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medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios

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medtropole Aktuelles<br />

Nr. 22 Juli 2010<br />

WIRBELSÄULENCHIRURGIE:<br />

Idiopathische Skoliose – operative Behandlung<br />

RHEUMATOLOGIE:<br />

Primäre systemische Vaskulitiden<br />

HÄMOSTASEOLOGIE:<br />

Das erworbene von Willebrand-Syndrom<br />

<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />

<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>


Impressum<br />

Redaktion<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

(verantw.)<br />

Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />

Prof. Dr. Christian Arning<br />

PD Dr. Oliver Detsch<br />

Dr. Birger Dulz<br />

PD Dr. Siegbert Faiss<br />

Dr. Christian Frerker<br />

Dr. Annette Hager<br />

Dr. Susanne Huggett<br />

Prof. Dr. Friedrich Kallinowski<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />

Dr. Kilian Röd<strong>der</strong><br />

Prof. Dr. Jörg Schwarz<br />

Prof. Dr. Gerd Witte<br />

Cornelia Wolf<br />

Her<strong>aus</strong>geber<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg GmbH<br />

Unternehmenskommunikation<br />

Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />

Rübenkamp 226<br />

22307 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-82 66 36<br />

Fax (0 40) 18 18-82 66 39<br />

E-Mail:<br />

medtropole@asklepios.com<br />

Auflage: 15.000<br />

Erscheinungsweise:<br />

4 x jährlich<br />

ISSN 1863-8341<br />

Titel:<br />

pANCA bei Kleingefäß vasku -<br />

litiden wie mikroskopische<br />

Polyangiitis o<strong>der</strong> Churg-Str<strong>aus</strong>s-<br />

Syndrom (siehe Seite 811 – 814)<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

die Fußball-WM-Euphorie hat sich gelegt, die Deutsche Mannschaft schneidet,<br />

durch<strong>aus</strong> zufriedenstellend, mit einer ehrbaren Bronzemedaille ab und gleichzeitig,<br />

fast unbemerkt, hat unsere Regierung kurz vor <strong>der</strong> Sommerp<strong>aus</strong>e eine<br />

sogenannte Gesundheitsreform verabschiedet, die sich offensichtlich das Etikett<br />

„Reform“ noch verdienen muss und sicherlich zu mancherlei Kopfzerbrechen in<br />

den Krankenhäusern, aber auch bei unseren nie<strong>der</strong>gelassenen Kollegen führen<br />

wird.<br />

Nicht erkennbar touchiert wurde durch die jetzige Gesundheitsreform das 2003 verabschiedete<br />

Gesetz zur Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), das seit dem 1. Januar<br />

2004 neben Vertragsärzten und ermächtigten <strong>Ärzte</strong>n auch medizinischen Versorgungszentren die<br />

Teilnahme an <strong>der</strong> ambulanten Versorgung erlaubt.<br />

Herr Dr. Stubbe, Geschäftsführer <strong>der</strong> MVZ Nord GmbH <strong>der</strong> AKHH, zeigt die Entwicklung <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> MVZ und die Zielsetzung unseres Unternehmens <strong>für</strong> dieses Geschäftsfeld in diesem<br />

Heft detailliert auf. Medizinische Versorgungszentren werden immer noch von vielen Kollegen<br />

kritisch beäugt; jedoch ist es durch<strong>aus</strong> möglich, diese ambulanten Behandlungszentren gerade in<br />

strukturschwachen Gegenden Hamburgs und im Umland sinnvoll zu etablieren und dabei durch<br />

eine behutsame Vorgehensweise nicht nur Patienten, son<strong>der</strong>n auch die in den MVZ arbeitenden<br />

Kollegen offensichtlich zufriedenzustellen. Immerhin beschäftigt die <strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH<br />

61 <strong>Ärzte</strong> und Psychologen in Voll- und Teilzeit, wobei ein weiteres Wachstum zu erhoffen ist, ohne<br />

dass, wie Herr Stubbe formuliert, die Interessen <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelassenen <strong>Ärzte</strong> o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Krankenhäuser<br />

verletzt werden. Dies scheint mir in <strong>der</strong> Tat <strong>der</strong> richtige Weg <strong>für</strong> die Umsetzung des 2003<br />

beschlossenen Gesetzes zur Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> gesetzlichen Krankenversicherung zu sein.<br />

Natürlich enthält diese Ausgabe <strong>der</strong> medtropole auch wie<strong>der</strong> interessante Arbeiten <strong>aus</strong> völlig<br />

unterschiedlichen Fachgebieten, die einmal mehr den breiten medizinischen Fächer <strong>der</strong> Hamburger<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en zeigen.<br />

Abschließend hoffe ich, wie<strong>der</strong> Ihr Interesse <strong>für</strong> die Lektüre dieser medtropole geweckt zu haben.<br />

Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, den Redaktionsmitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> medtropole <strong>für</strong> die<br />

geleistete Arbeit zu danken, insbeson<strong>der</strong>e Herrn Bonnet von <strong>der</strong> Pressestelle <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg, <strong>der</strong> unermüdlich recherchiert, die Redaktionssitzungen zur Zufriedenheit aller leitet<br />

und letztlich auch Motor und „guter Geist“ dieser Zeitschrift ist.<br />

Herzlichst<br />

Ihr<br />

Priv.-Doz. Dr. Meyer-Moldenhauer<br />

Ärztlicher Direktor <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Chefarzt des Urologischen Zentrums Hamburg


Inhalt<br />

804 | WIRBELSÄULENCHIRURGIE<br />

Operative Behandlung <strong>der</strong> idiopathischen Skoliose<br />

808 | UROLOGIE<br />

Therapie <strong>der</strong> Harninkontinenz<br />

nach radikaler Prostatektomie mit dem artifiziellen Sphinkter<br />

811 | RHEUMATOLOGIE<br />

Primäre systemische Vaskulitiden<br />

815 | PSYCHOSOMATIK<br />

Essstörungen<br />

Stationäre o<strong>der</strong> tagesklinische Behandlung?<br />

817 | PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE<br />

Können psychisch Gesunde süchtig werden?<br />

O<strong>der</strong> ist Sucht immer ein Symptom einer an<strong>der</strong>en psychischen Störung?<br />

820| PERSONALIA<br />

822 | NEUROCHIRURGIE<br />

Akutmaßnahmen beim Schädel-Hirntrauma<br />

826 | HÄMOSTASEOLOGIE<br />

Das erworbene von Willebrand-Syndrom<br />

830 | MEDIZINISCHE VERSORGUNGSZENTREN<br />

Die MVZ Nord GmbH <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg<br />

832 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />

Vom guten Eiter bis zum Schnellverband:<br />

Die Geschichte <strong>der</strong> Wundversorgung<br />

S. 804<br />

S. 826<br />

S. 832


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Operative Behandlung<br />

<strong>der</strong> idiopathischen Skoliose<br />

PD Dr. Thomas Niemeyer, Dr. Kay Steffan<br />

Im Griechischen bedeutet „scolios“ krumm und im heutigen medizinischen<br />

Kontext versteht man unter Skoliose eine Formanomalie <strong>der</strong> Wirbelsäule,<br />

eine sogenannte 3D-Deformität, die durch Abweichung in <strong>der</strong> Frontal-<br />

Sagittalebene und in <strong>der</strong> Rotation gekennzeichnet ist.<br />

Die mit Abstand häufigste Form <strong>der</strong> nicht<br />

sekundär bedingten Wirbelsäulendeformi -<br />

täten ist die idiopathische Skoliose, die sich<br />

definitionsgemäß nicht auf an<strong>der</strong>e mögliche<br />

Ursachen wie Missbildungen, neurologische<br />

Erkrankungen, Syndrome und Bindegewebserkrankungen<br />

sowie Degeneration<br />

zurückführen lässt. Kennzeichen sind eine<br />

strukturelle Seitverbiegung <strong>der</strong> Wirbelsäule<br />

mit Fehlrotationskomponente <strong>der</strong> Wirbel,<br />

die zum Scheitelpunkt hin zunimmt und<br />

<strong>für</strong> die Ausbildung von Rippenbuckel<br />

und/o<strong>der</strong> Lendenwulst verantwortlich ist,<br />

sowie die Torsion (Verwringung) <strong>der</strong> einzelnen<br />

Wirbel in sich – einige Autoren [6]<br />

sprechen auch von einer Abweichung in<br />

<strong>der</strong> 4. Ebene (intravertebrale Deformierung,<br />

Abb. 3). Häufig liegt zusätzlich eine Deformierung<br />

in <strong>der</strong> Sagittalebene mit krankhafter<br />

Begleitlordose o<strong>der</strong> Begleitkyphose vor,<br />

wobei dann von einer Lordo skoliose beziehungsweise<br />

Kyphoskoliose gesprochen wird.<br />

804<br />

Abb. 1: Intravertebrale<br />

Deformität mit konkavseitig<br />

kleinem Pedikel<br />

Diagnostik<br />

Auffällig wird die Skoliose klinisch durch<br />

zunehmende Deformierung des Rumpfes<br />

mit o<strong>der</strong> ohne Lotabweichung und mit,<br />

je nach Lage <strong>der</strong> Deformität, Ausbildung<br />

eines Rippenbuckels und/o<strong>der</strong> Lendenwulstes,<br />

Asymmetrie <strong>der</strong> Taillendreiecke<br />

und gegebenenfalls Schulterschiefstand<br />

(Abb. 4). Die typischen Verän<strong>der</strong>ungen<br />

treten häufig während des Wachstumsschubes<br />

<strong>der</strong> Pubertät auf und betreffen<br />

Mädchen vier Mal häufiger als Jungen.<br />

Radiologisch können die Haupt- und Ne -<br />

benkrümmungen nach <strong>der</strong> COBB-Methode<br />

auf <strong>der</strong> Ganzwirbelsäulenaufnahme <strong>aus</strong>gemessen<br />

und <strong>der</strong> Schweregrad <strong>der</strong> Skoliose<br />

bestimmt werden. Auf sogenannten röntgenologischen<br />

Bending-(Umkrümmungs-)<br />

aufnahmen lässt sich die Flexibilität von<br />

Haupt- und Nebenkrümmung bestimmen,<br />

um so prognostische Hinweise auf den<br />

Erfolg einer konservativen Korsettbehandlung<br />

o<strong>der</strong> das mögliche Ausmaß einer operativen<br />

Korrektur und die zu empfehlende<br />

Operationstechnik zu bekommen.<br />

Das biologische Alter bei <strong>der</strong> Entstehung<br />

einer Skoliose ist prognostisch bedeutsam.<br />

Das Skelettalter lässt sich in <strong>der</strong> Wachstumsphase<br />

anhand des Verknöcherungs -<br />

stadiums <strong>der</strong> Beckenkammapophyse nach<br />

RISSER und durch eine a-p-Röntgenaufnahme<br />

<strong>der</strong> linken Hand bestimmen.<br />

Nach <strong>der</strong> Lokalisation des Krümmungsscheitels<br />

werden bei <strong>der</strong> idiopathischen<br />

Skoliose vier Typen unterschieden: Bei <strong>der</strong><br />

bevorzugt linkskonvexen Lumbalskoliose<br />

liegt <strong>der</strong> Scheitelpunkt unterhalb des 1.<br />

Lendenwirbels, bei <strong>der</strong> Thorakolumbalskoliose<br />

in Höhe von Th12 o<strong>der</strong> L1. Idiopathische<br />

Thorakalskoliosen sind rechtskonvex<br />

mit einem Scheitelpunkt meist zwischen<br />

Th7 und Th11. Bei <strong>der</strong> doppelbogigen Skoliose<br />

liegen zwei Hauptkrümmungen vor,<br />

wobei die thorakale rechtskonvex und die<br />

lumbale linkskonvex <strong>aus</strong>gerichtet sind. Die<br />

letzte Form ist kosmetisch am wenigsten<br />

auffällig und wird meist spät erkannt, da<br />

sich die Krümmungen meist <strong>aus</strong>balancieren.<br />

Seit ihrer Veröffentlichung 1998 ist die<br />

nach LENKE benannte Klassifikation die<br />

am weitesten verbreitete, eine zweidimensionale<br />

Klassifikation mit sechs Typen. Ziel<br />

dieser Klassifikation war es, jede mögliche<br />

adoleszente idiopathische Skolioseform<br />

klassifizieren zu können und dabei gleichzeitig<br />

Therapierichtlinien festzulegen. [5,8,9]


Abb. 2: Ventrale Derotationsspondylodese Th9-L2: 16-jähriges Mädchen mit rechtskonvexer Thorakolumbalskoliose, Lenke Typ 5CN<br />

Therapie<br />

Eine exakte Diagnose auf Grundlage einer<br />

genauen Anamnese, <strong>der</strong> körperlichen und<br />

neurologischen Untersuchung sowie <strong>der</strong><br />

Röntgen-, Kernspin- o<strong>der</strong> CT-Aufnahmen<br />

ergibt die Basis <strong>für</strong> eine Beratung, in <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Patient und gegebenenfalls die Eltern<br />

über die Diagnose Skoliose, <strong>der</strong>en Verlauf,<br />

eventuell bestehende Risiken und Behandlungsstrategien<br />

mit konservativem o<strong>der</strong><br />

operativem Vorgehen aufgeklärt werden. [4]<br />

Indikation und Verlauf<br />

Die Indikation zur operativen Therapie<br />

einer idiopathischen Skoliose wird durch<br />

verschiedene Faktoren beeinflusst:<br />

■ Zunahme <strong>der</strong> Skoliosekrümmung<br />

(Progression)<br />

■ Vermeidung sekundärer Komplikationen<br />

(Herz-Kreislauf-System und Lunge)<br />

■ Schmerzen infolge einer frühen Degeneration<br />

<strong>der</strong> Wirbelsäule, hervorgerufen<br />

durch die zunehmende Verkrümmung<br />

Weitere Faktoren wie Patientenalter, Cobb-<br />

Winkel, individuelle Beeinträchtigung<br />

(Kosmetik) und Leidensdruck fließen<br />

zusätzlich in diesen Entscheidungsprozess<br />

ein. Aufgrund <strong>der</strong> chirurgischen Ergebnisse<br />

bei idiopathischer Skoliose gilt eine<br />

operative Therapie ab Krümmungswinkeln<br />

von mehr als 40 Grad lumbal und thorakolumbal<br />

sowie mehr als 50 G rad thorakal<br />

<strong>der</strong>zeit national wie international als indiziert,<br />

da jenseits dieser Krümmungswinkel<br />

auch nach Wachstumsabschluss in aller<br />

Regel eine Progredienz auftritt (AWMF-<br />

Leitlinie).<br />

Dabei stehen drei Ziele im Vor<strong>der</strong>grund:<br />

■ maximale 3D-Korrektur unter Erhalt<br />

<strong>der</strong> Funktion und mit dem bestmöglichen<br />

kosmetischen Ergebnis<br />

■ hohe Sicherheit durch Primärstabilität<br />

<strong>der</strong> Instrumentation: vollständige korsettfreie<br />

Nachbehandlung<br />

■ Reduzierung von Schmerzen, wobei<br />

Schmerzen bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />

mit idiopathischer Skoliose nicht<br />

im Vor<strong>der</strong>grund stehen<br />

Operationsverfahren<br />

Wirbelsäulenchirurgie<br />

Die operativen Korrekturverfahren einer<br />

Skoliose gehören zu den maximalchirurgischen<br />

großen Eingriffen an <strong>der</strong> Wirbelsäule.<br />

Möglich sind diese Verfahren letztlich<br />

nur durch die heutigen Narkoseverfahren<br />

und das anästhesiologische perioperative<br />

Management, die unabhängig von Alter<br />

und Komorbidität fast jede notwendige<br />

Korrektur ermöglichen. Die Historie <strong>der</strong><br />

operativen Skoliosetherapie begann vor<br />

rund 200 Jahren mit Muskeldurchtrennungen<br />

(Guerin, 1839: Myotomie Muskulatur),<br />

gefolgt von dem bis heute gültigen Prinzip<br />

<strong>der</strong> Spondylodese zur Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />

Zunahme <strong>der</strong> Skoliose (Hibbs, 1911: erste<br />

Wirbelsäulenfusion) bis zur ersten instrumentierten<br />

Skoliose (Harrington, 1962 Korrektur/Stabilisierung).<br />

Diese Pionierleistung<br />

ermöglichte in <strong>der</strong> Regel Korrekturen<br />

um 50 – 60 Prozent, aber mit einem durchschnittlichen<br />

Korrekturverlust bis 25 Prozent<br />

und einer Pseudarthroserate in bis zu<br />

20 Prozent aufgrund fehlen<strong>der</strong> Primärstabilität.<br />

Erschwerend kam hinzu, dass keine<br />

Beeinflussung des sagittalen Profils gelang<br />

und auf die Operation eine mehrwöchige<br />

Bettruhe und anschließend ein Jahr im<br />

(Gips-)Korsett folgten. Mit den heutigen<br />

805


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Abb. 3: 18-jährige Patientin mit doppelbogiger Skoliose Lenke Typ 3CN vor und nach Korrektur über den dorsalen Zugang von Th6-L4<br />

primärstabilen Implantaten lassen sich<br />

Skoliosen operativ viel effektiver aufrichten<br />

und stabilisieren. Durch die Korrektur<br />

<strong>der</strong> Skoliose werden nicht fusionierte<br />

Nebenkrümmungsbereiche mit den Bandscheiben<br />

und Wirbelgelenken distal <strong>der</strong><br />

Fusionsstrecke im Lumbal- o<strong>der</strong> Lumbo -<br />

sakralbereich entlastet. Die Langzeit -<br />

ergebnisse operierter Patienten mit<br />

idiopathischer Skoliose nach Harrington-<br />

Instrumentations-Spondylodese sind im<br />

Großen und Ganzen gut. [11] Da mit den<br />

mo<strong>der</strong>nen primärstabilen Verfahren bessere<br />

Korrekturergebnisse bei geringerer<br />

806<br />

Komplikationsrate und kürzerer Rehabilitationsphase<br />

erzielt werden, sollte die<br />

Langzeitprognose noch besser sein. [1–4,10]<br />

Verfahren zur Korrektur und Stabilisierung<br />

<strong>der</strong> Verkrümmung und Verdrehung <strong>der</strong><br />

skoliotischen Deformität:<br />

■ dorsale Verfahren über einen Zugangsweg<br />

von hinten<br />

■ ventrale Verfahren über einen vor<strong>der</strong>en<br />

Zugang<br />

■ kombinierte dorsale und ventrale<br />

Operationsverfahren<br />

Dabei werden intraoperativ Korrekturmanöver<br />

mit Distraktion, Kompression, Translation<br />

und Rotation angewendet. Die Korrektur<br />

<strong>der</strong> frontalen und sagittalen Ebene<br />

beträgt je nach Studie, verwendeten Im -<br />

plantaten und Flexibilität <strong>der</strong> Skoliosen<br />

zwischen 40 und 70 Prozent. [2,3,4,11] Nennenswerte<br />

Korrekturverluste treten im<br />

Implantationsbereich bei Verwendung von<br />

Pedikelschrauben o<strong>der</strong> ventralen Doppelstabsystemen<br />

nicht mehr auf. Häufig gelingt<br />

eine signifikante, kosmetisch vorteilhafte<br />

Abflachung von Rippenbuckel und/o<strong>der</strong><br />

Lendenwulst. Bei sehr rigiden Skoliosen


sind mitunter kombinierte dorsale und<br />

ventrale Operationsverfahren notwendig. [1]<br />

Zusätzliche Sicherheit bei allen korrigierenden<br />

Eingriffen wird durch ein intraoperatives<br />

Neuromonitoring mit Ableitung von<br />

SEPs und MEPs erreicht. Damit lässt sich<br />

das Querschnittsrisiko weiter minimieren.<br />

Der durchschnittliche Blutverlust und die<br />

OP-Zeit korrelieren mit dem Schweregrad<br />

<strong>der</strong> Skoliose. Die heutigen OP-Verfahren<br />

erlauben die zügige Wie<strong>der</strong>einglie<strong>der</strong>ung<br />

in den Alltag. Der stationäre Aufenthalt<br />

beträgt in aller Regel bei komplikations -<br />

losem Verlauf 10 – 14 Tage und nach ab -<br />

geschlossener Wundheilung dürfen die<br />

Patienten Schwimmen [7] gehen, leichte<br />

Krankengymnastik durchführen und<br />

öffentliche Verkehrsmittel benutzen.<br />

Fazit<br />

Die operative Therapie <strong>der</strong> idiopathischen<br />

Skoliose mit Korrektur des Achsenorgans<br />

in drei Ebenen gehört zu den maximalchirurgischen<br />

Eingriffen mit guten Langzeit -<br />

ergebnissen. Diese rekonstruktive Chirurgie<br />

<strong>der</strong> Wirbelsäule beim Kind, Jugendlichen,<br />

Erwachsenen und alten Menschen ist technisch<br />

anspruchsvoll, erfor<strong>der</strong>t ein aufwendiges<br />

perioperatives Management und<br />

Abb. 4: 13-jähriges Mädchen mit 96° nach Cobb<br />

Thorakalskoliose Lenke Typ 1CN mit typischen<br />

Zeichen; prä- und post operative Röntgenbil<strong>der</strong> einer<br />

dorsalen Korrektur von Th3-Th12<br />

muss in Zentren versorgt werden, die <strong>der</strong>artige<br />

Krankheitsbil<strong>der</strong> regelmäßig diagnostizieren,<br />

operieren und das Management<br />

<strong>der</strong> Komplikationen beherrschen. Die<br />

Lebensqualität <strong>der</strong> Patienten mit Skoliose<br />

ist dank <strong>der</strong> heutigen OP-Verfahren und<br />

<strong>der</strong> damit verbundenen hohen Sicherheit<br />

nach einem solchen Eingriff gut und<br />

bedeutet fast immer eine vollständige<br />

Wie<strong>der</strong>einglie<strong>der</strong>ung in den privaten und<br />

beruflichen Alltag.<br />

Literatur<br />

[1] Bullmann V, Halm HF, Schulte T, Lerner T, Weber TP,<br />

Liljenqvist UR. Combined anterior and posterior instrumentation<br />

in severe and rigid idiopathic scoliosis. Eur<br />

Spine J. 2006 Apr; 15(4): 440-8.<br />

[2] Bullmann V, Halm HF, Niemeyer T, Hackenberg L,<br />

Liljenqvist U. Dual-rod correction and instrumentation of<br />

idiopathic scoliosis with the Halm-Zielke instrumentation.<br />

Spine (Phila Pa 1976). 2003; 28(12): 1306-13.<br />

[3] Halm H, Niemeyer T, Halm B, Liljenqvist U, Steinbeck<br />

J. Halm-Zielke. Instrumentation bei idiopathischen Skoliosen.<br />

Ergebnisse bei 25 konsekutiven Patienten mit einem<br />

Mindestnachbeobachtungszeitraum von 2 Jahren.<br />

Z Orthop Ihre Grenzgeb. 2000; 138(1): 22-8.<br />

[4] Halm H, Richter A, Thomsen B, Köszegvary M, Ahrens<br />

M, Quante M. Ventrale Skolioseoperationen. Stand <strong>der</strong><br />

Technik und Vergleich mit dorsalen Verfahren. Orthopäde.<br />

2009; 38(2): 131-4, 136-40, 142-5.<br />

Kontakt<br />

PD Dr. Thomas Niemeyer<br />

Interdisziplinäres Wirbelsäulen Zentrum<br />

Hamburg<br />

Abteilung <strong>für</strong> Wirbelsäulen- und<br />

Skoliosechirurgie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 21 11<br />

Fax (0 40) 18 18-85 30 79<br />

E-Mail: t.niemeyer@asklepios.com<br />

Dr. Kay Steffan<br />

<strong>Asklepios</strong> Katharina-Schroth-<strong>Klinik</strong><br />

Orthopädisches Rehabiliationszentrum<br />

<strong>für</strong> die konservative<br />

Skoliose-Intensiv-Rehabilitation (SIR)<br />

Korczakstraße 2, 55566 Bad Sobernheim<br />

Tel. (0 67 51) 874-151<br />

Fax (0 67 51) 874-167<br />

E-Mail: k.steffan@asklepios.com<br />

Wirbelsäulenchirurgie<br />

[5] Lenke LG, Betz RR, Harms J, Bridwell KH, Clements<br />

DH, Lowe TG, Blanke K. Adolescent idiopathic scoliosis: a<br />

new classification to determine extent of spinal arthrodesis.<br />

J Bone Joint Surg Am. 2001; 83-A(8): 1169-81.<br />

[6] Liljenqvist U, Hackenberg L. Morphometric analysis of<br />

thoracic and lumbar vertebrae in idiopathic scoliosis. Stud<br />

Health Technol Inform. 2002; 88: 382-6.<br />

[7] Liljenqvist U, Witt KA, Bullmann V, Steinbeck J, Völker<br />

K. Empfehlungen zur Sport<strong>aus</strong>übung bei Patienten mit<br />

idiopathischer Skoliose. Sportverletz. Sportschaden. 2006;<br />

20(1): 36-42.<br />

[8] Liljenqvist U, Lerner T, Bullmann V. Selektive Fusionsmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> idiopathischen Skoliose unter kritischer<br />

Würdigung <strong>der</strong> Lenke-Klassifikation. Orthopäde. 2009;<br />

38(2): 189-92, 194-7.<br />

[9] Niemeyer T, Wolf A, Kluba S, Halm HF, Dietz K, Kluba<br />

T. Interobserver and intraobserver agreement of Lenke and<br />

King classifications for idiopathic scoliosis and the influence<br />

of level of professional training. Spine (Phila Pa 1976).<br />

2006; 31(18): 2103-7; discussion 2108.<br />

[10] Niemeyer T, Bövingloh AS, Grieb S, Schaefer J, Halm<br />

H, Kluba T. Low back pain after spinal fusion and Harrington<br />

instrumentation for idiopathic scoliosis. Int Orthop.<br />

2005; 29(1):47-50.<br />

[11] Niemeyer T, Liljenqvist U, Halm H, Winkelmann W.<br />

2- bis 4-Jahres-Ergebnisse dorsaler Doppelstabinstrumentationsspodylodesen<br />

bei idiopathischer Skoliose. Z Orthop.<br />

Ihre Grenzgeb. 1999; 137(5): 430-6.<br />

807


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Therapie <strong>der</strong> Harninkontinenz<br />

nach radikaler Prostatektomie mit dem artifiziellen Sphinkter<br />

Dr. Jochen Kilian, Dr. Alexan<strong>der</strong> von Bargen, PD Dr. Wolf-Hartmut Meyer-Moldenhauer<br />

Das Prostatakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung des Mannes. In einem lokal begrenzten Stadium ist<br />

die radikale operative Entfernung <strong>der</strong> Prostata (RPx) eine standardisierte Behandlungsmethode. Als häufigste<br />

Komplikation ist die postoperative Inkontinenz ein individuelles, gesellschaftliches und gesundheitsökonomisches<br />

Problem. [1] Führen konservative o<strong>der</strong> wenig invasive Therapien nicht zum Erfolg, bleibt die urologische Prothetik<br />

mit Implantation eines artifiziellen Sphinkters als bewährtes Verfahren zur Beseitigung einer postoperativen<br />

Inkontinenz.<br />

Nach erfolgreicher Tumortherapie wird die<br />

postoperative Belastungsinkontinenz nach<br />

radikaler Prostatektomie mit 1 bis 48 Prozent<br />

angegeben. [2] Allen Patienten wird<br />

nach <strong>der</strong> radikalen Prostatektomie zur<br />

postoperativen Rehabilitation geraten, in<br />

<strong>der</strong>en Zentrum die Anleitung zur selbstständigen<br />

und regelmäßigen Beckenbodengymnastik<br />

steht, um möglichst frühzeitig<br />

eine postoperative Kontinenz zu erreichen.<br />

Bei steigenden Operationszahlen wächst<br />

auch die Zahl <strong>der</strong> Patienten mit trotz Rehabilitation<br />

anhalten<strong>der</strong> Harninkontinenz,<br />

die einer erfolgreichen Therapie bedürfen.<br />

Die persistierende Inkontinenz erfor<strong>der</strong>t<br />

nach Differenzierung zwischen reiner<br />

Belastungs- und Drang-/Mischinkontinenz<br />

eine gezielte Weiterbehandlung. Während<br />

die Dranginkontinenz in <strong>der</strong> Regel gut mit<br />

einer anticholinergen Therapie zu behandeln<br />

ist, sollten Patienten mit <strong>aus</strong>geprägter<br />

Stressinkontinenz und über sechs bis maximal<br />

zwölf Monate frustranen konservativen<br />

Therapieversuchen operativ behandelt<br />

werden. [3]<br />

808<br />

Operative Therapie <strong>der</strong> anhaltenden<br />

Stressinkontinenz<br />

Die submuköse, paraurethrale Injektion<br />

von „bulking agents“ (Teflon, Kollagen,<br />

Silikon [Makroplastique ® ]) ist eine einfach<br />

durchzuführende Maßnahme, die aber<br />

bereits im An fangsstadium mit einer hohen<br />

Versagerrate belastet ist, die im Verlauf<br />

weiter ansteigt. [2] Wir halten daher den Einsatz<br />

von „bulking agents“ nicht mehr <strong>für</strong><br />

gerechtfertigt, zumal dadurch an<strong>der</strong>e, effizientere<br />

Therapieoptionen beeinträchtigt<br />

werden.<br />

Die anfangs hohen Erwartungen an die<br />

Stammzelltherapie zur Behandlung <strong>der</strong><br />

Stressinkontinenz haben sich nicht erfüllt.<br />

Sie ist daher ebenfalls nicht zu empfehlen. [2]<br />

Als weiteres minimal-invasives Therapieverfahren<br />

stehen adjustierbare Ballonsysteme<br />

(ProACT ® ) zur Verfügung, die durch<br />

Kompression <strong>der</strong> Harnröhre mit Hilfe<br />

zweier nachfüllbarer, paraurethral platzierter<br />

Ballons die Kontinenz wie<strong>der</strong>herstellen<br />

sollen. Auf diese Weise lassen sich Kontinenzraten<br />

von bis zu 60 Prozent erreichen. [4]<br />

Mathis et al. zitieren in ihrer systematischen<br />

Übersichtsarbeit Studien, in denen<br />

Blasenperforationen (6,4 – 9 %), Dranginkontinenz<br />

(6 – 8 %), rupturierte Ballons<br />

(20,7 % [5] ), Migrationen von Ballons (7 % [5] )<br />

sowie Erosionen (6,4 % [5] ), die eine Ballonentfernung<br />

nötig machten, auftraten. [6]<br />

In <strong>der</strong> eigenen <strong>Klinik</strong> haben wir bei <strong>aus</strong>wärtig<br />

operierten Patienten schwere Komplikationen<br />

wie urethrale Erosionen bis hin<br />

zum längerstreckigen Harnröhrenverlust<br />

und Infektionen beobachtet, die die komplette<br />

Explantation des Systems erfor<strong>der</strong>ten.<br />

Trotz <strong>der</strong> relativ hohen Kontinenzrate<br />

sind diese Systeme deshalb unseres Erachtens<br />

auch nicht zu empfehlen.<br />

Sehr erfolgreich sind bei mo<strong>der</strong>at <strong>aus</strong>geprägter<br />

Belastungsinkontinenz nach radikaler<br />

Prostatektomie spannungsfrei und<br />

nicht-obstruktiv wirkende Schlingensys -<br />

teme. In <strong>der</strong> eigenen <strong>Klinik</strong> hat sich bei<br />

geringgradiger Stressinkontinenz die<br />

Implantation <strong>der</strong> retro-urethralen transobturatorischen<br />

Schlinge (AdVance ® ) bewährt.<br />

Alle bisher aufgeführten Verfahren beeinträchtigen<br />

im Falle ihres Versagens die spätere<br />

Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />

im Bereich <strong>der</strong> proximal bulbären<br />

Urethra, da wegen <strong>der</strong> eingetretenen Vernarbung<br />

an dieser Lokalisation keine Man-


Abb. 1: Artifizieller Sphinkter (AMS 800 ® ) Abb. 2: Der proximal bulbäre Cuff nach RPx Abb. 3: Der distale Doppelcuff nach RPx<br />

schettenpositionierung des artifiziellen<br />

Sphinktersystems mehr möglich ist. Deshalb<br />

bedarf es einer kritischen Indikationsstellung.<br />

Das erste eingesetzte Operationsverfahren<br />

muss das Beste sein, weshalb bei<br />

<strong>aus</strong>geprägter Belastungsinkontinenz schon<br />

frühzeitig die Implantation eines artifiziellen<br />

Sphinkters, nach wie vor <strong>der</strong> Goldstandard<br />

in <strong>der</strong> Therapie <strong>der</strong> Post-Prostatektomie-Inkontinenz,<br />

in Erwägung gezogen<br />

werden sollte.<br />

Der artifizielle Sphinkter (Abb.1) wurde<br />

von Bradley und Scott entwickelt und erstmals<br />

1972 implantiert. Das heute verwendete<br />

Modell AMS 800 ® wurde bereits 1983<br />

eingeführt und ist ein hydraulisches, auch<br />

mit Antibiotikabeschichtung erhältliches<br />

System, das <strong>aus</strong> drei Komponenten<br />

besteht: einer Manschette (Cuff), die um<br />

die Harnröhre gelegt wird, einem druckregulierenden<br />

Ballon, <strong>der</strong> retropubisch o<strong>der</strong><br />

besser intraperitoneal platziert wird, und<br />

einer Kontrollpumpe, die im Skrotalfach<br />

untergebracht wird. Der im System herrschende<br />

Druck <strong>aus</strong> dem Ballon wird über<br />

die Pumpe auf die Manschette fortgeleitet<br />

und komprimiert die Harnröhre. Bei Miktion<br />

betätigt <strong>der</strong> Patient die skrotal gelegene<br />

Pumpe, wodurch <strong>der</strong> Cuff entleert und<br />

die Harnröhre freigegeben wird. Zeitverzögert<br />

verschließt sich die Manschette selbsttätig<br />

kurz nach <strong>der</strong> letzten Pumpenbetätigung.<br />

Nach radikaler Prostatektomie kommen<br />

zwei Positionen <strong>für</strong> die Implantation <strong>der</strong><br />

Harnröhrenmanschette in Betracht:<br />

1. Proximal-bulbäre Cuffposition mit<br />

knapp distal <strong>der</strong> Harnröhren-Blasen-<br />

Anastomosenregion gelegener Verschlussmanschette<br />

(Abb. 2)<br />

2. Der distale Doppelcuff liegt weiter distal<br />

an <strong>der</strong> bulbären Harnröhre und wird<br />

von uns bei allen voroperierten (bulking<br />

agents, Stammzelltherapie, Ballonsysteme,<br />

Schlingenoperation) o<strong>der</strong> bestrahlten<br />

Patienten verwendet (Abb. 3). An <strong>der</strong> proximal-bulbären<br />

Harnröhre muss durch Vernarbungen<br />

beziehungsweise postaktinische<br />

Durchblutungsbeeinträchtigung mit einer<br />

hohen Harnröhrenarrosionsrate gerechnet<br />

werden, weshalb in diesen Fällen ein distal-bulbärer<br />

Doppel-Cuff implantiert wird.<br />

Während die proximal-bulbäre Manschette<br />

außerhalb <strong>der</strong> Sitzdruckzone liegt, wird die<br />

Kontinenz bei einem distal-bulbär in <strong>der</strong><br />

Sitzdruckzone platzierten Cuff kompromittiert.<br />

Zur Vergrößerung <strong>der</strong> urethralen<br />

Druckübertragungsfläche werden deshalb<br />

zwei nebeneinan<strong>der</strong> liegende Cuffs<br />

implantiert.<br />

Präoperative Diagnostik<br />

und Behandlungsablauf<br />

Urologie<br />

Eine sorgfältige präoperative Abklärung<br />

zur Identifizierung <strong>der</strong> <strong>für</strong> die Sphinkter -<br />

implantation geeigneten Kandidaten<br />

sichert gute Behandlungsergebnisse.<br />

Anamnese mit Erfragung / Prüfung<br />

mentaler und manueller Fähigkeiten<br />

Miktions-Inkontinenzprotokoll<br />

Pad-Test [7]<br />

Körperliche Untersuchung<br />

Labor inklusive Urinsediment und Urinkultur<br />

Sonographie des Harntraktes<br />

Retrogrades Urethrogramm / MCU<br />

Urethrocystoskopie mit Stresstest im Liegen<br />

und Stehen<br />

Uroflowmetrie<br />

Urodynamik<br />

Tab. 1 Ambulante präoperative Diagnostik vor<br />

Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />

Ausmaß und Grad <strong>der</strong> Inkontinenz werden<br />

mit Inkontinenzprotokoll, Pad- und<br />

Stress-Tests erfasst. Die urodynamische<br />

Untersuchung wird zum Ausschluss kombinierter<br />

Harninkontinenzformen durch -<br />

geführt, die gegebenenfalls eine Vorbeziehungsweise<br />

Begleitbehandlung mit<br />

Anticholinergika erfor<strong>der</strong>n. Der Patient<br />

wird zur antibiotischen Vorbehandlung am<br />

präoperativen Tag aufgenommen und<br />

unter einem fünftägigen perioperativen<br />

Antibiotikaregime operiert. Die Entlassung<br />

809


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

erfolgt mit zunächst deaktiviertem Sphinktersystem.<br />

Nach einer sechswöchigen Einheilungszeit<br />

wird das System in einem<br />

kurzzeitstationären zweiten Aufenthalt<br />

mit einer Übernachtung aktiviert und die<br />

Bedienung eingeübt.<br />

Ergebnisse<br />

Die von Juni 2001 bis Dezember 2007 an<br />

<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg operierten<br />

269 Patienten mit Implantation eines artifiziellen<br />

Schließmuskels AMS 800 ® wurden<br />

im Rahmen einer Dissertation [8] mit standardisierten<br />

Fragebögen [ICIQ-SF 2004]<br />

und Pad-Test nach Klarskov und Hald [7]<br />

untersucht. 180 dieser Patienten konnten in<br />

die Auswertung einbezogen werden.<br />

Zwischenzeitlich wurden hier bis zum Mai<br />

2010 weitere 121 AMS 800 ® -Implantationen<br />

durchgeführt. Die Ursachen <strong>der</strong> Belastungsinkontinenz<br />

sind <strong>der</strong> Abbildung 4 zu<br />

entnehmen, <strong>der</strong> größte Anteil bezieht sich<br />

auf die Post-Prostatektomie-Inkontinenz.<br />

Die Kontinenzrate (0 bis max. 2 Vorlagen<br />

pro Tag) bei den untersuchten Patienten<br />

betrug nach Sphinkterimplantation nahezu<br />

86 Prozent. Im <strong>aus</strong>wertbaren Patientenkollektiv<br />

lag <strong>der</strong> Anteil von Revisionen bei<br />

17,3 Prozent. Trotz <strong>der</strong> hoch erscheinenden<br />

Revisionsrate lag die Zufriedenheit nach<br />

Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />

bei insgesamt 94,7 Prozent (Abb. 5)! Die<br />

Lebensqualität hatte sich nach Implantation<br />

eines artifiziellen Sphinkters bei 169 von<br />

180 Patienten (93,8 %) verbessert (Abb. 6)!<br />

Patienten, die einmal nach Aktivierung des<br />

artifiziellen Sphinktersystems kontinent<br />

waren, empfanden eine <strong>der</strong>artige Verbesserung<br />

ihrer Lebensqualität, dass sie bei<br />

einem auftretenden Systemdefekt<br />

schnellst möglich revidiert werden wollten,<br />

um bald wie<strong>der</strong> in die gute Ausgangslage<br />

versetzt zu werden.<br />

Fazit<br />

Die Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />

ist bei <strong>aus</strong>geprägter Postprostat ekto -<br />

mie-Inkontinenz ein äußerst erfolgreiches<br />

Therapiekonzept mit vertretbarer Komplikations-<br />

und sehr hoher Kontinenz- und<br />

Zufriedenheitsrate.<br />

810<br />

Anzahl <strong>der</strong> Patienten Prozent Anzahl <strong>der</strong> Patienten<br />

150<br />

120<br />

90<br />

60<br />

30<br />

0<br />

Abb. 4: Ursachen <strong>der</strong> Belastungsinkontinenz (n=180) [8]<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Abb. 5: Zufriedenheit nach Implantation eines artifiziellen Sphinkters im UZH [8]<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

Abb. 6: Lebensqualität <strong>der</strong> Patienten nach AMS 800 ® -Implantation [8]<br />

Literatur<br />

RPx: 147<br />

TUR-P: 21<br />

sehr zufrieden:<br />

50,3 %<br />

verbessert:<br />

169<br />

off PAEn: 1<br />

TUR-A: 2<br />

zufrieden:<br />

44,4 %<br />

unverän<strong>der</strong>t:<br />

4<br />

[1] Dombo O, Otto U. Stressinkontinenz beim Mann:<br />

Anatomische und funktionelle Beson<strong>der</strong>heiten. Journal <strong>für</strong><br />

Urologie und Urogynäkologie. 2004: 7-12.<br />

[2] Bauer RM, Mayer ME, Gratzke et al. Harninkontinenz<br />

nach radikaler Prostatektomie. Urologe. 2009; 48: 1044-9.<br />

[3] Schroe<strong>der</strong> A, Abrams P, An<strong>der</strong>sson KE et al. Guidelines<br />

on urinary incontinence. European Association of Urology,<br />

Arnheim. 2009: 28-34.<br />

[4] Hübner WA, Schlarp OM. Adjustable Continence<br />

Therapy (ProACT): Evaluation of the surgical technique in<br />

comparison of the original 50 patients with the most recent<br />

50 patients at a single centre. Eur Urol. 2007; 52: 680-6.<br />

[5] Hübner WA, Schlarp OM. Treatment of incontinence<br />

after prostatectomy using a new minimally invasive device:<br />

adjustable continence therapy. BJU Int. 2005; 96: 587-94.<br />

[6] Mathis S, Guba B, Adlbrecht C, Pramesberger C. Belas -<br />

tungsinkontinenz Evidenz zu vier minimal-invasiven<br />

Behandlungsmethoden mit fragwürdigem Nutzen – syste-<br />

Radiatio: 1<br />

Trauma: 1<br />

wenig zufrieden:<br />

3,5 %<br />

verschlechtert:<br />

2<br />

matische Übersicht. Urologe. 2009; 48: 1330-8.<br />

[7] Klarskov P, Hald T. Reproducability and realibility of<br />

urinary incontinence assessment with a 60 min test. Scand<br />

J Urol Nephrol. 1984; 18(4): 293-8.<br />

[8] Bargen VA. Der artifizielle Sphinkter AMS 800 –<br />

Erfolgsrate, Komplikationen und Patientenzufriedenheit.<br />

Inauguraldissertation 2008; Mainz.<br />

Kontakt<br />

neurogen: 3<br />

iatrogen: 3<br />

Dr. Jochen Kilian<br />

unbekannt: 1<br />

gar nicht<br />

zufrieden: 1,8 %<br />

keine Angabe:<br />

5<br />

Urologisches Zentrum Hamburg<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />

Eißendorfer Pferdeweg 52<br />

21075 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-86 25 54<br />

Fax (0 40) 18 18-86 34 26<br />

E-Mail: j.kilian@asklepios.com<br />

Ursachen<br />

Patientenzufriedenheit<br />

Lebensqualität


Primäre systemische Vaskulitiden<br />

Dr. Keihan Ahmadi-Simab<br />

Die Einteilung <strong>der</strong> PSV erfolgt gemäß <strong>der</strong><br />

Nomenklatur <strong>der</strong> Chapel Hill Consensus<br />

Conference (CHC) [1] nach dem prädominanten<br />

Befallmuster <strong>der</strong> Gefäße (Gefäßtyp)<br />

und unter Berücksichtigung pathophysiologischer<br />

Aspekte, das heißt ANCA-Assoziation<br />

beziehungsweise Immunkomplex-<br />

Genese (Tab. 1).<br />

Pathogenese<br />

Pathogenetisch lassen sich die Vaskulitiden<br />

in drei Gruppen unterteilen:<br />

1. Granulomatöse Vaskulitis<br />

2. Immunkomplexvaskulitis<br />

3. ANCA-assoziierte Vaskulitis<br />

(Pauci-immune Vaskulitis)<br />

Granulomatöse Vaskulitis<br />

Die Riesenzellarteriitiden (Arteriitis temporalis,<br />

M. Horton) und die Takayasu-Arteri -<br />

itis betreffen die großen Gefäße und zählen<br />

zu den Granulomatösen Vaskulitiden. Sie<br />

gehen mit einer granulomatösen Entzündung<br />

in <strong>der</strong> Gefäßwand einher, wobei sich<br />

peripher we<strong>der</strong> Immunkomplexe noch<br />

Autoantikörper finden. Zu den frühesten<br />

Krankheitsprozessen in <strong>der</strong> Pathogenese<br />

<strong>der</strong> Riesenzellarteriitis gehört die Aktivierung<br />

dendritischer Zellen in <strong>der</strong> Adventitia<br />

großer Gefäße, in <strong>der</strong>en Folge es zu einer<br />

Chemokin- und Th1-Typ-Zytokinsekretion<br />

kommt. T-Zellen migrieren in <strong>der</strong> Folge<br />

über die Vasa vasorum <strong>der</strong> Adventitia in<br />

die gesamte Gefäßwand. In diesem Rahmen<br />

werden Makrophagen aktiviert und<br />

fusionieren zu Riesenzellen.<br />

Immunkomplexvaskulitis<br />

Polyarteriitis nodosa, kutane leukozytoklastische<br />

Vaskulitis, essentielle kryoglobulinämische<br />

Vaskulitis und Schönlein-Henoch-<br />

Purpura sind Immunkomplexvaskulitiden.<br />

Die Ablagerung zirkulieren<strong>der</strong> Immunkomplexe<br />

induziert endothelseitig beziehungsweise<br />

in den Gefäßwänden eine Entzündung.<br />

Abgelagerte Immunkomplexe werden<br />

von neutrophilen Granulozyten über ihre<br />

Fc-γ-Rezeptoren erkannt, was zu einer vorzeitigen,<br />

endothelnahen Degranulierung<br />

mit konsekutiver Endothelschädigung<br />

führt. Abgelagerte Immunkomplexe und<br />

C1q induzieren zudem eine Verlangsamung<br />

des Rollens von Leukozyten über<br />

dem Endothel, was offenbar ebenfalls Entzündung<br />

und Endothelschädigung Vorschub<br />

leistet. Immunhistochemisch sind<br />

dementsprechend Immunkomplexe und<br />

Komplementfaktoren in <strong>der</strong> Gefäßwand<br />

nachzuweisen. Immunkomplexvaskulitiden<br />

sind durch einen Komplementverbrauch<br />

gekennzeichnet.<br />

ANCA-assoziierte Vaskulitis<br />

Zu den ANCA-assoziierten Vaskulitiden<br />

zählen die Wegenersche Granulomatose<br />

(WG), das Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom (CSS)<br />

und die Mikroskopische Polyangiitis<br />

(MPA). Alle drei Vaskulitiden betreffen<br />

hauptsächlich kleine Gefäße, also kleine<br />

Arterien, Arteriolen, Kapillaren und Venolen.<br />

Da Ablagerungen von Immunkomplexen<br />

nur in geringem Maße o<strong>der</strong> gar nicht<br />

in den entzündlichen Arealen nachzuweisen<br />

sind, werden diese Vaskulitiden als<br />

„pauci-immun“ bezeichnet. Diese Vaskulitis-Gruppe<br />

ist charakteristischerweise mit<br />

Rheumatologie<br />

Vaskulitiden sind chronisch entzündliche Erkrankungen <strong>der</strong> Blutgefäße. Man unterscheidet primäre systemische<br />

Vaskulitiden unklarer Ätiologie und sekundäre Vaskulitiden, die in Assoziation mit an<strong>der</strong>en chronisch entzündlichen<br />

und autoimmunen Erkrankungen auftreten. Der Begriff primäre systemische Vaskulitis (PSV) umfasst<br />

klinisch, morphologisch und immunpathogenetisch unterschiedliche Immunvaskulitiden.<br />

dem Nachweis anti-neutrophiler zytoplasmatischer<br />

Autoantikörper (ANCA) assoziiert:<br />

Bei generalisierter WG PR3-ANCA<br />

(≥ 95 %), bei MPA MPO-ANCA (40 – 80 %)<br />

und bei CSS meist MPO-ANCA, seltener<br />

PR3-ANCA (10 – 70 %). Neben ihrer diagnostischen<br />

Bedeutung kommt den ANCA<br />

in <strong>der</strong> Pathogenese <strong>der</strong> Vaskulitis eine<br />

bedeutende Rolle zu. Nach <strong>der</strong>zeitiger Vorstellung<br />

kommt es unter dem Einfluss von<br />

Zytokinen zur Translokation <strong>der</strong> primär<br />

intrazellulären Zielantigene (zum Beispiel<br />

PR3) auf die Oberflächenmembran neutrophiler<br />

Granulozyten. Möglicherweise spielt<br />

auch eine genetische Prädisposition in <strong>der</strong><br />

Oberflächenexpression <strong>der</strong> Zielantigene<br />

eine Rolle. Durch die Interaktion von<br />

ANCA mit den Zielantigenen auf <strong>der</strong> Zelloberfläche<br />

werden die Neutrophilen aktiviert.<br />

Es kommt zur vorzeitigen, endothelnahen<br />

Degranulation mit Freisetzung<br />

toxischer Sauerstoffradikale und lysosomaler<br />

Enzyme mit konsekutiver Schädigung<br />

des Endothels und somit Initiierung <strong>der</strong><br />

Vaskulitis.<br />

Symptome<br />

Die ersten Symptome <strong>der</strong> Vaskulitiden<br />

sind häufig uncharakteristisch (Tab. 2).<br />

Klinisch<br />

Allgemeinsymptome („constitutional symptoms“)<br />

Adynamie, Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust<br />

Rheumatische Beschwerdekomplex<br />

Polymyalgie, -arthralgie, -myositis, -arthritis<br />

(auch: mono- o<strong>der</strong> oligoarthritische Bil<strong>der</strong>)<br />

Labor<br />

Akutphasenproteinerhöhung<br />

(BSG-, CRP-Erhöhung etc.)<br />

Leuko- und Thrombozytose, Anämie<br />

Tab. 2: Indirekte Hinweise <strong>für</strong> PSV („Alarmsymptome“)<br />

811


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Erkrankung CHC Definition Typische klinische Symptome und Befunde<br />

Riesenzellarteriitis (RZA)<br />

Vaskulitis großer Gefäße<br />

Granulomatöse Arteriitis <strong>der</strong> Aorta und ihrer größeren Äste mit<br />

Plötzlicher Krankheitsbeginn, Fieber, B-Symptomatik, Gewichtsverlust, bitem-<br />

Prädilektion <strong>für</strong> die extrakraniellen Äste <strong>der</strong> A. carotis; Tempoporale<br />

Cephalgien, tastbar verhärtete und schmerzhafte Temporalarterie,<br />

ralarterie häufig betroffen; üblicherweise Patienten jenseits des<br />

Oberarmmyalgie, Depression<br />

40. Lebensjahres; häufig assoziiert mit Polymyalgia rheumatica<br />

Takayasu-Arteriitis<br />

Granulomatöse Entzündung <strong>der</strong> Aorta und ihrer Hauptäste;<br />

üblicherweise Patienten vor dem 40. Lebensjahr<br />

B-Symptomatik, Thorakalsymptome (Angina pectoris), Claudicatio,<br />

Blutdruckdifferenz, Schwindel<br />

Vaskulitis mittelgroßer Gefäße<br />

Polyarteritis nodosa<br />

(PAN)<br />

Nekrotisierende Entzündung <strong>der</strong> mittelgroßen o<strong>der</strong> kleinen<br />

Arterien ohne Glomerulonephritis und ohne Vaskulitis <strong>der</strong> Arteriolen,<br />

Kapillaren und Venolen<br />

B-Symptomatik, Arthralgien, Myalgien, art. Hypertonie, Polyneuropathie,<br />

Livedo reticularis, Angina abdominalis, Niereninfarkte, Angina pectoris, cerebrale<br />

Ischämie<br />

Kawasaki-Syndrom<br />

Wegenersche Granulomatose<br />

(WG)<br />

Mikroskopische<br />

Polyangiitis (MPA)<br />

Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom<br />

(CSS)<br />

Purpura Schönlein-<br />

Henoch<br />

Essentielle kryoglobulinämische<br />

Vaskulitis<br />

Kutane leukozyto-klastische<br />

Angiitis<br />

Im Verlauf kommen rheumatische Be -<br />

schwerden hinzu, die an eine entzündliche<br />

Systemerkrankung denken lassen. Bei<br />

sorgfältiger körperlicher Untersuchung finden<br />

sich auch meist die direkten Zeichen<br />

<strong>der</strong> Vaskulitis (Tab. 3), die als direkte Folge<br />

<strong>der</strong> Gefäßläsion anzusehen sind. Zur klinischen<br />

Diagnose führt die Synopse <strong>aus</strong><br />

<strong>Klinik</strong> (Schlüssel- und Leitsymptome),<br />

Immunserologie und histologischem Be -<br />

fund. Die wichtigsten Leitsymptome <strong>der</strong><br />

PSV sind in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />

Labordiagnostik<br />

Laborchemisch gibt es keinen Marker, <strong>der</strong><br />

allein eine Vaskulitis beweist. So werden<br />

prinzipiell diagnoseassoziierte, aktivitäts-<br />

812<br />

Arteriitis <strong>der</strong> großen, mittelgroßen und kleinen Arterien; häufig<br />

assoziiert mit dem mukokutanen Lymphknotensyndrom; Koronararterien<br />

häufig, Aorta und Venen z. T. betroffen; üblicherweise<br />

im Kindesalter<br />

assoziierte und/o<strong>der</strong> organbezogene<br />

Laborparameter bestimmt (Tab. 4 – 5). [2,3]<br />

Diagnostik<br />

Vaskulitis kleiner Gefäße<br />

Granulomatöse Entzündung des Respirationstraktes und nekrotisierende<br />

Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer Gefäße (d. h.<br />

Kapillaren, Venolen, Arteriolen und Arterien). Eine nekrotisierende<br />

Glomerulonephritis ist häufig.<br />

Nekrotisierende Vaskulitis kleiner Gefäße (d. h. Kapillaren,<br />

Venolen o<strong>der</strong> Arteriolen) mit wenigen o<strong>der</strong> keinen Immunkom-<br />

Pulmo-renales Syndrom<br />

plex-Ablagerungen. Eine nekrotisierende Arteriitis kleiner bis<br />

ANCA-Assoziation (MPO-ANCA)<br />

mittelgroßer Gefäße kann auftreten. Eine nekrotisierende Glomerulonephritis<br />

ist häufig, ebenso eine pulmonale Kapillariitis.<br />

Eosinophile und granulomatöse Entzündung des Respirations -<br />

traktes und nekrotisierende Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer<br />

Gefäße. Mit Asthma und einer Eosinophilie assoziiert.<br />

Vaskultis <strong>der</strong> kleinen Gefäße mit überwiegend IgA-haltigen<br />

Immundepots in situ; betroffen sind typischerweise Haut,<br />

Gastrointestinaltrakt und Glomeruli; Arthralgien und o<strong>der</strong><br />

Arthritiden<br />

Vaskulitis <strong>der</strong> kleinen Gefäße (Kapillaren, Venolen o<strong>der</strong> Arteriolen)<br />

mit Kryoglobulinablagerungen in situ. Assoziiert mit Kryoglobulinen<br />

im Serum. Haut und Glomerula sind häufig betroffen.<br />

Isolierte leukozytoklastische Angiitis <strong>der</strong> Haut ohne systemische<br />

Vaskulitis o<strong>der</strong> Glomerulonephritis<br />

Abhängig vom Organbefall sind weitere<br />

diagnostische Untersuchungen zur Diagnosesicherung<br />

und Erfassung <strong>der</strong> Organschädigungen<br />

erfor<strong>der</strong>lich, wie zum<br />

Beispiel EKG und Langzeit-EKG (Herzrhythmusstörungen<br />

bei kardialer Beteiligung?),<br />

Echokardiographie (Perikar<strong>der</strong>guss?<br />

Kontraktilitätsstörungen bei<br />

Coronariitis und Myokarditis?), Herzkatheteruntersuchungen<br />

(Aneurysmen und<br />

Stenosen <strong>der</strong> Coronargefäße?), Myokardbiopsie<br />

(Sicherung einer Kapillaritis), Gastro-<br />

und Coloskopie (Hinweise auf gastro-<br />

Palmar- und Plantarerythem, polymorphes Erythem am Körperstamm, Fieber,<br />

Konjunktivitis, Lymphadenopathie, Erdbeerzunge, Myokardinfarkt<br />

Initialphase (lokalisierte WG): lokoregionale Symptomatik im oberen Respirationstrakt:<br />

verstopfte Nase, blutige Rhinitis, Epistaxis, Sinusitis, Otitis<br />

Generalisationsphase: B-Symptomatik, Arthralgien, Arthritiden, Episkleritis,<br />

Hauteffloreszenzen, Hämoptysen, Perforation des Nasenseptums, Sattelnase,<br />

blutig-borkige Rhinitis<br />

Trias: systemische nekrotisierende Angiitis, nekrotisierende Entzündung im<br />

Respirationstrakt, nekrotisierende Glomerulonephritis (Pulmo-renales Syndrom),<br />

ANCA-Assoziation (PR3-ANCA)<br />

Nichtvaskulitische Prodromalphase: Asthma Bronchiale, allergische Rhinitis,<br />

Pollinosis nasi, Hypereosinophiles Syndrom<br />

Vaskulitische Phase: Arthralgien, Myalgien, B-Symptomatik, pulmonale Infiltrate,<br />

Eosinophilie, Polyneuropathie, kardiale Beteiligung<br />

ANCA-Assoziation (meist MPO-ANCA)<br />

Makulopapulöses Exanthem, Fieber, Arthritiden, kolikartige abdominelle<br />

Schmerzen, Glomerulonephritis<br />

Purpura, Polyneuropathie, Neuropathia multiplex, Glomerulonephritis, gastrointestinale<br />

Vaskulitis, Komplementverbrauch, Kryoglobulinämie; 80 – 90 %<br />

<strong>der</strong> ursprünglich als „essentiell“ bezeichneten kryoglobulinämischen Vaskulitiden<br />

können heute einer chronischen HCV-Infektion zugeordnet werden.<br />

Palpable Purpura<br />

Tab. 1: Die Vaskulitiseinteilung und Definitionen gemäß <strong>der</strong> Chapel Hill Consensus Conference (CHC) sowie häufige klinische Manifestationen<br />

intestinale Vaskulitis?), Bronchoskopie<br />

mit bronchoalveolärer Lavage und transbronchialer<br />

Biopsie (neutrophile o<strong>der</strong> lymphozytäre<br />

Alveolitis? interstitielle Pneumonitis,<br />

Kapillaritis?), Angiographie<br />

(Aneurysmen und Stenosen großer und<br />

mittelgroßer Gefäße?), Rö-Thorax (Rundherde,<br />

Infiltrate?), HRCT (Milchglasinfiltrate?<br />

Rundherde? [Abb. 1]), Magnetresonanz-<br />

Tomographie (Abb. 2) sowie Angiographie-<br />

CT und PET-CT (Aortitis? Arteri itis?). Die<br />

histologische Sicherung <strong>der</strong> Vaskulitis ist<br />

<strong>aus</strong> diagnostischen und prognostischen<br />

Gründen anzustreben, wobei die Biopsien<br />

<strong>aus</strong> betroffenen Organen wie Haut o<strong>der</strong><br />

Niere zu entnehmen sind.


Gefäßtyp Klinisches Problem<br />

Episkleritis („rotes Auge“), Hörsturz, Vertigo, Hämoptysen (alveoläre Hämorrhagie), Mikrohämaturie<br />

Klein (Glomerulonephritis), (Mono-, Poly-) Neuritis, Herdencephalitis, palpable Purpura, Nagelfalznekrosen,<br />

Angina pectoris (Perimyocarditis), Purpura abdominalis (blutige Stühle) etc.<br />

Infarkte: Hirn, Herz, Niere (Makrohämaturie!), Darm (Meläna!), Extremität etc. Blutung bei<br />

Mittelgroß<br />

Ruptur von Mikroaneurysmen<br />

Stenosen: z. B. „subclavian steal syndrome“ o<strong>der</strong> Aortenbogensyndrom,<br />

Groß<br />

Aneurysma dissecans (Riesenzellarteriitis), Venen: z. B. Trombosen<br />

Cave: Überlappungen <strong>der</strong> Gefäßtypen eher häufig!<br />

Tab. 3: Direkte Hinweise <strong>für</strong> PSV (Leitsymptome)<br />

Bluteosinophilie (>10%) Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom<br />

Hepatitis Bs-Antigen Panarteriitis nodosa<br />

Hepatitis C-Antigen/HCV/RNA Kryoglobulinämische Vaskulitis<br />

cANCA (PR3-ANCA) Wegenersche Granulomatose<br />

pANCA (MPO-ANCA) Mikroskopische Polyangiitis<br />

Kryoglobuline Kryoglobulinämische Vaskulitis<br />

Endothelzellantikörper Kawasaki-Syndrom<br />

Tab. 4: Diagnoseassoziierte Laborparameter<br />

Komplementspiegel Immunkomplexvaskulitiden<br />

ANCA-Titer Pauci-immune-Vaskulitiden<br />

Leuko- und Thrombozytose Entzündungsaktivität<br />

BSG- und CRP-Erhöhung Entzündungsaktivität<br />

Tab. 5: Aktivitätsassoziierte Laborparameter<br />

Therapie<br />

Das therapeutische Proce<strong>der</strong>e richtet sich<br />

nach Ausdehnung, Organmanifestation<br />

und Aktivität <strong>der</strong> Erkrankung sowie <strong>der</strong><br />

Prognose. PSV werden immunsuppressiv<br />

behandelt. Dies erfor<strong>der</strong>t eine engmaschige<br />

ärztliche Überwachung. Eine Patientenschulung<br />

trägt zur Minimierung therapiebedingter<br />

Komplikationen bei. Man unterscheidet<br />

drei Therapiestadien:<br />

■ Induktionstherapie: Diese erfolgt in<br />

<strong>der</strong> Regel mit Cyclophosphamid (Boli<br />

o<strong>der</strong> oral) nur über 3– 6 Monate (Tab. 6).<br />

■ Erhaltungstherapie: Nach erzielter<br />

Remission werden weniger toxische<br />

immunsuppressive Substanzen zur<br />

Remissionserhaltung (in <strong>der</strong> Regel mindestens<br />

zwei Jahre) eingesetzt (Tab. 6).<br />

■ Eskalationstherapie: Bei therapierefraktärem<br />

Verlauf (etwa 5 – 10 Prozent<br />

<strong>der</strong> Patienten mit ANCA-assoziierten<br />

Vaskulitiden) ist eine Eskalation <strong>der</strong><br />

konventionellen immunsuppressiven<br />

Therapie durch additive Maßnahmen<br />

(z. B. Plasmapherese) und/o<strong>der</strong> neue<br />

biologische Immunmodulatoren erfor<strong>der</strong>lich<br />

(Tab. 7).<br />

Therapie <strong>der</strong> Immunkomplexvaskulitiden<br />

Kryoglobulinämische Vaskulitis (CV)<br />

Bei <strong>der</strong> HCV-assoziierten CV wird bei<br />

nicht lebensbedrohlichen Organmanifestationen<br />

<strong>der</strong> Versuch einer HCV-Elimination<br />

durch kombinierte Gabe von Interferon-α<br />

und Ribavirin über 18 – 24 Monate empfohlen.<br />

[4] Bei lebensbedrohlichen Verläufen,<br />

etwa bei zunehmen<strong>der</strong> Niereninsuffizienz,<br />

progredienter Polyneuropathie o<strong>der</strong> ZNS-<br />

Vaskulitis, ist eine immunsuppressive Therapie<br />

mit Cyclophosphamid (CYC) und<br />

Glucocorticoiden erfor<strong>der</strong>lich, bei Therapierefraktärität<br />

ergänzt durch additive<br />

Plasmaseparationen über circa zwei Wochen.<br />

Mit dem monoklonalen Anti-CD20-Antikörper<br />

Rituximab steht eine neue Therapieoption<br />

<strong>der</strong> CV zur Verfügung.<br />

Polyarteriitis nodosa (PAN)<br />

Kontrollierte Studien zur Therapie <strong>der</strong><br />

PAN finden sich kaum. Eine aktuellere Studie<br />

zeigt, dass Patienten mit vermutlich<br />

schlechter Prognose nach Gabe von zwölf<br />

Zyklen CYC eine geringere Rezidivhäufigkeit<br />

aufweisen als nach Gabe von sechs<br />

Zyklen. [5]<br />

Schönlein-Henoch-Purpura<br />

Die Prognose ist im Allgemeinen gut. Bei<br />

schweren Verlaufsformen (rapid-progressive<br />

Glomerulonephritis, Darmbeteiligung<br />

mit Blutungen) kann eine immunsuppres-<br />

Rheumatologie<br />

sive Therapie mit CYC o<strong>der</strong> AZA erfor<strong>der</strong>lich<br />

werden. Bei entsprechen<strong>der</strong> Überwachung<br />

können auch eine GC-Monotherapie<br />

o<strong>der</strong> eine hochdosierte intravenöse Im -<br />

munglobulin (IVIG)-Therapie <strong>aus</strong>reichen.<br />

Therapie ANCA-assoziierter Vaskulitiden<br />

Die Therapie erfolgt abhängig von Erkrankungsstadium<br />

und -aktivität. Die lokalisierte<br />

WG kann mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol<br />

(Cotrimoxazol) behandelt<br />

werden, wenn eine engmaschige Kontrolle<br />

gewährleistet ist. [6] Bei generalisierter,<br />

schwer verlaufen<strong>der</strong> ANCA-assoziierter<br />

Vaskulitis mit organ- und/o<strong>der</strong> lebensbedrohlichen<br />

Manifestationen erfolgt die<br />

remissionsinduzierende Therapie mit<br />

Cyclophosphamid entwe<strong>der</strong> nach dem<br />

„Fauci-Schema“ (2 mg/kg/Tag per os <strong>für</strong><br />

3 – 6 Monate) o<strong>der</strong> Austin-Schema (Boli)<br />

und Prednisolon. [7] Nach Erzielen einer<br />

Remission erfolgt eine Umstellung auf eine<br />

remissionserhaltende Therapie (mit zum<br />

Beispiel MTX, Azathioprin, Mykophenolat-<br />

Mofetil, Leflunomid).<br />

Therapie <strong>der</strong> granulomatösen<br />

Vaskulitiden<br />

Riesenzellarteriitis (RZA)<br />

Die RZA spricht häufig auf eine GC-Monotherapie<br />

innerhalb weniger Tage gut an.<br />

Eine Startdosis von 40 bis 60 mg Prednisolonäquivalent<br />

sollte innerhalb von etwa<br />

sechs Monaten auf 5 – 7,5 mg/Tag reduziert<br />

werden. Bei Visusstörungen sollte die Therapie<br />

unverzüglich und hochdosiert (intravenös<br />

Methylprednisolon, 250 – 1.000 mg<br />

täglich über drei Tage) begonnen werden.<br />

Bei therapieresistentem Verlauf und anhaltend<br />

hohem Steroidbedarf ist die Einleitung<br />

einer immunsuppressiven, steroid -<br />

einsparenden Therapie mit zum Beispiel<br />

Methotrexat (MTX) (0,3 mg/kg/Woche s. c.)<br />

o<strong>der</strong> alternativ Azathioprin angezeigt. [8]<br />

Takayasu-Arteriitis<br />

Randomisierte, placebo-kontrollierte Studien<br />

zur Behandlung <strong>der</strong> Takayasu-Arteri -<br />

itis liegen bislang nicht vor. Als Standard<br />

zur Behandlung unkomplizierter Verläufe<br />

gilt allgemein eine Glukokortikoidmonotherapie,<br />

jedoch sind etwa ein Viertel <strong>der</strong><br />

Patienten zunächst therapierefraktär und<br />

in bis zu 50 Prozent <strong>der</strong> Fälle kommt es zu<br />

Rezidiven. Daher sollte frühzeitig eine<br />

813


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Behandlung mit Immunsuppressiva (z. B.<br />

MTX) begonnen werden. [9] Bei beson<strong>der</strong>s<br />

aggressivem Verlauf ist CYC (als Boluso<strong>der</strong><br />

orale Gabe) einzusetzen. Ergebnisse<br />

einer retrospektiven Analyse von 106 ge -<br />

fäßchirurgisch behandelten Patienten mit<br />

Takayasu-Arteriitis zeigen, dass operative<br />

Therapieverfahren additiv zur immun -<br />

suppressiven Therapie die Prognose von<br />

Patienten mit Komplikationen und refraktärem<br />

Verlauf (zum Beispiel bei großen<br />

Aneurysmen) verbessern.<br />

Literatur<br />

[1] Jennette JC, Falk RJ, et al. Nomenclature of systemic<br />

vasculitides. Proposal of an international consensus conference.<br />

Arthritis Rheum. 1994; 37(2): 187-92.<br />

[2] Gross WL. Primäre systemische Vaskulitiden. Teil III.<br />

Pathogenese und Therapie. Der Internist. 1999; 40(11):<br />

1194-215.<br />

[3] Gross WL. Primär systemische Vaskulitiden Teil I:<br />

Allgemeine Übersicht. Der Internist 1999; 40(7): 779-94.<br />

[4] Della Rossa A, Tavoni A, et al. Treatment of chronic<br />

hepatitis C infection with cryoglobulinemia. Curr Opin<br />

Rheumatol. 2002; 14(3): 231-7.<br />

[5] Guillevin L, Cohen P, et al. Treatment of polyarteritis<br />

nodosa and microscopic polyangiitis with poor prognosis<br />

factors: a prospective trial comparing glucocorticoids and<br />

six or twelve cyclophosphamide pulses in sixty-five<br />

patients. Arthritis Rheum. 2003; 49(1): 93-100.<br />

[6] de Groot K, Reinhold-Keller E, et al. Therapy for the<br />

maintenance of remission in sixty-five patients with generalized<br />

Wegener’s granulomatosis. Methotrexate versus<br />

trimethoprim/sulfamethoxazole. Arthritis Rheum. 1996;<br />

39(12): 2052-61.<br />

[7] Fauci AS, Haynes BF, et al. Wegener’s granulomatosis:<br />

prospective clinical and therapeutic experience with 85<br />

patients for 21 years. Ann Intern Med. 1983; 98(1): 76-85.<br />

[8] De Silva M, Hazleman BL. Azathioprine in giant cell<br />

arteritis/polymyalgia rheumatica: a double-blind study.<br />

Ann Rheum Dis. 1986; 45(2): 136-8.<br />

[9] Shikawa K, Maetani S. Long-term outcome for 120<br />

Japanese patients with Takayasu’s disease. Clinical and statistical<br />

analyses of related prognostic factors. Circulation.<br />

1994; 90(4): 1855-60.<br />

814<br />

<strong>Klinik</strong> Substanz<br />

Induktionstherapie<br />

Dosis/Applikation<br />

Cotrimoxazol „Initialphase“ T/S 2 x 960 mg/die p. o.<br />

Methrotrexat<br />

„Fauci-Schema“<br />

blande MTX 0,3 mg/kg/Wo. i. v. o<strong>der</strong> s. c.<br />

NIH-Standard<br />

aktiv<br />

CYC 2 mg/kg die p. o.<br />

intensiviert<br />

progressiv/foudroyant<br />

CYC 3 – 4 mg/kg/ die p. o.<br />

„Austin-Schema“<br />

mäßig-aktiv bzw. überwiegend<br />

renale Vaskulitis<br />

CYC 15 – 20 mg/kg i. v.<br />

Plasmapherese foudroyant mit Nierenversagen 40 – 60 ml/kg (4 – 7x)<br />

Cotrimoxazol Voll-/Teilremission<br />

Erhaltungstherapie<br />

T/S 2 x 960 mg/die p. o.<br />

Methrotexat Teilremission MTX 0,3 mg/kg/Wo i. v.<br />

Azathioprin Teilremission AZA 2 – 3 mg/kg/die p. o.<br />

Cyclosporin A nach Organtransplantation CsA 3 – 5 mg/kg/die p. o.<br />

i. v. Immunglobuline refraktär<br />

Behandlung refraktärer Verläufe<br />

IVIG 400 mg/kg i. v. an 5 Tagen<br />

Monoklonale AK refraktär anti CD4 plus<br />

anti CD52 sequentielle Gabe i.v.<br />

Antithymozytenglobulin refraktär ATG i. v. 10 Tage<br />

Tab. 6: Aktivitäts- und <strong>aus</strong>dehnungsadaptierte Behandlung ANCA-assoziierter Vaskulitiden<br />

Name nach <strong>der</strong><br />

Chapel-Hill Conference 1992<br />

Intensiviertes Protokoll<br />

bei „therapieresistenten“ PSV<br />

Riesenzellarteriitis GC plus AZA o<strong>der</strong> MTX<br />

Takayasu-Arteriitis GC plus MTX<br />

Tab. 7: Behandlung <strong>der</strong> therapieresistenten bzw. -refraktären PSV-intensivierte Therapiemöglichkeiten bei Progression<br />

Kontakt<br />

„therapierefraktären“ PSV<br />

GC puls CYC<br />

(FAUCI- o<strong>der</strong> AustinSchema)<br />

GC plus CYC<br />

(FAUCI- o<strong>der</strong> Austin-Schema)<br />

Polyarteriitis nodosa (PAN) GC & CYC-Bolus plus Plasmapherese GC plus CYC (FAUCI-Schema)<br />

Hepatitis B-Virus-assoz. PAN<br />

IFNα & Lamivudin plus<br />

Plasmapherese<br />

GC plus CYC (FAUCI-Schema)<br />

Wegener’sche Granulomatose<br />

GC & CYC (FAUCI-Schema) plus<br />

IVIG<br />

AK: a-CD4/CD52*<br />

Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom GC plus CYC (FAUCI-Schema) α-Interferon (bis 3 x 106/Woche)<br />

Mikroskopische Polyangiitis GC & CYC plus IVIG<br />

Abb. 1: HRCT-Thorax, Lungengranulom bei M. Wegener Abb. 2: MRT-Kopf, M. Wegener, Mastoiditis<br />

α-Thymozytenglobulin<br />

Monoklonale AK: a-CD4/CD52<br />

Henoch-Schönlein-Purpura GC plus IVIG (evtl. CYC) GC plus CYC (AUSTIN-Schema)<br />

Kutane leukozytoklastische Angiitis GC plus AZA (MTX)<br />

Essentiell kryoglobulinämische α-Interferon & Ribavirin plus AUSTIN-Schema plus<br />

Vaskulitis<br />

Plasmapherese<br />

Plasmapherese<br />

Erläuterungen<br />

GC = Glucocorticoid AZA = Azathioprin „low-dose” MTX = Methotrexat<br />

CYC = Cyclophospamid GC & CP = FAUCI-Schema CP = Cyclophosphamid-bolus = AUSTIN-Schema<br />

* humanisiertes anti-CD4, anti-CAMPATH 1H<br />

Dr. Keihan Ahmadi-Simab<br />

<strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Rheumatologie,<br />

klinische Immunologie, Nephrologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 11 24<br />

Fax (0 40) 18 18-81 48 00<br />

E-Mail: keihan.ahmadi@asklepios.com


Essstörungen<br />

Stationäre o<strong>der</strong> tagesklinische Behandlung?<br />

Dr. Helge Fehrs<br />

Der Anteil chronischer Verläufe beträgt bei<br />

<strong>der</strong> Anorexie etwa 50 Prozent, [2,7] bei <strong>der</strong><br />

Bulimia nervosa rund 30 Prozent. [1] Daher<br />

ist es sinnvoll, eher in Behandlungsabschnitten<br />

zu denken als <strong>der</strong> Vorstellung zu<br />

erliegen, eine Maßnahme wie zum Beispiel<br />

eine achtwöchige stationäre Behandlung<br />

würde die Erkrankung „heilen“. Während<br />

bis vor wenigen Jahren ambulante und stationäre<br />

Behandlungsmöglichkeiten als einzige<br />

Alternativen zur Verfügung standen,<br />

gibt es inzwischen mehrere Zentren in<br />

Deutschland, die wie das <strong>Asklepios</strong> Westklinikum<br />

Hamburg auch tagesklinische<br />

Angebote vorhalten. Dabei sind verschiedene<br />

Tagesklinikmodelle zu unterscheiden,<br />

die entwe<strong>der</strong> alternativ zur stationären<br />

Behandlung (fünf Tage pro Woche) arbeiten<br />

o<strong>der</strong> aber ein Übergangssetting vom<br />

stationären zum ambulanten Bereich anbieten<br />

(zum Beispiel zwei Tage pro Woche).<br />

Stehen unterschiedliche Behandlungs -<br />

optionen zur Verfügung, sollten bei <strong>der</strong><br />

Entscheidung über die Therapieform im<br />

Ambulanzgespräch insbeson<strong>der</strong>e die<br />

Behandlungsmotivation und die Zielsetzung<br />

geklärt werden. Dabei ist <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch<br />

mit Vorbehandlern in <strong>der</strong> Regel<br />

hilfreich. Bei <strong>der</strong> Entlassung <strong>aus</strong> einem<br />

Behandlungsabschnitt, also an <strong>der</strong> Schnittstelle<br />

zu einem möglichen nächsten Bau -<br />

stein <strong>der</strong> Behandlungskette, sind die noch<br />

vorhandene Erkrankungsschwere, das<br />

Rückfallrisiko und die psychosozialen Res-<br />

sourcen zu beachten. In jedem Fall kommt<br />

einer gezielten Vorbereitung auf die Zeit<br />

nach <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> große Bedeutung zu. Für<br />

die meisten Patienten ist ein Stufenplan<br />

<strong>der</strong> Behandlung optimal (z. B. stationärnachstationär-tagesklinisch-ambulant).<br />

Ziele stationärer und tagesklinischer<br />

Therapie bei Essstörungen [3]<br />

■ körperliche Stabilisierung (Anorexie:<br />

<strong>aus</strong>reichende Gewichtszunahme; Bulimie:<br />

Reduktion des selbstinduzierten<br />

Erbrechens, des Laxantienabusus und<br />

des exzessiven Sporttreibens)<br />

■ Normalisierung des Essverhaltens<br />

(Mahlzeitenzusammensetzung,<br />

Essensstruktur)<br />

■ Erarbeitung einer <strong>aus</strong>reichenden<br />

Behandlungs- und Än<strong>der</strong>ungsmotivation<br />

■ Her<strong>aus</strong>arbeiten zentraler psychischer<br />

Problembereiche (z. B. Reifungsängste,<br />

Probleme mit <strong>der</strong> Regulation eigener<br />

Gefühle)<br />

■ Verbesserung <strong>der</strong> psychischen Begleitsymptomatik<br />

(z. B. Depressivität,<br />

Ängste, selbstverletzendes Verhalten)<br />

■ Arbeit an zentralen dysfunktionalen<br />

Beziehungsmustern (z. B. Abhängigkeitskonflikt)<br />

■ Unterstützung bei Problemen im<br />

sozialen Umfeld<br />

Multimodale Therapieprogramme<br />

Psychosomatik<br />

Essstörungen mit Krankheitswert sind vor allem die Anorexia nervosa (Magersucht, ICD10 F50.0), die Bulimia<br />

nervosa (Ess-/Brechsucht, ICD10 F50.2) sowie die Binge-Eating-Störung (Essattacken ohne Erbrechen, ICD10<br />

F50.9). In <strong>der</strong> Therapie dieser Erkrankungen ist, wegen ihrer Chronifizierungstendenz und hoher Rückfallgefahr,<br />

eine Gesamtbehandlungsplanung von großer Bedeutung.<br />

Sowohl in stationärer als auch in tagesklinischer<br />

Behandlung finden multimodale<br />

Therapieprogramme ihre Anwendung. Sie<br />

bestehen <strong>aus</strong> psychodynamisch o<strong>der</strong> verhaltenstherapeutisch<br />

<strong>aus</strong>gerichteten Gruppen-<br />

und Einzelpsychotherapien, erlebnisorientierten<br />

Therapieverfahren, die<br />

schwerpunktmäßig in Gruppen angeboten<br />

werden (konzentrative Bewegungstherapie,<br />

Kunst- und Gestaltungstherapie o<strong>der</strong><br />

Musiktherapie), Ernährungsberatung,<br />

angeleitetem Kochen, Familiengesprächen<br />

sowie medizinischer Diagnostik und<br />

Behandlung. Hinzu kommen strukturierte<br />

symptomorientierte Komponenten, die sich<br />

speziell auf die Essstörung <strong>der</strong> Patientinnen<br />

beziehen. Sie halten Vorgaben zum<br />

Verzicht auf das pathologische Essverhalten,<br />

zur Gewichtsentwicklung und zur<br />

Nahrungsaufnahme vor, die häufig über<br />

Belohnungsverfahren positiv verstärkt<br />

werden. Zudem wird mit Esstagebüchern<br />

gearbeitet, die Mahlzeiten werden begleitet,<br />

es gibt Ruhephasen <strong>für</strong> Anorektikerinnen<br />

und Bulimikerinnen nach dem Essen<br />

sowie Sport- und Bewegungsangebote <strong>für</strong><br />

übergewichtige Patienten. Dabei sind<br />

Regeln und Vorgaben im stationären<br />

Bereich enger gefasst als im tagesklinischen<br />

Bereich – auch, weil dort den Patienten<br />

mehr Verantwortung übertragen wird.<br />

815


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Indikationsstellung<br />

Stationäre Behandlung<br />

Im Krankenh<strong>aus</strong> ist durch die ständige<br />

ärztliche und pflegerische Präsenz eine<br />

kontinuierliche körperliche Überwachung<br />

und Ansprechbarkeit gegeben. Die Tagesund<br />

Mahlzeitenstruktur ist vorgegeben, die<br />

Distanz zum belastenden Beziehungsumfeld<br />

o<strong>der</strong> Alltagsgeschehen durch die stationäre<br />

Aufnahme hergestellt. Abzuwägen<br />

ist, ob die „käseglockenartige“ Abschirmung<br />

durch das stationäre, regressionsfördende<br />

Milieu hilfreich ist, da es den Übergang<br />

in den Alltag erschwert. Für die meist<br />

jungen Patienten bedeutet ein <strong>Klinik</strong>aufenthalt<br />

in <strong>der</strong> Regel eine längere Unterbrechung<br />

von Schule, Ausbildung o<strong>der</strong> gerade<br />

begonnener Berufs<strong>aus</strong>bildung, die wie<strong>der</strong>um<br />

destabilisierend wirken kann.<br />

Bei <strong>der</strong> Anorexie ist eine <strong>Klinik</strong>behandlung<br />

indiziert bei raschem o<strong>der</strong> anhaltendem<br />

Gewichtsverlust (mehr als 20 Prozent über<br />

sechs Monate), gravierendem Untergewicht<br />

(BMI < 15 kg/m²) o<strong>der</strong> bei seit drei<br />

Monaten trotz ambulanter o<strong>der</strong> tagesklinischer<br />

Therapie stagnierendem erheblichem<br />

Untergewicht. Auch wenn soziale o<strong>der</strong><br />

familiäre Einflussfaktoren den Gesundungsprozess<br />

stark behin<strong>der</strong>n, ambulante<br />

o<strong>der</strong> tagesklinische Behandlungsmöglichkeiten<br />

unzureichend sind o<strong>der</strong> eine geringe<br />

Krankheitseinsicht besteht, ist an eine stationäre<br />

Behandlung zu denken. Medizinische<br />

Komplikationen wie schwere Infekte,<br />

körperliche Schwäche o<strong>der</strong> Herzrhythmusstörungen<br />

machen einen Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt<br />

unabdingbar. Bei <strong>der</strong> Bulimia nervosa<br />

sollte einer stationären Behandlung<br />

<strong>der</strong> Vorzug gegeben werden, wenn die<br />

Symptomatik so stark <strong>aus</strong>geprägt ist, dass<br />

<strong>der</strong> Alltag nicht mehr bewältigt werden<br />

kann o<strong>der</strong> wenn Impulsdurchbrüche in<br />

verschiedener Gestalt vorliegen (zum Beispiel<br />

Ess/Brechanfälle, selbstverletzendes<br />

Verhalten, Wut<strong>aus</strong>brüche, Suizidgedanken).<br />

Stärkere körperliche Beeinträchtigungen<br />

indizieren ebenfalls eine stationäre<br />

Therapie.<br />

Teilstationäre Behandlung<br />

Ein großer Vorteil <strong>der</strong> Tagesklinik ist die<br />

intensive Übungssituation: Täglich können<br />

Aspekte <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Therapie zu H<strong>aus</strong>e <strong>aus</strong>probiert<br />

werden und im Alltag auftretende<br />

Schwierigkeiten (zum Beispiel mit dem<br />

816<br />

Essen o<strong>der</strong> in zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen) fließen unmittelbar in die<br />

Behandlung ein. Das Selbstwirksamkeits -<br />

erleben <strong>der</strong> Patienten wird gestärkt („Ich<br />

habe etwas verän<strong>der</strong>t“), Nähe und Distanz<br />

lassen sich leichter regulieren.<br />

Nachteilig kann sich <strong>aus</strong>wirken, dass sich<br />

die Patienten nicht so umfassend von ihren<br />

Alltagsaufgaben zurückziehen o<strong>der</strong> sich<br />

nicht <strong>aus</strong> destruktiven Beziehungen lösen<br />

können. Pathologische Verhaltensweisen<br />

können leichter unbemerkt (heimlich) aufrecht<br />

erhalten werden. Für Magersuchterkrankte<br />

sind insbeson<strong>der</strong>e tagesklinische<br />

Modelle sinnvoll, die einen abgestuften<br />

Übergang in ein ambulantes Setting anbieten.<br />

Optimal sind Angebote, bei denen die<br />

Behandler <strong>der</strong> Station die Therapie auch in<br />

<strong>der</strong> Tagesklinik weiterführen (Behandlerkontinuität,<br />

Rückkehr an den vertrauten<br />

Ort). Für viele Patienten mit Bulimie ist<br />

die Tagesklinik <strong>der</strong> stationären Behandlung<br />

überlegen, vor allem, wenn die Symptomatik<br />

zwar noch regelmäßig vorhanden ist,<br />

aber nicht mehr so destruktiv umfassend<br />

auftritt. Bulimikerinnen profitieren sehr<br />

vom Übungscharakter <strong>der</strong> tagesklinischen<br />

Behandlungsform. [4,5,6]<br />

Bei Patienten mit Binge-Eating-Störung ist<br />

eine komplexe Therapie, stationär o<strong>der</strong><br />

tagesklinisch, insbeson<strong>der</strong>e dann indiziert,<br />

wenn bereits eine Adipositas mit Folge -<br />

erkrankungen entstanden ist.<br />

Fazit<br />

Essgestörte Patientinnen benötigen differenzierte<br />

Behandlungsangebote: ambulant,<br />

tagesklinisch als Alternative zur stationären<br />

Behandlung o<strong>der</strong> als Vor- und Nachbehandlung,<br />

sowie vollstationäre Behandlungsplätze,<br />

auch zur Krisenintervention<br />

ohne längere Wartezeit. Während <strong>für</strong><br />

Patientinnen mit Anorexia nervosa stationäre<br />

mit anschließenden nachstationären<br />

tagesklinischen Behandlungen oft die<br />

geeignetste Form darstellen, profitieren<br />

Bulimikerinnen mit mittelschweren Symptom<strong>aus</strong>prägungen<br />

nach neueren Erkenntnissen<br />

sogar eher von intensiven tagesklinischen<br />

Behandlungsangeboten als von<br />

vollstationären Settings. Patientinnen und<br />

Patienten mit Binge-Eating-Störung können<br />

häufig ambulant <strong>aus</strong>reichend versorgt<br />

werden – es sei denn, es ist bei chronischen<br />

langfristigen Störungen bereits zu massiver<br />

Gewichtszunahme mit Adipositas und entsprechenden<br />

Folgeerkrankungen psychischer<br />

und körperlicher Art gekommen.<br />

Stationäre und teilstationäre Programme<br />

<strong>für</strong> essgestörte Patientinnen sollten sowohl<br />

strukturierte symptomorientierte Angebote<br />

enthalten, als auch Angebote, in welchen<br />

die psychischen Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />

Patienten aufgegriffen werden.<br />

Literatur<br />

[1] Fichter MM, Quadflieg N. Twelve-year course and outcome<br />

of bulimia nervosa. Psychol Med. 2004; 34: 1395-406.<br />

[2] Steinh<strong>aus</strong>en HC. The outcome of anorexia nervosa in<br />

the 20th century. Am J Psychiatry. 2002; 159: 1284-93.<br />

[3] Zeeck A. in: Herpertz S, de Zwaan M, Zipfel S (Hrsg.)<br />

Handbuch Essstörungen und Adipositas, Springer 2008:<br />

214.<br />

[4] Zeeck A, Hartmann A. Stationäre und teilstationäre<br />

Therapie bei Anorexie und Bulimie. Ärztl Psychother<br />

Psychosomat. 2008; Med 1: 17-24.<br />

[5] Zeeck A, Sandholz A, Hipp W, Schmidt A. Stationäre<br />

und teilstationäre Bulimietherapie – das Freiburger Konzept.<br />

Psychotherapeut. 2005; 50(1): 43-51.<br />

[6] Zeeck A, Weber S, Sandholz A, Wetzler-Burmeister E,<br />

Wirsching M, Hartmann A. Inpatient versus day clinic treatment<br />

for Bulimia nervosa: A randomized controlled trial.<br />

Psychother Psychosom. 2009; 78(3): 152-60.<br />

[7] Zipfel S, Lowe B, Reas DL, Deter HC, Herzog W. Longterm<br />

prognosis in anorexia nervosa: lessons from a 21-year<br />

follow-up study. Lancet. 2000; 355: 721-2.<br />

Kontakt<br />

Dr. Helge Fehrs<br />

Abteilung <strong>für</strong> Psychosomatische Medizin<br />

und Psychotherapie<br />

<strong>Asklepios</strong> Westklinikum Hamburg<br />

Suurheid 20, 22559 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 81 91-25 01<br />

Fax (0 40) 81 91-25 99<br />

E-Mail: h.fehrs@asklepios.com


Die Hintergründe, vor denen <strong>aus</strong> Konsum<br />

o<strong>der</strong> schädlichem Konsum plötzlich eine<br />

Suchterkrankung wird, sind individuell<br />

und vielfältig. Die erhebliche Stigmatisierung<br />

durch die Zuschreibung einer Suchterkrankung<br />

[2] erklärt den Versuch, zur<br />

Entlastung den Hintergrund o<strong>der</strong> Auslöser<br />

als eigentliches psychisches Drama anzuführen,<br />

auf das sich die Sucht nur aufgepropft<br />

habe. Und diese Fälle gibt es auch<br />

tatsächlich. [6]<br />

Aber nicht jedem, <strong>der</strong> im Zwiespalt zwischen<br />

Wollen und Können zu einer stimulierenden<br />

o<strong>der</strong> sedierenden Substanz<br />

gegriffen o<strong>der</strong> versucht hat, innere Dis -<br />

harmonie mit Glücksspiel, Kaufen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>em befriedigendem Verhalten zu<br />

kompensieren, ist deshalb gleich eine<br />

krankheitswertige psychische Störung<br />

zuzuordnen. Wir kennen viele auch schwer<br />

gestörte Patienten, bei denen sich nur die<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Suchterkrankung über<br />

viele Jahre zurückverfolgen lässt, an<strong>der</strong>e<br />

gravierende psychische Störungen hingegen<br />

nicht. Die süchtige Entwicklung geht<br />

allerdings mit einer – grundsätzlich reversiblen<br />

– Verhaltensauffälligkeit einher, die<br />

<strong>der</strong> ungestörten Beschaffung des Sucht -<br />

mittels sowie <strong>der</strong> Verdeckung und Verleugnung<br />

<strong>der</strong> Krankheit dient. Sie kann so<br />

krass und <strong>aus</strong>geprägt sein, dass über Jahre<br />

ernsthaft die inzwischen wi<strong>der</strong>legte Hypothese<br />

von einer vorbestehenden Suchtpersönlichkeit<br />

diskutiert wurde. Im Verlauf<br />

einer schweren Suchterkrankung können<br />

sich nicht nur somatische Begleit- und Folgeerkrankungen,<br />

son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e –<br />

quasi reaktive – psychische Störungen von<br />

Krankheitswert <strong>aus</strong>bilden.<br />

Entstehungsmöglichkeiten<br />

Es besteht weithin eine wissenschaftliche<br />

Übereinstimmung in <strong>der</strong> Auffassung, dass<br />

bei Süchten verschiedene Bedingungskomplexe<br />

– auf <strong>der</strong> sozialen, personalen und<br />

biologischen Ebene – beteiligt sind. Diese<br />

Psychiatrie und Psychotherapie<br />

Können psychisch Gesunde süchtig<br />

werden?<br />

O<strong>der</strong> ist Sucht immer ein Symptom einer an<strong>der</strong>en psychischen Störung?<br />

Dr. Kl<strong>aus</strong> Behrendt, Dr. Erich Trüg<br />

Bei Menschen, die zum Beispiel eine Schizophrenie haben, würde kein Mediziner und vermutlich auch kein<br />

an<strong>der</strong>er vernünftiger Mensch auf die Idee kommen, die Krankheit sei eigentlich immer ein Symptom einer<br />

an<strong>der</strong>en psychischen Störung. Dabei entwickelt auch sie sich oft schleichend wie die Suchterkrankung. Auch hier<br />

gibt es das geflügelte Wort „sind wir nicht alle ein bisschen schizophren?“. Doch das Verhalten, das nur bei wenigen<br />

letztendlich süchtig entgleist, kann sehr lange als normales, vielleicht lange auch als schädliches Verhalten bestehen,<br />

über das <strong>der</strong> Mensch aber noch die Kontrolle hat. Entsprechend hielt Joël, ein Suchtexperte, von dem wir auch<br />

heute noch viel lernen können, bereits 1928 fest: „Der Unterschied zwischen dem Süchtigen und dem so genannten<br />

Normalen ist kein wesentlicher, son<strong>der</strong>n ein gradmäßiger, wenn auch oft von gewaltigem Ausmaß.“ [3]<br />

Ebenen sind we<strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong> zu reduzieren<br />

noch jeweils gleich wichtig. In<br />

unterschiedlichen Phasen dominieren verschiedene<br />

Aspekte. [1]<br />

Das „magische Dreieck“ von Droge, Um -<br />

welt und Person, in dem sich das süchtige<br />

Verhalten abspielt, [4] illustriert lediglich ein<br />

gegenseitiges Bedingungsgefüge. Dabei<br />

bleibt noch völlig offen, mit welchen Anteilen<br />

die jeweiligen Faktoren <strong>für</strong> verschiedene<br />

Gruppen von Menschen o<strong>der</strong> im Verlauf<br />

einer individuellen Karriere bestimmend<br />

sind – also welche Bedeutung etwa <strong>der</strong><br />

Drogenwirkung im Verhältnis zur sozialen<br />

Situation o<strong>der</strong> psychischen Verfassung<br />

zukommt und wie die Rückkopplungsprozesse<br />

<strong>aus</strong>sehen und im weiteren Verlauf zu<br />

gewichten sind. Suchtmittelkonsum kann<br />

beson<strong>der</strong>s lustvoll beziehungsweise angenehm<br />

und positiv verstärkend erlebt werden,<br />

wenn nüchtern keine o<strong>der</strong> nur unzureichende<br />

positiven Erfahrungen gemacht<br />

wurden (Erfahrungsdefizit) o<strong>der</strong> in<br />

817


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

bestimmten Konstellationen keine an<strong>der</strong>en<br />

Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung<br />

stehen.<br />

Suchtverhalten baut auf dem normalen alltäglichen<br />

Konsumverhalten auf und folgt<br />

<strong>der</strong> Logik „Gutes noch besser, Schlechtes<br />

gar nicht so schlimm“. Dieser Verstärkungsmechanismus<br />

kann zur Suchtentwicklung<br />

entgleisen, wenn zum Beispiel<br />

bei regelmäßigem Alkoholkonsum in einer<br />

Krise jedwe<strong>der</strong> Genese schleichend mehr<br />

konsumiert wird (Missbrauch) bis hin zu<br />

einem krankheitswertigen Ausmaß (Kontrollverlust).<br />

Dass „<strong>der</strong> erste Schuss süchtig<br />

macht“ ist ein seltenes Phänomen und hat<br />

auch mit dem Suchtpotential <strong>der</strong> konsumierten<br />

Droge und ihrer Applikation zu<br />

tun. In <strong>der</strong> Regel führen nicht die Drogen,<br />

son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en unsachgemäße Anwendung<br />

zur Abhängigkeit. Sehr häufig ist Suchtmittelkonsum<br />

mit einer weiteren psychischen<br />

Erkrankung verknüpft, seien es Persönlichkeitsstörungen,<br />

Belastungsstörungen,<br />

Depressionen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e psychiatrische<br />

Erkrankungen (Komorbidität). Suchtmittel<br />

werden in diesem Zusammenhang zur<br />

Befindens- beziehungsweise Affektregulation<br />

eingesetzt. Sie sind also willkommene<br />

Substanzen, um in eine annäherungsweise<br />

psychisch <strong>aus</strong>geglichene Balance zu kommen.<br />

818<br />

Hypothesen<br />

Vor<strong>aus</strong>zuschicken ist, dass jede Behandlung<br />

von Krankheiten und insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch die psychischer Erkrankungen in<br />

einem historischen Kontext zu sehen ist<br />

und viel mit den persönlichen Einstellungen<br />

und Annahmen <strong>der</strong> Behandelnden zu<br />

tun hat. Sie stützt sich also letztlich nicht<br />

nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse,<br />

son<strong>der</strong>n oft auch auf persönliche Einstellungen<br />

und Auffassungen, den Einfluss<br />

„alter Lehrer“ o<strong>der</strong> des Behandlungsteams,<br />

<strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>leitung und ähnlichem. Dabei<br />

lassen sich mehrere Grundannahmen o<strong>der</strong><br />

Hypothesen unterscheiden, von denen <strong>aus</strong><br />

Behandlungskonzepte entwickelt wurden<br />

und werden:<br />

■ „Entscheidend ist, die Suchterkrankung<br />

durchgreifend mit dem Ziel dauerhafter<br />

Abstinenz zu behandeln. Dann<br />

erledigen sich die ansonsten auftretenden<br />

psychischen Probleme und Störungen<br />

von selbst.“ Dieser früheste Einsatz<br />

professioneller Suchtbehandlung stützte<br />

sich insbeson<strong>der</strong>e auf die Vorstellungen<br />

und Erfahrungen abstinenter<br />

Abhängigkeitskranker, die sich in<br />

Selbsthilfegruppen organisiert hatten.<br />

■ Nicht selten trifft man auch auf die<br />

Auffassung, dass es <strong>aus</strong>reiche, eine auffällige<br />

psychische Störung konsequent<br />

medikamentös, psychotherapeutisch<br />

und soziotherapeutisch zu behandeln.<br />

Dann erledige sich die Sucht sozusagen<br />

von selbst. [5]<br />

■ Nach <strong>der</strong> Hypothese <strong>der</strong> Wechselwirkung<br />

zwischen Sucht und weiterer psychischer<br />

Störung muss dagegen beides<br />

immer gleichzeitig beachtet und behandelt<br />

werden, um ein positives Behandlungsergebnis<br />

zu erreichen.<br />

Dem ist im Übrigen bescheiden entgegenzuhalten,<br />

dass <strong>der</strong> häufigste erfolgreiche<br />

Weg <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Sucht <strong>der</strong> <strong>der</strong> Selbstheilung<br />

ohne professionelle Hilfe ist. So haben in<br />

den vergangenen drei Jahren zum Beispiel<br />

zwei Millionen Menschen in Deutschland<br />

das Rauchen aufgegeben. Es ist völlig<br />

ungeklärt, wie vielen abhängigkeitskranken<br />

Menschen es gelingt, ohne jede Unterstützung<br />

durch <strong>Ärzte</strong> o<strong>der</strong> suchtspezifische<br />

Beratungs- und Behandlungsangebote<br />

abstinent zu werden. Diese Menschen sind<br />

positiv zu verstärken. Therapeutische<br />

Hilfe, die sie offenbar nicht brauchen und<br />

oft auch gar nicht wollen, ist hier nicht<br />

indiziert.<br />

Professionelle Hilfe ist nur geboten, wenn<br />

die Störung so stark <strong>aus</strong>geprägt ist o<strong>der</strong><br />

die persönlichen Ressourcen so schwach<br />

sind, dass ein Ausstieg nicht allein gelingt.<br />

Und bei dieser Gruppe von Abhängigen ist<br />

im Verlauf zu klären, ob Abstinenz überhaupt<br />

erreicht werden kann und <strong>für</strong> die<br />

Patienten ein erstrebenswertes Ziel ist.


Unser Behandlungsansatz<br />

Unsere Basis ist <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Suchttherapie<br />

geltende Grundsatz, die Verantwortung<br />

(<strong>für</strong> Konsum o<strong>der</strong> Nicht-Konsum) beim<br />

Patienten zu belassen. Dementsprechend<br />

ist die Herangehensweise ganz pragmatisch<br />

individuell an den Patienten angepasst.<br />

Dabei gilt es her<strong>aus</strong>zufinden, was<br />

<strong>für</strong> den Patienten wirklich „passend“ ist,<br />

was er selbst will und nicht will, wozu er<br />

motiviert ist, was er anstrebt und welche<br />

Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen.<br />

Wir nehmen die Rolle des „Steigbügelhalters“<br />

ein. Das heißt, wir stellen unsere<br />

Möglichkeiten in den Dienst einer Ziel -<br />

hierarchie, die das Überleben sichert, Schaden<br />

minimiert und ein möglichst gesundes<br />

Leben, also Lebenskompetenzen („Lebensmittel“)<br />

vermittelt – bis dahin, die Abstinenz<br />

zu ermöglichen.<br />

Das Ideal „Abstinenz“ erreichen nur sehr<br />

wenige <strong>der</strong> chronisch Abhängigen. Hier<br />

ist Suchtbegleitung indiziert, zum Beispiel<br />

die Substitution mit Ersatzstoffen, die es<br />

ermöglichen, frei von Beschaffungskriminalität<br />

und -druck ein soziales, möglichst<br />

gesundes und selbstbestimmtes Leben zu<br />

führen.<br />

Die biologische Komponente <strong>der</strong> Sucht<br />

weist uns darauf hin, dass Sucht nicht nur<br />

eine Beeinträchtigung des Willens ist. Notwendig<br />

sind daher auch medikamentöse<br />

Behandlungsstrategien wie Substitution,<br />

Rückfallmedikationsprophylaxe, eine <strong>aus</strong>-<br />

schleichende Entzugsbehandlung sowie<br />

gegebenenfalls medikamentöse Unterstützung<br />

zur Stressreduktion und eine auch<br />

medikamentöse Behandlung von Komorbidität.<br />

Fazit<br />

Die Substitution verhält sich zur Abstinenz<br />

wie <strong>der</strong> Mieter im Mietsh<strong>aus</strong> zum Eigenheimbesitzer.<br />

Viele streben Letzteres an,<br />

nicht alle schaffen es und nicht zuletzt:<br />

nicht alle wollen es. Ermöglichen wir doch<br />

jedem das Seine, solange damit <strong>der</strong> individuelle<br />

Lebenswert abgesichert und erhalten<br />

werden kann.<br />

Bei medikamentösen Behandlungsstrategien<br />

sollte es, wenn möglich, aber nicht<br />

bleiben. Therapeutische beziehungsweise<br />

psychoedukative Angebote und Maßnahmen<br />

begleitend zu medikamentösen Strategien<br />

erhöhen erfahrungsgemäß die Erfolgsrate.<br />

Literatur<br />

Psychiatrie und Psychotherapie<br />

[1] Behrendt K, Degwitz P, Trüg E (Hrsg.). Schnittstelle<br />

Drogenentzug. Freiburg/B. Lambertus 1995 (S 12ff).<br />

[2] Erlenmeyer A: Die Morphiumsucht und ihre Behandlung,<br />

3. Auflage. Berlin, Leipzig, Neuwied: Heuser’s Verlag<br />

1887 (S87-88).<br />

[3] Joël E. Die Behandlung <strong>der</strong> Giftsuchten, Alkoholismus,<br />

Morphinismus, Kokainismus usw. Leipzig: Georg Thieme<br />

Verlag 1928 (S 11).<br />

[4] Feuerlein W (Hrsg.). Theorie <strong>der</strong> Sucht. Berlin: Springer<br />

1986 (S 104 ff).<br />

[5] Kellermann B. Süchtiges Verhalten und Gemeinwohl.<br />

HÄB 2010; 64(4): 28-30.<br />

[6] Ringelhahn S. Persönlichkeitsstörungen und Sucht.<br />

Medtropole 2010; 20: 751-4.<br />

Weiterführende Literatur<br />

[7] Wienberg G, Driessen M (Hrsg.) Auf dem Weg zur<br />

vergessenen Mehrheit. Innovative Konzepte <strong>für</strong> die<br />

Versorgung von Menschen mit Alkoholproblemen.<br />

Bonn: Psychiatrie-Verlag 2001.<br />

Kontakt<br />

Dr. Kl<strong>aus</strong> Behrendt<br />

IV. Fachabteilung Psychiatrie und<br />

Psychotherapie<br />

Abhängigkeitserkrankungen<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Ochsenzoll<br />

Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />

22419 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 27 39<br />

Fax (0 40) 18 18-87 17 03<br />

E-Mail: k.behrendt@asklepios.com<br />

819


Medtropole | Ausgabe 19 | Oktober 2009<br />

KONTAKT<br />

Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch<br />

Unfall- und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />

Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />

Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 22 87<br />

Fax (0 40) 18 18-85 37 70<br />

E-Mail: k.frosch@asklepios.com<br />

Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg:<br />

Neuer Leiter des Chirurgisch-<br />

Traumatologischen Zentrums<br />

Am 1. Juli übernahm Prof. Dr. Karl-Heinz<br />

Frosch als Nachfolger von Prof. Dr. Christoph<br />

Eggers die Leitung <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong><br />

Unfall- und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />

sowie des Chirurgisch-Traumatologischen<br />

Zentrums in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg.<br />

Prof. Frosch wurde 1968 in Bischofsgrün<br />

geboren, besuchte unter an<strong>der</strong>em das Skigymnasium<br />

Christophorusschule in Berchtesgaden,<br />

nahm 1989 bis 1990 als Mitglied<br />

<strong>der</strong> deutschen Skinationalmannschaft<br />

„Nordische Kombination“ mehrfach am<br />

Weltcup teil, absolvierte sein Medizinstudium<br />

an <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität<br />

Erlangen-Nürnberg und promovierte<br />

am dortigen Institut <strong>für</strong> klinische Immunologie<br />

und Rheumatologie. Eine Famulatur<br />

„Orthopaedic Trauma“ führte ihn ans<br />

Howard Head Medical Center in Vail,<br />

Colorado, das Praktische Jahr an die DUKE<br />

University, North Carolina. Seine Weiterbildung<br />

zum Facharzt <strong>für</strong> Chirurgie absolvierte<br />

Prof. Frosch am <strong>Klinik</strong>um Bamberg<br />

und in <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong> Unfallchirurgie,<br />

Plastische und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />

des Universitätsklinikums Göttingen, wo<br />

er seither als Oberarzt tätig war.<br />

2004 erwarb Prof. Frosch die Schwerpunktsbezeichung<br />

Unfallchirurgie, 2007<br />

die Zusatzbezeichnung „Spezielle Unfallchirurgie“<br />

sowie die Facharztanerkennung<br />

„Orthopädie und Unfallchirurgie“. Im<br />

gleichen Jahr habilitierte er sich im Fach<br />

Unfallchirurgie mit dem Thema „Entwicklung<br />

stammzellbesiedelter Titan-Miniprothesen<br />

<strong>für</strong> den Oberflächenteilersatz am<br />

Kniegelenk“ und erhielt den Preis <strong>für</strong> die<br />

beste Habilitation <strong>der</strong> Fakultät im Wintersemester<br />

2006/2007. 2010 wurde er zum<br />

Außerplanmäßigen Professor <strong>der</strong> Univer-<br />

820<br />

Prof. Dr. Joachim Röther<br />

sität Göttingen berufen. Seit 2008 war Prof.<br />

Frosch ständiger D-Arzt-Vertreter und<br />

geschäftsführen<strong>der</strong> Oberarzt <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong><br />

Unfallchirurgie, Plastische und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />

sowie stellvertreten<strong>der</strong><br />

Leiter <strong>der</strong> AG Arthroskopische Chirurgie<br />

<strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> Unfallchirurgie.<br />

Er ist Mitglied des Nichtständigen<br />

Beirats <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong><br />

Unfallchirurgie und <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />

<strong>für</strong> Orthopädie und Unfallchirurgie.<br />

Prof. Frosch ist unfallchirurgisch breit <strong>aus</strong>gebildet<br />

und erfahren in <strong>der</strong> Polytraumaund<br />

Schwerverletztenversorgung. Sein klinischer<br />

Schwerpunkt ist die Behandlung<br />

von Kniekomplextraumen, schwersten<br />

Kniegelenksverletzungen, fehlverheilten<br />

Frakturen im Kniegelenksbereich mit intraund<br />

extraartikulären Korrekturosteotomien<br />

sowie <strong>der</strong> arthroskopischen Chirurgie inkl.<br />

<strong>der</strong> hinteren Kreuzbandchirurgie. Neben<br />

den bereits bestehenden Schwerpunkten<br />

wie <strong>der</strong> Wirbelsäulenchirurgie, Neurochirurgie,<br />

Plastischer und Handchirurgie<br />

sowie <strong>der</strong> Schwerverletztenversorgung soll<br />

insbeson<strong>der</strong>e die Arthroskopische Chirurgie<br />

und die Sporttraumatologie an <strong>der</strong><br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg weiter <strong>aus</strong>gebaut<br />

und etabliert werden.<br />

KONTAKT<br />

Prof. Dr. Joachim Röther<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 14 00<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 06<br />

E-Mail: j.roether@asklepios.com<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona:<br />

Neue Leitung <strong>der</strong> Neurologie<br />

Am 1. Juli übernahm Prof. Dr. Joachim<br />

Röther als Nachfolger von Prof. Dr. Axel<br />

Müller-Jensen die Leitung <strong>der</strong> Neurologischen<br />

<strong>Klinik</strong> in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona.<br />

Nach dem Medizinstudium und <strong>der</strong><br />

Promotion in Marburg begann Röther eine<br />

neurochirurgische (RWTH Aachen) und<br />

neurologische Ausbildung (Universitätsklinikum<br />

Heidelberg/Mannheim). An <strong>der</strong><br />

Stanford University, USA, forschte er von<br />

1994 bis 1996 als Stipendiat <strong>der</strong> Deutschen<br />

Forschungsgemeinschaft über physiologische<br />

Hintergründe <strong>der</strong> Diffusions- und<br />

Perfusions-MR-Bildgebung. Für diese<br />

Arbeiten wurde er mit dem Hugo-Spatz-<br />

Preis <strong>der</strong> Deutschen Neurologischen<br />

Gesellschaft <strong>aus</strong>gezeichnet.<br />

Von 1996 bis 2005 war er als leiten<strong>der</strong><br />

Oberarzt und C3-Professor an den Neurologischen<br />

Universitätskliniken Jena und<br />

dem UKE Hamburg Eppendorf tätig. Von<br />

2000 bis 2005 leitete er als Chefarzt die<br />

Neurologische und ab 2008 als Ko-Chefarzt<br />

zusätzlich die Geriatrische <strong>Klinik</strong> des<br />

Johannes Wesling <strong>Klinik</strong>ums Minden.<br />

Prof. Röther ist Präsident <strong>der</strong> Deutschen<br />

Schlaganfall-Gesellschaft und hat sich in<br />

mehr als 200 wissenschaftlichen Arbeiten<br />

mit <strong>der</strong> Behandlung des Schlaganfalls<br />

befasst. Er ist als Experte in nationalen und<br />

internationalen Gremien und Studien in<br />

führenden Positionen vertreten, unter<br />

an<strong>der</strong>em als Gründungsmitglied <strong>der</strong> European<br />

Stroke Organisation, Mitglied des<br />

Editorial Board <strong>der</strong> Zeitschriften Journal of<br />

Neuroimaging und Cerebrovascular Disease<br />

und Mitglied des Scientific Board <strong>der</strong><br />

European Stroke Conference. Prof. Röther<br />

ist Sprecher <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft<br />

„Herz & Hirn“ <strong>der</strong> Deutschen Schlag -


anfall-Gesellschaft und <strong>der</strong> Deutschen<br />

Gesellschaft <strong>für</strong> Kardiologie.<br />

Neben <strong>der</strong> Schlaganfallbehandlung und<br />

<strong>der</strong> neurologischen Intensivmedizin liegen<br />

weitere klinische Schwerpunkte von Prof.<br />

Röther in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Multiplen<br />

Sklerose, <strong>der</strong> Parkinsonerkrankung, <strong>der</strong><br />

Demenz und <strong>der</strong> Hirntumoren. Diese<br />

Schwerpunkte möchte er in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />

<strong>Klinik</strong> Altona weiter <strong>aus</strong>bauen.<br />

Prof. Dr. Günter Seidel<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord:<br />

Neue Leitung <strong>der</strong> Neurologie<br />

K O N T A K T<br />

Prof. Dr. Günter Seidel<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord<br />

Tangstedter Landstraße 400<br />

22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 30 76<br />

Fax (0 40) 18 18-87 30 69<br />

E-Mail: g.seidel@asklepios.com<br />

Am 1. Juli 2010 übernahm Prof. Dr. Günter<br />

Seidel als Nachfolger von Prof. Dr. Jürgen<br />

Köhler die Leitung <strong>der</strong> neurologischen<br />

Abteilung in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord.<br />

Der bisherige Oberarzt in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong><br />

Neurologie im Universitätsklinikum<br />

Schleswig-Holstein, Campus Lübeck<br />

wurde 1963 in Dillenburg geboren und studierte<br />

an <strong>der</strong> Justus-Liebig-Universität in<br />

Gießen. Seidel promovierte im Pharmakologischen<br />

Institut bei Prof. Dreyer zum<br />

Thema „Membranströme in normalen und<br />

Rous-Sarkom-Virus infizierten embryonalen<br />

Hühnerfibroblasten“. Er begann seine<br />

Ausbildung zum Neurologen in <strong>der</strong> Neurologischen<br />

Uniklinik Gießen unter Prof.<br />

Dorndorf und wechselte nach vier Jahren<br />

an das Universitätsklinikum Schleswig-<br />

Holstein, wo er die Facharzt<strong>aus</strong>bildung<br />

abschloss. Seidel absolvierte die Weiterbildungen<br />

„Spezielle neurologische Intensivmedizin“<br />

und „Klinische Geriatrie“. 2000<br />

folgten die Habilitation mit dem Thema<br />

„Die Sonographie des Gehirns zur Erfassung<br />

<strong>der</strong> zerebralen Makro- und Mikrozirkulation<br />

unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung<br />

von Ultraschallkontrastmitteln“ und<br />

die Erteilung <strong>der</strong> Venia legendi <strong>für</strong> das<br />

Fach Neurologie.<br />

2004 wurde er zum Außerplanmäßigen<br />

Professor <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong><br />

Universität zu Lübeck berufen. Seidels wissenschaftliche<br />

Schwerpunkte umfassen<br />

unter an<strong>der</strong>en die neurovaskuläre Medizin,<br />

Bewegungsstörungen und Demenzerkrankungen.<br />

Er beherrscht das gesamte Spektrum<br />

<strong>der</strong> klinischen Neurologie. Seine klinischen<br />

Schwerpunkte liegen in <strong>der</strong><br />

Schlaganfallbehandlung (Stroke Unit, Primär-<br />

und Sekundärprävention, zerebrale<br />

Personalia<br />

Vaskulitis), <strong>der</strong> Neurosonologie (extraund<br />

intrakranielle Farbduplexsonographie,<br />

Hirnparenchym- und Muskel-Nerv-Sonographie)<br />

und <strong>der</strong> Intensivneurologie.<br />

Seidel ist Mitglied mehrerer nationaler<br />

und internationaler Fachgesellschaften<br />

und Autor zahlreicher wissenschaftlicher<br />

Artikel und Buchbeiträge. Daneben ist er<br />

Regionalbeauftragter <strong>der</strong> Stiftung Deutsche<br />

Schlaganfall-Hilfe.<br />

In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord möchte Prof.<br />

Seidel das medizinische Angebot weiter<br />

<strong>aus</strong>bauen (Schlaganfall, Multiple Sklerose,<br />

Epilepsie, Neuroonkologie) und um die<br />

Schwerpunkte Früh-Rehabilitation und<br />

Bewegungsstörungen erweitern.<br />

Prof. Dr. Günter Seidel<br />

Abteilung <strong>für</strong> Neurologie<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord<br />

Tangstedter Landstrasse 400, 22417 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-87 30 76<br />

Fax (0 40) 18 18-87 30 69<br />

E-Mail: g.seidel@asklepios.com<br />

821


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Akutmaßnahmen<br />

beim Schädel-Hirntrauma<br />

Dr. Marcus Lücke, Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Das Schädel-Hirntrauma (SHT) ist definiert als durch äußere Gewalteinwirkung bewirkte Schädigung des<br />

Gehirns, die mit einer mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> schweren Verletzung des Schädels und <strong>der</strong> Kopfweichteile einhergehen<br />

kann. Als offenes SHT bezeichnet man dabei eine mit einer Verletzung des Schädels und <strong>der</strong> Weichteile einher -<br />

gehende Duraverletzung. Unter <strong>der</strong> primären Hirnschädigung sind die Verletzungen zum Zeitpunkt des Traumas<br />

zu verstehen, die durch eine Abfolge sekundärer Hirnschäden zu einer weiteren Verschlechterung des Verlaufs und<br />

des En<strong>der</strong>gebnisses führen können. Die sekundären Hirnschäden sind therapeutischer Ansatzpunkt.<br />

Knapp 250.000 Schädel-Hirntraumata werden<br />

in Deutschland pro Jahr registriert.<br />

Davon sind etwa fünf Prozent als schwer<br />

einzuschätzen.<br />

Präklinische Versorgung<br />

Das Schädel-Hirntrauma lässt sich in drei<br />

Grade einteilen (I: leicht, II: mittelschwer,<br />

III: schwer). Die 1953 publizierte Einteilung<br />

von Tönnis beruht auf <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong><br />

Bewusstseinsmin<strong>der</strong>ung und ist nur retrospektiv<br />

anwendbar. International üblicher<br />

ist die im Wesentlichen am Bewusstseinsgrad<br />

nach <strong>der</strong> Glascow Coma Scale (GCS,<br />

Tab. 1) orientierte Einteilung. [1]<br />

Wesentlich <strong>für</strong> die Erstbeurteilung und<br />

Versorgung sind:<br />

1. genaue Beurteilung <strong>der</strong> Bewusstseinslage<br />

nach <strong>der</strong> GCS, dabei insbeson<strong>der</strong>e<br />

auch die Dokumentation des exakten<br />

zeitlichen Verlaufs;<br />

822<br />

2. Bestimmung des neurologischen Status<br />

am Unfallort, dabei mindestens die<br />

konsequente Untersuchung auf fokale<br />

motorische und sensible Defizite <strong>der</strong><br />

Pupillenweite, <strong>der</strong> Lichtreaktion, beim<br />

komatösen Patienten zudem des Cornealreflexes<br />

und die Überprüfung<br />

pathologischer Reflexe;<br />

3. genaue Erhebung und Dokumentation<br />

<strong>der</strong> Vitalparameter, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />

Sauerstoffsättigung und des Blutdrucks;<br />

4. an<strong>der</strong>e Verletzungen und Begleit -<br />

umstände wie Intoxikation und<br />

Unterkühlung.<br />

Mit eindeutiger Evidenz sollte <strong>der</strong> Patient<br />

bei einer GCS unter 9 zum Transport intubiert<br />

werden, da die Aufrechterhaltung<br />

einer suffizienten Oxygenierung und Aspirationsschutz<br />

wichtiger sind als die exakte<br />

Beurteilung <strong>der</strong> Bewusstseinslage bei Eintreffen<br />

in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>. [2] Dabei sollten jedoch<br />

in jedem Fall die Bewusstseinslage nach<br />

<strong>der</strong> GCS und <strong>der</strong> neurologische Status zum<br />

Zeitpunkt <strong>der</strong> Intubation erhoben und<br />

dokumentiert werden, um in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />

eine Prioritätenhierarchie <strong>für</strong> Diagnostik<br />

und Erstmaßnahmen sowie eine Prognoseeinschätzung<br />

zu ermöglichen.<br />

Für die medikamentöse Therapie am<br />

Unfallort zur Hirnprotektion besteht keine<br />

evidenzbasierte Empfehlung, mit <strong>der</strong> Ausnahme,<br />

dass Glukokortikoide aufgrund<br />

eines statistisch schlechteren Ergebnisses<br />

nicht appliziert werden sollten. Die Gabe<br />

von Mannitol zur kurzfristigen Hirndrucksenkung<br />

kann bei schlechtem Status<br />

(Pupillenerweiterung, tiefes Koma) sinnvoll<br />

sein. [3]


Abb. 1: Akutes epidurales Hämatom mit deutlich<br />

raumfor<strong>der</strong>ndem Effekt → Indikation zur sofortigen<br />

operativen Entlastung<br />

Klinische Versorgung<br />

Nach Sicherung <strong>der</strong> Vitalparameter stehen<br />

die neurologische Befun<strong>der</strong>hebung und<br />

Diagnostik ganz oben auf <strong>der</strong> Prioritätenliste.<br />

Die Indikation zum CCT nach Schädel-Hirntrauma<br />

besteht bei<br />

■ Bewusstseinsmin<strong>der</strong>ung<br />

■ neurologischen Defiziten, die auf eine<br />

Hirnbeteiligung hindeuten<br />

■ Krampfanfall<br />

■ Erbrechen<br />

■ stärkeren mnestischen Störungen<br />

■ Hinweisen auf eine Schädelverletzung<br />

■ Hinweisen auf eine Liquorrhoe<br />

■ Hinweisen auf eine Gerinnungsstörung<br />

(Marcumar!)<br />

Auch wenn <strong>der</strong> Patient am Unfallort<br />

bewusstseinsklar war und <strong>aus</strong> an<strong>der</strong>er<br />

Indikation, etwa zur Schmerztherapie,<br />

intubiert wurde, sollte die Indikation zum<br />

CCT großzügig gestellt werden, insbeson<strong>der</strong>e<br />

wenn die operative Versorgung an<strong>der</strong>er<br />

Verletzungen ansteht. Nicht zu unterschätzen<br />

ist das sekundäre Auftreten von<br />

Gerinnungsstörungen bei größerem Blut -<br />

umsatz. Auch bei unauffälligem primärem<br />

CCT sollte in so einem Fall eine CCT-Verlaufskontrolle<br />

erfolgen, wenn <strong>der</strong> Patient<br />

nicht zeitnah angemessen neurologisch<br />

(Extubation) untersucht werden kann.<br />

Bei Vorliegen eines unauffälligen CCT<br />

genügt beim bewusstseinsklaren Patienten<br />

die stationäre Überwachung über 24 Stunden.<br />

Ist <strong>der</strong> Patient intubiert und sediert,<br />

sollte er schnellstmöglich wach und extubiert<br />

werden, um eine klinische Überwachung<br />

zu ermöglichen.<br />

Zeigt ein auffälliges CCT eine epidurale,<br />

subdurale, intracerebrale o<strong>der</strong> subarachnoidale<br />

Blutung, ein Hirnödem, einen Hydrocephalus<br />

o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e potentiell le -<br />

bensbedrohliche Raumfor<strong>der</strong>ung, sollte <strong>der</strong><br />

Neurochirurgie<br />

Abb. 2: SHT mit diffusen Kontusionen ohne aktuellen größeren raumfor<strong>der</strong>nden Effekt und erhaltenen basalen<br />

Cisternen → intensivmedinische Überwachung, Kontroll-CCT nach 4-8 Stunden. Im Falle <strong>der</strong> prolongierten Beatmung<br />

ggf. Einlage einer Hirndrucksonde<br />

Fall immer einem Neurochirurgen demonstriert<br />

werden. Dieser kann gegebenenfalls<br />

die Indikation zur sofortigen operativen<br />

Intervention stellen o<strong>der</strong> eine Risikoeinschätzung<br />

und Empfehlung zu weiterem<br />

Monitoring, Therapiemaßnahmen und zur<br />

Prognose abgeben.<br />

Operative Intervention<br />

Bei einer intrakraniellen Raumfor<strong>der</strong>ung<br />

(v. a. bei subduralem, epiduralem o<strong>der</strong><br />

intracerebralem Hämatom) und unmittelbar<br />

lebensbedrohlichem Status ist eine<br />

sofortige neurochirurgische Entlastung<br />

notwendig. Wenige Minuten können in<br />

solchen Situationen über Leben, Tod o<strong>der</strong><br />

die Ausprägung einer irreversiblen Behin<strong>der</strong>ung<br />

entscheiden!<br />

Die Operationsindikation stellt <strong>der</strong> Neurochirurg<br />

anhand <strong>der</strong> Gesamtschau <strong>aus</strong> neurologischem<br />

und allgemein klinischem<br />

823


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Abb. 3: SHT mit Hirnkontusionen und Hirnödem,<br />

zusätzlich Nachweis freier intrakranieller Luft als<br />

Beweis eines offenen SHT → Anlage einer Hirndruck -<br />

sonde, Kontroll-CCT nach 4 – 8 Stunden, bei Nachweis<br />

einer persistierenden Liquorfistel ggf. spätere Deckung<br />

Status, allgemeiner und akuter Anamnese<br />

sowie aktueller Bildgebung und eventuell<br />

auch des Hirndrucks. Gerade bei Grenz -<br />

fällen erfor<strong>der</strong>t diese Entscheidung viel<br />

Erfahrung, da, abgesehen von bestimmten<br />

Hirndruckwerten, <strong>für</strong> die Indikationsstellung<br />

wenig in Zahlen o<strong>der</strong> Messwerten<br />

sinnvoll abgebildet werden kann.<br />

824<br />

Punkte Augen öffnen beste sprachliche Äußerung beste motorische Antwort<br />

6 – – gezielt auf Auffor<strong>der</strong>ung<br />

5 – orientiert gezielt auf Schmerzreiz<br />

4 spontan verwirrt ungezielt auf Schmerzreiz<br />

3 auf Ansprache unangemessen Beugen auf Schmerzreiz<br />

2 auf Schmerzreiz unverständliche Laute Strecken auf Schmerzreiz<br />

1 nicht keine keine<br />

Tab. 1: Die Glascow Coma Scale zur international gebräuchlichen Einteilung <strong>der</strong> Bewusstseinslage.<br />

Die Addition <strong>der</strong> Punkte <strong>aus</strong> drei Qualitäten ergibt einen Punktwert von 3 – 15.<br />

Kraniotomie mit Ausräumung einer umschriebenen<br />

raumfor<strong>der</strong>nden Blutung epidural, subdural o<strong>der</strong><br />

intracerebral<br />

Kraniektomie, insbeson<strong>der</strong>e bei Hirnödem o<strong>der</strong> diffusen<br />

Kontusionen, ggf. auch in Kombination mit<br />

<strong>der</strong> Ausräumung einer umschriebenen Raumfor<strong>der</strong>ung,<br />

vor allem einer subduralen o<strong>der</strong> intracerebralen<br />

Blutung. Dabei evtl. Kryokonservierung eines<br />

großen Knochendeckels zur späteren Re-Implantation.<br />

Dura- und Schädeldachplastik, insbeson<strong>der</strong>e bei<br />

offenem Schädel-Hirntrauma o<strong>der</strong> Impressionsfraktur.<br />

Bei persistieren<strong>der</strong> Rhinoliquorrhoe und seltener<br />

Otoliquorrhoe evtl. sekundäre Deckung des<br />

Schädelbasisdefekts im Intervall.<br />

Anlage einer intraventrikulären Drainage zur Hirndruckmessung<br />

und ggf. -senkung, insbeson<strong>der</strong>e bei<br />

Vorliegen eines Hydrocephalus.<br />

Anlage einer Hirndruckmesssonde zum Monitoring<br />

einer konservativen Hirndrucktherapie, ggf. zum<br />

Feststellen des richtigen Zeitpunktes <strong>für</strong> eine<br />

neuerliche CCT-Kontrolle o<strong>der</strong> operative Therapie.<br />

Tab. 2: Neurochirurgische Interventionen Tab. 3: Konservative Maßnahmen auf <strong>der</strong> Intensivstation<br />

Konservative Maßnahmen auf <strong>der</strong><br />

Intensivstation<br />

In erster Linie ist die Homöostase <strong>für</strong><br />

Kreislauf, Ventilation, Körpertemperatur,<br />

Gerinnung und Metabolismus zu wahren.<br />

Operative Maßnahmen ohne notfallmäßige<br />

Indikation sollten zurückgestellt werden,<br />

insbeson<strong>der</strong>e wenn ein größerer Blut -<br />

umsatz und damit verbundene mögliche<br />

Gerinnungsstörungen zu erwarten sind.<br />

Die Schäden, die dadurch im Gehirn entstehen<br />

können, werden niemals wie<strong>der</strong><br />

<strong>aus</strong>heilen! Ist keine eindeutige neurolo -<br />

gische Beurteilung möglich, sollte bei<br />

pathologischem CCT o<strong>der</strong> adäquatem<br />

Trauma nach 4 – 8 Stunden ein Verlaufs-<br />

CCT erfolgen. Insbeson<strong>der</strong>e bei grenzwertig<br />

raumfor<strong>der</strong>nden Befunden mit noch zu<br />

erwarten<strong>der</strong> Dynamik o<strong>der</strong> weiteren Risikofaktoren<br />

(schwere zusätzliche Verletzun-<br />

Oberkörperhochlagerung um 30° zur Verbesserung<br />

des venösen Abflusses<br />

kurzfristige Hyperventilation<br />

(CO2 nicht unter 30 – 35 mmHg)<br />

Mannitol o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Osmodiuretika<br />

TRIS-Puffer<br />

Senkung <strong>der</strong> Körperkerntemperatur<br />

antiepileptische Medikation<br />

gen, Operationen) ist ein Hirndruckmonitoring<br />

zu erwägen, wenn prolongierte<br />

Sedierung und Beatmung erfor<strong>der</strong>lich<br />

sind. [4]<br />

Die verschiedenen medikamentösen und<br />

physikalischen Maßnahmen <strong>der</strong> Hirndrucktherapie<br />

(Tab. 3) dienen <strong>der</strong> Aufrecht -<br />

erhaltung des Metabolismus des Hirngewebes.<br />

Allerdings ist <strong>für</strong> keine über die<br />

Analgosedierung und Aufrechterhaltung<br />

<strong>der</strong> Homöostase hin<strong>aus</strong>gehende medikamentöse<br />

Therapie ein gesicherter Nutzen<br />

belegt, <strong>der</strong> evidenzbasiert eine generelle<br />

Empfehlung rechtfertigt. Auf die lange<br />

propagierte Anwendung von Glukokortikoiden<br />

sollte aufgrund einer signifikanten<br />

Steigerung <strong>der</strong> 14-Tages-Letalität verzichtet<br />

werden. [5]


Abb. 4: BU<br />

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Prognose und Nachbehandlung<br />

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Generell liegt die Letalität beim schweren<br />

SHT bei etwa 25 Prozent. [6] Entscheidend<br />

<strong>für</strong> die Prognose des weiteren Lebens eines<br />

polytraumatisierten Patienten ist meist das<br />

Ausmaß <strong>der</strong> persistierenden Ausfälle und<br />

kognitiven Einschränkungen als Folge <strong>der</strong><br />

ZNS-Schädigung. In <strong>der</strong> Akutphase ist,<br />

wenn nicht eindeutige Grenzparameter<br />

überschritten sind, eine Prognoseeinschätzung<br />

oft sehr schwierig, die Verläufe sind<br />

auch sehr unterschiedlich. Beim schweren<br />

SHT treten die entscheidenden funktionellen<br />

Besserungen innerhalb <strong>der</strong> ersten drei<br />

Monate ein, das Endstadium ist erst nach<br />

einem Jahr und später zu erwarten. Um<br />

die Neuroplastizität maximal <strong>aus</strong>zuschöpfen,<br />

ist dabei auch die statusangepasste<br />

stufenweise früh einsetzende Rehabilitationsbehandlung<br />

wesentlich.<br />

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Literatur<br />

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���<br />

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[1] Bullock R, Chesnut RM, Clifton G, et al. Guidelines for<br />

the management of severe head injury. Brain Trauma Foundation.<br />

Eur J Emerg Med. 1996 Jun; 3(2): 109-27.<br />

[2] Gabriel EJ, Ghajar J, Jagoda A, et al. Guidelines for prehospital<br />

management of traumatic brain injury. J Neurotrauma.<br />

2002 Jan; 19(1): 111-74.<br />

[3] Roberts I, Schierhout G, Wakai A. Mannitol for acute<br />

traumatic brain injury. The Cochrane Database of Systematic<br />

Reviews 2003, Issue 2. Art. No.: CD001049<br />

[4] Balestreri M, Czosnyka M, Hutchinson P, et al. Impact<br />

of intracranial pressure and cerebral perfusion pressure on<br />

severe disability and mortality after head injury. Neurocrit<br />

Care. 2006; 4(1): 8-13.<br />

[5] CRASH Trial Collaborators. Effect of intravenous corticosteroids<br />

on death within 14 days in 10008 adults with<br />

clinically significant head injury (MRC CRASH trial):<br />

randomised placebo-controlled trial. Lancet (2004) 364:<br />

1321-28.<br />

[6] Penrod: Prognosis. In Marion (ed) Traumatic Brain injury.<br />

Thieme: 135-40.<br />

Kontakt<br />

Prof. Dr. Uwe Kehler<br />

Dr. Marcus Lücke<br />

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Neurochirurgie<br />

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Neurochirurgie<br />

Neurozentrum und Wirbelsäulenzentrum<br />

<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />

Paul-Ehrlich-Straße 1<br />

22763 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-81 16 71<br />

Fax (0 40) 18 18-81 49 11<br />

E-Mail: m.luecke@asklepios.com<br />

Guidelines<br />

http://www.aans.org/education/clinical%20_guidelines.asp<br />

http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/008-001.htm<br />

825


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Das erworbene<br />

von Willebrand-Syndrom<br />

Prof. Dr. Ulrich Budde, Dr. Sonja Schneppenheim, Dr. Hala El Abd-Müller, Dr. Rita Dittmer<br />

Das 1926 erstmals durch Erik von Willebrand beschriebene von Willebrand-Syndrom (VWS) ist die häufigste<br />

vererbbare Bluterkrankheit, die Männer und Frauen aller Ethnien gleichermaßen betrifft. Das erworbene VWS<br />

gilt als sehr viel seltener und wurde daher deutlich später erstmals beschrieben. Es ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass es<br />

häufig übersehen wird, vor allem wenn Erfahrungen mit diesen Patienten fehlen. Grundsätzlich können alle<br />

Disziplinen mit diesen Patienten in Kontakt kommen und bei vielen wird die Diagnose noch nicht gestellt sein.<br />

Daher ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf diese Hämostasestörung zu wecken und diagnostische Wege<br />

aufzuzeigen. Vor allem ist es wichtig zu wissen, dass Blutungen nicht nur durch erniedrigte Gerinnungseiweiße<br />

<strong>aus</strong>gelöst werden können, son<strong>der</strong>n auch bei nicht selten exzessiv erhöhten Faktoren, wenn diese Faktoren<br />

dysfunktionell sind.<br />

Synthese und Funktion des<br />

von Willebrand-Faktors (VWF)<br />

Syntheseorte <strong>für</strong> den VWF sind <strong>aus</strong>schließlich<br />

Endothelzellen und Megakariozyten.<br />

Die Synthesewege sind komplex (Abb. 1)<br />

und es entstehen Multimere gleicher<br />

Zusammensetzung, jedoch, abhängig von<br />

<strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Monomere, unterschiedlicher<br />

Größe zwischen 500 – 20000 KD.<br />

Die Größe <strong>der</strong> Multimere wird durch die<br />

Metalloprotease (ADAMTS13) reguliert.<br />

Der im Blut zirkulierende VWF ist das Produkt<br />

<strong>aus</strong> Synthese, Speicherung, Sekretion<br />

und Modifikation im Kreislauf. Der VWF<br />

bewirkt gemeinsam mit dem subendothelialen<br />

Collagen und Thrombozyten den primären<br />

Wundverschluss.<br />

826<br />

Pathomechanismus und häufigste<br />

Grundkrankheiten des erworbenen von<br />

Willebrand-Syndroms (eVWS)<br />

Bei den meisten Patienten mit eVWS wird<br />

<strong>der</strong> VWF in normaler, nicht selten sogar<br />

erhöhter Konzentration synthetisiert und<br />

ins Plasma sekretiert. Die quantitativen<br />

und/o<strong>der</strong> qualitativen Verän<strong>der</strong>ungen des<br />

VWF entstehen erst nach <strong>der</strong> Synthese<br />

durch unterschiedliche Pathomechanismen,<br />

die typisch <strong>für</strong> die jeweiligen Erkrankungen<br />

sind, jedoch nicht selten in Kombination<br />

auftreten (Tab. 1).<br />

Durch (1) pathologisch erhöhten Scherstress<br />

wird <strong>der</strong> VWF aktiviert und bindet<br />

vermehrt an seine Rezeptoren. Der gebundene<br />

VWF unterliegt anschließend einer<br />

Proteolyse durch ADAMTS13, die zu<br />

einem Verlust <strong>der</strong> großen Multimere und<br />

gesteigerter Bildung proteolytischer Fragmente<br />

führt. Das eVWS bei angeborenen<br />

Herzfehlern wurde bereits 1986 beschrie-<br />

ben. [4]<br />

Im Erwachsenenalter fallen vor allem<br />

Patienten mit Aortenstenosen [10] durch eine<br />

hämorrhagische Diathese auf. Die Koinzidenz<br />

von Aortenstenose und gastrointestinalen<br />

Blutungen ist als Heyde Syndrom<br />

(1958) bekannt. Aktuelle Publikationen [9]<br />

berichten vor allem bei Herzunterstützungssystemen<br />

(sog. künstlichen Herzen)<br />

über gravierende, sogar tödliche Blutungskomplikationen<br />

(Abb. 2). Ein weiterer<br />

Mechanismus <strong>für</strong> ein eVWS im höheren<br />

Alter ist die durch arteriosklerotische Prozesse<br />

induzierte zunehmende Einengung<br />

des Gefäßlumens im arteriellen Gefäßsystem.<br />

Erreicht hierdurch <strong>der</strong> Scherstress<br />

pathologische Werte, kommt es zum Verlust<br />

großer Multimere.<br />

Bei krankhaft erhöhten Thrombozytenzahlen<br />

sind die (2) Rezeptoren auf <strong>der</strong> Thrombozytenoberfläche<br />

expandiert. Die an sich<br />

physiologische Adhäsion in Gebieten mit<br />

hohem Scherstress entfernt dadurch<br />

vermehrt die beson<strong>der</strong>s aktiven großen<br />

Multimere <strong>aus</strong> dem Plasma. Auch hier<br />

werden sie nach erfolgter Bindung durch<br />

ADAMTS13 proteolysiert, so endgültig <strong>aus</strong>


Abb. 1: Biosynthese des VWF in <strong>der</strong> Endothelzelle; ER = endoplasmatisches retikulum; WP = Weibel-Palade-Körperchen<br />

dem Plasma entfernt und es lassen sich die<br />

vermehrten proteolytischen Fragmente<br />

nachweisen. Dabei nimmt die proteolytische<br />

Spaltung exponentiell mit steigen<strong>der</strong><br />

Thrombozytenzahl zu. [7]<br />

Zu den häufigen Komplikationen myeloproliferativer<br />

Erkrankungen zählen<br />

Thrombose und Blutungen, die nicht selten<br />

gleichzeitig auftreten. Während unterhalb<br />

einer Thrombozytenzahl von 1.000 x 109/l<br />

Thromboembolien führend sind, herrschen<br />

bei Zahlen über 2.000 x 109/l Blutungen<br />

vor. Zwischen 1.000 und 2.000 x 109/l können<br />

beide Komplikationen, nicht selten<br />

sogar gleichzeitig, auftreten. [1]<br />

Das eVWS bei lymphoproliferativen<br />

Erkrankungen geht meist mit einer deutlichen<br />

Vermin<strong>der</strong>ung des VWF und einem<br />

Verlust <strong>der</strong> großen Multimere einher.<br />

Angeschuldigt werden (3) spezifische o<strong>der</strong><br />

unspezifische Autoantikörper, die zur<br />

Immunkomplexbildung und verstärkter<br />

Elimination des VWF führen. Allerdings<br />

entgehen diese Antikörper meist dem<br />

Nachweis. Da in vielen Fällen <strong>der</strong> VWF<br />

stark vermin<strong>der</strong>t ist, wird <strong>der</strong> F VIII nicht<br />

<strong>aus</strong>reichend stabilisiert mit <strong>der</strong> Folge einer<br />

kombinierten Störung <strong>der</strong> primären und<br />

sekundären Hämostase. Daher haben diese<br />

Patienten gravierende Blutungskomplikationen,<br />

die sich vor allem in Form großflächiger<br />

Hautblutungen o<strong>der</strong> gastrointestinaler<br />

Blutungen darstellen. Bei monoklonaler<br />

Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS)<br />

o<strong>der</strong> Myelom vom Typ IgG ist <strong>der</strong> VWF fast<br />

immer dysfunktionell (erworbener Typ 2<br />

[Abb. 3]). Dagegen haben Patienten mit<br />

einer monoklonalen Gammopathie vom<br />

Typ IgM meist einen erworbenen Typ 1<br />

(Abb. 4).<br />

Nicht selten führt eine (4) verstärkte Proteolyse<br />

durch ADAMTS13 (spezifisch <strong>für</strong><br />

den VWF) o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Proteasen wie Plasmin<br />

o<strong>der</strong> Calpain (nicht spezifisch) zum<br />

Verlust großer Multimere. Die durch<br />

ADAMTS13 hervorgerufene verstärkte<br />

Proteolyse wurde bereits <strong>für</strong> kardiovaskuläre<br />

und myeloproliferative Erkrankungen<br />

beschrieben. Sie tritt jedoch auch bei <strong>der</strong><br />

terminalen Niereninsuffizienz und bei<br />

Behandlung mit Ciprofloxacin auf. Eine<br />

Hämostaseologie<br />

durch Plasmin induzierte verstärkte Proteolyse<br />

wurde <strong>für</strong> die primäre und sekun -<br />

däre Hyperfibrinolyse, aber auch <strong>für</strong> die<br />

Lysetherapie beschrieben.<br />

Eine (5) vermin<strong>der</strong>te Synthese des VWF<br />

induziert ein eVWS Typ 1 (Hypothyreose).<br />

Bei einer Reihe von mit einem eVWS einhergehenden<br />

Erkrankungen wie einem<br />

eVWS nach Behandlung mit Valproinsäure,<br />

Viruserkrankungen (z. B. chronische Hepatitis<br />

C) o<strong>der</strong> Hepatopathien, Amyloidose,<br />

Glykogenspeicherkrankheit Typ 1 und Turner<br />

Syndrom ist bisher kein Pathomechanismus<br />

bekannt.<br />

Um den Blick <strong>für</strong> das erworbene VWS zu<br />

schärfen, hat die ISTH eine Website eingerichtet,<br />

auf <strong>der</strong> Patienten mit erworbenem<br />

VWS diskutiert werden können und die<br />

aktualisierte Literatur sowie Adressen von<br />

<strong>Ärzte</strong>n mit beson<strong>der</strong>er Erfahrung auf<br />

diesem Gebiet zu finden sind<br />

(IntREaVWS.com / intreavws.com).<br />

Epidemiologie<br />

Das eVWS tritt wesentlich seltener auf als<br />

das angeborene VWS, dürfte jedoch auch<br />

unterschätzt werden. Die von Thiede et<br />

al. [9] beschriebenen 35 Patienten <strong>aus</strong> einem<br />

Zentrum waren wie folgt verteilt: kardiovaskulär<br />

46 Prozent, lymphoproliferativ<br />

31 Prozent, myeloproliferativ 3 Prozent.<br />

Die Patienten mit kardiovaskulären<br />

Erkrankungen hatten eine extrem hohe<br />

Mortalität innerhalb von zwei Jahren<br />

(50 %), jedoch war in keinem Fall das<br />

eVWS ursächlich. Die Patienten mit den<br />

schwersten Blutungssymptomen (lymphoproliferative<br />

Erkrankungen) hatten alle<br />

überlebt. Bei den übrigen Patienten waren<br />

zwölf Prozent verstorben. Die Blutungsfrequenz<br />

war mit 19 Prozent pro Jahr hoch,<br />

mit 34 Prozent noch höher war die Notwendigkeit<br />

<strong>für</strong> einen operativen Eingriff in<br />

den nächsten zwei Jahren. Dies zeigt, dass<br />

eine exakte Abklärung eine sehr hohe Priorität<br />

hat.<br />

827


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Abb. 2: VWF Multimere bei einem Patienten mit „Kunst herz“ (2) und im normalen Plasma (1). Bei A handelt es sich<br />

um ein Gel mittlerer Auflösungsfähigkeit (gute Auftrennung <strong>der</strong> individuellen Oligomere in Triplets), bei B um ein<br />

Gel niedriger Auflösungsfähigkeit (bessere Darstellung des Verlustes großer Multimere). C stellt das Gel niedriger<br />

Auflösungsfähigkeit densitometrisch dar. Der Verlust <strong>der</strong> großen Multimere (Pfeil auf <strong>der</strong> Grenze zwischen großen<br />

und mittelgroßen Multimeren) ist eindeutig erkennbar.<br />

Abb. 3: Vergleich <strong>der</strong> VWF Multimere eines Patienten mit MGUS vom Typ IgG (4) und im normalen Mischplasma (3).<br />

Bei D handelt es sich um ein Gel mittlerer Auflösungsfähigkeit (gute Auftrennung <strong>der</strong> individuellen Oligomere in<br />

Triplets), bei E um ein Gel niedriger Auflösungsfähigkeit (bessere Darstellung des Verlustes großer Multimere). Eine<br />

Triplet-Struktur ist praktisch nicht vorhanden. Es handelt sich also um nicht-prozessierten VWF (zu kurze Verweildauer<br />

im Plasma). C stellt das Gel niedriger Auflösungsfähigkeit densitometrisch dar. Der Verlust <strong>der</strong> großen Multimere<br />

(Pfeil auf <strong>der</strong> Grenze zwischen großen und mittelgroßen Multimeren) ist eindeutig erkennbar.<br />

Klinische Symptome<br />

Leitsymptom des klassischen VWS ist die<br />

verlängerte Schleimhautblutung: Blutungen<br />

nach Zahnextraktion, Epistaxis, Blutungen<br />

<strong>aus</strong> dem Magen-/Darmtrakt und<br />

dem Urogenitalsystem sowie Blutungen<br />

nach arteriellen Punktionen und Blutungen<br />

nach Einnahme von Aggregationshemmern<br />

o<strong>der</strong> Coumarinen.<br />

828<br />

Diagnostik<br />

Zur Bestätigung eines erworbenen von<br />

Willebrand-Syndroms müssen zunächst die<br />

auch bei dem angeborenen VWS notwendigen<br />

Tests eingesetzt werden (Tab. 2 und 3).<br />

Der Verdacht auf eine erworbene Form er -<br />

for<strong>der</strong>t eine sorgfältige Erhebung <strong>der</strong> Eigenund<br />

Familienanamnese. Bei Verdacht auf<br />

ein erworbenes VWS, das durch Antikörper<br />

gegen den VWF <strong>aus</strong>gelöst ist, kommt<br />

die Suche nach diesen Antikörpern hinzu. [3]<br />

Spezifische o<strong>der</strong> unspezifische Autoantikörper, die<br />

zur Immunkomplexbildung und verstärkter Elimination<br />

des VWF führen<br />

■ Lymphoproliferative Erkrankungen<br />

■ Neoplasien<br />

■ Immunologische Erkrankungen<br />

Adsorption des VWF an maligne Zellklone o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />

Zelloberflächen<br />

■ Lymphoproliferative Erkrankungen<br />

■ Neoplasien<br />

■ Myeloproliferative Erkrankungen<br />

■ pathologischer Scherstress<br />

Verstärkte Proteolyse des VWF<br />

spezifisch<br />

■ Myeloproliferative Erkrankungen<br />

■ pathologischer Scherstress<br />

■ Urämie<br />

■ Ciprofloxacin<br />

unspezifisch (Plasmin)<br />

■ primäre Hyperfibrinolyse<br />

■ sekundäre Hyperfibrinolyse<br />

■ Lysetherapie<br />

Pathologischer Scherstress<br />

■ kongenitale Herzerkrankungen<br />

■ Aortenstenose<br />

■ Herzunterstützungssysteme<br />

■ Endokarditis<br />

■ Gefäßmalformationen<br />

(M. Osler, Kasabach-Merritt-Syndrom)<br />

■ schwere Arteriosklerose<br />

Vermin<strong>der</strong>te Synthese<br />

■ Unterfunktion <strong>der</strong> Schilddrüse<br />

Unbekannt<br />

■ Valproinsäure<br />

■ Viruserkrankungen<br />

■ Hepatopathien<br />

■ Amyloidose<br />

■ Glykogenspeicherkrankheit Typ 1<br />

Viruserkrankungen<br />

■ Turner-Syndrom<br />

Tab. 1: Pathogenetische Mechanismen bei verschiedenen<br />

Erkrankungen [6]<br />

A) Global- und Suchteste<br />

Eigen- und Familienanamnese<br />

(Blutungszeit)<br />

PFA-100 o<strong>der</strong> vergleichbare Instrumente<br />

aPTT<br />

Blutbild<br />

F VIII-Aktivität<br />

B) Spezifische Teste<br />

VWF-Antigen (VWF:Ag)<br />

Ristocetin cofactor Aktivität (VWF:RCo)<br />

Collagen Bindungskapazität (VWF:CB)<br />

C) Teste spezialisierter Laboratorien<br />

VWF Multimere<br />

VWF-Propeptid (VWF:AgII)<br />

Antikörper gegen den VWF<br />

Tab. 2: Teste zur Diagnostik des eVWS


Therapie<br />

Die Behandlung <strong>der</strong> Grundkrankheit hat in<br />

vielen Fällen die besten Erfolgs<strong>aus</strong>sichten.<br />

Wie bei dem angeborenen VWS stehen<br />

auch hier mit dem Desmopressin und den<br />

zugelassenen F VIII/VWF-Konzentraten<br />

zwei Hauptprinzipien <strong>der</strong> Behandlung zur<br />

Verfügung. Dabei sind aber die Beson<strong>der</strong>heiten<br />

des eVWS zu beachten. Sowohl<br />

FVIII/VWF-Konzentrate als auch Desmospressin<br />

wirken initial blutstillend bei myeloproliferativen<br />

Erkrankungen. Die Korrektur<br />

ist jedoch von deutlich kürzerer Dauer<br />

als bei dem angeborenen VWS. Außerdem<br />

kann die Normalisierung des VWF thromboembolische<br />

Komplikationen zur Folge<br />

haben. Gut belegt sind <strong>der</strong> schlechte<br />

Anstieg und die erheblich verkürzte Halbwertzeit<br />

nach Infusion von FVIII/VWF-<br />

Konzentraten und Desmopressin bei<br />

Patienten mit lymphoproliferativen<br />

Erkrankungen und monoklonaler Gammopathie.<br />

[5] Bei Nachweis von monoklonalem<br />

IgG ist die Anwendung von HDIgG meist<br />

erfolgreich, allerdings nur passager. Beim<br />

Typ IgM einer monoklonalen Gammopathie<br />

ist HDIgG wirkungslos. Hier bleibt<br />

lediglich die symptomatische Behandlung,<br />

zum Beispiel mit rekombinantem F VIIa.<br />

assoziierte Erkrankung<br />

n (%)<br />

VWF: Ag (median)<br />

Bereich<br />

VWF: CB (median)<br />

Bereich<br />

Ratio VWF: Ag / VWF: CB<br />

(median) Bereich<br />

Tab. 3: Laborbefunde bei den von uns im Jahr 2009 diagnostizierten Patienten mit erworbenem VWS<br />

Literatur<br />

kardiovaskulär<br />

45 (32 %)<br />

167 %<br />

52 – 602<br />

137 %<br />

36 – 478<br />

0,77<br />

0,3 – 1,02<br />

[1] Budde U, Schäfer G, Müller N, et al. Acquired von<br />

Willebrand’s disease in the myeloproliferative syndrome.<br />

Blood 1984; 64: 981-85.<br />

[2] Coppes MJ, Zandvoort SWH, Sparling CR, Poon AO,<br />

Weitzman S, Blanchette VS. Acquired von Willebrand dis -<br />

ease in Wilm’s tumor patients. J Clin Oncol 1992; 10: 422-7.<br />

[3] Fe<strong>der</strong>ici AB, Rand JH, Bucciarelli P, et al. Acquired von<br />

Willebrand syndrome: Data from an international registry.<br />

Thromb Haemost 2000; 84: 345-9.<br />

[4] Gill JC, Wilson AD, Endres-Brooks J, Montgomery RR.<br />

Loss of the largest von Willebrand factor multimers from<br />

plasma of patients with congenital cardiac defects. Blood<br />

1986; 67: 758-61.<br />

[5] Michiels JJ, Budde U, van Gen<strong>der</strong>en PJJ, et al. Acquired<br />

von Willebrand Syndromes: Clinical features, etiology,<br />

pathophysiology, classification and management. Best<br />

Pract Clin Haematol 2001; 14: 401-36.<br />

[6] Schneppenheim R, Budde U. von Willebrand-Syndrom<br />

und von Willebrand-Faktor. UNI-MED Verlag AG Bremen-<br />

London Boston 2. Aufl. 2006.<br />

[7] Shim K, An<strong>der</strong>son PJ, Tuley EA, Wiswall E, Sadler E.<br />

Platelet-VWF complexes are preferred substrates of<br />

ADAMTS13 un<strong>der</strong> fluid shear stress. Blood 2008; 111:<br />

651-57.<br />

[8] Simone JV, Cornet JA, Abildgaard CF: Acquired von<br />

Willebrand’s syndrome in systemic lupus erythematodes.<br />

Blood 1968; 31: 806-11.<br />

lymphoproliferativ<br />

26 (19 %)<br />

15,5 %<br />

6– 50<br />

6%<br />


Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Medizinische Versorgung im Zentrum<br />

Die MVZ Nord GmbH<br />

<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg<br />

Dr. Hans-Martin Stubbe<br />

Das Gesetz zur Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong><br />

gesetzlichen Krankenversicherung<br />

(GMG) vom 14. November 2003<br />

erlaubt seit dem 1. Januar 2004<br />

neben Vertragsärzten und Ermächtigten<br />

<strong>Ärzte</strong>n auch Medizinischen<br />

Versorgungszentren die Teilnahme<br />

an <strong>der</strong> ambulanten Versorgung<br />

gesetzlich Krankenversicherter.<br />

Die <strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH wurde<br />

am 27. Juni 2007 im Rahmen einer außer -<br />

ordentlichen Sitzung des Zulassungs<strong>aus</strong>schusses<br />

<strong>der</strong> KV Hamburg zugelassen und<br />

nahm am 1. September 2007 ihre Tätigkeit<br />

auf. Unternehmensziel ist die Komplettierung<br />

des medizinischen Angebotes im<br />

nie<strong>der</strong>gelassenen Bereich. Hier deckt sich<br />

das Ziel des Gesetzgebers, Ärztinnen und<br />

<strong>Ärzte</strong>n eine weitere Möglichkeit <strong>der</strong><br />

nie<strong>der</strong>gelassenen Tätigkeit zu eröffnen, mit<br />

unserer Intention. We<strong>der</strong> ist beabsichtigt,<br />

Arztpraxen in „lukrative“ Stadtteile zu<br />

verlegen, noch <strong>für</strong> Einweisungen in die<br />

eigenen Krankenhäuser zu sorgen. Um<br />

dies zu dokumentieren, gab die <strong>Asklepios</strong><br />

MVZ Nord GmbH bereits am 18. Juni 2008<br />

eine freiwillige, öffentliche Selbstverpflichtungserklärung<br />

gegenüber <strong>der</strong> Kassenärztlichen<br />

Vereinigung Hamburg ab, die dies<br />

<strong>aus</strong>schließt. Zu keinem Zeitpunkt wurde<br />

seither gegen diese Selbstverpflichtung<br />

verstoßen.<br />

Die Standorte unserer Gesundheitszentren<br />

befinden sich durchweg in eher strukturschwachen<br />

Gegenden Hamburgs und im<br />

Umland. Diese Strategie wird weiter verfolgt.<br />

Somit ist <strong>für</strong> uns <strong>der</strong> Westen Hamburgs<br />

nicht Blankenese son<strong>der</strong>n Osdorf.<br />

Mit <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> MVZ<br />

830<br />

MVZ NORD<br />

MVZ Labor Altona<br />

Labormedizin<br />

Dr. Otte<br />

Dr. Dittmer<br />

Dr. El Abd-Müller<br />

MVZ Harburg<br />

Gynäkologie, Psychiatrie,<br />

Orthopädie, Allg. Med.,<br />

Chirurgie, Kin<strong>der</strong>chirurgie,<br />

Gefäßchirurgie, Psychologie<br />

Dr. Unger<br />

Dr. Ude<br />

Dr. Bosse<br />

Dr. Bonitz-Swoboda MVZ Seevetal<br />

Dr. Hütter<br />

Gynäkologie, Orthopädie<br />

Dr. Halsner<br />

Dr. Gheorgiu<br />

Prof. Dr. Kallinowski Dr. Reichle<br />

Dr. Daum<br />

Hr. Maack<br />

Dr. Richter<br />

Hr. Kleinschmidt<br />

Dr. Zebidi<br />

Dipl.-Psych. Fränzi Martens<br />

Dipl.-Psych. Ziegler<br />

Dr. Johnsen (AKB)<br />

Nord GmbH haben die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />

Hamburg Vertragsärzten die Möglichkeit<br />

gegeben, auch nach Übergabe <strong>der</strong> Praxis<br />

ohne wirtschaftliche Zwänge weiter ärztlich<br />

tätig zu sein. Auf diese Weise können<br />

sie dem wachsenden Problem, geeignete<br />

MVZ Bergedorf<br />

Innere Medizin,<br />

Orthopädie, Gynäkologie,<br />

Psychiatrie<br />

Dr. Sliwiok<br />

Dr. Weidenfeld<br />

Dr. Friedrichs<br />

Fr. Ballnus<br />

Dr. Godat<br />

Dr. Stammer (AKW)<br />

Fr. Kossin<br />

MVZ Heidberg-Ochsenzoll<br />

Pädiatrie, Radiologie,<br />

Neurochirurgie,<br />

Psychiatrie, Psychologie,<br />

Innere Medizin<br />

Dr. Theobald Hormann<br />

Fr. Wolf<br />

PD Dr. Veelken<br />

Dipl.-med. Wagner<br />

Prof. Dr. Kremer et al.<br />

Hr. Jungfer<br />

Dipl.-Psych. Ziertmann<br />

Dipl.-Psych. Heumann<br />

Dr. Nagel<br />

MVZ Mitte<br />

Kardiologie, Psychiatrie,<br />

Physiotherapie, Chirurgie<br />

Dr. Hinrichs<br />

Dr. Peschel<br />

Hr. Gensch<br />

PD Dr. Niemeyer<br />

Dr. Flügel<br />

MVZ Geesthacht<br />

Allg. Med., Orthopädie<br />

Dr. Hadaschick<br />

Dr. Logmani<br />

Dr. Pietschmann<br />

Fr. Radzko<br />

Praxisnachfolger zu finden, <strong>aus</strong> dem Wege<br />

gehen. Vielmehr haben sie nun sogar die<br />

Möglichkeit, ihre Erfahrung und ihr Wissen<br />

über einen selbst gewählten Zeitraum<br />

auf die Nachfolgerin o<strong>der</strong> den Nachfolger<br />

zu übertragen. Wie regelmäßige, wissen-


„In einer gesundheitspolitisch unsicheren Zeit gibt<br />

uns <strong>der</strong> Anschluss an den <strong>Asklepios</strong>-Konzern mehr<br />

finanzielle Sicherheit. Unsere Arbeitsplätze und die<br />

unserer Mitarbeiterinnen sind gesichert und es<br />

besteht die Möglichkeit, einer Teilzeittätigkeit nachzugehen.<br />

Im Umfeld des Konzerns ist die Urlaubsvertretung<br />

möglich somit ist die Kontinuität <strong>der</strong><br />

Patientenbetreuung gesichert. Der interdisziplinäre<br />

Aust<strong>aus</strong>ch wird geför<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Kontakt zu den<br />

<strong>Klinik</strong>en wird enger.“<br />

Dr. Edmund Hütter<br />

Dr. Peter Halsner<br />

MVZ Harburg<br />

schaftliche Untersuchungen im Unternehmen<br />

zeigen, erwächst <strong>aus</strong> diesem sanften<br />

Übergang auch <strong>für</strong> unsere Patienten mehr<br />

Sicherheit und Zufriedenheit.<br />

Die Medizinischen Versorgungszentren<br />

können aber auch <strong>für</strong> jüngere Kollegen<br />

eine interessante Option sein: Hier haben<br />

sie die Chance, ohne finanzielle Risiken<br />

eigenständig ambulant zu arbeiten. Sie<br />

nutzen sowohl die Sicherheit eines großen<br />

Unternehmens als auch die häufig besseren<br />

Arbeitsbedingungen in einer Praxis. Die<br />

bisherigen Erfahrungen zeigen, dass auch<br />

<strong>der</strong> Wegfall von Nacht- und Wochenenddiensten<br />

durch<strong>aus</strong> ein Argument bei <strong>der</strong><br />

Entscheidung <strong>für</strong> diesen ärztlichen Tätigkeitsbereich<br />

ist.<br />

Gemäß <strong>der</strong> Selbstverpflichtung, die im<br />

September 2009 noch einmal in Form einer<br />

eidesstattlichen Erklärung des Geschäftsführers<br />

bekräftigt wurde, gibt es auch<br />

keine Anweisungen an die Mitarbeiter, bei<br />

<strong>Klinik</strong>einweisungen bestimmte <strong>Klinik</strong>en zu<br />

bevorzugen.<br />

Eine oft über Jahrzehnte gewachsene o<strong>der</strong><br />

durch die räumliche Nähe geprägte<br />

Zusammenarbeit mit Krankenhäusern<br />

an<strong>der</strong>er Träger wird auch unter dem Dach<br />

<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH gepflegt<br />

und im besten Fall sogar weiter <strong>aus</strong>gebaut.<br />

Denn <strong>der</strong> aufgeklärte Patient mit seiner<br />

Entscheidungssouveränität steht auch hier<br />

im Vor<strong>der</strong>grund.<br />

Unter diesen Vorgaben hat sich die <strong>Asklepios</strong><br />

MVZ Nord GmbH sehr positiv ent -<br />

wickelt, <strong>der</strong>zeit sind hier 61 <strong>Ärzte</strong> und<br />

Psychologen mit Voll- o<strong>der</strong> Teilzeitverträgen<br />

angestellt. Auch künftig wird das<br />

Unternehmen innerhalb <strong>der</strong> selbst gesetzten<br />

und <strong>der</strong> vom Gesetzgeber vorgegebenen<br />

Regeln weiter wachsen – ohne die<br />

Interessen nie<strong>der</strong>gelassener <strong>Ärzte</strong> o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>er Krankenhäuser zu verletzen. Sollte<br />

Medizinische Versorgungszentren<br />

einmal ein an<strong>der</strong>er Eindruck entstehen,<br />

sind wir <strong>für</strong> Hinweise dankbar und zu<br />

je<strong>der</strong> Zeit gesprächsbereit.<br />

Kontakt<br />

Dr. Hans-Martin Stubbe<br />

Geschäftsführer<br />

<strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH<br />

Lohmühlenstraße 5, H<strong>aus</strong> W<br />

20099 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 18 18-85 26 50<br />

Fax (0 40) 18 18-85 26 59<br />

E-Mail: h.stubbe@asklepios.com<br />

831


ISSN 1863-8341<br />

Geschichte <strong>der</strong> Medizin<br />

Vom guten Eiter bis zum Schnellverband:<br />

Die Geschichte <strong>der</strong> Wundversorgung<br />

Jens Oliver Bonnet<br />

Die Wundversorgung mit Verbandsmaterialien<br />

<strong>aus</strong> Blättern, Harzen o<strong>der</strong> Rinden<br />

ist vermutlich so alt wie die Menschheit<br />

selbst, auch wenn Aufzeichnungen dar -<br />

über nicht einmal 5.000 Jahre zurück reichen:<br />

Papyrusrollen <strong>aus</strong> dem alten Ägypten<br />

beschreiben Verletzungen, die mit in<br />

Öl und Honig getränktem feinen Leinen<br />

verbunden wurden.<br />

Bereits Hippokrates (460 – 375 v. Chr.) un -<br />

terschied Schnittwunden ohne Verunreinigung<br />

von komplizierten Verletzungen mit<br />

abgestorbenem Gewebe. Schnittwunden<br />

reinigte er mit Wein o<strong>der</strong> abgekochtem<br />

Regenwasser, vernähte sie und ließ sie unter<br />

mit starkem Rotwein getränkten Leinen -<br />

kompressen primär heilen. Verschmutzte<br />

o<strong>der</strong> entzündete Wunden mussten dagegen<br />

schnell durch den Vorgang <strong>der</strong> Eiterung<br />

gebracht werden, offen bleiben und<br />

sekundär heilen. Nach <strong>der</strong> Vier-Säfte-Lehre<br />

interpretierte Hippokrates die Entzündung<br />

als Säftestau, <strong>der</strong> durch Eiterung aufgelöst<br />

werden kann. Obwohl die <strong>Ärzte</strong> <strong>der</strong> Antike<br />

we<strong>der</strong> weiße Blutkörperchen noch<br />

Bakterien kannten, ahnten sie bereits die<br />

Bedeutung <strong>der</strong> verschiedenen Eiterformen:<br />

Weißer Eiter galt als günstig (Pus bonum et<br />

laudabile), dünnflüssiger o<strong>der</strong> stinken<strong>der</strong><br />

Eiter dagegen als prognostisch ungünstig. [1]<br />

In speziellen Fällen riefen die <strong>Ärzte</strong> gezielt<br />

eine Eiterung hervor, wenn die Wunde<br />

nicht primär verheilen konnte. Bei Entzündungszeichen<br />

in primär heilbaren Wunden<br />

trugen sie dagegen entzündungshemmende<br />

Mineralstoffe und Kräuter auf. Um die<br />

Wundeiterung in zerklüfteten und verschmutzten<br />

Wunden zu stimulieren, brachte<br />

Hippokrates in Wein abgekochte Schafswolle<br />

in die Wunde ein – dabei achtete er<br />

auf größtmögliche Reinlichkeit. Aulus<br />

Cornelius Celsus (ca. 25 v. Chr. – 50 n. Chr.)<br />

erwähnt in seinen Schriften Techniken <strong>der</strong><br />

Blutstillung und <strong>der</strong> Kauterisation durch<br />

www.medtropole.de<br />

Hilfe zur Selbsthilfe: <strong>der</strong> erste Pflasterschnellverband<br />

Ausbrennen <strong>der</strong> Wunde mit einem heißen<br />

Eisen, [1] Claudius Galen (129 – 216 n. Chr.)<br />

beschreibt bereits 108 verschiedene Verbände,<br />

darunter die bis heute gebräuchlichen<br />

Schildkröten- und den Kornährenverbände.<br />

Im kirchlich geprägten Mittelalter gab es<br />

nur wenige <strong>Ärzte</strong> in Diensten <strong>der</strong> Adligen<br />

und Reichen, während die medizinische<br />

Versorgung <strong>der</strong> Bevölkerung vor allem<br />

durch Ba<strong>der</strong>, Barbiere, Scherer und „weise<br />

Frauen“ geleistet wurde. [2] Das im Mittel -<br />

alter verbreitete Einbringen von Schmutz<br />

in primär heilbare Wunden beruhte vermutlich<br />

auf einer Fehlinterpretation des<br />

Hippokratischen Konzeptes des lobenswerten<br />

Eiters. Eine bahnbrechende Entdeckung<br />

machte <strong>der</strong> französische Barbier<br />

Ambroise Paré (1510 – 1590), <strong>der</strong> als Militärchirurg<br />

die bis dahin mit kochendem<br />

Holun<strong>der</strong>öl kauterisierten Schusswunden<br />

mit einem Digestivum <strong>aus</strong> Eigelb, Rosenöl<br />

und Terpentin bestrich, weil ihm während<br />

eines Gefechts das Öl <strong>aus</strong>ging: Den so<br />

Behandelten erging es erheblich besser als<br />

ihren kauterisierten Kameraden. [3]<br />

1865 entdeckte Louis Pasteur, dass Gärung<br />

und Fäulnis durch mikroskopisch kleine<br />

Lebewesen verursacht werden. Joseph Lister<br />

erkannte, dass diese Keime <strong>für</strong> Wundinfektionen<br />

verantwortlich waren und<br />

führte 1867 den mit Karbolsäure getränkten<br />

Wundverband ein, <strong>der</strong> die Todesraten<br />

in den <strong>Klinik</strong>en deutlich senkte. [4] Einen<br />

weiteren Meilenstein legte <strong>der</strong> Tübinger<br />

Chirurg Viktor von Bruns 1870 mit <strong>der</strong><br />

Erfindung <strong>der</strong> hydrophilen Verbandwatte,<br />

indem er Baumwolle bleichte und entfettete.<br />

1874 beschrieb Lister ein Verfahren zur<br />

Herstellung eines keimabtötenden Wundverbands,<br />

<strong>der</strong> Listerschen Carbolgaze.<br />

1922 brachte die Hamburger Firma Beiersdorf<br />

mit dem Hansaplast Schnellverband<br />

mit Mullkissen den ersten Pflasterverband<br />

auf den Markt, <strong>der</strong> eine eigenständige Versorgung<br />

kleiner Verletzungen durch den<br />

Patienten ermöglichte. Bis dahin erfor<strong>der</strong>ten<br />

selbst Bagatellverletzung professionelle<br />

Hilfe. 1962 legte Georg Winter den Grundstein<br />

<strong>für</strong> die mo<strong>der</strong>ne feuchte Wundbehandlung<br />

sekundär heilen<strong>der</strong> Wunden. [5]<br />

Literatur<br />

[1] Majno G. The Healing Hand – Man and Wound in the<br />

Ancient World, Harvard University Press, Cambridge 1975.<br />

[2] Ackerknecht EH. Geschichte <strong>der</strong> Medizin, 5. Auflage,<br />

Stuttgart 1986: 75.<br />

[3] Forrest, R. D.: Development of wound therapy from the<br />

dark ages to the present, Journal of the Royal Society of<br />

Medicine 1982, Bd. 75: 268-73.<br />

[4] Lister J. On a new method of treating compound<br />

fracture, abscess, etc., The Lancet. 1867; 45: 326-29.<br />

[5] Winter GD. Formation of the scab and the rate of epithelization<br />

of superficial wounds in the skin of the young<br />

domestic pig. Nature. 1962; 193: 293-4.<br />

BUCHTIPP<br />

W. Sellmer, A. Bültemann, W. Tigges<br />

Wundfibel: Wunden versorgen, behandeln, heilen<br />

193 S.; MWV 2010; € 24,95<br />

ISBN: 978-3-941468-14-6

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