– Damit wird auch die Zahl der Anwälte noch erheblich<br />
zunehmen, sich möglicherweise sogar verdoppeln: Das<br />
sollte uns aber keine Sorgen machen, wenn gleichzeitig<br />
auch die Bedeutung unserer Arbeit bekannt wird<br />
– Die Arbeit der Anwälte wird im Bewußtsein der<br />
Öffentlichkeit viel stärker verankert sein als heute, weil wir<br />
endlich die Chance haben, unsere Tätigkeit im Wettbewerb<br />
zu anderen Dienstleistern herauszustellen<br />
– Anwälte werden sich an anderen Beratungsunternehmen<br />
beteiligen, die am Rande des rechtlichen Dienstleistungs-marktes<br />
(Consulting) arbeiten und fachübergreifende<br />
Kooperationen eingehen.<br />
– Das Referendariat wird abgeschafft und statt dessen<br />
nach dem Universitätsexamen eine Postgraduate-Ausbildung<br />
stattfinden, die zu einer Prüfung vor der Kammer führt<br />
– Die Anwälte werden häufiger als jetzt in andere juristische<br />
Berufe wechseln und wieder zurückkehren<br />
– Sowohl TQM sowie das DIN/ISO-Zertifikat werden<br />
sich durchsetzen<br />
– Jede Änderung der Kommunikationstechnik 65 wird<br />
sich unmittelbar auf unsere Arbeit auswirken und uns noch<br />
mehr unter Zeitdruck setzen<br />
– Die internationalen Kooperationen zwischen Anwälten<br />
werden auch bei Büros mittlerer Größe zunehmen<br />
– Deshalb wird Englisch – das Latein der Postmoderne<br />
– noch erheblich wichtiger sein als heute<br />
– Es werden mehr Beratungsprodukte entstehen, in denen<br />
alle Rechtsprobleme aus verschiedenen Feldern in einer<br />
einheitlichen Struktur abgearbeitet werden können 66<br />
– Die Anwalts-GmbH wird sich durchsetzen, aber den<br />
Markt nicht dominieren<br />
63 Schon unter der Präsidentschaft von Hans Jürgen Rabe (seit 1978) wurden<br />
wesentliche Entwicklungen angestoßen, die unter Ludwig Koch (seit 1983) zu<br />
einer ganz neuen und modernen Ausrichtung der Arbeit des DAV geführt hat.<br />
Ihr erster Höhepunkt war die Veröffentlichung der Prognos-Studie (1987).<br />
64 Die vom DAV subventionierte Entsendung von Anwälten in die Vermögensämter<br />
gehören ebenso dazu wie die Informationsarbeit des Instituts der<br />
Anwaltschaft für die in Organisationsfragen oft hilflosen Kollegen (zur Aufbauarbeit<br />
insgesamt s. Busse, „Die Anwaltschaft im geeinten Deutschland“,<br />
AwBl 1993, 442) Man vergißt leicht, daß es in der DDR im Jahre 1989 nur<br />
600 Anwälte für 16,6 Millionen Einwohner gab, also nur einen Anwalt auf<br />
ca. 27.000 Einwohner.<br />
65 (derzeit: Kopie, Fax, E-Mail, Datenbanken; demnächst: Bildtelefon, Videokonferenzen,<br />
Sprachcomputer, Übersetzungscomputer, Internet, Intranet, etc.).<br />
66 (z. B. vom Grundstücksankauf über die Errichtung bis zum Grundstücksmanagement.)
560<br />
l<br />
Kurz: Der Anwaltsberuf wird sich zwar verändern, aber<br />
im Gegensatz zu heute wird sein wesentlicher Wert klarer<br />
erkennbar sein: Der unabhängige, interessengebundene und<br />
verschwiegene Berater ist seit Jahrtausenden ein tragendes<br />
Element jeder Rechtskultur, denn es gibt keine Kultur ohne<br />
Konflikte! Die Anwälte, die es gelernt haben, immer wieder<br />
die Perspektiven zu wechseln und immer wieder erleben<br />
müssen, wie ihre Vorstellungen angegriffen werden,<br />
entwickeln dabei mehr noch als andere Juristen Distanz<br />
auch zu sich selbst. Dadurch gehören sie zu den wichtigsten<br />
Bewahrern der kritischen Vernunft, aus deren Schlaf –<br />
wie Hegel gesagt und Goya gemalt hat – die Ungeheuer geboren<br />
werden.<br />
Dieser Beruf hat eine Faszination, der ich mich seit<br />
25 Jahren nicht entziehen kann: Man bewegt sich mitten in<br />
den Stürmen des Lebens und beschäftigt sich nicht nur wie<br />
die Wissenschaft oder die Justiz nur mit der Analyse und<br />
AUFSÄTZE<br />
Die Geschichte der<br />
Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Hechingen,<br />
Vizepräsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Teil II (Fortsetzung von AnwBl 1998, 424)<br />
Die Berufsständische Versorgung hat sich außerhalb der<br />
Anwaltschaft in einer lange Tradition etabliert. Aber sie hatte<br />
sich in der Anwaltschaft zunächst nicht durchgesetzt. Die<br />
Entwicklung bis hierher ist im letzten Heft dargestellt worden.<br />
Die Entscheidung des Gesetzgebers von 1957 nämlich<br />
die Selbständigen vom gemeinsamen Tisch der Sozialversicherung<br />
zu weisen hatte tiefe Spuren hinterlassen. Sofort<br />
nach der großen Rentenreform machten sich die Anwälte<br />
auf den Weg, eine eigenständige Versorgung schaffen.<br />
10. Das Rechtsanwaltsversicherungsgesetz<br />
Natürlich blieb ab 1957 die ungelöste Frage der Altersversorgung<br />
auf Tagesordnung sowohl des DAV als auch der<br />
BRAK. Ostler zitiert den Ausspruch eines ihrer Vizepräsidenten<br />
auf dem Anwaltstag in Stuttgart, der sich auf den<br />
Wettstreit zwischen DAV und BRAK bezog:<br />
„Also wer den größten Triumph hat, sei es in der Altersversorgung,<br />
sei es bei der BRAO, sei es in Spezialfragen, es<br />
ist nicht entsetzlich wichtig. Auf das Ziel kommt es an“ 62 .<br />
Als Zielvorstellung im Wettbewerb untereinander rangiert<br />
hier die Altersversorgung immerhin an erster Stelle!<br />
Der Erfolg der gesetzlichen Rentenversicherung enttäuschte<br />
viele Selbständige – man hatte sie ausgeschlossen.<br />
Nach einer Untersuchung des Bundesarbeitsministeriums<br />
aus dem Jahre 1958 wäre die weitaus größte Mehrheit der<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
dem Ende eines Streits. Man lernt, die Regeln der Macht<br />
anzuwenden und kann sich besser wehren als andere. Es<br />
dreht sich nicht alles nur ums Geld wie bei den Kaufleuten<br />
und auch ohne große Mittel kann man allein durch die<br />
Kraft der Gedanken und Argumente viel bewirken!<br />
Wenn wir aufhören, uns gegenseitig zu bekämpfen und<br />
stattdessen den Markt rechtlicher Dienstleistungen gemeinsam<br />
erobern, wird unser Beruf an Ansehen noch gewinnen,<br />
denn er hat, wie Feuerbach sagt, „seinen Grund in dem ewigen<br />
Recht selbst und in der ebenso ewigen Ungleichheit<br />
menschlicher Anlagen und Kräfte“. 67 Es wird immer eine<br />
Herausforderung und Ehre sein, diesem Beruf anzugehören.<br />
67 Feuerbach 1821, cit. n. Hartstang FN 3 S. 19.<br />
Selbständigen, einschließlich der Freiberufler, gewillt gewesen,<br />
wenn irgend möglich, in die gesetzliche Rentenversicherung<br />
zu kommen. Da dieser Weg verbaut war, nahm<br />
die Anwaltschaft den Versuch in Angriff, selbst eine entsprechende<br />
Altersversorgung auf Bundesebene auf die<br />
Beine zu bringen. Eine gemeinsame Kommission der<br />
BRAK und des DAV arbeitete 1959 hierfür einen Gesetzentwurf<br />
aus. Es wurde hierfür ein Sonderheft zum Jahrgang<br />
des <strong>Anwaltsblatt</strong>s 1959 herausgebracht. Man war bereit,<br />
die „Uraltlast“ zu übernehmen: was bedeutet hätte, daß<br />
viele Rechtsanwälte Renten bezogen hätten, ohne jemals einen<br />
Beitrag geleistet zu haben. Ein solches – zunächst frappierendes<br />
– Ergebnis ist im Umlageverfahren jederzeit zu<br />
realisieren. Es sei darauf hingewiesen, daß die in der Umlage<br />
finanzierte Pflegeversicherung heute an zahllose Personen<br />
zum Teil erhebliche Leistungen erbringt, ohne daß<br />
diese jemals nennenswerte Beiträge dorthin geleistet hätten.<br />
Viel Arbeit war vorausgegangen 63 : die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
hatte von Dipl.- Versicherungsmathematiker<br />
Dr. Georg Heubeck, Köln, ein versicherungsmathematisches<br />
Gutachten über eine berufsständische Alters-, Invaliditäts-<br />
und Hinterbliebenenversorgung für die Rechtsanwälte<br />
der Bundesrepublik Deutschland eingeholt. Der DAV<br />
konnte sich auf ein versicherungsmathematisches Gutachten<br />
über die Errichtung einer Bundesversicherungsanstalt der<br />
Rechtsanwälte durch den Dipl.-Mathematiker Gerhard<br />
Schalow, Bochum stützen. Beide Gutachten aus dem Jahr<br />
1959 gingen von einer Pflichtmitgliedschaft und von einer<br />
Altersgrenze von 70 Lebensjahren aus. Mit unterschiedlichen<br />
Ansätzen wurde die Schaffung eines entsprechenden<br />
Bundesversorgungswerks für realistisch angesehen. Der<br />
62 Ostler, aaO., Seite 333.<br />
63 Die nachfolgende Darstellung beruht zum Teil auf bisher nicht veröffentliche<br />
Unterlagen, die dem Verfasser vorliegen und einer gesonderten Aufarbeiten<br />
bedürfen. Die Entwicklung läßt sich aber an Hand der begleitenden Kurzberichte<br />
in AnwBl und BRAK-Mitt. verfolgen.
AnwBl 11/98 561<br />
Aufsätze l<br />
Bundesrat äußerte sich in einer Entschließung zur Gesetzesvorlage<br />
der Bundesregierung mit folgendem Wortlaut:<br />
„Der Bundesrat erkennt die Berechtigung einer Altersund<br />
Hinterbliebenenversorgung der Rechtsanwälte an, bittet<br />
aber die Bundesregierung, den Bundesrat darüber zu<br />
unterrichten, für welche weiteren zulassungspflichtigen<br />
Gruppen der freien Berufe und der anderen selbständigen<br />
Erwerbstätigen sie eine entsprechende gesetzliche Regelung<br />
beabsichtigt. Der Bundesrat bittet weiter um Unterrichtung,<br />
in welcher Weise die Bundesregierung eine gesonderte<br />
gesetzliche Regelung für nicht<br />
zulassungspflichtige selbständige Erwerbstätige für möglich<br />
hält“ 64 .<br />
Die BRAK hatte im Mai 1957 auf ihrer Tagung in Bad<br />
Soden einer Kommission den Auftrag erteilt, alle Möglichkeiten<br />
einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung zu prüfen<br />
und die beste Versorgung auszuwählen. Hierzu sollten<br />
auch die Verhandlungen mit den Versicherungsgesellschaften<br />
(C-D-G-K) aufgenommen werden. Es wurde eine umfangreiche<br />
Fragebogenaktion gestartet. Jeder Anwalt wurde<br />
unter der Zusicherung absoluter Anonymität zu Personalangaben,<br />
Ausbildungen und Beruf, bestehenden Versicherungsverhältnissen,<br />
wirtschaftlichen Verhältnissen, Wünschen<br />
für die Gestaltung eines Versorgungswerk befragt.<br />
Der Rücklauf war erfreulich. Dieser Fragebogen war<br />
Grundlage des erwähnten Gutachtens von Heubeck. Die erwähnte<br />
Unterkommission hat anläßlich der Tagung der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer in Münster am 14. Januar<br />
1959 einen entsprechenden Bericht vorgelegt. Es hatte<br />
schließlich im Juni 1959 eine Besprechung von Vertretern<br />
des Deutschen AnwaltVereins und der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
mit dem zuständigen Bundesminister für Arbeit<br />
Blank selbst, stattgefunden, welche dazu führte, daß im<br />
Kabinett und im Bundestag ein entsprechender Gesetzgebungsentwurf<br />
eingebracht wurde (Gesprächspartner seitens<br />
des DAV waren die Rechtsanwälte Schreiber, Frankfurt, Albert<br />
Koch, Bonn und Dr. Brangsch, Hamburg sowie von<br />
Seiten der BRAK Dr. Heim, Trier, Siemann, Hannover und<br />
Dr. Weber, Koblenz mit dem Dipl.-Volkswirt Schneider,<br />
Bonn). Es war darauf hingewiesen worden, daß das Sozialkabinett<br />
bereits 1956 die Schaffung einer gesetzlichen Altersversorgung<br />
für die freien Berufe befürwortet hatte,<br />
wenn diese es wünschten. Schwieriger Punkt war die Versorgung<br />
der Uraltlast. Da damals Neuentwicklungen in der<br />
Versorgung der Handwerker und der Landwirte auf den<br />
Weg gebracht waren, wurde an die Zurverfügungstellung<br />
von Steuergeldern gedacht: bei diesen Berufsgruppen war<br />
das ja auch vorgesehen.<br />
Im Anschluß hieran kam es zu einem Regierungsentwurf<br />
eines „Gesetzes“ über die Alters- und Hinterbliebenenversorgung<br />
der Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsversicherungsgesetz<br />
65 . Das Gesetz war insofern fortschrittlich,<br />
als der Anwaltschaft überlassen werden sollte, in welcher<br />
Weise die Versicherung betrieben werden sollte. Man hätte<br />
z. B. sowohl Gruppenversicherungsverträge als auch eine<br />
„sozialversicherungsrechtliche“ Lösung wählen können.<br />
Der Gesetzentwurf überstand jedoch zwei Legislaturperioden<br />
nicht, so daß auch der (neue) letzte Gesetzentwurf vom<br />
3.6.1964 66 nicht Wirklichkeit wurde. Allerdings hatte er<br />
auch innerhalb der Anwaltschaft erhebliche Widerstände<br />
hervorgerufen. Viele junge Anwälte nämlich, die angestellt<br />
gewesen waren, hatten sich in der BfA – was möglich war<br />
– freiwillig weiter versichert. Die Syndici waren ohnehin in<br />
der BfA. Da man die Mitgliedschaft in der allgemeinen gesetzlichen<br />
Rentenversicherung damals noch als vorteilhaft<br />
empfand, bestand kein Anlaß, für eine eigene Rechtsanwaltsversorgung<br />
zu votieren. Kennzeichnend hierzu sind<br />
Äußerungen von Rechtsanwälten in der Literatur 67 , 68 .<br />
Damit waren Bemühungen auf Bundesebene gescheitert.<br />
Weder hatte der Bund die Rechtsanwälte in die allgemeine<br />
Rentenversicherung aufnehmen wollen, noch hatte er ihnen<br />
ein eigenes Rechtsanwaltsversicherungsgesetz zugebilligt.<br />
Damit war nur zu verständlich, daß die Rechtsanwälte sich<br />
abwandten und sich nun auf den landesgesetzlichen Bereich<br />
zu konzentrieren begannen – hatte doch der Bundesgesetzgeber<br />
durch den Bundesrat im ärztlichen Bereich den Weg<br />
gewiesen: die Länder waren der zuständige Ort für die geplanten<br />
Vorhaben. Heute wenig bekannt ist, daß es schon<br />
zur damaligen Zeit (wenn auch vergeblich) zu nachhaltigen<br />
Initiativen gekommen ist:<br />
a) In Rheinland/Pfalz ist das Rheinland/Pfälzische Landesgesetz<br />
über die Versorgung der Rechtsanwälte – Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />
– NRVG (schon!) am 22.7.1965<br />
in Kraft getreten 69 . Nach dem Vorbild des Saarlands sollten<br />
die Rechtsanwaltskammern Koblenz und Zweibrücken ein<br />
Sondervermögen mit einem Versorgungswerk heutiger Prägung<br />
auf die Beine bringen 70 . Hierzu wurden gemeinsame<br />
Kammerversammlungen abgehalten. Dort fanden aber die<br />
vorgelegten Satzungsentwürfe keine Mehrheit. Das Gesetz<br />
blieb damit ohne Wirkung. Die damalige Entwicklung ist<br />
von Eichele in sehr lesenswerter Form vor kurzem ausführlich<br />
dargestellt worden 71 .<br />
b) In Nordrhein/Westfalen wurde der Regierungsentwurf<br />
eines Gesetzes über die Versorgung der Rechtsanwälte im<br />
Lande Nordrhein/Westfalen – Rechtsanwaltsversorgungsgesetz<br />
– RAVGNW vom 29.7.1969 eingebracht 72 . Hier<br />
sollte ein Versorgungswerk in Form einer eigenständigen<br />
Körperschaft des öffentlichen Rechts aufgebaut werden.<br />
Das Gesetz wurde jedoch nie abschließend beraten.<br />
c) Ähnliches geschah in Bayern. Auch dort wurde ein<br />
Regierungsentwurf über die Einführung der Altersversorgung<br />
für Rechtsanwälte im Rahmen der dort bestehenden<br />
Bayerischen Versicherungskammer am 30.9.1970 vorgelegt<br />
73 . Dieser Gesetzentwurf wurde durch die nachfolgende<br />
Entwicklung überholt.<br />
Die rosigen wirtschaftlichen Verhältnisse und das damit<br />
verbundene Desinteresse vieler Anwälte wie die Bemühungen<br />
der Versicherungswirtschaft verhinderten einen Erfolg. Außerdem<br />
tat sich – letztmals – wieder etwas auf Bundesebene.<br />
11. Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige<br />
In politisch bewegter Zeit entschloß sich nämlich der<br />
Gesetzgeber, die gesetzliche Rentenversicherung für Selb-<br />
64 <strong>Deutscher</strong> Bundestag – 3. Wahlperiode, Drucksache 2656, Anlage 2.<br />
65 RAVG vom 16.2.1961 (Bundestagsdrucksache III/2656).<br />
66 Bundestagsdrucksache Nr. IV/2298<br />
67 Wolfgang Philipp, Kritische Gedanken zur Rechtsanwaltsversicherung, BB<br />
1964, 855 f. Rüdiger Zuck: Der Entwurf des Rechtsanwaltsversicherungsgesetzes<br />
und das Grundgesetz BB 1965, 593 ff).<br />
68 Siehe zum Rechtsanwaltsversicherungsgesetz auch AnwBl 1961, 56, 122;<br />
AnwBl 1964, 271, 309; AnwBl 1966, 249.<br />
69 Rheinland/Pfälzisches GVBL, Seite 153.<br />
70 AnwBl 1965, 357 und 371.<br />
71 Karl Eichele Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Rheinland-Pfalz –<br />
in: Geschichte der Rechtsanwaltschaft im Oberlandesgerichtsbezirk Koblenz,<br />
Festschrift zum 50jährigen Bestehen der RAK Koblenz, Luchterhand-Verlag<br />
1997 (ISBN 3-472-02674-X, Seite 279 ff.<br />
72 Landtagsdrucksache NRW VI – 1427.<br />
73 Landtagsdrucksache, 6. Legislaturperiode, 101te Sitzung, Seite 4723 ff.
562<br />
l<br />
ständige zu öffnen74 . Weitere Bemühungen der Anwaltschaft<br />
erübrigten sich damit scheinbar. Das Rentenreformgesetz<br />
vom 16. Oktober 1972 75 stellt Höhepunkt und zugleich<br />
Wendepunkt in der Geschichte der gesetzlichen<br />
Rentenversicherung dar.<br />
a) Die Vorteile schienen zu überwiegen. Endlich geschah,<br />
worum man vergeblich 1957 gekämpft hatte: die<br />
Rentenversicherung war nun auch den Selbständigen zugänglich<br />
76 .<br />
Die Haltung der Anwaltschaft beleuchtet am besten folgender<br />
Vorgang: Rechtsanwalt Dr. Jürgen R. Koch, Garmisch-Partenkirchen<br />
hielt auf der 34. Hauptversammlung<br />
der BRAK vom 27. Oktober 1973 einen Vortrag zum Thema<br />
„Die Alters- und Hinterbliebenenversorgung des<br />
Rechtsanwalts nach einem Jahr Erfahrungen mit dem Rentenreformgesetz“.<br />
Er begann seinen Vortrag mit dem Satz:<br />
„Vor wenigen Tagen hat sich ein Ereignis gejährt, das<br />
als Meilenstein in der gesellschaftspolitischen Entwicklung<br />
unseres Staates gelten darf: die Verkündung des Rentenreformgesetzes<br />
vom 16. Oktober 1972 und damit die Öffnung<br />
der gesetzlichen Rentenversicherung praktisch für<br />
jedermann“.<br />
Er kommt in einem umfangreichen Referat zum Ergebnis,<br />
daß es sinnvoll sei, der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
beizutreten und von der Nachentrichtungsmöglichkeit<br />
nachhaltig Gebrauch zu machen. Er empfiehlt damals<br />
schon, auf viele Säulen zu setzen. Sein Referat endet mit<br />
der Bemerkung, daß es nicht um „entweder Lebensversicherung<br />
oder gesetzliche Rentenversicherung, sondern sowohl<br />
als auch“ gehe. Typisch für das Referat ist die Bemerkung,<br />
man müsse „mit der Inflation leben“. Das ist eines<br />
der Hauptargumente für das Umlagesystem und die hierdurch<br />
ermöglichte „dynamische Rente“ gewesen. Kennzeichnend<br />
für die nachfolgende Entwicklung ist, daß er bemerkt,<br />
er habe sich „als 60jähriger mit fast 15 Jahren<br />
Ersatz- und Ausfallzeiten natürlich für die Pflichtversicherung<br />
entschieden“. Damals konnte aus seiner Sicht und aus<br />
der Sicht der Anwaltschaft nicht abgesehen werden, daß es<br />
dereinst zu einem erheblichen Abbau der Zusagen gerade<br />
auf diesem Sektor kommen würde.<br />
b) Fast eine Groteske war das Kapitel über die „Stiftung<br />
für die Alterssicherung älterer Selbständiger“ 77 . Das Rentenreformgesetz<br />
hatte nun zwar die gesetzliche Rentenversicherung<br />
für selbständig Erwerbstätige geöffnet. Da diese –<br />
wenn schon in höheren Lebensjahren stehend – keinen längeren<br />
Versicherungsverlauf mehr erreichen konnten, war<br />
die günstige Nachentrichtungsmöglichkeit zurück bis zum<br />
1. Januar 1956 vorgesehen 78 . Es war aber abzusehen, daß<br />
viele in Betracht kommende Versicherte die Nachzahlungssumme<br />
gar nicht würden aufbringen können. Deswegen<br />
hatte Artikel 3 des Rentenreformgesetzes eine „Stiftung für<br />
die Alterssicherung älterer Selbständiger“ eingerichtet. Im<br />
ursprünglichen Gesetzentwurf hatte die Begründung einen<br />
Beitrag des Bundes von 150 Millionen DM vorgesehen 79 .<br />
Stiftungszweck war die Erleichterung der Nachentrichtung<br />
von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Es<br />
sollten solche Personen gefördert werden, die ohne erhebliche<br />
Beeinträchtigung ihrer wirtschaftlichen Existenz keine<br />
Nachentrichtungsmöglichkeit gehabt hätten. Hierbei waren<br />
Personen ins Auge gefaßt, die über 50 Jahre alt waren und<br />
aus eigener Kraft keine Alterssicherung mehr erwerben<br />
konnten. Nach Maßgabe der Satzung bestand auf die Leistungen<br />
sogar ein Rechtsanspruch. Als der Vorgang bekannt<br />
wurde, meldeten sich zahlreiche Selbständige, darunter<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
auch eine größere Anzahl von Rechtsanwälten 80 . Leider geschah<br />
dies jedoch erfolglos: denn die Stiftung blieb gänzlich<br />
vermögenslos. Der Bundestag hat zwar in mehreren<br />
Anläufen versucht, die Zuwidmung eines Stiftungsvermögens<br />
auf den Weg zu bringen 81 . Schließlich stellte sich aber<br />
die Bundesregierung auf den Standpunkt, eine finanzielle<br />
Beteiligung des Bundes sei gar nicht vorgesehen. Hier sei<br />
„vorrangig die Solidarität der Wirtschaft angesprochen“ 82 .<br />
Sie zeigte kein Interesse. Vom DAV wurde noch nach Einholung<br />
eines Sachverständigengutachtens 83 bei der Hans<br />
Soldan Stiftung die Überlegung angestellt, ob die Ansprüche<br />
auch einklagbar seien 84 . Mit seinem Wissen erhob ein<br />
Einzelanwalt Klage, die vor dem Sozialgericht erfolgreich<br />
war 85 , vom Landessozialgericht dann aber an die Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
verwiesen wurde. Da man letztlich die<br />
Bundesrepublik nicht auf Ausstattung der Stiftung mit Stiftungsvermögen<br />
verklagen konnte, und sich in der Folge das<br />
Problem der Vollstreckung stellen würde, verlief die Angelegenheit<br />
schließlich im Sande. Die vorhandenen Unterlagen<br />
dokumentieren allerdings, daß das Versorgungsproblem<br />
der Selbständigen, auch der Rechtsanwälte, nicht unterschätzt<br />
werden konnte, ja immer drängender wurde. Die<br />
Episode führte bei den in der Anwaltschaft Verantwortlichen<br />
allerdings auch letztmals zum Eindruck, daß auf den<br />
Bundesgesetzgeber kein Verlaß sein konnte: mit der Schaffung<br />
der Stiftung waren unberechtigte Hoffnungen geweckt<br />
worden, deren Einhaltung kläglich versanden mußte 86 .<br />
c) Das Rentenreformgesetz 1972 zeigte letztmals die<br />
Sonnenseite des Umlagesystems auf. Es brachte eine Ausweitung<br />
der Zusagen von 1957. Neben der Öffnung für<br />
Selbständige wurden die Flexibilisierung der Altersgrenze<br />
eingeführt und die Rente nach Mindesteinkommen geschaffen.<br />
Das „Babyjahr“ wurde damals schon diskutiert, dann<br />
jedoch – noch – nicht umgesetzt. Das Gesetz ging einher<br />
mit einer Rentenanhebung von 14,4 %, was eine beispiellose<br />
Leistungsverbesserung bedeutete. Man hatte Überschüsse<br />
prognostiziert, die sogleich in diese Anhebung eingestellt<br />
wurden. Es bestand letztmals die Vorstellung, daß<br />
das so gut funktionierende Rentenversicherungssystem<br />
offensichtlich unerschöpfliche Ressourcen hatte.<br />
Aber die Schattenseiten waren längst bekannt. Die Ressource<br />
bestand nur in der florierenden Wirtschaft und deren<br />
Aufwärtsentwicklung. Das Jahr 1975 folgte schnell. Die<br />
Folgen des Konjunktureinbruchs und der Ölpreisschock<br />
wirkten. Im übrigen ergab sich, daß man Defizite statt<br />
Überschüsse erwirtschaftete. Die Beiträge aus den zentralen<br />
Sozialversicherungszweigen (Rentenversicherung,<br />
Krankenversicherung und Arbeitslosenversicherung) stiegen<br />
zwischen 1970 und 1977 insgesamt um 6% an. Deswegen<br />
ging es ab dem 20. Rentenanpassungsgesetz vom Som-<br />
74 Siehe die Begründung des Gesetzgebers hierzu: BT-Drucks VI/2153.<br />
75 BGBl. 1972 I, Seite 1965.<br />
76 Siehe Überblick bei Ulrich Böhm, AnwBl 1972, 333.<br />
77 BGBl. 1072 I, 1965.<br />
78 Artikel 2 § 49 a AVG-Neuregelungsgesetz, oft als „Wahlgeschenk“ apostrophiert.<br />
79 Artikel 3, § 2 des Entwurfs, BT-Drucks VI/2153, S. 5.<br />
80 Siehe Aufruf AnwBl 1973, S.288, BRAK-Mitt. 1973, S. 129, auch FAZ vom<br />
16.4.1974.<br />
81 Z. B. Bundestagsdrucksache VI – 2153 und Verhandlungen des Deutschen<br />
Bundestages Band 77, Seite 8044 bis 8060 und Band 80, Seite 11599).<br />
82 Bundestagsdrucksache VII – 460, AnwBl 1973, S. 163 und 200.<br />
83 AnwBl Heft 1974, Umschlagseite II.<br />
84 Siehe Fußnote 63.<br />
85 SG Nürnberg, Urteil vom 28.5.1975 (AnwBl 1975, S. 252).<br />
86 Siehe auch AnwBl 1973, 163, 200; AnwBl 1974, 175, 199, 305.
AnwBl 11/98 563<br />
Aufsätze l<br />
mer 1977 an „bergab“. Es wurde die Beitragspflicht der<br />
Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung für Arbeitslosengeldbezieher<br />
eingeführt, Rentenanpassungstermine wurden<br />
immer wieder verzögert, Zugangsrenten wurden abgesenkt.<br />
Es wurde – nach der Öffnung für Selbständige<br />
besonders fatal – der Kankenversicherungsbeitrag für Rentner<br />
eingeführt, erst mit 1% dann mit der Hälfte des Gesamtbeitrags.<br />
Allein im erwähnten 20. Rentenanpassungsgesetz<br />
hat der Gesetzgeber 166 Paragraphen in 14 Gesetzen<br />
ändern müssen; im Jahr 1981 haben 6 Bundesgesetze auf<br />
72 Seiten des BGBl über 400 Einzelbestimmungen in insgesamt<br />
55 Sozialgesetzen abgeändert 87 ! Mit einem mal wurde<br />
klar, daß der Optimismus, der in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
geherrscht hatte, nicht aufrecht zu erhalten<br />
war.<br />
d) Allerdings hat das Rentenreformgesetz vom<br />
16.10.1972 auch ein Institut eingeführt, welches heute zu<br />
den Grundlagen der berufsständischen Versorgung gehört:<br />
die Nachversicherung zugunsten der Versorgungswerke. Sie<br />
wurde durch die Neuregelung der Absätze VI a und VI b<br />
des § 124 AVG möglich 88 . Damit waren die Versorgungswerke<br />
auch in diesem Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
gleichgestellt 89 . Das war für die späteren Rechtsanwaltsversorgungen<br />
von erheblichem Interesse, weil für<br />
jeden Referendar, der Anwalt werden wollte, die Möglichkeit<br />
geschaffen wurde, die Zeit seiner Referendarstätigkeit<br />
in den Versicherungsverlauf bei einem Versorgungswerk<br />
einzubringen.<br />
Überhaupt hat der Bundesgesetzgeber über die Jahre hin<br />
die Existenzberechtigung der (für andere Freie Berufe bestehenden)<br />
Versorgungswerke nach und nach zur Kenntnis<br />
genommen und anerkannt. War schon durch die Schaffung<br />
der Befreiungsvorschrift § 7 Abs. 2 AVG im Jahre 1957<br />
(später § 6 SGB VI) der Durchbruch gelungen, so blieb er<br />
bei der 1972 geschaffenen Nachversicherungsmöglichkeit<br />
nicht stehen. § 166 b AFG ( jetzt § 207 SGB III) verpflichtet<br />
die Arbeitsverwaltung, für Bezieher von Arbeitslosenleistungen<br />
Beiträge an die Versorgungswerke (wie an die<br />
BfA) zu bezahlen. Entsprechendes gilt für die Pflegekassen<br />
durch § 44 Abs. 2 SGB XI. Auf gleichstellende Regelungen<br />
in ArbeitsplatzschutzG, ZivildienstG, EigungsübungsG und<br />
EntwicklungshelferG sei hier nur hingewiesen 90 . Es wurde<br />
auch notwendig, eine klare steuerrechtliche Grundlage besonders<br />
in § 5 I Nr. 8 KStG zu schaffen91 . Der Bundesgesetzgeber<br />
operierte hier jeweils mit dem Begriff „öffentlich-rechtliche<br />
Versicherungs- und Versorgungseinrichtung<br />
ihrer Berufsgruppe“. Das änderte nichts daran, daß er die<br />
auf Landesrecht beruhenden Versorgungswerke durch bundesgesetzliche<br />
Einpassungsvorschriften anerkannte und<br />
der allgemeinen gesetzlichen Rentenversicherung als der<br />
„ersten Säule“ des gegliederten sozialen Sicherungssystems<br />
gleichstellte.<br />
12. Krisenzeichen<br />
a) Für Anwälte besonders eindrucksvoll war die Einführung<br />
des Versorgungsausgleichs im Jahre 1977 – logische<br />
und gerechte Folge der Überlegung, daß das Defizit in der<br />
Gleichberechtigung der Geschlechter auch rechtlich reduziert<br />
werden mußte. Aber in der täglichen Praxis hatte das<br />
Gesetz auch andere Auswirkungen: man mußte sich nun<br />
plötzlich mit Sozialversicherungsansprüchen befassen,<br />
wozu in der Rechtsberatung seitens der Anwaltschaft bisher<br />
kaum Anlaß bestanden hatte. Keine Scheidung war ohne<br />
Auskunft der vorhandenen Versorgungs- und Versicherungsträger<br />
möglich. Man wurde sich mehr als bisher bewußt,<br />
wie oft ein Mangel zu verteilen war, während vorhandene<br />
Rentner möglicherweise in besseren Verhältnissen<br />
lebten als ihre arbeitenden Kinder. Man sah auch, wie viele<br />
Minirenten es trotz allem gab, wie entscheidend für Viele –<br />
eben auch für viele Anwälte – die Frage nach einer geeigneten<br />
Vorsorge war. Die Sensibilität für dieses Thema<br />
wuchs 92 .<br />
b) Den Kundigen war im übrigen bekannt geworden,<br />
daß der Bundesgesetzgeber im Jahre 1979 eine Verschärfung<br />
des § 7 Abs. 2 AVG vorsah – der Status der angestellten<br />
Freiberufler in den vorhandenen Versorgungswerken<br />
der Heilberufe war noch immer nicht unangefochten. Sorgen<br />
bereiteten z. B. auch ein Grundsatzprogramm des Deutschen<br />
Gewerkschaftsbundes von 1979 und entsprechende<br />
Entwürfe der SPD, die die pflichtweise Einbeziehung der<br />
Selbständigen in die gesetzliche Rentenversicherung zumindest<br />
ventilierten. Auch hatte man nicht übersehen, daß<br />
die – selbständigen – Künstler in einem langen Gesetzgebungsverfahren<br />
von 1976 bis 1981 in ein<br />
Sozialversicherungssystem eingepaßt wurden, das den Vermarktern<br />
Beitragspflichten auferlegte, aus denen sie keine<br />
Leistungen erzielten. Bei diesem Hintergrund war der Boden<br />
reif dafür, die lange überfällige Gründung eigener Versorgungseinrichtungen<br />
zu forcieren. Der Aufsatz von Ruland<br />
im Jahre 1982 93 , vor allem aber die Einsetzung der<br />
Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme<br />
durch die Bundesregierung dokumentieren den Eintritt in<br />
eine kritische Phase.<br />
Die Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme,<br />
die 1983 ihr Gutachten erstattete, hatte erstmals<br />
auch eine Bestandsaufnahme des gegliederten Alterssicherungssystems<br />
in Deutschland vorgelegt. Die Versorgungswerke<br />
wurden von ihr zwar als eigenständiges Sondersystem<br />
für die Angehörigen der verkammerten Freien<br />
Berufe anerkannt. Sie empfahl, deren Existenz nicht in Frage<br />
zu stellen und die zwischen den einzelnen Versorgungswerken<br />
bestehenden Unterschiede als Ausdruck der freien<br />
Gestaltungsmöglichkeiten der Berufsstände anzuerkennen.<br />
Immerhin blieb aber offen, wie die Politik diese Empfehlung<br />
umsetzen würde94 .<br />
13. Die erste Gründungswelle<br />
Nun wurde es hohe Zeit, es mußte gehandelt werden.<br />
Was sich vom erst begehrten, dann zum verachteten und<br />
schließlich zum enttäuschten Recht entwickelt hatte, wurde<br />
in eigene Hände genommen. Von da an hat die Anwaltschaft<br />
gezielt durchgesetzt, worum sie sich nun weit über<br />
87 Borchert aaO., S. 79f („ein Luftschloß zerfällt“).<br />
88 Eingefügt durch Art. 1 § 2 Nr. 34 c des RRG 1972 – BGBl. 1972 I, 1965, geltende<br />
Nachfolgevorschrift ist § 186 SGB VI.<br />
89 Siehe Hahn, aaO., Seite 207.<br />
90 Hierzu nach dem Rechtsstand von 1986 Boecken aaO., Seite 206ff.<br />
91 Gesetz zur Änderung des KStG und anderer Gesetze vom 15.8.1969, BGBl. I,<br />
S. 1182.<br />
92 Siehe z. B. AnwBl 1974, 217; AnwBl 1977, 154; AnwBl 1978, 226.<br />
93 Franz Ruland, Die freien Berufe zwischen gesetzlicher Rentenversicherung<br />
und berufsständischen Versorgungswerken, NJW 1982, 1847.<br />
94 Das Gutachten ist vergriffen. Ein Auszug ist veröffentlicht in „Die berufsständische<br />
Versorgung im Gutachten der Sachverständigenkommission Alterssicherungssysteme,<br />
ABV-Materialien“ Köln 1991 (ISBN 3-926502-14-2).
564<br />
l<br />
100 Jahre lang gequält hatte. Es ging in zeitlicher Folge<br />
Schlag auf Schlag:<br />
1. Vorreiter war die Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen<br />
95 als selbständige Körperschaft des öffentlichen<br />
Rechts durch Gesetz vom 14.3.1982 und einer Beitragspflicht<br />
ab Januar 1984 96 , 97 .<br />
2. Der Vorstand des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s faßte am<br />
11. Mai 1983 eine klare Entschließung zugunsten der Versorgungswerke<br />
wie folgt 98 :<br />
„Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> unterstützt die Bestrebungen,<br />
in den Bundesländern Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />
zu errichten.<br />
Die Sicherstellung der Anwälte und ihrer Familien im<br />
Alter, bei Invalidität und im Todesfall ist seit Generationen<br />
ein standespolitisches Anliegen ersten Ranges. Die Anwaltschaft<br />
hat ein Anrecht darauf, dieses Problem, ebenso<br />
wie andere freie Berufe, solidarisch zu lösen. Die Freiheit<br />
des einzelnen wird auch durch die Pflichtmitgliedschaft<br />
nicht unangemessen eingeschränkt.<br />
Die Entscheidung, ob das berufsständische Versorgungswerk<br />
die Möglichkeit eröffnen soll, anstelle einer<br />
Vollversorgung nur eine Grundversorgung mit geringeren<br />
Beiträgen zu wählen, obliegt den Kollegen jedes einzelnen<br />
Bundeslandes. Die Beitragsbelastung stellt angesichts der<br />
steuerlichen Benachteiligung der Freiberufler gegenüber<br />
den Arbeitnehmern und Beamten ein bedrückendes Problem<br />
dar, das gelöst werden muß.<br />
Die Kollegen werden ferner zu entscheiden haben, welchem<br />
Finanzierungssystem ihr Versorgungswerk folgen soll,<br />
dem Anwartschaftsdeckungsverfahren oder dem offenen<br />
Deckungsplanverfahren. Beide Finanzierungsverfahren sind<br />
für ein berufsständisches Versorgungswerk geeignet.<br />
Durch die Errichtung von berufsständischen Versorgungswerken<br />
darf der Zulassungswechsel von einem Bundesland<br />
in ein anderes nicht unangemessen erschwert werden.<br />
In diesem Fall sollte eine Wahlmöglichkeit bestehen<br />
zwischen der Mitgliedschaft in dem bisherigen Versorgungswerk<br />
und der Übertragung der bereits erworbenen<br />
Anwartschaften auf das andere Versorgungswerk.<br />
Von den Befreiungsmöglichkeiten, wie sie in den vorliegenden<br />
Satzungsentwürfen vorgesehen sind, sollte der einzelne<br />
nicht ohne sorgfältige Prüfung der Leistungen des<br />
berufsständischen Versorgungswerkes Gebrauch machen.<br />
Alle Anwälte bleiben aufgerufen, die Bemühungen um<br />
das Zustandekommen der Versorgungswerke in ihrem eigenen<br />
Interesse und im Interesse der künftigen Anwaltsgenerationen<br />
zu unterstützen“ 99 .<br />
3. Das Versorgungswerk der Rechtsanwaltskammer des<br />
Saarlandes paßte durch Satzungsänderung das schon lange<br />
bestehende Versorgungswerk am 15.10.1983 den neuen Vorgaben<br />
des AVG an 100 ; es wurde in ein Vollversorgungswerk<br />
umgewandelt 101 ,<br />
4. Die Bayerische Rechtsanwaltsversorgung entstand<br />
durch Gesetz vom 20.12.1983 102 ,<br />
5. Die Rechtsanwaltsversorgung in Schleswig-Holstein<br />
entstand durch Gesetz vom 3.9.1984 103 ,<br />
6. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Lande<br />
Nordrhein/Westfalen 104 entstand durch Gesetz vom<br />
6.11.1984 105 ,<br />
7. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Baden-<br />
Württemberg 106 , 107 entstand durch Gesetz vom 20.12.1984 für<br />
die vier Baden-Württembergischen Rechtsanwaltskammern 108 ,<br />
8. Die Rheinland-Pfälzische Rechtsanwaltsversorgung<br />
entstand durch Gesetz vom 29.1.1985 109 für die beiden<br />
Rheinland/Pfälzischen Rechtsanwaltskammern 110 ,<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
9. Da inzwischen im Mai 1984 die Urabstimmung unter<br />
den Berliner Anwälten 111 negativ verlaufen war, ebenso<br />
1985 für die Bremer und Hamburger Anwälte, blieb – vor<br />
der Wiedervereinigung – nur noch das Land Hessen übrig.<br />
Es gelang auch dort schließlich zum Jahresende 1987, gegen<br />
alle politischen Widerstände das Versorgungswerk der<br />
Rechtsanwälte im Lande Hessen durchzusetzen 112 .<br />
Damit war für die Anwaltschaft die erste Stufe erreicht:<br />
die Versorgungseinrichtungen waren (von den ablehnenden<br />
Stadtstaaten abgesehen) durchweg auf Grund durchgeführter<br />
Urabstimmungen 113 in der alten Bundesrepublik flächendeckend<br />
etabliert. Bei den Gründungsarbeiten vor Ort haben<br />
sich die jeweiligen Rechtsanwaltskammern in<br />
vorbildlicher Weise engagiert.<br />
14. Der Einigungsvertrag<br />
Am 18.5.1990 wurde der Vertrag über die Schaffung einer<br />
Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der<br />
BRD und der DDR geschlossen. Dessen Art. 18 Abs. III<br />
sah für die DDR vor, daß die Errichtung berufsständischer<br />
Versorgungswerke außerhalb der Rentenversicherung möglich<br />
werden sollten. Das war durchaus nicht selbstverständlich,<br />
sondern das Ergebnis vielfältiger Bemühungen auf politischer<br />
Ebene 114 . So hatten z. B. der Bundesvorstand des<br />
95 Die Gründer waren sich der Pilotwirkung durchaus bewußt. Siehe Diethart<br />
Heinemann, Versorgungswerke der Kammer: Rechtsanwaltsversorgung Niedersachsen,<br />
BRAK-Mitt 82, 94; Ulrich Kirchhoff, aaO., S. 175.<br />
96 Gesetz vom 14.3.1982, NdS. GVBl. 1982, 65.<br />
97 Promotoren der niedersächsischen Initialzündung waren – was die Anwaltschaft<br />
nicht vergessen sollte – die Rechtsanwälte Ulrich Stobbe (Vorsitzender<br />
des zuständigen Landesverbands), Diethart Heinemann (Geschäftsführer der<br />
zuständigen Rechtsanwaltskammer), Ulrich Kirchhoff (Hauptgeschäftsführer<br />
der Ärzteversorgung Niedersachsen) und Hans-Hermann Reusch (Geschäftsführer<br />
des Dachverbandes ABV und Mitglied der Sachverständigenkommission<br />
Alterssicherungssysteme).<br />
98 AnwBl 1983, 256.<br />
99 Es gab einen DAV-Ausschuß „Versorgungswerke“, dem die Kollegen Bernd<br />
Bürglen, Heinz Eicher, Hans Kaiser, Hermann Plagemann, Eckhard Simon,<br />
Hans-Jürgen Sterner, Ulrich Stobbe und Erhard Senninger angehörten.<br />
100 Satzung vom 15.10.1983, Saarl. Amtsblatt 1983, 834.<br />
101 BRAK-Mitt. 1983, 166.<br />
102 Gesetz vom 20.12.1983, Bay. GVBl. 1983, 1099.<br />
103 Gesetz vom 3.9.1984, Schl.-H. GVBl. 1984, 159.<br />
104 Hierzu Peter Thümmel, Tätigkeitsbericht des Kölner <strong>Anwaltverein</strong>s, in „100<br />
Jahre Kölner <strong>Anwaltverein</strong>“ 1987 (ISBN 3-923167-06-7) S. 245.<br />
105 Gesetz vom 6.11.1984, NRW. GVBl. Nr. 62 vom 29.11.1984.<br />
106 Siehe hierzu Hans Kaiser in INFO 13 des Versorgungswerks der Rechtsanwälte<br />
in Baden-Württemberg, sowie dessen unveröffentlichter Vortrag vom<br />
24.4.1982 vor der Kammerversammlung in Mannheim (Maschinenschriftliches<br />
Manuskript).<br />
107 Siehe auch die Erwähnung in Schlußabsatz des Buches von Karl Otto Scherner,<br />
Advokaten, Revolutionäre, Anwälte, Die Geschichte der Mannheimer<br />
Anwaltschaft, Sigmaringen 1997, S. 344. Das Buch enthält eindrucksvolle<br />
Schilderungen der lokalen Anwaltschaft im vorigen Jahrhundert.<br />
108 Gesetz vom 10.12.1984, BadWttb. GBl. 1984, 671.<br />
109 Gesetz vom 29.1.1985, Rh-Pf. GVBl. 1985, 37.<br />
110 Der Präsident des DAV, Ludwig Koch, hatte an den Justizminister in Mainz,<br />
Herrn Prof. Dr. Bickel am 2. Oktober 1984 geschrieben: „Die auch von uns<br />
befürwortete gesetzliche Pflichtmitgliedschaft in den Versorgungswerken<br />
bringt keine Einschränkung der Freiheit der Advokatur mit sich. Im Gegenteil:<br />
sie gewährleistet eine gewisse Sicherheit in der Berufsausübung und<br />
gestattet älteren Kollegen, sich rechtzeitig zurückzuziehen (und damit auch<br />
der großen Zahl jüngerer Kollegen Platz zu machen). Für die Rechtspflege<br />
allgemein dürfte es von Vorteil sein, wenn eines ihrer Organe, nämlich die<br />
Anwaltschaft, in der Gewißheit einer einigermaßen angemessenen Altersversorgung<br />
ihre Pflichten erfüllen kann“. Das Schreiben ist bei Karl Eichele<br />
aaO. zitiert.<br />
111 Berliner AnwBl 1984, 120.<br />
112 Gesetz vom 16.12.1987, Hess. GVBl. 1987 I, 232.<br />
113 Baden-Württemberg BRAK-Mitt. 1983, 62, 166 und 1984, 172; Bayern<br />
BRAK-Mitt. 1983, 62 und 1984, 9; Hessen BRAK-Mitt. 1984, 102, 172 und<br />
1986, 46; Niedersachsen BRAK-Mitt. 1982, 95; Nordrhein-Westfalen BRAK-<br />
Mitt. 1984, 14; Schleswig-Holstein BRAK-Mitt. 1985, 18 und 1986, 172.<br />
114 Siehe z. B. Hans Hermann Reusch, Versorgungswerke auch in der DDR?<br />
Deutsches Ärzteblatt 1987, Seite D-449.
AnwBl 11/98 565<br />
Aufsätze l<br />
DGB und der Sprecherrat der Gewerkschaften der DDR in<br />
einer Stellungnahme vom 15.5.1990 heftig dagegen Stellung<br />
bezogen. Rudolf Dreßler hatte am 20.2.1990 die Beibehaltung<br />
der Versicherungspflicht der Selbständigen in<br />
den neuen Bundesländern empfohlen. Am 28.6.1990 wurde<br />
von der Volkskammer ein „Gesetz über die<br />
Sozialversicherung – SVG“ in das Gesetzblatt der noch bestehenden<br />
DDR gebracht, welches eine klare Sperrnorm gegen<br />
die Errichtung freiberuflicher Versorgungswerke in der<br />
DDR dadurch bedeutete, daß es ein Befreiungsrecht von<br />
der Rentenversicherung nur für Selbständige statuierte. Der<br />
Einigungsvertrag vom 31.8.1990 sah in Artikel 8 aber dann<br />
die Überleitung von Bundesrecht auf das Beitrittsgebiet<br />
vor, damit auch die wichtige Bestimmung des § 6 SGB VI.<br />
Sie sollte nach dem vor der Wiedervereinigung schon verkündeten<br />
Rentenreformgesetz 1992 115 vom 18.12.1989 am<br />
1.1.1992 (in den alten Bundesländern) in Kraft treten, erlangte<br />
mit Absatz 1, Nr. 1 und Absätzen 2 bis 5 in den neuen<br />
Bundesländern schon mit dem Beitritt Wirkung in den<br />
neuen Bundesländern 116 . Da die Kompetenzen der neuen<br />
Bundesländer denen der alten Bundesländer entsprachen,<br />
waren mit dem Einigungsvertrag die gesetzlichen Voraussetzungen<br />
für die Gründung von Berufsständischen Versorgungswerken<br />
auch in den neuen Bundesländern – unter<br />
Einschluß der Angestellten – geschaffen. Die Heilberufe<br />
sind auch hier vorangegangen und haben binnen Kürze flächendeckend<br />
gewirkt.<br />
15. Die zweite Gründungswelle<br />
Der Vorstand des DAV kam am 8.10.1993 auf seiner Sitzung<br />
in Rostock 117 auf seine frühere Empfehlung wie folgt<br />
zurück:<br />
„Die Berechtigung dieser Empfehlung ist durch Bestand<br />
und Erfolg der in den letzten 10 Jahren gegründeten sieben<br />
Rechtsanwaltsversorgungswerke bestätigt. Sie sind zu einem<br />
festen Bestandteil der Anwaltsschaft geworden. ... Im Hinblick<br />
auf die Anstrengungen, nun auch in den neuen Bundesländern<br />
Rechtsanwaltsversorgungswerke auf landesgesetzlicher<br />
Grundlage zu errichten, wird diese Empfehlung<br />
heute wiederholt und bekräftigt. Alle Kolleginnen und Kollegen<br />
bleiben aufgerufen, die Berufständische Versorgung der<br />
Rechtsanwälte durch Aufbau auch in den neuen Bundesländern<br />
zu vollenden und damit zur Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse<br />
in ganz Deutschland beizutragen“.<br />
Die Rechtsanwälte wurden in den neuen Bundesländern<br />
aktiv 118 :<br />
1. Zum Jahresende 1993 wurde das Gesetz über das Versorgungswerk<br />
der Rechtsanwälte in Mecklenburg-Vorpommern<br />
verabschiedet 119 ,<br />
2. Zur selben Zeit kam auch das Gesetz über die Errichtung<br />
des Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Sachsen-<br />
Anhalt zustande 120 ,<br />
3. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Freistaat<br />
Sachsen folgte zur Jahresmitte 1994 121 ,<br />
4. Das Versorgungswerk der Rechtsanwälte im Land<br />
Brandenburg geht auf ein Gesetz vom Jahresende 1995 zurück<br />
122 ,<br />
5. Das Thüringer Gesetz über das Versorgungswerk der<br />
Rechtsanwälte wurde am 31.5.1996 beschlossen 123 .<br />
Dieser Fortschritt blieb nicht ohne Rückwirkungen auf<br />
die bisher reservierte Haltung der Stadtstaaten.<br />
1. Nach langen und zähen Diskussionen hat die Kammerversammlung<br />
Berlin am 3.3.1994 einen überwältigen-<br />
den Mehrheitsbeschluß zugunsten eines Versorgungswerks<br />
zustande gebracht. Das ebenso zähe Gesetzgebungsverfahren<br />
im Berliner Abgeordnetenhaus ist im Februar 1998 abgeschlossen<br />
worden 124 .<br />
2. Am 17.9.1997 kam das Gesetz über die Rechtsanwaltsversorgung<br />
in der Freien Hansestadt Bremen (Hanseatische<br />
Rechtsanwaltsversorgung) zustande 125 . Die Satzung<br />
ist rechtzeitig vor Jahresende beschlossen und in Kraft gesetzt<br />
worden, so daß die Arbeit zum Jahresbeginn 1998<br />
aufgenommen werden konnte.<br />
Damit erreicht die Anwaltschaft nun ein Stadium, welches<br />
im Bereich der Heilberufe bereits seit längerem selbstverständlich<br />
ist: die berufsständische Versorgung ist auch<br />
für ihren Beruf flächendeckend etabliert. Es steht – sofern<br />
die Urabstimmung in Sachsen-Anhalt noch abgeschlossen<br />
werden kann – dann nur noch Hamburg beiseite; eine Ironie<br />
der Geschichte, wenn man den oben dargestellten Beitrag<br />
Hamburgs zur Diskussion in den zwanziger Jahren dieses<br />
Jahrhunderts bedenkt 126 , 127 .<br />
16. Die Friedensgrenze<br />
Ein schwelendes Problem der Vergangenheit ist die Behandlung<br />
der abhängig Beschäftigten gewesen. Angestellte<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind ja sowohl (Kraft<br />
ihres Berufs durch Kammerzulassung) Mitglied ihres Versorgungswerks<br />
und zugleich (als abhängig Beschäftigte) nach §<br />
1Abs.1,Ziff.1SGBVIMitgliedderBfA.Zwarkönnensie<br />
sichnach§6SGBVIvonderBfAbefreienlassen.Wasgeschieht<br />
aber nach Rückgabe der Anwaltszulassung – und<br />
wie war zu verfahren, wenn sich andere, neue Berufsgrup-<br />
115 BGBl. I S. 2261.<br />
116 Anlage 1 zum Einigungsvertrag, Besondere Bestimmungen zur Überleitung<br />
von Bundesrecht, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt III, Ziffer 1 b.<br />
117 AnwBl 1994, 235.<br />
118 In diesem Zusammenhang sollte die Anwaltschaft ebenfalls nicht vergessen,<br />
daß sie den Aufbau in den neuen Bundesländern der Mithilfe vieler Kolleginnen<br />
und Kollegen aus den Vorständen der etablierten Versorgungswerke, vor<br />
allem aber dem unermüdlichen Einsatz des jetzigen Hauptgeschäftsführers<br />
der ABV, Michael Jung, verdankt.<br />
119 Gesetz vom 14.12.1993, GVOBl. M-V, 1994, 6.<br />
120 Gesetz vom 13.12.1993, SachsAnh. GVBl. 1993, 761. Dieses Gesetz bestimmt<br />
allerdings in § 18 Abs. 4: „Die Beschlußfassung über die Satzung bedarf<br />
zu ihrer Wirksamkeit der Bestätigung durch zwei Drittel der Rechtsanwälte,<br />
die Pflichtmitglieder des Versorgungswerks werden sollen“. Das<br />
bedeutet die Anordnung einer nachträglichen (zeitlich nicht begrenzten) Urabstimmung.<br />
Da die Zulassungszahlen ständig zunehmen, läuft die Anwaltschaft<br />
von Sachsen-Anhalt der notwendigen Mehrheit derzeit buchstäblich<br />
wie der Hase dem Igel hinterher. Es besteht aber Hoffnung, daß diese Mehrheit<br />
demnächst zustande kommen wird. Sehr sinnvoll erscheint die gesetzliche<br />
Regelung nicht.<br />
121 Gesetz vom 16.6.1994, Sächs. GVBl. 1994, 1107.<br />
122 Gesetz vom 4.12.1995, Bbg. GVBl. I,1995, 266.<br />
123 Gesetz vom 31.5.1996, Thür. GVObl. 1996, 70.<br />
124 Gesetz vom 7.2.1998, Berl. GuVoBl. 1998 Nr. 3.<br />
125 Gesetz vom 17.9.1997, Brem. GBl. 1997, 329.<br />
126 Die Einführung eines Versorgungswerks ist in Hamburg anläßlich einer Urabstimmung<br />
im Oktober 1994 mit Mehrheit erneut abgelehnt worden. Hierbei<br />
spielte die Lebensversicherungswirtschaft eine nicht unbedeutende Rolle. Die<br />
Prophezeiung von Ostler zur Entscheidung von 1924 (siehe obige Fußnoten<br />
27 und 28) wirkt noch heute. Der Vorgang dokumentiert andererseits deutlich,<br />
daß es vom Willen der regionalen Berufsstände abhängt, ob sie eine entsprechende<br />
Einrichtung wollen oder nicht.<br />
127 Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, daß die ca. 30 Rechtsanwälte<br />
am Bundesgerichtshof bisher ebenfalls noch keiner Versicherungspflicht in<br />
einem Berufsständischen Versorgungswerk unterliegen. Sie hatten bei Gründung<br />
des Versorgungswerk in Baden-Württemberg nicht teilnehmen wollen.<br />
Es waren teilweise Bemühungen im Gange, ihre Teilnahme an diesem Versorgungswerk<br />
doch noch zu ermöglichen. Allerdings handelt es sich insoweit<br />
nur um ein Problem am Rande: wer BGH-Anwalt wird, ist schon längere<br />
Zeit Rechtsanwalt und damit Mitglied im Versorgungswerk seines Herkunftslandes<br />
gewesen. Dort kann er die Mitgliedschaft ohnehin fortsetzen. Auf die<br />
Dauer werden deswegen auch die meisten BGH-Anwälte als fortgesetzte<br />
Mitglieder aus ihren Herkunftsländern in der Berufsständischen Versorgung<br />
sein.
566<br />
l<br />
pen aufmachen würden, Versorgungswerke zu gründen? Hier<br />
hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.1996 eine “Friedensgrenze<br />
gezogen, welche die Verhältnisse nun klarstellt<br />
128 . Die Einzelheiten sind andernorts schon dargestellt<br />
worden 129 . Dort wird in der Zusammenfassung von einem<br />
„verfassungsfesten Kompromiß“ gesprochen, der „einerseits<br />
eine fortschreitende Herauslösung immer neuer Berufsgruppen<br />
aus der gesetzlichen Rentenversicherung verhindert, andererseits<br />
aber auch die Existenz von Versorgungswerken<br />
der klassischen Freien Berufe sichert“ 130 .<br />
Die Friedensgrenze besteht in einer Schärfung der tatbestandlichen<br />
Voraussetzungen des grundlegenden § 6<br />
Abs. 1 und 5 SGB VI 131 . Sie bedeutet den Schlußstein der<br />
Anerkennung der länderbezogenen Berufständischen Versorgung<br />
durch den Bundesgesetzgeber. Die Anwaltsversorgungswerke<br />
sind damit endgültig in ihrer Eigenschaft als<br />
Einrichtungen “sui generis etabliert und in ihrem Fortbestand<br />
gesichert 132 .<br />
17. Folgerungen<br />
Aus dieser Darstellung ergibt sich:<br />
a) berufsständische Versorgungseinrichtungen sind keine<br />
Eintagsfliegen. Hier ist ein seit bald 200 Jahren wirksamer<br />
Gedanke umgesetzt.<br />
b) Streit um Pflichtmitgliedschaft ist nutzlos. Die Diskussion<br />
ist schon im vorigen Jahrhundert ausgestanden worden<br />
– sie ist in jedem Fall aber durch die verfassungsgerichtliche<br />
Rechtsprechung Ende der fünfziger, Anfang<br />
sechziger Jahre erledigt. Freier Beruf und Pflichtmitgliedschaft<br />
widersprechen sich dann nicht, wenn es sich um eine<br />
eigene Einrichtung des Berufsstandes handelt.<br />
c) Der Konflikt mit den Lebensversicherungen hat Tradition.<br />
Die bei allen Gründungsbemühungen bis in die<br />
jüngste Zeit von dort aufgebauten Hindernisse sind im<br />
wesentlichen überwunden 133 . Fortschrittliche Gesellschaften<br />
der privaten Lebensversicherungswirtschaft haben längst erkannt,<br />
daß ein fruchtbares Nebeneinander der unterschiedlichen<br />
Sicherungssyssteme den Interessen der vorsorgenden<br />
Rechtsanwälte am ehesten gerecht wird.<br />
d) Die Anwaltschaft wäre bereit gewesen, eine bundeseinheitliche<br />
Regelung zustande zu bringen. Der Gesetzgeber<br />
des Bundes hat sie verweigert und auch die Anwälte<br />
bei der großen Rentenreform vom Tisch der damals Beglückten<br />
gewiesen. Berufsständische Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />
auf Landesebene gibt es, weil der Bundesgesetzgeber<br />
die Rechtsanwälte (mit den anderen Freien<br />
Berufen) erst nicht den Zutritt zur allgemeinen Rentenversicherung<br />
gestattete und sich dann einem eigenen Rechtsanwaltsversicherungsgesetz<br />
verweigerte.<br />
e) Die lang gehegte Hoffnung, daß – insbesondere wegen<br />
des jeweiligen Uraltbestandes, der ja keine Beiträge<br />
mehr bezahlen konnte – wie bei anderen Berufsgruppen<br />
(Landwirte!) eine staatliche Hilfe erwartet werden könne,<br />
ist in einem schmerzhaften Prozeß enttäuscht worden. Viele<br />
der älteren Kolleginnen und Kollegen, die unermüdlich gekämpft<br />
haben, sind selbst nicht mehr in den Genuß der berufsständischen<br />
Versorgung gekommen. Ihnen sollte der<br />
Dank der Jüngeren gelten.<br />
f) Es lohnt sich auch für Juristen, über Finanzierungsverfahren<br />
der sozialen Sicherheit nachzudenken. Was heute in<br />
vielfältigen Reformvorschlägen für die gesetzliche Rentenversicherung<br />
propagiert wird, ist bei den Versorgungswerken<br />
längst verwirklicht. Die Versorgungswerke der Anwalt-<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
schaft sind nach dem offenen Deckungsplanverfahren mit<br />
Ausnahme Bayerns organisiert, wo ein modifiziertes Anwartschaftsdeckungsverfahren<br />
Anwendung findet. Gemeinsam<br />
ist allen der hohe Anteil der Kapitaldeckung 134 .<br />
g) Es entspricht heute der inneren Kraft und dem Selbstverständnis<br />
der Anwaltschaft wie aller freien Berufe, daß die<br />
Bewältigung der eigenen Probleme letztlich ohne staatlich finanzielle<br />
Hilfe möglich und verwirklicht ist. Bestand kann<br />
diese Feststellung nur haben, wenn – bei Beibehaltung der<br />
Flexibilität und Vielfältigkeit des Systems – die Beschränkung<br />
auf den Kernbereich der Risiken des Freien Berufs erhalten<br />
und nicht durch wahllose Übernahme von aus anderen<br />
Systemen bekannten „Segnungen“ geschwächt wird.<br />
h) Der Bundesgesetzgeber selbst hat die Versorgungswerke<br />
inzwischen durch zahlreiche bundesgesetzliche Einpassungsvorschriften<br />
und insbesondere die wiederholte Bestätigung<br />
und Konkretisierung der Befreiungsvorschrift des<br />
§ 6 SGB VI als Magna Charta der Versorgungswerke bestätigt.<br />
Das geschah schließlich und endgültig durch die erst<br />
vor kurzem erfolgte endgültige Ziehung der „Friedensgrenze“<br />
zur gesetzlichen Rentenversicherung.<br />
Vor diesem sind die Rechtsanwaltsversorgungswerke<br />
konsolidiert. Neben Rechtsanwaltskammern und Anwaltsvereinen<br />
existieren (neben der saarländischen Kammereinrichtung)<br />
in Deutschland weitere 15 ausschließlich von Anwälten<br />
verwaltete Körperschaften des öffentlichen Rechts!<br />
Die deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte können<br />
stolz darauf sein, in den letzten zwei Jahrzehnten erreicht<br />
zu haben, was ihre Väter seit wenigstens eineinhalb<br />
Jahrhunderten ersehnt haben: ein selbstverwaltetes, selbstfinanziertes<br />
und staatsunabhängiges Instrument, welches<br />
bei der Vorsorge für Alter, Hinterbliebene und Invalidität<br />
europaweit keinen Vergleich zu scheuen braucht. Es besteht<br />
für die Versorgungswerke und ihre inzwischen über 60000<br />
Mitglieder 135 deswegen kein Anlaß, mit Pessimismus in die<br />
Zukunft zu schauen. Die Kenntnis dieser Zusammenhänge<br />
hat bei der heute umfassenden sozialpolitischen Diskussion<br />
hochaktuellen Bezug.<br />
128 Gesetz vom 15.12.1995 (BGBl. I. 1824).<br />
129 Thomas Mann, Die Friedensgrenze zwischen Anwaltsversorgung und gesetzlicher<br />
Rentenversicherung, NJW 1996, S. 1315 ff.<br />
130 Thomas Mann, aaO., S. 1320.<br />
131 Und der damit zusammenhängenden Übergangsvorschrift des § 231 SGB VI.<br />
132 Deswegen würde ein Vorhaben, die angestellten Rechtsanwälte aus den Versorgungswerken<br />
herauszulösen, um der gesetzlichen Rentenversicherung weitere<br />
Beitragszahler zuzuführen, einen schweren Verstoß gegen das vom Gesetzgeber<br />
geschaffene Vertrauen bedeuten. Ebenso kurzsichtig ist es, ohne<br />
weiteres Nachdenken Rechtsinstitute (wie z. B. Kindererziehungszeiten), die<br />
in der gesetzlichen Rentenversicherung eingeführt sind, nun kritiklos zur<br />
nachträglichen Einführung auch bei den Versorgungswerken zu fordern. Daß<br />
in Niedersachsen ( § 14 Abs. 3 d der Satzung), Hessen (§ 17 Abs. 4 b der Satzung)<br />
und Bremen (§ 14 Abs. 3 Ziffer 4 der Satzung) jeweils bei Gründung<br />
des betreffenden Versorgungswerks eingeführt worden sind, ändert daran<br />
nichts. Dieser Umstand dokumentiert lediglich die Satzungsautonomie. Das<br />
heute hochaktuelle Streitthema bedarf gesonderter Bearbeitung.<br />
133 Es sei hier angefügt, daß bei den derzeit laufenden Gründungsbemühungen<br />
von Versorgungswerken der Steuerberater massive Widerstände der privaten<br />
Lebensversicherungswirtschaft unter Einsatz professioneller Werbekampagnen<br />
zu beobachten sind. Der Dachverband der Versorgungswerke (ABV in<br />
Köln) hat sich deswegen veranlaßt gesehen, mit publizistischen Mitteln dagegen<br />
vorzugehen.<br />
134 Zu den Finanzierungsverfahren: Peter Thullen, Mathematische Methoden der<br />
Sozialen Sicherheit, Karlsruhe 1977.<br />
135 Zum Jahresende 1997 waren in Deutschland etwas mehr als 91 700 Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte zugelassen. Daß sie nicht alle Mitglieder der<br />
Versorgungswerke sind, liegt am noch jugendlichen Alter der Rechtsanwaltsversorgungswerke.<br />
Der Gründungsbestand hatte kein Teilnahmerecht (wenn<br />
über 60 Jahre alt) oder konnte Befreiungsrechte in Anspruch nehmen (wenn<br />
über 45 Jahre alt ). Jeder heute neu zugelassene junge Anwalt wird (außer in<br />
Hamburg und beim BGH – in Berlin und Sachsen-Anhalt erst, wenn die<br />
Rechtsgrundlagen komplettiert sein werden) Mitglied eines Versorgungswerks.
AnwBl 11/98 567<br />
Aufsätze l<br />
Die Absprache im<br />
Strafverfahren<br />
– Blickwinkel: das materielle Strafrecht –<br />
Assessor Stefan Braun, Backnang<br />
Absprachen oder Deals oder wie immer man informelle<br />
Erledigungen im Strafverfahren, bei denen insbesondere<br />
die professionellen Akteure verfahrensrelevante Umstände<br />
(bes. Verfahrensergebnisse) „aushandeln“, auch bezeichnen<br />
möchte, werfen eine Vielzahl von Problemen auf.<br />
Diese sind hauptsächlich im Bereich des Strafverfahrensrechts<br />
angesiedelt und haben die Diskussion insbesondere<br />
zum Ende der 80iger und Beginn der 90iger Jahre beschäftigt.<br />
Auch der 58. DJT 1990 hatte sich mit dieser<br />
Problematik befaßt.<br />
Zu diesen strafprozessualen Problemstellungen existiert<br />
eine beachtliche Anzahl von entsprechenden Fachbeiträgen<br />
auf die an dieser Stelle verwiesen werden muß. 1<br />
Nur vereinzelt finden sich dagegen Beiträge, die sich<br />
mit den Deals unter dem Gesichtspunkt des materiellen<br />
Strafrechts befassen. Jedoch bestehen auch hierzu Beziehungspunkte.<br />
Auch das BVerfG hat in seiner zentralen Entscheidung<br />
zum Absprachebereich vom 21.7.1987 (2 BvR<br />
1133/86) 2 u. a. ausgeführt, daß einer Verständigung zwischen<br />
Gericht und Verfahrensbeteiligten auch schon durch<br />
das Strafrecht Grenzen gesetzt sind. Näher ausgeführt wurde<br />
dies jedoch nicht.<br />
Daß diese materiell-rechtlichen Problemstellungen kaum<br />
auftauchen liegt auch an den spezifischen Fallgestaltungen,<br />
auf die noch näher einzugehen sein wird.<br />
Gleichwohl können solche Probleme durchaus relevant<br />
werden. Daher soll im folgenden nun eine etwas nähere<br />
Betrachtung der Normen erfolgen, die durch die Dealpraxis<br />
verletzt oder tangiert werden können:<br />
a.) in bezug auf die Amtsträger:<br />
aa) § 336 StGB (Rechtsbeugung)<br />
(1.) Nach § 336 StGB wird u. a. ein Richter oder anderer<br />
Amtsträger, der dienstlich mit der Leitung oder Entscheidung<br />
einer Rechtssache betraut ist, bestraft, wenn er<br />
sich dabei einer Beugung des Rechts zugunsten oder zum<br />
Nachteil einer Partei schuldig macht. Dabei umfaßt der Begriff<br />
einer Rechtssache insbesondere auch die von einem<br />
Gericht zu entscheidenden Strafsachen. 3 Unter den Begriff<br />
der „anderen Amtsträger“ fallen in diesem Zusammenhang<br />
auch die Schöffen 4 sowie der Staatsanwalt, da dieser eine<br />
Strafsache leitet, solange sie in seinen Händen liegt. 5 So<br />
kann ein Staatsanwalt beispielsweise eine Rechtsbeugung<br />
als Leiter des Ermittlungsverfahrens 6 bezüglich eigenverantwortlicher<br />
Entscheidungen etwa im Bereich der §§ 153,<br />
170 II StPO, 45 JGG begehen 7 womit der hier in Betracht<br />
kommende Bereich in zeitlicher Hinsicht über die Hauptverhandlung<br />
hinaus ausgedehnt wird und sich damit auf<br />
den gesamten Absprachebereich erstreckt. 8<br />
(2.) Zentrale Frage ist nun, ob durch eine Absprache,<br />
insbesondere durch die der Angeklagte/Beschuldigte eine<br />
geringere Strafe als ohne die Absprache oder gar, bei Ablehnung<br />
der Verständigung, eine höhere Strafe als die „normale<br />
Strafe“ erhält, das Tatbestandsmerkmal der „Beugung<br />
des Rechts“ erfüllt wird.<br />
Da § 336 StGB im Bereich des Tatbestandsmerkmals<br />
des „Rechts“ nicht nur das materielle, sondern auch prozessuales<br />
Recht umfaßt, 9 sind darüber hinaus aber auch noch<br />
weitere Fallkonstellationen, die zu keiner anderen als der<br />
„normalen Strafe“ führen, aber sonstige Normen verletzen,<br />
denkbar.<br />
Weiterhin ist eine Rechtsbeugung auch im Bereich der<br />
Ermessensentscheidungen in Form des Ermessensmißbrauchs<br />
möglich, 10 was hier insbesondere Auswirkungen im<br />
Bereich der Strafzumessung 11 haben könnte.<br />
(3.) Das Recht ist gebeugt, wenn eine Entscheidung ergeht,<br />
die im Widerspruch zu Recht und Gesetz steht. 12 Dies<br />
kommt insbesondere in Betracht bei Sachverhaltsverfälschungen,<br />
13 falscher Rechtsanwendung, 14 Verfügung einer<br />
gesetzlich nicht vorgesehenen Maßnahme 15 sowie auch bei<br />
Unterlassungen, z. B. der Nichtstellung sachgemäßer Fragen.<br />
16 Dabei ist umstritten, ob das Vorliegen einer Rechtsbeugung<br />
insoweit objektiv, subjektiv oder unter Rückgriff<br />
auf die Pflichten des Amtsträgers zu bestimmen ist. 17<br />
Nach der subjektiven Theorie ist das Recht nur dann gebeugt,<br />
wenn die Rechtsanwendung in bewußtem Widerspruch<br />
zur Überzeugung des Amtsträgers steht. 18 Wäre danach<br />
ein Amtsträger von der Rechtmäßigkeit einer<br />
Absprache überzeugt, etwa weil er sich mit dem Befund begnügt,<br />
die Einzelergebnisse seien von der Aktenlage gedeckt,<br />
19 käme eine entsprechende Strafbarkeit hier nicht in<br />
Betracht. Dieser Ansicht steht jedoch entgegen, daß ein<br />
Amtsträger nicht schon deshalb „pflichtgemäß“ handelt,<br />
weil er von der Richtigkeit seiner Auffassung überzeugt ist.<br />
Maßgebend ist vielmehr, wie er zu dieser Überzeugung ge-<br />
1 Vgl. dazu z. B. (je m. w. N.): Denker/Hamm, Der Vergleich im Strafprozeß;<br />
Schünemann, Gutachten zum 58. DJT, 1990; Kremer, Absprachen zwischen<br />
Gericht und Verfahrensbeteiligten im Strafprozeß; Schmidt-Hieber, Verständigung<br />
im Strafverfahren; Rönnau, Die Absprache im Strafprozeß; Siolek, Verständigung<br />
in der Hauptverhandlung; Schumann, Der Handel mit Gerechtigkeit;<br />
Gerlach, Absprachen im Strafverfahren.<br />
2 BVerfGE NStZ 1987, 419 f. = Wistra 87, 134 ff. = DRIZ 87, 196 ff.<br />
3 Sch/Schr.-Cramer § 336 Rdnr. 3.<br />
4 Dreher/Tröndle. § 336 Rdnr. 4.<br />
5 BGHSt 12, 193; Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 4.<br />
6 Wessels, StrR B T 1, § 26 I; BGHSt. 32, 357; Sch/Sch-Cramer; § 336 Rdnr. 9.<br />
7 Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 4.<br />
8 Vgl. Schünemann, Gutachten 8 131/132.<br />
9 Dähn, StGB § 336, 3; Blei, Strafrecht II B T § 112 II; Welzel, Strafrecht<br />
S. 544; Wessels B T § 16 II 2.<br />
10 BGH NJW 71, 571; BGHSt. 3, 110/4, 66/10,300.<br />
11 Wessels BT 1 § 26 II 2; OGHSt 2, 29; Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 5.<br />
12 Sch/Sch-Cramer; § 336 Rdnr. 5 a.<br />
13 BGH NJW 60, 253.<br />
14 Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 5; Sch/Sch-Cramer, § 336 Rdnr. 4.<br />
15 BGHSt. 32 359.<br />
16 Sch/Sch aaO; Dreher/Tröndle aaO.<br />
17 Wessels, StrR B t 1, § 26 II 2.<br />
18 Wessels aaO m. w. N.<br />
19 Schünemann, Gutachten B 133.
568<br />
l<br />
langt ist 20 Ansonsten könnte jeder Amtsträger durch dieses<br />
subjektive Argument seine Strafbarkeit in diesem Bereich<br />
ausschließen. Daher ist die subjektive Theorie abzulehnen.<br />
Die herrschende objektive Theorie stellt dagegen darauf<br />
ab, ob die in Frage stehende Entscheidung Recht und Gesetz<br />
in objektiver Weise widerspricht. 21 Dabei ist eine objektive<br />
fehlerhafte Rechtsanwendung aber nur zu bejahen,<br />
wenn die Auffassung des Amtsträgers eindeutig nicht einmal<br />
mehr vertretbar erscheint. 22<br />
Auch die Pflichtverletzungstheorie, nach der der Tatbestand<br />
bei mehrdeutigen Rechtsnormen dann erfüllt ist,<br />
wenn die Entscheidung trotz vertretbaren Ergebnisses aufgrund<br />
sachfremder Erwägungen getroffen wurde, fordert,<br />
daß diese Erwägungen leicht identifizierbar sein müssen. 23<br />
Fraglich ist nun, ob die Absprachen diese Voraussetzungen<br />
erfüllen. Dies kann pauschal nicht beantwortet werden,<br />
weil Absprachen in einer Vielzahl von Schattierungen und<br />
in großer Bandbreite anzutreffen sind.<br />
Greift man aus der Fülle der unterschiedlichen strafprozessualen<br />
Absprachen einige typische Fälle heraus, so ergibt<br />
sich folgendes Bild:<br />
In dem Fall, daß das Gericht nicht seiner Aufklärungspflicht<br />
genügt, sondern ein „schlankes Geständnis“ als Verurteilungsgrundlage<br />
ausreichen läßt, verletzt der Amtsträger<br />
die sich für ihn aus der Verfahrensordnung ergebenden<br />
Pflichten indem, er unter Verstoß gegen das Verfahrensrecht<br />
bestimmte Beweise nicht erhebt oder verwertet. 24 Gerade<br />
also der Prototyp einer Absprache, nämlich die Einräumung<br />
einer Strafmilderung als Gegenleistung für ein verfahrensabkürzendes<br />
Geständnis beruht somit auf einem Verstoß gegen<br />
die gerichtliche Aufklärungspflicht und erfüllt somit dieses<br />
Merkmal des objektiven Tatbestandes der Rechtsbeugung. 25<br />
Gleiches gilt für den Fall der Herabstufung eines Delikts<br />
von einem Verbrechen zu einem Vergehen, um das Verfahren<br />
dann wegen Geringfügigkeit nach § 153a StPO einstellen zu<br />
können. 26 Da eine Rechtsbeugung auch durch Ermessensmißbrauch<br />
beispielsweise im Bereich der Strafzumessung<br />
möglich ist, 27 ist der Tatbestand des § 336 StGB diesbezüglich<br />
auch dort erfüllt, wo die Einräumung eines Strafrabatts<br />
primär auf prozeßökonomischen Erwägungen beruht und<br />
nicht mehr auf der Überlegung, den Täter zu einer schuldangemessenen<br />
Strafe zu verurteilen. 28<br />
Schließlich soll auch noch der Fall der Einstellung wegen<br />
Geringfügigkeit gemäß § 153 a StPO an sich erwähnt<br />
werden. Die starke Überdehung die diese Vorschrift in der<br />
Praxis erfahren hat, 29 indem bei keineswegs geringer<br />
Schuld und gegebenenfalls vorliegendem öffentlichen Interesse<br />
dennoch das Verfahren zum Vorteil des Beschuldigten<br />
eingestellt wird, nähert sich in bedenklichem Maße einer<br />
Grenze, jenseits derer eine Rechtsbeugung angenommen<br />
werden muß. 30 Die Akteure gewinnen ihren Handlungsspielraum<br />
in diesem Bereich allerdings aus der Unbestimmtheit<br />
der Rechtsbegriffe und der mangelnden Kontrollmöglichkeit,<br />
so daß das Strafrecht als ultima ratio hier<br />
zurückhaltend angewandt werden sollte. 31<br />
Insgesamt ist festzustellen, daß in den Fällen, in denen<br />
die an der Absprache beteiligten Amtsträger die Grenze<br />
des rechtlich eindeutig Unvertretbaren nicht überschreiten<br />
und dies dürfte die Mehrzahl der Fälle sein, diese das Tatbestandsmerkmal<br />
der Beugung des Rechts nicht erfüllen<br />
und somit keine Rechtsbeugung begehen. 32 In Fällen wie<br />
den geschilderten jedoch in denen sich feststellen läßt, daß<br />
die Motive die einer Absprache zugrunde liegen gegen fundamentale<br />
Strafprozeßgrundsätze des geltenden Rechts ver-<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
stoßen und zu nach geltendem Recht ungerechtfertigten<br />
Entscheidungen führen, für die sich keine sachliche Rechtfertigung<br />
mehr finden läßt, liegt bei Vorliegen auch der<br />
übrigen Tatbestandsmerkmale, insbesondere des subjektiven<br />
Tatbestands eine Rechtsbeugung vor. 33<br />
(4.) Als weiteres Tatbestandsmerkmal setzt die Rechtsbeugung<br />
die Benachteiligung oder Bevorzugung einer Prozeßpartei<br />
voraus. Geschützt ist dabei jede am Verfahren beteiligte<br />
Person, also insbesondere auch der Beschuldigte im<br />
Strafprozeß. 34 Dieser wird dabei bevorzugt oder benachteiligt<br />
bei jeder zu unrecht erfolgenden Besser- oder Schlechterstellung.<br />
35 Dafür genügt neben außerhalb des schuldangemessenen<br />
liegende Strafen auch schon die<br />
Verschlechterung beziehungsweise Verbesserung der prozessualen<br />
Situation oder Beweislage. 36 Um dieses Tatbestandsmerkmal<br />
zu erfüllen, muß jeweils festgestellt werden,<br />
daß die Absprache zu ungerechtfertigten Entscheidungen<br />
geführt hat. Konkret muß also festgestellt werden, daß eine<br />
unzulässige Rechtsauslegung vorliegt oder sachfremde Beweggründe<br />
die Entscheidung beeinflußt haben. Insbesondere<br />
bei den genannten typischen Absprachefällen liegt eine<br />
Verschlechterung der prozessualen Situation für die Fälle<br />
der Ablegung eines Geständnisses, in aller Regel aber eine<br />
Besserstellung des Angeklagten bezüglich des Strafmaßes<br />
oder anderer Zugeständnisse an diesen vor.<br />
Somit wird auch dieses Tatbestandsmerkmal und damit<br />
der objektive Tatbestand der Rechtsbeugung insgesamt in<br />
einer ganzen Anzahl von Fallkonstellationen erfüllt sein.<br />
(5.) Im subjektiven Tatbestand setzt der Tatbestand der<br />
Rechtsbeugung Vorsatz unter Einschluß des dolus eventualis<br />
voraus. 37 Einer besonderen Absicht bedarf es nicht. 38 Ein<br />
Amtsträger hat somit Vorsatz in diesem Sinne bereits dann,<br />
wenn er mit der Möglichkeit der Fehlerhaftigkeit seiner<br />
Entscheidung rechnet und sich damit abfindet. 39 Dies wird<br />
in vielen Fallgruppen im Absprachebereich ebenfalls zu bejahen<br />
sein. Aufgrund der Annahme, nichts Verbotenes zu<br />
tun, wird im subjektiven Bereich dann aber mit lrrtumsfiguren<br />
– nach Ansicht Schünemanns liegt hier dann ein Verbotirrtum<br />
vor 40 – argumentiert und auf diese Weise eine Straflosigkeit<br />
begründet.<br />
(6.) Da Rechtfertigungsgründe bei der Vorschrift des<br />
§ 336 StGB nur in Ausnahmefällen vorkommen 41 und auch<br />
20 Wessels aaO.<br />
21 Wessels aaO; Sch/Sch-Cramer: § 336 Rdnr. 5 a.<br />
22 Sch/Sch-Cramer; § 336 Rdnr. 5 a; KG NStZ 88, 557: Dreher/Tröndle, § 336<br />
Rdnr. 5; Lackner; § 336 Rdnr. 5 a.<br />
23 Vgl. Rudolphi, in ZStW 82 (1970) 610 ff. (615 ff.); Behrent, JUS 1989,<br />
945 ff. (948 f.).<br />
24 SK-StGB-Rudolphi § 336 Rdnr. 15; vgl. auch Kremer, S. 203.<br />
25 Vgl. etwa Kremer; S. 203; Rönnau, S. 231.<br />
26 Vgl. Kremer aaO.<br />
27 Sch/Sch-Cramer § 336 Rdnr. 4.<br />
28 Vgl. Kremer aaO; vgl. auch noch Rönnau, S. 231 f.<br />
29 Vgl. dazu Rönnau, S. 122 ff.<br />
30 Vgl. auch Schmidhäuser JZ 73, 529 (532).<br />
31 Rönnau, S. 232.<br />
32 Rönnau, S. 233.<br />
33 Vgl. so: Rönnau, aaO; Siolek, S. 211.<br />
34 Vgl. Lackner; StGB § 336 Rdnr. 4.<br />
35 LK-Spendel, § 336 Rdnr. 69.<br />
36 Vgl. dazu SK-Rudolphi, § 336 Rdnr. 18.<br />
37 Wessels, StrR-BT-Teil 1 § 26 II 4.<br />
38 Dreher/Tröndle, § 336 Rdnr. 6.<br />
39 Vgl. SK-StGB-Rudolfphi, § 336 Rdnr. 20.<br />
40 Schünemann, Gutachten B 135.<br />
41 So LK-Spendel § 336 Rdnr. 71 ff.
AnwBl 11/98 569<br />
Aufsätze l<br />
die Schuld in aller Regel gegeben sein wird, stehen auch<br />
Gesichtspunkte aus diesen Bereichen in den genannten Fällen<br />
einer Strafbarkeit nicht entgegen.<br />
(7.) Zusammenfassend ergibt sich, daß insbesondere wegen<br />
des hohen Erfordernisses eines evidenten Widerspruchs<br />
der Tathandlung zum geltenden Recht und damit nur bei einer<br />
klaren Überschreitung der Grenzen des Vertretbaren 42<br />
eine Rechtsbeugung vorliegt. Dies ist in vielen Fallkonstellationen<br />
nicht der Fall. Gleichwohl sind aber auch eine Fallvarianten<br />
im Absprachebereich gegeben, bei denen diese<br />
Grenze überschritten ist und eine entsprechende Strafbarkeit<br />
vorliegt.<br />
(8.) Über die reine Subsumtion eines Sachverhalts unter<br />
die Tatbestandsmerkmale des § 336 StGB hinaus sind hier<br />
wegen der besonderen Fallkonstellationen im Absprachebereich<br />
noch einige Gesichtspunkte zu beachten die ihren<br />
Schwerpunkt nicht im materiellen sondern insbesondere im<br />
Beweisrecht haben.<br />
Zwar liegt beispielsweise bei einer objektiv fehlerhaften<br />
und unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbaren Entscheidung<br />
eines Amtsträgers der Tatbestand des § 336<br />
StGB vor. Wie aber soll eine solche Eindeutigkeit bezüglich<br />
der „Nichtvertretbarkeit“ einer Entscheidung im Zusammenhang<br />
mit einer Absprache je konkret festgestellt werden.<br />
Ist dies aber nicht möglich, bliebe ein Amtsträger<br />
selbst dann noch straflos, wenn seine Entscheidung auf<br />
sachfremden Erwägungen beruht, sich aber noch im Rahmen<br />
des Vertretbaren bewegt. 43 Selbst wenn man hier der<br />
Pflichtverletzungstheorie folgt, müßte die „Sachfremdheit“<br />
der Erwägungen leicht identifizierbar sein. Auch dies ist im<br />
Absprachebereich nur schwer anzunehmen. Weiterhin ist<br />
der Nachweis, daß sich der Amtsträger insbesondere im<br />
Bereich der Strafzumessung von sachfremden Beweggründen<br />
hatte leiten lassen erscheint kaum möglich. 44 Bei Kollegialgerichten<br />
kommt hier noch hinzu, daß dann im einzelnen<br />
festgestellt werden müßte, wie die einzelnen Richter<br />
abgestimmt haben. Dies dürfte an dem jeden Richter bindenden<br />
Beratungsgeheimnis aus § 193 GVG scheitern, das<br />
auch in einem Strafverfahren zu beachten ist. 45 .<br />
Auch wenn dies keine Aspekte des materiellen Rechts<br />
im eigentlichen Sinne sind, so tragen diese Gesichtspunkte<br />
doch sicher auch dazu bei, daß Verfahren nach § 336 StGB<br />
in der Praxis so selten relevant werden.<br />
Auch ist in diesem Bereich noch folgendes zu beachten:<br />
Nimmt man z. B. den Fall, daß das Gericht vor der Wahl<br />
steht, entweder eine Absprache durchzuführen und damit<br />
den Angeklagten letztendlich zu bevorzugen oder dies nicht<br />
zu tun und andererseits aber zahllose Strafansprüche beispielsweise<br />
verjähren zu lassen oder das Verfahrenshindernis<br />
der überlangen Verfahrensdauer auszulösen, so würde<br />
es sich, egal wie die Entscheidung diesbezüglich ausfällt,<br />
jedenfalls einer Rechtsbeugung schuldig machen. 46<br />
Daß die Strafverfolgungsbehörden so das Maximum in<br />
bezug auf die staatlichen Strafansprüche erzielen, soll ihnen<br />
nach teilweise vertretener Auffassung, jeweils auf den Einzelfall<br />
bezogen, nicht zugute kommen. 47 Hier kann vernünftigerweise<br />
aber wohl nur mit einer Art Gesamtsaldierung 48<br />
argumentiert werden, aufgrund derer, jedenfalls solange<br />
diese positiv für den staatlichen Strafanspruch ausfällt,<br />
dann keine Rechtsbeugung angenommen werden kann.<br />
Insgesamt ist die Beurteilung der Strafbarkeit von Absprachen<br />
stark von den Besonderheiten des Einzelfalles.<br />
Neben vielen unterschiedlichen Varianten gibt es aber doch<br />
einige Fallgestaltungen bei denen, ungeachtet etwaiger Be-<br />
weisprobleme, ein im Sinne des § 336 StGB relevantes Verhalten<br />
vorliegt.<br />
bb) §§ 258, 258 a StGB (Srafvereitelung im Amt)<br />
§ 258a StGB ist ein qualifizierter Fall des § 258 49 womit<br />
auch in diesem Rahmen alle dort genannten Tatbestandsalternativen<br />
in Betracht kommen.<br />
Durch die häufig bei Absprachen vereinbarten Beschränkungen<br />
auf bestimmte Tatteile oder Strafmilderungen<br />
kommt hier nun insbesondere eine Verletzung des § 258a,<br />
258 l StGB, d. h. die Tatbestandsalternative der Verfolgungsvereitelung<br />
in Betracht. Hierfür ist, wie der Wortlaut<br />
der Norm schon aussagt, auch eine teilweise Verurteilung<br />
ausreichend.<br />
Die Tathandlung des „Vereitelns“ kann in einem aktiven<br />
Tun oder, soweit eine besondere Rechtspflicht zum Tätigwerden<br />
existiert auch in einem Unterlassen bestehen. 50 Sie<br />
muß ihrer Art und Zielsetzung noch darauf gerichtet sein,<br />
die Realisierung des in § 258 Abs. 1 StGB umschriebenen<br />
Ahndungsrechts durch eine Besserstellung des Vortäters<br />
(hier also des Angeklagten) zu verhindern. 51 Dabei muß der<br />
Täter absichtlich oder wissentlich handeln. 52 Diese Voraussetzungen<br />
liegen beispielsweise vor, wenn der Täter statt<br />
wegen eines Verbrechens nur wegen eines Vergehens 53 verurteilt<br />
wird, wenn gesetzlich vorgesehene Strafschärfungen<br />
außer Betracht bleiben 54 oder Strafmilderungsgründe zu<br />
Unrecht herangezogen werden. 55 All dies kann Gegenstand<br />
von Absprachen sein.<br />
Um beurteilen zu können, ob eine Strafvereitelung aber<br />
tatsächlich vorliegt, kommt es wiederum auf die Umstände<br />
des Einzelfalles an. In vielen Absprachevarianten wird man<br />
davon nicht ausgehen können. Berücksichtigt man aber andererseits,<br />
daß viele Absprachekonstellationen durch charakterisiert<br />
sind, daß dem Angeklagten eine Gegenleistung<br />
für ein Geständnis eine geringere Strafsanktion versprochen<br />
56 oder extensiv von Einstellungsmöglichkeiten Gebrauch<br />
gemacht wird, 57 so liegt in den Fällen in denen der<br />
Strafrabatt dann zu groß ausfällt, das Tatbestandsmerkmal<br />
des „Vereitelns“ und somit auch eine Strafvereitelung vor. 58<br />
Auch an der Feststellung des subjektiven Tatbestandes<br />
(Absicht oder Wissen) wird die Strafbarkeit jedenfalls in<br />
gravierenden Fällen nicht scheitern, da es gerade das Ziel<br />
der Amtsträger ist, den Beschuldigten durch Zugeständnisse<br />
zu einer Absprache zu bewegen. 59 Die Strafverfol-<br />
42 Vgl. Wessels StR-BT-1 § 26 II 2.<br />
43 Vgl. Siolek, S. 210.<br />
44 Vgl. Siolek, S. 211.<br />
45 Vgl. Siolek, S. 213/214; auch KK-Mayr, § 193 GVG Rdnr. 7 m. w. N.<br />
46 Schünemann, Gutachten B 134.<br />
47 Vgl. Dencker/Hamm, S. 77 f.; Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers,<br />
S. 108.<br />
48 Dazu Schünemann, Gutachten B 134.<br />
49 Sch/Sch-Stree, § 258 a Rdnr. 1; Dreher/Tröndle, § 258 a Rdnr. 1.<br />
50 Vgl. dazu BGHSt 4,167.<br />
51 Wessels, StrR-BT 1 § 16 III 2; Kleinknecht/Meyer § 258 Rdnr. 5.<br />
52 Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr. 2.<br />
53 Preisendanz, § 258 Anm. II 3 b; Krey, StrR BT Bd. 1 Rdnr. 616.<br />
54 Sch/Sch-Stree, § 258 Rdnr. 16.<br />
55 Sch/Sch-Stree aaO.<br />
56 Kremer, S. 205.<br />
57 Siolek, S. 214; Rönnau, S. 236.<br />
58 Vgl. so Kremer aaO.<br />
59 Rönnau, S. 237.
570<br />
l<br />
gungsorgane konnten auch nicht darauf verweisen, daß sie<br />
mit ihrem Arrangement nur eine geringere Bestrafung „retten“<br />
wollten, der Beschuldigte ohne die Verständigung also<br />
unter Umständen gänzlich freigesprochen worden wäre,<br />
denn das wären Gesichtspunkte des Notstandes (§§ 34, 35<br />
StGB) und eine Berufung darauf scheitert regelmäßig, weil<br />
derartiges Handeln nicht erforderlich ist. Zumindest wäre<br />
ein solches Verfahren nicht angemessen im Sinne des § 34<br />
S. 2 StGB, weil das Strafprozeßrecht für diese Konstellationen<br />
ein ausreichendes anderes Instrumentarium zur Verfügung<br />
stellt. 60<br />
Insgesamt sind also viele typische Absprachekonstellationen<br />
bezüglich der Tatbestände der §§ 258, 258a StGB<br />
relevant. Gleichwohl ist auch hier wegen der besonderen<br />
Gegebenheiten im Absprachebereich über die rein materiell-rechtliche<br />
Beurteilung hinaus folgendes zu beachten:<br />
Überall dort, wo es für eine Rechtsverletzung maßgeblich<br />
auf den Willen der Beteiligten ankommt, für dessen<br />
Bildung zudem noch ein erheblicher Ermessensspielraum<br />
besteht, wie dies hier der Fall ist, kommt eine Strafbarkeit<br />
nur in Ausnahmefällen in Betracht. 61<br />
Wenn sich das Gericht innerhalb der ihm im Rahmen<br />
der Strafzumessung eingeräumten Grenzen, und zwar abstrakt<br />
betrachtet, den absoluten Grenzen des Ermessensspielraums<br />
bewegt, wird ein Nachweis der Strafvereitelung<br />
kaum möglich sein. 62<br />
Zusammenfassend sind also auch in diesem Bereich<br />
viele unbedenkliche, jedoch auch eine ganze Anzahl strafrechtlich<br />
relevanter Sachverhaltskonstellationen anzutreffen.<br />
Daß eine Strafbarkeit in aller Regel am nicht zu führenden<br />
Nachweis scheitern wird, vermag die Gefahr einer<br />
Strafbarkeit der sich die Absprachebeteiligten auch in bezug<br />
auf eine Strafvereitelung aussetzen im Einzelfall nicht<br />
zu mindern.<br />
cc) § 344 StGB (Verfolgung Unschuldiger)<br />
Der Tatbestand des § 344 StGB könnte im Zusammenhang<br />
mit einer Absprache deshalb relevant werden, weil<br />
u. U. auch ein Unschuldiger bereit sein könnte, etwa wegen<br />
der Begleitumstände, die auch ein letztlich folgender Freispruch<br />
mit sich bringen kann (langes Verfahren, psychische<br />
Belastung etc.), eine Verständigung einzugehen, aufgrund<br />
derer eine Verurteilung erfolgt.<br />
Da die Verfolgung Unschuldiger aber tatbestandlich ein<br />
absichtliches oder wissentliches Handeln des Amtsträgers<br />
voraussetzt und kein Grund ersichtlich ist, warum im Fall<br />
der Überzeugung von der Unschuld des Angeklagten der<br />
Amtsträger diesen dann nicht auch freisprechen oder das<br />
Verfahren einstellen sollte, wird die Strafbarkeit schon an<br />
diesem nicht vorliegenden subjektiven Tatbestandsmerkmal<br />
scheitern. 63<br />
dd) § 343 StGB (Aussageerpressung)<br />
Hier wäre als Tatbestandsalternative im Zusammenhang<br />
allenfalls noch an das seelische Quälen zu denken, in dem<br />
dem Angeklagten bei mangelnder Kooperation ein langer<br />
Prozeß oder die Fortdauer der U-Haft in Aussicht gestellt<br />
wird. 64 Seelische Qual bedeutet jedoch eine seelische Peinigung,<br />
die geeignet ist, die geistigen und seelischen Widerstandskräfte<br />
zu zermürben. 65 Sieht man sich die diesbezüglich<br />
in Rechtsprechung 66 und Literatur genannten Fälle, wie<br />
etwa die Mitteilung von Schreckensnachrichten oder die<br />
Drohung mit der Verfolgung von Familienangehörigen an,<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
so haben diese Beispiele eine ganz andere Qualität als die<br />
im Absprachebereich in Betracht kommenden Sachverhalte.<br />
Somit sind die absprachebedingten diesbezüglichen Umstände<br />
auch nicht unter § 343 StGB zu subsumieren. Insgesamt<br />
scheidet daher eine Strafbarkeit wegen Aussageerpressung<br />
in diesem Zusammenhang aus. 67<br />
ee) § 240 StGB (Nötigung)<br />
Für die Frage, ob ein Verhalten im Rahmen von Absprachen<br />
die Norm des § 240 StGB erfüllt, sind in besonderem<br />
Maße die Besonderheiten des Einzelfalles ausschlaggebend.<br />
Das von der Nötigung geschützte Rechtsgut ist die Freiheit<br />
der Willensentschließung und Willensbetätigung. Der<br />
Mensch soll frei entscheiden können, ob er etwas tun oder<br />
lassen will (Dispositionsfreiheit) und wie er sein Tun gestalten<br />
will (Handlungsfreiheit i. e. S.). 68<br />
(1.) Der objektive Tatbestand setzt nun zunächst die Anwendung<br />
von Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen<br />
Übel voraus. In den im Absprachebereich auftretenden<br />
Fallkonstellationen dürfte der auf dem Angeklagten<br />
lastende Druck in aller Regel nicht als Gewalt in Form einer<br />
vis absoluta anzusehen sein, weil die physische Fähigkeit<br />
des Betroffenen eine bestimmte Handlung vorzunehmen<br />
oder zu unterlassen, 69 nicht beseitigt wird.<br />
Ebensowenig dürfte es sich um eine Gewaltanwendung in<br />
Form der vis compulsiva handeln, weil es auch hier seitens<br />
des Gerichts an einer physischen Kraftentfaltung 70 fehlt. 71<br />
Ohne hier näher auf die Probleme des Gewaltbegriffs im<br />
Rahmen des § 240 StGB einzugehen, kann insgesamt festgestellt<br />
werden, daß, wie immer die Tatbestandsalternative<br />
der „Gewalt“ auch interpretiert wird, 72 diese im Zusammenhang<br />
mit den Absprachen nicht von Bedeutung ist.<br />
Nähere Betrachtung verdient hier jedoch die Tatbestandsalternative<br />
der Drohung mit einem empfindlichen<br />
Übel. Dabei ist eine Drohung das lnaussichtstellen eines<br />
künftigen Übels, auf dessen Eintritt der Drohende Einfluß<br />
hat oder zu haben vorgibt. 73 Sie kann auch schlüssig erfolgen.<br />
74 Empfindlich ist das in Aussicht gestellte Übel, wenn<br />
nicht erwartet werden kann, daß der Bedrohte der Drohung<br />
in besonnener Selbstbehauptung standhalten kann. 75<br />
Werden nun Absprachen getroffen, in denen dem Angeklagten<br />
Vergünstigungen in Aussicht gestellt werden, so<br />
kann als Gegenpol zu diesem Angebot oft eine implizite<br />
60 Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 123.<br />
61 Schünemann, Gutachten B 135/136.<br />
62 Vgl. auch Kremer; S. 205; Rönnau, S. 236/237; Siolek, S. 215.<br />
63 So in Erg. auch Kremer; S. 207; Siolek, S. 215.<br />
64 Vgl. Siolek, S. 214.<br />
65 Sch/Sch-Cramer; § 343 Rdnr. 12.<br />
66 Vgl. Sch/Sch-Cramer; § 343 Rdnr. 12 m. w. N.<br />
67 So in Erg. auch Kremer, S. 207; vgl. dazu insges. auch Rönnau. S. 237 f.;<br />
Siolek, S. 215 f.<br />
68 Haft, StrR BT § 19 I 1.<br />
69 Vgl. SK-StGB-Horn § 240 Rdnr. 23.<br />
70 Vgl. dazu Dreher/Tröndle, § 240 Rdnr. 13.<br />
71 Siolek, S. 215/216.<br />
72 Vgl. allgemein zum Gewaltbegriff z. B. Haft, StrR BT § 19 II 2; BGHSt 23,<br />
46 ff.; BVerfGE 73, 206 ff. = NJW 87, 43 ff.; NJW 88, 1739 ff.<br />
73 Vgl. BGHSt 16, 386; Dreher/Tröndle § 240 Rdnr. 15.<br />
74 Dreher/Tröndle aaO.<br />
75 BGHSt 31, 201; Dreher/Tröndle § 240 Rdnr. 17.
AnwBl 11/98 571<br />
Aufsätze l<br />
Drohung gesehen werden, härter bestraft zu werden, wenn<br />
man sich nicht kooperationsbereit zeigt. 76 Weigend 77 ist hier<br />
sogar der Ansicht, eine „Normalstrafe“ existiere gar nicht,<br />
sondern es gebe nur eine Strafe für kooperatives Verhalten<br />
und eine Strafe für den Fall fehlender Kooperationsbereitschaft.<br />
Diese sei dann aber höher als die „Normalstrafe“,<br />
d. h. derjenigen, die ohne jegliche Absprache (beziehungsweise<br />
deren Versuch) verhängt worden wäre. Diese „versteckte“<br />
Drohung dürfte jedoch nicht geeignet sein, die<br />
Grenze zur Nötigung im strafrechtlichen Sinne zu überschreiten,<br />
da es sich auch um eine Belehrung durch das Gericht<br />
über die Möglichkeit der strafmildernden Berücksichtigung<br />
eines Geständnisses handeln könnte. 78<br />
Anhand dieses Beispiels wird deutlich, daß die Voraussetzungen<br />
der Drohung in vielen Fallvarianten nicht gegeben<br />
ist. Die Grenze zur Drohung i. S. d. § 240 StGB dürfte<br />
aber dann überschritten sein, wenn die Amtsträger unter<br />
Ausnutzung ihrer prozessualen Stellung und der Machtmittel<br />
dem Beschuldigten Übel androhen, die weder prozessual<br />
noch materiell-rechtlich zu begründen sind, sondern allein<br />
in der prozeßbeschleunigenden Motivation ihre Wurzel haben.<br />
79 Zu denken wäre hier konkret etwa an den Fall der<br />
Verlängerung der Untersuchungshaft ohne Haftgrund um<br />
den Beschuldigten zu einem Geständnis zu veranlassen 80<br />
oder wenn das Gericht dem Beschuldigten im Zwischenverfahren<br />
massiv bedrängt ein Geständnis abzulegen, obwohl<br />
aus den Akten bekannt war, daß der Angeklagte den Tatvorwurf<br />
nachdrücklich bestritt. 81&HZIF0;<br />
(2.) Als weiteres Tatbestandsmerkmal liegen dann Handlungen<br />
oder Unterlassungen im Zusammenhang mit getroffenen<br />
Absprachen, beispielsweise in der Ablegung eines<br />
Geständnisses, in der Nichtstellung von Beweisanträgen<br />
oder der Nichteinlegung von Rechtsmitteln, vor.<br />
In bestimmten Fallkonstellationen kann somit der objektive<br />
Tatbestand der Nötigung erfüllt sein.<br />
(3.) Der subjektive Tatbestand, d. h. die Kenntnis durch<br />
Drohung das Verhalten des Angeklagten zu erzwingen, sowie<br />
der Wille zu diesem Zwang 82 werden bei Absprachen<br />
mit oben genannten Zielrichtungen und entsprechendem<br />
Inhalt in aller Regel gegeben sein.<br />
(4.) Weiterhin muß die Tat rechtswidrig sein. Ohne an<br />
dieser Stelle auf die dogmatische umstrittene Zuordnung<br />
der dieses Tatbestandsmerkmal konkretisierenden „Verwerflichkeitsklausel“<br />
83des § 240 II StGB näher einzugehen 84 erfordert<br />
die Nötigung danach noch, daß das Verhältnis von<br />
erstrebtem Zweck zu angewandtem Mittel in einem erhöhten<br />
Grad sozialethischer Mißbilligung stehen muß. 85 Dies<br />
zu beurteilen muß durch eine Gesamtwürdigung erfolgen 86<br />
wobei neben dem Gewicht der auf dem Spiel stehenden<br />
Rechte und Interessen insbesondere auch Umfang und Intensität<br />
der Zwangswirkung mit zu berücksichtigen sind. 87<br />
Einerseits kann die Verwerflichkeit bereits dadurch indiziert<br />
sein, daß das Nötigungsmittel als solches eine strafbare<br />
Handlung darstellt. Umgekehrt wird aber die Widerrechtlichkeit<br />
der Nötigung nicht schon dadurch ausgeschlossen,<br />
daß das Nötigungsmittel als solches erlaubt ist. 88<br />
Eine Verwerflichkeit in diesem Sinne festzustellen ist<br />
nun wiederum eine Frage des Einzelfalles. Beachtet werden<br />
sollte hier jedoch, daß den Betroffenen durch die Möglichkeit<br />
zu einer Absprache grundsätzlich sogar noch eine weitere<br />
Möglichkeit eröffnet wird, auf seine prozessuale Situation<br />
positiv Einfluß nehmen zu können, als dies im<br />
„Normalfall“ der Fall wäre. Bezieht man dies in die Ge-<br />
samtbetrachtung ein, so wird in vielen Fällen eine Verwerflichkeit<br />
und somit eine Strafbarkeit abzulehnen sein.<br />
Gleichwohl ergibt sich zusammenfassend, daß in Extremfällen<br />
eine Strafbarkeit der Amtsträger nach § 240 StGB gegeben<br />
sein kann. Dies wird verallgemeinernd immer dann<br />
anzunehmen sein, wenn staatliche Entscheidungsträger unmißverständlich<br />
– ausdrücklich oder konkludent 89 – zum<br />
Ausdruck bringen, in ihre Entscheidungsfindung sachwidrige<br />
Erwägungen einfließen zu lassen 90 und der Angeklagte so in<br />
die Zwangslage kommt, der Absprache zustimmen zu müssen<br />
um angedrohte Nachteile zu vermeiden. 91<br />
ff) §§ 331 ff. StGB (Bestechungsdelikte)<br />
Auch Bestechungsdelikte können durch die Abspracheproblematik<br />
betroffen sein.<br />
Ihrem Wesen nach stellen die Amtsdelikte einen die<br />
Rechte Dritter, das Treueverhältnis zum Staat und das Vertrauen<br />
der Allgemeinheit in die Sauberkeit der Amtsführung<br />
verletzenden Mißbrauch durch deren Träger dar. 92<br />
Die Bestechungsdelikte erfassen also die Fälle, in denen<br />
der Amtsträger oder Richter dafür einen Vorteil als Gegenleistung<br />
annimmt, sich versprechen läßt oder fordert, daß er<br />
eine Diensthandlung beziehungsweise richterliche Handlung<br />
vorgenommen hat oder künftig vornimmt. 93<br />
Der Gedanke, durch eine Absprache könne der Tatbestand<br />
eines Bestechungsdelikts erfüllt werden mag zunächst<br />
eigenartig anmuten, trifft jedoch den Kern dessen, was in der<br />
Öffentlichkeit als anrüchig empfunden wird. 94 Der Verdacht,<br />
durch das enge Zusammenwirken der Strafjuristen insbesondere<br />
im Wirtschaftsstrafbereich werde ein unwürdiger „Handel<br />
mit der Gerechtigkeit“ getrieben, rückt die Strafjustiz in<br />
die Richtung von Korruption. 95 Damit wird dann aber genau<br />
das von den §§ 331 ff. StGB geschützte Rechtsgut berührt.<br />
Fraglich ist nun, ob das Verhalten der Beteiligten im Absprachebereich<br />
unter die Strafnormen der §§ 331 ff. StGB<br />
subsumiert werden kann.<br />
Zentrale Tatbestandsmerkmale in dem hier interessierenden<br />
Zusammenhang sind der von den Bestechungsdelikten<br />
geforderte „Vorteil“ sowie die erforderliche „Unrechtsvereinbarung“<br />
(„dafür“). 96<br />
76 Vgl. Dencker/Hamm, Vergleich S. 54; Siolek, DRiZ 1989, 321 (327); Kremer;<br />
S. 207 f.<br />
77 Vgl. Weigend, Jz 90, 774 (778).<br />
78 Kremer, S. 208.<br />
79 Rönnau, S. 238.<br />
80 Rönnau, S. 238; Siolek, S. 219.<br />
81 Vgl. Siolek, S. 219; vgl. auch Hans. OLG Bremen, StrV 1989, 145 ff.<br />
82 Dreher/Tröndle, § 240 Rdnr. 33.<br />
83 Dreher/Tröndle, § 240 Rdnr. 22.<br />
84 Vgl. dazu z. B. Haft, StrR BT § 19, 3.<br />
85 Sch/Sch-Eser § 240 Rdnr. 17.<br />
86 Sch/Sch-Eser aaO.<br />
87 BGHSt 34, 77.<br />
88 Sch/Sch-Eser § 240 Rdnr. 19/20.<br />
89 Rönnau, S. 238.<br />
90 Siolek, S. 219.<br />
91 Kremer, S. 208.<br />
92 Vgl. Dreher/Tröndle vor § 331 Rdnr. 1 m. w. N.<br />
93 Vgl. zur Systematik der Bestechungsdelikte Haft, StrR BT § 39 I 1.<br />
94 Rönnau, S. 233.<br />
95 Rönnau, aaO.<br />
96 Vgl. Haft, StrR BT § 39; BGHSt 15, 249; Dreher/Tröndle vor § 331 Rdnr. 15.
572<br />
l<br />
Vorteil ist dabei eine Leistung des Zuwendenden, auf<br />
die der Amtsträger keinen gesetzlich begründeten Anspruch<br />
hat und die ihn materiell oder auch immateriell in seiner<br />
wirtschaftlichen, rechtlichen oder auch nur persönlichen<br />
Lage objektiv besser stellt. 97 Als immaterielle Vorteile werden<br />
etwa genannt die Erhaltung von Karrierechancen 98 oder<br />
die Erringung der Gunst des Vorgesetzten. 99 Auch die bloße<br />
Befriedigung des Ehrgeizes und der Eitelkeit soll unter der<br />
Voraussetzung, daß dies noch einem objektiv meßbaren Inhalt<br />
aufweist, für die Erfüllung des Vorteils in diesem Sinne<br />
genügen. 100<br />
Eine Unrechtsvereinbarung liegt vor, wenn ein Beziehungsverhältnis<br />
zwischen Diensthandlung und Vorteil besteht,<br />
101 d. h. eine Übereinstimmung zwischen Täter und<br />
Zuwender über das Gewähren eines Vorteils als Gegenleistung<br />
für die Diensthandlung gegeben ist. 102<br />
Ob dies der Fall ist oder nicht, ist auch hier stark von<br />
den konkreten Umständen des Einzelfalles abhängig. In<br />
vielen Fällen werden die Absprachen diese Voraussetzungen<br />
nicht erfüllen. Betrachtet man aber eine typische Absprachekonstellation<br />
bei der sich Leistung (i. d. R. ein Geständnis<br />
aber auch z. B. der Verzicht auf prozessuale<br />
Rechte) und Gegenleistung (i. d. R. Strafmilderung) im Gegenseitigkeitsverhältnis<br />
gegenüberstehen, so können hier<br />
durchaus Probleme entstehen. Ob in dieser Fallkonstellation<br />
in dem Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung<br />
eine von allen Bestechungsdelikten geforderte Unrechtsvereinbarung<br />
zu sehen ist, hängt zunächst davon ab,<br />
ob dem Amtsträger als Gegenleistung für die Amtshandlung<br />
ein unmittelbarer oder mittelbarer Vorteil zuwächst<br />
oder versprochen wird. 103<br />
Fraglich ist hier, worin der Vorteil für den Amtsträger<br />
im Zusammenhang mit der Absprache gesehen werden<br />
könnte. Das Geständnis selbst oder sonstige Zugeständnisse<br />
des Angeklagten (etwa der Verzicht auf eine Revisionsrüge)<br />
scheiden als Vorteil aus, da diese für den Richter keine<br />
irgendwie gearteten Zuwendungen darstellen. 104<br />
Ein i. S. d. §§ 331 ff. StGB beachtlicher Vorteil könnte<br />
jedoch darin liegen, daß das Gericht eine Arbeitserleichterung<br />
beziehungsweise eine Prozeßverkürzung und damit<br />
eventuell verbundene, immaterielle, persönliche Vorteile<br />
wie etwa einen guten Eindruck bei Vorgesetzten durch<br />
schnellere Verfahrenserledigung; dadurch Steigerung der<br />
Karrierechancen, die Befriedigung des Ehrgeizes oder auch<br />
reine Zeitersparnis erlangt. Ob diese „Vorteile“ jedoch ausreichen,<br />
um den Tatbestand eines Bestechungsdelikts zu erfüllen<br />
erscheint fraglich. Zweifelhaft ist zunächst einmal,<br />
ob die Arbeitserleichterung als rein tatsächlicher Reflex einer<br />
Prozeßhandlung (etwa eines Geständnisses) überhaupt<br />
Gegenstand einer Unrechtsvereinbarung sein kann. Dies ist<br />
wohl abzulehnen, da es zulässig ist, ein Geständnis unter<br />
bestimmten Umständen strafmildernd zu berücksichtigen. 105<br />
Weiterhin ist zu beachten, daß der Zusammenhang zwischen<br />
Leistung und Gegenleistung dann fehlt, wenn die<br />
Hingabe der Leistung nur bei Gelegenheit der Handlung<br />
und nicht für diese erfolgt. 106 Zwar geht es dem Amtsträger<br />
bei einer Absprache in der Regel um eine Arbeitserleichterung.<br />
Da aber auch beispielsweise Gesichtspunkte wie Kostenersparnis<br />
und Vermeidung von für die Zeugen belastenden<br />
Vernehmungen eine erhebliche Rolle spielen und dies<br />
Aspekte sind, die der Allgemeinheit oder den Zeugen, jedenfalls<br />
aber nicht dem Amtsträger nutzen, sollte hier im<br />
Einzelfall eine Gesamtbetrachtung erfolgen. Danach dürfte<br />
eine Strafbarkeit des Amtsträgers nur in extremen Ausnah-<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
mefällen, nämlich dann, wenn die genannten Gesichtspunkte<br />
ausschließlich und eindeutig im Vordergrund stehen<br />
anzunehmen sein.<br />
Letztlich scheitert die Annahme eines Vorteils bei Vorliegen<br />
einer Arbeitserleichterung daran, daß der Vorteilsbegriff,<br />
wie er teilweise von der Rechtsprechung und der<br />
Literatur 107 vertreten wird, zu weit greift. 108<br />
Die völlige Entmaterialisierung des Begriffs des Vorteils<br />
würde im Ergebnis dazu führen, daß praktisch jede Höflichkeit,<br />
die den Amtsträger erfreut, unter die Bestechungsdelikte<br />
fällt. Es ist daher erforderlich, hier eine vernünftige<br />
Beschränkung vorzunehmen. In der Literatur wird in diesem<br />
Zusammenhang überwiegend vorgeschlagen, für die<br />
§§ 331 ff. StGB nur solche immateriellen Vorteile ausreichen<br />
zu lassen, die einen objektiv meßbaren Inhalt haben<br />
und den Amtsträger in irgendeiner Weise tatsächlich besserstellen.<br />
109 Dem ist zuzustimmen. 110<br />
Die Befriedigung des Ehrgeizes oder der Eitelkeit oder<br />
die Erringung der Gunst des Vorgesetzten mögen nun immaterielle<br />
Vorteile sein, 111 die weitere Voraussetzung des<br />
objektiv meßbaren lnhalts 112 vermögen diese Aspekte meines<br />
Erachtens jedoch nicht zu erfüllen. Da es bei den hier<br />
in Rede stehenden Fällen also wohl an einer objektiv meßbaren<br />
Besserstellung des Richters fehlt, scheidet eine Strafbarkeit<br />
im Sinne der Bestechungsdelikte in aller Regel<br />
aus. 113<br />
b) bezüglich des/der Verteidiger/s<br />
aa) § 258 StGB (Strafvereitelung)<br />
Über das bereits oben 114 zur Strafvereitelung in bezug<br />
auf die Amtsträger gesagte hinaus, ergibt sich bezüglich<br />
des Verteidigers im Hinblick auf den die Strafnorm des<br />
§ 258 StGB unter dem Aspekt täterschaftlichen Handelns<br />
(§ 25 I StGB) folgendes:<br />
Ob sich ein Verteidiger durch die Teilnahme an einer<br />
Verständigung wegen Strafvereitelung strafbar macht oder<br />
nicht kann nicht pauschal sondern auch hier wiederum nur<br />
für den konkreten Fall beziehungsweise für bestimmte Fallgruppen<br />
entschieden werden, Dabei stellt das Problem der<br />
Strafbarkeit des Verteidigers im Rahmen von Absprachen<br />
97 BGHSt 31, 278; Sch/Sch-Cramer; § 331 Rdnr 19; Dreher/Tröndle, § 331<br />
Rdnr. 11.<br />
98 BGH NJW 1985, 2656.<br />
99 Sch/Sch-Cramer; § 331 Rdnr. 21.<br />
100 Sch/Sch-Cramer § 331 Rdnr. 21 m. w. N.; a. a. Dreher/Tröndle § 331<br />
Rdnr. 11 m. w. N.<br />
101 Vgl. Haft, StrR BT § 39 II 3.<br />
102 Vgl. Dreher/Tröndle § 331 Rdnr. 15.<br />
103 Rönnau, S. 234.<br />
104 Rönnau, S. 234 f.<br />
105 Vgl. dazu Rönnau, S. 235.<br />
106 Dreher/Tröndle, § 331 Rdnr. 17.<br />
107 Vgl. die Nachweise zu Rechtsprechung und Literatur bei Bauchrowitz, Vorteilsbegriff,<br />
S. 24 ff.<br />
108 Rönnau, S. 235.<br />
109 Vgl. nur SK-StGB-Rudolfphi § 331 Rdnr. 21 m. w. N.; Bauchrowitz, Vorteilsbegriff,<br />
1988.<br />
110 So auch z. B. Rönnau, S. 235.<br />
111 Vgl. dazu Sch/Sch-Cramer § 331 Rdnr. 21.<br />
112 Sch/Sch-Cramer aaO.<br />
113 Vgl. Rönnau aaO.<br />
114 Vgl. Teil I B. 6.) a) bb).
AnwBl 11/98 573<br />
Aufsätze l<br />
einen Teilaspekt des Gesamtproblemkomplexes „Strafverteidigung<br />
und Strafvereitelung“ dar. 115<br />
Der Verteidiger befindet sich ständig in der Nähe strafbarer<br />
Strafvereitelung. 116 Wann nun die Grenze zur Strafbarkeit<br />
überschritten ist, ist Gegenstand einer Vielzahl von<br />
Differenzierungen wie beispielsweise daß der Verteidiger<br />
alles zu unterlassen habe, was der Erreichung der Wahrheit<br />
und Gerechtigkeit hinderlich wäre 117 oder daß eine Strafbarkeit<br />
auf „extreme Mißbräuche“ beschränkt sein müsse. 118<br />
Bei solchen Formulierungen bleibt vieles unklar.<br />
Will man die Grenze zwischen zulässigem und unzulässigem<br />
Verteidiger-Verhalten bestimmen, so ist vom von<br />
§ 258 StGB geschützten Rechtsgut auszugehen. 119 Geschütztes<br />
Rechtsgut ist die staatliche Strafrechtspflege. 120<br />
Diese soll ihre Aufgabe, den staatlichen Strafanspruch<br />
durchzusetzen, ungehindert erfüllen können. 121 Da aber eine<br />
„Behinderung“ der Strafrechtspflege durch die Institutionalisierung<br />
der Verteidigung in den §§ 137 ff. StPO vom<br />
Gesetz gewollt ist, muß das Rechtsgut des § 258 StGB insoweit<br />
noch präzisiert werden: Im Hinblick auf die Verteidigung<br />
schützt § 258 StGB die Strafrechtspflege vor<br />
prozeßordnungswidrigen Behinderungen. Die Grenze zwischen<br />
strafbarer Strafvereitelung und straflosem Verteidigerverhalten<br />
läuft deshalb parallel zu der Grenze zwischen<br />
prozessual zulässigem und unzulässigem Verhalten. 122<br />
Prozessual pflichtgemäßes Verhalten ist nicht strafbar. 123<br />
Es fehlt bereits am objektiven Tatbestand des § 258 StGB,<br />
denn im Rahmen dieser Vorschrift kann der staatliche<br />
„Strafanspruch“ nur insoweit beeinträchtigt werden, wie er<br />
prozessual durchsetzbar ist. Mangelt es daran, ist das<br />
Rechtsgut des § 258 StGB nicht verletzt. 124 . Teilweise wird<br />
das Verteidigerhandeln aber auch als Rechtfertigungsgrund<br />
angesehen. 125 Paulus 126 sieht den Anknüpfungspunkt dafür,<br />
ob Verteidigerverhalten Strafvereitelung ist nicht in der<br />
„Prozeßordnungswidrigkeit“, sondern in einer Anknüpfung<br />
an den Gesichtspunkt der „Prozeßhandlung“. Eine solche<br />
könne nie tatbestandsmäßig i. S. d. § 258 StGB sein. Diesbezüglich<br />
ist aber fraglich, ob bestimmte Absprachen überhaupt<br />
unter den Begriff der Prozeßhandlung i. d. S. gezogen<br />
werden können und im allgemeinen stellt sich die<br />
Frage, was unter prozessual pflichtgemäßem Verhalten zu<br />
verstehen ist.<br />
Was prozessual zulässig ist, bestimmt sich nach den Regeln<br />
der StPO und den allgemeinen Grundsätzen des Prozeßrechts.<br />
Da die StPO die Verteidigerbefugnisse aber nur fragmentarisch<br />
regelt 127 und bezüglich der Verständigungen<br />
ohnehin keine Regeln existieren, hilft auch diese Feststellung<br />
hier nicht weiter. Auch sind in diesem Bereich zwei Grundkonzeptionen<br />
bezüglich der Bedingungen rechtlich zulässigen<br />
Verteidigerverhaltens heillos im Streit, nämlich die „Vertreter<br />
– und die Organtheorie“. 128 Es geht dabei um ein<br />
allgemeines Maßprinzip und damit um Grenzen, an denen<br />
formal an sich statthaftes Prozeßverhalten soll umschlagen<br />
können in prozessuale Unzulässigkeit und gegebenenfalls<br />
materiell-rechtliche Strafvereitelung Rechtsaxiomatisch diese<br />
Grenze zu allgemeiner oder auch nur überwiegender Akzeptanz<br />
zu markieren ist bisher nicht gelungen, weshalb unter<br />
Verzicht auf eine generelle Leitlinie oft nur punktuell-kasuistische<br />
Lösungen angeboten werden. 129 Ohne auf die genannte<br />
Streitfrage näher eingehen zu wollen werden zusammenfassend<br />
Abgrenzungskriterien in der Funktion<br />
beziehungsweise der Aufgabe des Verteidigers gesucht. 130<br />
Der Rechtsanwalt ist nach §§ 1, 31 BRAO unabhängiges Organ<br />
der Rechtspflege. Sein Beruf ist staatlich gebundener<br />
Vertrauensberuf, der ihm eine auf Wahrheit und Gerechtig-<br />
keit verpflichtete amtsähnliche Stellung zuweist, 131 die er<br />
freilich unter Wahrung der Schweigepflicht und Treuepflicht<br />
gegenüber seinem Auftraggeber auszuüben hat. 132<br />
Dabei ist er nicht zur Unparteilichkeit, sondern zur Einseitigkeit<br />
zugunsten des Beschuldigten gegenüber den<br />
Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht verpflichtet. 133<br />
Betrachtet man die Absprachefälle vor diesem Hintergrund<br />
so ergibt sich bei dem Versuch einer Systematisierung<br />
der Fallvarianten folgendes Ergebnis: 134<br />
(1.) Relativ einfach sind die Fälle gelagert, in denen der<br />
Verteidiger im Zusammenhang mit einer Absprache eine<br />
strafbare Handlung begeht. 135 Zu denken wäre hier beispielsweise<br />
an eine Nötigung oder an Fallkonstellationen in<br />
denen der Anwalt etwa Zeugen besticht oder zur Falschaussage<br />
verleitet um in eine bessere Verständigungsposition zu<br />
kommen. 136 Hier liegt bei vorliegenden übrigen Tatbestandsvoraussetzungen<br />
eine Strafvereitelung vor.<br />
(2.) Unproblematisch sind auch die Fälle, in denen weder<br />
materiell-strafrechtliche noch prozessuale Normen verletzt<br />
werden. Hier liegt kein strafrechlich relevantes Verhalten<br />
vor. Auch eine Verletzung lediglich standesrechtlicher<br />
Regeln könnte keine Strafbarkeit begründen. 137<br />
(3.) Ebenfalls strafrechtlich unbedenklich sind Absprachen<br />
über Gegenstände, die zur Disposition der Verfahrensbeteiligten<br />
stehen. Dabei kommt es auch nicht darauf an,<br />
ob es sich um Einigungen im Bereich der Verfahrensgestaltung<br />
handelt, oder um solche – wie beispielsweise eine<br />
Strafantragsrücknahme –, die das „Ob“ eines Verfahrens<br />
überhaupt betreffen. 138<br />
(4.) Fraglich sind Fälle, in denen im Rahmen einer Verständigung<br />
Einfluß auf Beurteilungs- und Ermessensspielräume<br />
genommen wird. 139 So beziehen sich strafprozessuale<br />
115 Vgl. dazu nur z. B. Strzyz, Die Abgrenzung von Strafverteidigung und Strafvereitelung;<br />
Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers; ders.: Der Strafverteidiger<br />
im Strafverfahren, S. 218 ff.; Müller; StrV 81, 90 ff.; Krekeler; NStZ<br />
89, 146 ff.; Paulus, NStZ 92, 305 ff. jeweils mit vielen weiteren Nachweisen.<br />
116 Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, S. 34.<br />
117 Vgl. dazu und zu weiteren, wie er es nennt „nichtssagenden Formeln“,<br />
Müller, StrV 81, 91 (94) m. w. N.<br />
118 Vgl. Beulke, Der Strafverteidiger im Strafverfahren, S. 219 m. w. N.<br />
119 Krekeler; NStZ 89, 146.<br />
120 Haft, StrR BT § 25 I 1; Krekeler aaO.<br />
121 Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr. 1.<br />
122 Krekeler; NStZ 89, 146.<br />
123 Krekeler; aaO; grundlegend BGHSt 29,102; Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7<br />
m. w. N.<br />
124 KG, Beschluß v. 12.11.1987 in NStZ 88, 178 f.; Krekeler aaO; Dreher/<br />
Tröndle aaO. m. w. N.<br />
125 Vgl. z. B. Müller; StrV 81, 90 (94); siehe auch Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7<br />
m. w. N.<br />
126 NStZ 92, 305 (311).<br />
127 Krekeler aaO.<br />
128 Vgl. Paulus, NStZ 92, 305.<br />
129 Vgl. dazu zusammenfassend Paulus, NStZ 92, 305 (306) m. w. N.<br />
130 Vgl. näher Paulus, NStZ 92, 305 (306 ff.).<br />
131 So: BVerfGE 38, 105 (119); Krit: Krekeler. NStZ 89, 146 ff.; vgl. insgesamt<br />
auch Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7 m. w. N.<br />
132 Vgl. Dreher/Tröndle aaO. m. w. N.<br />
133 Kleinknecht/Meyer vor § 137 Rdnr. 1; Peters S. 213; Krey StPO 1/535.<br />
134 Vgl. dazu insgesamt: Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 116 ff.<br />
insbes. 118 ff.<br />
135 Vgl. dazu Müller, StrV 81, 90 (94).<br />
136 Die hier in der Literatur genannten Beispiele müssen auch für den Absprachebereich<br />
gelten; vgl. dazu jew. m. w. N. z. B. Sch/Sch-Stree § 258 Rdnr.<br />
20; Dreher/Tröndle § 258 Rdnr. 7; Lackner; § 258 Rdnr. 8 ff. sowie Müller<br />
aaO.<br />
137 Vgl. sowohl auch Krekeler; NStZ 89, 146 (147).<br />
138 Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers Rdnr. 118.<br />
139 Vgl. Beulke, aaO. Rdnr. 119.
574<br />
l<br />
Vergleiche häufig auf eine Vorabkonkretisierung gesetzlich<br />
eingeräumter Ermessensspielräume beispielsweise im Bereich<br />
der Strafzumessung bei § 46 StGB oder im strafprozessualen<br />
Bereich bei §§ 154,154a; §§ 112 ff. StPO.<br />
„Verhandlungen“ über die Art und Weise, wie von einem<br />
Beurteilungsspielraum beziehungsweise von Ermessen<br />
Gebrauch gemacht werden könnte, stellen aber kein unzulässiges<br />
Vorgehen dar 140 und sind dementsprechend keine<br />
Strafvereitelung. 141 Es ist den Verfahrensbeteiligten also<br />
keineswegs verwehrt, die denkbaren Auswirkungen bestimmter<br />
Verhaltensweisen aufzuzeigen. Dabei ist allerdings<br />
zu beachten, daß zum einen die jeweils zur Diskussion<br />
stehenden Verhaltensweise nicht unter Drohung oder<br />
sonstigem Zwang erreicht werden darf und zum anderen<br />
die Auswirkungen auf Verfahrensfortgang oder -ergebnis<br />
zulässig sein müssen. 142<br />
(5.) Problematisch sind die Verständigungen, bei denen<br />
vom Legalitätsprinzip und von der Untersuchungsmaxime<br />
abgewichen wird. 143 Zu denken ist etwa an eine Verständigung<br />
über die Strafhöhe oder über den weiteren Verfahrensfortgang<br />
(z. B. Teilfreispruch gegen Verzicht auf Ladung<br />
weiterer Zeugen). Sofern der Verfolgungs-, Anklage- oder<br />
Verurteilungszwang abbedungen wird, muß man diese Absprachen<br />
als rechtlich unzulässig und somit als strafbar einstufen.<br />
144 Eindeutig als Strafvereitelung sind demnach zu<br />
qualifizieren beispielsweise Vereinbarungen mit dem Inhalt,<br />
eine bestimmte täterschaftlich begangene Straftat lediglich<br />
als Beihilfehandlung einzustufen beziehungsweise zu Unrecht<br />
einen minderschweren Fall anzunehmen. 145 Auch die<br />
Verkürzung der Beweisaufnahme entgegen der eigentlichen<br />
Überzeugung des Gerichts ist mit richterlicher Aufklärung<br />
und Legalitätsprinzip nicht mehr zu vereinbaren. 146<br />
Insgesamt ist das strafrechtliche Risiko durch eine unzulässige<br />
Verständigung nach § 258 StGB bestraft zu werden<br />
nicht zu leugnen. Daß es bisher gleichwohl noch nicht zu<br />
einer Verurteilung eines Verfahrensbeteiligten gekommen<br />
ist, dürfte an den freilich außerhalb der materiellen Betrachtung<br />
liegenden aber trotzdem zu beachtenden mangelnden<br />
Nachweisbarkeit des subjektiven Tatbestandes liegen, denn<br />
den Beteiligten müßte nachgewiesen werden, daß sie die<br />
vorgeworfene Tat tatsächlich für möglich gehalten haben. 147<br />
Schließlich wäre es auch zweifelhaft, ob der Verteidiger<br />
im Falle einer Verurteilung wegen § 258 StGB infolge des<br />
Abschlusses einer nicht gerechtfertigten Absprache mit einer<br />
Bestrafung als Täter oder Teilnehmer zu rechnen hätte.<br />
Da eine Absprache nur bei aktiver Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligten<br />
zustande kommt, spricht trotz der fehlenden<br />
„Gleichberechtigung“ der Beteiligten 148vieles für eine täterschaftliche<br />
Haftung. 149 Hier kommt vieles auf den konkreten<br />
Einzelfall an. Vergleiche bezüglich der Teilnahmeform<br />
auch die folgenden Ausführungen.<br />
Zusammenfassend besteht bei vielen in der Praxis vorkommenden<br />
Verständigungsvarianten die Gefahr einer<br />
Strafbarkeit für den Verteidiger.<br />
bb) § 356 StGB (Parteiverrat)<br />
Nach § 356 StGB ist ein Anwalt strafbar, der bei den<br />
ihm in dieser Eigenschaft anvertrauten Angelegenheiten in<br />
derselben Rechtssache beiden Parteien durch Rat oder Beistand<br />
pflichtwidrig dient. Abs. II der Vorschrift enthält dabei<br />
noch einen Qualifikationstatbestand für den Fall, daß<br />
der Anwalt im Einverständnis mit der Gegenpartei zum<br />
Nachteil seiner Partei handelt. 150<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
Als geschütztes Rechtsgut wird überwiegend das Vertrauen<br />
der Öffentlichkeit in das Funktionieren des Anwaltsstandes<br />
angesehen. 151 Hierdurch werden aber zumindest<br />
mittelbar auch die Interessen des Auftraggebers, d. h. hier<br />
also des Beschuldigten/Angeklagten geschützt. 152<br />
Im Zusammenhang mit der Absprachepraxis stellt sich<br />
nun die Frage, ob ein Verteidiger wegen der oft engen Zusammenarbeit<br />
mit den anderen Prozeßbeteiligten, die auch<br />
als „Super-Schulterschluß“ der professionellen Akteure des<br />
Strafverfahrens bezeichnet wird, 153 sich noch im Rahmen<br />
des von § 356 StGB erlaubten bewegt oder ob diesbezüglich<br />
schon eine entsprechende Strafbarkeit vorliegt. 154 Dies<br />
ergibt sich insbesondere daraus, daß häufig die Angeklagten,<br />
d. h. also die Betroffenen selbst nicht oder nur unvollständig<br />
in die Verständigungsgespräche miteinbezogen werden<br />
155 und der Verteidiger zur Umsetzung des Deals auf die<br />
Angeklagten i. d. R. bezüglich der Ablegung eines Geständnisses<br />
einwirkt. 156<br />
Insbesondere hierin könnte nun eine Benachteiligung<br />
des Angeklagten i. S. d. § 356 StGB liegen, denn bei § 356<br />
I StGB handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt,<br />
157 bei dem es für die Strafbarkeit des Anwalts letztlich<br />
unerheblich ist, ob durch seine Tätigkeit die Interessen<br />
der jeweils vertretenen Partei beeinträchtigt werden oder<br />
nicht. Ausreichend hierfür ist, daß er in derselben Sache für<br />
mehrere Parteien tätig geworden ist. 158<br />
Konkret wird das Problem dann auch in Fällen, in denen<br />
der Verteidiger aktiv an der Verurteilung eines sich selbst als<br />
unschuldig bezeichnenden Klienten mitwirkt, 159 der bestreitende<br />
Mandant nachdrücklich zur Absprache gedrängt 160<br />
oder nach erfolgter Verständigung nicht über eine mögliche<br />
lnfragestellung 161 desselben aufgeklärt wird. Auch wird argumentiert,<br />
insbesondere im Bereich der Pflichtverteidigung<br />
und auch allgemeinen im Hinblick auf eine künftige gute<br />
Zusammenarbeit zwischen Verteidiger und Gericht bestehe<br />
die Gefahr einer dadurch motivierten Vernachlässigung der<br />
Interessen der Mandanten durch die Anwälte. 162<br />
140 Beulke aaO; Schmidt-Hieber NJW 89, 284.<br />
141 Beulke aaO.<br />
142 Beulke aaO.<br />
143 Beulke aaO. Rdnr. 120.<br />
144 Beulke aaO.<br />
145 Beulke aaO. m. w. N.<br />
146 Beulke aaO. Rdnr. 122.<br />
147 Vgl. Beulke, aaO. Rdnr. 123 und 146 ff. vgl. zum subj. Tatbestand auch z. B.<br />
Arzt/Weber, StrafR Bes. Teil LH 4 § 258, Rdnr. 253.<br />
148 Vgl. Beulke aaO. Rdnr. 116.<br />
149 Vgl. dazu Beulke aaO. Rdnr. 123 und 151 ff.; vgl. allgemein dazu auch Maurach/Schroeder.<br />
StrR BT 2 § 100 II Rdnr. 20.<br />
150 Dreher/Tröndle, § 356 Rdnr. 12.<br />
151 Sch/Sch-Cramer; § 356 Rdnr. 1; BGHSt. 15, 336.<br />
152 Sch/Sch-Cramer; § 356 Rdnr 1.<br />
153 Schünemann, Gutachten B 138; Schünemann, NJW 89, 1895 (1903 ff.).<br />
154 Vgl. auch Siolek, S. 221.<br />
155 Vgl. dazu oben die Umfrageergebnisse S. 18 ff (21/23); auch Dahs, Handbuch,<br />
Rdnr. 67 sowie die Ergebnisse der Schünemann Umfrage NJW 89,<br />
1895 (1901).<br />
156 Vgl. Siolek, S. 221.<br />
157 Vgl. Dreher/Tröndle, § 356 Rdnr. 1.<br />
158 Sch/Sch Cramer; § 356 Rdnr. 3.<br />
159 Vgl. Dahs, NStZ 88, 153 (156); Schünemann, NJW 89, 1895 (1900).<br />
160 Vgl. Rönnau, S. 240.<br />
161 Vgl. Kremer; S. 211.<br />
162 Vgl. Rönnau, S. 240; Hübsch, Symposium, S. 74.
AnwBl 11/98 575<br />
Aufsätze l<br />
Auch wenn diese Überlegungen einen Parteiverrat „untechnisch“<br />
verstanden nahelegen, so scheitert dessen Vorliegen<br />
doch jedenfalls am von § 356 StGB vorausgesetzten<br />
Parteibegriff. Parteien im Sinne des Tatbestandes des Parteiverrats<br />
sind alle Rechtssubjekte, die miteinander widerstreitenden<br />
Interessen an einer Rechtssache beteiligt sind. 163<br />
Die Staatsanwaltschaft zählt nun zwar zu den Verfahrensbeteiligten,<br />
weil sie durch eigene Willenserklärungen im<br />
prozessualen Sinne gestaltend am Verfahren mitwirkt. 164<br />
Sie ist jedoch nicht mit eigenen (widerstreitenden) Interessen<br />
an der Rechtssache beteiligt. Dies folgt daraus, daß sie<br />
nach § 160 II StPO auch die zur Entlastung des Beschuldigten<br />
beitragenden Umstände zu ermitteln hat. 165 Somit ist<br />
die Staatsanwaltschaft zur Objektivität verpflichtet und damit<br />
nicht Partei i. d. S. 166 Jedenfalls fehlt es aber im Verhältnis<br />
der Parteien, denen der Anwalt dient an einem lnteressengegensatz<br />
als entscheidendem Gesichtspunkt der von<br />
§ 356 geforderten Pflichtwidrigkeit. 167 Aus diesem für die<br />
Anwälte in § 45 Nr. 2 BRAO geregelten Grundsatz ist abzuleiten,<br />
daß sich ein lnteressengegensatz nur ergeben<br />
kann, wenn eine andere Partei den Anwalt zur Tätigkeit in<br />
der entsprechenden Rechtsangelegenheit beauftragt hatte.<br />
Hierzu fehlt es aber im Verhältnis zur Staatsanwaltschaft. 168<br />
Das Gericht ist nicht Prozeßsubjekt, weil es als Träger<br />
des gerichtlichen Verfahrens den Verfahrensbeteiligten gegenüber<br />
als Nichtbeteiligter in Erscheinung tritt. 169 Dies<br />
läßt sich auch aus § 159 III GVG entnehmen. 170 Somit<br />
scheidet auch diesbezüglich eine Subsumtion unter den Parteibegriff<br />
aus.<br />
Zusammenfassend kommt daher eine Strafbarkeit der<br />
Anwälte wegen Parteiverrat nicht in Betracht.<br />
cc) § 203 I Nr. 3 StGB (Verletzung von<br />
Privatgeheimnissen/Verschwiegenheitspflicht)<br />
Nach § 203 I Nr. 3 StGB ist u. a. ein Rechtsanwalt strafbar,<br />
der unbefugt ein fremdes Geheimnis offenbart, das ihm<br />
in seiner diesbezüglichen Eigenschaft anvertraut wurde.<br />
Rechtsgut des § 203 StGB ist die Privatsphäre 171 aber<br />
auch das Allgemeininteresse in die Verschwiegenheit der<br />
dort genannten Berufszweige. 172 Eine Verletzung dieser<br />
Norm durch eine Absprache kommt nun deshalb in Betracht,<br />
weil in der Praxis häufig eine Vereinbarung abgesprochen<br />
wird, ohne den Angeklagten hieran zu beteiligen.<br />
173 Gibt aber ein Verteidiger in einem Gespräch mit den<br />
anderen Verfahrensbeteiligten ihm bekanntgewordene, für<br />
seinen Mandanten ungünstige Umstände preis, so zerstört<br />
er damit die Grundlage des Vertrauensverhältnisses zu diesem.<br />
174 Andererseits haben solche Gespräche ja aber gerade<br />
den Sinn, daß die Beteiligten ihre Ansichten unverblümt<br />
austauschen können, was jedoch für den Verteidiger dann<br />
auch beinhaltet, eigene kritische Einschätzungen der Verteidigungssituation<br />
abzugeben, 175 zu denen er freilich, zumindest<br />
mittelbar, nur über die vom Angeklagten stammenden<br />
Informationen gelangt ist. 176 Somit können solche in diesem<br />
Zusammenhang preisgegebene Informationen durchaus,<br />
wenn schon nicht als anvertraut, so doch, da jedenfalls kraft<br />
Berufsausübung zur Kenntnis des Anwalts gelangt, 177 als<br />
sonst bekannt geworden i. S. d. § 203 StGB, eingeordnet<br />
werden. 178<br />
Klarer sind in diesem Zusammenhang dann die Fälle, in<br />
denen vom Verteidiger im Rahmen von Absprachen ohne<br />
Einverständnis des Angeklagten ein ihm anvertrautes Geständnis<br />
weitergegeben oder aber die Ablegung eines solchen<br />
in Aussicht gestellt wird. In einem solchen Falle<br />
könnte dann bei Scheitern der Verständigung im weiteren<br />
Verlauf der Verhandlung nur noch schwerlich eine auf Freispruch<br />
zielende Verteidigungsstrategie mit Aussicht auf Erfolg<br />
gewählt werden. 179 Auch wenn es von der jeweiligen<br />
Prozeßsituation abhängt und es in diesem Bereich doch<br />
auch entscheidend auf das Geschick des Verteidigers ankommt,<br />
so bietet die Absprache doch breiten Raum für einen<br />
Verstoß gegen den Tatbestand des § 203 StGB. 180 Dies<br />
insbesondere dann, wenn das Verteidigerverhalten nicht mit<br />
dem Mandanten abgestimmt wird. 181<br />
Zu bedenken ist, daß der Verteidiger bemüht ist, seinen<br />
Mandanten, insgesamt betrachtet, vorteilhaft zu vertreten.<br />
Die Frage ist somit, ob in einem solchen Falle dann noch<br />
ein unbefugtes Handeln i. S. d. § 203 StGB angenommen<br />
werden kann. Grundsätzlich ist verfügungsbefugt bezüglich<br />
des Geheimnisses nur der Geheimnisträger, also der Mandant.<br />
182 In Betracht käme aber eine Einwilligung des Angeklagten.<br />
Dies würde aber u. a. die Erklärung der Einwilligung<br />
im voraus erfordern. 183 Diese kann zwar auch<br />
konkludent erklärt werden, 184 trotzdem wird angesichts des<br />
Umstandes, daß der Angeklagte häufig gar nicht einbezogen<br />
wird, diese Erfordernis oft nicht gegeben sein. Schließlich<br />
könnte noch eine mutmaßliche Einwilligung vorliegen,<br />
wenn der Anwalt glaubt, im vermeintlichen Interesse und<br />
Einverständnis des Angeklagten zu handeln, 185 beziehungsweise<br />
trotz Möglichkeit der Nachfrage ohne weiteres davon<br />
ausgegangen werden kann, daß der Mandant auf die Wahrung<br />
des Geheimnisses keinen Wert legt. Dies wiederum<br />
setzt aber voraus, daß das mangelnde Interesse des Berechtigten<br />
offen zutage getreten ist. 186 Dies ist dann eine Frage<br />
des Einzelfalles.<br />
Da, wie ausgeführt, der Anwalt in der Regel im Interesse<br />
des Angeklagten handeln will, könnte so eine mutmaßliche<br />
Einwilligung durchaus angenommen werden. Insgesamt<br />
kommt es aber immer auf den Einzelfall an.<br />
Zusammenfassend besteht somit in diesem Bereich, wenn<br />
auch nur durch ungeschicktes Taktieren, so doch insgesamt<br />
betrachtet, die Gefahr einer Strafbarkeit gem. § 203 StGB.<br />
163 Vgl. SK-Rudolphi, § 356 Rdnr. 20.<br />
164 Kleinknecht/Meyer; Einl. Rdnr. 71/72.<br />
165 Vgl. Roxin, StrVerfR § 10 III 1.<br />
166 Vgl. Schäfer; StrVerfR, Rdnr. 29; Roxin, StrVerfR, § 10 III 1.<br />
167 Vgl. Sch/Sch-Cramer; § 356 Rdnr. 17.<br />
168 Vgl. Siolek, S. 222.<br />
169 Kleinknecht/Meyer; Einl. Rdnr. 71; BVerfGE 21, 139 (145); 30, 149 (153,<br />
160).<br />
170 Kleinknecht/Meyer; Einl. Rdnr. 71.<br />
171 Haft, BT § 13 I; Dreher/Tröndle, § 203 Rdnr. 1 a.<br />
172 Sch/Sch-Lenckner, § 203 Rdnr 3.<br />
173 Vgl. neben den Umfrageergebnissen auch z. B. Siolek, S. 222; Schünemann,<br />
Gutachten B 139.<br />
174 Dahs. Handbuch Rdnr. 43.<br />
175 Vgl. Schünemann, Gutachten B 139 m. w. N.<br />
176 Vgl. dazu Siolek, S. 222.<br />
177 Vgl. Dreher/Tröndle, § 203 Rdnr. 8; Sch/Sch-Lenckner; § 203 Rdnr. 15.<br />
178 Vgl. Schünemann, Gutachten B 140.<br />
179 Vgl. Siolek, S. 223; Dahs, NStZ 88, 153 (156); auch Rönnau, S. 241.<br />
180 So auch Rönnau, S. 241.<br />
181 Vgl. auch Kremer, S. 213.<br />
182 Vgl. Sch/Sch-Lenckner; § 203 Rdnr. 23 m. w. N.<br />
183 BGHSt 7, 295.<br />
184 Wessels, AT § 9 I 2.<br />
185 Dreher/Tröndle, § 203 Rdnr. 28.<br />
186 Sch/Sch-Lenckner; § 203 Rdnr. 27.
576<br />
l<br />
c) Strafbarkeit des Verteidigers und/oder des Angeklagten<br />
sowie der übrigen Beteiligten als Teilnehmer<br />
(1.) Soweit eine Absprache insbesondere die Tatbestände<br />
der Rechtsbeugung oder der Strafvereitelung im Amt erfüllt,<br />
muß diesbezüglich auch die Strafbarkeit des Verteidigers<br />
und des Angeklagten geprüft werden. 187 Der Verteidiger<br />
könnte insoweit wegen Anstiftung oder Beihilfe zum<br />
Sonderdelikt der Rechtsbeugung beziehungsweise wegen<br />
mittäterschaftlicher Strafvereitelung zu belangen sein. Für<br />
den Angeklagten käme möglicherweise eine Anstiftung<br />
oder Beihilfe wegen Rechtsbeugung in Betracht. 188 Auch<br />
hier kommt es wieder auf den Einzelfall an.<br />
Bezüglich der Anstiftung entstehen Probleme, weil<br />
diese die vorsätzliche Bestimmung eines anderen zur Begehung<br />
einer vorsätzlichen rechtswidrigen Tat voraussetzt<br />
(§ 26 StGB). Für das Element des „bestimmens“ ist dabei<br />
wesentlich, daß erst der Anstifter im Täter den Entschluß<br />
zur Tat hervorruft. 189 Ist der Täter zur konkreten Tat bereits<br />
fest entschlossen (sog. omni modo facturus) kommt eine<br />
Anstiftung nicht mehr in Betracht. 190 In Fällen, in denen<br />
das Gericht oder die Staatsanwaltschaft die Absprache angeregt<br />
haben oder ohnehin eine Verständigung gesucht<br />
hätte, scheidet Anstiftung daher von vornherein aus. Außerhalb<br />
der materiell-rechtlichen Betrachtung liegt auch hier<br />
der gleichwohl zu beachtende Aspekt, daß das Vorliegen<br />
dieses Sachverhalts kaum feststellbar ist. 191 Weiterhin ist zu<br />
beachten, daß der Verteidiger auch keine Verantwortung für<br />
die restlose Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs<br />
trägt. Daher kann seine Mitwirkung an einer prozeßordnungswidrigen<br />
Absprache auch nicht als rechtlich relevante<br />
Förderung einer etwa daraufhin vom Gericht begangenen<br />
Rechtsbeugung und Strafvereitelung im Amt durch rechtswidrig<br />
milde Bestrafung gesehen werden, denn er hat ja<br />
umgekehrt das Recht und sogar die Pflicht, für den völligen<br />
Freispruch zu kämpfen. 192 Dieselben Überlegungen müssen<br />
für die entsprechenden Fallkonstellationen auch zu einer<br />
grundsätzlichen Verneinung bezüglich einer möglichen Beihilfe<br />
gelten. 193 In den bereits angesprochenen Fällen in denen<br />
sich der Verteidiger strafbar macht ist er dann Täter beziehungsweise<br />
Mittäter, nicht aber Anstifter oder Gehilfe.<br />
Eine Strafbarkeit des Angeklagten gem. § 258 StGB<br />
kommt wegen dessen Abs. V nicht in Betracht. Im übrigen<br />
gelten die für den Verteidiger genannten Gesichtspunkte<br />
auch für den Angeklagten entsprechend. 194 Darüber hinaus<br />
kommt hierfür die Straflosigkeit auch noch der Gesichtspunkt<br />
der notwendigen Teilnahme 195 hinzu. 196 Droht das<br />
Gesetz nur bestimmten Beteiligten Strafe an (so hier bei<br />
§§ 258, 258a; § 336 StGB), so sind die übrigen Beteiligten<br />
straflos, soweit sie nur das tun, was zur Verwirklichung des<br />
Delikts begrifflich notwendig ist. 197 Zwar führt unter eingeschränkten<br />
Voraussetzungen eine rollenüberschreitende<br />
Mitwirkung auch dort zur Strafbarkeit. 198 Dafür liegen regelmäßig<br />
aber keine Anhaltspunkte vor. 199 Auch muß bei<br />
Delikten in spezialgesetzlich geregelten Verhaltenssystemen<br />
das Verhalten unter Einbeziehung der Prozeßrolle gewürdigt<br />
werden. 200 Deshalb ist die Ablegung eines „schlanken<br />
Geständnisses“ durch den Angeklagten bezüglich der<br />
daraufhin ergehenden Akte der Strafrechtspflege straflos. 201<br />
Dem Angeklagten kommt hier, unabhängig von der Art seiner<br />
Beeinflussung keine Verantwortlichkeit für die Akte<br />
der Strafrechtspflege zu. 202<br />
(2.) Problematisch können schließlich auch noch Fälle<br />
werden, in denen sich der Verteidiger etwa nach § 203<br />
StGB strafbar machen kann. Hier wäre bezüglich der anderen<br />
Beteiligten (Staatsanwaltschaft, Gericht) ebenfalls an<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
eine Strafbarkeit als Teilnehmer zu denken. Dies kann<br />
jedoch nur am konkreten Einzelfall entschieden werden.<br />
(3.) Die Beteiligungsprobleme in diesem Bereich bieten<br />
zusammenfassend eine Fülle von bis heute kaum thematisierten<br />
Zurechnungsproblemen, 203 die in diesem Rahmen<br />
nicht erörtert werden können.<br />
d) Zusammenfassung<br />
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die Beurteilung<br />
der Strafbarkeit der an Absprachen Beteiligten nur für<br />
den Einzelfall und nicht pauschal zu beurteilen ist. In vielen<br />
Fallkonstellationen bewegen sich die Beteiligten jedoch<br />
an der Grenze des rechtlich zulässigen. In einigen Fallvarianten<br />
werden diese Grenzen auch überschritten. Die Argumente,<br />
eine Strafbarkeit scheitere in der Regel daran, daß<br />
ein entsprechender Nachweis meist nicht geführt werden<br />
könne und die Staatsanwaltschaft als ermittelnde Behörde<br />
sei ja selbst beteiligt, 204 was eine Aufklärung nicht gerade<br />
fördere, zeigen, in welch ein Spannungsfeld man sich hier<br />
bewegt. Insgesamt ist also der Absprachebereich für die<br />
Beteiligten auch mit erheblichen Risiken behaftet.<br />
Als Konsequenz hieraus ergibt sich, daß der Problemkomplex<br />
der strafprozessualen Absprachen, die sich bei<br />
realistischer Betrachtungsweise ohnehin nicht (mehr) verhindern<br />
lassen und auch bei den Beteiligten auf eine breite<br />
Akzeptanz stoßen, durch eine gesetzliche Regelung geregelt<br />
werden sollten.<br />
Dies neben vielen strafprozessualen Argumenten aus<br />
materieller Sicht auch deshalb, um die Beteiligten vor der<br />
Gefahr zu bewahren, sich durch eine mittlerweile wohl<br />
gebräuchliche Vorgehensweise 205 auch noch strafbar zu<br />
machen.<br />
(Das Manuskript ist im Februar 1998 abgeschlossen)<br />
187 Vgl. diesbezüglich insbesondere Schünemann, Gutachten B 137 f. und Siolek,<br />
S. 219 ff.<br />
188 AaO.<br />
189 BGHSt 9, 379.<br />
190 Vgl. z. B. Dreher/Tröndle § 26 Rdnr. 3 m. w. N.<br />
191 Siolek, aaO.<br />
192 Schünemann, Gutachten B 137 f.<br />
193 Siolek, aaO.<br />
194 Vgl. auch Siolek, aaO.<br />
195 Vgl. dazu allg. LK-Roxin vor § 26 Rdnr. 27 ff.; SK-StGB-Samson vor § 26<br />
Rdnr. 43 ff.; Sch/Sch-Cramer vor §§ 25 ff. Rdnr. 49; Dreher/Tröndle vor<br />
§ 25 Rdnr. 6.<br />
196 Siehe Schünemann, Gutachten B 138; Siolek, aaO.<br />
197 Sch/Sch-Cramer vor §§ 25 ff. Rdnr. 46.<br />
198 Nämlich dann, wenn der Tatbestand zumindest auch dem Schutz des notwendigen<br />
Teilnehmers dient (LK-Roxin vor § 26 Rdnr. 33; Schünemann, Gutachten<br />
B 138 Fn. 410 m. w. N.; Siolek, aaO Fn. 68).<br />
199 Siolek, aaO.<br />
200 Schünemann, aaO.<br />
201 Schünemann, aaO.<br />
202 Schünemann, aaO; Siolek, aaO.<br />
203 Vgl. Schünemann, Gutachten B 138.<br />
204 Siolek, S. 223; Rönnau, S. 242.<br />
205 Vgl. dazu etwa die Untersuchungen von: Schünemann (dazu die Verweise in<br />
seinem Gutachten zu 58 DJT, 1990; Siolek, Verständigung in der Hauptverhandlung<br />
1993, S. 30 ff.; Lüdemann/Bußmann, KrimJ 1989, 54 ff.; Hassemer/Hippler,<br />
StrV 1986, 360 ff.
AnwBl 11/98 577<br />
Aufsätze l<br />
Der Betriebsübergang am<br />
Wendepunkt?<br />
– Die aktuelle Rechtsprechung des EuGH zum Betriebsübergang<br />
–<br />
Rechtsanwalt Dr. Gerhard Schäder, München<br />
1. Einleitung<br />
1972 hat der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem<br />
Betriebsverfassungsgesetz vom 15.1.1972 1 § 613 a BGB in<br />
das Dienstvertragsrecht eingefügt. Die Bestimmung sollte<br />
den von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmern<br />
eine gesicherte Rechtsposition verschaffen und die<br />
Rechtsfolgen eines Betriebsinhaberwechsels einer einheitlichen<br />
Regelung unterwerfen 2 .<br />
Seine erste Änderung erfuhr § 613 a BGB 1980 mit dem<br />
arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetz 3 . Die Änderung<br />
war notwendig geworden, da der Rat der Europäischen Gemeinschaften<br />
am 14.2.1977 eine Richtlinie zur Angleichung<br />
der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die<br />
Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang<br />
von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen (77/<br />
187/EWG) 4 erlassen hatte. Der EG-Gesetzgeber hielt eine<br />
solche Regelung für notwendig, da sowohl auf nationaler,<br />
wie auch auf Gemeinschaftsebene die Unternehmenszusammenschlüsse<br />
durch Betriebsübertragungen erheblich angestiegen<br />
waren und durch die Übertragung oftmals die soziale<br />
Lage des Arbeitnehmer beeinflußt worden war 5 .Die<br />
deutsche Regelung des § 613 a BGB wurde um Absatz 1<br />
Satz 2-4 (Rechte und Pflichten aus einem Tarifvertrag oder<br />
einer Betriebsvereinbarung) und Absatz 4 (Kündigungsverbot)<br />
ergänzt.<br />
Die bislang letzte Ergänzung erfolgte mit dem Gesetz<br />
über die Spaltung der von der Treuhand verwalteten Unternehmen<br />
(SpTrUG) vom 5.4.1991 6 , das eine vorteilhaftere<br />
Rechtsstellung des Betriebsveräußerers bei der Aufspaltung<br />
bestimmt.<br />
2. Rechtsprechung des EuGH<br />
Da die Mitgliedsstaaten der EU die Richtlinie umsetzen<br />
mußten und die innerstaatlichen Regelungen im Einklang<br />
mit der Richtlinie zu stehen haben, kann bei Auslegungsproblemen<br />
der EuGH von den nationalen Gerichten im<br />
Rahmen eines Vorlageverfahrens gemäß Art. 177 EWG-<br />
Vertrag angerufen werden. Der EuGH hat, soweit dies ersichtlich<br />
ist, bisher in 25 Entscheidungen 7 zur Richtlinie<br />
Stellung bezogen. Während einige Entscheidungen weder<br />
in der Literatur noch in der Rechtsprechung entsprechenden<br />
Niederschlag gefunden haben, sind manche Entscheidungen<br />
geradezu als sensationell eingestuft worden und auch in<br />
entsprechenden Umfang in Entscheidungen und Abhandlungen<br />
eingegangen.<br />
Heiß diskutiert worden ist die Problematik zu dem deutschen<br />
Spezifikum des Widerspruchsrechtes, vor allem im<br />
Hinblick auf die Entscheidung des EuGH vom 5.8.1988 8 .<br />
Dabei hatte der EuGH entschieden, daß der Arbeitnehmer<br />
nicht auf seine Rechte, die ihm aus der Richtlinie zustehen,<br />
verzichten kann und daß eine Verkürzung der Rechte auch<br />
mit Zustimmung des Arbeitnehmers nicht erfolgen darf.<br />
Ein Teil der Literatur hatte daraufhin angenommen, daß das<br />
„Heiligtum Widerspruchsrecht“ des BAG gegen die Richtlinie<br />
und die Auslegung des EuGH verstieße 9 . Bei Durchsicht<br />
der Entscheidung und dem der Entscheidung zugrundeliegendem<br />
Sachverhalt war aber klar, daß der EuGH nur<br />
den Verzicht einzelner Rechte im Rahmen eines Betriebsüberganges<br />
verneinte, zu dem allgemeinen Widerspruchsrecht<br />
allerdings keinerlei Aussage traf. Da für die deutsche<br />
Rechtsprechung die Ehre auf dem Spiel stand und durch<br />
das Verständnis der Literatur erhebliche Unsicherheiten aufgetreten<br />
waren, wurden dem EuGH gleich von drei deutschen<br />
Gerichten die Frage nach der Zulässigkeit des Widerspruchsrechtes<br />
vorgelegt 10 . Der EuGH hat in einer äußerst<br />
kurzen und knappen Entscheidung, so wie es seine Art ist,<br />
das deutsche Widerspruchsrecht für zulässig erklärt 11 .<br />
Diese Entscheidung hat nochmals klar gezeigt, daß der<br />
EuGH Einzelfallentscheidungen trifft, die auf den zu beurteilenden<br />
Fall zugeschnitten sind. Verallgemeinerungen<br />
dieser Entscheidungen können sehr schnell in die falsche<br />
Richtung führen. Diese Problematik resultiert nach der<br />
Auffassung des Verfassers aus der verhältnismäßig geringen<br />
Anzahl von EuGH-Entscheidungen und deren äußerst<br />
kurzen Begründungen. Da nur wenige Entscheidungen des<br />
EuGH zur Lösung der vielschichtigen Probleme des Betriebsüberganges<br />
zur Verfügung stehen, werden die Aussagen<br />
des EuGH, die auf den zu entscheidenden Fall zugeschnitten<br />
sind, auf sämtliche ähnliche Sachverhalte oder gar<br />
völlig allgemein angewandt. Unterstützt wird dies durch<br />
die allgemein formulierten und sehr knappen Begründungen<br />
des EuGH. Dieses Gericht macht sich nicht nur annähernd<br />
so viel Mühe, seine Rechtsauffassung darzulegen und umfassend<br />
zu begründen, wie ein deutsches Arbeitsgericht.<br />
Meist werden die Auffassungen der Parteien ausführlicher<br />
dargelegt, als die eigene Begründung. Diese besteht oftmals<br />
nur in dem Verweis auf eine von einer der Parteien dargelegten<br />
Meinung oder in einer knappen Begründung mit einem<br />
oder zwei Argumenten. Insoweit ist nach der hier vertretenen<br />
Meinung erhebliche Kritik an der Rechtsprechung<br />
des EuGH angebracht. Zwar mag eine nur der Masse nach<br />
1 BGBl. I 1972, 13.<br />
2 BT- Drucks., VI / 1786, S. 59.<br />
3 Vom 13.8.1980, BGBl. I 1980, 1308.<br />
4 ABl. EG Nr. L 61 vom 5.3.1977, S. 26.<br />
5 So die Begründung des Richtlinienvorschlages, abgedruckt in RdA 1975, 125.<br />
6 BGBl. I 1991, 854.<br />
7 So auch: Memorandum der EU-Kommission zu den erworbenen Ansprüchen<br />
der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Anhang II; KOM (97)<br />
85 endg., Katalognr. CB -CO -97- 077- DE- C ISBN 92-78-16349-X; DB<br />
1997, 1030.<br />
8 RSen 144/87 und 145/87, Slg. 1988, 2559, in der BRD erstmals veröffentlicht<br />
von Meilicke, DB 1990, 1770. Zu der Problematik dieser Entscheidung hat der<br />
EuGH aber schon vorher in EuGH v. 10.2.1988, RS 324/86, Slg. 1988, 739<br />
Stellung genommen. Diese Entscheidung blieb aber bei der Diskussion völlig<br />
außer Acht.<br />
9 Bauer, NZA 1990, 888, NZA 1991, 139; Meilicke DB 1990, 1770; Berger-Delhey<br />
und Gaul in Anm. zu EuGH, EzA Nr.89 zu § 613 a BGB.<br />
10 ArbG Bamberg, DB 1991, 1382; ArbG Hamburg, EuZW 1992, 32; BAG,<br />
NJW 1993, 488.<br />
11 RSen 132/91, 138/91, 139/91, EuZW 1993, 161 = NZA 1993, 169 = DB 1993,<br />
230. Der EuGH hat die Zulässigkeit des Widerspruchsrechtes damit begründet,<br />
daß eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses<br />
mit dem Erwerber gegen dessen Grundrecht der freien Wahl des Arbeitsplatzes<br />
und des Arbeitgebers verstossen würde.
578<br />
l<br />
umfangreiche Begründung die vertretene Meinung nicht<br />
stützen, ein intensives Auseinandersetzen mit der Gegenmeinung<br />
und deren Argumentation, sowie der Versuch die<br />
eigenen Argumente auszufeilen und stichhaltig zu machen,<br />
führt aber eher zu einem befriedigenden Ergebnis. Der<br />
EuGH erfüllt diese Anforderungen leider nicht und wird<br />
seine Praxis kaum durch diese Ausführungen ändern. Deshalb<br />
muß bei der Auslegung der EuGH-Entscheidungen erhebliche<br />
Sorgfalt angewandt werden. Wichtig ist, daß der<br />
EuGH nur den vorgelegten Einzelfall entscheidet, der gerade<br />
nicht völlig verallgemeinert werden kann.<br />
3. Entscheidung des EuGH v. 14.4.1994 12<br />
Ähnlich wie die Entscheidung des EuGH vom<br />
5.8.1988 13 schien nun eine weitere Entscheidung des EuGH<br />
zum Betriebsübergang vom 14.4.1994 die Gemüter zu erhitzen<br />
und eine weitere Diskussion über die Rechtsprechung<br />
des EuGH zu entfachen.<br />
Der Entscheidung vorangegangen war ein Vorlagebeschluß<br />
des LAG Schleswig-Holstein 14 , mit dem der EuGH<br />
ersucht wurde, darüber zu entscheiden, ob Reinigungsaufgaben,<br />
wenn sie vertraglich einer Fremdfirma übertragen<br />
werden, einem Betriebsteil gleichgestellt werden können<br />
und ob dies dann auch gelte, wenn die Reinigungsaufgaben<br />
nur von einer einzigen Arbeitnehmerin wahrgenommen<br />
werden. Ausgangspunkt des Vorlagebeschlusses war die<br />
von Frau Christel Schmidt erhobene Kündigungsschutzklage.<br />
Diese Klage richtete sich gegen eine Kündigung des<br />
Arbeitgebers, der die bisher von Frau Schmidt erledigten<br />
Reinigungsaufgaben auf eine Fremdfirma übertragen hatte.<br />
Die Fremdfirma schlug Frau Schmidt vor, zu einem höheren<br />
Monatslohn bei ihr zu arbeiten, was von Frau Schmidt<br />
wegen erheblichen Mehrarbeitszeiten abgelehnt wurde.<br />
Der EuGH entschied, daß die Richtlinie auf den vorgelegten<br />
Fall anwendbar ist, auch wenn die übergegangenen<br />
Aufgaben von nur einer Arbeitnehmerin erledigt wurden.<br />
Er begründete seine Auffassung damit, daß ein Betriebsübergang<br />
gegeben sei, wenn die Identität der wirtschaftlichen<br />
Einheit gewahrt wird. Die Wahrung der Identität sei<br />
dann gegeben, wenn dieselbe oder eine gleichartige Tätigkeit<br />
vom neuen Inhaber tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen<br />
wird. Insoweit verweist der Gerichtshof<br />
auf seine bisherige Rechtsprechung 15 . Des weiteren führt<br />
der Gerichtshof aus, daß es für einen Betriebsübergang,<br />
ausreichend sein kann, wenn der übertragene Tätigkeitsbereich<br />
nur eine untergeordneten Bedeutung hat und nicht in<br />
einem notwendigen Zusammenhang mit dem Unternehmenszweck<br />
steht. Diese Ausführungen dienen allerdings<br />
nur dazu, festzustellen, wann die Richtlinie noch anwendbar<br />
sein kann, nicht aber welche Voraussetzungen gegeben<br />
sein müssen, daß ein Betriebsteil vorliegt. Auch findet sich<br />
im Urteil trotz der klaren Vorlageformulierung keine Definition<br />
des Betriebsteiles. Zwar setzt sich der EuGH mit der<br />
Argumentation, daß Betriebsmittel mitübergehen müßten<br />
dadurch auseinander, daß der Gerichtshof dies nicht als allein<br />
entscheidendes Kriterium ansieht, so daß auch ohne<br />
Übergang von Betriebsmitteln ein Betriebsübergang vorliegen<br />
könne. Dennoch nennt der EuGH hier abermals nicht<br />
die Kriterien für das Vorliegen eines Betriebsteiles. Die<br />
Ausführungen zur wirtschaftlichen Einheit, die der EuGH<br />
als entscheidend betrachtet, gehen nach der Auffassung des<br />
Autors an dem eigentlichen Problem des Vorliegens eines<br />
Betriebsteiles vorbei, da dies die Problematik des Überganges<br />
betrifft.<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
Bei der Prüfung, ob ein Betriebsübergang gegeben ist<br />
oder nicht, muß zuerst geprüft werden, ob ein Betriebsteil<br />
gegeben ist, sodann, ob dieser Betriebsteil übergegangen<br />
ist. Diese beiden Prüfungspunkte sollten nicht miteinander<br />
vermischt werden. Deshalb sind die Definitionen für Betriebsteil<br />
und Übergang zu unterscheiden. Es kann nämlich<br />
ein Betriebsteil gegeben sein, der aber nicht oder nicht<br />
komplett an den Erwerber übergeht.<br />
Nach der hier vertretenen Auffassung mangelt es der Entscheidung<br />
an einer fundierten Begründung. Der Betriebsteil<br />
wird nicht definiert, der Begriff des Betriebteiles mit dem<br />
des Überganges 16 vermengt. Der Gerichtshof führt im wesentlichen<br />
aus, wann die Anwendbarkeit der Richtlinie nicht<br />
ausgeschlossen ist, bestimmt aber die Anwendbarkeit nicht<br />
positiv. Der EuGH hat wiederum einen Einzelfall entschieden,<br />
der mangels allgemeingültiger Ausführungen nicht einfach<br />
auf ähnlich gelagerte Fälle übertragen werden darf.<br />
4. Umsetzung des Urteils in der deutschen<br />
Rechtsprechung<br />
Die deutsche Rechtsprechung hat unmittelbar auf das<br />
Urteil des EuGH reagiert. So hat das ArbG Hamburg mit<br />
Urteil vom 4.7.1994 17 festgestellt, daß ein Betriebsübergang<br />
die Übertragung materieller oder immaterieller Betriebsmittel<br />
nicht voraussetzt, sondern eine bloße Funktionsnachfolge<br />
ausreichend ist. Gegenstand des Verfahrens war die<br />
Auflösung eines Nebenbetriebes Reinigungsdienst mit 27<br />
Arbeitnehmern und die Übertragung der Reinigung auf eine<br />
Fremdfirma. Die Klägerin war Arbeitnehmerin des Teilbetriebes<br />
und ihr Arbeitsverhältnis vom Arbeitgeber wegen<br />
der Übertragung gekündigt worden. Die Kündigung wurde<br />
wegen Verstoßes gegen § 613 a Abs. 4 BGB für unwirksam<br />
erklärt. Das Gericht hat sich seiner eigenen Auffassung<br />
nicht an die Rechtsprechung des BAG 18 gehalten, das den<br />
Übergang der wesentlichen Betriebsmittel voraussetze.<br />
Vielmehr wird auf einen „tätigkeitsbezogenen Betriebsbegriff“<br />
abgestellt. Da die Identität der wirtschaftliche Einheit<br />
gewahrt worden sei, weil die Fremdfirma als Funktionsnachfolger<br />
dieselbe Geschäftstätigkeit weitergeführt habe,<br />
liege ein Betriebsteilübergang vor.<br />
Das Urteil übernimmt unreflektiert die Rechtsprechung<br />
des EuGH und setzt eine eigene Auslegung in die Tat um.<br />
Es wird allgemein darauf abgestellt, daß eine Funktionsnachfolge<br />
ausreichend sei. In dieser Allgemeinheit ist die Rechtsprechung<br />
sicherlich nicht zu verstehen. Der vollkommene<br />
Verzicht auf einen Betriebsmittelübergang und das Abstellen<br />
auf einen tätigkeitsbezogenen Betriebsbegriff ist unrichtig<br />
und war wohl auch vom EuGH nicht gewünscht. Der EuGH<br />
hat in seinem Urteil nur ausgeführt, daß der Übergang von<br />
Betriebsmitteln nicht in allen Fällen notwendig ist.<br />
Ähnlich unreflektiert hat das LAG Hamm 19 bei schlichter<br />
Funktionsnachfolge einen Betriebsübergang angenommen,<br />
wobei andere Gerichte dies abgelehnt haben 20 .<br />
12 RS 392/92, NJW 1994, 2343 = DB 1994, 1371.<br />
13 Fn. 8.<br />
14 Vom 27.9.1992, Az. 1 Sa 235/92; EuZW 1993, 296 L.<br />
15 Grundlegend zu der Problematik, ob ein Übergang gegeben ist: EuGH v.<br />
18.3.1986, RS 24/85, Slg. 1986, 1119.<br />
16 Zum Begriff Übergang ausführlich und kritisch: Wank, DB 1997, 1229.<br />
17 DB 1994, 1424.<br />
18 Z. B. NZA 1994, 260.<br />
19 AZ 11 (19) SA 1900/93.<br />
20 LAG Hamm, DB 1997, 48; LAG Düsseldorf, BB 1996, 431.
AnwBl 11/98 579<br />
Aufsätze l<br />
In dem Verfahren des LAG Schleswig-Holstein 21 , das zu<br />
dem umstrittenen Urteil des EuGH geführt hat, haben sich<br />
die Parteien verglichen. In diesem Vergleich wurde die Entscheidung<br />
sicherlich zu Gunsten der Arbeitnehmerin berücksichtigt.<br />
5. Stellungnahme der Literatur<br />
Die nahezu einhellige Meining in der Literatur 22 hält das<br />
Urteil des EuGH für eine Katastrophe und sieht darin den<br />
Untergang der bisher vom BAG herausgearbeiteten Kriterien<br />
des Betriebsüberganges.<br />
Z. B. Junker 23 nannte das Urteil in einer Hitliste der<br />
schwarzen Serie der Entscheidungen des EuGH auf Platz 3.<br />
Als Begründung für die Entscheidung sah er die Motivation<br />
des EuGH möglichst viele Fälle unter die Richtlinie zu subsumieren.<br />
Auch Buchner 24 kritsierte die Entscheidung des EuGH,<br />
da ein Betriebsteilübergang angenommen werde, ohne daß<br />
es auf den Übergang irgendwelcher Betriebsmittel ankomme.<br />
Dies widerspreche der bisherigen Bewertung, die<br />
auf die dem arbeitstechnischen Zweck gewidmeten Sachund<br />
Rechtsgesamtheit abstelle.<br />
Röder/Baeck 25 sahen die Entscheidung des EuGH als<br />
Bedrohung für die Externalisierung (Outsourcing), insbesondere<br />
auf dem Dienstleistungssektor, an. Sie hielten eine<br />
Ausdehnung auf Produktionsbetriebe und anderweitige<br />
Auftragsvergabe von schon von Dritten erledigten Aufgaben<br />
nicht für ausgeschlossen.<br />
Bauer 26 erkannte die Entscheidung des EuGH nur auf<br />
Dienstleistungsunternehmen beschränkt, sieht aber die<br />
Möglichkeit, daß die Entscheidung auch auf Produktionsbetriebe<br />
ausgedehnt werden könne.<br />
Voss 27 führte aus, daß der EuGH Tatbestand und Rechtsfolge<br />
in unzulässiger Weise miteinander verknüpfe und dadurch<br />
eine Differenzierung nicht mehr möglich sei. Ein<br />
Übergang liege nur vor, wenn ein „Betriebssubstrat“, zumindest<br />
aber das „know how“ übertragen wird.<br />
Am 8.9.1994 hatte die Politik, nämlich die EU-Kommission<br />
neben anderen Änderungsvorschlägen schon auf das Urteil<br />
reagiert und einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie<br />
Übergang von Betrieben erarbeitet 28 . Darin hieß es in Art. 1<br />
Abs. 1 Satz 2: „Als Übergang i. S. dieser Richtlinie wird<br />
der Übergang einer Tätigkeit angesehen, die vom Übergang<br />
einer Wirtschaftseinheit, die ihre Identität bewahrt, begleitet<br />
wird. Der alleinige Übergang einer Tätigkeit eines Unternehmens,<br />
Betriebes oder Betriebsteiles, unabhängig davon,<br />
ob sie mittelbar oder unmittelbar ausgeübt wird, stellt als<br />
solcher keinen Übergang i. S. der Richtlinie dar.“ Der Vorschlag<br />
wollte mit der Regelung erreichen, daß das alleinige<br />
Übertragen von Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich<br />
der Richtlinie fällt, sondern auch zumindest der Betriebsteil,<br />
der zu der Tätigkeit gehört, mitübergeht. Der Vorschlag war<br />
dennoch nicht klar und hätte bei Erlaß weitere Fragen aufgeworfen<br />
29 , klargestellt hätte er lediglich, daß der alleinige<br />
Übergang einer Tätigkeit nicht für einen Betriebs-/Betriebsteilübergang<br />
ausreichend ist 30 . Die Kommission hat den Vorschlag<br />
wegen Widerspruch des Europäischen Parlamentes<br />
nicht weiter verfolgt.<br />
6. Entscheidung des EuGH v. 11.3.1997 31<br />
Das ArbG Bonn 32 legte dem EuGH abermals nach Art.<br />
177 EWG-Vertrag einen Fall zur Vorabentscheidung vor. In<br />
diesem Verfahren wurden Reinigungsaufgaben von einem<br />
Unternehmen auf ein anderes Unternehmen übertragen. Der<br />
Klägerin Frau Ayse Süzen und sieben weiteren Mitarbeitern<br />
war gekündigt worden, da der Reinigungsauftrag dem Arbeitgeber<br />
entzogen wurde. Das Unternehmen, das nun den<br />
Auftrag erhielt, bot der Klägerin keine, aber den anderen<br />
sechs Arbeitnehmern eine Beschäftigung an.<br />
Der EuGH entschied, wie es kaum anders zu erwarten<br />
war 33 , daß dies einen Betriebsübergang im Sinne der Richtlinie<br />
darstellen kann, überläßt die endgültige Beurteilung, bei<br />
Benennung der Kriterien, dem nationalen Gericht. Insbesondere<br />
kann es ausreichen, wenn ein nach Zahl und Sachkunde<br />
wesentlicher Teil des Personals übernommen werden soll 34 .<br />
Allerdings ist es für einen Betriebsübergang keine zwingende<br />
Voraussetzung, daß ein Vertrag zwischen den übernehmenden<br />
Parteien besteht, es reicht aus, wenn ein Dritter dazwischengeschaltet<br />
ist, z. B. der Eigentümer oder<br />
Verpächter 35 . Als wesentlich verweist der EuGH wieder auf<br />
die Identität der Einheit bei tatsächlicher Weiterführung oder<br />
Wiederaufnahme des Betriebes. Der bloße Verlust eines Auftrages<br />
an einen Mitbewerber stellt keinen Übergang dar. Allerdings<br />
kann es ein wesentliches Kriterium für einen Betriebsübergang<br />
darstellen, wenn die „Hauptbelegschaft“<br />
übernommen wird, insbesondere in Branchen, in denen die<br />
menschliche Arbeitskraft wesentlich ist.<br />
Die Literatur scheint sich nun mit dieser Klarstellung<br />
zufrieden zu geben 36 und sieht mit dem Urteil wieder eine<br />
Rückkehr zur Rechtssicherheit 37 .<br />
Nachdem die Neufassung der Richtlinie 38 damit wohl<br />
auch nicht mehr nötig war, hat sich die EU-Kommission<br />
21 Vergl. Fn 14.<br />
22 Junker NJW 1994, 2527; Buchner DB 1994, 1417; Schmitt, WiB 1994, 395;<br />
Bauer BB 1994, 1433; Schwerdtner WPrax 10/1994, 4; Röder/Baeck NZA<br />
1994, 542; Blomeyer, Anm. zu EzA § 613a Nr. 113; Hanau, ZIP 1994, 1038;<br />
Voss, NZA 1995, 205; Henssler, NZA 1994, 930; Heinze, FS-Henckel, 401,<br />
408; Joost, FS-Wlotzke, 683; Loritz, Anm. zu AP § 613 a BGB Nr. 106; Lutter,<br />
ZIP 1994, 1514; Preis, ZIP 1995, 1514; Ziemons, ZIP 1995, 987; Wollenschläger/Pollert,<br />
ZfA 1996, 547, Schiefer, DB 1995, 275; Ziemons, ZIP 1995,<br />
987.<br />
Wohl anderer Ansicht: Zwanziger, DB 1994, 2621; Trittin, AiB 1994, 466;<br />
Zuleeg, Arbeitsrecht der Gegenwart 1995, 41; Wendling-Schröder, AuR 1995,<br />
126; Heilmann, ArbuR 1996, 168.<br />
23 NJW 1994, 2527.<br />
24 DB 1994, 1417.<br />
25 NZA 1994, 542.<br />
26 BB 1994, 1433.<br />
27 NZA 1995, 205.<br />
28 Abl. EG Nr. C 274/10; DB 1994, 1979; Vorgeschlagen wurde der Entwurf von<br />
Kommissar Flynn. Ziel des Änderungsvorschlages ist unter anderem die Präzisierung<br />
des Anwendungsbereiches der bestehenden Richtlinie, insbesondere<br />
Reaktion auf das EuGH-Urteil vom 14.4.1994.Hierzu: Bauer, DB 1994, 1982;<br />
Waas, EuZW 195, 52; Hanau, ZIP 1994, 1568.<br />
29 Welche Wirtschaftseinheit muß bei einer Dienstleistung mitübergehen? Gerade<br />
diese Frage hat sich der EuGH in dem Urteil vom 14.4.1994 gestellt.<br />
Diese Frage bleibt aber auch nach dem Vorschlag offen.<br />
30 Die Kritiker in der deutschen Literatur hätten sich darüber gefreut. Wenn aber<br />
schon eine Neuregelung geschaffen werden sollte, dann hätte diese nicht übereilt<br />
und ohne über weitere Probleme nachzudenken erlassen werden dürfen.<br />
31 Rs. C 13/95; NZA 1997, 433; DB 1997, 628.<br />
32 EuZW 1995, 651; DB 1995, 582.<br />
33 Als einziger wohl zustimmend: Trittin, DB 1997, 1333: „Christel Schmidt bestätigt“.<br />
34 Zur Problematik der Auslegung dieses Kriteriums: Brößke, BB 1997, 1412,<br />
der richtiger weise ausführt, daß es auf den Einzelfall ankommt und zu untersuchen<br />
ist, ob mit den übernommenen Arbeitnehmern der Betrieb oder Betriebsteil<br />
weitergeführt werden kann.<br />
35 Dies hatte der EuGH bereits vorher in zwei anderen Verfahren judiziert: Rs. C<br />
171/94 und C 172/94, EuGHE 1996, 1253 = DB 1996, 683.<br />
36 Buchner, NZA 1997, 408:„Eine konsensfähige Entscheidung“; Heinze; DB<br />
1997, 677: „Überwindung der Irritationen“; Bauer, DB 1997, 1030, Einf. zum<br />
Memorandum der EU-Kommission: „gewisse Beruhigung eingetreten“.<br />
37 So: Heinze, DB 1997, 677.<br />
38 Vgl.: Fn 25.
580<br />
l<br />
entschlossen ein Memorandum zu den erworbenen Ansprüchen<br />
der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen<br />
zu erarbeiten und zu veröffentlichen 39 . Darin wird die wesentliche<br />
EuGH-Rechtsprechung dargestellt und zusammengefaßt,<br />
als auch Hinweise zur Beurteilung gegeben. Es muß<br />
jedoch darauf hingewiesen werden, daß das Memorandum<br />
keinen bindenden Charakter hat und der EuGH jederzeit davon<br />
abweichen kann. Da sich die wesentlichen Ausführungen<br />
jedoch auf dessen Rechtsprechung stützen, wird eine<br />
Abweichung allenfalls gering sein, so daß es in der Praxis<br />
Verwertung finden kann und wird. Die Kommission hat<br />
hier erkannt, daß einzelne Klarstellungen im Rahmen einer<br />
Zusammenfassung angezeigt sind.<br />
7. Eigene Stellungnahme<br />
Wie bereits angeklungen, kann der Verfasser die einhellige<br />
Aufregung über das Ergebnis der EuGH-Rechtsprechung<br />
nicht ganz nachvollziehen. Zwar ist an der Urteilsbegründung<br />
und den unklaren Aussagen des EuGH herbe<br />
Kritik angebracht, die Auswirkungen dieser Rechtsprechung<br />
werden stets erheblich überschätzt.<br />
Nimmt man sich einmal die Rechtsprechung des BAG<br />
zur Hand 40 , so stellt man fest, daß das höchste deutsche Arbeitsgericht<br />
hinsichtlich der Problematik, wann die Voraussetzungen<br />
eines Überganges erfüllt sind, nicht wesentlich<br />
andere Aussagen als der EuGH trifft.<br />
So hat das BAG im Urteil vom 9.2.1994, also zeitlich<br />
vor der Christel-Schmidt Entscheidung des EuGH, unter<br />
anderen Folgendes ausgeführt:<br />
„Nach ständiger Rechtsprechung des BAG machen die<br />
übernommenen sächlichen und immateriellen Betriebsmittel<br />
einen Betrieb i. S. von § 613 a BGB schon dann aus,<br />
wenn der neue Inhaber mit ihnen und mit Hilfe der Arbeitnehmer<br />
bestimmte arbeitstechnische Zwecke weiterverfolgen<br />
kann. Dabei ist es nicht erforderlich, daß alle Wirtschaftsgüter,<br />
die bisher zu dem Betrieb des alten Inhabers<br />
gehörten, auf den neuen Betriebsinhaber übergehen. Unwesentliche<br />
Bestandteile des Betriebes bleiben außer Betracht.“<br />
„Für die Frage, welche Betriebsmittel für die Erfüllung<br />
der arbeitstechnischen Zwecke wesentlich sind, ist auf die<br />
Eigenart des Betriebes abzustellen. Für Handels- und<br />
Dienstleistungsbetriebe, deren Betriebsvermögen hauptsächlich<br />
aus Rechtsbeziehungen besteht, sind es in erster<br />
Linie die immateriellen Betriebsmittel wie Kundenstamm,<br />
Kundenlisten, die Geschäftsbeziehungen zu Dritten, das<br />
„Know how“ und der „good will“, ebenso wie die Einführung<br />
des Unternehmens auf dem Markt, ggf. auch Geschäftsräume<br />
und Geschäftslage, sofern diese Bestandteile<br />
des Betriebes es ermöglichen, den bisherigen Kundenkreis<br />
zu halten und auf den neuen Betriebsinhaber überzuleiten.“<br />
„Der bisherige Betriebsinhaber kann immaterielle<br />
Wirtschaftsgüter, namentlich know how und good will einschließlich<br />
der Kundenbeziehungen und Branchenkenntnisse<br />
dadurch auf den Betriebserwerber übertragen, daß<br />
im allseitigen Einvernehmen Arbeitnehmer, die diese immateriellen<br />
Betriebsmittel verkörpern, zum Erwerber<br />
wechseln, um dort ihr Wissen einzusetzen.“<br />
„Der Abschluß der Arbeitsverträge noch vor bzw. wenige<br />
Tage nach der Schließung des Betriebs der L spricht<br />
dafür, daß die Beklagte von Anfang an vorhatte, mit dem<br />
eingespielten Team von Arbeitnehmern, insbesondere mit<br />
AnwBl 11/98<br />
Aufsätze<br />
dem durch die Einstellung des Herrn M übernommenen<br />
know-how, den bisherigen Betriebszweck fortzuführen.“<br />
Mit Urteil vom 19.11.1996, mithin vor der neuesten<br />
EuGH-Entscheidung hat das BAG folgendes ausgeführt 41 :<br />
„Für die Annahme eines rechtsgeschäftlichen Betriebsüberganges<br />
i. S. von § 613 a BGB kommt es entscheidend<br />
darauf an, daß ein zuvor stillgelegter Betrieb mit allen wesentlichen<br />
Betriebsmitteln in der Weise erworben wird,<br />
daß die arbeitstechnischen Zwecke des Betriebes weiterverfolgt<br />
werden können.“<br />
„Die Übernahme einer entsprechenden Verpflichtung<br />
und die tatsächliche Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern<br />
sprechen aber für die Absicht des Erwerbers, die bisherige<br />
betriebliche Leitungsfähigkeit zu verwerten und damit<br />
für einen Betriebsübergang.“<br />
Das BAG unterscheidet zunächst einmal nach der Art<br />
des Betriebes. Problematisch sind vor allem Dienstleistungsunternehmen,<br />
wie die vom BAG entschiedenen Fälle<br />
als auch die EuGH-Rechtsprechung zeigen. Bei Unternehmen<br />
dieser Art gibt es oftmals keine „greifbaren“ Betriebsmittel,<br />
sondern nur oder hauptsächlich immaterielle Betriebsmittel.<br />
Deshalb kann es bei solchen Betrieben oder<br />
Betriebsteilen für einen Betriebsübergang i. S. des § 613a<br />
BGB nicht auf die Übertragung von materiellen Betriebsmitteln<br />
ankommen.<br />
Wenn es auf die Übertragung der immateriellen Betriebsmittel<br />
ankommt, wird die Frage aufgeworfen, wie immaterielle<br />
Betriebsmittel übertragen werden. Das BAG führt<br />
dazu aus, daß die Übertragung auch durch den Wechsel von<br />
Arbeitnehmer, die das wesentliche Wissen mitbringen, erfolgen<br />
kann. Diese Entscheidungen bezogen sich auf den<br />
Übergang eines Betriebes, der auf den Handels- und<br />
Dienstleistungssektor tätig war.<br />
Der vom EuGH entschiedene Fall Christel Schmidt betraf<br />
ein Betriebsteil, nämlich die Raumpflege, in den nur<br />
eine Arbeitnehmerin beschäftigt war. Dabei stellt sich wiederum<br />
die Frage, welche Betriebsmittel überhaupt vorhanden<br />
sind. Materielle Betriebsmittel sind die Putz- und Pflegemittel,<br />
als auch dazugehörige Instrumente. Für einen<br />
Betriebsteilübergang müssen diese jedoch nicht übertragen<br />
werden. Da die Raumpflege nur betriebseigen war, bestanden<br />
die immateriellen Betriebsmittel wohl in der Kenntnis<br />
der Räumlichkeiten und der vorzugehenden Putzweise.<br />
Diese sind in der betroffenen Arbeitnehmerin verkörpert 42 .<br />
Da zu dem Betriebsteil nur eine Arbeitnehmerin gehörte,<br />
verbindet sich die Voraussetzung und die Folge des Betriebsüberganges<br />
in einem. Wechselt die Arbeitnehmerin<br />
zum Erwerber, so liegt ein Betriebsübergang vor und das<br />
Arbeitsverhältnis geht über. Voraussetzung für den Betriebsübergang<br />
wäre demnach, daß das Arbeitsverhältnis<br />
übergeht. Dies kann natürlich nicht sein, denn dann beißt<br />
sich die Katze in den Schwanz. In dem ersten vom BAG<br />
entschiedenen Fall war dies einfacher, da ein Arbeitsvertrag<br />
mit dem Arbeitnehmer abgeschlossen wurde, der die imma-<br />
39 Vgl.: Fn 7.<br />
40 Beispielsweise: BAG, DB 1981, 1140; DB 1985, 1399; DB 1994, 1144 = NJW<br />
1995, 73; NJW 1995, 75; NZA 1995, 222 = BB 1995, 570; BAG, DB 1997,<br />
1036.<br />
41 BAG, DB 1997, 1036.<br />
42 So auch das BAG, NJW 1995, 73 (74).
AnwBl 11/98 581<br />
Aufsätze l<br />
teriellen Betriebsmittel verkörperte. Bei seinen Ausführungen<br />
bezieht sich das BAG aber in beiden Entscheidungen<br />
unter anderem auch darauf, ob die Fremdfirma beabsichtigt,<br />
mit dem in den Arbeitnehmern verkörperten knowhow<br />
das Betriebsteil weiterzuführen.<br />
Die vom EuGH entschiedenen Fälle zeigen aber eine Lösungsmöglichkeit<br />
auf, die im Ergebnis von dem Gedanken<br />
der BAG-Rechtsprechung nicht weit entfernt ist. Ein Übergang<br />
ist dann gegeben, wenn die immateriellen Betriebsmittel<br />
zumindest übergehen sollten. Auf den tatsächlichen Übergang<br />
kann es insoweit nicht ankommen, da dazu schließlich<br />
der Übergang des Arbeitsverhältnisses notwendig wäre, was<br />
aber die Folge von § 613a BGB ist. In dem EuGH-Fall Christel<br />
Schmidt hat die Fremdfirma Frau Schmidt angeboten,<br />
bei ihr zu arbeiten. Dies sollte zu einem höheren Lohn bei<br />
einer gesteigerten Arbeitszeit erfolgen. Die Fremdfirma<br />
wollte also die in der Arbeitnehmerin verkörperten immateriellen<br />
Betriebsmittel erhalten. Nachdem diese übergehen<br />
sollten, muß ein Betriebsteilübergang bejaht werden. Würde<br />
ein Übergang verneint werden, so wäre bei der hier vorliegenden<br />
Fallkonstellation ein Übergang ausgeschlossen.<br />
Bei Externalisierung einer Dienstleistung kann es nicht<br />
angehen, daß die Arbeitnehmer zu schlechteren Bedingung<br />
bei der Fremdfirma angestellt werden können. § 613a BGB<br />
will nämlich gerade verhindern, daß dieselbe Arbeit für einen<br />
anderen Arbeitgeber zu schlechteren Arbeitsbedingungen<br />
geleistet werden muß oder das Arbeitsverhältnis bei einer<br />
Ablehnung der schlechteren Arbeitsbedingungen durch<br />
den Arbeitnehmer endet. Frau Schmidt wollte die schlechteren<br />
Arbeitsbedingungen (erhebliche Mehrarbeitszeiten)<br />
nicht akzeptieren. Der EuGH hat demnach richtig entschieden,<br />
nur leider in der Begründung die hier ausgeführten<br />
Einschränkungen nicht klar ausgesprochen, was nun ergänzend<br />
in der Süzen-Entscheidung erfolgte.<br />
Die Entscheidungen liegen nicht weit entfernt von der<br />
Rechtsprechung des BAG, das einen Übergang der immateriellen<br />
Betriebsmittel im Wechsel von Arbeitnehmern, die<br />
diese verkörpern, sieht. Der Fall Schmidt zeigt, daß es nicht<br />
immer auf den tatsächlichen Übergang ankommen kann.<br />
Dies muß aber auch dann gelten, wenn mehr als eine Arbeitnehmerin<br />
dem Betriebsteil zuzuordnen sind, weil es<br />
auch bei einer Mehrzahl von Arbeitnehmer möglich ist, daß<br />
es aufgrund des Angebotes der Fremdfirma zu schlechteren<br />
Arbeitsbedingungen weiter zu arbeiten nicht zu einem<br />
Übergang der immateriellen Betriebsmittel kommt, da der<br />
oder die Arbeitnehmer es ablehnen zu schlechteren Arbeitsbedingungen<br />
zu arbeiten.<br />
Nicht zu vergessen ist, daß sich diese Ausführungen nur<br />
auf die Besonderheit, daß sehr wenige Betriebsmittel zur<br />
Verfügung stehen, auch sehr wenige immaterielle, bezieht.<br />
Daher sind diese Ausführungen nicht ohne weiteres auf<br />
sämtliche andere Dienstleistungen zu übertragen. Abzustellen<br />
ist stets auf die konkret vorhandenen Betriebsmittel.<br />
Wenn sich die wesentlichen Betriebsmittel aber in der Person<br />
des Arbeitnehmers verkörpern, so reicht es aus, daß<br />
diese Betriebsmittel übergehen sollten. Sind noch andere<br />
nicht in der Person des Arbeitnehmers verkörperte immaterielle<br />
Betriebsmittel vorhanden, so sind dies natürlich bei<br />
der Beurteilung, was wesentliche Betriebsmittel sind zu berücksichtigen.<br />
Sind sie wesentlich, so setzt ein Betriebsübergang<br />
auch den tatsächlichen Übergang voraus.<br />
Der Verfasser sieht in der hier vertreten Auffassung die<br />
Lösung für das Dilemma der Externalisierung von Dienstleistungen<br />
wie folgt:<br />
1. Zunächst muß festgestellt werden, ob die Einheit in<br />
der Form eines Betriebsteiles organisiert ist.<br />
2. Sodann muß festgestellt werden, welche wesentlichen<br />
Betriebsmittel vorhanden sind.<br />
3. Bestehen die wesentlichen Betriebsmittel nur aus<br />
immateriellen Betriebsmittel, so ist zu prüfen, ob diese in<br />
den Arbeitnehmern verkörpert sind.<br />
4. Ist dies der Fall, so reicht es für den Übergang eines<br />
Betriebes oder Betriebsteiles aus, daß diese wesentlichen<br />
immateriellen in der Person des Arbeitnehmers verkörperten<br />
Betriebsmittel übergehen sollten. Dies wird meist gegeben<br />
sein, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Fremdfirma<br />
dem Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz anbietet. Hinsichtlich<br />
des wesentlichen Teils (nach Art und Sachkunde 43 )<br />
kommt es auf die Eigenart des Betriebes und der konkreten<br />
im Arbeitnehmer verkörperten Betriebsmittel an.<br />
Zur Klarstellung sei nochmals erwähnt, daß bei dem<br />
Vorhandensein von wesentlichen materiellen Betriebsmittel<br />
und/oder wesentlichen immateriellen Betriebsmittel, die<br />
nicht in der Person des Arbeitnehmers verkörpert sind,<br />
diese tatsächlich übergehen müssen, um die Voraussetzungen<br />
nach § 613 a BGB zu erfüllen. Allerdings müssen nach<br />
dem BAG 44 und des EuGH 45 nicht sämtliche wesentlichen<br />
Betriebsmittel übergehen, sondern es kommt vielmehr auf<br />
eine Gesamtschau an. Daher ist stets auf den Einzelfall abzustellen.<br />
Dies sollte auch bei der Interpretation von Rechtsprechung<br />
des EuGH gelten. Bei Fragen in der Zukunft<br />
sollten sich die Arbeitsgerichte nicht schäuen, dem EuGH<br />
entsprechende Fragen vorzulegen 46 .<br />
(Das Manuskript ist Ende 1997 abgeschlossen worden.)<br />
43 Hierzu auch: Brößke, BB 1997, 1412.<br />
44 DB 1994, 1144.<br />
45 Zuletzt; EuGH, DB 1997, 628 = NZA 1997, 433; Hierzu auch: Buchner, NZA<br />
1997, 408.<br />
46 So bereits geschehen vom LAG Hessen, NZA-RR 1997, 41 zu dem Fall, daß<br />
ein Lehrgang von einem anderen Unternehmen fortgeführt wird wegen Liquidation<br />
des ersten Unternehmens und ein erheblicher Teil der Lehrkräfte übernommen<br />
wird. Nach der hier vertretenen Auffassung ist ein Betriebsübergang<br />
gegeben.<br />
Buchhinweis<br />
Günter Holly: „Heiter betrachtet“, ART & GRAFIK Verlag,<br />
Ettlingen, 5. Aufl. 1997, 127 S., geb., 19,80 DM<br />
Im ART & GRAFIK VERLAG erschien „Heiter betrachtet“ von<br />
dem Kollegen Rechtsanwalt Günter Holly. Der Autor hat sich nach<br />
40 Jahren von seiner Anwaltstätigkeit zurückgezogen und hat nun<br />
Zeit und Muße, sich den heiteren Dingen zu widmen. Mit Witz<br />
und ausgefeilter Formulierung begeistert er den Leser. Seine Gedichte<br />
sind zeitlose Betrachtungen über das Leben. In humorvollen<br />
Reimen sind ernste Gedanken verpackt. Es ist schön, zu sehen, daß<br />
die 40jährige Anwaltstätigkeit den Geist und den Humor beflügelt.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Bonn
582<br />
0<br />
Zwangsschlichtung –<br />
Nein danke!<br />
„Es war einmal ein Rechtsstaat,<br />
den eine immer größer werdende Anzahl<br />
von Rechtsanwälten zum eigenen<br />
Vorteil mißbrauchte: Sie erzeugten mit<br />
immer mehr aussichtslosen Rechtsstreitigkeiten<br />
– selbst bei niedrigstem<br />
Streitwert – eine Prozeßflut, in der die<br />
Justiz zu ertrinken drohte. Finanziert<br />
wurde dieses ruchlose Unterfangen<br />
von Rechtsschutzversicherungen, die<br />
aus friedfertigen Bürgern prozeßwütige<br />
Streithansel machten und den<br />
Rechtsanwälten zur Zweit-Villa im<br />
Tessin und zur Segelyacht in der Karibik<br />
verhalfen“.<br />
Dieses Märchen – immer wieder<br />
erzählt – hat keinerlei Wahrheitsgehalt<br />
und wird durch Fakten und empirische<br />
Untersuchungen eindeutig widerlegt:<br />
Rechtsanwälte erledigen mehr als<br />
70% der ihnen übertragenen Mandate<br />
außergerichtlich; sie versuchen aus eigenem<br />
Interesse, Prozesse mit niedrigem<br />
Gegenstandswert zu vermeiden,<br />
da sie erst ab einem Streitwert von<br />
3.000,– DM kostendeckend arbeiten<br />
können. Obgleich sich die Zahl der<br />
Rechtsanwälte und das Prämienaufkommen<br />
der Rechtsschutzversicherungen<br />
in den letzten Jahrzehnten vervielfacht<br />
haben, sind die Neuzugänge bei<br />
den Zivilgerichten rückläufig.<br />
Alle wissenschaftlichen Studien,<br />
zuletzt eine vom Bundesjustiz-Ministerium<br />
veranlaßte Strukturanalyse der<br />
Justiz, haben ergeben, daß rechtsschutzversicherte<br />
Prozeßparteien sich<br />
im wesentlichen nicht anders verhalten<br />
als nichtversicherte, sie prozessieren<br />
insbesondere keineswegs erfolgloser,<br />
sondern in manchen Bereichen sogar<br />
erfolgreicher als Nichtversicherte.<br />
Und dennoch: Die Legende lebt.<br />
An Richterstammtischen und in<br />
Ministerialvorlagen für „Justizreformen“,<br />
mit denen weitere Rechtswegverkürzungen,Gerichtskostenerhöhungen<br />
und richterliche Arbeitserleichterungen<br />
begründet werden, ist immer<br />
von einer Prozeßflut die Rede, die es<br />
einzudämmen gilt.<br />
Tatsächlich sind gerade in den letzten<br />
Jahren die Eingänge bei den Zivilgerichten<br />
rückläufig, vorsichtige Justizminister<br />
sprechen daher nicht mehr<br />
von einer Prozeßflut, sondern kryptisch<br />
von einer „Konsolidierung auf<br />
hohem Stand“. Da die bundesweiten<br />
Zahlen nur mit großen Verzögerungen<br />
und unvollständig bekanntgegeben<br />
werden, hier einige Zahlen aus Nordrhein-Westfalen,<br />
die strukturell auch in<br />
anderen Bundesländern nicht wesentlich<br />
anders sein dürften:<br />
Neuzugänge bei den Amtsgerichten:<br />
1993 1994 1995 1996 1997<br />
451.303 446.213 427.547 420.013 415.918<br />
Noch drastischer sind die Rückgänge<br />
bei den Landgerichten, da die Eingangszahlen<br />
1996 noch deutlich unter<br />
den Eingangszahlen von 1970 (!) liegen:<br />
1970 1980 1987<br />
97.535 99.432 102.953<br />
1988 1989 1990<br />
101.044 99.787 101.132<br />
1991 1992 1993<br />
100.254 106.581 94.098<br />
1994 1995 1996<br />
87.081 86.487 86.985<br />
Nunmehr dient das eingangs geschilderte<br />
Märchen als Begründung<br />
dafür, den Zugang zu den Amtsgerichten<br />
durch ein vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren<br />
zu erschweren.<br />
Der Gedanke, Meinungsverschiedenheiten<br />
einvernehmlich zu regeln,<br />
ist so alt, wie die Menschheit selbst.<br />
Seit der Neandertaler die Keule aus<br />
der Hand gelegt und die Sprache als<br />
Mittel der Kommunikation entdeckt<br />
hat, wurde immer wieder versucht,<br />
einvernehmliche und außergerichtliche<br />
Streitschlichtung durchzuführen.<br />
Von der Antike bis zur Gegenwart<br />
gab es immer Einrichtungen, die sich<br />
um Vermittlung und Konfliktbewältigung<br />
ohne gerichtliche Entscheidung<br />
bemüht haben.<br />
Zur Zeit steht die Mediation im<br />
Vordergrund, die sich insbesondere im<br />
familienrechtlichen Bereich bereits bewährt<br />
hat.<br />
AnwBl 11/98<br />
Alle Erfahrungen mit außergerichtlicher<br />
Konfliktbewältigung haben eines<br />
gemeinsam:<br />
Erfolgsaussichten bestehen nur<br />
dann, wenn alle Konfliktbeteiligten<br />
ein Interesse an dieser einvernehmlichen<br />
Regelung haben.<br />
Eine Zwangsschlichtung gegen den<br />
Willen beider Parteien oder einer der<br />
Parteien ist damit von Anfang an zum<br />
Scheitern verurteilt. Ein besonders abwegiges<br />
Kriterium für eine Zwangsschlichtung<br />
ist der Streitwert: Jeder<br />
Praktiker weiß, daß gerade bei kleineren<br />
Streitigkeiten oft nicht die Sache,<br />
sondern das Prinzip oder andere Kriterien<br />
im Vordergrund stehen. Eine gesetzlich<br />
verordnete Schlichtung in<br />
einem Vorschaltverfahren kann diese<br />
Fehlentwicklung nicht verhindern,<br />
sondern allenfalls verstärken: Wer den<br />
Streit sucht und mit aller Gewalt ausfechten<br />
möchte, sieht in dem zwangsweise<br />
vorgeschalteten Verfahren eine<br />
weitere Instanz, in der er sich darstellen<br />
und seine Streitlust ausleben kann.<br />
Wer – wie in vielen Zivilprozessen<br />
zu beobachten ist – nur Zeit gewinnen<br />
will, wird sich erst recht über ein vorgeschaltetes<br />
Schlichtungsverfahren<br />
freuen, zumal nach den bisherigen Plänen<br />
der Länder-Justizminister durch<br />
das Schlichtungsverfahren keine gesonderten<br />
Kosten entstehen sollen.<br />
In Nordrhein-Westfalen gibt es das<br />
Schiedsamtsgesetz von 1992, nach<br />
dem vor Schiedspersonen in vermögensrechtlichen<br />
Streitigkeiten ohne<br />
Rücksicht auf den Streitwert ein Güteverfahren<br />
durchgeführt werden kann,<br />
für Privatklageverfahren ist dieses Verfahren<br />
zwingend vorgeschrieben. Über<br />
zivilrechtliche Schlichtungen der<br />
Schiedspersonen ist bislang nichts bekannt<br />
geworden. Die geringe Akzeptanz<br />
der Schlichtungsverfahren in zivilrechtlichen<br />
Belangen dürfte in<br />
erster Linie darauf zurückzuführen<br />
sein, daß die Schiedspersonen keine<br />
Juristen sind.<br />
Die von einigen Rechtsanwaltskammern<br />
eingerichteten Schiedsstellen<br />
haben ebenfalls keine große Akzeptanz<br />
gefunden. Dies dürfte daran liegen,<br />
daß Rechtsanwälte nur wenig geneigt<br />
sind, sich mit ihren Mandanten<br />
zu einem Berufskollegen zu begeben,
AnwBl 11/98 583<br />
Editorial<br />
der aufgrund seiner hohen Sachkompetenz<br />
schlichtet oder entscheidet. Hier<br />
besteht die allzu menschliche und<br />
nicht ganz unberechtigte Befürchtung,<br />
daß der Mandant sich in Zukunft unmittelbar<br />
dem Kollegen anvertraut, der<br />
ihn durch seine Qualifikation und souveräne<br />
Schlichtungsverhandlung ihn<br />
beeindruckt hat.<br />
Aus beiden Erfahrungen müssen<br />
Lehren gezogen werden:<br />
Schlichter müssen Juristen sein,<br />
allerdings keine unmittelbaren Konkurrenten<br />
der Verfahrensbevollmächtigten.<br />
Anwaltliche Schlichtungsstellen<br />
oder Schiedsgerichte sollten daher nur<br />
mit Rechtsanwälten besetzt werden, die<br />
in anderen Gerichtsbezirken tätig sind.<br />
Trotz der nicht vorhandenen Prozeßflut<br />
und trotz der fehlenden Notwendigkeit<br />
der Entlastung der Richter<br />
scheinen die Justizminister von der<br />
Einführung einer obligatorischen<br />
Schlichtung nicht ablassen zu wollen.<br />
Die Anwaltschaft hat sich zwar bereiterklärt,<br />
diese Schlichtungsverfahren<br />
durchzuführen, allerdings nicht zu den<br />
Gebühren, die bislang im Gespräch<br />
waren. Wenn die Anwaltschaft sich<br />
nicht bewegt, muß befürchtet werden,<br />
daß gleichwohl Schlichtungsstellen<br />
eingerichtet werden, allerdings ohne<br />
Beteiligung der Anwaltschaft.<br />
Als nach der Wende 1989 Bundesrechtsanwaltskammer<br />
und <strong>Deutscher</strong><br />
<strong>Anwaltverein</strong> gemeinsam Rechtsanwälte<br />
in die neuen Bundesländer entsandt<br />
haben, die dort als Richter tätig<br />
waren und am Aufbau einer ordentlichen<br />
Justiz mitwirkten, war die<br />
Zustimmung in der Bevölkerung sehr<br />
groß, da vielen erstmalig bewußt wurde,<br />
daß auch alle Rechtsanwälte die<br />
Befähigung zum Richteramt haben.<br />
Dieser Vorgang war ein großer Prestigegewinn<br />
für die Anwaltschaft.<br />
Die Anwaltschaft sollte daher überlegen,<br />
von sich aus Schlichtungsstellen<br />
einzurichten und gemeinsam mit der<br />
Justiz zu finanzieren und zwar nicht<br />
fallbezogen, sondern orientiert an einem<br />
Richtergehalt.<br />
Es gibt eine Vielzahl junger Kolleginnen<br />
und Kollegen, die froh wären,<br />
an zwei Tagen in der Woche mit 2/5<br />
eines Richtergehalts als Schiedsrichter<br />
arbeiten zu können.<br />
Aber auch viele erfahrene Kollegen<br />
werden sicherlich zu gewinnen sein,<br />
das Amt eines Schlichters und<br />
Schiedsrichters auszuüben, selbst<br />
wenn die Bezahlung nicht den sonstigen<br />
Einkommensverhältnissen entspricht.<br />
Die Anwaltschaft sollte die Chance<br />
nutzen, sich als Organ der Rechtspflege<br />
zu präsentieren und deutlich zu<br />
machen, daß Rechtsanwälte keine<br />
schlechteren Juristen als Richter sind.<br />
Der irrationale Drang der Justizminister,<br />
im Justizhaushalt weitere Sparmaßnahmen<br />
durchzuführen, ist gerade<br />
im Bereich der Zivilgerichtsbarkeit<br />
unverständlich, da in diesem Bereich<br />
angesichts der drastischen Gebührenerhöhungen<br />
im Jahre 1994 nahezu<br />
kostendeckend gearbeitet wird. Während<br />
der Staat ständig nach neuen<br />
Arbeitsplätzen ruft, hat die Justiz<br />
nichts anderes im Sinn, als Arbeitsplätze<br />
abzubauen und zwar nicht nur<br />
bei den Richterstellen, sondern auch in<br />
den anderen Bereichen.<br />
Der immer wieder heraufbeschworene<br />
Justizbeamte, der mit seinem Karren<br />
die Akten transportiert, wird<br />
sicherlich nur das Heer der Arbeitslosen<br />
vergrößern, wenn sein Arbeitsplatz<br />
abgebaut wird, da er auf dem freien<br />
Markt kaum eine seine Fähigkeiten<br />
angemessene Stelle finden wird.<br />
Die Anwaltschaft darf nicht nur<br />
reagieren, sie muß agieren: Rechtsanwaltskammer<br />
und <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />
sollten gemeinsam Schlichtungsstellen<br />
einrichten, die von den<br />
beiden Berufsorganisationen und der<br />
Justiz finanziert werden.<br />
Die Akzeptanz dieser Schlichtungsstellen<br />
kann nicht durch Zwang erzielt<br />
werden, vielmehr werden diese<br />
Schlichtungsstellen nur dann Erfolg haben,<br />
wenn sie gegenüber der ordentlichen<br />
Justiz Vorteile bieten: Die<br />
Schlichtungsstellen müssen mit qualifizierten<br />
Juristen besetzt werden, die<br />
schnell und sachkundig arbeiten. Ein<br />
zusätzlicher Anreiz könnte darin bestehen,<br />
daß bei einer Einigung vor dieser<br />
Schlichtungsstelle die Gerichtskosten<br />
erlassen werden, während die<br />
Rechtschutzversicherungen, wenn es<br />
zu einer Schlichtung kommt, auf die ansonsten<br />
zwischenzeitlich übliche<br />
Selbstbeteiligung an den Verfahrenskosten<br />
verzichten.<br />
Es erscheint wenig sinnvoll, die<br />
Inanspruchnahme der Schlichtungsstellen<br />
vom Streitwert abhängig zu<br />
machen. Vielmehr sollte den Richtern<br />
überlassen werden, die ihnen geeigneten<br />
Fälle an diese Schlichtungsstellen<br />
zu verweisen. Zwar wird auch hier<br />
sehr schnell die Sorge der Anwaltskol-<br />
legen zu hören sein, daß Richter dann<br />
die jeweils schwierigen und ihnen<br />
lästig erscheinenden Fällen „abwimmeln“.<br />
Warum nicht ?<br />
Zeigen wir der ordentlichen<br />
Justiz, daß die Anwaltschaft effizient<br />
auch im richterlichen Bereich arbeiten<br />
kann !<br />
Machen wir der ordentlichen Justiz<br />
Konkurrenz !<br />
Das Schlichtungsverfahren darf<br />
nicht mit dem Makel des „Armenrechts“<br />
belegt werden, weil dort nur<br />
Streitigkeiten mit geringem Gegenstandswert<br />
verhandelt werden.<br />
Wie im vergangenen Jahrhundert<br />
der Aufdruck „made in Germany“ zunächst<br />
als Diskriminierung gedacht<br />
und sich später als Markenzeichen entwickelt<br />
hat, so muß auch das Schiedsverfahren<br />
als sinnvolle und oft auch<br />
bessere Alternative zur ordentlichen<br />
Justiz Fuß fassen.<br />
Von der ordentlichen Gerichtsbarkeit<br />
sagt man gelegentlich: Die erste Instanz<br />
entscheidet schnell, die zweite richtig.<br />
Die Anwaltschaft sollte Schiedsgerichte<br />
anbieten, von denen es dann<br />
heißt, sie entscheiden schnell und<br />
richtig.<br />
Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren,<br />
Köln<br />
Vorsitzender der DAV-<br />
Arbeitsgemeinschaft Versicherungsrecht
584<br />
MN<br />
5 %<br />
DAV-Intern<br />
Landesverbandskonferenz<br />
Auf Einladung des Landesanwaltvereins<br />
Sachsen-Anhalt fand die diesjährige<br />
Konferenz der Landesverbandsvorsitzenden<br />
vom 3. bis 5. September<br />
1998 in Halle statt. Der im Mai dieses<br />
Jahres neu gewählte Obmann der Landesverbandskonferenz,<br />
Rechtsanwalt<br />
Rolf-Michael Eggert, Mecklenburg-<br />
Vorpommern hatte bereits im Vorfeld<br />
angekündigt, daß die Kommunikation<br />
zwischen den örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>en,<br />
den Landesverbänden und dem<br />
Dachverband DAV einArbeitsschwerpunkt<br />
während seiner Amtszeit sein<br />
werde. Er warb in diesem Zusammenhang<br />
besonders für den verstärkten Einsatz<br />
der Kommunikationsmöglichkeiten<br />
durch das Internet. Die Landesverbände<br />
stehen der Nutzung dieser Möglichkeiten<br />
offen gegenüber. Ein weiterer<br />
Schwerpunkt der Konferenz war die<br />
Diskussion um die Reform der Juristenausbildung.<br />
Dieses Thema war im<br />
übrigen auch Gesprächsgegenstand bei<br />
dem Begrüßungsabend in Anwesenheit<br />
der Justizministerin des Landes Sachsen-Anhalt,<br />
Karin Schubert. Mit besonderem<br />
Interesse nahmen die Landesverbände<br />
die Ankündigung des DAV-Präsidenten<br />
auf, daß ein Wandel in der<br />
Unternehmensphilosophie der Deutschen<br />
AnwaltAkademie GmbH bevorstehe.<br />
Geplant sei ein Ausbildungsverbund<br />
der Deutschen AnwaltAkademie,<br />
der DAV-Arbeitsgemeinschaften und<br />
der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e, wobei daran<br />
gedacht sei, die unterschiedliche<br />
Preisgestaltung für Nichtmitglieder und<br />
Mitglieder wieder einzuführen. Zum<br />
Abschluß der Konferenz kündigte der<br />
frühere Obmann der Landesverbandskonferenz,<br />
Rechtsanwalt Dr. Gerd<br />
Krieger, Baden-Württemberg sein Ausscheiden<br />
aus diesem Gremium an, da<br />
er nicht mehr erneut für den Vorsitz<br />
des Landesverbandes Baden-Württemberg<br />
kandidieren werde. Rechtsanwalt<br />
Uwe Kärgel, Berlin, Vizepräsident des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s dankte ihm<br />
noch einmal für seine Verdienste um<br />
die Landesverbände und den Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>. Der Obmann, Rechtsanwalt<br />
Rolf-Michael Eggert sprach dem<br />
Vorsitzenden des gastgebenden Landesverbandes,<br />
Rechtsanwalt Dr. Siegfried<br />
Brandt, Sachsen-Anhalt seinen Dank<br />
für die hervorragende Organisation und<br />
Gestaltung sowohl der Konferenz als<br />
auch des Rahmenprogramms aus. Die<br />
nächste Landesverbandskonferenz wird<br />
anläßlich des Anwaltstages im Mai<br />
1999 in Bonn stattfinden. Zur Herbstkonferenz<br />
vom 2. bis 4. September<br />
1999 hat der Vorsitzende des Landesverbandes<br />
Rheinland-Pfalz, Rechtsanwalt<br />
Reinhard Matissek eingeladen.<br />
Rechtsanwältin Heidemarie Haack-<br />
Schmahl, Bonn<br />
DAV-Pressemitteilungen<br />
Zu wenige Fälle der<br />
Strafverteidigung von<br />
Jugendlichen in<br />
Jugendgerichtssachen<br />
Es besteht ein bedenkliches rechtsstaatliches<br />
Defizit an anwaltlicher Vertretung<br />
von Jugendlichen vor Gericht.<br />
Die Beiordnung von Rechtsanwälten<br />
in Jugendstrafsachen erfolgt zu wenig,<br />
daher ist eine gesetzliche Neuregelung<br />
erforderlich. Nicht nur Erwachsenen,<br />
sondern gerade auch Jugendlichen<br />
müssen kompetente Verteidiger an die<br />
Seite gestellt werden, die deren Interessen<br />
vertreten. Darauf weist der<br />
Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> (DAV) hin.<br />
Während bei Verfahren vor den<br />
Schöffengerichten 1995 über 70% der<br />
angeklagten Erwachsenen anwaltlich<br />
vertreten waren, verzeichnet die Statistik<br />
für die Jugendschöffengerichte lediglich<br />
knapp 50%. Beim Jugendrichter<br />
(Einzelrichter) sind weniger als 20%<br />
der Angeklagten anwaltlich vertreten.<br />
Dies ist vor dem Hintergrund um<br />
so bedenklicher, daß 61 % aller Ermittlungsverfahren<br />
im Bereich der Jugendkriminalität<br />
im Wege der informellen<br />
Erledigung bei der Staatsanwaltschaft<br />
beendet werden. Das bedeutet, daß<br />
diejenigen Fälle, die zu Gericht kommen,<br />
von erheblichem Gewicht sind.<br />
Daraus folgt, so der DAV, daß dies<br />
eigentlich alles Fälle notwendiger Verteidigung<br />
sind.<br />
Die in solchen Verfahren vorgesehen<br />
Jugendgerichtshelfer können kompetent<br />
nicht die Rechte der Angeklagten<br />
ausreichend wahren. Dies folgt<br />
schon aus der Doppelfunktion der<br />
Jugendgerichtshelfer von betreuend<br />
helfender Tätigkeit einerseits und Ermittlungstätigkeit<br />
andererseits. Trotzdem<br />
ist zu erkennen, daß Jugend-<br />
gerichtshelfer zunehmend die Verteidigerrolle<br />
übernehmen.<br />
Der DAV stellt an den Gesetzgeber<br />
die Forderung, gesetzlich zu regeln,<br />
daß für alle Fälle, in denen Anklage<br />
vor dem Jugendschöffengericht und<br />
Jugendrichter erhoben wird, ein Strafverteidiger<br />
beizuordnen ist. Bis dahin<br />
ist es nach Ansicht des DAV dringend<br />
nötig, die Möglichkeit der Beiordnung<br />
von Rechtsanwälten in Jugendgerichtssachen<br />
großzügig anzuwenden.<br />
DAV-Pressemitteilung 24/98 v. 8.9.98<br />
PR-Referat<br />
AnwBl 11/98<br />
Forum „Zukunft der Anwaltschaft“<br />
Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> hat<br />
erstmals wieder seit 1988 ein Forum<br />
„Zukunft der Anwaltschaft“ vom 1.<br />
bis 3. Oktober 1998 in Mainz veranstaltet.<br />
Auf dem Forum ging es u. a.<br />
um zukunftsorientierte Fragen der Anwaltschaft,<br />
das Berufsbild und Berufsverständnis<br />
des Anwalts und die<br />
anwaltlichen Tätigkeitsbereiche. Nur<br />
die Rechtsanwälte selbst können ihr<br />
Berufsbild und ihr Berufsverständnis<br />
eigenverantwortlich diskutieren. Rund<br />
um das Forum gab es eine Reihe von<br />
Meldungen. Der Präsident des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt<br />
Dr. Michael Streck, gab im Vorfeld der<br />
Nachrichtenagentur Reuters und der<br />
Nachrichtenagentur dpa ein Interview.<br />
Thema des ersten Tages des Forums<br />
war neben der Situation der Anwaltschaft<br />
auch die Juristenausbildung.<br />
Hierüber berichtete das Handelsblatt<br />
am 2. Oktober 1998. Über das Problem<br />
der Juristenaubildung wird Dr.<br />
Streck zitiert: „Wir sind der einzige<br />
Berufsstand, der den gesamten Rest<br />
(der jährlichen Absolventen) aufnehmen<br />
muß.“ Die Zahl der neu zugelassenen<br />
Rechtsanwälte steige dadurch<br />
jährlich um rund 8%. Dies habe zur<br />
Folge, daß es zunehmend neben dem<br />
Willensanwalt auch den Mußanwalt<br />
geben werde. Der Juristennachwuchs<br />
müsse künftig viel stärker auf den Job<br />
in der Kanzlei ausgerichtet werden.<br />
Den Widerspruch der Ausbildung zur<br />
späteren Tätigkeit charakterisiert Dr.<br />
Streck wie folgt: „Wenn Sie Anwalt<br />
werden wollen, müssen Sie Unternehmer<br />
sein. Weil sie aber als Beamter<br />
ausgebildet werden, sind Sie bald ein<br />
gebrochener Mann.“
AnwBl 11/98 585<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Weiter berichtet das Handelsblatt<br />
über ein Referat auf dem Forum von<br />
Rechtsanwalt Dr. Benno Heussen,<br />
München, der in seinem Eröffnungsvortrag<br />
den Teilnehmern Mut gemacht<br />
hat. „Der Markt für rechtliche Dienstleistung<br />
ist nahezu unbegrenzt groß.<br />
Rechtsrat wird überall dort gebraucht,<br />
wo Konflikte entstehen können, und<br />
das ist bekanntlich überall.“ Nach Dr.<br />
Heussen müssen verstärkt die Vorteile<br />
der Rechtsanwaltschaft gegenüber dem<br />
Mandanten herausgehoben werden. Bezüglich<br />
der Abrechnung schlägt er vor,<br />
daß verstärkt Beratungen auf der Basis<br />
von Zeit- und Sockelhonoraren abgerechnet<br />
werden sollten.<br />
Über die Ansichten des DAV zur<br />
Juristenausbildung berichtet auch die<br />
Stuttgarter Zeitung vom 2./3. Oktober<br />
1998. Hier wird auch, wie in<br />
einem Artikel des Tagesspiegel vom<br />
2./3. Oktober 1998 auf das Problem<br />
aufmerksam gemacht, daß es nach Angaben<br />
des DAV zunehmend Anwälte<br />
gäbe, die von der Sozialhilfe leben<br />
müßten. Darüber dürfe auch die relativ<br />
geringe Arbeitslosigkeit unter Juristen<br />
nicht hinwegtäuschen. Das Problem<br />
sei, so Dr. Michael Streck, der unbegrenzte<br />
Zulauf zur Anwaltschaft, weil<br />
Staat und Wirtschaft drastisch Stellen<br />
einsparten. In einem Interview mit<br />
der Augsburger Allgemeinen vom<br />
1. Oktober 1998 erläutert Dr. Streck<br />
nochmals die Vorstellung des DAV zur<br />
Juristenausbildung. Er führt aber auch<br />
aus, daß das Problem der Juristenschwemme<br />
nicht allein die Sache der<br />
Anwaltschaft sein könne. Es gäbe zuviele<br />
Juristen, nicht zuviele Anwälte.<br />
Das Mengenproblem hätte der Staat<br />
geschaffen, weil er für Jura, im Gegensatz<br />
zu anderen Fächern wie Medien<br />
oder Pharmazie, nie einen anständigen<br />
numerus clausus eingeführt<br />
habe. Zur Finanzierung der Ausbildung<br />
führt Dr. Streck aus: „Es geht<br />
darum, ob der Staat für alle bezahlt –<br />
dann bilden wir auch ohne Begrenzung<br />
aus –, oder ob in den einzelnen<br />
Bereichen Justiz, Verwaltung, Industrie<br />
und Anwaltschaft nur nach Bedarf<br />
ausgebildet wird. Wir sind auch<br />
hier gerne bereit, unseren Beitrag zu<br />
leisten, aber eben nur so viel, wie nötig<br />
ist. Die Realität sieht bisher aber<br />
leider anders aus: Der Staat praktiziert<br />
einen erbarmungslosen numerus clausus,<br />
die Wirtschaft sucht sich die besten<br />
Leute raus, und wir sollen die soziale<br />
und letztlich staatliche<br />
Verantwortung für den Rest tragen.“<br />
Die Vorstellung des DAV zur Juristenausbildung<br />
war ebenso Gegen-<br />
stand einer Meldung in der FAZ am<br />
5.Oktober 1998. Am gleichen Tage<br />
setzt sich ein Kommentar ebenfalls in<br />
der FAZ damit auseinander. Hier wird<br />
die Festellung von Dr. Streck bestätigt,<br />
daß Qualität und Ruf des Anwaltsstandes<br />
durch die Entwicklung des ungebremsten<br />
Zustroms zur Anwaltschaft<br />
beeinträchtigt werden könne. Der<br />
Kommentator stellt fest: „Doch wird<br />
auch der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
schwerlich bestreiten können, daß das<br />
richtig beschriebene und zu Recht<br />
beklagte Phänomen nicht Folge des<br />
Ausbildungsganges, sondern der Tatsache<br />
ist, daß so viele junge Leute<br />
Akademiker und so viele Akademiker<br />
Juristen werden wollen.“<br />
Über ein weiteres Referat des ersten<br />
Tages von Rechtsanwalt und Notar<br />
Rembert Brieske, Vorstandsmitglied<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, berichtet<br />
das Handelsblatt am 5. Oktober 1998.<br />
Nach seiner Ansicht gäbe es in den<br />
Großstädten bereits eine beängstigende<br />
Zahl von arbeitslosen Rechtsanwälten.<br />
Manche Berufsanfänger würden unbezahlt<br />
oder gar kostenlos in alt eingesessenen<br />
Kanzleien als „freie Mitarbeiter“<br />
arbeiten, um wenigstens einen<br />
Fuß in die Türe zu bekommen. Sein<br />
Appell an die Kolleginnen und Kollegen:<br />
„Unser Berufsstand muß endlich<br />
aufwachen und Solidarität üben.“<br />
Das Forum machte sich in mehreren<br />
Arbeitskreisen auf die Suche nach<br />
neuen Aufgabenfeldern und unentdeckten<br />
Nischen. Über die innovativen<br />
Tätigkeitsbereiche informiere Rechtsanwalt<br />
Andreas Hagenkötter,<br />
Geschäftsführer im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>.<br />
In dem Bericht des Handelsblatts<br />
vom 5. Oktober 1998 wird<br />
Hagenkötter zitiert: „Wir sollten uns<br />
nicht zu schade sein, Hausverwaltung,<br />
Inkasso oder Versicherungsmaklerei<br />
zu übernehmen.“ Darüber hinaus<br />
müsse über weitere Tätigkeitsbereiche<br />
wie etwa das Rechtsberatungs-Café,<br />
Rechtsberatung im Kaufhaus, das Anwaltsmobil<br />
u.ä. nachgedacht werden.<br />
„Schnell, kompetent und günstig“<br />
müsse der Rechtsrat sein, damit die<br />
Hemmschwelle beim potentiellen Kunden<br />
sinke. Es gehe darum, daß der Anwalt<br />
zum Kunden müsse. Die Diskussion<br />
um neue Betätigungsfelder war<br />
auch Gegenstand einer dpa-Meldung<br />
vom 5. Oktober 1998. Hierin konnte<br />
Rechtsanwalt Hagenkötter seine Vorstellung<br />
erneut vertiefen. Nach der<br />
dpa-Meldung könne der Spickzettel für<br />
die Besorgungstour künftig wie folgt<br />
aussehen: Lebensmittel einkaufen,<br />
Schuhe zum Besohlen bringen, Ur-<br />
laubsfotos abholen, Blumenstrauß binden<br />
lassen, zum Anwalt gehen. Das<br />
Problem sei, daß auch Finanzdienstleister,<br />
Versicherer und Verbände ständig<br />
neue Serviceangeobte für ratsuchende<br />
Bürger anböten. Die Anwaltschaft dürfe<br />
sich dieser Entwicklung nicht verschließen<br />
und muß neue Möglichkeiten<br />
aufzeigen. Hagenkötter: „Wir müssen<br />
herausgehen aus den Kanzleien und<br />
uns auf unsere Kundschaft zu bewegen.“<br />
Gleichzeitig wird in der Meldung<br />
darauf hingewiesen, daß der Anwalt<br />
im Kaufhausbüro bei weitem nicht alle<br />
Rechtstreitigkeiten beilegen könne. In<br />
vielen Fällen wird auch weiterhin eine<br />
intensive Bearbeitung in der klassischen<br />
Kanzlei nötig sein.<br />
Der Sprecher des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt Swen<br />
Walentowski, gab zu dem selben Thema<br />
am 9. Oktober 1998 Radio Gong<br />
aus Nürnberg, dem Hessischen Rundfunk<br />
am 10. Oktober 1998 und dem<br />
Nachrichtensender berlin aktuell 93,6<br />
am 11. Oktober 1998 Interviews.<br />
Walentowski berichtete über die Vorschläge<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
und den Stand der Diskussion. Er hob<br />
dabei hervor: “Wir wissen, daß Lieschen<br />
Müller genauso gerne zum Anwalt<br />
geht wie zum Zahnarzt. Diese<br />
Hemmschwelle muß überwunden werden.<br />
Daher muß man darüber nachdenken,<br />
wie man Lieschen Müller erreicht.<br />
Es geht darum, die Qualität der anwaltlichen<br />
Dienstleistung dem Kunden nahezubringen.<br />
Das kann auch bedeuten,<br />
daß man aus der Kanzlei heraus müsse<br />
und dem Kunden entgegenkommen<br />
muß. Der Vorteil der Beratung durch<br />
die Anwaltschaft im Vergleich mit anderen<br />
Dienstleistern läßt sich bereits in<br />
den Vorschriften zum Mandantenschutz,<br />
wie die gesetzlich verankerte<br />
Verschwiegenheitspflicht, das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
des Anwalts und<br />
die Berufshaftpflichtversicherung feststellen.„<br />
Weiter führt Walentowski aus:<br />
„Die Skepsis einiger Kolleginnen und<br />
Kollegen muß ernst genommen werden.<br />
Dies bedeutet, daß unsere Diskussion<br />
weitergehen muß. Letztlich kommt es<br />
allerdings darauf an, wie Qualität der<br />
anwaltlichen Tätigkeit den Mandanten<br />
erreicht – wo und über welches Medium<br />
dies geschieht, könnte doch zunächst<br />
zweitrangig sein.“<br />
Über die am letzten Tag des Forums<br />
„Zukunft der Anwaltschaft“ verabschiedeten<br />
Thesen berichtet auch<br />
das Handelsblatt in seinem Bericht<br />
am 5. Oktober 1998 zusammenfassend.<br />
Die Anwaltschaft solle sich<br />
künftig nicht nur als Prozeßvertreter
586<br />
MN<br />
und Vertragsgestalter, sondern auch als<br />
Streitvermeider und Schlichter und<br />
mehr und mehr als Rechtsberater verstehen.<br />
Der Anwalt der Zukunft betreue<br />
zunehmend den Mandanten<br />
rundum und binde dabei auch Angehörige<br />
anderer Berufsfelder ein. Dabei<br />
werden multiprofessionelle und<br />
überörtliche, gar internationale Zusammenschlüsse<br />
zunehmen.<br />
Über den Inhalt des Forums stand<br />
der Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael<br />
Streck, dem Hessischen Rundfunk am<br />
2. Oktober 1998 Rede und Antwort.<br />
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, Dr. Dierk Mattik,<br />
gab dem Nachrichtensender berlin<br />
aktuell 93,6 am 1. Oktober 1998<br />
Einblick in das Forum „Zukunft der<br />
Anwaltschaft“. Er berichtete, daß es<br />
wesentlich sei, wie man den Markt<br />
gestalten könne, daß alle, die den Weg<br />
in die Rechtsanwaltschaft finden,<br />
Lohn und Brot haben werden. Auf<br />
dem Forum sollen Thesen entwickelt<br />
werden, um sich besser auf die Zukunft<br />
vorbereiten zu können. Der Vorteil<br />
der Anwaltschaft liege darin, daß<br />
es eine hohe Qualität der Ausbildung<br />
gäbe und der Rechtsanwalt der einzig<br />
absolute Interessenvertreter seiner<br />
Mandanten sei. „Die Zukunft muß gestaltet<br />
werden, dies wollen wir mit<br />
dem Forum tun“, so Dr. Dierk Mattik.<br />
Großer Lauschangriff<br />
Altbundeskanzler Dr. Helmut Kohl<br />
hat im Rahmen des Wahlkampfes eine<br />
Ausweitung des Großen Lauschangriffs<br />
gefordert. Er kündigte an, er<br />
wolle „die Hürden beseitigen, die SPD,<br />
Grüne und PDS gemeinsam gegen das<br />
Abhören von Gangsterwohnungen errichtet<br />
haben“. Damit konnten nur die<br />
Ausnahmeregelungen für die Berufe<br />
mit Zeugnisverweigerungsrecht, also<br />
auch für die Rechtsanwaltschaft, gemeint<br />
sein. Hier war es nun Aufgabe<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, im Interesse<br />
der Anwaltschaft zu protestieren<br />
und die Forderung nach einer Ausweitung<br />
des Großen Lauschangriffs<br />
auch auf die Anwaltskanzleien zurückzuweisen.<br />
Über die Haltung des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s wurden die Zuschauer<br />
der Tagesschau am 17.<br />
September 1998 um 20.00 Uhr informiert.<br />
In den Tagesthemen am selben<br />
Tag kam der Hauptgeschäftsführer des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, Dr. Dierk<br />
Mattik, zu Wort: „Es ist ganz wesentlich,<br />
daß der rechts- und ratsuchende<br />
Bürger die Möglichkeit hat, eine Kanz-<br />
lei aufzusuchen und zu wissen, daß<br />
diese nicht abgehört wird.“<br />
Der DAV lehne jede Verschärfung<br />
ausdrücklich ab, zumal mit der neuen<br />
Regelung noch keine Erfahrungen<br />
gesammelt worden seien, hießt es in<br />
einer Reuters-Meldung vom 18. September<br />
1998. Darüber berichteten auch<br />
die dpa und ADN am 17. September<br />
1998. „Ohne Not die erst etwa ein halbes<br />
Jahr alte Regelung in Frage zu<br />
stellen, ist überflüssig und schädlich“,<br />
wird der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> in<br />
der Berliner Zeitung vom 18. September<br />
1998 zitiert. Daß der DAV bereits<br />
Bedenken gegen die geltende Regelung<br />
habe und jede Verschärfung ausdrücklich<br />
ablehne, weiß der General-<br />
Anzeiger am 18. September 1998 und<br />
der Kölner Stadtanzeiger am 16. September<br />
1998 zu berichten. „Der Große<br />
Lauschangriff muß den Beweis erst<br />
noch erbringen, daß er etwas bringt.<br />
Die Ausnahmeregelung für Rechtsanwälte<br />
und Notare ist dringend notwendig,<br />
damit ratsuchende Menschen<br />
in dieser Gesellschaft eine letzte<br />
Rückzugsmöglichkeit haben“, wird der<br />
DAV in der Badischen Zeitung am 18.<br />
September 1998 zitiert. Über die Haltung<br />
des DAV berichtet auch die<br />
Schweriner Volkszeitung, ebenso wie<br />
die Bremer Nachrichten und die<br />
Nürnberger Zeitung. Über die Hoffnung<br />
des DAV, daß es sich bei den Vorstellungen<br />
Kohls lediglich um Wahlkampfgetöse<br />
handele, berichtet der<br />
Reutlinger General-Anzeiger, der<br />
General-Anzeiger Bonn und der<br />
Weser Kurier am 18. September 1998.<br />
Darüber hinaus wurden die Meldungen<br />
der Nachrichtenangeturen in einer<br />
Vielzahl weiterer regionaler und überregionaler<br />
Tageszeitungen abgedruckt,<br />
auf deren Erwähnung wegen der Anzahl<br />
an dieser Stelle verzichtet wird.<br />
Zulässigkeit des Lügendetektors<br />
Der Bundesgerichtshof muß grundsätzlich<br />
entscheiden, ob ein Angeklagter<br />
zum Beweis seiner Unschuld eine<br />
Befragung mit einem Lügendetektor in<br />
das Verfahren einbringen darf. Nach<br />
Urteilen des Bundesgerichtshofs und<br />
des Bundesverfassungsgerichts ist es<br />
bisher so, daß der Einsatz in einem<br />
Strafverfahren nicht erlaubt ist. Der<br />
Polygraph ist auch innerhalb der Anwaltschaft<br />
umstritten. Über den Stand<br />
der Meinungen berichtete Rechtsanwalt<br />
Rüdiger Deckers, Mitglied des<br />
Strafrechtsausschusses des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, am 15. September<br />
1998 in einem Interview im Saarländischen<br />
Rundfunk in der Sendung<br />
AnwBl 11/98<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
„SR 1/Infozeit“. Der Saarländische<br />
Rundfunk veröffentlichte über den Inhalt<br />
des Interviews auch eine Pressemeldung<br />
am selben Tag.<br />
Daß die Verwendung von Lügendetektoren<br />
die Möglichkeit böten,<br />
unschuldigen Angeklagten zu ihrem<br />
Recht zu verhelfen, war auch Gegenstand<br />
eines Interviews des Hauptgeschäftsführers<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />
Dr. Dierk Mattik, im<br />
MDR Halle am 15. September 1998.<br />
Für Hintergrundinformation für die<br />
Deutsche Welle am 23. September 1998<br />
vermittelte das PR-Referat Rechtsanwalt<br />
Günter Bandisch, Mitglied des<br />
Strafrechtsauschusses des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, den Vorsitzenden des<br />
Strafrechtsausschusses des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt Eberhard<br />
Kempf, für RTL am 7.<br />
September 1998 und Rechtsanwalt Rüdiger<br />
Deckers, ebenfalls Mitglied des<br />
Strafrechtsausschusses des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, für Antenne 1 aus<br />
Stuttgart am 15. September 1998.<br />
Über die durch den DAV mitgeteilten<br />
Chancen und Risiken der Verwendung<br />
von Polygraphen berichtet<br />
auch das Handelsblatt am<br />
16. September 1998. Nach Auskunft<br />
von Rechtsanwalt Rüdiger Deckers<br />
müßten allerdings die Richter beachten,<br />
daß der Test lediglich eine Wahrscheinlichkeitsaussage<br />
sei, berichtet<br />
Die Welt am 16. September 1998.<br />
Rechtsanwalt Deckers wurde von der<br />
Sächsischen Zeitung am 16. September<br />
1998 interviewt. Hierin erläutert<br />
er: „Wir haben es mit einem begrenzt<br />
aussagefähigen Testverfahren zu tun.<br />
Die Verwendbarkeit der Ergebnisse<br />
hängt stark von der Arbeit des sachverständigen<br />
Psychologen ab, der<br />
zunächst in einem ausführlichen<br />
Gespräch mit dem Verdächtigen die<br />
Kontrollfragen erarbeitet.“ Für den<br />
Polygraphen könne sprechen, daß dieser<br />
dem unschuldig Angeklagten eine<br />
Möglichkeit bieten könnte, zu seinem<br />
Recht zu kommen. Über diesen Hinweis<br />
des DAV berichtet die Hessische<br />
Allgemeine Zeitung, die Lübecker<br />
Nachrichten, die Rheinpalz, die<br />
Ruhr-Nachrichten, die Frankfurter<br />
Rundschau, die Westfälischen Nachrichten<br />
und eine Vielzahl weiterer<br />
regionaler Tageszeitungen am 16. September<br />
1998. Über die beschränkte<br />
Aussagekraft der Polygraphen berichtet<br />
auch die Allgäuer Zeitung aus<br />
Kempten, die Ludwigsburger Kreiszeitung<br />
und die Berliner Morgenpost<br />
am 16. September 1998.
AnwBl 11/98 587<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
In den Westfälischen Nachrichten<br />
vom 22. September 1998 berichtet<br />
Rechtsanwalt Deckers, daß es eine harte<br />
Debatte unter den Kollegen über den<br />
Lügendetektor-Test gäbe. Er berichtet<br />
auch darüber, daß der DAV nochkeine<br />
abschließende Meinung dazu habe.<br />
Juristenausbildung<br />
Eines der Schwerpunktthemen<br />
beim Deutschen Juristentag in Bremen<br />
war die Reform der Juristenausbildung.<br />
Dort debattierte man mehrere<br />
Tage und beklagte sich über den Stand<br />
der Ausbildung. Festgestellt wurde,<br />
daß es eine Reform geben müsse.<br />
Umso verwunderlicher war allerdings<br />
dann das Ergebnis am Abstimmungstag:<br />
Zunächst einmal soll das bisherige<br />
Modell beibehalten werden. Der Deutsche<br />
<strong>Anwaltverein</strong> hat sich an der<br />
Diskussion aktiv beteiligt und sein „V-<br />
Modell“ näher erläutert. Daß es für<br />
den Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> zunächst<br />
einmal darum geht, beim Referendariat<br />
anzusetzen und dieses nach dem<br />
späteren Beruf ausgerichtet werden<br />
müsse, berichtet der Weser Kurier am<br />
23. September 1998. „Unser Problem“,<br />
wird der Präsident des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, Dr.Michael<br />
Streck, zitiert, „sind die vielen, die<br />
Anwalt werden müssen, obwohl sie<br />
nie gelernt haben, parteilich zu sein,<br />
wie es der Anwalt sein muß.“ Der<br />
DAV schlägt daher vor: Am Ende des<br />
Studiums entscheiden sich die jungen<br />
Juristen, ob sie Richter oder Anwalt<br />
werden wollen. Entsprechend unterschiedlich<br />
wird die zweijährige Referendarzeit<br />
auch gestaltet. Daß nach<br />
Ansicht des DAV die Einheitsausbildung<br />
gescheitert sei, weiß auch die<br />
FAZ am 26. September 1998 zu berichten.<br />
Jährlich strömten mehrere tausend<br />
noch nicht qualifizierte<br />
Berufsanfänger in die Anwaltschaft.<br />
Einen Ausweg könne nur die getrennte<br />
Ausbildung im juristischen Vorbereitungsdienst<br />
bieten.<br />
Die Forderung des DAV, die künftigen<br />
Advokaten selbst ausbilden zu dürfen,<br />
meldet das Handelsblatt am 22.<br />
September 1998. Es könne nicht mehr<br />
jeder Jurist Anwalt werden, sondern<br />
nur noch derjenige, der hoch motiviert<br />
sei und einen Ausbildungsplatz bekommen<br />
habe, wird der DAV-Präsident<br />
Dr. Streck im Tagesspiegel am 23.<br />
September 1998 und im General-Anzeiger<br />
vom gleichen Tage zitiert.<br />
Strafrecht<br />
Die SPD-Rechtsexpertin Herta<br />
Däubler-Gmelien hatte vorgeschlagen,<br />
die Bagatelldelikte zu entkriminalisieren<br />
und durch ein Bußgeld zu verfolgen.<br />
Die im DAV organisierten Strafrechtler<br />
haben diesen Vorstoß begrüßt.<br />
In einer ADN-Meldung vom 9. September<br />
1998 kommt Rechtsanwalt<br />
Rüdiger Deckers zu Wort. Er wandte<br />
sich zugleich gegen den Vorwurf, eine<br />
Entkriminalisierung von Bagatelldelikten<br />
untergrabe das Rechtsbewußtsein.<br />
Das Unrechtsbewußtsein beim Ladendiebstahl<br />
sei vor allem auf die werbepsychologischen<br />
Mechanismen in<br />
Großkaufhäusern zurückzuführen.<br />
Dem nun auf strafrechtlichem Wege<br />
entgegenzuwirken, sei widersprüchlich<br />
und zäume das Pferd von hinten auf.<br />
Diesen Standpunkt vertrat Deckers<br />
auch in einem Interview mit dem<br />
Sender Radio Berlin am<br />
10. September 1998.<br />
Bezüglich der beschleunigten Verfahren<br />
wurde der Vorsitzende des<br />
Strafrechtsausschusses des DAV,<br />
Rechtsanwalt Eberhard Kempf, vom<br />
Focus am 21. September 1998 interviewt.<br />
Auf die Frage, was der DAV<br />
gegen das beschleunigte Verfahren<br />
habe, entgegnete Kempf: „Generell<br />
habe er (der DAV) nichts dagegen,<br />
wenn die Justiz zügig vorankommt –<br />
gerade bei den Bagatelldelikten, für<br />
die das beschleunigte Verfahren ja vorgesehen<br />
ist. Auch für die Tatverdächtigen<br />
ist es besser, wenn sie möglichst<br />
schnell wissen, woran sie sind. Der<br />
Beschuldigte muß sich aber immer<br />
noch von einem Anwalt beraten lassen<br />
können. Wir wollen deshalb, daß die<br />
Justiz jeden Beschuldigten mit dem<br />
anwaltlichen Notdienst zusammenbringt.“<br />
Ein Anwalt werde auch bei<br />
einfachen Verfahren benötigt, da alles<br />
schon vorgekommen sei. Blutproben<br />
würden vertauscht, dem Beschuldigten<br />
wird im Geschäft etwas in die Tasche<br />
gesteckt oder der Kaufhausdetektiv hat<br />
ihn gar verprügelt.<br />
Über die Ungerechtigkeit im Verfahren<br />
der kurzen Prozesse, wie es der<br />
DAV sieht, berichtet auch Focus am<br />
21. September 1998 in einem weiteren<br />
Beitrag.<br />
Im Lande Brandenburg gibt es den<br />
wohl bundesweit höchsten Prozentsatz<br />
an beschleunigten Verfahren. Eine<br />
Stellungnahme hierzu gab Rechtsanwalt<br />
Dr. Stefan König, Mitglied des<br />
Strafrechtsausschusses des DAV, dem<br />
Radiosender ORB.<br />
Daß die Forderung nach dem Führerscheinentzug<br />
auch bei Nichtverkehrsstraftaten<br />
völlig aus dem Zusammenhang<br />
eines Gesamtkonzeptes<br />
gerissen wurde und dies wohl aus<br />
wahlkampftaktischen Gründen geschehen<br />
ist, erläutert Rechtsanwalt und<br />
Notar Rembert Brieske in den 20-Uhr-<br />
Nachrichten auf Kabel 1 am 23. September<br />
1998.<br />
Über die Gen-Datei und den genetischen<br />
Fingerabdruck berichtet die<br />
Kölner Illustrierte in ihrer September-Ausgabe.<br />
Hierin wird der DAV zitiert:<br />
„Der Ruf nach der Errichtung einer<br />
Gen-Datei wird in der<br />
Öffentlichkeit mit der Behauptung begründet,<br />
ihre Errichtung diene dem<br />
Schutz der Bevölkerung durch Ergreifung<br />
schwerer Straftäter, insbesondere<br />
Sexualverbrecher. Es wird dabei unterstellt,<br />
daß insbesondere dieser Täterkreis<br />
zu Wiederholungstaten neige.<br />
Statistisch ist das nicht belegt.“<br />
Ein Beitrag in der Frankfurter<br />
Rundschau vom 17. September 1998<br />
beschäftigt sich mit den überfüllten<br />
deutschen Gefängnissen. Grundsätzlich<br />
gehe die Tendenz dahin, daß das<br />
Strafklima in der Bundesrepublik sich<br />
verschärft habe. Rechtsanwalt Prof.<br />
Dr. Franz Salditt vom Strafrechtsausschuß<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
konzertiert, daß sich auch in Deutschland<br />
die amerikanische Auffassung<br />
durchsetze, Täter auszugrenzen statt<br />
sie zu resozialisieren.<br />
Die Geschehnisse in den USA um<br />
den Sonderermittler Starr in Bezug auf<br />
die Bundesrepublik war Thema einer<br />
Sendung im NDR 2 am 22. September<br />
1998. Die rechtlichen Erläuterungen<br />
gab Rechtsanwalt Eberhard Kempf.<br />
Der September-Jour fixe des DAV<br />
widmete sich den aktuellen Problemen<br />
der Jugendkriminalität. Als Gesprächspartner<br />
hatte der DAV die Rechtsanwälte<br />
Lukas Pieplow und Joachim<br />
Schmitz-Justen, Köln, eingeladen, vermeldet<br />
recht intern am 17. September<br />
1998. Die beiden Referenten wiesen<br />
darauf hin, daß das Jugendgerichtsgesetz<br />
vor 75 Jahren verabschiedet<br />
worden sei. Schon damals habe man<br />
erkannt, daß für den Bereich der 14<br />
bis 21-jährigen der Grundsatz „erziehen<br />
statt strafen“ zu gelten habe. Von<br />
dieser Einstellung dürfe man sich nicht<br />
wegbewegen. Der DAV fordert, gesetzlich<br />
zu regeln, daß für alle Fälle, in denen<br />
Anklage vor dem Jugendschöffengericht<br />
und Jugendrichter erhoben<br />
wird, ein Strafverteidiger beizuordnen<br />
sei, da das System mit den Jugendgerichtshelfern<br />
unzureichend sei. Bis zu
588<br />
MN<br />
einer gesetzlichen Änderung sei es<br />
dringend nötig, die Möglichkeit der<br />
Beiordnung von Rechtsanwälten in<br />
Jugendgerichtssachen großzügig anzuwenden.<br />
Rund ums Verkehrsrecht<br />
Mit den Änderungen im Straßenverkehrsgesetz<br />
bezüglich des Führen<br />
eines Fahrzeugs unter Medikamentenund<br />
Drogeneinfluß beschäftigt sich die<br />
Nachrichtenagentur ADN am 16. September<br />
1998. Ähnliche Erfolge, wie<br />
bei der Herabsetzung der Promillegrenzung,<br />
werden bei der Entdeckung<br />
und Ahndung von Fahrten unter Drogen-<br />
und Medikamenteneinfluß so<br />
schnell nicht erwartet. Nach Ansicht<br />
von Rechtsanwalt Dr. Georg Greißinger,<br />
Mitglied des Ausschusses und des<br />
Geschäftsführenden Ausschusses der<br />
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht im<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>, sei dafür verantwortlich<br />
eine Reihe von Anwendungsproblemen,<br />
die eine Umsetzung<br />
des Gesetzes in der Praxis äußerst<br />
schwierig mache. So seien noch keine<br />
geeigneten Vortests entwickelt worden,<br />
mit deren Hilfe die Streifenbeamten<br />
Fahrer unter Drogen- oder Medikamenteneinfluß<br />
erkennen könnten,<br />
um bei einem positiven Ergebnis die<br />
Entnahme einer Blutprobe zu veranlassen.<br />
Die Schulung der Beamten sei<br />
zwar in vollem Gange, aber die Änderung<br />
im Straßenverkehrsgesetz entpuppe<br />
sich als eine nur mangelhaft vorbereitete<br />
Initiative, der kein großer<br />
Erfolg beschieden sei. Daran ändere<br />
auch nicht, daß der Vorstoß als Beitrag<br />
zu mehr Verkehrssicherheit prinzipiell<br />
in die richtige Richtung gehe.<br />
Der Vorsitzende des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht im Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>, Rechtsanwalt<br />
Hans-Jürgen Gebhardt, erläutert in<br />
einem Interview des Saarländischen<br />
Rundfunks am 24. September 1998,<br />
daß sich die Verkehrsrechtsanwälte im<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> gegen die<br />
Einführung einer black box für das<br />
Auto ausgesprochen haben. Durch die<br />
Ausstattung von Autos mit solchen<br />
Fahrdatenspeichern könnten die Rechte<br />
des Einzelnen eingeschränkt werden,<br />
befürchtet Gebhardt. Wenn das Gerät<br />
erst einmal eingeführt sei, würde am<br />
Ende die perfekte Überwachung des<br />
Autofahrers stehen. Mit der black box<br />
habe man den „Polizisten auf dem Beifahrersitz“.<br />
Dieses Interview hat Eingang<br />
gefunden in einen Bericht in Die<br />
Welt vom 25. September 1998 und in<br />
den Patriot am 25. September 1998.<br />
Der Pressedienst der Verkehrsrechtsanwälte<br />
im DAV berichtet über<br />
ein Urteil des Oberlandesgerichts<br />
Zweibrücken. Wenn ein Autofahrer lediglich<br />
aufgrund eines sog. Augenblickversagens<br />
ein Tempolimit übersieht,<br />
darf gegen ihn nicht automatisch<br />
ein Fahrverbot verhängt werden. Nur,<br />
wenn die Pflichtverletzung subjektiv<br />
auf grobem Leichtsinn, grober Nachlässigkeit<br />
oder Gleichgültigkeit beruhe,<br />
sei eine solche Maßnahme angemessen.<br />
Der Kraftfahrer war auf der<br />
Autobahn bei Tempo 100 Geschwindigkeitsbegrenzung<br />
mit 150 Stundenkilometern<br />
geblitzt worden. Vor dem<br />
Amtsgericht berief er sich ohne Erfolg<br />
darauf, daß er das Schild nicht gesehen<br />
habe. Das Oberlandesgericht hob<br />
das Urteil auf und bemängelte, daß die<br />
erste Instanz nicht berücksichtigt habe,<br />
daß bei objektiv schwerwiegenden<br />
Verkehrsverstößen Situationen gegeben<br />
sein können, die erfahrungsgemäß<br />
auch dem sorgfältigen und pflichtbewußten<br />
Kraftfahrer unterlaufen. In der<br />
erneuten Verhandlung verzichtete das<br />
Amtsgericht auf die Verhängung des<br />
Fahrverbotes. Dieser Pressedienst wurde<br />
von ADN am 21. September 1998<br />
verbreitet.<br />
Über eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts<br />
Oldenburg berichten<br />
die Verkehrsrechtsanwälte im Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>, die von ADN am<br />
21. September 1998 veröffentlicht<br />
wurde. Hier ging es darum, daß, bevor<br />
die Straßenverkehrsbehörde einem<br />
Autofahrer die Führung eines Fahrtenbuches<br />
auferlege, ihr Ermittlungsspielraum<br />
auszunutzen sei. Nur wenn feststehe,<br />
daß ein Kfz-Halter bei den<br />
Nachforschungen nach einem Verkehrssünder<br />
endgültig seine Beteiligung<br />
verweigere, ist die Zwangsmaßnahme<br />
angemessen.<br />
Nach einem Urteil des Amtsgerichts<br />
Eschweiler ist derjenige, der<br />
nach einem Verkehrsunfall einen Sachverständigen<br />
mit der Begutachtung des<br />
Schadens beauftragt, nicht verpflichtet,<br />
eine Marktanalyse zu betreiben. Die<br />
Verkehrsrechtsanwälte berichten, daß<br />
nach Ansicht der Richter für einen<br />
Geschädigten weder die Möglichkeit<br />
noch die Notwendigkeit bestehe, zu<br />
überprüfen, ob die vom Sachverständigen<br />
veranschlagte Summe korrekt ist<br />
oder nicht. Im verhandelten Fall hatte<br />
die gegnerische Versicherung dem<br />
Kläger die volle Erstattung der Gutachterrechnung<br />
verweigert, weil sie<br />
diese in einigen Punkten für überhöht<br />
hielt. Diese Auffassung wies das Gericht<br />
zurück. Es habe sich um einen<br />
anerkannten Sachverständigen gehan-<br />
AnwBl 11/98<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
delt, dessen Forderungen durchaus im<br />
üblichen Rahmen lagen. Über die<br />
Veröffentlichung der Verkehrsrechtsanwälte<br />
berichtet die Passauer Neue<br />
Presse am 8. September 1998 und die<br />
Ostsee Zeitung, Rostock, am 22.<br />
September 1998.<br />
Kritik an der Zusammenlegung von<br />
Justiz- und Innenministerium in NRW<br />
Anläßlich des Deutschen Juristentages<br />
in Bremen luden die Richterinnen<br />
und Richter und die Staatsanwältinnen<br />
und Staatsanwälte in der Gewerkschaft<br />
ÖTV Bezirk Weser-Ems<br />
auf eine Pressekonferenz ein, da ihrer<br />
Ansicht nach das Thema unberechtigterweise<br />
auf dem DJT keine Erwähnung<br />
fand. Die Pressekonferenz wurde<br />
außerhalb der Räume des DJT veranstaltet.<br />
An ihr nahm für den Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong> der Präsident Dr.<br />
Michael Streck teil. Weitere Teilnehmer<br />
waren der Bundesvorsitzende des<br />
Deutschen Richterbundes, Rainer<br />
Voss, der Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer,<br />
Frank Jonigk<br />
und der Bundessprecher der Richter<br />
und Staatsanwälte in der ÖTV, Klaus<br />
Thommes, teil. Hierbei warf Dr. Streck<br />
dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten<br />
vor, die Bedeutung des<br />
Justizministeriums als sensibler Berührungspunkt<br />
zwischen den Gewalten<br />
nicht erkannt zu haben. Er kritisierte<br />
Clement als bloßen Macher. Die Fusion<br />
in Deutschland sei ein Zeichen<br />
rechtsstaatlicher Unkultur, weiß die<br />
Süddeutsche Zeitung am 24. September<br />
1998 zu berichten. Die Nordsee<br />
Zeitung führt am gleichen Tage die<br />
Äußerung Strecks weiter aus, daß<br />
Clement ein kulturelles Minuszeichen<br />
gesetzt habe, das besage, die Justiz<br />
interessiert mich nicht, sie ist nicht<br />
wichtig. „Gerechtigkeit ist für einen<br />
Macher realtiv überflüssig.“<br />
Verschiedenes<br />
Über die Unterhaltsflucht berichtete<br />
die Sendung „Service-Zeit“ im NDR-<br />
Fernsehen am 29. September 1998.<br />
Hierfür wurde Rechtsanwalt Roland<br />
Garbe, stellvertretender Vorsitzender<br />
der Arbeitsgemeinschaft Familienund<br />
Erbrecht des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />
interviewt.<br />
Am 8. September 1998 berichtete<br />
WDR 4 über die Anwalt-Hotlines.<br />
Hier wurde auch über die Haltung des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s berichtet.<br />
Der DAV sieht darin ein neues Betätigungsfeld<br />
für den Berufsstand, eine<br />
Möglichkeit, Menschen zu erreichen,
AnwBl 11/98 589<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
die sonst nicht zum Anwalt gehen<br />
würden. Der Sprecher des DAV,<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />
konnte in einem Interview mit dem<br />
Nachrichtensender berlin aktuell 93,6<br />
am 9. Oktober 1998 diese Beurteilung<br />
näher erläutern.<br />
Die Helmstädter Nachrichten berichten<br />
am 26. September 1998 über<br />
die Mediation. Hier wird Rechtsanwältin<br />
Angelika Rüstow, Geschäftsführerin<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, mitden<br />
Worten zitiert: „Wenn die Leute die<br />
Mediation nicht wollen, macht es keinen<br />
Sinn. Denn der Mediatior hat ja<br />
keine Zwangsmittel zur Verfügung.“<br />
Was die Mediation von anderen Formen<br />
der außergerichtlichen Einigung<br />
unterscheide, ist die Freiwilligkeit, mit<br />
der die „Streithähne“ und der Mediatior<br />
nach einer akzeptablen Lösung suchen.<br />
Wer aus juristischer Perspektive im<br />
Recht ist, bleibt dabei ungeklärt – zumindest<br />
vorläufig. Doch gerade der<br />
Verzicht auf das Rechthaben macht<br />
eine Mediation oft schwierig. Sind die<br />
Fronten verhärtet, stoße der beste Vermittler<br />
auch an seine Grenzen.<br />
In Köln kam es zu einem vielbeachteten<br />
Verfahren. Hier wurde ein<br />
Bäcker für den Betrag von 3,90 DM<br />
verklagt, da das gekaufte Brot nicht<br />
ordnungsgemäß gewesen sei. Er wurde<br />
verurteilt, an die Klägerin 7,10 DM<br />
Schadensersatz zu zahlen. Darüber<br />
hinaus darf der Verklagte sich über<br />
300,00 DM Gerichtskosten freuen.<br />
Hierüber berichtete RTL in der Mittagsnachrichtensendung<br />
„Punkt 12“.<br />
Hierfür wurde der Sprecher des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s, Rechtsanwalt<br />
Swen Walentowski, interviewt. Dieser<br />
konnte darin einen Ausblick auf die<br />
Zukunft der Obligatorischen Streitschlichtung<br />
geben. Danach müssen<br />
nach dem Willen der Gesetzgeber bis<br />
zu einem gewissen Streitwert die Kontrahenten<br />
zunächst eine gütliche Einigung<br />
versucht haben.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />
Bonn<br />
AG Mediation im DAV<br />
Erste Mitgliederversammlung<br />
und Fachtagung der<br />
Arbeitsgemeinschaft<br />
Mediation im Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong><br />
Der Geschäftsführende Ausschuß<br />
der Arbeitsgemeinschaft Mediation im<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> lädt alle<br />
Mitglieder sehr herzlich zur ersten<br />
Mitgliederversammlung ein, die am<br />
5. Dezember 1998 von 10 bis voraussichtlich<br />
11 Uhr in Frankfurt am<br />
Main, Holiday Crown Plaza Hotel,<br />
stattfinden wird. An die Mitgliederversammlung<br />
schließt sich die Fachtagung<br />
an, auf die Sie einen ersten Hinweis<br />
auf Seite ... dieses Heftes finden.<br />
Der Geschäftsführende Ausschuß gibt<br />
die Tagesordnung der Mitgliederversammlung<br />
wie folgt bekannt:<br />
1. Geschäftsbericht des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses.<br />
2. Bericht des Schatzmeisters.<br />
3. Aussprache.<br />
4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses.<br />
5. Wahl einer Kassenprüferin/eines<br />
Kassenprüfers.<br />
6. Wahl des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
7. Verschiedenes.<br />
Anträge zur Tagesordnung sind spätestens<br />
21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />
beim Geschäftsführenden<br />
Ausschuß eingehend unter der Anschrift<br />
Adenauerallee 106, 53113 Bonn zu stellen<br />
und müssen von mindestens 10 Mitgliedern<br />
unterstützt werden.<br />
Der Teilnehmerbeitrag für die Fachtagung<br />
beträgt für Mitglieder 240 DM, für<br />
Mitglieder des Forums Junge Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte 140 DM<br />
und für Nichtmitglieder 450 DM.<br />
Ihre Anmeldung nimmt für uns<br />
das Veranstaltungsbüro der Arbeitsgemeinschaft<br />
Mediation im Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>, Ellerstr. 48, 53119 Bonn,<br />
Telefon: 0228/98366-35, Fax: 0228/<br />
98366-67 entgegen. Dort beantwortet<br />
man Ihnen auch gern weitere Fragen.<br />
Für eine neue Streitkultur<br />
Warum Mediation?<br />
In der politischen Diskussion wirbt<br />
die Anwaltschaft gern mit der statistischen<br />
Größe, daß 70% der Streitfälle,<br />
die der Anwaltschaft unterbreitet werden,<br />
nicht bei Gericht landen. Nicht<br />
alle Fälle werden jedoch beigelegt im<br />
eigentlichen Sinne. Nicht wenige werden<br />
nicht weiterverfolgt, weil sie nach<br />
Beratung durch den Anwalt unter dem<br />
Blickwinkel einer Anspruchsgrundlage<br />
nicht aussichtsreich erscheinen. Eine<br />
Anspruchsgrundlage oder ein Klagantrag<br />
erschöpft aber nicht den<br />
Lebenssachverhalt, aus dem ein Kon-<br />
flikt entstanden ist. Den heutige Advokat<br />
sollte seine Aufgabe nicht mehr<br />
vornehmlich darin sehen, den ihm vorgetragenen<br />
Sachverhalt unter eine<br />
Rechtsnorm zu subsumieren und diese<br />
mit den ihm gegebenen Mitteln der<br />
Verhandlung oder des Prozesses<br />
durchzusetzen. Eine solche, immer<br />
noch im Zentrum der Ausbildung stehende,<br />
Betrachtungsweise reduziert<br />
des Lebensproblem, das der Klient<br />
vorträgt, auf ein Rechtsproblem. Dadurch<br />
wird es für den Klienten oft unkenntlich,<br />
er versteht es nicht mehr<br />
und glaubt eher widerwillig, alles dem<br />
Anwalt überlassen zu müssen.<br />
Ein neues Verständnis von Streitkultur<br />
sollte hier ansetzen und unserem beruflichen<br />
„Werkzeugkasten“ eine weitere<br />
Konfliktbearbeitungsmethode<br />
hinzufügen, die Mediation. Die bisherigen<br />
„Werkzeuge“ Verhandlungen<br />
und (leider fast einzige Verfahrensalternative)<br />
Prozeß, werden den Erwartungen,<br />
die der immer mehr umkämpfte<br />
Markt und das rechtssuchende Publikum<br />
mit Recht haben, nicht mehr gerecht.<br />
Ist nämlich der Prozeß die „beste<br />
Alternative“ zur Verhandlung, gerät oftmals<br />
die Verhandlung selbst zu einer<br />
Art verkapptem Prozeß.<br />
Erweitern wir hingegen unsere<br />
beruflichen Möglichkeiten um die<br />
Konfliktbeilegungsmethode Mediation,<br />
werden wir erfahren, daß wir über die<br />
Berücksichtigung von Interessen, gemeinsamen<br />
Möglichkeiten und Optionen<br />
in ein intensiveres Verständnis der<br />
Lebenssituation oder der Wirtschaftssituation<br />
des Mandanten geraten, aus<br />
der heraus ein „Problem“ uns zur Lösung<br />
vorgelegt wird. Wir können daran<br />
mitwirken, den Abstand zwischen<br />
den Mandanten und der Problemlösung<br />
zu verringern, der heute oft noch<br />
durch das undurchschaubere Recht gebildet<br />
wird. Die Eigenverantwortlichkeit<br />
und die Möglichkeiten zur Selbstgestaltung<br />
der Konfliktlösung werden<br />
hierdurch gestärkt.<br />
Deshalb ist es nicht nur wichtig,<br />
dem Klienten die Mediation durch einen<br />
geschulten und erfahrenen, rechtskundigen<br />
Dritten als weiteren Weg der<br />
Konfliktlösung anbieten zu können;<br />
die eigene Einübung in die Methoden<br />
der Mediation bereichert den beruflichen<br />
„Werkzeugkasten“ nämlich auch<br />
um Fähigkeiten und Erfahrungen, die<br />
von großem Wert sind für die AnwältInnen,<br />
die nach wie vor Interessenund<br />
Parteivertreter bleiben und sich<br />
nicht auf die besondere anwaltliche<br />
Tätigkeitsform der Mediation konzentrieren.
590<br />
MN<br />
Die Einführung von Mediation in die<br />
Anwaltspraxis<br />
Fragt man nach den praktischen<br />
Aussichten für eine Veränderung der<br />
Streitkultur im weiten Spektrum der<br />
anwaltlichen Tätigkeiten, so ergibt<br />
sich ein durchaus differenziertes Bild.<br />
Je weniger der Mediationsprozeß unter<br />
Kostendruck steht, oder wo er öffentlich<br />
finanziert wird, wie z. B. in der<br />
Umweltmediation, in der Schulmediation<br />
und im Täter/Opferausgleich,<br />
desto intensiver wird über den Mediationsprozeß<br />
eine Veränderung der konfliktträchtigen<br />
Lebensumstände angestrebt,<br />
eine positive Veränderung und<br />
direkte Entwicklung der „Streitparteien“<br />
für möglich gehalten. Besonders<br />
deutlich prallen Anspruch und Rahmenbedingungen<br />
aufeinander im<br />
Bereich der Familienmediation, in der<br />
gerade mit Rücksicht auf die Belange<br />
der Kinder die Verwirklichung eines<br />
die Verhältnisse verändernden Ansatzes<br />
wünschenswert wäre, sehr häufig<br />
jedoch wegen begrenzter Mittel nicht<br />
intensiv genug betrieben werden kann.<br />
Am anderen Ende des Spannungsbogens<br />
steht die Wirtschaftsmediation<br />
mit deutlich von Zeit- und vor allem<br />
Kostendruck diktierten Rahmenbedingungen<br />
und einer außerordentlichen<br />
starken Ergebniserwartung („schnell,<br />
günstig, effizient“). Aber auch diese<br />
stark ergebnisorientierte Mediationsform<br />
wird eine Veränderung der Streitkultur<br />
bewirken, weil sie, wie jeder<br />
Erfolg, Nachahmung anregt, Neugier<br />
für ihre Bedingungen und Voraussetzungen<br />
hervorruft und dadurch eine<br />
eher schleichende Veränderung des<br />
eigenen Verhaltens der Akteure, sei es<br />
in der Wirtschaft selbst, sei es auf dem<br />
Beratungssektor, bewirkt.<br />
Der Kern der so propagierten neuen<br />
Streitkultur ist die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit<br />
der Betroffenen und<br />
die Forderung der eigenen Suche nach<br />
eigenverantworteten Problemlösungen.<br />
Das wird in mehr oder weniger großem<br />
Ausmaß gelingen, je weiter die<br />
Betroffenen sich auf eine unter Anleitung<br />
erfolgende Problemanalyse einlassen,<br />
die nicht selten wohlgehütete<br />
persönliche Reservate durchstreifen<br />
muß. Diese Angst vor der Entblößung<br />
findet sich genauso im menschlich-allzumenschlichen<br />
Bereich innerhalb der<br />
Familie, wie im Sachkontflikt der<br />
hochspezialisierten Sachkenner.<br />
Welchen Anforderungen müssen wir<br />
uns stellen?<br />
So vielfältig wie die Anforderungen<br />
des „Marktes“ sind Qualifikationen<br />
und persönliche Referenzen, Eig-<br />
nung und Vorlieben der Mediatoren.<br />
Mediation kann sich jedoch nur dann<br />
erfolgreich und glaubwürdig im Markt<br />
verankern, wenn dem Konfliktprofil<br />
ein maßgeschneidertes Mediatorenprofil<br />
beigegeben wird. Es wird sich nicht<br />
immer in einer Person vereinigt finden<br />
und auch der Erwerb komplementärer<br />
Kenntnisse und die Fortbildung in<br />
Konfliktdynamik und Psychologie<br />
allein macht nicht die Mahnung zur<br />
interprofessionellen Zusammenarbeit<br />
überflüssig. Gerade die Anwaltschaft<br />
sieht sich in der Mediationsszene immer<br />
wieder dem mehr oder weniger<br />
laut erhobenen Vorwurf der Selbstüberschätzung<br />
ausgesetzt. Es wird ein<br />
weitverbreiteter Mangel an Konfliktkompetenz<br />
unterstellt. Sicherlich wäre<br />
es die falsche Einstellung, die Abstimmung<br />
von Problemprofil und Mediatorenprofil<br />
dadurch zu bewerkstelligen,<br />
daß der Mediator den Konflikt an sein<br />
Profil anpaßt. Genauso bedenklich<br />
wäre es, der Versuchung nachzugeben,<br />
sich allzu schnell an den „Markt“ anzupassen,<br />
indem z. B. der Erwartung<br />
nach schnellen Lösungen nachgegeben<br />
wird, ohne eine Konfliktanalyse unternommen<br />
und eine eigene Lösungsentwicklung<br />
durch die Betroffenen gefördert<br />
zu haben. Beides zu leisten und<br />
die Notwendigkeit dieser Schritte z. B.<br />
auch den kaufmännischen Beteiligten<br />
klarzumachen, gehört zu dem notwendigen<br />
Lern- und Entwicklungsprozeß<br />
auf der Nachfrageseite. Es wird auch<br />
für den zeitgestreßten Manager nicht<br />
zu leugnen sein, daß nicht allein die<br />
schnelle Problemlösung seine Aufgabe<br />
ist, sondern daß auch die Problemanalyse,<br />
und damit die Chance zur<br />
Problemprävention zu guter Unternehmensführung<br />
und zum Controlling gehören.<br />
Die ARGE Mediation<br />
Die Mediation erfordert in den verschiedenen<br />
Rechtsgebieten, im Familienrecht,<br />
im Arbeitsrecht, im Handels-<br />
und Wirtschaftsrecht, im<br />
Baurecht, im gewerblichen Rechtsschutz,<br />
in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten<br />
und in internationalen Konflikten,<br />
jeweils unterschiedliche<br />
Methoden und Gedankenansätze. Alle<br />
haben jedoch einen gemeinsamen Verfahrenskern<br />
und ein letztlich gemeinsames<br />
Zielverständnis. Aufgabe der<br />
ARBEITSGEMEINSCHAFT ME-<br />
DIATION im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />
ist es, diese Interessen zu bündeln und<br />
zu fördern. Der geschäftsführende<br />
Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft<br />
Mediation freut sich deshalb darüber,<br />
daß die Mitgliederzahl seit der Gründung<br />
im Mai dieses Jahres auf fast<br />
200 gewachsen ist und ermuntert alle<br />
interessierten Kollegen und Kolleginnen,<br />
an der ersten Fachtagung und<br />
Mitgliederversammlung am 6.12.1998<br />
in Frankfurt teilzunehmen. Die vielfältige<br />
Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten<br />
der Mediation kommt z. B. in zahlreichen<br />
Kongressen und<br />
Veranstaltungen zum Ausdruck, die<br />
gerade im Herbst dieses Jahres stattfinden<br />
und stattgefunden haben, z. B.<br />
den WIPO-Workshop Wirtschaftsmediation<br />
in Genf, den Straßburger Kongreß<br />
des Europarates über die europäische<br />
Familienmediation (Materialien<br />
können bei der Geschäftsstelle der<br />
ARGE Mediation in Bonn angefordert<br />
werden), den Kongreß Wirtschaftsmediation<br />
der Münchner Gesellschaft für<br />
Wirtschaftsmediation und Konfliktmanagement<br />
Ende Oktober und den Kongreß<br />
über Schnittstellen der Mediation<br />
(OSV, Mitte Oktober in Bonn). Weitere<br />
Informationen sind bei der Geschäftsstelle<br />
der ARGE Mediation in<br />
Bonn zu erhalten.<br />
Erste Mitgliederversammlung und<br />
Herbsttagung am 5. Dezember 1998<br />
Die mit der ersten Mitgliederversammlung<br />
und Fachtagung der<br />
Arbeitsgemeinschaft Mediation beginnende<br />
und weiter vor uns liegende<br />
Arbeit wird, davon bin ich überzeugt,<br />
den Beweis erbringen, daß das Lernen<br />
von anderen Disziplinen und das Lernen<br />
voneinander, die Offenheit für<br />
Neues und die Auseinandersetzung<br />
mit unserem ethischen Selbstverständnis<br />
die These bestätigt, daß Mediation<br />
Anwaltssache ist (vgl. § 18 der Berufsordnung).<br />
Rechtsanwalt Dr. Klaus Grisebach,<br />
Offenburg<br />
Vorsitzender des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft<br />
Mediation<br />
AG Verkehrsrecht des DAV<br />
AnwBl 11/98<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Geschäftsbericht 1997/98 des<br />
Vorsitzenden des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses der AG Verkehrsrecht<br />
Auch im 19. Jahr ihres Bestehens<br />
hat sich unsere ARGE kontinuierlich<br />
weiterentwickelt. Dies gilt sowohl für<br />
die von uns angebotenen Serviceleistungen<br />
als auch die Mitgliederzahl.<br />
Im März diesen Jahres haben wir<br />
die Grenze von 4.000 Mitgliedern
AnwBl 11/98 591<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
überschritten. Das 4.000 ste Mitglied,<br />
Frau Kollegin Poll aus Aachen, ist<br />
heute hier anwesend. Wir heißen sie<br />
stellvertretend für alle Neumitglieder<br />
willkommen und bedanken uns für<br />
ihre Bereitschaft zur Mitarbeit in unserer<br />
ARGE mit einem Buchpräsent<br />
aus der Schriftenreihe der ARGE sowie<br />
einer Einladung zu den diesjährigen<br />
Homburger Tagen.<br />
1. Fortbildung<br />
Ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit<br />
war – wie schon in den letzten Jahren –<br />
die Fortbildungsarbeit und zwar schon<br />
deshalb, weil die Satzung unsere Mitglieder<br />
zur ständigen Fortbildung verpflichtet.<br />
Darüber hinaus aber auch<br />
deshalb, weil wir davon überzeugt<br />
sind, daß nur eine gut ausgebildete<br />
Anwaltschaft den vor allem im Verkehrsrecht<br />
zunehmenden Verdrängungsversuchen<br />
Paroli bieten kann. Im<br />
einzelnen haben wir im Berichtszeitraum<br />
folgende Fortbildungsveranstaltungen<br />
angeboten:<br />
a) Fortbildung für junge Kollegen<br />
Nachdem die ursprünglich als Eintagesveranstaltung<br />
angebotenen Seminare<br />
auf ein lebhaftes Interesse gestoßen<br />
sind, haben wir, aufbauend auf<br />
diesen Einführungskursen, zweitägige<br />
Vertiefungsseminare für junge Kollegen<br />
und Referendare angeboten.<br />
Tagungsorte der mit 490 Teilnehmer<br />
besuchten Veranstaltungen waren<br />
Bad Bramstedt, Oldenburg, Hannover,<br />
Hagen, Neubrandenburg, Halle, Neuss<br />
und Berlin. Mit Referenten aus den eigenen<br />
Reihen konnten wir die Seminare<br />
zu sehr günstigen Preisen anbieten.<br />
Referiert haben 4 Teams (Burmann/<br />
Hillmann; Höfle/Haag bzw. Beck;<br />
Fleischmann/Gebhardt sowie Rochow/<br />
Ziegert).<br />
b) Bundesweite Veranstaltungen<br />
Zum 18. Mal werden (diesmal am<br />
Tag nach der Mitgliederversammlung)<br />
BGH-Richter in Würzburg über „Die<br />
Rechtsprechung des BGH in Verkehrssachen<br />
im Jahr 1997“ referieren. In<br />
diesem Jahr ist das Verkehrsversicherungsrecht<br />
hinzugekommen, zu dem<br />
Herr R. BGH Römer referiert, während<br />
zu den Themen Verkehrszivilbzw.<br />
Verkehrsstrafrecht, wie gewohnt,<br />
die Richter am BGH Dr. von Gerlach<br />
und Dr. von Tolksdorf referieren.<br />
Die 17. Homburger Tage am<br />
25.10.1997 wurden von mehr als 210<br />
Teilnehmern, darunter 17 BGH-Richtern<br />
und über 120 Anwälten besucht.<br />
Zum Thema „Spätschäden im Haftpflichtrecht“<br />
referierte Frau Richterin<br />
am BGH Dr. Gerda Müller, Karlsruhe,<br />
zu dem Thema „Reintra“ drei Vertreter<br />
der Bayerischen Rückversicherung AG<br />
München (A. Klug, H. Schleich, Dr.<br />
Uwe Wandl) sowie der Vors. Richter<br />
am BGH a. D. Dr. Erich Steffen,<br />
Karlsruhe, und zum Thema „Aktuelle<br />
Fragen aus der Personenversicherung“<br />
Herr Richter am BGH Wolfgang<br />
Römer, Karlsruhe.<br />
Am 26.11.1997 haben wir in Offenbach<br />
gemeinsam mit der Deutschen<br />
Verkehrszeitung (Geschäftsführer Dr.<br />
Belzer) ein Seminar zu den Risiken<br />
beim Transport veranstaltet. Teilnehmerwaren<br />
neben Anwälten auch Spediteure<br />
und Fuhrunternehmer, was einen<br />
interessanten Erfahrungsaustausch<br />
und vielversprechende berufliche Kontakte<br />
ermöglichte.<br />
Das Seminar fand so großen Anklang,<br />
daß wir die Fortbildung auf diesem<br />
Rechtsgebiet intensivieren wollen.<br />
Zwei weitere Veranstaltungen sind bereits<br />
geplant, die erste am 9.5.1998 in<br />
Dortmund und die zweite – wiederum<br />
in Zusammenarbeit mit dem Deutschen<br />
Verkehrsverlag – am 17.9.1998<br />
in Offenbach.<br />
Gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht haben wir am<br />
6./7.3.1998 in Bad Kreuznach eine<br />
Fortbildungsveranstaltung zum Thema<br />
„Die Verteidigung in Verkehrssachen“<br />
durchgeführt.<br />
Unter den 244 Teilnehmern waren<br />
u. a. Generalbundesanwalt Nehm, sowie<br />
der Vors. Richter am BGH a. D.<br />
Dr. Steffen und als Referent Herr<br />
Richter am BGH Dr. Tolksdorf.<br />
Mit dieser Veranstaltung haben die<br />
beiden Arbeitsgemeinschaften die frühere<br />
gemeinsame Veranstaltungsreihe<br />
wieder aufleben lassen und nach dem<br />
großen Erfolg beschlossen im 2Jahres-<br />
Turnus in Bad Kreuznach eine Fortbildungsveranstaltung<br />
zum Verkehrsstrafrecht<br />
durchzuführen. Die nächste wird<br />
im Jahr 2000, am 3. Wochenende im<br />
März, stattfinden.<br />
c) Regionalveranstaltungen<br />
Themen und Referenten des regionalen<br />
Fortbildungsprogramms:<br />
– Richter am BGH Dr. Klaus Tolksdorf,<br />
Karlsruhe u. Dipl. Physiker<br />
Dr. Ulrich Löhle, Freiburg:<br />
„Der Sachverständige im Verkehrsprozeß“<br />
– Vors. Richter am OLG Hellmut<br />
Münstermann, Köln/Aachen:<br />
„Das Versicherungsvertragsrecht –<br />
aus der Praxis für die Praxis“<br />
– Richter am BGH Dr. Manfred<br />
Lepa, Bonn/Karlsruhe:<br />
„Fahrlässigkeitshaftung und Gefährdungshaftung<br />
– Typische Probleme<br />
des Haftungsgrundes in der Praxis“<br />
– Rechtsanwalt Dr. Kurt Reinking,<br />
Köln:<br />
„Leasing und Drittfinanzierung von<br />
Kraftfahrzeugen – Probleme bei<br />
verschiedenen Vertragsgestaltungen,<br />
insbesondere bei der Schadensregulierung“<br />
– Reg. Dir. Klaus-Ludwig Haus,<br />
Homburg/Saar:<br />
„Aktuelle Probleme im Verkehrsverwaltungsrecht:<br />
Amtshaftung,<br />
Wiedererteilung der Fahrerlaubnis,<br />
Abschlepp-Probleme“<br />
– Prof. Dr. Friedrich Dencker, Münster:<br />
„Der Verkehrsstrafprozeß. Tägliche<br />
Probleme in der Praxis“<br />
– Richter am BGH Wolfgang Römer,<br />
Karlsruhe:<br />
„Der Verkehrsunfall in seinen versicherungsvertraglichen<br />
Folgen“<br />
– Rechtsanwältin Erna-Maria Eichner,ADAC-Rechtsschutzversicherungs<br />
AG, München:<br />
„Die Verkehrsrechtsschutzversicherung<br />
und gebührenrechtliche Probleme<br />
in der täglichen Praxis“<br />
d) Sonderveranstaltungen<br />
Mit der am 11.10.1997 in Rostock<br />
durchgeführten Veranstaltung zur<br />
Rechtsprechung des dortigen OLG’s<br />
haben wir unsere Seminarreihe zur<br />
Rechtsprechung des jeweiligen Oberlandesgerichtes<br />
fortgesetzt und damit<br />
bereits die 3. Veranstaltung dieser Art<br />
in den neuen Bundesländern durchgeführt.<br />
Zum Verkehrszivilrecht referierte<br />
Ri. OLG Jürgen Boll und zum Strafrecht<br />
Ri. OLG Jürgen Gabe. Mit 108<br />
Teilnehmern nahmen mehr als 10 %<br />
der im OLG-Bezirk Rostock zugelassenen<br />
Anwälte teil.<br />
Zu den Themen<br />
– Direktregulierung durch Versicherer<br />
und Dritte<br />
– Interessenschutz von Sachverständigen<br />
und Werkstätten<br />
– Verstöße gegen das Rechtsberatungsgesetz<br />
– Anwaltsmarketing<br />
haben jeweils die Referenten,<br />
Rechtsanwältin Karin Nickel, Witten,<br />
Rechtsanwalt Rüdiger Nickel, Hanau,<br />
Rechtsanwalt Joachim Otting, Grünberg<br />
sowie Rechtsanwalt Holger
592<br />
MN<br />
Rochow 4 Nachmittagsveranstaltungen<br />
durchgeführt. In diesen Veranstaltungen<br />
konnten wir die durch das Regulierungsverhalten<br />
verschiedener Versicherer<br />
entstandenen besonderen<br />
Probleme mit der Kollegenschaft besprechen.<br />
Die Veranstaltungsreihe<br />
wird fortgesetzt.<br />
2. Richard-Spiegel-Preis<br />
Nach der 2. Verleihung des Richard-Spiegel-Preises<br />
im Rahmen der<br />
Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht am 26.4.<br />
1997 im Maritim Hotel Würzburg an<br />
Herrn Dipl. Physiker Dr. Ulrich Löhle/<br />
Freiburg (Laudatio Richter am BGH<br />
Dr. Klaus Tolksdorf) erfolgt im<br />
Anschluß an die Würzburger Fachveranstaltung<br />
am 25.4.1998 auf der Würzburger<br />
Festung Marienburg die 3. Verleihung<br />
des Richard-Spiegel-Preises<br />
an Herrn Rechtsanwalt Wolf Dieter<br />
Beck/München, vormals Leiter des<br />
Referats Verkehrsrecht in der Juristischen<br />
Zentrale des ADAC. Die Laudatio<br />
hält der 1. Vizepräsident des<br />
ADAC, Herr Kollege Rolf-P. Rocke<br />
aus Hamburg.<br />
Der Preisträger hat sich um die<br />
Entwicklung des Verkehrsrechts und<br />
gleichermaßen um die Arbeitsgemeinschaft<br />
verdient gemacht. Deutlich<br />
wird dies z. B. durch die zahlreichen<br />
Veröffentlichungen und durch seine<br />
Aktivitäten auf den Verkehrsgerichtstagen.<br />
Er war viele Jahre ständiger<br />
Gast bei den Sitzungen des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses, dem er mit<br />
Rat und in schwierigen Situationen<br />
auch mit Tat zur Seite stand. Auch<br />
heute noch ist er als Dozent für die<br />
Arbeitsgemeinschaft tätig.<br />
3. Pressearbeit<br />
a) Journalistenseminar<br />
Vom 6. bis zum 8.6.1997 fand in<br />
Lembach das Journalistenseminar statt,<br />
an dem 25 in überregionalen Medien<br />
arbeitende Journalisten teilnahmen.<br />
Themen waren das Rechtsberatungsgesetz,<br />
die Reform des Ordnungswidrigkeiten-<br />
und des Straßenverkehrsgesetzes.<br />
Nach den um neuere Verkehrsrechtsprechung<br />
ergänzten Referaten<br />
hatten die Journalisten Gelegenheit zu<br />
Fragen und Hintergrundgesprächen<br />
mit den beiden Referenten Dr. Greißinger<br />
und Gebhardt. Das Seminar hat<br />
in vielen Print- und Telemedien Wiederhall<br />
gefunden.<br />
b) Pressedienst<br />
Wie in den vergangenen Jahren erschien<br />
der Pressedienst 12x jährlich<br />
mit jeweils 3 Entscheidungen, die über<br />
den Presseverteiler der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht an mehr als 220<br />
Redaktionen verteilt werden. Wir können<br />
feststellen, daß unsere Stellungnahmen<br />
und Informationen immer größere<br />
Resonanz in den Medien finden.<br />
c) Presseerklärung<br />
– 23. April 1997, Nr. V 3/97:<br />
Dr. Ulrich Löhle, Freiburg i. Br.<br />
mit dem Richard-Spiegel-Preis ausgezeichnet<br />
– Juli 1997, Nr. V 4/97:<br />
Verkehrsrechts-Anwälte des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s jetzt im Internet<br />
– Juli 1997, Nr. V 5/97:<br />
„Testphase“ für Radfahrer gefährdet<br />
Sicherheit<br />
– 27. August 1997, Nr. 6/97:<br />
DAV-Verkehrsrechts-Anwälte stellen<br />
ihren Anwalt-Suchservice auf<br />
der Internationalen Automobil-Ausstellung<br />
(IAA) vor<br />
– 25. August 1997, Nr. V 7/97:<br />
Abstandsmessung bundesweit in<br />
Frage gestellt<br />
– 10. September 1997, Nr. V 8/97:<br />
DAV-Verkehrsrechts-Anwälte stellen<br />
ihre Anwalt-Suchhilfe auf der<br />
Internationalen Automobil-Ausstellung<br />
(IAA) vor.<br />
– 17. Oktober 1997, Nr. V 9/97:<br />
Ab 1.10.1997: Anwaltsuche leicht<br />
gemacht – DAV-Verkehrs-Anwälte<br />
im Internet<br />
– 18. Oktober 1997, Nr. V 10/97:<br />
Homburger Tage 1997 – Anwaltliche<br />
Hilfe bei der Unfallschadenregulierung<br />
zahlt sich aus<br />
– 26. Januar 1998, Nr. V 1/98:<br />
Verkehrsrechtsanwälte bestätigt:<br />
BGH verbietet das „carpartner-System“<br />
der Haftpflichtversicherer.<br />
– 18. Februar 1997, Nr. V 2/98:<br />
Ansprüche Unfallgeschädigter sollen<br />
beschränkt werden.<br />
d) Jourfix des DAV<br />
Am 12.3.1998 fand in Bonn ein<br />
Pressegespräch zur beabsichtigten<br />
Neuregelung schadensersatzrechtlicher<br />
Vorschriften statt. Als Ansprechpartner<br />
stand den Journalisten Rechtsanwalt<br />
Gebhardt zur Verfügung. Zu dem<br />
Thema dieses Pressegespräches erreichen<br />
uns auch heute noch ständig Anfragen<br />
von Journalisten.<br />
AnwBl 11/98<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
4. Fachanwalt<br />
Wir sind mit vielen anderen Institutionen<br />
der Auffassung, daß für das Gebiet<br />
des Verkehrs- bzw. Versicherungsrechts<br />
eine Fachanwaltschaft eingeführt<br />
werden müßte. Wir haben<br />
deshalb die Präsidenten aller Anwaltskammern<br />
und die Mitglieder der Satzungsversammlung<br />
angeschrieben und<br />
unter Darlegung unseres Standpunktes<br />
um Unterstützung gebeten. Wenn wir<br />
derzeit auch noch keine Mehrheit finden,<br />
so konnten wir doch feststellen,<br />
daß wesentlich mehr Kammern als bisher<br />
unser Anliegen unterstützen wollen.<br />
5. Internet<br />
Unser Internet Anwaltssuchdienst<br />
(www.recht-und-verkehr.de) läuft planmäßig<br />
seit Oktober 1997. Der Suchdienst<br />
verzeichnet – mit steigender<br />
Tendenz – zur Zeit mehr als 140 Anfragen<br />
nach Anwälten. Unsere Informationsseiten<br />
für Mitglieder und Journalisten<br />
werden täglich mehrere 100<br />
Mal angewählt.<br />
Unbefriedigend ist leider nach wie<br />
vor die verhältnismäßig geringe Zahl<br />
der Beteiligten. Offenbar haben die<br />
Kollegen die Bedeutung und die Chancen<br />
dieses neuen Mediums noch nicht<br />
erkannt.<br />
6. Mitteilungsblatt<br />
Im Berichtszeitraum sind wieder 4<br />
Ausgaben unter der seit langer Zeit bewährten,<br />
ehrenamtlichen Schriftleitung<br />
des Kollegen Dr. Chemnitz/Pinneberg<br />
erschienen. Mit der Ausgabe 1/98<br />
haben wir das Erscheinungsbild etwas<br />
moderner gestaltet, sind für weitere<br />
Vorschläge und Anregungen jedoch<br />
dankbar. Die Druckauflage liegt derzeit<br />
bei 4.500 Exemplaren pro Ausgabe.<br />
7. Schriftenreihe<br />
Die Beiträge der Homburger Tage<br />
1997 erscheinen als Band 22 und wurden<br />
als Beilage zum Mitteilungsblatt<br />
1/98 allen Mitliedern überreicht. In<br />
der Zwischenzeit ist Band 23 zu dem<br />
Thema „Haftungsrisiken beim Transport<br />
vermeiden“ erschienen. Die in<br />
Bad Kreuznach gehaltenen Referate<br />
werden demnächst als Band 24 erscheinen.<br />
8. zfs<br />
Die Abonnentenzahl der vom Geschäftsführenden<br />
Ausschuß der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht herausgegebenen<br />
„Zeitschrift für Scha-
AnwBl 11/98 593<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
densrecht“ liegt bei über 3.600 (Stand<br />
Dezember 1997). Mit 477 Abonnenten<br />
aus der Arbeitsgemeinschaft beträgt<br />
dieser Anteil inzwischen 13 % (Vorjahr:<br />
12,4 %).<br />
9. Mitgliederliste<br />
Die neue Mitgliederliste ist in Auftrag<br />
gegeben und soll in den nächsten<br />
Wochen fertiggestellt und dem MittBl<br />
2/98 beigefügt werden.<br />
10.Versicherungen<br />
– Regulierungsempfehlungen:<br />
Veränderungen haben sich ergeben<br />
mit Wirkung zum 1.4.1997 durch<br />
Ausscheiden der Agrippina und der<br />
Patria Versicherung, beide Köln<br />
–<br />
(aufgrund eines Wechsels zu einer<br />
neuen Mutter-Konzerngesellschaft).<br />
Schlichtungsausschuß DAV/GDV:<br />
Es fanden 2 Sitzungen der 4 Mitglieder<br />
des Schlichtungsausschusses<br />
(Gerstner VHV, Schäfer HUK-<br />
Coburg, Dr. Greißinger, Gebhardt)<br />
statt.<br />
Die Veröffentlichung von Empfehlungen<br />
des Schlichtungsausschuß<br />
erfolgte bislang in der zfs 1997, 84<br />
und 163, im MittBl 2/95, 33 sowie<br />
im <strong>Anwaltsblatt</strong> 1996, 281.<br />
Allerdings zeigt eine Vielzahl von<br />
Rückfragen, daß in manchen Punkten<br />
immer noch keine Klarheit<br />
besteht; dies gilt für Versicherer<br />
und Anwälte gleichermaßen. Der<br />
Schlichtungsausschuß hat deshalb<br />
–<br />
eine Kommentierung zu den immer<br />
wieder auftretenden Streitpunkten<br />
verfaßt, die Veröffentlichung wird<br />
in den nächsten Wochen erfolgen.<br />
Motorcare und ähnliche Entwicklungen:<br />
Fortsetzung der Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft<br />
zusammen mit<br />
dem ADAC und anderen betroffenen<br />
Berufs- und Branchenverbänden<br />
gegen Motorcare bzw.<br />
Württembergische Versicherung;<br />
inzwischen<br />
Maßnahmen.<br />
durch gerichtliche<br />
– Zentralruf<br />
Die Erreichbarkeit des Zentralrufes<br />
hat sich in letzter Zeit verbessert,<br />
allerdings haben viele Kollegen die<br />
Sorge, daß der neugestaltete Zentralruf<br />
ein Mittel unter vielen ist,<br />
mit denen die Versicherungswirtschaft<br />
die Anwaltschaft zur<br />
Schadensregulierung herausdrängen<br />
will.<br />
Die Kollegen Dr. Greißinger und<br />
Ziegert haben kürzlich die Gelegenheit<br />
genutzt, sich die Abläufe<br />
beim Zentralruf in Hamburg genauer<br />
anzusehen und erläutern zu lassen.<br />
Dabei haben sie auch auf die<br />
Bedenken der Anwaltschaft hingewiesen<br />
(Bericht im MittBl 97, 93).<br />
11. Mitarbeit in anderen Verbänden<br />
– Vorstand DAV: Dr. Greißinger ist<br />
weiterhin vom Vorstand des DAV in<br />
den Geschäftsführenden Ausschuß<br />
der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />
entsandtes Mitglied. Darüber<br />
hinaus ist der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />
seit der DAV-<br />
Mitgliederversammlung im Mai<br />
1997 gewähltes Mitglied im Vorstand<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s.<br />
– Verkehrsgerichtstag: Dr. Greißinger<br />
wurde im Januar 1998 von der Mitgliederversammlung<br />
der Deutschen<br />
Akademie für Verkehrswissenschaft<br />
einstimmig für eine weitere 4jährige<br />
Amtsperiode in den Vorstand<br />
gewählt. Frau Kollegin Wernet ist<br />
unverändert seit Januar 1997 Vizepräsidentin<br />
des Verkehrsgerichtstages.<br />
Wernet u. Gebhardt sind Mitglieder<br />
im Vorbereitungsausschuß<br />
dort.<br />
– Beim 36. DVGT 1998 im Januar<br />
waren aus den Reihen der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht aktiv:<br />
RAuN Eckhard Höfle, Groß-Gerau,<br />
als Referent im AK II (Beschleunigung<br />
in Verkehrsstrafverfahren<br />
und in Bußgeldverfahren)<br />
RA Dr. Uwe Greger, Frankfurt<br />
a. M., als Leiter des AK VII (Inline-Skater)<br />
RA Wolf Dieter Beck, München,<br />
als Betreuer des AK V. (Verkehrsüberwachung).<br />
Beim Begrüßungsabend der Arbeitsgemeinschaft<br />
im „Kaiserworth“<br />
im Jahre 1998 versammelten<br />
sich etwa 110 Mitglieder,<br />
Pressevertreter, Richter und weitere<br />
Ehrengäste, z. B. der Präsident des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Felix<br />
Busse.<br />
– GUVU: Schultheis ist weiterhin Mitglied<br />
im Vorstand der Gesellschaft<br />
für Ursachenforschung bei Verkehrsunfällen<br />
e. V., Köln, Mitgliedschaft<br />
auch beim „Institut für Sachverständigenwesen<br />
e.V./IFS), Köln.<br />
– zfs: Schriftleiter Dr. Greißinger;<br />
Mitglied im Redaktionsausschuß<br />
Ziegert; Herausgeber: Der Geschäftsführende<br />
Ausschuß der Ar-<br />
beitsgemeinschaft Verkehrsrecht.<br />
DAV-Verkehrsrechtsausschuß: Unveränderte<br />
Beteiligung der Arbeitsgemeinschaft<br />
beim Verkehrsrechtsausschuß<br />
des DAV mit Dr.<br />
Burmann, Fleischmann, Gebhardt<br />
und Dr. Greißinger, Vorsitzender ist<br />
der Regionalbeauftragte für Groß-<br />
Gerau, Höfle.<br />
Fleischmann und Gebhardt sind<br />
Dozenten der Anwaltsakademie,<br />
Gebhardt hat für die Arbeitsgemeinschaft<br />
auf dem Deutschen<br />
Sachverständigentag in Bonn am<br />
13.3.1998 referiert, Ziegert auf der<br />
Tagung der GFU in Köln.<br />
Stiewe hat die Arbeitsgemeinschaft<br />
bei der Einweihung der GTÜ in<br />
Berlin vertreten.<br />
Greißinger und Höfle haben im<br />
Bundesjustizministerium unsere<br />
Kritik gegen die geplante Änderung<br />
schadensersatzrechtlicher Vorschriften<br />
vorgetragen.<br />
Fleischmann und Hillmann haben<br />
ihr im Deutschen Anwaltsverlag erschienenes<br />
Buch zum Verkehrszivilrecht<br />
herausgebracht.<br />
12. Regionalbeauftragte<br />
Ursprünglich sollten die Regionalbeauftragten<br />
lediglich die regionalen<br />
Fortbildungsveranstaltungen betreuen.<br />
In der Zwischenzeit sind sie zu einem<br />
wichtigen Ratgeber für den Geschäftsführenden<br />
Ausschuß geworden.<br />
Dem Erfahrungsaustausch dient<br />
deshalb eine zweitägige jährliche Regionalbeauftragtentagung,<br />
die diesmal<br />
am 5./6.12.1997 mit 21 Teilnehmern in<br />
Halle/Saale stattfand.<br />
Bei unseren Regionalbeauftragten,<br />
den Kolleginnen Eifler, Neubrandenburg,<br />
und Wernet, München, sowie den<br />
Kollegen Dietz, Bad Hersfeld; Elsner,<br />
Hagen; Ficht, Nürnberg; Fleischmann,<br />
Hanau; Greißinger, Hannover; Häcker,<br />
Würzburg; Härtel, Freiburg; Hillmann<br />
III, Oldenburg; Höfle, Groß-Gerau;<br />
Hörl, Stuttgart; Rochow, Bad Bramstedt;<br />
Schultheis, Düsseldorf; Stiewe,<br />
Berlin; Wilde, Halle/Saale, sowie Ziegert,<br />
Hannover, darf ich mich für die<br />
auch im ablaufenden Jahr geleistete Arbeit<br />
recht herzlich bedanken.<br />
Frau Kollegin Wernet hat im Hinblick<br />
auf ihre – nicht zuletzt mit ihrem<br />
Amt als Vizepräsidentin des Deutschen<br />
Verkehrsgerichtstags zusammenhängende<br />
große Arbeitsbelastung gebeten,<br />
sie von ihrer Verpflichtung als<br />
Regionalbeauftragte zu entbinden.<br />
Herr Kollege Riedmayer, München,<br />
wird ihr nachfolgen.
594<br />
MN<br />
13. Geschäftsführender Ausschuß<br />
Mitglieder des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses sind wie bisher die Kollegin<br />
Wernet, München, die Kollegen<br />
Dr. Burmann, Erfurt; Fleischmann,<br />
Hanau; Dr. Greißinger, Hildesheim;<br />
Schultheis, Aachen; Ziegert, Lüneburg,<br />
sowie Gebhardt, Homburg/Saar.<br />
An unseren Sitzungen nehmen mit<br />
beratender Stimme darüber hinaus der<br />
Schriftleiter des MittBl und Ehrenmitglied<br />
Rechtsanwalt Dr. Chemnitz und<br />
als ständiger Gast und Vertreter des<br />
ADAC seit dem Ausscheiden des Kollegen<br />
Beck nun der Kollege Dr. Jung teil.<br />
Neben den jeweils anläßlich der<br />
überregionalen Veranstaltungen durchgeführten<br />
Sitzungen ist der Geschäftsführende<br />
Ausschuß zu 2 jeweils dreitägigen<br />
Arbeitssitzungen zusammengekommen:<br />
Am 19. bis 21.9.1997 in Piding/<br />
Oberbayern und am 13. bis 15.2.1998<br />
in Erfurt.<br />
Darüber hinaus haben alle Vorstandsmitglieder<br />
an der Regionalbeauftragtentagung<br />
in Halle/Saale und<br />
jeweils mindestens ein Mitglied des<br />
Vorstandes an den bedeutendsten deutschen<br />
verkehrsrechtlichen Veranstaltungen<br />
teilgenommen.<br />
Der Kollegin Wernet, München, sowie<br />
den Kollegen Dr. Burmann, Erfurt;<br />
Fleischmann, Hanau; Dr. Greißinger,<br />
Hildesheim; Schultheis,<br />
Aachen; Ziegert, Lüneburg, darf ich<br />
für ihre auch in diesem Jahr wieder geleistete<br />
hervorragende Arbeit ebenso<br />
danken wie für die loyale Zusammenarbeit.<br />
Bereits jetzt darf ich Sie darauf hinweisen,<br />
daß die ARGE ihr 20jähriges<br />
Bestehen im nächsten Jahr mit einem<br />
Festakt am 25.4.1999 in Würzburg feiern<br />
wird. Die Veranstaltung ist eingebettet<br />
in das Presseseminar und die<br />
Mitgliederversammlung (23.4.1999)<br />
sowie die am 24.4.1999 stattfindende<br />
Fortbildungsveranstaltung zur Rechtsprechung<br />
des BGH und die Verleihung<br />
des Richard-Spiegel-Preises. Ich<br />
bitte, den Termin jetzt schon vorzumerken.<br />
Ich kann nicht schließen ohne festzustellen,<br />
daß es unsere Arbeit erheblich<br />
erleichtern und unsere Arbeitsgemeinschaft<br />
stärken werde, wenn sich<br />
noch mehr Kolleginnen und Kollegen<br />
bereitfinden könnten, an verantwortlicher<br />
Stelle mitzuarbeiten. Dies kann<br />
auch in einem regional begrenzten<br />
Rahmen geschehen.<br />
Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt,<br />
Homburg/Saar<br />
Fortbildungsveranstaltung<br />
zum neuen Transportrecht<br />
Am 9.5.1998 veranstaltete die Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht in<br />
Dortmund eine bundesweite Fortbildungsveranstaltung<br />
zum neuen Transportrecht,<br />
an der über 80 Kollegen teilnahmen.<br />
Durch das Transportrechtsreformgesetz,<br />
welches am 1.7.1998 in Kraft<br />
treten soll, wird das Transportrecht<br />
neu geordnet und die bisherige Zersplitterung<br />
der rechtlichen Regelung<br />
für nationale Gütertransporte beseitigt.<br />
Die bislang noch geltenden Sonderregelungen<br />
wie KVO oder GüKUMB<br />
entfallen. Die Referenten, Rechtsanwalt<br />
Detlef Neufang (Bonn) und<br />
Rechtsanwalt Dr. Jürgen Temme (Düsseldorf)<br />
stellten detailliert die wichtigsten<br />
Neuregelungen des Transportrechtsreformgesetzes<br />
dar. Hierbei bildeten<br />
die Haftungsregelungen einen<br />
Schwerpunkt. Breiten Raum nahmen<br />
auch die Erörterungen ein, inwieweit<br />
von den gesetzlichen Bestimmungen<br />
abweichende Regelungen in AGB’s zulässig<br />
sind. Die Neuregelungen sind<br />
nur noch teilweise dispositiv. Insbesondere<br />
die Bestimmungen über die<br />
Haftungen dem Grunde nach sind<br />
AGB-fest ausgestaltet. Lediglich die<br />
Haftungshöhe kann innerhalb eines<br />
vom Gesetzgeber vorgegebenen Rahmens<br />
durch AGB abweichend geregelt<br />
werden. Darüber hinaus sind Abweichungen<br />
von den gesetzlichen Regelungen<br />
nur noch dann möglich, wenn<br />
sie in Individualvereinbarungen getroffen<br />
werden.<br />
Die Arbeitsgemeinschaft wird sich<br />
auch in Zukunft mit den Problemen<br />
des Transportrechts beschäftigen. Für<br />
den 17.9.1998 ist in Frankfurt in Zusammenarbeit<br />
mit der Deutschen Verkehrszeitung<br />
(DVZ) ein Symposium<br />
zu Fragen des Transportrechts geplant.<br />
Gegenstand dieses Symposiums, welches<br />
sich sowohl an Anwälte wie auch<br />
Transporteure richtet, werden neben<br />
den haftungsrechtlichen Problemen<br />
des neuen Transportrechts auch die<br />
sich aus den Neuregelungen ergebenden<br />
versicherungsrechtlichen Konsequenzen<br />
sein. Darüber hinaus werden<br />
auch die Bußgeld- bzw. strafrechtlichen<br />
Konsequenzen bei Verstößen gegen<br />
die Gefahrgutverordnung erörtert<br />
werden *.<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Burmann,<br />
Erfurt<br />
* Anmerkung der Redaktion: Das<br />
Symposium am 17. September 1998 wurde<br />
mit erfreulicher Resonanz – ca. 100 Teilnehmer<br />
– in Frankfurt durchgeführt.<br />
AnwBl 11/98<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Erich<br />
Klinge€<br />
Am 30. September 1998 starb im<br />
Alter von 73 Jahren Rechtsanwalt<br />
Justizrat Dr. Erich Klinge.<br />
Erich Klinge war von 1978 bis<br />
1989 Vizepräsident des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s und gehörte dem DAV-<br />
Vorstand von 1971 bis 1990 an. Er<br />
war 20 Jahre lang von 1971 bis 1991<br />
Vorsitzender des Vereins der Rechtsanwälte<br />
Koblenz e.V. Von 1978 bis 1994<br />
stand er dem Anwaltsverband Rheinland-Pfalz<br />
vor. Darüber hinaus leitete<br />
Dr. Klinge das Kuratorium der Deutschen<br />
Anwaltakademie von 1980 bis<br />
1983 und von 1990 bis 1993.<br />
Dr. Klinge ist Träger der Justizrat-<br />
Dr.-Karl-Weber-Plakette, welche aus<br />
Anlaß des 40jährigen Bestehens der<br />
Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk<br />
Koblenz erstmals<br />
1987 gestiftet und ihm in diesem Jahr<br />
verliehen wurde.<br />
Erich Klinge, geboren in Wesel,<br />
schlug in Koblenz Wurzeln. Am<br />
20. Juli 1955 wurde er hier als Rechtsanwalt<br />
zugelassen, trat in die Kanzlei<br />
Dr. Brabeck ein und engagierte sich<br />
von Anfang an in beispielhafter Weise<br />
für seinen Berufsstand und für die<br />
Rechtspflege.<br />
Untrennbar verbunden mit seinem<br />
Namen ist das Beratungshilfegesetz,<br />
das auch Minderbemittelten erlaubt,<br />
sich außergerichtliche Beratung beim<br />
Anwalt ihrer Wahl zu holen. Justizrat<br />
Dr. Erich Klinge wird der „Vater“ dieses<br />
Gesetzes genannt, für das er lange<br />
kämpfte.<br />
Erich Klinge war ein nobler Anwalt<br />
und umfassend gebildet. Davon<br />
zeugen nicht zuletzt seine vielfältigen<br />
literarischen Aktivitäten.<br />
Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> wird<br />
das Gedenken an Erich Klinge bewahren.
AnwBl 11/98 595<br />
EUROPA<br />
Der Gerichtshof im Jahr 1997<br />
– Vorstellung des Jahresberichts des Gerichtshofes und des<br />
Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften<br />
für das Jahr 1997 –<br />
1997 hat der Gerichtshof starke Anstrengungen unternommen,<br />
um die bei ihm anhängigen Rechtssachen zügig<br />
zu bearbeiten. Diese Anstrengungen haben Früchte getragen:<br />
Der Gerichtshof hat 242 Urteile (gegenüber 193 im Jahr<br />
1996) und 135 Beschlüsse zur Erledigung von Rechtssachen<br />
erlassen (gegenüber ungefähr 100 im Vorjahr), dabei<br />
hat er 456 Rechtssachen abgeschlossen (gegenüber ungefähr<br />
350 im Jahr 1996), im selben Zeitraum sind bei ihm<br />
445 neue Rechtssachen eingegangen, am 31.12.1997 belief<br />
sich die Zahl der nicht erledigten Rechtssachen auf 683,<br />
was einem normalen Verlauf entspricht und keinen besorgniserregenden<br />
Rückstand anzeigt.<br />
1997 hat der Gerichtshof 168 Urteile erlassen, mit denen<br />
er von den nationalen Gerichten vorgelegte Vorabentscheidungsfragen<br />
beantwortet hat. Einige Beispiele zeigen die<br />
Bedeutung dieses Verfahrens für die Konstruktion der Gemeinschaft.<br />
So hat der Gerichtshof über die gemeinschaftsrechtliche<br />
Gültigkeit des schwedischen Alkoholgesetzes, das den Alkoholkonsum<br />
beschränken soll, entschieden. Er hat festgestellt,<br />
daß das in Schweden bestehende Monopol nicht<br />
benutzt werde, um die inländischen Erzeugnisse zu begünstigen.<br />
Sodann hat er bestätigt, daß das verfolgte Ziel der<br />
öffentlichen Gesundheit rechtmäßig sei. Daher hat er entschieden,<br />
daß das Monopol mit dem EG-Vertrag vereinbar<br />
sei. Dagegen hat er die Erlaubnisregelung beanstandet, die<br />
ein nicht gerechtfertigtes Hindernis für den Handel darstelle.<br />
Die Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsleben<br />
ist ebenfalls ein Gegenstand, der gemeinschaftsrechtlich<br />
geregelt ist. Der Gerichtshof hat im vergangenen<br />
Jahr entschieden, daß eine Bestimmung, die Frauen gegenüber<br />
männlichen Bewerbern bevorzugt, erlaubt sein könne,<br />
wenn sie eine Öffnungsklausel enthalte, die eine Prüfung<br />
jedes Einzelfalls garantiere, um die den weiblichen Bewerbern<br />
eingeräumte Priorität dann nicht mehr gelten zu lassen,<br />
wenn eines oder mehrere Kriterien in bezug auf die<br />
Person des männlichen Bewerbers zu dessen Gunsten überwiegen.<br />
Die Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit<br />
wirken sich unmittelbar auf die Möglichkeit für die Arbeitnehmer<br />
und ihre Familienangehörigen aus, frei zu- oder abzuwandern.<br />
In mehreren Urteilen hat der Gerichtshof die<br />
Grundprinzipien dieser Materie angewandt. So sind die<br />
Staaten nach wie vor befugt, ihre Sozialpolitik festzulegen<br />
und die Höhe der Sozialleistungen zu bestimmen; sie dürfen<br />
aber keine Diskriminierungen der Staatsangehörigen<br />
anderer Mitgliedstaaten schaffen. Die Gemeinschaftsbürger,<br />
die innerhalb der Gemeinschaft z. B. als Arbeitnehmer,<br />
Studenten oder Ruhegehaltsempfänger zu- oder abwandern,<br />
verlieren nicht bestimmte Rechte etwa im Bereich der<br />
Krankenversicherung oder der Rente allein deshalb, weil<br />
sie ihren Wohnort ändern.<br />
Bezüglich der beim Gerichtshof erhobenen direkten<br />
Klagen ist insbesondere das Urteil zu erwähnen, mit dem<br />
der Gerichtshof Frankreich auf Klage der Kommission wegen<br />
der Passivität verurteilt hat, die seine Behörden jahrelang<br />
an den Tag gelegt hatten, als Privatpersonen Obst- und<br />
Gemüsetransporte aus den anderen Mitgliedstaaten blokkierten.<br />
Der Gerichtshof war der Auffassung, daß der freie<br />
Warenverkehr nicht nur die von den Staaten geschaffenen<br />
Handelsbeschränkungen verbiete, sondern es den Staaten<br />
auch untersage, vom Erlaß solcher Maßnahmen abzusehen,<br />
die erforderlich sind, um Beeinträchtigungen gleich welchen<br />
Ursprungs zu begegnen.<br />
In bezug auf die Ein- und Ausfuhr von Gas und Elektrizität<br />
hatte die Kommission beim Gerichtshof beantragt, die<br />
in vier Staaten aufrechterhaltenen Monopolsysteme wegen<br />
Beeinträchtigung des Gemeinsamen Marktes zu verurteilen.<br />
Die betroffenen Staaten machten zu ihrer Verteidigung geltend,<br />
ihr System sei erforderlich, um die Dienstleistung von<br />
allgemeinem Interesse, die die Verteilung von Energie darstelle,<br />
zu gewährleisten. Der Gerichtshof hat die Klage der<br />
Kommission mit der Begründung abgewiesen, der EG-Vertrag<br />
räume den Staaten bezüglich der Art und Weise, in der<br />
sie bestimmte Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem<br />
Interesse betrauen, einen gewissen Ermessensspielraum<br />
ein.<br />
Im Rechtsmittelverfahren schließlich können Urteile des<br />
Gerichts erster Instanz angefochten werden.<br />
Eine wachsende Zahl von Rechtsmitteln wird vom Gerichtshof<br />
durch Beschluß zurückgewiesen. Diese Entwicklung<br />
zeigt klar, daß das Rechtsmittelverfahren nicht zu<br />
einem Rechtszug systematischer Berufungen gegen die<br />
Urteile des Gerichts werden wird. Das Rechtsmittel bleibt<br />
somit ein besonderes Verfahren, das auf die Prüfung von<br />
Rechtsfragen ausgerichtet ist.<br />
1997 hat das Gericht 173 Rechtssachen erledigt. Darüber<br />
hinaus hat das Gericht Sitzungen in vier Serien von<br />
Rechtssachen auf dem Gebiet des Wettbewerbs (insgesamt<br />
82 Rechtssachen) vorbereitet, und zwar in den Bereichen<br />
Karton (Sitzungen vom 28.6. bis 10.7.1997), Zement, Stahlträger<br />
und PVC. Die Bearbeitung dieser vier Serien von<br />
Rechtssachen hat beträchtliche Ressourcen beansprucht.<br />
Beim Gericht sind umfangreiche Serien neuer Rechtssachen<br />
anhängig gemacht worden, wodurch sich die Zahl der<br />
neu eingegangenen Rechtssachen im Berichtsjahr auf insgesamt<br />
624 erhöhte (gegenüber 220 Rechtssachen im Vorjahr).<br />
295 dieser Rechtssachen wurden von Zollagenten eingereicht,<br />
die im wesentlichen auf Ersatz des Schadens<br />
klagen, der ihnen angeblich aufgrund der Vollendung des in<br />
der Einheitlichen Europäischen Akte vorgesehenen Binnenmarktes<br />
entstanden ist.<br />
Einige Beispiele zeigen die Bedeutung und die Vielfalt<br />
zahlreicher Rechtssachen, die beim Gericht anhängig gemacht<br />
wurden.<br />
Auf dem Gebiet des Wettbewerbs hat sich ein Urteil in<br />
bezug auf Mobilkranunternehmen insbesondere mit den Fri-
596<br />
sten befaßt, die die Kommission bei der Behandlung einer<br />
bei ihr anhängigen Sache einzuhalten hat. Das Gericht hat<br />
entschieden, es sei ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts,<br />
daß die Kommission beim Erlaß von Entscheidungen<br />
am Ende der Verwaltungsverfahren in Wettbewerbssachen<br />
eine angemessene Frist zu wahren habe.<br />
Auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen hatte sich das<br />
Gericht zu einer Steuermaßnahme zu äußern, die der französische<br />
Staat zugunsten der Post, also einer Einrichtung, die<br />
auch im Wettbewerbsbereich tätig ist, angeordnet hatte.<br />
Nach Auffassung des Gerichts fiel die Maßnahme gemäß<br />
den Bestimmungen über Unternehmen, die mit Dienstleistungen<br />
von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut<br />
seien (Artikel 90 Abs. 2 EG-Vertrag), nicht unter das Beihilfenverbot.<br />
Sie solle nämlich nur die Mehrkosten ausgleichen,<br />
die sich aus der Erfüllung der besonderen Aufgaben der Post<br />
(Belieferung des gesamten Staatsgebiets und Leistung eines<br />
Beitrags zur Raumordnung) ergäben, und ihre Anordnung<br />
sei erforderlich, damit dieses Unternehmen seine Verpflichtungen<br />
als öffentlicher Dienstleistungserbringer unter wirtschaftlich<br />
tragbaren Bedingungen erfüllen könne. Ein gegen<br />
dieses Urteil beim Gerichtshof eingelegtes Rechtsmittel ist<br />
im März 1998 als unbegründet zurückgewiesen worden.<br />
Eine besondere Gruppe stellen die zahlreichen Schadensersatzklagen<br />
im Milchquotenbereich dar, die von Landwirten<br />
mehrerer Mitgliedstaaten im Anschluß an ein Urteil des Gerichtshofes<br />
erhoben wurden. Die Landwirte waren vorübergehend<br />
an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert worden.<br />
Das Gericht hat begonnen, diese Rechtssachen nach und<br />
nach zu erledigen, und sich insbesondere zu den Voraussetzungen<br />
für die Verjährung der Schadensersatzansprüche und<br />
zur Rechtsstellung einer Gruppe von Erzeugern geäußert, die<br />
nicht unter das genannte Urteil des Gerichtshofes fällt.<br />
Das Gericht hat auch die rechtliche Lage von Unternehmen<br />
geprüft, gegen die mit einer Entscheidung, die sie<br />
nicht rechtzeitig angefochten hatten, Sanktionen verhängt<br />
worden waren und die auf der Grundlage eines Urteils des<br />
Gerichtshofes, das diese Entscheidung auf Klage anderer<br />
Adressaten teilweise für nichtig erklärt hatte, eine erneute<br />
Prüfling der Entscheidung beantragten. Nach Auffassung<br />
des Gerichts ist die Kommission zu einer solchen erneuten<br />
Prüfling verpflichtet, wenn die Feststellung rechtswidriger<br />
Praktiken mit der Begründung für nichtig erklärt werde,<br />
daß diese Praktiken nicht bewiesen seien, und wenn dem<br />
betreffenden Unternehmen in der Entscheidung aufgrund<br />
derselben Tatsachen vorgeworfen werde, sich an diesen<br />
Praktiken beteiligt zu haben. Soweit die erneute Prüfung<br />
die Rechtswidrigkeit der Feststellung in bezug auf dieses<br />
Unternehmen ergebe, sei die Kommission außerdem verpflichtet,<br />
dem Unternehmen etwaige Geldbußen zu erstatten.<br />
Gegen dieses Urteil ist beim Gerichtshof Rechtsmittel<br />
eingelegt worden.<br />
Bezüglich des Zugangs der Öffentlichkeit zu Dokumenten<br />
der Gemeinschaftsorgane hat das Gericht schließlich seine<br />
1995 mit dem Urteil Carvel und Guardian Newspapers/Rat<br />
eingeleitete Rechtsprechung bestätigt und vervollständigt. Beabsichtigt<br />
die Kommission, den Zugang zu bestimmten Dokumenten<br />
zu verweigern, um die Geheimhaltung ihrer Beratungen<br />
zu wahren, so hat sie (gemäß ihrem Beschluß, der<br />
insoweit mit dem entsprechenden Beschluß des Rates übereinstimmt)<br />
ihr etwaiges Interesse an der Geheimhaltung gegen<br />
das Interesse abzuwägen, das der Bürger daran hat, den<br />
beantragten Zugang zu erhalten. Die Frage des Zugangs zu<br />
Dokumenten der Gemeinschaftsorgane führt übrigens zu einer<br />
zunehmenden Zahl von Klagen beim Gericht.<br />
AnwBl 11/98<br />
Europa<br />
Der Jahresbericht ist nur ein Teil des Angebots an Informationsmitteln,<br />
die der Gerichtshof zur Verfügung stellt. In<br />
diesem Zusammenhang möchten wir Sie insbesondere auf<br />
unsere Internet-Site hinweisen, über die der vollständige<br />
Wortlaut aller Urteile des Gerichtshofes und des Gerichts<br />
erster Instanz in den zwölf Amtssprachen verbreitet wird.<br />
Sie finden dort auch einen Kalender der vorgesehenen Tätigkeiten<br />
sowie die Pressemitteilungen und weitere Informationen<br />
von allgemeinem Interesse.<br />
Mitgeteilt durch die Presseabteilung des Europäischen<br />
Gerichtshofes in Luxemburg<br />
Europaweite Zulassung von Inkassobüros zum<br />
Mahnverfahren?<br />
Wird das deutsche Rechtsberatungsgesetz und das darin<br />
enthaltene Verbot der gerichtlichen Geltendmachung von<br />
Forderungen für Inkassobüros mit europäischer Hilfe<br />
durchlöchert?<br />
Im Vorfeld der Diskussion um den Richtlinienvorschlag<br />
der Kommission zur Bekämpfung des Zahlungsverzugs im<br />
Handelsverkehr (EG-ABl. C 168/1998, S. 13 ff.) stand tatsächlich<br />
zu befürchten, daß Inkassobüros zumindest bei der<br />
Durchführung von Mahnverfahren mit Rechtsanwälten<br />
gleichgestellt werden sollten. Zwar hat die Europäische<br />
Kommission unterdessen ihre Position bekräftigt, wonach<br />
sie mit diesem Richtlinienvorschlag die „Qualität und Kompetenz<br />
der Rechtsberufe nicht in Frage“ stellen wollte (vgl.<br />
Antwort auf die schriftliche Anfrage von MdEP Blott; EG-<br />
ABl. Nr. C 310 vom 9. Oktober 1998, S. 60 f.). Allerdings<br />
sieht der Vorschlag u. a. die Einführung eines „beschleunigten<br />
Beitreibungsverfahrens für unbestrittene Geldforderungen“<br />
in den Mitgliedstaaten vor, unter gleichzeitiger Möglichkeit<br />
des Gläubigers, sich von einer „dritten Person“<br />
vertreten zu lassen, verbunden mit einer europaweiten Zulassung<br />
von Inkassounternehmen. Praktisch hätte dies zu der<br />
oben erwähnten Konsequenz der Zulassung der Inkassounternehmen<br />
zum Mahnverfahren in Deutschland geführt.<br />
Das Europäische Parlament hat jedoch bei grundsätzlicher<br />
Billigung des Richtlinienvorschlags in erster Lesung<br />
am 17. September 1998 in Straßburg die Einwände ernstgenommen,<br />
die der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> in Brüssel zusammen<br />
mit seinen Kooperationspartnern Délégation des<br />
Barreaux de France und Consejo General de la Abogacia<br />
Española gegen den Vorschlag vorgebracht hat (vgl.<br />
AnwBl 1998, 261 ff.) und nunmehr klargestellt, daß nach<br />
seiner Auffassung die nationalen Regelungen zur anwaltlichen<br />
Vertretung im gerichtlichen Verfahren von dieser<br />
Richtlinie unberührt bleiben sollen.<br />
Es bleibt abzuwarten, welche Fassung der Richtlinienvorschlag<br />
bei den nunmehr anstehenden Beratungen im Rat<br />
der Europäischen Union annehmen wird (zum Verfahren<br />
vgl. Art. 189 b EGV).<br />
Der Richtlinienvorschlag mit den Änderungen des Europäischen<br />
Parlaments kann beim DAV Büro Brüssel angefordert<br />
werden, per Telefax: +32-2-280.28.13 oder per elektronischer<br />
Post: bruessel@anwaltverein.de.<br />
Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., DAV Büro Brüssel
AnwBl 11/98 597<br />
6<br />
Umrechnungs- und Rundungsregeln<br />
im Zusammenhang mit der Umstellung<br />
auf den Euro<br />
Steuerberater Dr. Martin Strahl, Köln *<br />
1. Problemstellung<br />
Nach dem 31.12.1998 können steuerliche Aufzeichnungen<br />
oder Bücher wahlweise in DM oder in Euro geführt<br />
werden. Ebenso kann erstmals für 1999 die steuerliche Ergebnisermittlung<br />
– unabhängig davon, ob es sich um eine<br />
Einnahmenüberschußrechnung gemäß § 4 Abs. 3 EStG<br />
oder einen Jahresabschlusses nach § 4 Abs. 1 EStG handelt<br />
– in DM oder in Euro erfolgen. Spätestens zum 1.1.2002<br />
muß die Umstellung auf den Euro vorgenommen werden.<br />
Wird bereits zuvor für den Euro als Größe der Rechnungslegung<br />
optiert, ist die Währungsumrechnung nach Maßgabe<br />
EU-einheitlicher Regeln vorzunehmen. Ihrer Darstellung<br />
und Erläuterung ist der folgende Beitrag gewidmet.<br />
2. Umrechnung von DM in Euro und umgekehrt<br />
Die Umrechnungsregeln sind in Art. 4 Abs. 1 der EG-<br />
Verordnung 1103/97 vom 17.6.1997, AmtBl. EG L 162, S.<br />
1 (= EWS 1997, 263), festgelegt worden. Danach wird der<br />
Umrechnungskurs als Betrag der jeweiligen nationalen<br />
Währung eines Teilnehmerstaates ausgedrückt, der einem<br />
Euro entspricht. Er wird mit sechs signifikanten Stellen<br />
(einschließlich der Vorkommastellen) angegeben. Die exakten<br />
Umrechnungskurse werden erst am 1.1.1999 durch den<br />
Europäischen Rat festgelegt, so daß sie zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt noch nicht bekannt sind. Sie können aber recht<br />
genau geschätzt werden, weil am 1.1.1999 eine Ecu zu<br />
einem Euro wird und der Durchschnittswert der Ecu, in<br />
den Währungen der Mitgliedstaaten ausgedrückt, nur geringfügigen<br />
Schwankungen unterliegt.<br />
Die Festlegung des Kurses mit sechs signifikanten Stellen<br />
bedeutet in bezug auf die DM, daß sie mit einer Vorkomma-<br />
und fünf Nachkommastellen erfolgt, z. B. 1 Euro =<br />
1,97632 DM. Demgegenüber wird der Kurs der spanischen<br />
Währung mit drei Vorkomma- und drei Nachkommastellen<br />
bekanntgegeben, z. B. 1 Euro = 202,137 Ptas. Die italienische<br />
Lira wird mit vier Vorkomma- und zwei Nachkommastellen<br />
im Verhältnis zu einem Euro festgelegt, z. B.<br />
1 Euro = 1.942,03 Lit., während die Kursangabe des<br />
irischen Pfundes sechs Nachkommastellen beinhaltet, z. B.<br />
1 Euro = 0,771961 Ir £. Zwar werden in der Fachliteratur<br />
derzeit verschiedene Umrechnungskurse für die DM<br />
genannt, doch kann davon ausgegangen werden, daß der<br />
maßgebliche Kurs zum 1.1.1999 nicht weit von den Wertverhältnissen<br />
zum 31.12.1997 abweichen wird. Zu diesem<br />
Zeitpunkt betrug der Kurs 1,97632 DM je Euro, vgl. das<br />
Gemeinsame Kommuniqué zur Festlegung der unwiderruflichen<br />
Umrechnungskurse für den Euro v. 3.5.1998, in:<br />
Rechtliche Grundlagen zur Einführung der Euro-Währung,<br />
Düsseldorf 1998, 921.<br />
l<br />
Bei der Durchführung von Währungsumrechnungen dürfen<br />
die festgelegten Kurse weder gerundet noch um eine<br />
oder mehrere Stellen gekürzt werden, vgl. Art. 4 Abs. 2 der<br />
EG-Verordnung 1103/97. Durch diese Maßgabe wird sichergestellt,<br />
daß Verzerrungen – die sich im Normalfall allerdings<br />
nur im Pfennigbereich bewegen würden – aufgrund<br />
der Währungsumrechnung vermieden werden.<br />
Die festgelegten Umrechnungskurse finden sowohl für<br />
Umrechnungen des Euro in nationale Währungseinheiten<br />
als auch umgekehrt Anwendung. Dabei ist zu berücksichtigen,<br />
daß aus ihnen abgeleitete inverse Kurse (z. B. 1 DM =<br />
0,50599 Euro) nicht zugelassen sind, vgl. Art. 4 Abs. 3 der<br />
EG-Verordnung 1103/97. Auch diese Regelung dient dem<br />
Ziel, Wertverschiebungen aufgrund der Umstellung auf den<br />
Euro auszuschließen.<br />
Für die praktische Anwendung bedeutet dies, daß die<br />
Umrechnung der nationalen Währungseinheit (z. B. DM) in<br />
Euro im Wege der Division des jeweiligen DM-Betrages<br />
durch den Umrechnungskurs erfolgt. Soll demgegenüber<br />
ein in Euro ausgedrückter Betrag in die nationale Währung<br />
umgerechnet werden, ist er mit dem Umrechnungskurs zu<br />
multiplizieren. Aufgrund des Verbotes der Anwendung inverser<br />
Kurse ist es hingegen unzulässig, den Euro-Betrag<br />
durch den inversen Kurs zu dividieren oder den DM-Betrag<br />
mit dem inversen Kurs zu multiplizieren, um den Ausdruck<br />
in der jeweils anderen Währungseinheit zu erhalten.<br />
Ist die Umrechnung abgeschlossen, erfolgt in einem<br />
weiteren Schritt die Auf- oder Abrundung des Ergebnisses<br />
auf die entsprechende Untereinheit (bei Umrechnung in<br />
Euro also auf Cent, bei Umrechnung in DM auf Pfennige).<br />
Aufzurunden ist, wenn die Anwendung des Umrechnungskurses<br />
zu einem Resultat genau in der Mitte oder oberhalb<br />
der Mitte führt, anderenfalls ist abzurunden, vgl. Art. 5 der<br />
EG-Verordnung 1103/97.<br />
Zur Verdeutlichung der Umrechnungs- und Rundungsregeln<br />
dienen die folgenden Beispiele, denen ein Kurs von<br />
1,97632 DM je Euro zugrunde gelegt wird:<br />
Beispiel 1: Im Jahre 1999 führt der Rechtsanwalt X<br />
seine Aufzeichnungen noch in DM. Er bezieht einen neuen<br />
Schreibtisch von einer Möbelwerkstatt, die bereits auf Euro<br />
umgestellt hat. Zur Erfassung in der Anlagenbuchhaltung<br />
muß der Rechnungsbetrag von (angenommen) 5.221,50<br />
Euro in DM umgerechnet werden.<br />
N Umrechnung Euro in DM:<br />
5.221,50 Euro x 1,97632 DM/Euro = 10.319,35488 DM<br />
gerundet: 10.319,35 DM.<br />
(Die Verwendung des inversen Kurses 0,50599 Euro/<br />
DM hätte statt dessen 10.319,37 DM ergeben. Diese<br />
Abweichung ist zwar geringfügig, doch resultiert sie<br />
nur aus einem einzigen Geschäftsvorfall. Mit der Zahl<br />
der Geschäftsvorfälle vervielfachen sich die Abweichungen.)<br />
Beispiel 2: Es sei unterstellt, daß die Buchführung des<br />
Rechtsanwalts X zum 1.1.2000 auf den Euro umgestellt<br />
* Sozietät Felix €, Carlé, Korn, Stahl, Heißenberg, Kupfer, Köln
598<br />
l<br />
wird. Daraus ergibt sich das Erfordernis, weiterhin auf DM<br />
lautende Eingangsrechnungen in Euro umzurechnen. Es<br />
geht eine Rechnung über 7.412,56 DM ein.<br />
N Umrechnung DM in Euro:<br />
7.412,56 DM : 1,97632 DM/Euro = 3.750,68815 Euro<br />
gerundet: 3.750,69 Euro.<br />
(Hier beläuft sich die Abweichung bei Anwendung<br />
des inversen Kurses auf einen Cent.)<br />
3. Umrechnung der nationalen Währung eines Teilnehmerstaates<br />
in DM und umgekehrt<br />
Nach dem 31.12.1998 sind Umrechnungen zwischen nationalen<br />
Währungen verschiedener an der Europäischen<br />
Währungsunion teilnehmender Staaten zwingend in einem<br />
zweistufigen Verfahren durchzuführen. Es ist folglich nicht<br />
mehr zulässig, z. B. DM unmittelbar in niederländische<br />
Gulden umzurechnen. Vielmehr ist zunächst der Ausgangsbetrag<br />
in Euro auszudrücken. Der ermittelte Euro-Betrag<br />
darf auf drei Dezimalstellen gerundet werden (Wahlrecht)<br />
und ist dann in einem zweiten Schritt in die gewünschte<br />
Währung zu transformieren, vgl. Art. 4 Abs. 4 der EG-Verordnung<br />
1103/97. Auch dieses Verfahren sei an einem Beispiel<br />
verdeutlicht:<br />
Der in Nürnberg ansässige Rechtsanwalt Y, der in 1999<br />
seine Bücher noch in DM führt, bezieht Fachliteratur von<br />
einem österreichischen Verlag, der in Schilling fakturiert.<br />
Rechnungsbetrag: 5.200 öS. Dieser Betrag ist wie folgt in<br />
DM umzurechnen:<br />
N 1. Schritt: Umrechnung Schilling in Euro:<br />
5.200 öS : 13,9020 öS/Euro = 374,04690 Euro<br />
N 2. Schritt: Umrechnung Euro in DM:<br />
374,04690 Euro x 1,97632 DM/Euro =739,23637 DM<br />
gerundet: 739,24 DM.<br />
(Alternativ darf der Euro-Betrag vor der Umrechnung<br />
in DM auf drei Nachkommastellen gerundet werden:<br />
374,047 Euro x 1,97632 DM/Euro = 739,23657 DM<br />
gerundet: 739,24 DM.)<br />
4. Umrechnung der nationalen Währung eines<br />
Drittlandes in DM und umgekehrt<br />
Auch wenn ein in der Währung eines Drittlandes (dazu<br />
gehören sämtliche Nicht-EU-Mitgliedstaaten sowie Großbritannien,<br />
Griechenland, Dänemark und Schweden) ausgedrückter<br />
Betrag in DM oder umgekehrt umzurechnen ist,<br />
muß wie oben unter Punkt (3) dargestellt verfahren werden,<br />
d. h. die Währungsumrechnung ist stets in einem zweistufigen<br />
Verfahren über den Euro vorzunehmen.<br />
Verkehrsrecht<br />
Empfehlungen für die Kfz-Schadenregulierung<br />
Schlichtungsausschuß – Erläuterungen *<br />
Der Schlichtungsausschuß faßt die bisher gegebene Erläuterung<br />
der Empfehlungen wie folgt zusammen:<br />
1. Rechtsanwälte und Kfz-Haftpflichtversicherer bemühen<br />
sich um eine zügige, rationelle und kostengünstige<br />
Unfallschadenregulierung.<br />
AnwBl 11/98<br />
Mitteilungen<br />
Die zügige, rationelle und kostengünstige Schadenregulierung<br />
liegt im Interesse aller Beteiligten, also der Geschädigten<br />
und ihrer Anwälte, aber auch der Versicherer und ihrer<br />
Versicherungsnehmer. Unnötiger, somit kostspieliger<br />
und zeitaufwendiger Arbeitsaufwand ist zu vermeiden.<br />
Höhere Kosten gehen nicht nur zu Lasten der Beteiligten,<br />
sondern auch der Versichertengemeinschaft. Die Gebührenregelung<br />
ist ein wichtiger Teil der Verhaltens- und Abrechnungsgrundsätze.<br />
Die sonstigen Empfehlungen stehen ihr<br />
indes gleichwertig gegenüber.<br />
In diesem Sinne sollte die telefonische Schadenregulierung<br />
stärker genutzt werden, insbesondere dann, wenn<br />
Grund und Höhe strittig sind, da durch ein Telefongespräch<br />
eine vergleichsweise Regelung leichter herbeizuführen ist<br />
als durch Korrespondenz.<br />
Stärker genutzt werden sollte zudem das Telefax, wenn<br />
geeignet, mit handschriftlicher Antwort oder Notiz durch<br />
Rückfax, was die Bearbeitungsvorgänge vereinfacht.<br />
Auch bei vereinfachter Schadenregulierung sollen Mindestanforderungen<br />
gewahrt werden, etwa durch eine nachvollziehbare<br />
Abrechnung, wenn die Zahlung von der Anspruchsbezifferung<br />
abweicht.<br />
2.Verhandlungen mit dem Geschädigten, insbesondere<br />
Vergleichsverhandlungen, sollen von Vertretern der betreffenden<br />
Versicherung nur mit dem vom Geschädigten<br />
bestellten Rechtsanwalt geführt werden.<br />
Wenn direkter Kontakt mit dem Geschädigten erforderlich<br />
ist, z. B. zwecks Besichtigung das Unfallfahrzeugs,<br />
soll dies nur nach vorheriger Verständigung des beauftragten<br />
Anwalts geschehen; denn auch bei solchen Vorgängen<br />
kann juristischer Rat an den Mandanten für dessen richtiges<br />
Verhalten erforderlich sein. Direkte Kontakte, insbesondere<br />
Verhandlungen, stören im übrigen das Mandatsverhältnis,<br />
widersprechen aber auch einer fairen Schadenregulierung.<br />
Unter Verhandlungen sind Gespräche des Versicherers mit<br />
dem Geschädigten zur Erledigung des Schadenfalles zu verstehen,<br />
nicht die bloße Weitergabe von Informationen, so<br />
z. B. des Haussachverständigen über den Minderwert, Restwert<br />
u. a. m.<br />
3. Vor Beauftragung eines Sachverständigen soll der<br />
Rechtsanwalt, wenn die Wahrung der Interessen seines<br />
Mandanten dies zuläßt, mit dem Versicherer prüfen, ob<br />
die Beauftragung erforderlich ist. Entsprechendes gilt<br />
für weitere Fragen der Schadenminderung (z. B. Unfallfinanzierung,<br />
Anmietung eines Mietwagens).<br />
Diese Empfehlung ist Ausgestaltung der Empfehlung in<br />
Ziffer 1. Klargestellt wird, daß das Mandanteninteresse im<br />
Vordergrund steht. Allein daran hat sich das Verhalten des<br />
Anwalts zu orientieren. Dem widerspricht nicht Ziffer 3<br />
der Empfehlungen. Ist nämlich eine Beweissicherung durch<br />
einen Sachverständigen überflüssig, dann könnte die Einholung<br />
eines Sachverständigengutachtens gegen die Schadenminderungspflicht<br />
gem. § 254 Abs. 2 BGB verstoßen.<br />
Bei großen und schwierigen Schäden (möglicher Totalschaden,<br />
130%-Grenze usw.) entspricht es regelmäßig dem<br />
Mandanteninteresse, ein Sachverständigengutachten einzuholen.<br />
* Der Wortlaut der Empfehlungen ist fettgedruckt. Die Empfehlungen wurden<br />
bislang veröffentlicht in der zfs (Zeitschrift für Schadensrecht) 1994, 393 und<br />
im AnwBl 1993, 474; 1991, 480; 1991, 150. Fortschreibungen insbesondere<br />
zum Kreis der beteiligten Versicherer finden sich im AnwBl 1997, 112; 1996,<br />
533; 1995, 366 und 94. Zum Schlichtungsausschuß für die Empfehlungen sei<br />
verwiesen auf AnwBl 1995, 366; 1996, 281 sowie zfs 1996, 122; 1997, 84 und<br />
163; 1998, 201.
AnwBl 11/98 599<br />
Mitteilungen l<br />
Der Schaden ist, soweit vertretbar, zu begrenzen. Dies<br />
wird vor allem bei Sachfolgeschäden in Betracht kommen.<br />
Alle Beteiligten sind in die Pflicht genommen, auch der<br />
Geschädigte und sein Anwalt. Das erfordert schon die<br />
Schadenminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB).<br />
Bei kleineren, auch für den Laien offensichtlichen Einfachschäden,<br />
z. B. Blechschäden, bei denen erkennbar dahinterliegende<br />
oder tragende Fahrzeugteile nicht betroffen<br />
sind, reicht die Vorlage des Kostenvoranschlags einer qualifizierten<br />
Fachwerkstatt oder der Reparaturrechnung statt<br />
eines Sachverständigengutachtens. Häufig wird ein Anwalt<br />
erst eingeschaltet, wenn der Mandant oder für ihn die Reparaturwerkstatt<br />
bereits einen Sachverständigen mit der Schadenschätzung<br />
beauftragt hat. In diesen Fällen ist gleichwohl,<br />
den Empfehlungen entsprechend, zu verfahren. Ein<br />
Verstoß gegen Ziffer 3. liegt nicht vor, denn vor Mandatserteilung<br />
kann sich der Anwalt mit dem Versicherer nicht abstimmen.<br />
Was Einfachschäden sind, wird in der Praxis bisher unterschiedlich<br />
gehandhabt. Teilweise wird auf die Begutachtung<br />
bei zu erwartenden Reparaturkosten von nicht mehr<br />
als 1.000 DM, teilweise von nicht mehr als 2.000 DM verzichtet.<br />
Eine einheitliche Linie ist wünschenswert. Die Gesellschaften,<br />
die den Empfehlungen entsprechend regulieren,<br />
erwägen nun, bei Reparaturkosten bis zu 3.000 DM an<br />
Fahrzeugen, die nicht älter als 5 Jahre sind, grundsätzlich<br />
(Stichproben sind zulässig) auf die Hinzuziehung eines<br />
Sachverständigen zu verzichten, wenn der Geschädigte den<br />
Kostenvoranschlag einer qualifizierten Fachwerkstatt vorlegt.<br />
Die dadurch entstehenden Kosten werden dann erstattet,<br />
sofern nicht die Reparatur durchgeführt wird und die<br />
Kosten damit verrechnet werden können.<br />
Vor einer Unfallfinanzierung muß dem Versicherer Gelegenheit<br />
gegeben werden, angemessenen Vorschuß zu zahlen,<br />
wenn nicht ausnahmsweise das Mandanteninteresse<br />
eine sofortige Unfallfinanzierung nötig macht.<br />
Der Anwalt sollte mit dem Mandanten, der erwägt, einen<br />
Mietwagen zu nehmen, erörtern, ob dies notwendig ist,<br />
gegebenenfalls auch insoweit Kontakt zum Versicherer aufnehmen,<br />
besonders im Hinblick auf Abschluß eines Mietvertrags<br />
zu günstigen Preisen.<br />
4. Anwälte sollten für die Anmeldung von Kfz-Haftpflichtschäden<br />
den zwischen dem DAV und dem Gesamtverband<br />
der Deutschen Versicherungswirtschaft – früher<br />
HUK-Verband – vereinbarten einheitlichen Fragebogen<br />
für Anspruchsteller verwenden.Versicherer sollten in diesem<br />
Falle auf die Verwendung eines eigenen Fragebogens<br />
verzichten.<br />
Der vom ehemaligen HUK-Verband – jetzt GDV – und<br />
dem DAV erarbeitete einheitliche Geschädigten-Fragebogen<br />
soll der beiderseitigen Arbeitserleichterung im Sinne von<br />
Ziffer 1. dienen. Seine Verwendung gewährleistet, daß die<br />
Korrespondenz im Regelfall minimiert werden kann, weil<br />
sich bei vollständiger Beantwortung der Fragen Rückfragen<br />
im allgemeinen erübrigen. Der Fragebogen wird demnächst<br />
inhaltlich vereinfacht und EDV-gerecht überarbeitet.<br />
5. Der Name des Sachbearbeiters sowohl der bevollmächtigten<br />
Anwaltskanzlei als auch der Versicherung<br />
soll aus der Korrespondenz erkennbar sein.<br />
Das gilt im übrigen auch für die Bezeichnung der Parteien.<br />
Die bloße Angabe von Aktenzeichen und Schadennummern<br />
ist nicht hinreichend und führt zu Schwierigkeiten,<br />
wenn auch nur eine Ziffer oder ein Buchstabe versehentlich<br />
falsch ist oder weggelassen wird.<br />
Die Empfehlung dient der Beschleunigung, insbesondere<br />
auch bei telefonischer Kontaktaufnahme. Deshalb sollte<br />
auch die Telefondurchwahlnummer angegeben werden.<br />
6. Rechtsanwälte und Kraftfahrtversicherer sollten im<br />
Falle eines Anrufs, der den jeweiligen Partner nicht erreicht,<br />
unverzüglich zurückrufen.<br />
Diese Empfehlung wird noch unzureichend befolgt,<br />
weshalb immer noch zeit- und kostenaufwendig korrespondiert<br />
werden muß.<br />
7. Vielfältige und häufige Meinungsverschiedenheiten<br />
zwischen Versicherern und Rechtsanwälten über Art und<br />
Höhe der bei außergerichtlichen Unfallschadenregulierungen<br />
zu ersetzenden Anwaltsgebühren stellen für beide<br />
Seiten eine unerfreuliche und unrationelle Belastung dar.<br />
Die Gebührenpauschalierung betrifft nur die Höhe der<br />
Gebühren, nicht auch den Grund, also die Frage der Erstattungsfähigkeit.<br />
Sie richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.<br />
Die Regulierungsempfehlungen beziehen sich nach ihrem<br />
Wortlaut nur auf Rechtsanwälte, nicht auch auf verkammerte<br />
Rechtsbeistände.<br />
Für beide Seiten machen die Empfehlungen nur Sinn,<br />
wenn sie strikt angewendet werden.<br />
Zur Vermeidung solcher Meinungsverschiedenheiten<br />
und im Interesse einer außergerichtlichen Schadenregulierung<br />
wird wie folgt verfahren:<br />
a) Im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt des<br />
Geschädigten und dem Kfz-Haftpflichtversicherer des<br />
Schädigers zahlt der Versicherer dem Rechtsanwalt<br />
anstelle der ihm nach den §§ 118, 22, 23, 31 BRAGO<br />
entstandenen Gebühren, unabhängig davon, ob ein Vergleich<br />
geschlossen wurde oder eine Besprechung stattgefunden<br />
hat, einen einheitlichen Pauschbetrag in Höhe<br />
einer 15/10-Gebühr nach dem Erledigungswert der Angelegenheit.<br />
Sind Gegenstand der Regulierung (auch) Körperschäden,<br />
erhöht sich die Gebühr ab einem Gesamterledigungswert<br />
von 20.000 DM auf 17,5/10.<br />
Erledigungswert ist grundsätzlich der gezahlte Betrag.<br />
Das gilt auch bei Abrechnung auf Totalschadenbasis. Besteht<br />
offenkundig Anspruch auf Neuwagenentschädigung<br />
(BGH NJW 82, 433), so ist Erledigungswert der (eventuell<br />
rabattierte) Neupreis. Das gilt auch, wenn unter Verzicht<br />
auf Neuwagenanschaffung repariert wird. Berechtigte Feststellungsansprüche<br />
können zur Erhöhung des Erledigungswertes<br />
führen.<br />
Die Empfehlung ist keine eigene Rechtsquelle für den<br />
Gebührenanspruch. Ob die Gebühren als Sachfolgeschaden<br />
zu erstatten sind, richtet sich nach dem allgemeinen Schadenersatzrecht.<br />
Die Gebührenpauschalierung ist eine<br />
Mischkalkulation. Unerheblich ist, ob Besprechungen in<br />
der später nicht zu realisierenden Erwartung durchgeführt<br />
werden, die Anwaltskosten seien, den Empfehlungen entsprechend,<br />
abzurechnen und eine gesonderte Besprechungsgebühr<br />
falle nicht an. Dann ist dennoch nach BRAGO abzurechnen.<br />
Sie kann sich deshalb im konkreten Einzelfall<br />
auch zu Lasten des Anwalts oder des Versicherers auswirken.<br />
Pauschaliert wird die Höhe des Gebührensatzes. Er besagt<br />
nichts über den Gegenstandswert im Hinblick auf ein<br />
Anerkenntnis etwa betreffend Zukunftsschaden. Er richtet<br />
sich nach den allgemeinen Grundsätzen. Bei anerkanntem<br />
Zukunftsschaden kann trotz des Vorbehalts abgerechnet<br />
werden.
600<br />
l<br />
Der Versicherer sollte den Rechtsanwalt über an Dritte,<br />
etwa aufgrund Sicherungsabtretung, geleistete Zahlungen<br />
informieren. Das gebieten Sinn und Zweck der Regulierungsempfehlungen.<br />
Wie dem Wortlaut zu entnehmen ist, betrifft die Gebührenpauschalierung<br />
lediglich das Verhältnis zwischen dem<br />
Rechtsanwalt des Geschädigten und dem Kfz-Haftpflichtversicherer,<br />
nicht auch das zu seinem Mandanten, obgleich<br />
der Anwalt einen Gebührenanspruch nur ihm gegenüber<br />
hat, der, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, erstattungsfähig<br />
ist. Diese Empfehlung darf aber nicht zu des Mandanten<br />
oder seines Rechtsschutzversicherers Lasten angewendet<br />
werden. Wenn also der Anwalt nach den<br />
Regulierungsempfehlungen verfährt und sich im Einzelfall<br />
höhere gesetzliche Gebühren ergeben, kann er die Differenz<br />
von seinem Auftraggeber dann nicht verlangen, wenn<br />
sie nur darauf zurückzuführen ist, daß die Pauschale eben<br />
geringer als die gesetzlichen Gebühren ist. Anderes kann<br />
freilich gelten, wenn sich die Differenz aus unterschiedlichen<br />
Geschäftswerten ergibt, d. h. der Erledigungswert und<br />
der am Mandat auszurichtende Geschäftswert nicht übereinstimmen.<br />
Maßgebend ist also das Mandatsverhältnis.<br />
Vor der Mandatserteilung geleistete Vorschußzahlungen<br />
sind in den Erledigungswert einzurechnen, es sei denn, daß<br />
dadurch bestimmte Schadenposten schon vollständig reguliert<br />
sind.<br />
Durch Abgeltung sowohl der Gebühr des § 118 Abs. 1<br />
Nr. 2 als auch des § 23 BRAGO ist die Möglichkeit eröffnet,<br />
sich auch über geringfügige Differenzen zu einigen.<br />
Nach dem Wortlaut von Ziffer 7. a) ist durch die Gebührenpauschalierung<br />
auch die Hebegebühr des § 22 BRAGO<br />
mit abgegolten. Dies gilt auch dann, wenn der Anwalt unter<br />
Angabe der Bankverbindung gebeten hat, die einzelnen<br />
Schadenbeträge direkt dem Geschädigten zu überweisen.<br />
Die Gebührenpauschale, die mit der Gesamtschadensabrechnung<br />
oder auch nach Übersendung der Gebührenrechnung<br />
gezahlt wird, muß dann verrechnet werden, wenn die<br />
Angelegenheit später doch noch – auch prozessual – weiterverfolgt<br />
wird. Es ist arbeits- und kostensparend, wenn<br />
mit der vermuteten letzten Zahlung, auch ohne daß bereits<br />
eine Gebührenrechnung vorliegt, die Pauschale bereits beglichen<br />
wird. Gegebenenfalls sind also überzahlte Beträge<br />
zu erstatten.<br />
Nach dem Wortlaut der Regulierungsempfehlungen ist<br />
die Zahlung eines Vorschusses auf die Gebührenpauschale<br />
auch für sich lange hinziehende Schadenregulierungen<br />
nicht geregelt. In Ausnahmefällen sollte jedoch, z. B. bei<br />
einer Regulierungsdauer von mehr als einem Jahr, ein Vorschuß<br />
bis zur Höhe von 10/10 nach dem regulierten Betrag<br />
beansprucht werden können.<br />
Die Gebührenpauschalierung ist auch auf Eigenvertretung<br />
des Rechtsanwalts anwendbar. Im übrigen gelten die<br />
allgemeinen Grundsätze.<br />
b) Wird der Rechtsanwalt in einem Haftpflichtschadenfall<br />
auch mit der Abwicklung des Kaskoschadens beauftragt,<br />
dann wird der Erledigungswert angesetzt, der<br />
ohne Inanspruchnahme der Kaskoversicherung in Ansatz<br />
käme.<br />
Diese Regelung betrifft die Fälle, in denen zunächst der<br />
Kaskoversicherer über den Rechtsanwalt in Anspruch genommen<br />
wird. Um eine Diskussion über die Höhe des Gegenstandswertes<br />
zu vermeiden, soll der Geschädigte so ge-<br />
AnwBl 11/98<br />
Mitteilungen<br />
stellt werden, als würde auch der Fahrzeugschaden im<br />
Rahmen der Haftungsquote gegenüber dem Haftpflichtversicherer<br />
geltend gemacht.<br />
c) Vertritt der Rechtsanwalt mehrere durch ein Schadenereignis<br />
Geschädigte, so errechnet sich der zu ersetzende<br />
Pauschbetrag aus der Summe der Erledigungswerte.<br />
Er erhöht sich in diesen Fällen auf 20/10; betrifft die<br />
Regulierung (auch) Körperschäden, auf 22,5/10 ab einem<br />
Gesamterledigungswert von 20.000 DM.<br />
Die Empfehlungen sehen eine Begrenzung des Erledigungswertes<br />
der Höhe nach nicht vor, doch ist die Pauschalgebühr<br />
ab einem Wert von 20.000 DM auf 17,5/10 zu<br />
erhöhen, wenn auch Körperschäden Gegenstand der Regulierung<br />
sind. Das gilt für ab 1. Juli 1994 erteilte Mandats.<br />
Ziffer 7. c) gilt auch dann, wenn zwei Unfallbeteiligte<br />
denselben Anwalt, z. B. Fahrer und Beifahrer, aus gutem<br />
Grund unabhängig voneinander beauftragen. Es kommt<br />
nicht darauf an, ob das Mandat gemeinsam oder getrennt<br />
erteilt wird. Gerade um Streit darüber, ob es sich um eine<br />
oder mehrere Angelegenheiten handelt, zu vermeiden, wurden<br />
die Regulierungsempfehlungen so gefaßt.<br />
Eine Angelegenheit im Sinne der Regulierungsempfehlungen<br />
liegt sogar dann vor, wenn es sich um Ansprüche<br />
mehrerer Personen handelt, die am selben Unfall beteiligt<br />
waren, sich aber in verschiedenen Fahrzeugen befanden.<br />
Ein Anwendungsfall von Ziffer 7. liegt dann nicht vor,<br />
wenn eine einheitliche Forderung geltend gemacht wird,<br />
die mehreren zusteht (z. B. Beschädigung eines Fahrzeugs,<br />
das mehreren Eigentümern gehört).<br />
d) Auslagen werden dem Rechtsanwalt nach den gesetzlichen<br />
Vorschriften ersetzt. Mehrwertsteuer auf die<br />
Anwaltskosten wird nicht ersetzt, wenn der Geschädigte<br />
vorsteuerabzugsberechtigt ist.<br />
Wenn der Anwalt mehrere Geschädigte vertritt, kann<br />
die Auslagenpauschale des § 26 BRAGO nur einmal verlangt<br />
werden; denn es handelt sich um eine Angelegenheit<br />
im Sinne der Regulierungsempfehlungen.<br />
Zu den zu ersetzenden Auslagen gehört auch die Akteneinsichtspauschale<br />
gem. Nr. 9003 Anl. 1 zu § 11 Abs. 1<br />
GKG von 15 DM; denn es handelt sich um Rechtsverfolgungskosten.<br />
Anders ist dies dann, wenn der Anwalt seinen<br />
Mandanten auch verteidigt, also ohnehin Akteneinsicht erforderlich<br />
ist.<br />
Wenn bei mehreren Auftraggebern unterschiedliche<br />
Mehrwertsteuerpflicht besteht, also z. B. einer vorsteuerabzugsberechtigt<br />
ist und ein anderer nicht, dann ist die Mehrwertsteuer<br />
im Verhältnis der den Geschädigten zu ersetzenden<br />
Schadensbeträge auszuweisen.<br />
e) Wird der Haftpflichtversicherer für eine ausländische<br />
Versicherungsgesellschaft tätig, dann gilt die Regelung<br />
nur, wenn die ausländische Versicherungsgesellschaft<br />
sie gegen sich gelten läßt.<br />
Nach den Regulierungsempfehlungen ist es als Grundsatz<br />
anzusehen, daß bei der Schadenregulierung für einen<br />
ausländischen Versicherer die Pauschalvergütung nicht gilt,<br />
sondern nach BRAGO abgerechnet werden muß. Nur ausnahmsweise,<br />
nämlich dann, wenn sich der ausländische<br />
Versicherer ausdrücklich einbinden läßt, sind die Empfehlungen<br />
anzuwenden, gleichgültig, ob dessen Erklärung vor<br />
oder nach Abschluß der Schadenregulierung eingeht. Dasselbe<br />
gilt, wenn ein deutsches Versicherungsunternehmen<br />
durch das Deutsche Büro Grüne Karte mit der Schadenre-
AnwBl 11/98 601<br />
Mitteilungen l<br />
gulierung beauftragt wird; denn letzteres leistet für den ausländischen<br />
Haftpflichtversicherer Regulierungshilfe. Nichts<br />
anderes gilt auch für rechtlich selbständige Tochterunternehmen<br />
solcher Gesellschaften.<br />
Dem Anwalt steht es frei, bei der mit der Regulierung<br />
beauftragten Gesellschaft anzufragen, ob die Pauschalregelung<br />
gelten soll. Eine Liste der ausländischen Gesellschaften,<br />
die diese anwenden wollen, gibt es nicht.<br />
f) Die Regelung gilt grundsätzlich nur für den Fall der<br />
vollständigen außergerichtlichen Schadenregulierung;<br />
bei nur teilweiser Regulierung dann, wenn der Ausgleich<br />
weiterer Schadenpositionen einvernehmlich vorbehalten<br />
bleibt. Sie gilt dann nicht, wenn über einen Teilanspruch,<br />
sei es auch nur über die Kosten, gerichtlich entschieden<br />
worden ist.<br />
Diese Empfehlung soll auf eine möglichst endgültige<br />
abschließende Regulierung hinwirken, einvernehmlicher<br />
Vorbehalt einzelner Schadenposten ausgenommen, z. B. bei<br />
Personenschäden mit ungewisser zukünftiger Entwicklung.<br />
Für die „vollständige außergerichtliche Schadenregulierung“<br />
ist lediglich entscheidend, welche Ansprüche der<br />
vom Geschädigten beauftragte Anwalt letztendlich noch<br />
geltend macht. Verfolgt er die zur Sicherung abgetretenen<br />
Ansprüche, z. B. Sachverständigenkosten, nicht mehr weiter,<br />
so ist das Einvernehmen des Versicherers damit nicht<br />
erforderlich. Das weitere Verhalten des Abtretungsgläubigers<br />
ist ohne Belang. Wenn er den abgetretenen Anspruch<br />
(gerichtlich) weiterverfolgt, ist dies für den Anwalt unschädlich.<br />
Ein Verstoß gegen die Regulierungsempfehlungen liegt<br />
nicht vor, wenn ein Teilbetrag erst nach Klageerhebung gezahlt<br />
wird. Anders ist dies dann, wenn „echte Einwendungen“<br />
gegen die Begründetheit des Restersatzanspruchs<br />
nicht erhoben werden, Fälle der geschilderten Art sich wiederholen,<br />
also „Methode“ dahinter zu vermuten ist. Dasselbe<br />
gilt, wenn die Regulierungsempfehlungen dadurch unterlaufen<br />
werden, daß es der Versicherer auf ein<br />
Versäumnisurteil ankommen läßt.<br />
Ein Verstoß gegen die Regulierungsempfehlungen liegt<br />
grundsätzlich auch dann nicht vor, wenn die Restforderung<br />
nach Klageerhebung gezahlt und dann die Klage nicht zurückgenommen,<br />
sondern in der Hauptsache für erledigt erklärt<br />
wird. Dies ist ebenfalls nur anders zu beurteilen, wenn<br />
„Methode“ dahintersteckt.<br />
Darauf hinzuweisen ist, daß die Empfehlungen nicht anwendbar<br />
sind, wenn über einen Teil gerichtlich entschieden<br />
worden ist, nicht schon, wenn er lediglich gerichtlich anhängig<br />
war und dann noch vor streitiger Verhandlung außergerichtlich<br />
erledigt wird. Diese Regelung wurde auf<br />
Wunsch der Anwaltschaft aufgenommen, um zu vermeiden,<br />
daß es Versicherer aus Kostengründen auf eine Klage ankommen<br />
lassen und so nur die 10/10-Gebühr nach § 31<br />
Abs. 1 BRAGO entstehen lassen, nicht aber die 15/10-Pauschale.<br />
Eine PKH-Entscheidung ist ebenso wie ein gerichtlich<br />
protokollierter Vergleich einer gerichtlichen Entscheidung<br />
gleichzusetzen. Das gilt auch, wenn dieser nur den Grund<br />
der Ansprüche betrifft, über die Höhe dann eine außergerichtliche<br />
Einigung erfolgt.<br />
Wird wegen eines Teils der geltend gemachten Ansprüche<br />
prozessiert, kann betreffend die erledigten Forderungen<br />
gemäß BRAGO abgerechnet werden.<br />
Liegen die Voraussetzungen für eine Gebührenpauschalierung<br />
nicht vor, sind die Anwaltskosten also nach der<br />
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung abzurechnen, ist ein<br />
Verstoß gegen die Regulierungsempfehlungen nicht gegeben,<br />
wenn der Anwalt mehr als die Mittelgebühr nach<br />
§ 118 BRAGO in Ansatz bringt; denn dies ist keine Frage<br />
des Verhaltenskodex, sondern nach § 12 BRAGO zu beurteilen.<br />
Bei einvernehmlichem Vorbehalt ist Erledigungswert zunächst<br />
der gezahlte Betrag. Bei endgültiger Erledigung sind<br />
die gezahlten Gebühren als Vorschuß zu verrechnen.<br />
g) Die Regelung gilt generell für die Rechtsanwälte<br />
nicht (mehr), die von ihr, sei es auch nur in einem Einzelfall,<br />
abweichen.<br />
Selbstverständlich ist, daß nicht wahlweise nach den<br />
Empfehlungen oder BRAGO von Fall zu Fall abgerechnet<br />
werden kann, je nachdem, was im Einzelfall von Vorteil ist.<br />
8.Vertritt der Anwalt mehrere Geschädigte und reguliert<br />
er den Schaden eines oder mehrerer Mandanten außergerichtlich,<br />
während er für einen oder mehrere andere<br />
eine gerichtliche Entscheidung herbeiführt, sind dies<br />
gebührenrechtlich verschiedene Angelegenheiten. Demzufolge<br />
kann der außergerichtlich erledigte Teil den vorstehenden<br />
Regeln entsprechend pauschaliert abgerechnet<br />
werden.<br />
Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Gebühren<br />
auch bei der Vertretung mehrerer Geschädigter pauschaliert<br />
abgerechnet werden sollen (vgl. Ziffer 7. c), doch<br />
entstehen aus einer mehrere Angelegenheiten dann, wenn<br />
der Schaden eines Klienten außergerichtlich erledigt wird,<br />
der Ersatzanspruch eines anderen aber ausprozessiert werden<br />
muß.<br />
Die Empfehlung ist eine Sonderregelung gegenüber Ziffer<br />
7. f). Kommt es letztendlich doch ohne gerichtliche Entscheidung<br />
zu einer Gesamtregulierung, sind die Gebühren<br />
entsprechend Ziffer 7. c) abzurechnen.<br />
Die Regelung braucht nicht angewendet zu werden,<br />
wenn<br />
– der Sachschaden durch eine Zwischenfinanzierung erhöht<br />
wurde, ohne daß dem Versicherer vorher Gelegenheit<br />
zur Zahlung gegeben war,<br />
– generell, wenn sich der Rechtsanwalt in Widerspruch<br />
zu der von der Bundesrechtsanwaltskammer über die<br />
Zusammenarbeit von Anwälten mit Unfallhelfern veröffentlichten<br />
Auffassung (Stapelvollmacht, Beteiligung<br />
an einem Unfallhelferring usw. (AnwBl 71, 133) gesetzt<br />
hat.<br />
Bei einer Zwischenfinanzierung gilt die Ausnahme nach<br />
Maßgabe Ziffer 3.<br />
Der Versicherer kann Anwälte, die an Unfallhelferringen<br />
mitwirken, von der Pauschalregelung ausschließen.<br />
In den neuen Bundesländern ist nach den dort gültigen<br />
Gebührensätzen abzurechnen.<br />
Die Empfehlungen gelten selbstverständlich auch für<br />
Rechtsanwälte mit Sitz in den neuen Bundesländern, freilich<br />
unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Ermäßigung<br />
von 10% (vgl. OLG Dresden AnwBl 97, 42).<br />
Der Schlichtungsausschuß<br />
gez. Schäfer (Mitglied der K-Schadenkommission des<br />
GDV)<br />
gez. Gerstner (Mitglied der K-Schadenkommission des GDV)<br />
gez. Greißinger (DAV)<br />
gez. Gebhardt (DAV)
602<br />
l<br />
Haftpflichtfragen<br />
Rechtsanwalt Michael Dobmaier<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Haftungsfälle bei Versicherungsmandaten<br />
I. § 12 III VVG<br />
Die Vielzahl von neueren Entscheidungen zu § 12 III<br />
VVG verdeutlicht die Haftungsanfälligkeit der dort normierten<br />
Ausschlußfrist. Die im folgenden zitierten Urteile<br />
verweisen nicht nur auf häufige Fehlerquellen, sondern geben<br />
z. T. auch Argumentationshilfen, wenn eine Klage an<br />
der (vermeintlichen) Fristversäumung, die das Gericht von<br />
Amts wegen zu beachten hat, zu scheitern droht.<br />
1. Fristsetzung<br />
Vorausetzung für eine wirksame Fristsetzung ist ein<br />
eindeutiger und unmißverständicher Hinweis des Versicherers<br />
in seinem Ablehnungsschreiben, daß er von seiner Leistungsverpflichtung<br />
allein schon dann frei ist, wenn der<br />
Anspruch nicht innerhalb von sechs Monaten gerichtlich<br />
geltend gemacht wird. Einigkeit besteht darin, daß die<br />
wörtliche Formulierung des § 12 III VVG nicht übernommen<br />
werden muß. Die Instanzgerichte beurteilen jedoch die<br />
Frage, was unter der gerichtlichen Geltendmachung zu verstehen<br />
ist, unterschiedlich. Das LG Hannover (VersR 97,<br />
562) hält den Hinweis „im Wege der Klage“ für ausreichend<br />
und lehnt die gegenteilige Rechtsprechung (vgl. die<br />
Nachweise bei Prölss, VVG, 26. Aufl., § 12 Rdnr. 35 f ),<br />
die einen Hinweis auf das Mahnverfahren (sofern zulässig)<br />
für erforderlich hält, ausdrücklich ab.<br />
Die dem VN in Kopie zugegangene Ablehnung genügt<br />
lt. OLG Koblenz (VersR 96, 700) dem schriftlichen Formerfordernis<br />
nicht. Eine dem anwaltlich vertretenen VN<br />
unmittelbar übermittelte Deckungsablehnung ist nach OLG<br />
Köln (r+s 97, 2) unschädlich, auch wenn der Anwalt keine<br />
Abschrift erhalten hat. Eine weitere Entscheidung des OLG<br />
Köln (r+s 98, 316) stellt unter Hinweis auf BGH VersR 90,<br />
882; 87, 39 fest, daß das Ablehnungsschreiben demjenigen<br />
übersandt werden muß, der nach dem Kenntnisstand des<br />
Versicherers Forderungsinhaber ist und Ansprüche erhoben<br />
hat. Das muß nicht immer der VN sein.<br />
Zur Fristberechnung ist genau zu prüfen, wann das Ablehnungsschreiben<br />
zugegangen ist, insbesondere dann, wenn<br />
die Frist bis zum letzten Tag ausgeschöpft wird. Erinnert sei<br />
an einen bereits von Borgmann (AnwBl 97, 560) besprochenen<br />
Beschluß des OLG Köln (VersR 97, 605 = NJW RR 97,<br />
862). Dort ging ein Einschreibebrief der Kanzlei an einem<br />
Samstag zu, der vom Anwalt entgegengenommen und vom<br />
Personal erst am folgenden Montag mit dem Eingangsstempel<br />
versehen wurde. Der Senat entschuldigt die daraufhin erfolgte<br />
fehlerhafte Fristberechnung nicht, weil er es als einen<br />
Organisationsmangel ansieht, wenn die Eingangspost vom<br />
Samstag nicht gesondert behandelt wird.<br />
2. Unwirksamkeit der Frist<br />
Die Berufung auf die Ausschlußfrist kann gegen Treu<br />
und Glauben verstoßen bzw. kann Hemmung eingetreten<br />
sein, wenn der Versicherer nach der Ablehnung erneut in die<br />
AnwBl 11/98<br />
Mitteilungen<br />
Sachprüfung eintritt. Hier ist aber Vorsicht geboten. Nach einem<br />
Urteil des OLG Hamm (r+s 98, 315) setzt dies eine eindeutige<br />
Willenserklärung des Versichereres voraus, daß er<br />
auf Einhaltung der Klagefrist nicht mehr besteht, was sich<br />
nicht allein der weiterhin geführten Korrespondenz entnehmen<br />
läßt. Das KG (VersR 97, 433) begründet dies damit, daß<br />
dem Versicherer kein Nachteil daraus erwachsen kann, wenn<br />
er entgegenkommenderweise nochmals in die Prüfung eintritt.<br />
Es empfiehlt sich daher, ggf. mit dem Versicherer ausdrücklich<br />
und rechtzeitig eine Fristverlängerung zu vereinbaren<br />
oder ihn zum Verzicht zu bewegen.<br />
Hat der Versicherer innerhalb der Sechsmonatsfrist<br />
selbst Klage gegen den VN auf Erstattung vermeintlicher<br />
Zuvielzahlungen erhoben und ist der VN der Klage entgegengetreten,<br />
verstößt es nach Ansicht des LG Saarbrükken<br />
(VersR 97, 173) gegen Treu und Glauben, wenn sich<br />
der Versicherer bei einer anschließenden Klageerhebung<br />
mit umgekehrten Vorzeichen auf § 12 III VVG beruft. Das<br />
LG folgert dies aus dem Sinn und Zweck der Norm, die<br />
dem Versicherer alsbald Klarheit über seine Leistungsverpflichtung<br />
geben soll (vgl. z. B. BGH NJW 95, 599).<br />
3.Wahrung der Frist<br />
Eine unzulässige Klage kann die Frist dann wahren,<br />
wenn der Mangel (auch nach Fristablauf) geheilt wird und<br />
eine Sachentscheidung ergeht, vgl. Prölss, aaO, Rdnr. 62.<br />
Bei einem rechtskräftigen Prozeßurteil und erneuter (zulässiger)<br />
Klageerhebung ist lt. OLG Saarbrücken (VersR 97,<br />
434) die Frist jedoch versäumt, die Anwendung von § 212<br />
II BGB scheidet mangels Analogiefähigkeit aus.<br />
Die Zustellung nach Fristablauf bei rechtzeitiger Klageeinreichung<br />
ist unschädlich, wenn sie „demnächst“ erfolgt,<br />
vgl. § 270 III ZPO. Zu beachten ist, daß der Gerichtskostenvorschuß<br />
nach Zahlungsaufforderung ohne schuldhaftes<br />
Verzögern einzuzahlen ist. Das OLG Celle (r+s 98,<br />
6) verneint dies, wenn zwischen Anforderung und Einzahlung<br />
sechs Wochen liegen. Länger als zwei Wochen sollte<br />
nicht zugewartet werden.<br />
Nach dem Urteil des BGH vom 17.11.94 (NJW RR 95,<br />
252, vgl. auch Borgmann, AnwBl 95, 190) gereicht es dem<br />
Anwalt zum Nachteil, wenn er den Mandanten nach gerichtlicher<br />
Kostenvorschußanforderung zwar eindringlich<br />
unter Hinweis auf „schwere Nachteile hinsichtlich etwaiger<br />
Fristabläufe“ an die Zahlung erinnert, nicht jedoch expressis<br />
verbis „auf den Zusammenhang zwischen der Zahlung<br />
des Gerichtskostenvorschusses, der Zustellung der Dekkungsklage<br />
und der Erhaltung des Versicherungsschutzes“<br />
aufmerksam macht. Der BGH räumt lediglich ein Mitverschulden<br />
(Quote 2/5) des Mandanten ein.<br />
Läßt die Zahlungsaufforderung auf sich warten, sollte<br />
unbedingt innerhalb von knapp drei Wochen bei Gericht<br />
nachgefragt werden, vgl. Schlee AnwBl 92, 228 unter Hinweis<br />
auf BGH, Urteil vom 15.1.92 in VersR 92, 433.<br />
Bei einer Entscheidung des OLG Hamm (NJW RR 98,<br />
1104) erfolgte Klageeinreichung, Kostenanforderung und<br />
Einzahlung noch vor Fristablauf, zugestellt wurde jedoch<br />
erst ca. fünf Monate später. Was war geschehen? Zunächst<br />
hatte der Kostenbeamte das vom Kläger zutreffend angegebene<br />
Aktenzeichen mißverstanden. Einen Tag nach Fristablauf<br />
wurde der Irrtum aufgeklärt und die Akte der<br />
Geschäftsstelle zugeleitet. Statt die Akte dem Vorsitzenden<br />
vorzulegen wurde sie auf die bereits zuvor (für den Fall der
AnwBl 11/98 603<br />
Mitteilungen l<br />
Nichtzahlung) verfügte Sechsmonatsfrist gelegt. Erst nach<br />
schriftlicher Intervention des Anwalts wurde fünf Monate<br />
später die Zustellung angeordnet. Für die Nachlässigkeit<br />
des Gerichts mag man Verständnis aufbringen, nicht hingegen,<br />
wenn das OLG den Anwalt dafür verantwortlich<br />
macht, nicht energisch genug auf die Zustellung gedrängt<br />
zu haben, und die Klage mangels Fristwahrung abweist.<br />
Selbst der Vortrag, der Kläger habe in Kenntnis seines<br />
Anwalts zweimal telefonisch bei Gericht nachgefragt, half<br />
nicht weiter, da dem Anwalt hätte bekannt sein müssen,<br />
„daß mündliche Nachfragen eher ,untergehen’ als schriftliche<br />
Nachfragen, insbesondere dann, wenn nicht einmal<br />
sichergestellt ist, daß man mit einem zuständigen Sachbearbeiter<br />
gesprochen hat.“ So wörtlich das OLG. Schließlich<br />
hätte sich der Anwalt aufgrund der Wirkungslosigkeit der<br />
Nachfragen des Klägers schon erheblich früher einschalten<br />
können und müssen. Hätte der Senat anders entschieden,<br />
wenn das Gericht auch nach dem anwaltlichen Einschreiten<br />
untätig geblieben wäre?<br />
Ein bis zum letzten Tag eingereichter PKH-Antrag wahrt<br />
nach ständiger Rechtssprechung des BGH (z. B. NJW 91,<br />
1745; NJW RR 89, 675) die Klagefrist des § 12 III VVG,<br />
wenn die Klagepartei nach Entscheidung über den Antrag<br />
alles ihr Zumutbare tut, damit die Klage „demnächst“ zugestellt<br />
wird. Das sog. Beschleunigungsgebot ist nach Ansicht<br />
des OLG Köln (r+s 98, 441) nicht verletzt, wenn vom<br />
Gericht mehrfach gewährte Stellungnahmefristen zwar ausgenutzt,<br />
aber eingehalten werden. Etwas anderes würde nur<br />
dann gelten, wenn das Gericht bei der ersten Fristbewilligung<br />
darauf hinweist, daß wegen des Anspruchs auf rechtliches<br />
Gehör Frist gewährt, dadurch aber eine Verletzung<br />
des Beschleunigungsgebots nicht vermieden wird.<br />
II. Abfindungserklärung mit Vorbehalt<br />
Verhandlungen mit dem gegnerischen Haftpflichtversicherer<br />
werden oft mit einer Abfindungsvereinbarung zum<br />
Abschluß gebracht, bei der der materielle Zukunftsschaden<br />
vorbehalten bleibt. Werden mehr als drei Jahre später weitere<br />
Ansprüche erhoben, ist die Überraschung groß, wenn<br />
der Versicherer die Verjährungseinrede erhebt (§§ 852<br />
BGB, 3 Nr. 3 PflVG).<br />
Solch eine Abfindungserklärung stellt i. d. R. lediglich<br />
ein schuldbestätigendes (deklaratorisches) Anerkenntnis<br />
dar. Da die Ersatzpflicht „dem Grunde nach“ meistens außer<br />
Streit steht, kann nicht von einem schuldbegründenden<br />
(kostitutiven) Anerkenntnis mit dreißigjähriger Verjährung<br />
ausgegangen werden.<br />
Der BGH (z. B. VersR 92, 1091) weist jedoch darauf hin,<br />
daß sich der Versicherer dann nicht auf die Verjährung berufen<br />
kann, wenn in der Aufnahme des Vorbehalts eine „konstitutive“<br />
Befreiung von der Verjährungseinrede zu sehen ist.<br />
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn es dem Versicherer<br />
bei Vergleichsabschluß auch darum gegangen ist, den<br />
Geschädigten von der Erhebung einer Feststellungsklage abzuhalten,<br />
vgl. BGH VersR 85, 62 = NJW 85, 791.<br />
Bei einer Entscheidung des OLG Oldenburg (VersR 97,<br />
1443) lag dies klar auf der Hand. Nach Klageerhebung, die<br />
sich auch auf die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige<br />
Schäden erstreckte, kam es nach Verhandlungen zu einem<br />
außergerichtlichen Vorbehaltsvergleich, woraufhin die Klage<br />
zurückgenommen wurde.<br />
Weiter geht das OLG München im Urteil vom 21.7.98 (5 U<br />
5920/97). Der Senat entnimmt das Abhalten von der Klageerhebung<br />
allein dem Umstand, daß der Versicherer die Abfindungserklärung<br />
vorformuliert (was üblich ist) und den Vorbehalt<br />
von sich aus mitaufgenommen hat. Dem Anwalt, der<br />
wegen der vermeintlichen Verjährung mit einer Haftpflichtklage<br />
konfrontiert war, wurde damit jedenfalls geholfen.<br />
Selbst wenn Verjährung nicht eingetreten ist, muß beachtet<br />
werden, daß bei wiederkehrenden Leistungen ebenso<br />
wie bei einem rechtskräftigen Feststellungsurteil § 218 II<br />
BGB gilt, vgl. BGH VersR 85, 62.<br />
AnwaltFormulare. Hrsg.von Heidel/Pauly/Amend,<br />
<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag, Bonn, 1997, geb., 2 336 S. mit CD-ROM,<br />
278,– DM<br />
Die Maße sind beeindruckend. 44 Rechtsgebiete von Aktienrecht<br />
über EDV-Recht, der Menschenrechtsbeschwerde nach der<br />
MRK, Unternehmenskooperation bis hin zur Zwangsvollstreckung.<br />
Für 2262 Seiten haben es die drei Herausgeber geschafft, insgesamt<br />
44 Bearbeiter zu motivieren, ihre Fachgebiete darzustellen.<br />
Herausgekommen ist ein Buch, welches faßt monumental wirkt.<br />
Über die klare Inhaltsübersicht und die jedem der 44 Kapitel vorangestellte<br />
Gliederung und Literaturverzeichnis wird der Leser in<br />
jedes der Fachgebiete eingeführt. Er findet dann jeweils Entwürfe<br />
zu Verträgen, Schriftsätzen und anderen Dokumenten, die in dem<br />
jeweiligen Fachgebiet häufig Verwendung finden. Knappe und an<br />
der Praxis orientierte Checklisten verhelfen insbesondere dem Neuling,<br />
sich in einem Spezialgebiet schnell und präzise zurecht zu<br />
finden und als Anwalt den Mandanten fachkompetent zu beraten.<br />
Alle im Werk ausgedruckten Schriftsätze sind auf der beigefügten<br />
CD enthalten. Die CD läßt sich besonders leicht installieren. Die<br />
Texte stehen danach über das Programm Word dem Leser zur Verfügung.<br />
Die Darstellung der Texte und die Handhabung der Texte<br />
ist besonders einfach und übersichtlich gelungen. Für den Profi ist<br />
es ohne jedes Handbuch möglich, die Texte sofort zu nutzen. Der<br />
Einsteiger erfährt über die kurze, präzise und nur wenige Bildschirmseiten<br />
umfassende Hilfe alles Notwendige und kann bereits<br />
nach wenigen Minuten mit den Texten arbeiten. Es ist unvermeidbar,<br />
daß ein Werk von einem derartigen Umfang in der ersten Auflage<br />
im Detail kleinere Fehler und insbesondere eine Reihe von<br />
Rechtsansichten enthält, über die trefflich diskutiert werden<br />
könnte. Dieses steigert sich allein dadurch, als daß das Werk 848<br />
konkret ausformulierte Dokumente enthält, in denen jeder Anwalt<br />
zumindest eine Nuance findet, die er anders oder besser machen<br />
würde. Jeder Kollege, der einen solchen Punkt findet, hat den wirklich<br />
wichtigen und fundamentalen Hinweis von S. 5 und damit den<br />
Charakter des Werks verstanden und verinnerlicht. Dort wird nämlich<br />
sinngemäß darauf hingewiesen, daß die 848 Anwaltformulare<br />
nur die Grundlagen eigener anwaltlicher Arbeit sein können. In<br />
diesem Punkt liegt die besondere Stärke und der Vorteil des Werks<br />
und damit auch der Grund für den Erfolg von allen Formularbüchern.<br />
Angesichts der zunehmenden Komplexität und der enormen<br />
Geschwindigkeit der Entwicklung unseres Rechts ist es nicht möglich,<br />
sein Wissen in allen Rechtsgebieten ständig auf dem aktuellsten<br />
Wissensstand zu halten. Das Werk von Heidl, Pauly und<br />
Amend ermöglicht es insbesondere, seine anwaltliche Tätigkeit<br />
auch in Bereichen ausüben zu können, die nicht Tätigkeits- oder<br />
Interessenschwerpunkte sind.<br />
Rechtsanwalt Dipl.-Inform. Dr. iur. Marcus Werner, Köln
604<br />
l<br />
7<br />
Berufsrecht<br />
BRAO § 28 Abs. 1; UWG § 1<br />
Ein Rechtsanwalt, der einer überörtlichen Sozietät angehört, verstößt<br />
in wettbewerbswidriger Weise gegen das Zweigstellenverbot<br />
des § 28 Abs. 1 BRAO, wenn er in den Kanzleiräumen der<br />
andernorts residierenden Sozietätsmitglieder eine Zweigstelle<br />
unterhält und darauf in seinem Anwaltsbriefkopf dadurch hinweist,<br />
daß er seinen Namen auch unter der Kanzleiadresse der<br />
andernorts residierenden Mitglieder der überörtlichen Sozietät<br />
anführt.<br />
BGH, Urt. v. 2.4.1998 – I ZR 4/96<br />
Aus den Gründen: I. Das BerG hat angenommen, daß die Kl<br />
für den geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch<br />
klagebefugt sei. Hiergegen wendet sich die Revision<br />
ohne Erfolg.<br />
Eine Rechtsanwaltskammer hat die Klagebefugnis eines rechtsfähigen<br />
Verbandes zur Förderung gewerblicher Interessen i. S. d.<br />
§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG (st. Rspr.; vgl. u. a. BGHZ 109, 153, 156<br />
– Anwaltswahl durch Mieterverein; 119, 225, 227 – Überörtliche<br />
Anwaltssozietät; BGH, Urt. v. 30.4.1997 – I ZR 154/95, GRUR<br />
1997, 914, 915 = WRP 1997, 1051 – Die Besten II; vgl. weiter –<br />
allgemein zur Klagebefugnis der Kammern freier Berufe – BGH,<br />
Urt. v. 9.10.1997 – I ZR 92/95, WRP 1998, 172, 173 – Professorenbezeichnung<br />
in der Arztwerbung III; vgl. auch BVerfG, Beschl.<br />
v. 30.9.1981 – 1 BvR 545/81 und Beschl. v. 18.3.1992 – 1 BvR<br />
1503/88; zur Klagebefugnis öffentlich-rechtlicher Kammern gem.<br />
§ 13 Abs. 2 Nr. 2 AGBG vgl. BGHZ 81, 229, 230). Die Kammern<br />
freier Berufe sind Verbände zur Förderung gewerblicher Interessen<br />
i. S. d. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG, weil auch sie – ungeachtet ihrer<br />
öffentlich-rechtlichen Aufgabenstellung – die beruflichen Belange<br />
ihrer Mitglieder zu wahren und zu fördern haben. Die Klagebefugnis<br />
der Rechtsanwaltskammern besteht – sofern die sonstigen Voraussetzungen<br />
der Klagebefugnis gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG gegeben<br />
sind – auch hinsichtlich der Geltendmachung<br />
wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsansprüche gegen ihre Mitglieder.<br />
Die dagegen von der Revision, aber auch noch in der neueren<br />
Literatur, erhobenen Bedenken (vgl. Henssler/Prütting, BRAO, § 73<br />
Rdnr. 13; Kleine-Cosack, BRAO, 3. Aufl., § 62 Rdnr. 3; Büttner,<br />
Festschrift Vieregge, S. 99, 116 ff.; vgl. auch Krämer, Festschrift<br />
Piper, S. 327, 332 f., jeweils m. w. N.) greifen nicht durch (vgl.<br />
dazu aus der Literatur u. a. Feuerich/Braun, BRAO, 3. Aufl., § 73<br />
Rdnr. 12; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl.,<br />
Kap. 13 Rdnr. 20 f.; Melullis, Handbuch des Wettbewerbsprozesses,<br />
2. Aufl., Rdnr. 407 f., 469; GroßKomm.UWG/ Erdmann, § 13<br />
Rdnr. 52 f.; Kort GRUR 1997, 701, 710, jeweils m. w. N.). Der<br />
Funktionsbereich und Aufgabenkreis der Rechtsanwaltskammer<br />
reicht über die ihr durch Gesetz oder Satzung ausdrücklich zugewiesenen<br />
Aufgaben hinaus und umfaßt auch diejenigen Belange<br />
der Anwaltschaft, die den Berufsstand als Ganzen berühren (vgl.<br />
BGHZ 79, 390, 392 ff. – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft;<br />
109, 153, 156 f. – Anwaltswahl durch Mieterverein, m. w. N.).<br />
Dazu gehört auch die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen, soweit<br />
dadurch der Wettbewerb von Mitgliedern der Kammer hinsichtlich<br />
ihrer Dienstleistung, der Rechtsberatung, berührt wird<br />
(vgl. dazu auch BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II; vgl.<br />
auch BGH, Urt. v. 10.10.1996 – I ZR 129/94, GRUR 1997, 313,<br />
314 = WRP 1997, 325 – Architektenwettbewerb). Es ist Sache der<br />
Rechtsanwaltskammer zu entscheiden, wie sie diese ihr im öffentlichen<br />
Interesse übertragene Aufgabe wahrnimmt (vgl. dazu BGHZ<br />
79, 390, 392 f. – Apotheken-Steuerberatungsgesellschaft). Eine Beschränkung<br />
der Klagebefugnis gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG auf<br />
die Verfolgung von Wettbewerbsverstößen von Nichtanwälten oder<br />
Nichtmitgliedern der betreffenden Rechtsanwaltskammer läßt sich<br />
AnwBl 11/98<br />
dem Gesetz nicht entnehmen. Ebenso schließt die Möglichkeit berufsrechtlicher<br />
Maßnahmen die Geltendmachung von wettbewerbsrechtlichen<br />
Ansprüchen nicht aus, mit denen bestimmte Verhaltensweisen<br />
gerade als Wettbewerbsverstöße angegriffen werden.<br />
Dies wird besonders deutlich in Fällen, in denen neben Rechtsanwälten<br />
andere an einem Wettbewerbsverstoß beteiligt sind. Die der<br />
Rechtsanwaltskammer als Verband zur Förderung gewerblicher Interessen<br />
eingeräumte Klagebefugnis zur Verfolgung von Wettbewerbsverstößen<br />
wäre unvollständig, wenn sie in einem solchen Fall<br />
nicht zum Vorgehen gegen alle an dem Wettbewerbsverstoß Beteiligten<br />
berechtigen würde (vgl. dazu – zur Klagebefugnis von Architektenkammern<br />
– BGH GRUR 1997, 313, 314 f. – Architektenwettbewerb).<br />
Weder die UWG-Novelle 1986 noch die UWG-<br />
Novelle 1994, durch die § 13 UWG jeweils neu gefaßt worden ist,<br />
haben an der Klagebefugnis der Rechtsanwaltskammern etwas geändert,<br />
obwohl dem Gesetzgeber die Rechtsprechung der Wettbewerbsgerichte<br />
zur Klagebefugnis der Kammern der freien Berufe<br />
bekannt war (vgl. BGHZ 109, 153, 156 – Anwaltswahl durch Mieterverein;<br />
BGH GRUR 1997, 313, 314 – Architektenwettbewerb;<br />
BGH GRUR 1997, 914, 915 – Die Besten II).<br />
II. 1. Das BerG hat die Ansicht vertreten, daß der Bekl durch<br />
die Verwendung des beanstandeten Briefkopfes wettbewerbswidrig<br />
i. S. d. § 1 UWG handele. Nach § 28 Abs. 1 BRAO sei es dem<br />
Rechtsanwalt untersagt, eine Zweigstelle einzurichten. Der Bekl<br />
verstoße gegen dieses Verbot, wenn er durch die Angabe seines<br />
Namens unter der Anschrift der Kanzlei in L. darauf hinweise, daß<br />
er dort eine Zweigstelle betreibe. Dieser Gesetzesverstoß verschaffe<br />
dem Bekl einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber rechtstreuen<br />
Mitbewerbern und sei geeignet, den Wettbewerb unter Rechtsanwälten<br />
wesentlich zu beeinträchtigen. Gegen die Wirksamkeit des<br />
§ 28 Abs. 1 BRAO bestünden weder aus verfassungsrechtlicher<br />
Sicht noch aus der Sicht des europäischen Gemeinschaftsrechts<br />
Bedenken.<br />
2. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung<br />
stand. Der Bekl handelt wettbewerbswidrig, wenn er im geschäftlichen<br />
Verkehr den beanstandeten Briefkopf verwendet, auf dem<br />
sein Name unter den Anschriften der beiden Kanzleien der überörtlichen<br />
Sozietät, der er angehört, aufgeführt ist (§ 1 UWG i. V. m.<br />
§ 28 Abs. 1 BRAO).<br />
a) Ein Rechtsanwalt, der – ohne eine Ausnahmegenehmigung<br />
nach § 28 Abs. 1 Satz 2 BRAO zu besitzen – durch die Gestaltung<br />
seines Kanzleibriefbogens den Eindruck erweckt, er betreibe eine<br />
Zweigstelle, oder der in dieser Weise auf eine von ihm tatsächlich<br />
eingerichtete Zweigstelle hinweist, verstößt gegen § 28 Abs. 1<br />
BRAO (vgl. BGHZ 119, 225, 236 – Überörtliche Anwaltssozietät;<br />
BGH, Urt. v. 5.5.1994 – I ZR 57/92, GRUR 1994, 736, 737 =<br />
WRP 1994, 613 – Intraurbane Sozietät; OLG Stuttgart NJW 1993,<br />
1336).<br />
Einen solchen Verstoß gegen § 28 Abs. 1 BRAO hat das BerG<br />
rechtsfehlerfrei festgestellt. Der Bekl betreibt neben der Kanzlei,<br />
die er in F. zusammen mit anderen Rechtsanwälten unterhält, in L.<br />
in den Kanzleiräumen der Rechtsanwälte, mit denen er in einer<br />
überörtlichen Sozietät verbunden ist, eine Zweigstelle und weist<br />
darauf durch die Gestaltung seines Anwaltsbriefkopfs hin.<br />
Eine Zweigstelle i. S. d. § 28 Abs. 1 BRAO ist jede Kanzlei,<br />
die neben einer bereits bestehenden Kanzlei eingerichtet oder unterhalten<br />
wird (vgl. Henssler/Prütting aaO § 28 Rdnr. 5). Der Bekl<br />
hat in L. nicht schon dadurch eine zweite Kanzlei eingerichtet, daß<br />
er mit dort residierenden Rechtsanwälten eine überörtliche Sozietät<br />
eingegangen ist. Mit einer solchen Sozietät ist nicht wesensmäßig<br />
verbunden, daß die Kanzlei der auswärtigen Sozietätsmitglieder für<br />
die beteiligten Rechtsanwälte jeweils zu einer Zweigstelle wird.<br />
Vielmehr können auch bei einer überörtlichen Sozietät die beteiligten<br />
Rechtsanwälte weiterhin gem. §§ 18, 27 BRAO „ihre“ Kanzlei<br />
jeweils an dem Ort des Gerichts haben, bei dem sie zugelassen<br />
sind (vgl. BGHZ 108, 290, 294 f.; 119, 225, 230 – Überörtliche<br />
Anwaltssozietät). Die Kanzleien der beteiligten Rechtsanwälte
AnwBl 11/98 605<br />
Rechtsprechung l<br />
werden auch nicht dann schon jeweils zu Zweigstellen, wenn in<br />
der Kanzlei des einen Mandate für den assoziierten, andernorts residierenden<br />
Rechtsanwalt entgegengenommen werden oder wenn<br />
in der Kanzlei des assoziierten Rechtsanwalts eine beratende Tätigkeit<br />
ausgeübt wird (vgl. BGHZ 119, 225, 230 – Überörtliche Anwaltssozietät).<br />
Eine Zweigstelle ist jedoch anzunehmen, wenn der<br />
Rechtsanwalt seine Kanzlei nicht nur an dem Ort seiner Zulassung<br />
hat, sondern auch die Kanzlei am anderen Ort rechtlich als „seine“<br />
Kanzlei zu werten ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn er auch<br />
diese zweite Kanzlei – ähnlich wie die erste – zu einem tatsächlichen<br />
Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit (zu einer „Niederlassung“)<br />
macht (vgl. BGHZ 108, 290, 294 f.; vgl. auch Henssler/<br />
Prütting aaO § 28 Rdnr. 8; Odersky, Festschrift Merz, S. 439,<br />
443 f.).<br />
Der Bekl hat selbst vorgetragen, daß er in L. eine zweite Kanzlei<br />
unterhalte. Er sei gleichermaßen in F. und L. erreichbar und<br />
könnte auch L. ohne weiteres zum Mittelpunkt seiner Tätigkeit machen,<br />
wenn dort die Mehrzahl von Mandanten ansässig wäre. Bei<br />
dieser Sachlage ist es unerheblich, daß das Büro in L. zugleich<br />
Kanzlei der dort residierenden Rechtsanwälte der überörtlichen Sozietät<br />
ist und die Kanzlei in F. nach wie vor den Mittelpunkt der<br />
Tätigkeit des Bekl bildet.<br />
b) Gegen die Wirksamkeit des § 28 Abs. 1 BRAO bestehen<br />
keine verfassungsrechtlichen Bedenken.<br />
(1) Das Zweigstellenverbot, von dessen Verfassungsmäßigkeit<br />
die Rechtsprechung des BGH bis in die jüngste Zeit ohne weiteres<br />
ausgegangen ist (vgl. BGHZ 108, 290, 294; 117, 382, 384; 119,<br />
225, 227 – Überörtliche Anwaltssozietät), verletzt auch unter den<br />
heutigen Verhältnissen nicht die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte<br />
Freiheit der Berufsausübung (vgl. dazu auch OLG Stuttgart<br />
NJW 1993, 1336, 1337; Feuerich/Braun aaO § 28 Rdnr. 2;<br />
vgl. aber auch Henssler/Prütting aaO § 28 Rdnr. 4; Kleine-Cosack<br />
aaO § 28 Rdnr. 2). Das Gesetz bezweckt mit § 28 BRAO, dessen<br />
Zielsetzung durch die Regelungen des § 18 BRAO über das Lokalisationsgebot<br />
und des § 27 BRAO über die Kanzleipflicht des Anwalts<br />
unterstützt wird, daß ein Rechtsanwalt grundsätzlich seine<br />
Berufstätigkeit nur von einer Stelle aus betreibt, die den Mittelpunkt<br />
seiner Tätigkeit bildet. Dies soll der Gefahr vorbeugen, daß<br />
Rechtsanwälte zwischen mehreren Kanzleien pendeln und für<br />
Rechtsuchende, andere Angehörige der rechtsberatenden Berufe,<br />
Gerichte und Behörden nur in eingeschränktem Umfang erreichbar<br />
sind (vgl. dazu Odersky aaO S. 442; Henssler/Prütting aaO § 28<br />
Rdnr. 3; Feuerich/Braun aaO § 28 Rdnr. 3). Auch bei der durch<br />
Art. 12 Abs. 1 GG geforderten vollen Berücksichtigung der Fortschritte<br />
in der Kommunikationstechnik und der heute bestehenden<br />
Verkehrsmöglichkeiten (vgl. dazu BVerfG, Beschl. v. 29.10.1997 –<br />
1 BvR 780/87 S. 24) beruht diese Regelung immer noch auf Gründen<br />
des Allgemeinwohls, die hinreichend sind, die Beschränkung<br />
der Freiheit der Berufsausübung auch bei einer Gesamtabwägung<br />
als zumutbar zu rechtfertigen.<br />
Aus ähnlichen Erwägungen hat auch das BVerfG die Vorschriften<br />
über das Lokalisationsgebot (§ 18 BRAO) und die Kanzleipflicht<br />
(§ 27 BRAO) als verfassungsrechtlich statthafte Regelungen<br />
der Berufsausübung beurteilt und als verfassungsrechtlich unbedenklich<br />
angesehen (zu § 18 BRAO: BVerfG NJW 1990, 1033;<br />
NJW 1993, 3192; ebenso BGHZ 111, 339, 342 f.; BGH, Beschl. v.<br />
24.4.1989 – AnwZ (B) 4/89, BGHR BRAO § 18 Abs. 1 – Lokalisierungsgebot<br />
1; zu § 27 BRAO: BVerfGE 72, 26, 30 ff.; BVerfG<br />
NJW 1990, 1033; ebenso BGH, Beschl. v. 12.12.1988 – AnwZ (B)<br />
37/88, BGHR BRAO § 27 Abs. 2 – Residenzpflicht 1; Beschl. v.<br />
19.2.1990 – AnwZ (B) 73/89, BRAK-Mitt. 1991, 102, 103;<br />
Feuerich/Braun aaO § 27 Rdnr. 2).<br />
Der Gesetzgeber hat dementsprechend auch nach der ausdrücklichen<br />
Anerkennung überörtlicher Sozietäten durch die Einfügung<br />
des § 59a BRAO in das Gesetz (durch das Gesetz zur Neuordnung<br />
des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte vom<br />
2.9.1994, BGBl. I S. 2278) an dem Zweigstellenverbot festgehalten.<br />
(2) Entgegen der Ansicht der Revision bedeutet § 28 BRAO<br />
nicht eine i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG willkürliche Ungleichbehandlung<br />
derjenigen Rechtsanwälte, die im Inland eine Zweigstelle einrichten<br />
wollen, gegenüber den inländischen Rechtsanwälten, denen<br />
nach § 29a BRAO gestattet ist, in anderen Staaten Kanzleien einzurichten<br />
und zu unterhalten. Die Vorschrift des § 29 a BRAO be-<br />
trifft Sachverhalte, die sich von den in § 28 BRAO geregelten<br />
Sachverhalten in wesentlichen Punkten unterscheiden (vgl. dazu<br />
die Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Änderung<br />
des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte,<br />
BT-Drucks. 11/3253 S. 17; vgl. Feuerich/Braun aaO § 29a Rdnr. 1<br />
ff.; Henssler/Prütting aaO § 29a Rdnr. 1 ff.). Sie hat den Zweck,<br />
die Möglichkeiten für die internationale Betätigung und Zusammenarbeit<br />
der Rechtsanwälte zu verbessern. Aufgrund der zunehmenden<br />
internationalen Verflechtung der Wirtschaft ist der Bedarf<br />
an fachkundigem Rat über fremdes Recht im In- und Ausland stark<br />
angewachsen. Durch eine grenzüberschreitende Dienstleistungstätigkeit<br />
kann er nicht ausreichend gedeckt werden. Rechtsuchende<br />
benötigen vielfach, auch soweit es um die Beratung in Fragen des<br />
ausländischen Rechts geht, an ihrem Aufenthaltsort ständig ansprechbare,<br />
fachkundige Berater, die zugleich über eine feste Verbindung<br />
zum Ausland verfügen (vgl. dazu auch BGH, Urt. v.<br />
21.1.1993 – I ZR 43/91, GRUR 1993, 675, 676 = WRP 1993, 703 –<br />
Kooperationspartner). Diesem Bedürfnis will § 29 a BRAO, auch<br />
im Interesse der Wettbewerbsmöglichkeiten der inländischen<br />
Rechtsanwälte bei der internationalen Beratungstätigkeit, entsprechen.<br />
Für Zweigstellen inländischer Kanzleien in Deutschland besteht<br />
kein vergleichbarer Bedarf der Rechtsuchenden. Soweit im Einzelfall<br />
enge überregionale Verflechtungen bestehen, kann dem u. a.<br />
auch durch die Einrichtung überörtlicher Sozietäten Rechnung getragen<br />
werden. Auf diesem Weg können im übrigen Rechtsanwälte<br />
auch im Inland in zulässiger Weise ihr Interesse daran verfolgen,<br />
auch überörtlich Beratungsaufträge von Mandanten zu erhalten.<br />
c) Wie das BerG weiter zutreffend entschieden hat, verschafft<br />
der Verstoß gegen das Zweigstellenverbot dem Bekl einen Vorsprung<br />
gegenüber rechtstreuen Rechtsanwälten im Wettbewerb.<br />
Die Unterhaltung einer Zweigstelle und der Hinweis darauf im<br />
Briefkopf erweitert nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des<br />
BerG die Möglichkeiten der Mandatsbeschaffung, weil die Ortsansässigkeit<br />
für Rechtsuchende bei der Wahl des Rechtsanwalts nach<br />
wie vor vielfach ein maßgeblicher Gesichtspunkt ist. Die Unterhaltung<br />
einer Zweigstelle ermöglicht es dem Bekl, gegenüber dem<br />
rechtsuchenden Publikum wie ein ortsansässiger Rechtsanwalt aufzutreten.<br />
Dies ist ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil auch im<br />
Wettbewerb um Beratungsaufträge außerhalb gerichtlicher Verfahren.<br />
3. Der in der Gestaltung des Briefkopfs liegende Wettbewerbsverstoß<br />
ist nach der rechtsfehlerfreien Beurteilung des BerG auch<br />
geeignet, den Wettbewerb unter Rechtsanwälten wesentlich zu beeinträchtigen<br />
(§ 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG).<br />
In den Angaben auf den Briefbögen seiner Anwaltskanzlei<br />
liegt eine wichtige Werbemaßnahme des Rechtsanwalts (vgl. dazu<br />
auch BGH, Urt. v. 17.4.1997 – I ZR 219/94, GRUR 1997, <strong>925</strong>, 926<br />
= WRP 1997, 1064 – Ausgeschiedener Sozius, m. w. N.). Gerade<br />
auch durch diese Werbemaßnahme wird der Verstoß gegen das<br />
Zweigstellenverbot, der in der Unterhaltung einer zweiten Kanzlei<br />
liegt, nach außen hin wirksam und zur Grundlage für den dargelegten<br />
– erheblichen – Wettbewerbsvorteil, der mit einer Zweigstelle<br />
verbunden ist. Die dadurch bewirkte Beeinträchtigung des Wettbewerbs<br />
wird durch die vom BerG festgestellte Nachahmungsgefahr<br />
noch deutlich verstärkt.<br />
BRAO §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff. 1 a), 113, 114<br />
Anwaltsgerichtliches Berufsverbot auf dem Gebiet des Strafrechts<br />
für die Dauer eines Jahres als Rechtsfolge einer Berufpflichtverletzung<br />
nach BRAO §§ 43, 59b Abs. 2 Ziff. 1 a), § 113,<br />
§ 114 (Weiterleitung von Briefen des Mandanten aus der Untersuchungshaft<br />
an Zeugin als Verteidigerpost).<br />
Schleswig-Holsteinischer Anwaltsgerichtshof, Urt. v. 19.6.1998 –<br />
2 AGH 4/98<br />
Sachverhalt: Der 1947 geborene Betroffene wurde 1976 als<br />
Rechtsanwalt zugelassen und 1982 zum Notar ernannt. Berufsrechtlich<br />
ist er bisher nicht in Erscheinung getreten.<br />
Die Staatsanwaltschaft hat dem Betroffenen vorgeworfen,<br />
schuldhaft die Pflicht verletzt zu haben, als Anwalt seinen Beruf
606<br />
l<br />
gewissenhaft auszuüben. Er habe als (Pflicht)Verteidiger in dem<br />
Strafverfahren gegen A, der sich in Untersuchungshaft befunden<br />
habe, in der JVA geschriebene Briefe des A an dessen ehemalige<br />
Verlobte, die Zeugin Z als Verteidigerpost deklariert unter Umgehung<br />
der Briefkontrolle in Empfang genommen und sie an die<br />
Zeugin Z weitergeleitet. Mit den Teils in deutscher, überwiegend in<br />
türkischer Sprache verfaßten Briefen habe A die Zeugin zur Rücknahme<br />
ihrer polizeilichen Aussage und zu einer falschen Aussage<br />
bewegen wollen, wobei er gedroht habe, sie und einige Mitglieder<br />
ihrer Familie zu töten.<br />
Das Anwaltsgericht Schleswig hat eine Berufspflichtverletzung<br />
nach §§ 43, 59 b Abs. 2 Ziff. 1a), 113, 114 BRAO festgestellt und<br />
gegen den Betroffenen die anwaltsgerichtlichen Maßnahmen eines<br />
Verweises und einer Geldbuße von 4.000 DM verhängt.<br />
Aus den Gründen: ... III. Der Schuldspruch des Anwaltsgerichts<br />
ist aufgrund der Rechtsmittelbeschränkung rechtskräftig. Das<br />
Anwaltsgericht hat u. a. ausgeführt:<br />
„Durch sein Verhalten hat der Betroffene schuldhaft die Pflicht<br />
verletzt, den Beruf des Rechtsanwalts gewissenhaft auszuüben. Gegen<br />
das Gebot der Gewissenhaftigkeit hat er im groben Maße verstoßen.<br />
Auch, wenn sich der Schwerpunkt seiner Tätigkeit nicht<br />
auf das Gebiet des Strafrechts erstreckt, wußte er, wie er eingeräumt<br />
hat, daß die Weiterleitung eines ,Verteidigerpost’ bezeichneter<br />
Schriftstücke, die einer richterlichen Kontrolle entzogen werden,<br />
untersagt ist. Derartige Schriftstücke sind gem. § 148 StPO<br />
zurückzuweisen, was dem Betroffenen bekannt war.<br />
Die unzulässige Weiterleitung der unkontrollierten Post an die<br />
Verlobte seines Mandanten war auch deshalb unverantwortlich,<br />
weil der Betroffene jedenfalls die in türkischer Sprache verfaßten<br />
Briefe nicht einmal auf deren strafrechtlich relevanten Inhalt überprüfen<br />
konnte. So stellte sich heraus, daß hierin massive Drohungen<br />
enthalten waren, die ein bestimmtes Verhalten von Zeugen eines<br />
Strafprozesses bewirken sollten. Es war sowohl der Verlobten<br />
seines Mandanten als auch deren Familie mit dem Tod gedroht<br />
worden. Wenn der Betroffene dies auch nicht wußte und ihm weder<br />
die Kenntnis der Bedrohung und des Versuchs von Zeugenbeeinflussungen<br />
noch deren Inkaufnahme unterstellt wird, so steht<br />
seine Handlung in gröbstem Maße im Gegensatz zu seinen Pflichten<br />
als Rechtsanwalt, einem Organ der Rechtspflege. Dies war<br />
dem Betroffenen bekannt.“<br />
Bereits diese Feststellungen ergeben eine vorsätzliche schwere<br />
Berufspflichtverletzung des Betroffenen. Die vom Anwaltsgericht<br />
verhängten Maßnahmen, nämlich Verweis und Geldbuße von 4.000<br />
DM, sind nicht ausreichend, um den Betroffenen an die Einhaltung<br />
seiner Berufspflichten mit dem erforderlichen Nachdruck zu mahnen<br />
und dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung einer integren<br />
Anwaltschaft zu genügen. Abgesehen davon, daß durch das Verhalten<br />
des Betroffenen dem Ansehen des Anwaltsstandes schwerer<br />
Schaden zugefügt worden ist, ist auch die Gefährdung der Rechtspflege<br />
durch sein Tun zu berücksichtigen. Ein ordnungsgemäßes<br />
und faires Strafverfahren ist nicht mehr gewährleistet, wenn Zeugen<br />
und Beteiligte durch Drohungen eines Angeschuldigten aus<br />
der Haft heraus auf derartige Weise beeinflußt werden (sollen), somit<br />
Sinn und Zweck einer Untersuchungshaft und hier der damit<br />
verbundenen Briefkontrolle durch einen Anwalt unterlaufen wird.<br />
Auch darf das Schutzbedürfnis der Geschädigten und Zeugen vor<br />
derartigen Machenschaften zwischen Untersuchungshäftling und<br />
Anwalt nicht außer Acht gelassen werden.<br />
Es kann nicht schuldmindernd berücksichtigt werden, daß der<br />
Betroffene den Inhalt eines wesentlichen Teils der Briefe nicht<br />
kannte, weil sie in türkischer Sprache verfaßt waren. Der Betroffene<br />
hat sich in keiner Weise hinsichtlich des Inhalts dieser Briefe<br />
zu vergewissern versucht, diese nicht einmal mit seinem Mandanten<br />
besprochen, um sich über deren Inhalt und den mit ihnen verfolgten<br />
Zweck informieren lassen, um auf diese Weise sicherzustellen,<br />
daß sie keine Drohungen oder ähnliches enthielten. Es<br />
entlastet ihn auch nicht, daß der erste, noch in deutscher Sprache<br />
abgefaßte Brief, halbwegs unverfänglich war. Immerhin wußte er,<br />
daß sein Mandant strafrechtlich bereits erheblich in Erscheinung<br />
getreten war, ferner wußte er um die Schwere der Anschuldigungen<br />
gegen seinen Mandanten. Unter diesen Vorausssetzungen die<br />
in türkischer Sprache verfaßten Folgebriefe ohne weitere Prüfung<br />
auf strafrechtlich relevanten Inhalt an die Geschädigte und Zeugin<br />
AnwBl 11/98<br />
Rechtsprechung<br />
Z weiterzuleiten, stellt sich – wie bereits das Anwaltsgericht zu<br />
Recht ausgeführt hat – als in einem außerordentlichen Maße verantwortungsloses<br />
Tun dar. Der Betroffene hat sich letztlich zum<br />
Komplizen für die üblen Machenschaften seines Mandanten und<br />
damit auch als Verteidiger für andere Straftäter erpreßbar gemacht,<br />
weil sich derartige Pflichtverletzungen in einschlägigen Kreisen<br />
schnell herumzusprechen pflegen.<br />
Zugunsten des Betroffenen ist allerdings zu berücksichtigen,<br />
daß er berufsrechtlich bisher nicht in Erscheinung getreten ist und<br />
darüber hinaus sein Fehlverhalten eingeräumt hat. Er hat sein Fehlverhalten<br />
im nachhinein bedauert und eine Wiederholung nach<br />
eigenem Bekunden für künftige Fälle im Rahmen der Hauptverhandlung<br />
vor dem Anwaltsgericht zwar ausgeschlossen und auch<br />
in der Berufungsverhandlung sein Fehlverhalten in objektiver Hinsicht<br />
nach wie vor ohne wenn und aber bejaht, aber in subjektiver<br />
Hinsicht zu relativieren versucht. Er hat nämlich erklärt, daß er im<br />
Moment der Tat nicht gewußt habe, etwas Unrechtes zu tun, weil<br />
er auf Versöhnung seines Mandanten und der Zeugin Z habe hinwirken<br />
wollen. Das ist indes als Schutzbehauptung zu werten.<br />
Diese Einlassung wäre nur dann glaubhaft, wenn er sich über den<br />
Inhalt der auch in türkischer Sprache verfaßten Briefe die nötige<br />
Aufklärung und Gewißheit verschafft hätte. Es geht immerhin<br />
nicht nur um einen, sondern um mehrere, insgesamt mindestens<br />
vier zeitlich aufeinander folgende Briefe, die der Betroffene unter<br />
Umgehung der Postkontrolle an die Zeugin Z weiterleitete.<br />
Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betroffenen<br />
sprechenden Umstände ist die Verhängung eines beschränkten und<br />
befristeten Vertretungsverbotes gem. §§ 113, 114 Abs. 1 Nr. 4<br />
BRAO tat- und schuldangemessen. Es erscheint aber sowohl gerechtfertigt,<br />
das Ordnungswidrigkeitenrecht von dem Vertretungsverbot<br />
auszunehmen als auch das Verbot auf die Dauer eines Jahres,<br />
also die Mindestdauer, zu befristen.<br />
Die Auswirkungen stellen die berufliche Existenz des Betroffenen<br />
nicht nachhaltig in Frage, weil er nach eigenen Angaben nur<br />
gelegentlich, etwa drei- bis viermal pro Jahr als Strafverteidiger<br />
tätig ist, der Schwerpunkt seiner Tätigkeit im übrigen in der zivilrechtlichen<br />
lnteressenwahrnehmung liegt.<br />
Mitgeteilt vom Pressereferenten des Schleswig-Holsteinischen<br />
OLG, Schleswig<br />
BGB § 198; BRAO § 51 b; ZPO § 234<br />
1. Bei einem fehlerhaften Prozeßverhalten eines Rechtsanwalts,<br />
das zu einer dem Mandanten nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung<br />
führt, beginnt die Frist für die Verjährung von Schadensersatzansprüchen<br />
des Mandanten gegen ihn, wenn diese<br />
Entscheidung in einem weiteren Rechtszug nicht mehr zugunsten<br />
des Mandanten geändert werden kann.<br />
2.Von einer solchen Unabänderbarkeit ist auszugehen, wenn der<br />
Anwalt die Berufungsfrist versäumt und ein Wiedereinsetzungsgesuch<br />
nicht mit beachtlichen Wiedereinsetzungsgründen versieht.<br />
Nach Ablauf der Frist des § 234 I ZPO kann in solchen<br />
Fällen nicht erwartet werden, daß es noch zu einer Korrektur<br />
der nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung kommt. Insbesondere<br />
ändert hieran nichts eine weitere sofortige Beschwerde<br />
gegen die zurückgewiesene Erstbeschwerde zum BGH. In solchen<br />
Fällen ist insbesondere nicht auf die Rechtskraft des nachteiligen<br />
Ersturteils abzustellen.<br />
3. Ein sekundärer Anspruch des Mandanten auf Schadensersatz<br />
steht dem Mandanten zu, wenn der Anwalt die Primärverjährung<br />
herbeigeführt hat, indem er bei fortbestehendem Mandat eine<br />
Pflicht, den Mandanten auf die eigene Regreßhaftung und die drohende<br />
Verjährung hinzuweisen, schuldhaft verletzt hat. Eine solche<br />
Verpflichtung entfällt, wenn der Anwalt davon ausgehen darf, daß<br />
der Mandant wegen der Haftungsfrage anwaltlich beraten wird<br />
oder auf anderem Wege sowohl über den Schadensersatzanspruch<br />
als auch dessen Verjährung Kenntnis erhalten hat.<br />
OLG München, Urt. v. 10.7.1998 – AZ 21 U 2992/98 (nicht rechtskräftig)<br />
Aus den Gründen: Ein sogenannter primärer Schadensersatzanspruch<br />
des Kl wegen positiver Vertragsverletzung des Anwaltsver-
AnwBl 11/98 607<br />
Rechtsprechung l<br />
trags wäre gem. § 51 b BRAO (in der Fassung des Gesetzes zur<br />
Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte<br />
vom 2.9.1994) = § 51 BRAO a. F. verjährt. Der Bekl hat die<br />
Einrede der Verjährung erhoben (vgl. § 222 BGB).<br />
1) Mit dem Ablauf der 2-Wochenfrist des § 234 Abs. 1 ZPO,<br />
spätestens mit dem am 7.7.1994 zugestellten Beschluß des OLG<br />
München vom 27.6.1994, durch den die Wiedereinsetzung des Kl<br />
bezüglich der versäumten Berufungsbegründungsfrist abgelehnt wurde,<br />
ist der geltend gemachte Schaden entstanden und hat die Verjährung<br />
begonnen. Eine andere als die dann vom OLG getroffene Entscheidung<br />
oder eine Änderung des Beschlusses des OLG in einem<br />
weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten war auszuschließen.<br />
Nach § 51b Fall 1 BRAO verjährt der vertragliche Schadensersatzanspruch<br />
des Mandanten gegen den Rechtsanwalt in drei Jahren<br />
von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist. Ein<br />
Schadensersatzanspruch ist im Hinblick auf die allgemeine Regel<br />
in § 198 S. 1 BGB entstanden, wenn der Rechtsanwalt die pflichtwidrige<br />
schadenstiftende Handlung begangen und einen Schaden<br />
herbeigeführt hat. Ein Schaden ist eingetreten, wenn die Vermögenslage<br />
des Auftraggebers infolge der Handlung im Vergleich mit<br />
dem früheren Vermögensstand schlechter geworden ist. Dabei muß<br />
nicht feststehen, ob ein Schaden bestehen bleibt und damit endgültig<br />
wird. Ob und wann der Kl von dem Schaden erfahren hat, ist<br />
unerheblich. Am Eintritt des Schadens und damit an der Entstehung<br />
eines Schadensersatzanspruches als Voraussetzung des Verjährungsbeginns<br />
fehlt es, wenn noch offen ist, ob ein pflichtwidriges<br />
Verhalten zu einem Schaden führt. Bei einem fehlerhaften<br />
Prozeßverhalten des Rechtsanwalts, das zu einer dem Mandanten<br />
nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung führt, ist ein Schaden<br />
dann eingetreten, wenn diese Entscheidung in einem weiteren<br />
Rechtszug nicht mehr zugunsten des Mandanten geändert werden<br />
kann (vgl. BGH NJW 1992, 2828/2829).<br />
Demgemäß hat hier die Primärverjährung mit dem Ablauf der<br />
Wiedereinsetzungsfrist wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist<br />
begonnen. Damit war für den Kl eine als Schaden anzusehende<br />
Verschlechterung der Vermögenslage eingetreten. Denn<br />
von da an hatte der Kl keine ernsthafte Möglichkeit mehr, tragende<br />
Wiedereinsetzungsgründe vorzubringen. Daran ändert es nichts,<br />
daß der Rechtsanwalt für den Mandanten die Ablehnung der Wiedereinsetzung<br />
und die Verwerfung der Berufung des Kl noch mit<br />
Rechtsmitteln bekämpft hat, eben weil beachtliche Wiedereinsetzungsgründe<br />
nicht fristgerecht vorgetragen waren. Nach Ablauf der<br />
Frist des § 234 Abs. 1 ZPO konnte nicht mehr erwartet werden,<br />
daß es noch zu einer Korrektur des Urteils des LG München I v.<br />
28.2.1994 kommen würde (vgl. BGH NJW 1996, 48/50).<br />
Es war insbesondere ausgeschlossen, daß die sofortige Beschwerde<br />
des Kl gegen den Beschluß des OLG v. 27.6.1994 Erfolg<br />
haben würde, nämlich daß der BGH die Frage des Organisationsverschuldens<br />
des Bekl anders als das OLG werten würde. Der<br />
BGH hat wiederholt entschieden, daß die Frist zur Begründung<br />
eines Rechtsmittels, die mit dem Eingang der Rechtsmittelschrift<br />
bei dem angerufenen Gericht beginnt, alsbald „bei“ oder „nach“<br />
der Einreichung der Rechtsmittelschrift im Fristenkalender vermerkt<br />
werden muß, wobei ein solcher Vermerk zu überprüfen und<br />
gegebenenfalls zu korrigieren ist, wenn später eine gerichtliche<br />
Mitteilung des genauen Eingangsdatums eingeht (Beschl. d. BGH<br />
v. 8.11.1994, Seite 5 m. w. N. Im Wiedereinsetzungsgesuch des Kl<br />
war jedoch nicht das Vorbringen enthalten, daß im Büro seines<br />
Prozeßbevollmächtigten eine diesen Grundsätzen entsprechende<br />
Organisation bestanden habe.<br />
Das gleiche gilt für die Behandlung neuen Vorbringens im Wiedereinsetzungsverfahren<br />
nach Fristablauf. Solches kann nicht mehr<br />
berücksichtigt werden. Grundsätzlich sind nämlich alle Umstände,<br />
die für die Frage von Bedeutung sind, auf welche Weise und durch<br />
wessen Verschulden es zu der Versäumung der Frist gekommen ist,<br />
mit dem Wiedereinsetzunsgesuch innerhalb der 2-Wochenfrist des<br />
§ 234 Abs. 1 ZPO darzulegen und gegebenenfalls glaubhaft zu machen<br />
(BGH aaO, Seite 6 m. w. N.). Eine Ausnahme von diesem<br />
Grundsatz war im vorliegenden Fall nicht gegeben. Es handelte<br />
sich nicht um eine zulässige Ergänzung bisherigen Vorbringens,<br />
sondern um neues Vorbringen.<br />
Damit ist der Schaden nicht erst mit der letztinstanzlichen Entscheidung<br />
über die sofortige Beschwerde durch den Beschl. d.<br />
BGH v. 8.11.1994 eingetreten.<br />
Das Urt. d. BGH v. 23.3.1987 (BGHZ 100, 228 = NJW 1987,<br />
1887/1888), welches für den Schadenseintritt auf den Zeitpunkt der<br />
Rechtskraft des Urteils abstellt, steht hier nicht entgegen. Die Entscheidung<br />
betraf einen anders gelagerten Sachverhalt, bei dem bis<br />
zur Rechtskraft des Urteils in einem Musterprozeß offen war, ob<br />
ein pflichtwidriges, mit einem Risiko behaftetes Verhalten zu einem<br />
Schaden führen würde.<br />
Die bei Gericht am 14.7.1997 eingegangene Klage v. 11.7.1997<br />
hat die Verjährung somit nicht mehr rechtzeitig unterbrochen (vgl.<br />
§ 209 Abs. 1 BGB).<br />
2) Der Kl hat keinen sekundären Anspruch, welcher dem Bekl<br />
die Einrede der Primärverjährung verwehrt. Ein Sekundäranspruch<br />
steht dem Auftraggeber zu, wenn der Anwalt die Primärverjährung<br />
herbeigeführt hat, indem er bei fortbestehendem Mandat – oder bei<br />
einem neuen Auftrag über denselben Gegenstand – eine Pflicht,<br />
den Mandanten auf die eigene Regreßhaftung und die drohende<br />
Verjährung hinzuweisen, schuldhaft verletzt hat (BGH DB 1996,<br />
977/978). Hat der Anwalt vor Ablauf der Verjährung des Primäranspruchs<br />
begründeten Anlaß zu prüfen, ob er dem Mandanten<br />
durch einen Fehler Schaden zugefügt hat, und muß er dabei eine<br />
entsprechende Pflichtverletzung erkennen, so hat er hierauf und<br />
auf die kurze Verjährung des § 51b BRAO hinzuweisen. Diese Verpflichtung<br />
entfällt aber dann, wenn der Anwalt davon ausgehen<br />
darf, daß der Mandant wegen der Haftungsfrage anwaltlich beraten<br />
wird oder auf anderem Wege sowohl über den Schadensersatzanspruch<br />
als auch dessen Verjährung Kenntnis erhalten hat (BGH<br />
NJW 1996, 48/50 m. w. N.).<br />
Hier hat der Bekl den Kl bereits mit Schreiben vom 19.7.1994<br />
darauf hingewiesen, daß der Kl ihn wegen eines etwaigen Schadens<br />
haftbar machen könne.<br />
Im Hinblick auf die grundsätzliche Verpflichtung des Anwalts,<br />
den Mandanten auch auf den Beginn und die Dauer der Verjährung<br />
(§ 51 b BRAO) hinzuweisen, durfte der Bekl davon ausgehen, daß<br />
der Kl über die Verjährung des Schadensersatzanspruchs ausreichend<br />
unterrichtet war.<br />
Der vom Kl selbst eingereichten „Klage“ vom 30.12.1995, für<br />
die kein Vorschuß einbezahlt und die nicht zugestellt wurde, läßt<br />
sich immerhin entnehmen, daß dem Kl die Verjährungsproblematik<br />
als solche bewußt war („die Klage zunächst zur Vermeidung der<br />
Verjährung einzubringen“. Allerdings ergibt sich daraus noch keine<br />
konkrete Kenntnis des Kl von der Rechtslage, daß der Anspruch<br />
auf Schadensersatz in drei Jahren von dem Zeitpunkt an verjährt,<br />
in dem der Anspruch entstanden ist. Indem der Kl für die von ihm<br />
erhobenen Schadensersatzansprüche aber sogar mit einer kürzeren<br />
Verjährungsfrist, als in § 51b BRAO bestimmt, rechnete, fehlt es<br />
hier an einer Kausalität der Unkenntnis des Kl von der gesetzlichen<br />
3-Jahresfrist für den Verjährungseintritt.<br />
Die Kenntnis des Kl von der Verjährung des Schadensersatzanspruchs<br />
folgt aus der Sicht des Bekl vor allem aus dem Anruf des<br />
Kl vom 3.3.1997 mit der Bitte, auf die Einrede der Verjährung zu<br />
verzichten; mit Schreiben vom 4.3.1997 hat der Bekl dem Kl hierzu<br />
mitgeteilt, daß er nach Rücksprache mit dem Vermögensschadensversicherer<br />
auf die Einrede der Verjährung nicht verzichten<br />
könne. Der Kl hatte somit rechtzeitig die zutreffende Kenntnis<br />
sowohl über den Schadensersatzanspruch als auch über dessen<br />
Verjährung. Hiervon durfte der Bekl ausgehen. Der Zeitpunkt der<br />
Bitte um einen Verzicht auf die Verjährungseinrede entsprach der<br />
Rechtslage. Es stand noch ein angemessener Zeitraum bis zum<br />
Ende der Primärverjährung für die Einleitung verjährungsunterbrechender<br />
Schritte zur Verfügung. Das Ende der Primärverjährung<br />
war gerade noch nicht so nahe gerückt, daß der Bekl auf den Gedanken<br />
hätte kommen können oder müssen, dem Kl drohe die Gefahr<br />
der Verjährung, zumal da der Bekl den hohen Bildungsstand<br />
seines Mandanten (Diplom-Chemiker) zugrundelegen konnte.<br />
Bei Würdigung und Abwägung der genannten Umstände des<br />
vorliegenden Falles, nämlich dem jedenfalls weitaus überwiegenden<br />
Verursachungsbeitrag des Kl, der dem Bekl zur maßgeblichen<br />
Zeit den Eindruck zutreffender eigener Kenntnis über den Schadensersatzanspruch<br />
und dessen Verjährung vermittelt hat, tritt zumindest<br />
der erheblich mindere Beitrag des allenfalls leicht fahrlässig<br />
handelnden Bekl, falls jener überhaupt bejaht werden kann,<br />
völlig zurück (vgl. § 254 BGB).<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Reinhard Knapp, München
608<br />
l<br />
BGB §§ 254, 276, 611<br />
1. Zur Pflicht des Anwalts, bei mehreren in Betracht kommenden<br />
Maßnahmen diejenige zu treffen, welche die sicherste und<br />
gefahrloseste ist.<br />
2. Der Entwurf eines Schriftsatzes durch den Verkehrsanwalt<br />
beschränkt weder die Verantwortlichkeit des Prozeßbevollmächtigten<br />
für den Inhalt dieses Schriftsatzes, noch für dessen rechtzeitige<br />
Einreichung.<br />
3. Verursachen Verkehrsanwalt und Prozeßbevollmächtigter einen<br />
Schaden für den Mandanten durch Pflichtwidrigkeiten, so<br />
haben sie aus dem Gedanken der Zweckgemeinschaft als Gesamtschuldner.<br />
Das Maß der Verursachung und des Verschuldens<br />
ist nur eine Frage des Innenverhältnisses.<br />
OLG München, Urt. von 27.2.1998 – 21 U 4491/97<br />
Aus den Gründen: Die Berufung der Kl ist zulässig und begründet.<br />
Die Kl hat einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von<br />
33.611,40 DM wegen positiver Vertragsverletzung des von den<br />
Bekl am 7.12.1994 bestätigten Anwaltsvertrags. Denn die Bekl<br />
haben schuldhaft die Verjährung des Werklohnanspruchs der Kl<br />
(mit-)verursacht.<br />
Kraft des Anwaltsvertrages (§§ 675, 611 Abs. 1 BGB) ist der<br />
Rechtsanwalt verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers in<br />
den Grenzen des erteilten Mandats nach jeder Richtung umfassend<br />
wahrzunehmen. Er muß sein Verhalten so einrichten, daß er Schädigungen<br />
seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur<br />
von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet.<br />
Welche konkreten Pflichten aus diesen allgemeinen Grundsätzen<br />
abzuleiten sind, richtet sich nach dem erteilten Mandat und<br />
den Umständen des einzelnen Falles. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen<br />
in Betracht kommen, diejenige zu treffen, welche die sicherste<br />
und gefahrloseste ist (BGH NJW-RR 1990, 1241/1242;<br />
NJW 1988, 1079/1080/1082).<br />
Für die Bekl, die mit der Geltendmachung der Werklohnansprüche<br />
zumindest gegen den Verwalter und Wohnungseigentümer O.<br />
beauftragt waren, ergab sich aus dem übernommenen Mandat die<br />
Verpflichtung, dafür zu sorgen, daß die Ansprüche der Kl gegen<br />
den Besteller des Werks nicht verjähren (vgl. BGH NJW 1988,<br />
1079/1081).<br />
Die drohende Verjährung des Anspruchs der Kl (§§ 196 Abs. 1<br />
Nr. 1, 198, 201 BGB) war für die Bekl erkennbar. Bei Werklohnforderungen<br />
beginnt die Verjährung gem. § 641 BGB mit der Abnahme.<br />
Das Fehlen von Angaben zur Abnahme des Werkes in dem<br />
Klageentwurf vom 29.11.1994 schloß eine Abnahme bereits im<br />
Jahr 1992 keineswegs aus. Eine zumindest konkludente Abnahme<br />
durch Ingebrauchnahme der fünf Kamine im Jahr 1992 war nach<br />
dem den Bekl bekannten Sachverhalt naheliegend.<br />
Die Anforderung weiterer Informationen von dem Verkehrsanwalt<br />
durch die Beklagten mit Faxschreiben vom 7.12.1994 mit<br />
dem Hinweis, daß erst nach Vorlage der ergänzenden Erläuterungen<br />
die Klage eingereicht werde, vermag die Bekl nicht ausreichend<br />
zu entlasten. Diese waren vielmehr verpflichtet, sich rechtzeitig,<br />
naheliegenderweise telefonisch, wegen der ausbleibenden<br />
Antwort zu erkundigen. Die Bekl haben jene Anwaltspflichten verletzt,<br />
indem sie nach Absendung ihres Faxschreibens vom<br />
7.12.1994 untätig blieben. Ihnen ist eine schuldhafte Verletzung<br />
des Anwaltsvertrags insoweit vorzuwerfen, als die Verjährungsfrist<br />
für die Ansprüche der Kl abgelaufen ist. Sie haben das Mandat<br />
übernommen, für die Kl eine Klage in Höhe von 36.779,14 DM<br />
zuzüglich Zinsen zu erheben, welche (bei ordnungsgemäßer Zustellung)<br />
die drohende Verjährung unterbrochen hätte.<br />
Der Entwurf eines Schriftsatzes durch den Verkehrsanwalt beschränkt<br />
weder die Verantwortlichkeit des Prozeßbevollmächtigten<br />
für den Inhalt des Schriftsatzes, noch für dessen rechtzeitige Einreichung<br />
(vgl. BGH NJW 1988, 1079/1082). Den mit der Prozeßvertretung<br />
beauftragten Bekl oblag die Pflicht zu ordnungsmäßigem<br />
prozessualem Handeln gegenüber dem Prozeßgericht. Die<br />
Pflichten der Prozeßbevollmächtigten änderten sich nicht dadurch,<br />
daß der Nebenintervenient als Verkehrsanwalt in die Korrespondenz<br />
zwischen ihnen und der Kl eingeschaltet war und die Klageschrift<br />
entwarf (vgl. BGH NJW 1988, 3013/3014; NJW-RR 1990,<br />
1241/1243).<br />
AnwBl 11/98<br />
Rechtsprechung<br />
Im vorliegenden Fall besteht eine gesamtschuldnerische Haftung<br />
der Bekl und des Verkehrsanwalts, der, seinerseits bereits im<br />
April 1994 von der Kl beauftragt, weder auf die drohende Verjährung<br />
hinwies, noch das Faxschreiben der Bekl vom 7.12.1994<br />
rechtzeitig beantwortete. Die Prozeßbevollmächtigten und der Verkehrsanwalt<br />
haben nämlich jeder in seinem Verantwortungsbereich<br />
eine Schadensursache für denselben Schaden pflichtwidrig und<br />
schuldhaft gesetzt. Im Verhältnis von Verkehrsanwalt und Prozeßanwalt<br />
bestand hier eine Zweckgemeinschaft (vgl. Rinsche, Die<br />
Haftung des Rechtsanwalts und des Notars, 5. Aufl., Rdnr. I 170,<br />
178 bis 181 m. w. N.; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 3. Aufl.,<br />
Kapitel-VII. Rdnr. 37).<br />
Da eine gesamtschuldnerische Haftung besteht, kann sich weder<br />
der Verkehrsanwalt, noch der Prozeßbevollmächtigte, wenn er<br />
allein in Anspruch genommen wird, auf ein Mitverschulden des<br />
anderen berufen, das sich die Partei gem. §§ 254, 278 BGB anrechnen<br />
lassen müßte. Das Maß der Verursachung und des Verschuldens<br />
ist dann nur eine Frage des internen Ausgleichs (§ 426<br />
BGB; Rinsche aaO, Rdnr. I. 180, 182 m. w. N.).<br />
Der Rechtsanwalt, der seinem Auftraggeber wegen positiver<br />
Vertragsverletzung zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat diesen<br />
bei der Schadensersatzleistung so zu stellen, wie er bei pflichtgemäßem<br />
Verhalten des Anwalts stünde. Für diese hypothetische Betrachtung<br />
ist maßgebend, wie der Vorprozeß nach Auffassung des<br />
Gerichts, das mit dem gegen den Prozeßbevollmächtigten gerichteten<br />
Schadensersatzanspruch befaßt ist, richtigerweise hätte entschieden<br />
werden müssen. Auszugehen ist dabei von dem Sachverhalt,<br />
der dem Gericht des Vorprozesses unterbreitet und von<br />
diesem Gericht aufgeklärt worden wäre. Die Frage, was geschehen<br />
wäre, wenn der Rechtsanwalt pflichtgemäß gehandelt hätte, ist<br />
nach § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier<br />
Überzeugung zu entscheiden (BGH NJW-RR 1990, 1 241/1244 f.).<br />
Die Kl hat den ihr entstandenen Schaden schlüssig vorgetragen<br />
(wird ausgeführt).<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Reinhard Knapp, München<br />
BGB §§ 249, 254, 675<br />
1. Zur Schadensersatzpflicht eines Rechtsanwalts, der es unterläßt,<br />
den Entschädigungsanspruch seines Mandanten wegen eines<br />
Brandschadens gegen eine Versicherungsanstalt rechtzeitig<br />
geltend zu machen.<br />
BayObLG, Urt. v. 15.12.1997 – 1Z RR 338/96<br />
Aus den Gründen: 1. Zwischen den Parteien bestand ein Anwaltsvertrag,<br />
der als Dienstvertrag eine entgeltliche Geschäftsbesorgung<br />
(§ 675 BGB) zum Gegenstand hatte (Palandt/Putzo BGB<br />
57. Aufl. Einf. vor § 611 Rdnr. 21: MünchKomm/Söllner BGB<br />
3. Aufl. § 611 Rdnr. 86; Rinsche Die Haftung des Rechtsanwalts<br />
und Notars 4. Aufl. Rdnr. I 4; Vollkommer Anwaltshaftungsrecht<br />
Rdnr. 2). Gegenstand des Vertrags war die Regulierung des Brandschadens<br />
gegenüber der Nebenintervenientin, gegebenenfalls auch<br />
die Prozeßvertretung. Das BerG hat festgestellt, daß der Bekl zu 2<br />
im Rahmen des Mandatsverhältnisses als Sozius tätig geworden<br />
ist. Es hat daher zu Recht angenommen, daß das Mandat beiden<br />
Bekl (§§ 705, 421 BGB) erteilt worden war und eine Pflichtverletzung<br />
beiden Bekl zuzurechnen ist (vgl. BGHZ 56, 355; BGH NJW<br />
1993, 1779/1780; Palandt/Heinrichs Rdnr. 8, MünchKomm/Selb<br />
Rdnr. 8, jeweils zu § 425; Vollkommer Rdnr. 57 ff.; Rinsche<br />
Rdnr. I 161).<br />
2. Der Anspruch wird darauf gestützt, daß die Bekl es pflichtwidrig<br />
unterlassen hätten, den vom Kl beanspruchten höheren Entschädigungsbetrag<br />
gegen die Nebenintervenientin gerichtlich geltend<br />
zu machen und dadurch der Anspruch des Kl erloschen sei.<br />
Das BerG hat den Schadensersatzanspruch des Kl gegen die Bekl<br />
mit der Begründung verneint, daß das Unterlassen der Bekl für den<br />
Schadenseintritt nicht kausal geworden sei, weil der Anspruch gegen<br />
die Nebenintervenientin auch noch nach Beendigung des<br />
Mandats hätte geltend gemacht werden können. Diese Auffassung<br />
widerspricht allgemein anerkannten Grundsätzen, die in ständiger<br />
Rechtsprechung zur Anwaltshaftung entwickelt wurden (vgl. BGH
AnwBl 11/98 609<br />
Rechtsprechung l<br />
VersR 1985, 146, BGH NJW 1993, 1779: Vollkommer Rdnr. 345<br />
ff.; Rinsche Rdnr. I 237).<br />
a) Ein Anwalt haftet aus positiver Vertragsverletzung, wenn<br />
sein Verhalten bei Mandatserledigung pflichtwidrig und die Pflichtwidrlgkeit<br />
von ihm zu vertreten war, hierdurch beim Mandanten<br />
ein Schaden eingetreten ist, und das pflichtwidrige Handeln oder<br />
Unterlassen des Anwalts für den Schadenseintritt ursächlich war<br />
(vgl. Vollkommer Rdnr. 20). Die Bekl handelten dadurch pflichtwidrig,<br />
daß sie es unterließen, während des Bestehens ihres Mandats<br />
den Anspruch des Kl auf eine höhere Entschädigung gerichtlich<br />
geltend zu machen, obwohl sie hierzu beauftragt waren.<br />
Spätestens nachdem die Nebenintervenientin die mit Schriftsatz<br />
der Bekl vom 21.2.1992 geforderte höhere Entschädigung mit<br />
Schreiben vom 25.2.1992 endgültig abgelehnt hatte, hätten die<br />
Bekl weitere Schritte unternehmen müssen. Es bestand kein nachvollziehbarer<br />
Grund, weshalb sie mehr als 2 1/2 Jahre mit der Klage<br />
zuwarteten. Die Untätigkeit der Bekl über einen so langen Zeitraum<br />
hinweg stellte eine Pflichtverletzung dar, zumal sie die Frage<br />
der Erlöschensfrist nicht geklärt hatten und sie nicht darauf vertrauen<br />
konnten, daß der Anspruch erst zum 31.12.1994 erlöschen<br />
werde. Sie haben daher die Pflichtwidrigkeit auch zu vertreten<br />
(§ 276 BGB).<br />
b) Die pflichtwidrige Unterlassung der Klage war für den eingetretenen<br />
Schadenserfolg auch ursächlich, vorausgesetzt daß der<br />
Kl tatsächlich von der Nebenintervenientin eine höhere Entschädigung<br />
hätte verlangen können. Eine Unterlassung ist nämlich dann<br />
kausal, wenn die gebotene Handlung den Schadenseintritt verhindert<br />
hätte (Palandt/Heinrichs Vorbem. v. § 249 Rdnr. 84; Larenz<br />
Schuldrecht I 14. Aufl. § 27 III c; Vollkommer Rdnr. 346). Hätten<br />
die Bekl alsbald Klage erhoben, wäre die Frist von 3 Jahren, nach<br />
welcher der Entschädigungsanspruch erlischt (vgl. dazu unten 3 b),<br />
unterbrochen worden (Art. 16 Abs. 1 VersG, Art. 71 Abs. 2<br />
AGBGB i. V. m. § 209 BGB).<br />
c) Ausgehend vom Rechtsstandpunkt des OLG, der Anspruch<br />
sei erst mit Ablauf des Jahres 1994 erloschen, wird der Ursachenzusammenhang<br />
zwischen der Pflichtverletzung der Bekl und dem<br />
Schadenseintritt nicht dadurch „unterbrochen“, daß der Kl nach<br />
Beendigung des Mandats noch die Möglichkeit hatte, Klage zu erheben,<br />
und sein neuer anwaltschaftlicher Vertreter es unterlassen<br />
hat, hiervon Gebrauch zu machen. Eine „Unterbrechung des Ursachenzusammenhangs“<br />
wird dann angenommen, wenn ein Dritter in<br />
völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen<br />
Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache<br />
setzt, die den Schaden erst endgültig herbeiführt (vgl. BGH NJW<br />
1986, 1329/1331 und 1993, 1779/1780; MünchKomm/Grunsky<br />
vor § 249 Rdnr. 52 ff. weist darauf hin, daß es sich um kein Kausalitätsproblem<br />
handelt, sondern um einen Haftungsausschluß aus<br />
Wertungsgesichtspunkten). Davon kann hier nicht gesprochen werden.<br />
Der anwaltschaftliche Vertreter des Kl hat im Gegenteil nach<br />
Herausgabe der Handakten durch die Bekl im Oktober 1994 im<br />
folgenden Monat nochmals die Forderung gegenüber der Nebenintervenientin<br />
geltend gemacht und weitere Schritte nur unterlassen,<br />
weil diese sich auf das Erlöschen des Entschädigungsanspruchs bereits<br />
im April 1994 berufen hatte.<br />
Die Annahme des BerG, die Unterlassung der Bekl sei nicht<br />
kausal, ist daher nicht haltbar. ...<br />
Mitgeteilt von Richter am BayObLG Johann Demharter, München<br />
BGB § 852<br />
1. Nimmt ein Versicherer in einer von ihm vorformulierte Abfindungserklärung<br />
von sich aus den Vorbehalt für künftigen materiellen<br />
Schaden mit auf, hat er die Kl von der Erhebung einer<br />
Feststellungsklage abgehalten.<br />
2. Der Versicherer muß sich dann hinsichtlich der Verjährung so<br />
behandeln lassen, als sei Feststellungsklage erhoben worden. (LS<br />
der Einsenderin)<br />
OLG München, Urt. v. 21.7.1998 – 5 U 5920/97<br />
Aus den Gründen: Die zulässigen Berufungen der Kl und ihrer<br />
Streithelferin sind unbegründet.<br />
Die Vorinstanz hat die Klage gegen den Bekl zu Recht abgewiesen,<br />
weil der Kl durch das Verhalten ihres damaligen anwaltlichen<br />
Vertreters, des Bekl, kein Schaden entstanden ist. Die Streithelferin<br />
als Haftpflichtversicherer des Schädigers kann sich<br />
gegenüber der Kl nicht auf die Einrede der Verjährung berufen. Sie<br />
hat die Regulierung von Verdienstausfall ab 1.7.1991 zu Unrecht<br />
wegen Verjährung abgelehnt. Damit sind dem Bekl im Zusammenhang<br />
mit seiner Mandatserfüllung bezüglich der Unfallangelegenheit<br />
der Kl keine Pflichtverletzungen anzulasten.<br />
Die Streithelferin kann sich im Rahmen der am 3.6.1991 von<br />
der Kl abgegebenen Abfindungserklärung nicht darauf berufen,<br />
daß alle in der Abfindungserklärung vorbehaltenen zukünftigen<br />
materiellen Schäden der dreijährigen Verjährung des § 852 BGB, §<br />
14 StVG, § 3 Nr. 3 PflVG unterliegen.<br />
Zwar hat der BGH in seiner Entscheidung v. 26.5.1992 (VersR<br />
92/1091) klargestellt, daß der Schadensersatzanspruches eines<br />
Unfallgeschädigten gegen die Haftpflichtversicherung des Schädigers<br />
in 3 Jahren verjährt, wenn der Haftpflichtversicherer lediglich<br />
ein deklaratorisches Anerkenntnis in der Weise abgibt, daß von der<br />
Abfindung der zukünftige materielle Schaden, soweit kein Sozialversicherer<br />
leistet, ausgenommen bleibt.<br />
Der BGH hat allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, daß<br />
sich der Haftpflichtversicherer dann nicht auf die Verjährung berufen<br />
kann, wenn in der Aufnahme des Vorbehalts in die Abfindungserklärung<br />
und deren Entgegennahme durch den Haftpflichtversicherer<br />
ein zu einer Verjährungsfrist von 30 Jahren führendes selbständiges<br />
Anerkenntnis des Haftpflichtversicherers i. S. v. § 781<br />
BG8 liegen würde oder wenn durch Vereinbarung der Parteien der<br />
Anspruch des Geschädigten auf Ersatz seines Zukunftsschadens<br />
wie bei einem Feststellungsurteil gem. § 218 Abs. 1 BGB von der<br />
Verjährungseinrede des Haftpflichtversicherers aus § 852 Abs. 1<br />
BGB befreit worden wäre (BGH VersR 1992, 1091).<br />
Die Entgegennahme der Abfindungserklärung durch die Streithelferin<br />
bewirkt im vorliegenden Fall nach Auffassung des Senats,<br />
daß sich diese nicht auf die dreijährige Verjährung berufen kann,<br />
da hier die Annahme begründet ist, daß die Geschädigte und Anspruchsinhaberin<br />
„konstitutiv“ von der Verjährungseinrede befreit<br />
sein sollte. Eine Befreiung der Kl von der Verjährungseinrede<br />
kommt dann in Betracht, wenn es dem Schädiger bzw. seinem Versicherer,<br />
also der Streithelferin darum geht, die Erhebung einer<br />
Feststellungsklage, die im Erfolgsfalle zu einem langfristigen Ausschluß<br />
der Verjährungseinrede führt, abzuwenden.<br />
Im vorliegenden Fall lag zwar noch keine Feststellungsklage<br />
der Kl vor, die infolge der Abfindungserklärung zurückgenommen<br />
wurde (wie im Fall des OLG Oldenburg, NJW-RR 1997, 1181).<br />
Das Verhalten der Streitverkündeten stellt sich jedoch als<br />
gleichwertig dar. Die Streitverkündete hat nicht einen von der Kl<br />
vorgelegten Abfindungsvertrag mit Vorbehalt entgegengenommen.<br />
Sie hat vielmehr von sich aus ein Vergleichsangebot umfassend<br />
vorformuliert und den Vorbehalt für künftigen materiellen Schaden<br />
von sich aus mitaufgenommen. Damit hat die Streitverkündete<br />
nicht erst die Erhebung einer im Raum stehenden Feststellungsklage<br />
abgewartet, sondern die Kl von der Erhebung einer solchen<br />
Feststellungsklage bereits im Vorfeld abgehalten.<br />
Der Senat stellt dieses aktive Mitwirken der Streithelferin, das<br />
letztlich dazu führte, daß keine Feststellungsklage im Vertrauen auf<br />
den Vorbehalt erhoben wurde, der Konstellation gleich, daß wegen<br />
der Einräumung des Vorbehalts eine bereits anhängige Feststellungsklage<br />
zurückgenommen wird (vgl. OLG Oldenburg aaO).<br />
Der nach Schluß der mündlichen Verhandlung mitgeteilte Tod<br />
der Beklagtenpartei führt nicht zur Unterbrechung, § 246 ZPO. Ein<br />
Aussetzungsantrag wurde nicht gestellt.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwältin Dr. Brigitte Borgmann, München
610<br />
l<br />
Gebührenrecht<br />
BRAGO § 84 Abs. 2, § 105 Abs. 1; §12<br />
1. Aus dem Wortlaut sowie einer systematischen und historischen<br />
Auslegung des § 105 BRAGO ergibt sich, daß die Anwendung<br />
des § 84 Abs. 2 BRAGO nicht durch § 105 Abs. 1 und 2<br />
BRAGO ausgeschlossen ist.<br />
2. Zur Mittelgebühr bei Einstellung eines OWi-Verfahrens wegen<br />
Geschwindigkeitsüberschreitung, wenn dargelegt wurde, daß der<br />
Bekl aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen auf die<br />
Fahrerlaubnis angewiesen sei. (LS der Red.)<br />
AG Neustadt a. Rbge., Urt. v. 9.7.1997 –20 C 591/97<br />
Aus den Gründen: Der Kl hat gegen den Bekl gem. §§ 675,<br />
612 BGB einen Anspruch auf Zahlung von 419,75 DM aufgrund<br />
seiner Tätigkeit im Bußgeldverfahren gem. §§ 105 Abs. 3, 84<br />
Abs. 2 BRAGO.<br />
Ein Rechtsanwalt, der an einer Einstellung mitgewirkt hat,<br />
erhält gem. § 84 Abs. 2 BRAGO die Gebühr des § 83 Abs. 1 BRA-<br />
GO, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird. Diese<br />
Vorschrift des Sechsten Abschnitts gilt gem. § 105 Abs. 3 BRAGO<br />
für die Gebühren im Bußgeldverfahren sinngemäß.<br />
In dem Bußgeldverfahren gegen den Bekl hat der Kl durch<br />
seine Verhandlungen mit der Verwaltungsbehörde erreicht, daß das<br />
Verfahren endgültig gem. § 46 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 170 Abs. 2<br />
StPO eingestellt wurde. Die Anwendung des § 84 Abs. 2 BRAGO<br />
ist nicht durch § 105 Abs. 1, 2 BRAGO ausgeschlossen (LG Mühlhausen,<br />
LG Bielefeld, AnwBl 1997, 351, 352). Das ergibt sich aus<br />
dem Wortlaut sowie einer systematischen und historischen Auslegung<br />
des § 105 BRAGO. Mit der Formulierung „im übrigen“<br />
wird die Anwendung des § 105 Abs. 3 BRAGO nicht auf die Verfahrensabschnitte<br />
beschränkt, die § 105 Abs. 1, 2 BRAGO nicht<br />
erfaßt. Anderenfalls müßte auch § 105 Abs. 2 BRAGO die Anwendung<br />
des § 84 Abs. 2 BRAGO ausschließen. Es käme eine Anwendung<br />
selbst dann nicht in Betracht, wenn ein Bußgeldverfahren<br />
nach gerichtlicher Anhängigkeit außerhalb einer Hauptverhandlung<br />
eingestellt wird. Zudem bekäme der Verteidiger gem. § 105 Abs. 2<br />
BRAGO die Gebühr des § 83 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO selbst dann,<br />
wenn er nur außerhalb der Hauptverhandlung tätig geworden ist.<br />
§ 105 Abs. 1, 2 BRAGO beziehen sich nicht auf bestimmte Verfahrensabschnitte,<br />
sondern regeln vielmehr den Gebührennormalfall.<br />
So tritt im Normalfall der Verteidiger in der Hauptverhandlung auf<br />
und kann gem. § 105 Abs. 2 BRAGO die Gebühr des § 83 Abs. 1<br />
Nr. 3 BRAGO berechnen. § 105 Abs. 3 BRAGO erfaßt die verbleibenden<br />
Sonderkonstellationen, die eine andere Gebührenberechnung<br />
begründen. Insoweit findet eine sinngemäße Anwendung der<br />
Vorschriften des Sechsten Abschnitts statt. Die Formulierung des<br />
§ 105 Abs. 3 BRAGO ist dahingehend zu verstehen, daß für die<br />
vom Normalfall abweichenden Gebührenkonstellationen die Vorschriften<br />
des Sechsten Abschnitts sinngemäß gelten. Unschädlich<br />
ist es, daß sich erst aus den Vorschriften des Sechsten Abschnitts<br />
diese Sonderfälle ergeben und dadurch ein Grundsatz-Ausnahme-<br />
Verhältnis entsteht. Das entspricht gerade dem Sinn und Zweck des<br />
Gesetzes. Es soll für die Verteidigung ein Anreiz geschaffen werden,<br />
zur Beschleunigung des Verfahrens beizutragen und eine<br />
Hauptverhandlung zu vermeiden (BT-Drucksache 12/6962 S.106;<br />
LG Arnsberg, LG Wuppertal, JurBüro 1997, 24 f.; AG Aurich, AG<br />
Brakel, AG Bühl, AG Düsseldorf, AnwBl 1997, 43 f.; AG Darmstadt,<br />
AnwBl 1997, 353). Dem würde es widersprechen, den Verteidiger<br />
erst dann gebührenrechtlich besserzustellen, wenn die Akten<br />
bei Gericht eingegangen sind. Unschädlich für die Anwendung<br />
des § 84 Abs. 2 BRAGO ist es, daß die Regelung weniger geeignet<br />
ist, die Leistung des Anwalts zu berücksichtigen (Otto, JurBüro<br />
1994, 396). Dieses erfolgt hat nämlich erst bei der Bemessung der<br />
Gebührenhöhe zu erfolgen. Die Regelungen der § 105 Abs. 1, 2<br />
BRAGO sind auch nicht überflüssig, zumal es im Sechsten Abschnitt<br />
der BRAGO kein Verfahren vor der Verwaltungsbehörde<br />
gibt.<br />
Der Höhe nach ist zwischen den Parteien unstreitig, daß der Kl<br />
berechtigt ist, die Mittelgebühr zugrunde zu legen. Daher verbleibt<br />
ein noch zu zahlender Betrag von 419,75 DM.<br />
AnwBl 11/98<br />
Rechtsprechung<br />
Der Bekl befindet sich aufgrund der Zahlungsablehnung seines<br />
Rechtsschutzversicherers, die er sich zurechnen lassen muß, seit<br />
dem 14.11.1996 im Verzug. Die Zinshöhe ergibt sich aus § 288<br />
BGB. ...<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt und Notar Torsten Heiner, Garbsen<br />
BRAGO § 84 Abs. 1, § 105 Abs. 2, § 12<br />
1. Ordnungswidrigkeiten haben nicht generell unterdurchschnittliche<br />
Bedeutung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.<br />
2. Der Gesetzgeber hat Bußgeld- und Strafverfahren gebührenrechtlich<br />
gleichgestellt.<br />
3. Eine überdurchschnittlich Rechtslage begründet die vom Verteidiger<br />
in Ansatz gebrachte Mittelgebühr, auch wenn das Verfahren<br />
in tatsächlicher Hinsicht nicht schwierig gelagert war.<br />
(LSe der Red.)<br />
AG Dillingen a. d. Donau, Beschl. v. 29.4.1997 – OWi 3/91<br />
Aus den Gründen: Mit Kostenfestsetzungsbeschl. v. 8.12.1994<br />
setzte das AG Dillingen an der Donau unter anderem eine Vorverfahrensgebühr<br />
von 150,– DM und eine Gebühr für die Vertretung<br />
außerhalb der Hauptverhandlung ebenfalls von 150,– DM fest.<br />
Hiergegen wendet sich die Verteidigung mit der Erinnerung, mit<br />
der sie eine Vorverfahrensgebühr von 285,– DM und eine Gebühr<br />
gem. §§ 105 II, 84 I BRAGO von ebenfalls 285,– DM beantragt.<br />
Daraufhin wurde der Kostenfestsetzungsbeschluß mit Entscheidung<br />
des Rpflegers vom 14.2.1995 dahingehend ergänzend, daß dem Betroffenen<br />
ein weiterer Betrag von 115,– DM (weitere 50,– DM Vorverfahrensgebühr,<br />
weitere 50,– DM für die Vertretung außerhalb<br />
der Hauptverhandlung, weitere 15,– DM Mehrwertsteuer) aus der<br />
Staatskasse zu erstatten sind.<br />
Die Verteidigung hat auch aufgrund dieses Beschlusses das eingelegte<br />
Rechtsmittel aufrecht erhalten.<br />
Es hat im Ergebnis Erfolg.<br />
Zwar geht der Rpfleger in seinen beiden Entscheidungen zutreffend<br />
davon aus, daß Bußgeldverfahren im Vergleich zu Strafverfahren<br />
grundsätzlich unterdurchschnittliche Bedeutung zukomme.<br />
Dies ergäbe sich schon aus ihrer gesetzlichen Wertung.<br />
Das Gesetz habe nämlich Verstöße gegen die StVO und ihre Nebengesetze,<br />
welche früher als Übertretung geahndet wurden, durch<br />
die Einführung des Ordnungswidrigkeitengesetzes bewußt ihres<br />
kriminellen Charakters entkleidet.<br />
Das bedeutet aber nicht, daß Ordnungswidrigkeiten generell<br />
unterdurchschnittliche Bedeutung hätten und in tatsächlicher sowie<br />
rechtlicher Hinsicht von minderem Anspruch wären. Vielmehr ist<br />
die Sach- und Rechtslage durch die Umwandlung der Verkehrsdelikte<br />
zu Ordnungswidrigkeiten keineswegs einfach geworden. Darüber<br />
hinaus weist eine Ordnungswidrigkeit, die nach einem anderen<br />
Gesetz zu behandeln ist, ohne hin oft einen komplizierten<br />
Tatbestand auf (Hartmann, Kostengesetze, 27. Auflage, Rdnr. 29 zu<br />
§ 105 BRAGO). Der Verteidiger weist deshalb zurecht darauf hin,<br />
daß der Gesetzgeber bei der Neufassung der BRAGO die gebührenrechtliche<br />
Gleichstellung von Bußgeld- und Strafverfahren eingeführt<br />
hat.<br />
Es kommt hinzu, daß das vorliegende Verfahren nicht in tatsächlicher,<br />
wohl aber in rechtlicher Hinsicht schwierig gelagert<br />
war. Wie der Verteidiger zutreffend vorträgt, war die rechtliche<br />
Beurteilung des tatsächlichen Geschehens von der Verwaltungsbehörde,<br />
die den Bußgeldbescheid erlassen hatte, unzutreffend vorgenommen<br />
worden. Im Bußgeldbescheid, der immerhin eine Geldbuße<br />
von 675,– DM verhängt hatte, war dem Betroffenen nämlich<br />
eine Ordnungswidrigkeit nach § 7bI Nr. 1b Fahrpersonalgesetz<br />
vorgeworfen worden. Für Ordnungswidrigkeiten nach dieser Bestimmung<br />
gilt aber gem. § 5 OWiG der sogenannte Gebietsgrundsatz<br />
mit der Folge, daß nur solche Zuwiderhandlungen geahndet<br />
werden können, die zumindest teilweise auf dem Gebiet der Bundesrepublik<br />
Deutschland begangen worden sind. Der Betroffene<br />
hatte aber die ihm zur Last gelegte Tat erkennbar nicht in der Bundesrepublik<br />
Deutschland, sondern in Österreich bzw. Italien begangen.
AnwBl 11/98 611<br />
Rechtsprechung l<br />
Der Verteidiger mußte deshalb, um den Sachverhalt rechtlich<br />
zutreffend beurteilen zu können, diese vom Gewerbeaufsichtsamt<br />
Augsburg vorgenommene unrichtige Würdigung mittels eingehender<br />
Kenntnisse schwieriger Spezialgesetze, auch der europäischen<br />
Rechts, kritisch prüfen. Das Gericht teilt deshalb seine Auffassung,<br />
daß die Rechtslage deutlich überdurchschnittlich schwierig gelagert<br />
war.<br />
Die vom Verteidiger in Ansatz gebrachten Gebühren erscheinen<br />
deshalb im vorliegenden Verfahren angemessen.<br />
Sie sind wie folgt festzusetzen:<br />
Vorverfahrensgebühr gem. § 105, 84, 83 BRAGO 285,– DM<br />
Gebühr für die Vertretung außerhalb des Hauptverhandlung 285,– DM<br />
Auslagenpauschale gem. § 26 BRAGO 30,– DM<br />
15 % Mehrwertsteuer gem. § 2S BRAGO 90,– DM<br />
Insgesamt 690,– DM<br />
Der Zinsanspruch ergibt sich aus den §§ 46 OWiG; 464 bII<br />
StPO.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Michael Sauren, Gersthofen<br />
BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />
1. Auch bei einer Einstellung eines Bußgeldverfahrens durch die<br />
Verwaltungsbehörde kommt der volle Gebührenrahmen des § 84<br />
Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />
2. Für die Höhe der anzusetzenden Anwaltsgebühr ist das<br />
Baumgärtelsche System zugrunde zu legen. (LS der Redaktion)<br />
AG Freiburg i. Br., Beschl. v. 5.11.1996 – 28 GS (OWi) 83/96<br />
Aus den Gründen: Der nach § 108 Abs. 1 OWiG zulässige,<br />
weil rechtzeitig eingelegte Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />
ist als unbegründet zurückzuweisen. Die Verwaltungsbehörde hat<br />
mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheid vom 22.8.1996<br />
die zu erstattenden notwendigen Auslagen zutreffend mit 225,40<br />
DM festgesetzt.<br />
Zutreffend ist zunächst, daß vorliegend der volle Gebührenrahmen<br />
des § 84 Abs. 2 BRAGO zur Anwendung kommt. Für das<br />
Bußgeldverfahren gelten nach § 105 Abs. 3 BRAGO alle Vorschriften<br />
des sechsten Abschnittes der BRAGO, also auch § 84<br />
Abs. 2 BRAGO. So war bis zum Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes<br />
1994 (das die Änderung im § 84 Abs. 2 BRAGO<br />
brachte) völlig unstreitig, daß die Verweisung in § 105 Abs. 3<br />
BRAGO sämtliche Vorschriften des sechsten Abschnittes der BRA-<br />
GO erfaßt. Warum nach Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes<br />
1994 anderes gelten soll, ist nicht ersichtlich.<br />
Für die Höhe der anzusetzende Anwaltsgebühr ist nach Auffassung<br />
des Gerichtes das Baumgärtelsche System zugrunde zu legen<br />
(vgl. Baumgärtel, Versicherungsrecht 1978, 581, 584). Die Anwendung<br />
der Punktetabelle nach Baumgärtel ist nach ständiger Rechtsprechung<br />
des AG Freiburg und des LG Freiburg zutreffend, da<br />
ihre Anwendung keinen Verstoß gegen § 12 BRAGO darstellt.<br />
Dieses System wird dem Interesse des Betroffenen am ehesten gerecht,<br />
da es auf den in § 12 BRAGO genannten Bewertungsmerkmalen<br />
aufbaut, den vom Gesetz vorgeschriebenen Gebührenrahmen<br />
voll ausschöpft und zudem einfach und überschaubar ist. Das<br />
Baumgärtelsche Punktesystem sieht die Berücksichtigung aller<br />
Umstände, insbesondere die Berücksichtigung der besonderen tatsächlichen<br />
und rechtlichen Schwierigkeiten, des Umfanges der Tätigkeit<br />
des Verteidigers sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse<br />
des Betroffenen vor (wird ausgeführt).<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Werner Karlin, Waldkirch<br />
BRAGO § 84 Abs. 2, § 105, § 12<br />
1. Auch bei Einstellung eines Bußgeldverfahrens vor der Ordnungsbehörde<br />
kommt § 84 Abs. 2 BRAGO zur Anwendung.<br />
2. Regelmäßig ist die Mittelgebühr ersatzfähig.<br />
(LS der Redaktion)<br />
AG Donaueschingen, Beschl. v. 11.10.1996 – 4 OWi 137/96<br />
Aus den Gründen: Am 1.7.1996 erging gegen ... ein Bußgeldbescheid<br />
des Ordnungsamtes der Stadt D. In diesem wurde dem<br />
Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen.<br />
Hiergegen ließ der Betroffene durch seinen Verteidiger, Rechtsanwalt<br />
K., Einspruch einlegen. Mit Schreiben vom 12.7.1996 wies<br />
Rechtsanwalt K. darauf hin, daß die vom ermittelnden Beamten<br />
ausgesprochene Vermutung, daß der Betroffene der Fahrzeugführer<br />
sei, nicht ausreichend sei. Des weiteren wurde Verfahrenseinstellung<br />
beantragt. Am 22.8.1996 stellte daraufhin das Ordnungsamt<br />
der Stadt D. das Verfahren ein.<br />
Mit Schriftsatz vom 3.9.1996 machte Rechtsanwalt K. beim<br />
Ordnungsamt seine Auslagen geltend. Unter anderem begehrte er,<br />
eine Gebühr gem. §§ 105 III, 84 II BRAGO in Höhe von<br />
500,00 DM festzusetzen. Durch Kostenentscheidung der Bußgeldstelle<br />
der Stadt D. vom 11.9.1996 wurde Rechtsanwalt K. eine Mittelgebühr<br />
gem. §§ 105 II, 83 I Nr. 3 BRAGO in Höhe von<br />
350,00 DM zugesprochen. Hierauf beantragte Rechtsanwalt K.<br />
gegen die Kostenentscheidung gerichtliche Entscheidung.<br />
Der gem. §§ 108, 62 OWiG zulässige Antrag ist begründet.<br />
Gemäß § 105 III BRAGO richten sich die Gebühren des Rechtsanwalts<br />
nach dem sechsten Abschnitt der BRAGO. Unmittelbar<br />
kommt hierdurch § 84 BRAGO zur Anwendung (§ 83 ist nicht<br />
direkt, sondern nur aufgrund einer Verweisung anwendbar, da sich<br />
diese Vorschrift auf den ersten Rechtszug und nicht auf das Verfahren<br />
vor der Verwaltungsbehörde bezieht). § 84 II BRAGO und<br />
nicht Absatz 1 dieser Vorschrift findet Anwendung, da das Verfahren<br />
durch Einstellungsverfügung der Stadt D. vom 22.8.1996 endgültig<br />
eingestellt wurde. Aufgrund dessen richtet sich die Vergütung<br />
wegen des Verweises in § 84 II BRAGO nach § 83 I Nr. 3<br />
BRAGO, da ein Beitrag des Verteidigers zur Förderung des Verfahrens<br />
ersichtlich ist. Gemäß §§ 84 III, 83 I Nr. 3 BRAGO reicht der<br />
Gebührenrahmen von 100,00 bis 1.300,00 DM. Regelmäßig ist<br />
hiervon die Mittelgebühr ersatzfähig. Sie wird wie folgt berechnet:<br />
100,00 DM + 1.300,00 DM = 1.400,00 DM: 2 = 700,00 DM. Da<br />
Rechtsanwalt K. nur 500,00 DM in Ansatz brachte, ist seine Berechnung<br />
nicht überhöht. Ihm sind folgende notwendige Auslagen<br />
zu ersetzen:<br />
Gebühr §§ 105 III, 84 II BRAGO: 500,00 DM<br />
Post-/Telekommunikationsentgelt § 26 BRAGO: 30,00 DM<br />
7 Kopien § 27 BRAGO: 7,00 DM<br />
Zwischensumme netto: 537,00 DM<br />
zzgl. 15 % Umsatzsteuer § 25 BRAGO: 80,55 DM<br />
Summe: 617,55 DM<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Werner Karlin, Waldkirch<br />
BRAGO § 86, § 100 Abs. 1 Satz 1; StPO § 467Abs. 1<br />
Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung fest, daß dem Verteidiger<br />
für die Revisionsinstanz keine Gebühr nach § 86 BRAGO<br />
zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft die Revision zurücknimmt,<br />
ohne das Rechtsmittel zuvor begründet zu haben.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 29.4.1998 – 1 Ws 913 – 914/97<br />
Aus den Gründen: Gebührenansprüche für das Revisionsverfahren<br />
gemäß §§ 100 Abs. 1 Satz 1, 86 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BRA-<br />
GO sind den Rechtsanwälten R und D nicht entstanden. Es entspricht<br />
der st. Rspr. des Senats, daß dem Verteidiger für eine<br />
eventuelle Tätigkeit in der Revisionsinstanz keine Gebühr nach<br />
§ 86 BRAGO zusteht, wenn die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt,<br />
das Rechtsmittel in der Folgezeit aber ohne vorherige Begründung<br />
wieder zurückgenommen hat (vgl. Senatsbeschluß v. 5.9.1989<br />
– 1 Ws 759/89 –, abgedruckt in NStE § 97 BRAGO Nr. 5; ferner<br />
OLG Köln in OLGSt § 86 BRAGO Nr. 2 und OLG Koblenz in<br />
OLGSt § 86 BRAGO Nr. 3, sämtlich m. w. N.). An dieser Auffassung<br />
hält der Senat nach erneuter Überprüfung fest. Erst die Revisionsrechtfertigung<br />
zeigt Umfang und Zielrichtung des Rechtsmittels<br />
auf und gibt dem Angekl und dem Verteidiger die<br />
Möglichkeit, sich sinnvoll auf das weitere Verfahren und die relevanten<br />
Rechtsprobleme einzustellen. Deshalb ist eine vorherige<br />
Tätigkeit des Rechtsanwalts weder notwendig noch sinnvoll. Das<br />
gilt um so mehr, als eine Revision der Staatsanwaltschaft häufig<br />
nur vorsorglich eingelegt und nach Vorliegen des schriftlichen Ur-
612<br />
l<br />
teils wieder zurückgenommen wird, wie es auch hier geschehen<br />
ist. Zu verweisen ist in diesem Zusammenhang ferner auf die gesetzliche<br />
Regelung des § 347 Abs. 1 Satz 1 StPO. Hiernach ist die<br />
Revisionsschrift dem Gegner erst zuzustellen, wenn die Revision<br />
rechtzeitig eingelegt und die Revisionsanträge rechtzeitig und in<br />
der vorgeschriebenen Form angebracht sind. Daraus folgt, daß der<br />
Gegner erst dann von Amts wegen von der Revisionseinlegung in<br />
Kenntnis gesetzt werden muß, wenn das Gericht, dessen Urteil angefochten<br />
wird, bei der ihm obliegenden Vorprüfung die Revision<br />
als zulässig erachtet und das Rechtsmittel nicht nach § 346 Abs. 1<br />
StPO verworfen hat. Dies belegt auch von Gesetzes wegen, daß<br />
aus der Sicht eines verständigen Verteidigers im Revisionsverfahren<br />
weder Notwendigkeit noch Anlaß besteht, vor der Begründung<br />
der von der Staatsanwaltschaft eingelegten Revision eine anwaltliche<br />
Tätigkeit zu entfalten. Mangels Kenntnis des Umfangs und der<br />
Zielrichtung der Revision nebst der innewohnenden rechtlichen<br />
Problematik ist sie zu diesem Zeitpunkt offensichtlich überflüssig<br />
und nicht geeignet, das Revisionsverfahren zu fördern oder in irgendeiner<br />
Weise zu beeinflussen. Voraussetzung für die Entstehung<br />
einer Gebühr kann aber immer nur eine prozessual sinnvolle Tätigkeit<br />
des Verteidigers sein. Daran ändert nichts, daß dieser – wie<br />
hier – regelmäßig mit der Übersendung der Urteilsausfertigung davon<br />
in Kenntnis gesetzt wird, daß die Staatsanwaltschaft das Urteil<br />
mit der Revision angefochten hat. Er muß dann die weitere Entwicklung<br />
und insbesondere abwarten, ob die Revision begründet<br />
wird. Erst dann kann er jedenfalls aus gebührenrechtlicher Sicht<br />
prozessual sinnvoll und zweckdienlich tätig werden. Eine sachgemäße<br />
Verteidigung macht es bei Revisionseinlegung ohne Begründung<br />
allenfalls erforderlich, dem Mandanten die Gesichtspunkte<br />
darzulegen, die die Staatsanwaltschaft zu diesem Schritt bewogen<br />
haben mögen, und ihm anzuraten, mit einer Reaktion bis zum Eingang<br />
der Rechtsmittelrechtfertigung zu warten. Diese Beratung<br />
aber ist – ebenso wie die eventuell „zur Beruhigung“ des Mandanten<br />
angezeigte Besprechung über mögliche Erfolgsaussichten der<br />
Revision – mit den Gebühren für die Vorinstanz abgegolten (vgl.<br />
OLG Köln, aaO). Denn der Verteidiger, der bereits in der Vorinstanz<br />
tätig war, verfügt bereits aus diesem Rechtszug über die insoweit<br />
notwendigen Kenntnisse.<br />
Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.<br />
Der abweichenden Auffassung des OLG Stuttgart (vgl. DAR<br />
1994, 86/87) kann nicht gefolgt werden. Die Entscheidung trägt<br />
den aufgezeigten Zusammenhängen zwischen Verfahrens- und Gebührenrecht<br />
nicht hinreichend Rechnung und ist mit den Voraussetzungen<br />
der Entstehung gebührenrechtlicher Ansprüche auf der<br />
Grundlage einer sinnvollen prozessualen Tätigkeit schwerlich vereinbar.<br />
Sie bietet deshalb keine Veranlassung, von der st. Rspr. des<br />
Senats abzurücken.<br />
2. Soweit sich die die Wahlverteidigergebühren des Rechtsanwalts<br />
D betreffende Beschwerde gegen die Kürzung der für<br />
die Wahrnehmung der Hauptverhandlungstermine v. 9., 11., 19.,<br />
23.12.1996 und 2.1.1997 erstattet verlangten Gebühren richtet, ist<br />
sie aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses<br />
und der Vorlageentscheidung der Strafkammer unbegründet. Die<br />
festgesetzten Gebühren für diese Terminstage tragen den Kriterien<br />
der Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO Rechnung. Zu Recht<br />
hat die Rechtspflegerin insoweit auch auf die zeitliche Dauer des<br />
jeweiligen Termins abgestellt und entsprechend differenziert. Im<br />
übrigen überschreiten die Gebührensätze des Rechtsanwalts D hinsichtlich<br />
der fraglichen Termine die Grenze von 20 %, bis zu deren<br />
Höhe eine unbillige Gebührenbestimmung nicht vorliegt (vgl. Senatsbeschluß<br />
v. 6.12.1988 – 1 Ws 1157/88 – in NStE § 12 BRAGO<br />
Nr. 2; ferner OLG Düsseldorf – 2. Strafsenat – 2 Ws 617/89 in<br />
NStE § 12 BRAGO Nr. 4 m. w. N.).<br />
Mitgeteilt von VRiOLG Gotthard Schröter, Düsseldorf<br />
BRAGO § 99<br />
Allein der Umstand, daß der Wahlverteidiger, „neben“ dem der<br />
Pflichtverteidiger verteidigt hat, „federführend“ die Verteidigung<br />
bearbeitet hat, führt nicht zur Verneinung des Merkmals<br />
„besondere Schwierigkeit“ i. S.v. § 99 Abs. 1 BRAGO<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 18.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 122/98<br />
AnwBl 11/98<br />
Rechtsprechung<br />
Aus den Gründen: II. Dem Antragsteller war – entgegen der<br />
Stellungnahme des Leiters des Dezernats – gemäß § 99 BRAGO<br />
eine Pauschvergütung zu bewilligen, da er in einer sowohl „besonders<br />
schwierigen“ als auch „besonders umfangreichen“ Sache tätig<br />
geworden ist.<br />
Der Senat vermag sich der Einschätzung des Leiters des Dezernats<br />
10 in seiner o. a. Stellungnahme, es habe sich nicht um eine<br />
„besonders schwierige“ Sache im Sinn von § 99 Abs. 1 BRAGO<br />
gehandelt, nicht anzuschließen. Diese stützt sich auf die Auffassung<br />
des Vorsitzenden der Strafkammer, der zu dem Pauschvergütungsantrag<br />
dahin Stellung genommen hat, daß die Sache für den<br />
Pflichtverteidiger keine besonderen Schwierigkeiten geboten habe:<br />
„Rechtsanwalt G war Pflichtverteidiger neben dem Wahlverteidiger<br />
Rechtsanwalt R, der die Verteidigung federführend bearbeitet hat“.<br />
Zwar schließt sich der Senat grundsätzlich der Einschätzung des<br />
Gerichtsvorsitzenden an (vgl. zur insoweit st. Rspr. des Senats u. a.<br />
Beschl. v. 13.2.1998 – 2 (s) 4-260 bis 262/97). Von diesem Grundsatz<br />
ist vorliegend jedoch eine Ausnahme zu machen. Allein der<br />
Umstand, daß der Wahlverteidiger, „neben“ dem der Pflichtverteidiger<br />
verteidigt hat, „federführend“ die Verteidigung bearbeitet hat,<br />
führt nicht zur Verneinung des Merkmals „besondere Schwierigkeit“.<br />
Das gilt insbesondere dann, wenn – wie vorliegend – nicht<br />
alltäglich auftretende, tatsächlich und rechtlich schwierige Fragen<br />
des Außenwirtschaftsgesetzes den Verfahrensgegenstand bilden, in<br />
die sich auch der Pflichtverteidiger, will er die Pflichtverteidigung<br />
im Interesse des Angekl ordnungsgemäß, führen, einarbeiten muß.<br />
Daß der Antragsteller dies nicht getan hat, läßt sich den dem Senat<br />
vorliegenden Akten nicht entnehmen.<br />
Darüber hinaus ist der Antragsteller nach Auffassung des Senats<br />
auch in einem im Sinn des § 99 Abs. 1 BRAGO „besonders<br />
umfangreichen“ Verfahren tätig geworden. Bei der Beurteilung dieser<br />
Frage verkennt der Senat zwar nicht, daß die Hauptverhandlungstermine,<br />
an denen der Antragsteller teilgenommen hat, teilweise<br />
nur erheblich unterdurchschnittlich lang waren und die<br />
Termine mit einem Termin/Woche auch nur locker terminiert waren.<br />
Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß der Antragsteller<br />
dem ehemaligen Angekl erst im ersten Hauptverhandlungstermin<br />
beigeordnet worden ist und er sich deshalb während laufender<br />
Hauptverhandlung in den umfangreichen Prozeßstoff hat einarbeiten<br />
müssen. Insoweit kann er auch nicht darauf verwiesen werden,<br />
er sei, was er selbst vor seiner Beiordnung erklärt habe, über den<br />
Verfahrensstand und den Prozeßstoff informiert gewesen, die insoweit<br />
als Wahlverteidiger entfalteten Tätigkeiten seien im Rahmen<br />
der Pauschvergütung nicht zu berücksichtigen. Denn abgesehen davon,<br />
daß nicht ersichtlich ist, daß der Antragsteller vor der Übernahme<br />
der Pflichtverteidiger überhaupt als Wahlverteidiger mandatiert<br />
war, besagt die von ihm abgegebene Erklärung nicht, daß er<br />
sich bereits vor der Beiordnung in das umfangreiche Aktenmaterial<br />
eingearbeitet hatte. Vielmehr geht der Senat – entsprechend dem<br />
Inhalt der Erwiderung des Antragstellers vom 16.6.1998 – davon<br />
aus, daß allein eine Information über den Verfahrensgegenstand<br />
nicht ausreichend, die Tätigkeit als Pflichtverteidiger ordnungsgemäß<br />
wahrzunehmen und der Antragsteller sich zusätzlich weiter in<br />
das umfangreiche Aktenmaterial hat einarbeiten müssen und eingearbeitet<br />
hat. Diese Tätigkeit wird nicht vollständig durch die teilweise<br />
kurzen Hauptverhandlungstermine kompensiert, zumal deren<br />
durchschnittliche Dauer immerhin fast fünf Stunden betragen hat.<br />
Bei der Bemessung der demnach zu bewilligen Pauschvergütung<br />
hat der Senat, da der Antrag des Antragstellers nicht eindeutig<br />
ist, dessen Antrag wie folgt ausgelegt: Der Antragsteller hat eine<br />
Pauschvergütung von 3.695,50 DM beantragt. Dieser als Pauschvergütung<br />
geltend gemachte Betrag entspricht genau dem Betrag<br />
entspricht, der bisher schon gesetzlichen Gebühren, Auslagen und<br />
Mehrwertsteuer festgesetzt und gezahlt worden ist. Dies läßt nach<br />
Auffassung des Senats den Schluß zu, daß der Antragsteller zusätzlich<br />
zu den ihm zustehenden gesetzlichen Gebühren und Auslagen<br />
nochmals den ihm bereits bewilligten Betrag als Pauschvergütung<br />
beantragt hat.<br />
Unter Zugrundelegung der dem Antragsteller zustehenden gesetzlichen<br />
Gebühren von insgesamt 3.140 DM erschien dem Senat<br />
hier ein Pauschvergütung von 4.200 DM, womit die Mittelgebühr<br />
leicht überschritten ist, ausreichend und angemessen. Bei der Bemessung<br />
hat der Senat alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere<br />
auch die teilweise nur geringe Dauer der Hauptverhandlungstermine,<br />
berücksichtigt.
AnwBl 11/98 613<br />
Rechtsprechung l<br />
Demgemäß war der weitergehende Antrag abzulehnen. Eine<br />
Pauschvergütung in Höhe oder etwa in Höhe der Wahlverteidigerhöchstgebühren<br />
kommt nach st. Rspr. des Senats nur dann in Betracht,<br />
wenn der Antragsteller durch die Tätigkeit im Verfahren<br />
über einen längeren Zeitraum ausschließlich oder fast auschließlich<br />
in Anspruch genommen worden wäre (vgl. u. a. zuletzt Senat in<br />
JurBüro 1997, 84). Das ist hier aber, was angesichts der überschaubaren<br />
Verfahrensdauer keiner näheren Darlegung bedarf, nicht der<br />
Fall.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />
BRAGO § 99<br />
Zur Gewährung eines weiteren Vorschusses auf eine demnächst<br />
gem. § 99 BRAGO zu bewilligende Pauschvergütung.<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 8.1.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 248/97<br />
Aus den Gründen: Der Antragsteller war seit dem 7.6.1994 zunächst<br />
als Wahlverteidiger des Angekl B. tätig und ist danach seit<br />
seiner Bestellung am 6.2.1996 als Pflichtverteidiger in einem besonders<br />
umfangreichen und besonders schwierigen Wirtschaftsstrafverfahren<br />
tätig.<br />
Durch Senatsbeschl. v. 22.5.1997 (2 (s) Sbd. 5 – 90/97) ist dem<br />
Antragsteller insbesondere im Hinblick auf seine Tätigkeit ab Beginn<br />
der Hauptverhandlung am 26.4.1996 ein Vorschuß in Höhe<br />
von 15.000,– DM auf eine demnächst zu bewilligende Pauschvergütung<br />
gewährt worden. In jenem Beschluß, auf den Bezug genommen<br />
und auf den verwiesen wird, hat der Senat auch auf die<br />
Grundsätze und Kriterien hingewiesen, nach denen auch ohne eine<br />
entsprechende gesetzliche Bestimmung ganz ausnahmsweise ein<br />
Vorschuß auf eine künftige Pauschvergütung bewilligt werden<br />
kann.<br />
Mit Schriftsatz vom 4.11.1997, auf den ebenfalls verwiesen<br />
wird, hat der Antragsteller mit näheren Ausführungen beantragt,<br />
ihm eine weitere Vorschußzahlung auf eine Pauschvergütung in<br />
Höhe von 25.000,- DM zu bewilligen. Diesen Antrag hält der Senat<br />
unter weiterem Festhalten an den bislang vielfach dargelegten<br />
Grundsätzen für die Bewilligung eines Vorschusses auf eine künftige<br />
Pauschvergütung – im Ergebnis entsprechend der dem Antragsteller<br />
bekanntgegebenen Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse<br />
vom 1.12.1997 – jedenfalls zum Teil für begründet.<br />
Der Antragsteller hat seinen Arbeitsaufwand für das vorliegende<br />
Verfahren und die sich daraus ergebende besondere Härte bei<br />
Versagung eines – weiteren – Vorschusses auf eine Pauschvergütung<br />
noch hinreichend dargelegt. Unter Berücksichtigung aller<br />
Umstände hält der Senat bereits jetzt zum Ausgleich für die unbillige<br />
Härte, die bei Versagung einer erneuten Abschlagszahlung auf<br />
eine spätere Pauschvergütung entstehen würde, die Bewilligung<br />
eines weiteren Vorschusses von 10.000,- DM für angemessen.<br />
Dieser Betrag ergibt sich insbesondere aus folgenden Erwägungen:<br />
Seit der letzten Bewilligung eines Vorschusses durch Senatsbeschl.<br />
v. 22.5.1997 hat der Antragsteller bis zum 4.11.1997 an<br />
weiteren 27 Hauptverhandlungstagen teilgenommen und seitdem<br />
bis heute, dem für die Bemessung maßgeblichen Zeitpunkt, an<br />
maximal weiteren 14 Hauptverhandlungstagen, insgesamt also an<br />
41 Hauptverhandlungstagen. Bei dem Bemessungsmaßstab, den<br />
der Senat bei der Bewilligung eines Vorschusses bislang angelegt<br />
hat und von dem abzuweichen kein Anlaß besteht, bedeutet dies,<br />
daß unter Zugrundelegung eines weiteren Arbeitstages pro Sitzungswoche<br />
mit zwei Hauptverhandlungstagen und bei Orientierung<br />
an der einem Pflichtverteidiger zustehenden Gebühr für einen<br />
weiteren Hauptverhandlungstag sich jetzt rechnerisch ein zusätzlicher<br />
Betrag ergäbe, der noch etwas unter der nunmehr festgesetzten<br />
weiteren Vorschußzahlung läge.<br />
Unter weiterer Berücksichtigung der Voraussetzung, daß die<br />
Höhe der bewilligten Vorschüsse durch den Gang des weiteren Verfahrens<br />
vermutlich nicht mehr nach unten beeinflußt werden kann<br />
und unter weiterem Festhalten daran, daß die Höchstgebühren eines<br />
Wahlverteidigers in der Regel die Obergrenze der Pauschvergütung<br />
darstellen und dieser Betrag jedenfalls im Rahmen einer –<br />
vom Gesetz nicht vorgesehenen – Vorschußbewilligung nicht erreicht<br />
oder gar überschritten werden soll (vgl. Senatsbeschl. v.<br />
20.8.1997 in 2 (s) Sbd. 5 – 146/97 betreffend den weiteren Pflichtverteidiger<br />
des Angekl B., Rechtsanwalt Z.), steht der jetzt festgesetzte<br />
weitere Vorschußbetrag auch in angemessenem Verhältnis zu<br />
der Höhe der bereits erfolgten Bewilligungen von Vorschüssen und<br />
weiteren Vorschüssen in vergleichbaren Fällen auch im vorliegenden<br />
Verfahren.<br />
Unter Ablehnung des der Höhe nach weitergehenden Antrags<br />
ist dieser Betrag von 10.000,– DM daher – neben bereits entstandenen<br />
und künftig entstehenden Ansprüchen auf gesetzliche Gebühren<br />
und Auslagen sowie Vorschüsse auf diese sowie zusätzlich<br />
zum bereits bewilligten Vorschuß auf eine Pauschvergütung festgesetzt<br />
worden.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />
BRAGO § 99<br />
Bei der Gewährung eines – ausnahmsweise – zu bewilligenden<br />
Vorschusses auf eine demnächst gem. § 99 BRAGO zu gewährende<br />
Pauschvergütung ist zu berücksichtigen, daß das nach der<br />
Rechtsprechung des BVerfG dem Pflichtverteidiger zugunsten<br />
des Gemeinwohls auferlegte Sonderopfer nicht so groß werden<br />
darf, daß die finanziellen Einbußen des Rechtsanwalts unter Berücksichtigung<br />
der von ihm erbrachten Tätigkeiten unverhältnismäßig<br />
werden.<br />
Ist das Verfahren gegen den Mandanten endgültig erledigt, wird<br />
es aber gegen andere Angekl noch fortgeführt, kann dem<br />
Pauschvergütungsanspruch des Verteidigers, der Pflichtverteidiger<br />
des ausgeschiedenen Angekl ist, nicht entgegengehalten werden,<br />
die Akten seien wegen der Fortführung des Verfahrens<br />
nicht entbehrlich. Zumindest ist diesem Pflichtverteidiger dann<br />
ein Vorschuß auf einem demnächst zu gewährende Pauschvergütung<br />
zu bewilligen.<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 10.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 64 bis 70/98<br />
Aus den Gründen: 1. Der Senat hat in der Vergangenheit bereits<br />
wiederholt entschieden, daß Bewilligung eines Vorschusses<br />
auf eine demnächst etwa zu gewähre Pauschvergütung nur in Ausnahmefällen<br />
und in der Regel nur unter den besonderen Voraussetzungen<br />
in Betracht kommt, daß der Pflichtverteidiger in einem sogenannten<br />
„Monsterverfahren“ tätig geworden ist, er infolge des<br />
außergewöhnlichen Umfangs seiner Pflichtverteidigertätigkeit eine<br />
sehr lange Zeit hindurch an der Ausübung einer weiteren beruflichen<br />
Tätigkeit weitgehend gehindert war und die Versagung von<br />
Teilzahlungen auf eine voraussichtliche spätere Pauschvergütung<br />
als eine unzumutbare Härte für den Verteidiger erscheinen müßte,<br />
die ggf. bis zu existentiellen Konsequenzen führen könnte (st.<br />
Rspr. des Senats, vgl. u. a. Beschl. v. 25.4.1996 – 2(s) Sbd. 4-49/96<br />
in ZAP EN-Nr. 474/96 = Anwalts-Gebühren-Spezial 1996, 125 mit<br />
Anmerkung Madert; siehe auch Beschl. v. 20.8.1997 – 2 (s) Sbd.<br />
5.146/97 in AnwBl 1998, 219, jeweils m. w. N.). Ferner muß bereits<br />
im gegenwärtigen Verfahrensstadium eine Pauschvergütung<br />
unabhängig vom weiteren Verlauf des noch nicht abgeschlossenen<br />
Verfahrens mit großer Sicherheit zu erwarten sein und auch die<br />
Höhe des Vorschusses durch den Gang des weiteren Verfahrens<br />
voraussichtlich nicht mehr nach unten beeinflußt werden können.<br />
An dieser Rechtsprechung, die darauf beruht, daß die BRAGO<br />
auch nach den Änderungen durch das Kostenrechtsänderungsgesetz<br />
v. 24.6.1994. (BGBl. I, Seite 1325) einen Vorschuß auf eine<br />
Pauschvergütung nicht vorsieht, hält der Senat grundsätzlich fest.<br />
Danach wird also eine Vorschußzahlung nur in Ausnahmefällen in<br />
Betracht kommen, wobei allerdings zu berücksichtigen sein wird,<br />
daß das nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 68, 237,<br />
245, 255) dem (Pflicht-) Verteidiger zugunsten des Gemeinwohls<br />
auferlegte (Sonder-) Opfer nicht so groß werden darf, daß die finanziellen<br />
Einbußen des Rechtsanwalt unter Berücksichtigung der<br />
von ihm erbrachten Tätigkeiten unverhältnismäßig werden. Deshalb<br />
geht der Senat davon aus, daß in (Umfangs-) Verfahren wie<br />
dem vorliegenden, wenn die übrigen o. a. Voraussetzungen gegeben<br />
sind, in der Regel nach etwa einem Jahr und/oder rund 50<br />
Hauptverhandlungstagen die Gewährung eines Vorschusses in Betracht<br />
kommen kann.
614<br />
l<br />
Nach den o. a. Grundsätzen ist damit vorliegend – entgegen der<br />
o. a. Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 – den gestellten<br />
Vorschußanträgen stattzugeben. Es handelt sich um ein sehr umfangreiches<br />
und – entsprechend der Stellungnahme des Gerichtsvorsitzenden,<br />
der sich der Senat derzeit anschließt – auch um ein –<br />
zumindest – schwieriges Verfahren, das die Arbeitszeit der Antragsteller<br />
in erheblichem Umfang in Anspruch nimmt. Sie sind i. d. R.<br />
an zwei Tagen/Woche durch die Teilnahme an den Hauptverhandlungsterminen<br />
ausgelastet, zumindest einen weiteren Tag müssen<br />
sie zur Vorbereitung und/oder Nachbereitung der Hauptverhandlung<br />
aufwenden. Damit müssen sie an drei Arbeitstagen/Woche<br />
dem Verfahren zur Verfügung stehen und können in dieser Zeit, die<br />
mehr als die Hälfte der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit<br />
ausmacht, anderen beruflichen Tätigkeiten nicht nachgehen. Stellt<br />
man dieser Belastung die den Antragstellern bislang zustehenden<br />
gesetzlichen Gebühren von 18.000 bis 19.000 DM gegenüber, ergibt<br />
sich eine Einnahme von rund 115 bzw. 120 DM/Tag. Das ist,<br />
auch unter Berücksichtigung der teilweise nur geringen/unterdurchschnittlichen<br />
Verhandlungsdauer, nach Auffassung des Senats im<br />
Sinn der o. a. Ausführungen unzumutbar.<br />
Der Senat hat auch keine Zweifel, daß das Verfahren in seinem<br />
weiteren Verlauf „besonders umfangreich“ bleiben wird. Dafür<br />
sprechen schon der bislang mitgeteilte Umfang des vorliegenden<br />
Aktenmaterials sowie auch die weiteren terminierten Hauptverhandlungstage.<br />
Unter Berücksichtigung aller, derzeit erkennbaren Umstände<br />
des Einzelfalls erschien dem Senat bei allen Antragstellern, die die<br />
Gewährung eines Vorschusses beantragt haben, unter Anwendung<br />
des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Bewilligung eines Vorschusses<br />
von jeweils 10.000 DM angemessen. Dabei hat der Senat<br />
sich an der einem Pflichtverteidiger für einen weiteren Hauptverhandlungstag/Woche<br />
zustehenden Gebühr orientiert und außerdem<br />
mit in Erwägung gezogen, daß die Pauschvergütungen voraussichtlich<br />
nicht mehr nach unter beeinflußt werden können (vgl. auch<br />
Beschl. des Senats v. 10.1.1997 – 2 (s) Sbd. 5-220/97 – StraFo<br />
1997, 95 – und Beschl. v. 3.2.1997 – 2 (s) Sbd. 5-47/97). Dafür<br />
spricht schon der bisherige erhebliche Umfang des Verfahrens.<br />
Die weitergehenden, erheblich über die bewilligten 10.000 DM<br />
hinausgehenden Anträge waren demgemäß abzulehnen.<br />
2. Nach den vorstehenden Ausführungen war den Rechtsanwälten<br />
Sch und B gem. § 99 Abs. 1 BRAGO ein Pauschvergütung zu<br />
bewilligen.<br />
Insoweit weist der Senat zunächst darauf hin, daß – entgegen<br />
der Auffassung des Leiters des Dezernats – gegenüber den geltend<br />
gemachten Pauschvergütungsansprüchen nicht darauf verwiesen<br />
werden kann, die erforderliche Gesamtschau des Verfahrens sei<br />
wegen der Fortführung des Verfahrens und den deshalb nicht zur<br />
Verfügung stehenden Akten nicht möglich, weshalb die Gewährung<br />
von Pauschvergütungen abzulehnen sei. Denn mit der endgültigen<br />
Einstellung des Verfahrens gegen die ehemalige Angekl K<br />
Sch ist die den Antragstellern Sch und B zu vergütende Tätigkeit<br />
abgeschlossen. Damit steht ihnen nach st. Rspr. des Senats der<br />
Pauschvergütungsanspruch zu. Daß das Verfahren gegen die übrigen<br />
Angekl fortgeführt und deshalb die Akten nur schwer oder<br />
überhaupt nicht entbehrlich sind, kann nicht zu Lasten dieser Antragsteller<br />
gehen. Ihnen kann nicht zugemutet werden, ggf. bis<br />
zum rechtskräftigen, derzeit überhaupt nicht absehbaren Abschluß<br />
des Verfahrens gegen alle Angekl, der sich noch mehrere Jahre<br />
hinziehen kann, auf die Gewährung einer Pauschvergütung zu warten.<br />
Vielmehr muß durch geeignete Maßnahmen, ggf. kurzfristige<br />
Akteneinsicht o. ä., sichergestellt werden, daß möglichst zeitnah<br />
über die gestellten Anträge entschieden werden kann.<br />
Der Senat hat vorliegend jedoch davon abgesehen, selbst die<br />
gesamten Verfahrensakten, etwa in der bevorstehenden Sommerpause,<br />
beizuziehen. Er hat vielmehr die Anregung von Rechtsanwalt<br />
Sch in dessen Erwiderung v. 2.6.1998 auf die Stellungnahme<br />
des Leiters des Dezernats 10 aufgegriffen und – nach dem derzeitigen<br />
Erkenntnisstand – über die Gewährung einer Pauschvergütung<br />
entschieden. Für diese Vorgehensweise sprach insbesondere auch,<br />
daß den anderen Verteidigern Vorschüsse auf demnächst zu bewilligende<br />
Pauschvergütungen gewährt worden sind. Eine abschließende<br />
Entscheidung über die gestellten Anträge wird erfolgen, sobald<br />
die Verfahren gegen alle Angekl abgeschlossen sind.<br />
AnwBl 11/98<br />
Rechtsprechung<br />
Auf der Grundlage der obigen Ausführungen waren Rechtsanwalt<br />
Sch und Rechtsanwalt B Pauschvergütungen zu bewilligen, da<br />
sie in einem zumindest -„besonders umfangreichen“ Verfahren tätig<br />
geworden sind. Ob das Verfahren auch „besonders schwierig“<br />
war, vermag der Senat derzeit nicht abschließend zu beurteilen.<br />
Bei der Bemessung der Pauschvergütungen hat der Senat alle<br />
derzeit erkennbaren Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Das<br />
waren insbesondere die zahlreichen Hauptverhandlungstermine,<br />
die jedoch teilweise nur von unterdurchschnittlicher Dauer waren.<br />
Berücksichtigt hat der Senat neben der langen Verfahrensdauer<br />
vor allem auch, daß die Antragsteller neben der Teilnahme an den<br />
38 bzw. 37 Hauptverhandlungsterminen ebenfalls mindestens einen<br />
Tag/Woche zur Vor- bzw. Nachbereitung benötigt haben. Insgesamt<br />
erschien – unter Berücksichtigung der den Antragsteller zustehenden<br />
gesetzlichen Gebühren von rund 14.000 DM – eine Pauschvergütung<br />
von jeweils 25.000 DM derzeit angemessen.<br />
Darüber hinaus konnte derzeit eine Pauschvergütung nicht gewährt<br />
werden. Insoweit weist der Senat aber schon darauf hin, daß<br />
nach seinem derzeitigen Erkenntnisstand kaum für jeden Verhandlungstag<br />
Gebühren in Höhe der von den Antragstellern geltend gemachten<br />
Wahlverteidigerhöchstgebühren von 1.520 DM in Betracht<br />
kommen dürften. Grds. kann zwar nach st. Rspr. des Senats die<br />
einem Pflichtverteidiger nach § 99 Abs. 1 BRAGO zu gewährende<br />
Pauschvergütung auch die Höchstgebühren eines Wahlanwalts erreichen.<br />
Das kommt aber nach ebenfalls st. Rspr. des Senats nur in<br />
Betracht, wenn das Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger<br />
beigeordnet wurde, die Arbeitskraft des Rechtsanwalts<br />
über eine sehr lange Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in<br />
Anspruch genommen hat (vgl. Beschl. des Senats v. 16.9.1996 –<br />
2 (s) Sbd. 4-95 u. 96/96 – JurBüro 1997, 84 = StraFo 1997, 63).<br />
Das hat der Senat z. B. in einem Fall, in dem sich 120 Hauptverhandlungstage<br />
auf rund 11/2 Jahre verteilten, also die Hauptverhandlungstage<br />
mit etwa 1 bis 2 Hauptverhandlungen in der Woche<br />
nicht sehr dicht terminiert waren, und zudem die durchschnittliche<br />
Terminsdauer teilweise nur unterdurchschnittlich lang war, verneint.<br />
Das vorliegende Verfahren scheint damit vergleichbar zu<br />
sein. Eine abschließende Beurteilung behält der Senat sich jedoch<br />
für den bereits erwähnten späteren Zeitpunkt vor.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />
BRAGO § 99; StPO § 153 Abs. 2<br />
Hat ein Pflichtverteidiger auch noch nach einer gem. § 153<br />
Abs. 2 StPO erfolgten Einstellung des Verfahrens für seinen<br />
Mandanten Tätigkeiten erbracht, sind diese im Rahmen der Bewilligung<br />
einer Pauschvergütung nach § 99 BRAGO grundsätzlich<br />
nicht zu berücksichtigen.<br />
OLG Hamm, Beschl. v. 15.6.1998 – 2 (s) Sbd. 5 – 110/98<br />
Aus den Gründen: Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz v.<br />
9.6.1998 zur Begründung seines Antrags darauf hinweist, daß er<br />
auch noch nach der gem. § 153 Abs. 2 StPO erfolgten Einstellung<br />
des Strafverfahrens für die frühere Angekl im Zusammenhang mit<br />
Fragen der Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen tätig<br />
war, hat der Senat diese Tätigkeit im Rahmen der Bewilligung der<br />
Pauschvergütung nicht berücksichtigt. Nach dem eindeutigen Wortlaut<br />
des § 99 BRAGO ist in besonders umfangreichen und schwierigen<br />
Strafsachen dem gerichtlich bestellten Verteidiger eine<br />
Pauschvergütung zu bewilligen. So entspricht es der ständigen<br />
Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschl. v. 9.5.1997, 2 (s) Sbd. 5 –<br />
34 – 41/97, Beschl. v. 12.8.1997, 2 (s) Sbd. 5 – 109 – 113/97 und<br />
Beschl. v. 4.12.1997, 2 (s) Sbd. 5 – 211/97), daß die von einem<br />
Antragsteller vor seiner gerichtlichen Bestellung zum Pflichtverteidiger<br />
als Wahlverteidiger geleisteten Tätigkeiten im Rahmen der<br />
Bewilligung der Pauschvergütung nicht berücksichtigt werden.<br />
Gleiches muß für die Tätigkeit gelten, die ein Pflichtverteidiger<br />
nach Beendigung seiner Bestellung leistet. Nach allgemeiner Meinung<br />
endet die Pflichtverteidigerbestellung mit der Rechtskraft des<br />
Strafverfahrens, worauf auch bereits der 4. Strafsenat in seinem<br />
Beschl. v. 29.8.1996 (4 Ws 386/96) in diesem Verfahren hingewiesen<br />
hat. Lediglich für das Wiederaufnahmeverfahren ist die Fortgeltung<br />
der Pflichtverteidigerbestellung anerkannt. Auf die nach<br />
Rechtskraft des Strafverfahrens sonst erforderlichen Nachtragsent-
AnwBl 11/98 615<br />
Rechtsprechung l<br />
scheidungen soll sich die Bestellung nicht erstrecken (vgl. LR-<br />
Dünnebier, StPO, 23. Aufl., § 141 Rn. 39). Selbst wenn man zu der<br />
Auffassung neigt, daß der Angekl nicht nur in der Hauptverhandlung<br />
des Beistandes bedarf und deshalb hinsichtlich nachträglicher<br />
Entscheidungen eine differenzierte Auffassung vertritt (vgl. OLG<br />
Bamberg, StV 1985, 140), ist im vorliegenden Fall weder erkennbar<br />
noch vorgetragen, aus welchem Grunde ausnahmsweise die<br />
Fortgeltung der Beiordnung nach Einstellung des Strafverfahrens<br />
anzunehmen ist. Die von dem Antragsteller nach Einstellung des<br />
Strafverfahrens geleistete Tätigkeit, die im übrigen auch nicht im<br />
einzelnen dargetan ist, war mithin vorliegend im Rahmen der Bewilligung<br />
der Pauschvergütung nicht zu berücksichtigen.<br />
Mitgeteilt von Richter am OLG Detlef Burhoff, Ascheberg<br />
BGB § 1836<br />
1. Zur Frage der Vergütung eines Berufsbetreuers, der nicht<br />
Rechtsanwalt ist, bei Anwendung von § 1836 Abs. 1 BGB<br />
2. Für die Bemessung von Bürokosten des nicht anwaltlichen Betreuers<br />
sind weder Modellrechnungen noch die Umstände, die<br />
ein Büro mittleren Zuschnitts für einen Berufsbetreuer ausmachen<br />
sollen, allgemein anerkannt. Eine – quotale – Bemessung<br />
nach den Kosten von Rechtsanwaltskanzleien ist nicht möglich.<br />
3. Die Festsetzung eines Stundensatzes von 100 DM netto für<br />
einen nicht anwaltlichen Berufsbetreuer, der Politikwissenschaftler<br />
ist, ist nicht unangemessen niedrig.<br />
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.5.1998 – 4 W 31/98<br />
Aus den Gründen: 1. Das LG hat ausgeführt daß der Beschwerdeführer<br />
gerichtsbekannt Berufsbetreuer sei und der Betreute vermögend<br />
gewesen sei. Der Vergütungsanspruch richte sich deshalb<br />
nach § 1836 Abs. 1 i. V. m. § 1908 i BGB. Bei der Ermessensentscheidung<br />
über den Stundensatz sei zu beachten daß dem Betreuer<br />
sein Zeitaufwand, die anteiligen Büro- und Personalkosten für ein<br />
Büro mittleren Zuschnitts sowie die anfallende Mehrwertsteuer zu<br />
ersetzen seien. Daneben müsse die Vergütung ein angemessenes<br />
Honorar enthalten. Die Vergütungssätze nach § 1836 Abs. 2 BGB<br />
stellten insoweit lediglich eine Mindestvergütung dar. Nach diesen<br />
Grundsätzen würden in der Rechtsprechung für Rechtsanwälte als<br />
Berufsbetreuer überwiegend Vergütungssätze um ca. 200 DM pro<br />
Stunde für angemessen erachtet. Diese Stundensätze könnten auf<br />
den Beschwerdeführer allerdings nicht ohne weiteres übertragen<br />
werden. Das LG hat sodann unter Anwendung der Grundsätze der<br />
obergerichtlichen Rechtsprechung seine Schätzung dahin ausgeübt,<br />
daß es einen Nettostundensatz von 100 DM für angemessen hielt.<br />
2. Die Ausführungen des LG halten der rechtlichen Nachprüfung<br />
stand (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).<br />
a) Die Angemessenheit der Vergütung eines Berufsbetreuers –<br />
um einen solchen handelt es sich bei dem Beschwerdeführer –<br />
wird bestimmt durch den nachgewiesenen Zeitaufwand und die<br />
Honorare, die allgemein in der Berufsgruppe, welcher der Betreuer<br />
angehört, bezahlt werden. Gibt es solche Vergleichsbeträge nicht,<br />
kann auf die Honorierung ähnlicher Berufsgruppen mit gleicher<br />
Ausbildung zurückgegriffen werden. Hinzuzurechnen ist ein Risikozuschlag<br />
für freie Berufe (BayObLG FamRZ 1994, 124). Bei der<br />
Bemessung des Stundensatzes sind alle entstehenden Bürokosten,<br />
einschließlich Personalkosten und Mehrwertsteuer zu berücksichtigen.<br />
Abzustellen ist in diesem Zusammenhang nicht auf die konkret<br />
entstehenden Bürokosten des Betreuers, sondern auf die Kosten,<br />
die Berufsbetreuer üblicherweise für ein Büro mittleren Zuschnitts<br />
aufwenden (BayObLG FamRZ 1995, 692; OLG<br />
Schleswig, OLG-Report 1997 355, 356). Die Vergütung muß aber<br />
über den Ersatz von Kosten hinaus ein angemessenes Honorar für<br />
den Berufsbetreuer erbringen. Dabei gelten die Sätze des § 1836<br />
Abs. 2 BGB nicht; sie können lediglich eine Mindestvergütung darstellen,<br />
aber die Vergütung nach § 1836 Abs. 1 BGB nicht nach<br />
oben begrenzen (BayObLG FamRZ 1994, 124; BayObLG FamRZ<br />
1996, 1168, 1169).<br />
Bei der zu bewilligenden Vergütung sind als weitere Umstände<br />
zu berücksichtigen die Größe des Vermögens des Betreuten, die<br />
Bedeutung und die Schwierigkeit der dem Betreuer obliegenden<br />
Geschäfte und der sich hieraus ergebende Grad der Verantwortung<br />
(BayObLG FamRZ 1996, 1168, 1169; BayObLG FamRZ 1997,<br />
700).<br />
Für Rechtsanwälte, die als Berufsbetreuer tätig sind, hat der Senat<br />
für die Betreuung eines nicht mittellosen Betroffenen in der<br />
Regel einen Stundensatz von 200 DM einschließlich Mehrwertsteuer<br />
zugrunde gelegt und je nach den Umständen des Einzelfalles einen<br />
höheren oder auch niedrigeren Stundensatz gerechtfertigt gehalten<br />
(Beschl. v. 27.6.1997 – 4 W 30/97; vgl. auch BayObLG<br />
FamRZ 1997, 700).<br />
b) Vom Gericht der weiteren Beschwerde kann eine Ermessensentscheidung<br />
nur auf Rechtsfehler überprüft werden (§§ 27 Abs. 1<br />
FGG, 550 ZPO). Ein solcher liegt vor, wenn das Tatgericht sich des<br />
ihm zustehenden Ermessens nicht bewußt war, von ungenügenden<br />
oder verfahrenswidrig zustandegekommenen Feststellungen ausgegangen<br />
ist, wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat, der<br />
Bewertung relevanter Umstände unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt<br />
hat, gegen Denkgesetze verstoßen oder Erfahrungssätze nicht<br />
beachtet,. von seinem Ermessen einen dem Zweck der Ermächtigung<br />
nicht entsprechenden Gebrauch gemacht oder die gesetzlichen<br />
Grenzen des Ermessens überschritten hat (BGH FamRZ<br />
1990, 1097; BGH NJW-RR 1993, 795, 796).<br />
c) Eine Überprüfung anhand dieser Grundsätze läßt keine<br />
Rechtsfehler der landgerichtlichen Entscheidung erkennen.<br />
aa) Zutreffend hat das LG bei der Bemessung des Stundensatzes<br />
den vom Beschwerdeführer ermittelten Stundensatz von 173,75<br />
DM netto außer Ansatz gelassen. Zwar hat der Beschwerdeführer<br />
durch einen Steuerberater und Wirtschaftsprüfer anhand von Erfahrungswerten<br />
die Bürokosten ermitteln lassen. Dabei wurde aber offensichtlich<br />
die personelle und sachliche Ausstattung des Bürobetriebes<br />
des Kl zugrunde gelegt. Dies ergibt sich bereits aufgrund<br />
der Tatsache, daß drei angestellte Arbeitskräfte – ein Vollzeit-Arbeitsplatz<br />
und zwei Teilzeit-Arbeitsplätze – in die Ermittlung der<br />
Bürokosten eingeflossen sind. Wie jedoch der Beschwerdeführer<br />
selbst nicht verkennt, ist nicht auf die konkret entstehenden Bürokosten<br />
des Betreuers abzustellen, sondern auf die Kosten, die Berufsbetreuer<br />
üblicherweise für ein Büro mittleren Zuschnitts aufwenden<br />
(BayObLG FamRZ 1995, 692; BayObLG FamRZ 1996,<br />
1168, 1169). Für die Ermittlung der Bürokosten eines als Betreuer<br />
tätigen Rechtsanwaltes ist dabei anerkannt, daß auf Modellrechnungen<br />
bezüglich des Unkostenanteils am Gesamtumsatz von<br />
Rechtsanwaltskanzleien oder auf die vom statistischen Bundesamt<br />
ermittelten Zahlen für Einzelpraxen von Rechtsanwälten ohne Einzelpraxen<br />
für Fachanwälte zurückgegriffen werden kann (vgl.<br />
BayObLG FamRZ 1997, 700, 701). Bei einem nicht anwaltlichen<br />
Berufsbetreuer – wie vorliegend – sind die Bürokosten jedoch geringer.<br />
Das LG hat diesbezüglich aber auch bezüglich des Stundensatzes<br />
ohne Bürokosten eine Schätzung vorgenommen, wobei es<br />
sich an den in der Rechtsprechung zugrunde gelegten Stundensätzen<br />
orientiert hat. Diese Verfahrensweise ist nicht zu beanstanden,<br />
da Modellrechnungen bezüglich des Unkostenanteils und nicht einmal<br />
die Umstände, die ein Büro mittleren Zuschnitts für einen Berufsbetreuer<br />
ausmachen sollen, nicht allgemein anerkannt sind.<br />
Bei der vom LG vorgenommenen Schätzung konnten insbesondere<br />
die bereits vom Bayerischen Oberlandesgericht ausgeurteilten<br />
Stundensätze von 80 DM netto für einen Diplompädagogen und<br />
Bankkaufmann (FamRZ 1996, 1168), von 75 DM netto für einen<br />
Diplom-Sozialpädagogen (FamRZ 1996, 1169) und von 65 DM<br />
netto für einen Dipl.-Sozialarbeiter (FamRZ 1997, 701) zugrunde<br />
gelegt werden. Neuerdings hat auch das OLG Schleswig (FamRZ<br />
1998, 509, 510) einen Stundensatz von 75 DM für einen Sozialpädagogen<br />
(FH) für angemessen gehalten. In Anbetracht des dabei<br />
gesteckten Rahmens hat das LG sein Ermessen nicht zum Nachteil<br />
des Beschwerdeführers fehlerhaft ausgeübt, wenn es für den Beschwerdeführer,<br />
einen Politikwissenschaftler mit Nebenfächern Soziologie<br />
und Jura einen Stundensatz von 100 DM netto veranschlagt<br />
hat ...<br />
Mitgeteilt von dem 4. Zivilsenat des OLG Karlsruhe in Freiburg
616<br />
l<br />
Streitwert, Kosten, Erstattung<br />
BRAGO § 8 Abs. 2 S. 2; GKG §§ 12, 13<br />
1. Zum Streitwert in Beleidigungssachen.<br />
2. Das Verbot einer reformatio in peius gilt im Verfahren über<br />
eine Streitwertbeschwerde nicht. (LSe der Redaktion)<br />
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.7.1998 – 14 W 41/98<br />
Aus den Gründen: Die Beschwerde der Änwälte der Kl, mit<br />
der sie die Heraufsetzung der Streitwerts von (zusammen) 8.000<br />
DM auf 19.000 DM erstreben, ist zulässig (§ 9 Abs. 2 S. 2 BRA-<br />
GO; zur Beschwer des Anwalts bei zu geringer Festsetzung des<br />
Streitwerts vgl. Hillach-Rohs, Handbuch des Streitwerts in bürgerlichen<br />
Rechtsstreitigkeiten, 8. Aufl., § 97 X S. 497), aber nicht begründet.<br />
Das Rechtsmittel führt insgesamt nicht zu einer Erhöhung,<br />
sondern zu einer Herabsetzung der Wertfestsetzung; das Verbot einer<br />
reformatio in peius gilt im Verfahren über eine Streitwertbeschwerde<br />
nicht (Hillach-Rohs aaO § 97 XII b S. 499).<br />
1. Den Wert des Unterlassungsantrags hat das LG mit Recht<br />
mit 4.000 DM bewertet; der Senat tritt dem bei.<br />
a. Der genannte Antrag (auf Unterlassung der Bezeichnung der<br />
Kl mit üblen, überwiegend der Sexualsphäre entlehnten Schimpfworten)<br />
stellt eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit dar. Der<br />
Wert des Streitgegenstands ist in solchen Fällen unter Berücksichtigung<br />
aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs<br />
und der Bedeutung der Sache und der Vermögensverhältnisse der<br />
Parteien, nach Ermessen zu bestimmen (§ 12 Abs. 2 S. 1 GKG).<br />
Der Umfang der Sache ist gering. Ihre Bedeutung darf angesichts<br />
der mit der Klage zu bekämpfenden üblen Beschimpfungen der Kl<br />
einerseits nicht zu gering veranschlagt werden, es darf andererseits<br />
aber auch nicht übersehen werden, daß es sich bei dem Rechtsstreit<br />
jedenfalls zum Zeitpunkt der Einreichung der Klage (vgl. § 15<br />
GKG) um eine bedauerliche Auseinandersetzung unter Bewohnerinnen<br />
desselben Hauses handelte, die durch wechselseitige Beleidigungen<br />
(und auch Tätlichkeiten) geprägt zu sein schien, ohne<br />
daß davon ausgegangen werden könnte, daß eine breitere Öffentlichkeit<br />
hiervon Kenntnis erlangt oder gar Interesse daran gezeigt<br />
hätte (zum gegenläufigen Vortrag der Kl s. sogleich). Über die Einkommensverhältnisse<br />
der Kl ist nichts Genaueres bekannt, die<br />
Bekl erhält demgegenüber Sozialhilfe und hat zur Verteidigung gegen<br />
die Klage daher auch PKH beantragt. Wenn das LG der durch<br />
diese Umstände geprägten Streitsache den Ausgangswert (immerhin)<br />
von Kindschaftssachen (§ 12 Abs. 2 S. 3 GKG) und den Mindestwert<br />
einer Ehesache (§ 12 Abs. 2 S. 4 2. Hs. GKG) beigemessen<br />
hat, liegt hierin keine unangemessene Geringschätzung des<br />
Werts der persönlichen Ehre.<br />
b. Zutreffend ist an sich der Hinweis der Kl, daß bei der Bemessung<br />
des Gegenstandswerts von Ehrenschutzsachen gebührend<br />
zu berücksichtigen ist, wenn der Streit in die breite Öffentlichkeit<br />
getragen worden ist (Hinweis auf Schneider-Herget, Streitwertkommentar<br />
für den Zivilprozeß, 11. Aufl., Rdnr. 4501, vgl. allerdings<br />
auch dieselben aaO Rdnr. 1192). Daß das der Fall gewesen wäre,<br />
ist freilich nicht ersichtlich: Die Anzeige der Bekl in der Zeitung<br />
„K a“ mit dem Text<br />
„Wenn die üblen Verleumdungen und böswilligen Lügen von<br />
Frau ... (= Kl) gegen mich nicht aufhören, bin ich leider gezwungen,<br />
gerichtlich gegen sie wieder vorzugehen.<br />
(Name der Bekl)“<br />
trägt entgegen der Ansicht der Kl gerade nicht die mit der<br />
Unterlassungsklage zu bekämpfenden Äußerungen in eine breitere<br />
Öffentlichkeit, sondern führt nur – gleichviel ob mit guten Gründen<br />
oder nicht – Klage darüber, daß sich die Bekl ihrerseits ehrenkränkenden<br />
Angriffen der Kl gegenübergesehen habe. Daß die beleidigenden<br />
Äußerungen sonst in K und/oder Umgebung größere Publizität<br />
erlangt hätten, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht<br />
ersichtlich.<br />
c. Die begehrte Festsetzung des Werts der Unterlassungsklage<br />
auf einen Betrag von 8.000 DM läßt sich schließlich nicht mit der<br />
in § 13 Abs. 1 S. 2 GKG bzw. § 8 Abs. 2 S. 2 BRAGO getroffenen<br />
gesetzlichen Regelung begründen. Es ist nicht ersichtlich, was aus<br />
der Regelung des Auffangwerts von Streitigkeiten in Verfahren vor<br />
Gerichten der Verwaltungs- und der Finanzgerichtsbarkeit für die<br />
AnwBl 11/98<br />
Rechtsprechung<br />
Bewertung der Streitsache gewonnen werden könnte. Gleiches gilt<br />
für die an zweiter Stelle genannte Bestimmung der BRAGO: Der<br />
dort vorgesehene Wert ist kein Regelwert, von dem nur unter besonderen<br />
Umständen abgewichen werden kann, sondern nur ein<br />
Hilfswert für den Fall, daß eine individuelle Bewertung nicht möglich<br />
ist (LAG Stuttgart, AnwBl 1982, 312); vor dem Rückgriff auf<br />
diesen Wert sind alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um einen Wert<br />
zu finden, der für den Rechtsanwalt angemessene und für den Auftraggeber<br />
tragbare Gebühren ergibt (Fraunholz, in: Riedel-Sußbauer,<br />
BRAGO, 7. Aufl., § 8 Rdnr. 50, auch zu den Kriterien, die bei<br />
der Bemessung der Gebühr in nicht vermögensrechtlichen Angelegenheiten<br />
– § 8 Abs. 2 S. 2 BRAGO – zu berücksichtigen sind).<br />
2. Auf 2.000 DM heraufgesetzt hat der Senat die Bewertung<br />
des Widerrufsanspruchs der Kl. Dieser Wert erscheint angemessen.<br />
Die geringere Wertfestsetzung gegenüber dem Wert des Unterlassungsanspruchs<br />
ergibt sich aus der Erwägung, daß der Widerruf<br />
lediglich gegenüber einer Person erklärt werden soll, während der<br />
Unterlassungsanspruch Äußerungen der Bekl gegenüber einem<br />
zwar begrenzten, aber doch größeren Personenkreis unterbinden<br />
soll.<br />
3. Herabzusetzen war demgegenüber der Wert des Schmerzensgeldanspruchs<br />
der Kl. Der insoweit erhobene Anspruch auf Zahlung<br />
von 3.000 DM kann nur teilweise (in Höhe von 500 DM) bei<br />
der Bemessung des Streitwerts berücksichtigt werden, als er nämlich<br />
zum Ausgleich für eine von der Bekl angeblich verübte Körperverletzung<br />
(durch Schläge mit der Handtasche und den Fäusten)<br />
begehrt wird. Der Rest des Anspruchs (in Höhe von 2.500 DM,<br />
vgl. S. 5 f. der Klageschrift) hat bei der Streitwertbemessung dagegen<br />
außer Betracht zu bleiben (§ 12 Abs. 3 GKG), da er zum Ausgleich<br />
für eben die Eingriffe in Ehre und Persönlichkeitsrecht verlangt<br />
wird, die die Kl zum Gegenstand ihrer – höher zu<br />
bewertenden, s. o. 1. – Unterlassungsklage gemacht hat (vgl. OLG<br />
Köln, VersR 1994, 875) ...<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Hermann Knodel, Kenzingen<br />
impressum<br />
Herausgeber: <strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong> e. V., Adenauerallee 106, 53113 Bonn,<br />
Tel. 02 28 / 26 07- 0, Fax 02 28 / 26 07 46. Schriftleitung: Dr. Peter Hamacher (v. i.<br />
S. d. P.) und Udo Henke, Rechtsanwälte, Anschrift des Herausgebers. Verlag:<br />
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Technische Herstellung: Hans Soldan GmbH, Bocholder Str. 259, 45356 Essen,<br />
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Über jede Buchhandlung und beim Verlag; Abbestellungen müssen einen Monat<br />
vor Ablauf des Kalenderjahres beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die<br />
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zu richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung gezahlt.<br />
Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte sind vorbehalten. Das<br />
gilt auch für Bearbeitungen von gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen.<br />
Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen.<br />
Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung des Verlages.<br />
ISSN 0171-7227.<br />
w
XVIII<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite VIII)<br />
Veranstaltungen Ausland<br />
AIJA Regionaltreffen Wien<br />
vom 11. – 13. 2. 1999<br />
Vom 11. – 13. Februar 1999 wird in<br />
Wien das deutschsprachige Regionaltreffen<br />
der Association Internationale<br />
des Jeunes Avocats (AIJA) stattfinden.<br />
Das Regionaltreffen ist eingebettet in<br />
ein Seminar zum Thema „Die bekannte<br />
Marke und andere ausgewählte<br />
Rechtsfragen im Kennzeichenrecht“<br />
und schließt am Samstag, dem<br />
13. 2. 1999, mit einer fakultativen<br />
Teilnahme am Juristenball in der<br />
Neuen Hofburg.<br />
Donnerstag, 11. Februar 1999<br />
17.00 Uhr Registrierung<br />
19.00 Uhr Willkommenscocktail<br />
20.00 Uhr Get together<br />
Abendessen (fakultativ)<br />
Freitag, 12. Februar 1999<br />
08.30 Uhr Registrierung<br />
09.00 Uhr Begrüßung und<br />
Eröffnung<br />
09.15 Uhr Internationale Anerkennung<br />
und Schutz<br />
09.45 Uhr<br />
der bekannten Marke<br />
Die bekannte Marke<br />
in der Rechtsprechung<br />
(Erschöpfung des<br />
Markenrechts und<br />
Verbot des Reimports)<br />
10.30 Uhr Kaffeepause<br />
11.00 Uhr Rechtsvergleichende<br />
Betrachtung des<br />
Schutzes der<br />
bekannten Marke<br />
in Österreich,<br />
Deutschland und<br />
Schweiz<br />
12.45 Uhr Mittagessen<br />
14.00 Uhr Die wirtschaftliche<br />
Bedeutung der<br />
bekannten Marke<br />
für ein Unternehmen<br />
14.45 Uhr Die bekannte Marke in<br />
der Werbung<br />
15.30 Uhr Kaffeepause<br />
16.00 Uhr Rechtsvergleichende<br />
Fallstudie:Wie wird<br />
der Schutz der<br />
bekannten Marke<br />
in Österreich,<br />
Deutschland und<br />
Schweiz in der Praxis<br />
durchgesetzt?<br />
20.00 Uhr Heuriger<br />
Samstag, 13. Februar 1999<br />
09.00 Uhr Entwicklungen auf<br />
dem Gebiet der<br />
Gemeinschaftsmarke:<br />
Was gibt es Neues aus<br />
Alicante?<br />
09.45 Uhr Neuere Entwicklungen<br />
im markenrechtlichen<br />
10.30 Uhr<br />
Schutz von Zeitschriften-<br />
und Buchtiteln<br />
Kaffeepause<br />
11.00 Uhr Neuerungen auf dem<br />
Gebiet des Schutzes<br />
12.00 Uhr<br />
von geographischen Angaben<br />
und Ursprungsbezeichnungen<br />
Abschließende<br />
Paneldiskussion<br />
12.45 Uhr Mittagessen<br />
19.30 Uhr Empfang und Präsentation<br />
alter juristischer<br />
Urkunden im Prunksaal<br />
der Österreichischen<br />
Nationalbibliothek in<br />
21.00 Uhr<br />
der Hofburg (fakultativ)<br />
Juristenball in der Neuen<br />
Hofburg (fakultativ)<br />
Administratives<br />
Die Teilnahmegebühren variieren zwischen<br />
ATS 2.800,– und ATS 3.800,–<br />
für AIJA-Mitglieder bzw. Nicht-Mitglieder.<br />
Nach dem 21.12.1998 erhöhen sich<br />
die Gebühren um jeweils ATS 500,–.<br />
Begleitpersonen zahlen ATS 2.500,–<br />
bzw. nach dem 21.12.1998 ATS<br />
2.700,–.<br />
DETEKTEI & AUSKUNFTEI<br />
EVA SIPPEL<br />
22177 Hamburg · Bauernrosenweg 16-24 · Tel. 040/613475<br />
Fax 040/6910359<br />
Interessenten wenden sich bitte an:<br />
Dr. Georg Kresbach, Wolf Theiss &<br />
Partners, Schubertring 8, A-1010 Wien<br />
Tel.: +43151510, Fax: +4315151025<br />
Steuerberaterprüfung<br />
Vorbildungsvoraussetzungen für die<br />
Zulassung zur Steuerberaterprüfung;<br />
Freie Mitarbeiter bei Steuerberatern<br />
und Steuerberatungsgesellschaften<br />
Der Bundesfinanzhof hat in seinem<br />
Urteil vom 12.8.1997 –VII R 32/97<br />
(BStBl II 1998 S. 166) erneut entschieden,<br />
daß die Tätigkeit eines Rechtsferendars<br />
als freier Mitarbeiter bei einem<br />
Steuerberater keine unbefugte<br />
Hilfeleistung in Steuersachen darstellt<br />
und deshalb auf die für die Zulassung<br />
zur Steuerberatung erforderliche berufspraktische<br />
Tätigkeit angerechnet<br />
werden kann.<br />
Die im Bezugsschreiben vertretene gegenteilige<br />
Auffassung kann deshalb<br />
nach Ansicht der für das Steuerberatungsrecht<br />
zuständigen Vertreter der<br />
obersten Finanzbehörden des Bundes<br />
und der Länder nicht mehr aufrechterhalten<br />
werden. Die Beauftragung eines<br />
freien Mitarbeiters kann folglich auch<br />
nicht länger als eine nach § 10 StBerG<br />
i. V. m. § 7 BerufsO mitteilungspflichtige<br />
Verletzung von Berufspflichten<br />
angesehen werden; entsprechende Abmahnungen<br />
waren rechtswidrig.<br />
Schreiben des BMF v. 4. Mai 1998 –<br />
IVA 3 – S 0850 – 4/98<br />
Beilagenhinweis<br />
Dieser Ausgabe liegen eine Postkarte der<br />
Firma AnNoText GmbH, eine Verlegerbeilage<br />
„Der Euro kommt ...“, der<br />
Prospekt „ZPO“ des C.H. Beck Verlages,<br />
sowie als Teilbeilagen eine Information<br />
des Verlages Praktisches Wissen GmbH<br />
und der Prospekt „BPK“ des Haufe<br />
Verlages bei.<br />
bekannt durch Presse, Funk, Fernsehen u. gute Arbeit.<br />
Seit Jahren unentbehrliche Helfer für viele Anwälte<br />
im In- und Ausland.<br />
Anschriften, Arbeitgeber und Ermittlung von Pfändungsmöglichkeiten für pauschal 80,– DM zzgl. MWSt. allerorts.<br />
Beobachtungen in Ehe- und Strafsachen. Kostenlose Beratung. Schreiben Sie uns unverbindlich oder rufen Sie an.
XXVI<br />
4<br />
9 Das Landgericht Düsseldorf hatte zu<br />
entscheiden, ob die Veröffentlichung<br />
von Informationen im Internet einen<br />
Gegendarstellungsanspruch<br />
impliziere – vergleichbar dem presserechtlichenGegendarstellungsanspruch.<br />
Die Frage wurde von der<br />
Fachliteratur häufig dahingehend bejaht,<br />
daß das periodische Anbieten von<br />
aktualisierten und redaktionell aufbereiteten<br />
Inhalten in der Wirkung einem<br />
Printmedium gleichkomme. Ein analoger<br />
Gegendarstellungsanspruch müsse<br />
daher grundsätzlich gegeben sein. Die<br />
rechtliche Einordnung von elektronischen<br />
Angeboten bzw. Mediendiensten<br />
ist im Einzelfall aber noch umstritten.<br />
Nur der Mediendienstestaatsvertrag<br />
hat den Gegendarstellungsanspruch in<br />
§ 10 MDStV festgeschrieben.<br />
Im vorliegenden Fall ging es um<br />
Inhalte einer (üblichen) Homepage im<br />
World-Wide-Web. Das Gericht ging<br />
hier von einem „Mediendienst“ aus.<br />
Der Anbieter habe aber jedenfalls kein<br />
journalistisch-redaktionell aufbereitetes<br />
Angebot geführt, – das den Inhalt<br />
eines exisitierenden Printmediums<br />
wiedergegeben habe. Auch regelmäßige<br />
Aktualisierung mache daraus noch<br />
keine periodische Veröffentlichung.<br />
Ein Anspruch nach dem MDStV<br />
komme daher nicht in Betracht. Und<br />
das Teledienstegesetz (Teil des<br />
IuKDG) kennt ohnehin keinen Gegendarstellungsanspruch.<br />
Zu berücksichtigen sei außerdem, daß<br />
eine Veröffentlichung im Internet keinen<br />
derartigen Publizitätsgrad erreiche,<br />
wie ein vom Massenpublikum regelmäßig<br />
genutztes Printmedium. (HIT)<br />
LG Düsseldorf, Beschluß vom<br />
29. April 1998, Az.: 12 O 132/98<br />
(nicht rechtskräftig).<br />
9 Glücklicherweise werden Hompages<br />
bzw. Informationsangebote im Internet<br />
mittlerweile zumeist auch mit der postalischen<br />
Adresse des Anbieters versehen.<br />
Bei Änderungen in der Struktur<br />
der Seite, Umbenennungen oder Unerreichbarkeit<br />
ist es für den Nutzer sonst<br />
in vielen Fällen aufwendig bis unmöglich,<br />
den Anbieter konventionell zu<br />
kontaktieren. Verbraucherverbände haben<br />
das aktuell für Fälle des Elektronik<br />
Commerce moniert. Der Kunde<br />
könne sonst z. B. Gewährleistungsrechte<br />
nur schwer durchsetzen.<br />
Anbieter von „Telediensten“ sind ohnehin<br />
gesetzlich verpflichtet, eine<br />
Kennzeichnung mit Name, Anschrift,<br />
Internet – Aktuell<br />
Firma und Vertretungsberechtigtem<br />
anzubringen. (HIT)<br />
(§ 6 Teledienstegesetz).<br />
9 Die Index GmbH Berlin bietet in<br />
Zusammenarbeit mit dem Weka-Verlag<br />
und Forum-direkt den elektronischen<br />
„DV-Markt“. Das „Business-<br />
Plattform für die IT-Branche“ genannte<br />
Angebot gliedert sich in die<br />
Bereiche: Zeitschriften, Marketing,<br />
Finanzen, Personal, Know-How,<br />
Recht, Service.<br />
Ein kostenlos abfragbares Zeitschriftenarchiv<br />
beherbergt rund 19.100 Artikel<br />
aus z. Zt. 18 EDV-Zeitschriften<br />
(u.a.IX,Internet-World,Computer-<br />
Zeitung). Einfache logische und zeitliche<br />
Eingrenzungsmöglichkeiten für<br />
die Suche sind gegeben. Die Suche<br />
nach „Telnet“ ab 1.1.1997 brachte<br />
z. B. 135 Treffer, die nach „Telefon“<br />
920. Die Trefferliste enthält nach Relevanz<br />
geordnete Kurztexte der Artikel<br />
(Abstracts). Die jeweiligen Volltexte<br />
sind kostenpflichtig ebenfalls<br />
abrufbar. (HIT)<br />
http:/www.dv-markt.de/zeitschriften/<br />
Im Bereich „Recht“ finden sich rund<br />
90 EDV-Musterverträge (Verkauf/Miete,<br />
Wartung, Entwicklung, Personen-,<br />
Gesellschaftsrecht) zum kostenpflichtigen<br />
Download. Daneben wird ein Vertragscheck<br />
für eigene EDV-Verträge<br />
angeboten. (HIT)<br />
http:/www.dv-markt.de/recht/<br />
9 Der MBO-Verlag in Münster hat<br />
eine vielseitige CD-ROM-Gesetzesdatenbank<br />
aufgelegt. Nach Herstellerangabe<br />
mit über 100.000 Seiten<br />
Bundesrecht, Landesrecht und Urteilen<br />
(rund 50.000 Leitsätze). Neuartig<br />
ist die Option, ein vollständiges<br />
deutsches Landesrecht mit auszuwählen.<br />
CD-Kunden haben ergänzenden<br />
Zugang zur aktuellen Internet-<br />
Datenbank des Verlages. Die CD<br />
wird regelmäßig aktualisiert und enthält<br />
ein Suchsystem, das Normen<br />
und Urteile in Bezug setzt und bei<br />
Bedarf stufenweise anzeigt. (HIT)<br />
http:/www.mbo-verlag.de/<br />
9 Amtsgerichte im Internet. Vertreten<br />
sind ohne Anspruch auf Vollständigkeit:<br />
AG Coburg, AK Kronach,<br />
AG Lichtenfels (Justizbehörden Coburg<br />
über http://www.jura.uni-sb.de/<br />
Gerichte/LG-Coburg/ ); ebenso AG<br />
Hof, AG Wunsiedel (Justizbehörden<br />
Hof über:<br />
http://www.baynet.de/justiz/ ).<br />
Es sind zumeist allgemeine Beschreibungen<br />
der Einrichtungen, Lagepläne,<br />
Anfahrtskizzen; Pressemitteilungen<br />
oder fachliche Links verfügbar.<br />
Ähnlich verfährt das AG Erding.<br />
Hier eröffnet man die Seite jedoch<br />
mit einem repäsentativen Foto des<br />
Gerichts und bietet einen Prozeßkostenrechner.<br />
http://www.justiz.bayern.de/AG-Erding/<br />
Das Angebot des AG Passau besticht<br />
durch ausführliche bebilderte Lagepläne<br />
der Gerichtszweigstellen sowie<br />
durch mehrstufige Stadtpläne. Der<br />
Übersichtsrahmen links außen war<br />
schwer lesbar.<br />
http://www.passau.de/justiz/<br />
Das AG Potsdam benutzt als einziges<br />
Gericht keine (gewöhnungsbedürftige)<br />
Frametechnik in der Anzeige. Etwas<br />
besonderes ist die aktuelle Abrufbarkeit<br />
von Handelsregister, Vereinsregister,<br />
Güterrechtsregister, Zwangsversteigerungen,<br />
Aufgeboten, u. ä. Die<br />
amtliche Inbetriebnahme der elektronischen<br />
Register erfolgt nach Ankündigung<br />
ab Mitte 10/98 und war zu diesem<br />
Zeitpunkt auch schon weitgehend<br />
verfügbar.<br />
http://www.Amtsgericht-Potsdam.org/<br />
Reine Zwangsversteigerungsdaten bieten<br />
auch die AG Dortmund, Bochum,<br />
Gelsenkirchen-Buer, Ahaus. Jeweils<br />
abrufbar z. B. über<br />
http://home.t-online.de/home/<br />
agdortmund.zvg/<br />
Weitere Gerichts- und Versteigerungsdaten<br />
unter: http://www.zvg.com/ und<br />
http://www.sachsen.de/GerichtsTafel/<br />
Das AG Biberach/Riß hält auch Kurzbeschreibungen<br />
neuer Gesetze und<br />
Gerichtsentscheidungen vor. Hier kann<br />
weiterhin die aktuelle Düsseldorfer<br />
Unterhaltstabelle aufgerufen werden.<br />
Die umfangreiche Frametechnik ist<br />
leider mit einigen Standard-Bildschirmgrößen<br />
nicht gut lesbar. (HIT)<br />
http://members.aol.com/agbiberach/<br />
Zusammengestellt von Rechtsanwalt<br />
Timm Hitzfeld, Augsburg<br />
(HIT) und Rechtsanwalt Udo<br />
Henke, DAV, Bonn (HEN).
4<br />
Qualität in der Kanzlei – Tips und<br />
Informationen<br />
Wie geht es weiter?<br />
In Kanzleibroschüren finden sich immer<br />
wieder Zusätze wie „Die Zufriedenheit<br />
der Mandanten ist das oberste<br />
Ziel“ oder vergleichbare Formulierungen.<br />
Dabei fällt auf, daß es häufig an<br />
der Präzisierung fehlt, wie die Mandantenzufriedenheit<br />
von Anwälten und<br />
Mitarbeitern konkret verwirklicht werden<br />
kann. Die Folge ist, daß es viele<br />
Kanzleien nicht schaffen, den auf dem<br />
Papier dokumentierten Willen auch<br />
tatsächlich zu leben und mandantenorientiertes<br />
Verhalten in der eigenen<br />
Kanzlei zu praktizieren.<br />
Die Bedeutung der<br />
Mandantenzufriedenheit<br />
Die Bedeutung der Mandantenzufriedenheit<br />
für den Erfolg der Kanzlei<br />
wird vielfach unterschätzt. Dabei liegt<br />
es eigentlich auf der Hand, daß der<br />
Mandant der Kanzlei ein neues Mandat<br />
nur dann übertragen wird, wenn er<br />
sich unter Berücksichtigung des Gesamtbildes,<br />
daß er von der Kanzlei gewonnen<br />
hat, gut beraten fühlt.<br />
Kenntnisse über<br />
Mandantenanforderungen und<br />
-zufriedenheit ermitteln<br />
Wie erfährt die Kanzlei aber etwas<br />
über die Zufriedenheit der eigenen<br />
Mandanten und wie geht sie vor allen<br />
Dingen mit dem Feedback des Mandanten<br />
um, wenn es einmal negativ<br />
ausfällt? Voraussetzung ist zunächst<br />
einmal, die Anforderungen und die<br />
Zufriedenheit des Mandanten mit der<br />
erbrachten Leistung zu ergründen:<br />
Was wollen und wie zufrieden sind die<br />
Mandanten tatsächlich? Bevor allerdings<br />
mit der Erhebung der Kundenzufriedenheit<br />
(„Wie zufrieden sind Sie<br />
mit ... ?) begonnen wird, sollten zunächst<br />
konkrete Qualitätsmerkmale<br />
der in der Kanzlei zu erbringenden<br />
Leistungen („Was ist dem Mandanten<br />
wichtig?“) ermittelt werden. Erst wenn<br />
diese bekannt sind, ist die Erhebung<br />
der Zufriedenheit für diese Merkmale<br />
sinnvoll. Ansonsten werden die Antworten,<br />
die beispielsweise im Rahmen<br />
der Beantwortung eines Fragebogens<br />
gegeben werden, keine zuordnenbare<br />
Aussagekraft besitzen.<br />
XXXI<br />
Was erwartet also der Mandant im<br />
Hinblick auf die Mandatsbearbeitung<br />
abgesehen von der juristischen Qualität,<br />
die er ohnehin als gegeben voraussetzt?<br />
Allgemeine Bewertungskriterien<br />
sind zum Beispiel die Erreichbarkeit<br />
des Anwalts, die Transparenz des<br />
Preis-/ Leistungsverhältnisses, die Qualifikation<br />
und Auskunftsfähigkeit der<br />
Mitarbeiter, die Wartezeit auf Termine,<br />
die Einhaltung von zugesagten Rückrufen<br />
oder die Freundlichkeit und das<br />
Einfühlungsvermögen von Anwalt und<br />
Mitarbeiter. Die Aufzählung läßt sich<br />
beliebig fortführen und jede Kanzlei<br />
muß individuell festlegen, welche Qualitätskriterien<br />
der betreuten Klientel<br />
gerecht werden. Darauf aufbauend<br />
kann dann ein auf die individuellen<br />
Bedürfnisse der Kanzlei zugeschnittener<br />
Fragebogen erstellt werden.<br />
Der Umgang mit Beschwerden<br />
Schuldzuweisungen gegenüber den<br />
Mitarbeitern sind die gängige Reaktion<br />
des Anwalts auf Mandantenbeschwerden.<br />
Damit ist dem Mandanten nicht<br />
gedient, denn eine inhaltliche Auseinandersetzung<br />
mit seiner Beschwerde<br />
findet in aller Regel nicht statt. Aber<br />
auch die Kanzlei versäumt die Chance,<br />
berechtigte Kritikpunkte zur organisatorischen<br />
Weiterentwicklung zu nutzen<br />
und damit einen wesentlichen Schritt<br />
in Richtung Mandantenzufriedenheit<br />
und damit einen wichtigen Schritt in<br />
Richtung Mandantenbindung zu gehen.<br />
In der nächsten Ausgabe finden Sie daher<br />
Tips, wie das Beschwerdemanagement<br />
so gestaltet werden kann, daß<br />
Mitarbeiter und Mandanten gleichermaßen<br />
davon profitieren.<br />
Wie ist die Rubrik zu erreichen?<br />
Mit Fragen, Anregungen oder Beiträgen<br />
wenden Sie sich bitte an:<br />
AdvoConsult<br />
Rechtsanwältin Gabriela Freitag<br />
Bocholder Straße 257a<br />
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