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Armut und Bildung - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

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132 Sie alle wollen nur eins: ein geregeltes Leben<br />

Illusion zu glauben, dass Jugendliche es toll<br />

finden, unter <strong>der</strong> Brücke zu schlafen.“ Dass<br />

die Ar<strong>bei</strong>t <strong>und</strong> <strong>der</strong> Unterricht auf <strong>der</strong> Ohlenhof-Farm<br />

so etwas wie ihre letzte Chance<br />

seien, das haben die Jugendlichen wohl begriffen.<br />

Sie wollen sie nutzen. Keiner wünscht<br />

sich etwas an<strong>der</strong>es als ein geregeltes Leben.<br />

„Haus, Auto, Ar<strong>bei</strong>t“, sagt Robin.<br />

Außer vielleicht Alex. Doch auch er hat Ziele.<br />

„Ey Alter“, sagt er zu Robin in <strong>der</strong> Pause <strong>und</strong><br />

deutet mit dem Daumen hinter sich auf die<br />

Mauern <strong>der</strong> JVA, „ich kenn einen, <strong>der</strong> hat richtig<br />

gut Kohle gemacht im Knast. Der hat auch<br />

erzählt, was man da drin alles kaufen kann.<br />

Richtig geile Uhren.“ Er grinst. Robin grinst mit.<br />

Sie erzählen sich von „Schuppen voller Waffen,<br />

ey, Mann, Alter!“ <strong>und</strong> von Kumpels, die<br />

Handys klauten, „das ist ja auch blöd, was<br />

lässt du dich erwischen!“ Da<strong>bei</strong> schauen sie<br />

immer wie<strong>der</strong> auf, lachen verschmitzt, vergewissern<br />

sich, dass ihre Worte die gewünschte<br />

Aufmerksamkeit bringen. Aber während<br />

Robin eher verschämt von seinem Onkel<br />

erzählt, <strong>der</strong> genau hier, ein paar h<strong>und</strong>ert<br />

Meter hinter ihm einsitzt <strong>und</strong> <strong>bei</strong> seinem<br />

ersten Freigang „was gemacht hat, was er<br />

nicht hätte machen sollen“, dreht Alex auf.<br />

Erzählt von Drogen, von Dealern, von Killern.<br />

Es ist ein Spiel, schon klar. Aber Alex’ Zukunft<br />

könnte tatsächlich so aussehen. „Er kifft, seit<br />

er neun ist“, erzählt Volker Wessel später,<br />

„seine Familie kommt aus Russland, <strong>bei</strong>de<br />

trinken, er hat als Kind nur Exzesse erlebt.“<br />

Und wenn sonst kein Vorbild da ist, „dann<br />

wird eben <strong>der</strong> Dealer von <strong>der</strong> Ecke zum<br />

Vorbild.“ Ein Jahr lang war Alex in Wessels<br />

Obhut. Morgen ist sein letzter Tag, danach<br />

wird er wie<strong>der</strong> zur Schule gehen. Zur<br />

Son<strong>der</strong>schule. Bei Volker Wessel gibt es zwar<br />

keine festgelegte Maximalzeit, aber mehr als<br />

ein Jahr sollte keiner <strong>der</strong> Jugendlichen bleiben,<br />

dann sollen sie aus dem behüteten Leben-<br />

Ar<strong>bei</strong>ten-Lernen auf <strong>der</strong> Farm zurück in die<br />

Schule o<strong>der</strong> in die Berufsfachschule. Was nicht<br />

immer einfach sei, sagt Wessel. „Viele Schulen<br />

wollen unsere Jugendlichen nicht.“ Weil sie<br />

nicht konform sind, nicht passend. Wessel ist<br />

in seinem Projekt alleine, so fehlt ihm die<br />

Zeit, seine Kids nach ihrer Farm-Zeit in ihren<br />

neuen Bezügen zu begleiten – sie zu unter-<br />

stützen <strong>und</strong> ihren neuen Lehrern zu zeigen,<br />

dass es keineswegs Loser sind, die da jetzt<br />

zur Schule kommen. Also passiert es, dass<br />

die Jugendlichen nach all <strong>der</strong> Aufbau-Ar<strong>bei</strong>t<br />

doch wie<strong>der</strong> durchfallen. Alex könnte so ein<br />

Kandidat sein. „Komm, wir bauen den Kicker<br />

weiter“, sagt Robin jetzt zu Alex, <strong>der</strong> steht<br />

wortlos auf, wenig später hört man die <strong>bei</strong>den<br />

kichern <strong>und</strong> sieht sie die Kicker<strong>bei</strong>ne zusammennieten.<br />

Dann gibt es da noch Tommi. Klein, stämmig,<br />

still. Tommi wird wohl länger als ein Jahr <strong>bei</strong><br />

Volker Wessel bleiben. Denn sein Vater wird<br />

bald sterben. „Wenn das passiert, soll er noch<br />

hier sein“, sagt Wessel. „Meine Mama pflegt<br />

meinen Papa“, sagt Tommi einsilbig auf die<br />

Frage, was seine Eltern machten. Er hat aufgehört<br />

zur Schule zu gehen, als er mit seiner<br />

Klassenlehrerin aneinan<strong>der</strong> geriet. „Die wollte<br />

mir mein Handy wegnehmen“, sagt er <strong>und</strong> ist<br />

jetzt noch empört, „die wollte meine Tasche<br />

auskippen.“ Da hat er sie geschubst. Und ist<br />

nicht mehr zu ihrem Unterricht, irgendwann<br />

gar nicht mehr zur Schule gegangen. Stattdessen<br />

hat er gear<strong>bei</strong>tet. Tommi ist jetzt 14.<br />

Was er erzählt, ist schon eine Weile her. Dass<br />

er auf dem Bau gear<strong>bei</strong>tet hat. „Trockenbau<br />

kann ich“, sagt er <strong>und</strong> klingt ganz nach Mann.<br />

Nachtschichten auf dem Großmarkt geschoben.<br />

Dass Kin<strong>der</strong> in diesem Land nicht ar<strong>bei</strong>ten<br />

dürfen, spielt in <strong>der</strong> Realität von Tommi<br />

<strong>und</strong> den an<strong>der</strong>en keine Rolle. Tommi hat es<br />

getan. Mit neun im Supermarkt angefangen.<br />

„Ich verdien’ mir halt mein eigenes Geld“, sagt<br />

er, „ich brauch’ nicht nach meiner Mama gehen.“<br />

Die hätte auch keins? „Genau“, sagt<br />

Tommi. Seine Eltern hätten durchaus registriert,<br />

dass er schwänzte. „Die sagen: Du lernst<br />

für dich, nicht für die Lehrer.“ Und ließen ihn<br />

gewähren. Vielleicht konnten sie nicht an<strong>der</strong>s.<br />

Auch Tommi gehört zu denen, die alles an<strong>der</strong>s<br />

machen würden, könnten sie die Uhr zurückdrehen.<br />

„Ich würde weiter zur Schule gehen“,<br />

sagt Tommi <strong>und</strong> schnieft durch die Nase,<br />

„muss ich.“ Sein Ziel: „Einen Abschluss kriegen.<br />

Das braucht man im Leben.“<br />

Nicht, dass unter Volker Wessels Obhut lauter<br />

Musterschüler entstünden. „Das Beste, was<br />

hier einer mal geschafft hat, war ein mäßiger

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