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Forschungsbedarf im Gesundheitswesen aktuelle diskussion 7<br />

Große Forschungsl<strong>ü</strong>cken in der angewandten Medizin<br />

Interview mit Peter Sawicki, Leiter des Instituts f<strong>ü</strong>r Qualität und Wirtschaftlichkeit<br />

im Gesundheitswesen IQWiG<br />

Foto: IQWiG<br />

Das iQWiG untersucht nutzen und schaden<br />

medizinischer Maßnahmen f<strong>ü</strong>r Patienten.<br />

auftraggeber sind der Gemeinsame Bundesausschuss,<br />

der <strong>ü</strong>ber den Leistungskatalog<br />

der Krankenkassen entscheidet,<br />

sowie das Bundesgesundheitsministerium.<br />

Während die arbeit des iQWiG den Krankenkassen<br />

hohe einsparungen ermöglichte,<br />

stieß sie bei den Unternehmen auf<br />

Protest. inzwischen wurde sawicki die<br />

verlängerung seines Dienstvertrags verweigert.<br />

W<strong>ü</strong>rden sie die nicht-verlängerung ihres<br />

vertrags als einflussnahme der Politik zugunsten<br />

der Wirtschaft und gegen die Unabhängigkeit<br />

der Wissenschaft werten?<br />

Peter Sawicki: Im Sozialgesetzbuch steht,<br />

dass die Institutsleitung des IQWiG im Einvernehmen<br />

mit dem Bundesgesundheitsministerium<br />

zu geschehen hat. Von daher war der<br />

Einfluss der Politik immer schon vorgesehen.<br />

In den letzten f<strong>ü</strong>nf Jahren wurde ständig<br />

von vielen Seiten versucht, auf meine Arbeit<br />

Einfluss zu nehmen, schriftlich, telefonisch,<br />

durch öffentliche Beschimpfungen bis hin zu<br />

Bedrohungen. Wir mussten uns als „Mörder“<br />

bezeichnen lassen, uns wurde vorgeworfen<br />

„Euthanasie auf Raten“ zu betreiben. Das<br />

sachliche Niveau wissenschaftlicher Auseinandersetzungen<br />

wurde teilweise deutlich<br />

unterschritten. Mein Nachfolger oder meine<br />

Nachfolgerin muss ein dickes Fell haben oder<br />

besser noch einen Panzer.<br />

Welche organisationsform m<strong>ü</strong>sste ein institut<br />

wie iQWiG haben, um unabhängiger<br />

arbeiten zu können?<br />

Peter Sawicki: Die Unabhängigkeit wird<br />

immer wieder bedroht und dies wird auch<br />

so bleiben. Es m<strong>ü</strong>sste eine starke politische<br />

parteiunabhängige Kraft geben, die das Institut<br />

besch<strong>ü</strong>tzt. Dar<strong>ü</strong>ber hinaus ist die Aussagekraft<br />

der Institutsberichte umso größer, je<br />

mehr klinisch relevante wissenschaftliche Untersuchungen<br />

vorliegen. Dies ist aber derzeit<br />

noch eine Schwäche, es gibt einen Mangel<br />

an praxisrelevanter Evidenz. Das IQWiG kann<br />

aber keine Studien selbst durchf<strong>ü</strong>hren oder<br />

in Auftrag geben. Wir brauchen also eine Ergänzung,<br />

um zuverlässige Evidenz zu schaffen,<br />

die die Voraussetzung f<strong>ü</strong>r aussagekräftige<br />

Empfehlungen ist: ein dem IQWiG zuarbeitendes<br />

öffentlich finanziertes und unabhängiges<br />

Institut, das Studien plant, koordiniert und<br />

durchf<strong>ü</strong>hrt.<br />

sollte es aus ihrer sicht auch hochschulinstitute<br />

oder außeruniversitäre institute<br />

f<strong>ü</strong>r angewandte Medizin geben?<br />

Das wäre nat<strong>ü</strong>rlich toll. Das Wesentliche ist,<br />

dass <strong>ü</strong>berhaupt jemand diese Arbeit macht.<br />

Dann könnten wir einfach darauf verweisen<br />

und auch der Gemeinsame Bundesausschuss<br />

könnte das <strong>ü</strong>bernehmen.<br />

Warum gibt es da so wenig?<br />

Peter Sawicki: Die wissenschaftliche Untersuchung<br />

angewandter Medizin hat im deutschen<br />

Wissenschaftssystem keinen hohen<br />

Stellenwert. Wenn Sie sich internationale wissenschaftliche<br />

Publikationen aus Deutschland<br />

ansehen, dann werden Sie feststellen, dass<br />

der größte Teil der hochrangigen Arbeit in der<br />

Grundlagenforschung stattfindet. Auch bei der<br />

Besetzung von Lehrst<strong>ü</strong>hlen wird zunächst einmal<br />

auf die Leistungen in der Grundlagenforschung<br />

geachtet, sogar bei klinischen Fächern.<br />

Wo sehen sie zurzeit besondere Priorität?<br />

Peter Sawicki: Bedarf besteht in fast allen Bereichen.<br />

Ein Beispiel ist Prostatakrebs. Was hier<br />

fehlt, ist ein Vergleich der Behandlungsmöglichkeiten.<br />

Die einen operieren, die anderen<br />

bestrahlen, manche Ärzte geben strahlende<br />

Seeds – das sind kleine Körnchen, die in die<br />

Prostata eingef<strong>ü</strong>hrt werden – und andere warten<br />

einfach ab. Was ist jetzt besser? Niemand<br />

weiß das, weil es nie richtig untersucht wurde.<br />

Dabei werden zwei Drittel aller Männer irgendwann<br />

davon betroffen sein. Verlängert es das<br />

Leben eher, wenn man operiert oder eher, wenn<br />

einfach abgewartet wird? Vor solchen Fragen<br />

stehen Ärzte jeden Tag. In der Regel hängt die<br />

Entscheidung dann davon ab, wen der Patient<br />

fragt. Geht er zum Urologen ins Krankenhaus,<br />

wird er meist operiert, geht er zum Radiologen,<br />

wird er bestrahlt. Der Patient verlässt sich darauf,<br />

dass der Arzt das irgendwie entscheidet<br />

und der Arzt geht nach Bauchgef<strong>ü</strong>hl. Es gibt ja<br />

auch Maßnahmen, die zu bestimmten Zeiten in<br />

Mode sind und dann wieder abklingen.<br />

Was ist gegenwärtig in Mode?<br />

Peter Sawicki: Im Moment ist Absicherung<br />

Mode. Man unterzieht die Patienten so vielen<br />

wissenschaftsmanagement 1 • januar/februar • 2010

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