Panorama 1/Februar 2010 - Erlebnisbank.ch
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Foto: Raiffeisen S<strong>ch</strong>weiz<br />
na<strong>ch</strong>gefragt bei Franco tais<strong>ch</strong>,<br />
wirts<strong>ch</strong>aftsexperte und<br />
Verwaltungsrat raiffeisen s<strong>ch</strong>weiz<br />
«panorama»: kann die Genossens<strong>ch</strong>aft Antworten<br />
auf die aktuelle krise geben?<br />
Franco tais<strong>ch</strong>: Die aktuelle Krise ist au<strong>ch</strong> eine<br />
Wertekrise und ein damit verbundener Wertewandel.<br />
Und hier kann die Genossens<strong>ch</strong>aft gute<br />
Antworten geben. Handlungsmotive in der<br />
Wirts<strong>ch</strong>aft sind komplexer als die reine Maximierung<br />
des eigenen Nutzens. Für Genossens<strong>ch</strong>aften<br />
ist typis<strong>ch</strong>, dass sie für einen mehrfa<strong>ch</strong>en<br />
Unternehmensnutzen stehen. Gewinn gehört<br />
au<strong>ch</strong> dazu, weil ohne betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>es<br />
Arbeiten kein weiterer Nutzen gestiftet werden<br />
kann. Do<strong>ch</strong> man steht zusammen, um wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong><br />
weiterzukommen. Im genetis<strong>ch</strong>en<br />
Code von Genossens<strong>ch</strong>aftsgruppen ist denn<br />
au<strong>ch</strong> wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e Solidarität ein zentrales<br />
Unters<strong>ch</strong>eidungsmerkmal zu Aktiengesells<strong>ch</strong>aften.<br />
Bei einer Aktiengesells<strong>ch</strong>aft gibt es keine<br />
gegenseitige Verpfli<strong>ch</strong>tung.<br />
wäre eine wirts<strong>ch</strong>aft, in der alle unternehmen<br />
genossens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> organisiert sind,<br />
die Lösung?<br />
ebenfalls ein Auto. Diese zwei Genossens<strong>ch</strong>aften<br />
fusionierten 1997 zur Mobility CarSharing<br />
S<strong>ch</strong>weiz. Heute können über 90 000 Kunden aus<br />
über 2200 Fahrzeugen auswählen.<br />
Fontana hat in oberster Funktion für Rivella<br />
und Ricola gearbeitet und weiss, dass die Leitung<br />
einer Genossens<strong>ch</strong>aft ni<strong>ch</strong>t immer ein Zuckers<strong>ch</strong>lecken<br />
ist: «Anders als bei Familienunter-<br />
«No<strong>ch</strong> vor wenigen Jahren hörte<br />
man das Totenglöcklein für die<br />
Genossens<strong>ch</strong>aft läuten. Do<strong>ch</strong> die<br />
Genossens<strong>ch</strong>aft ist ni<strong>ch</strong>t bloss<br />
die kleine S<strong>ch</strong>wester der AG.»<br />
Dr. pierin Vincenz,<br />
Vorsitzender der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung<br />
der raiffeisen Gruppe<br />
I<strong>ch</strong> bin kein Freund von Glei<strong>ch</strong>ma<strong>ch</strong>erei, sondern<br />
von Vielfalt. Vielfalt minimiert die Systemrisiken<br />
und fördert unternehmeris<strong>ch</strong>e Kreativität. So<br />
müssen Genossens<strong>ch</strong>aftsunternehmen ebenfalls<br />
betriebswirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong> denken, das gehört<br />
dazu. Die unters<strong>ch</strong>eidende Frage ist nur, wie der<br />
Gewinn gesteuert und am Ende des Tages verwendet<br />
wird. Wenn die Raiffeisen-Genossens<strong>ch</strong>aft<br />
rein auf Gewinnmaximierung ausgeri<strong>ch</strong>tet<br />
wäre, müssten gewisse Ges<strong>ch</strong>äftsstellen in<br />
sehr abgelegenen Regionen ges<strong>ch</strong>lossen werden.<br />
Es gibt dort denno<strong>ch</strong> – im Sinne eines<br />
«service public» – eine Bank. So können au<strong>ch</strong><br />
Mens<strong>ch</strong>en in einem Bergdorf Finanzdienstleistungen<br />
lokal wahrnehmen. Die Raiffeisen Gruppe<br />
stiftet dadur<strong>ch</strong> einen sozialen Nutzen.<br />
Aus einer kleinen Genossens<strong>ch</strong>aft wird ein<br />
grosses unternehmen – wie bleibt der Geist<br />
denno<strong>ch</strong> erhalten?<br />
Das ist eine grosse Herausforderung. Wenn si<strong>ch</strong><br />
Genossens<strong>ch</strong>aften zu einem Verbund zusammens<strong>ch</strong>liessen,<br />
dann müssen Gruppengeist und<br />
Arbeitsteilung Basis bilden. Die typis<strong>ch</strong>e genossens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Kultur muss aktiv gepflegt, ges<strong>ch</strong>ützt<br />
und gesteuert werden. So hebt si<strong>ch</strong> die<br />
Genossens<strong>ch</strong>aft-Kultur von der Aktiengesells<strong>ch</strong>aft-Kultur<br />
ni<strong>ch</strong>t nur dur<strong>ch</strong> die wirts<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
nehmen entflammt hier bei jeder Ents<strong>ch</strong>eidung<br />
eine Diskussion. Ohne permanente Kommunikation<br />
ist kein Ges<strong>ch</strong>äftsbetrieb mögli<strong>ch</strong>. Das ist an<br />
und für si<strong>ch</strong> ungewohnt, do<strong>ch</strong> letztli<strong>ch</strong> ist unbezahlbar,<br />
wenn über 40 000 Genossens<strong>ch</strong>after<br />
hinter der glei<strong>ch</strong>en Sa<strong>ch</strong>e stehen und diese vorantreiben.»<br />
haben Genossens<strong>ch</strong>aften eine Zukunft?<br />
CarSharing hat einen Nerv getroffen. Genauso<br />
könnten au<strong>ch</strong> Genossens<strong>ch</strong>aften jetzt wieder in<br />
Mode kommen. Do<strong>ch</strong> Fontana sieht, wel<strong>ch</strong>e<br />
Zeitgeistidee den Weg ers<strong>ch</strong>wert: «Community<br />
Building liegt im Trend. Clubs aller Art fördern<br />
kurzfristige Zugehörigkeit. Do<strong>ch</strong> Genossens<strong>ch</strong>aften<br />
verlangen mehr ab. Hier geht es um<br />
eine Bindung auf der Basis einer Überzeugung.»<br />
Der Vorsitzende der Ges<strong>ch</strong>äftsleitung von<br />
Raiffeisen S<strong>ch</strong>weiz, Pierin Vincenz, ist überzeugt,<br />
dass Genossens<strong>ch</strong>aften ein Zukunfts-<br />
modell sind. Raiffeisen S<strong>ch</strong>weiz und das Institut<br />
für Unternehmensre<strong>ch</strong>t der Universität Luzern<br />
s<strong>ch</strong>werpunkt<br />
<strong>Panorama</strong> Raiffeisen<br />
| 11<br />
Solidarität, sondern au<strong>ch</strong> gerade dadur<strong>ch</strong> ab,<br />
dass Ents<strong>ch</strong>eide demokratis<strong>ch</strong> legitimiert sind.<br />
Die Mens<strong>ch</strong>en, die die Genossens<strong>ch</strong>aften ausma<strong>ch</strong>en,<br />
werden miteinbezogen. Und wenn der<br />
Geist bei den Mitarbeitern lebendig gehalten<br />
wird, kann der Funken au<strong>ch</strong> zu den Kunden<br />
überspringen. Interview: Yvonne von hunnius<br />
Professor Dr. Franco Tais<strong>ch</strong> ist Ordinarius für<br />
Wirts<strong>ch</strong>aftsre<strong>ch</strong>t und Leitender Direktor des<br />
Institutes für Unternehmensre<strong>ch</strong>t an der Universität<br />
Luzern sowie Inhaber von «tais<strong>ch</strong>consulting,<br />
unternehmensführung und re<strong>ch</strong>t» in<br />
Zug. Zudem ist er seit 2008 Mitglied des<br />
Verwaltungsrates der Raiffeisen Gruppe und<br />
Mitglied von dessen Prüfungsauss<strong>ch</strong>uss.<br />
führten 2009 eine Genossens<strong>ch</strong>afts-Tagung<br />
dur<strong>ch</strong>, auf der Vertreter aller grosser S<strong>ch</strong>weizer<br />
Genossens<strong>ch</strong>aften über das genossens<strong>ch</strong>aftli<strong>ch</strong>e<br />
Modell diskutierten. Pierin Vincenz: «I<strong>ch</strong><br />
sehe darin ein Signal für eine eigenständige Zukunft.<br />
No<strong>ch</strong> vor wenigen Jahren hörte man das<br />
Totenglöcklein für die Genossens<strong>ch</strong>aft läuten.<br />
Do<strong>ch</strong> die Genossens<strong>ch</strong>aft ist ni<strong>ch</strong>t bloss die<br />
kleine S<strong>ch</strong>wester der AG.»<br />
Kapitalgesells<strong>ch</strong>aften können ents<strong>ch</strong>eidende<br />
Lehren aus dem Erfolg von Genossens<strong>ch</strong>aften<br />
ziehen. Markus Gmür vom VMI hängt die Latte<br />
ho<strong>ch</strong>: «Die Überwindung der Anonymität wäre<br />
ein ents<strong>ch</strong>eidender S<strong>ch</strong>ritt. Denn Genossens<strong>ch</strong>aften<br />
stellen zum Teil sehr erfolgrei<strong>ch</strong><br />
Personen über Geld.» Beispielsweise lägen die<br />
Gehälter der Top-Manager grosser Genossens<strong>ch</strong>aften<br />
fast ausnahmslos weit unter denen<br />
ihrer Kollegen. Und ohne dieses Prinzip, das den<br />
Mens<strong>ch</strong>en über den Gewinn stellt, kostete au<strong>ch</strong><br />
der Heida-Wein längst ni<strong>ch</strong>t mehr nur 18 Franken,<br />
sondern längst viel mehr.<br />
L YVOnne VOn hunnIus<br />
1/<strong>2010</strong>