22.10.2012 Aufrufe

Armut und Bildung - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Armut und Bildung - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

Armut und Bildung - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

nur pädagogischen, son<strong>der</strong>n politischen –<br />

Weisheit haben unverständige bis brutale Machthaber<br />

mit ihren Planern immer versucht, gesellschaftliche<br />

<strong>und</strong> räumliche Homogenitäten<br />

durch Selektion herzustellen, durch das Auseinan<strong>der</strong>reißen<br />

dessen, was zusammengehört.<br />

Unter diesem Aspekt gibt es eine Linie von<br />

den religiösen, rassistischen <strong>und</strong> ethnischen<br />

Säuberungen hin zur Herausbildung reicher<br />

<strong>und</strong> armer Parallelgesellschaften durch die<br />

städtischen Segregationen, zu den politisch<br />

produzierten Ghettos, den monokulturellspezialisierten<br />

Stadtteilen, bis zur systematischen<br />

Entmischung <strong>der</strong> Städter <strong>und</strong> ihrer<br />

Tätigkeiten durch die getrennte Unterbringung<br />

ganzer Bevölkerungsteile (zum Beispiel <strong>der</strong><br />

Armen, Reichen, Jungen, Alten, Familien o<strong>der</strong><br />

Migranten) in speziellen Einrichtungen <strong>und</strong><br />

Quartieren sowie durch die Konzentration des<br />

Gewerbes, des Konsums <strong>und</strong> des Wohnens in<br />

separaten Gebieten <strong>und</strong> allen unmöglichen<br />

Konsum-, Industrie-, Technologie-, Safari- <strong>und</strong><br />

Space-Parks.<br />

Die damit einhergehende Verarmung <strong>der</strong><br />

städtischen Räume durch die Vertreibung <strong>der</strong><br />

Vielfalt <strong>und</strong> durch ihre monokulturelle Spezialisierung<br />

hat viele Ursachen, sie ist aber auch<br />

das Ergebnis einer törichten, in <strong>Bildung</strong>sfragen<br />

ahnungslosen, wenn nicht gar bildungsfeindlichen<br />

Stadtpolitik <strong>und</strong> Stadtplanung, ja<br />

sogar einer <strong>Bildung</strong>spolitik ohne <strong>Bildung</strong>.<br />

Durch die Trennungen <strong>der</strong> Menschen <strong>und</strong> ihrer<br />

Lebenszusammenhänge können sie kaum<br />

noch etwas voneinan<strong>der</strong> lernen <strong>und</strong> miteinan<strong>der</strong><br />

gestalten. Aber sie können jetzt ihre Vorurteile<br />

aufeinan<strong>der</strong> projizieren, auf die <strong>und</strong><br />

das, was sie nicht kennen, was sie zu bedrohen<br />

scheint. Ein trauriges Beispiel aus <strong>der</strong><br />

Gegenwart: Fremdenfeindlichkeit ist bekanntlich<br />

in den Gebieten am größten, in denen es<br />

kaum Fremde gibt. Im Übrigen können wir<br />

feststellen, dass es einen engen Zusammenhang<br />

zwischen monostrukturell eintönigen,<br />

verwahrlosten Stadtquartieren <strong>und</strong> in materieller<br />

<strong>Armut</strong> verwahrlosenden Menschen gibt.<br />

Und davon sind beson<strong>der</strong>s viele Kin<strong>der</strong> auch<br />

in ihrem <strong>Bildung</strong>sschicksal betroffen.<br />

Am Beispiel <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendlichen möchte<br />

ich einige Folgen <strong>der</strong> bis heute vorherrschenden<br />

Selektionspolitik exemplarisch skizzieren:<br />

Vor allem für Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche ist <strong>der</strong><br />

wichtige städtischen Erfahrungs- <strong>und</strong> Gestaltungsraum<br />

– also <strong>Bildung</strong>sraum – durch die<br />

verödende Entmischung <strong>und</strong> Automobilmachung<br />

<strong>der</strong> Quartiere weitgehend verarmt<br />

<strong>und</strong> entwertet worden. Als Ersatz müssen<br />

jetzt eigene Einrichtungen wie Ganztagsschulen,<br />

Freizeitheime, betreute Spielplätze<br />

etc., also pädagogische Provinzen, Parkplätze<br />

o<strong>der</strong> Inseln, Ersatzwelten eben, geschaffen<br />

werden. Deren Funktion besteht auch darin,<br />

die städtische Öffentlichkeit zeitweise von<br />

ihrem (die Geschäfte störenden) Nachwuchs<br />

zu entsorgen <strong>und</strong> die <strong>Bildung</strong>smacht <strong>der</strong><br />

öffentlichen Räume weiter zu minimieren. Als<br />

Ersatz – auch dafür – haben wir ja jetzt die<br />

pädagogischen Einrichtungen.<br />

Das ist nicht nur extrem aufwendig, son<strong>der</strong>n<br />

auch pädagogisch nicht das Gelbe vom Ei.<br />

Wir lernen nämlich am besten <strong>und</strong> effektivsten<br />

dort, wo wir in einem normalen anregungsreichen<br />

Lebenszusammenhang erwünscht sind,<br />

ernsthaft spielen, ar<strong>bei</strong>ten <strong>und</strong> etwas Sinnvolles<br />

gestalten können, wo wir gebraucht<br />

werden. Wer einmal Kin<strong>der</strong>n zugeschaut hat,<br />

die spielend laufen, sprechen, Rad fahren<br />

o<strong>der</strong> ein Baumhaus bauen, indem sie es tun,<br />

ganz ohne Lernziele <strong>und</strong> Zensur, <strong>der</strong> wird verstehen,<br />

was ich meine. Aber wo kann das in<br />

öffentlicher Geborgenheit noch geschehen?<br />

An<strong>der</strong>s gefragt: Was haben die Kin<strong>der</strong> auf <strong>der</strong><br />

Straße verloren? Ich meine, viel zu viel.<br />

Ein bekanntes afrikanisches Sprichwort sagt:<br />

Zum guten Aufwachsen eines Kindes braucht<br />

man ein ganzes Dorf. Unsere Kin<strong>der</strong> brauchen<br />

dazu wenigstens ein ganzes lebendiges Stadtviertel.<br />

Das kann we<strong>der</strong> die allein erziehende<br />

Mutter im siebten Stock eines Wohnturms<br />

bieten, noch die isolierte Kleinfamilie in <strong>der</strong><br />

Reihenhaussiedlung, auch nicht <strong>der</strong> Sozialar<strong>bei</strong>ter<br />

um die Ecke, ein engagiertes Lehrerkollegium<br />

o<strong>der</strong> die Straßenkin<strong>der</strong>bande zwischen<br />

den parkenden Autos.<br />

145

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!