medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
medtropole Aktuelles<br />
Nr. 22 Juli 2010<br />
WIRBELSÄULENCHIRURGIE:<br />
Idiopathische Skoliose – operative Behandlung<br />
RHEUMATOLOGIE:<br />
Primäre systemische Vaskulitiden<br />
HÄMOSTASEOLOGIE:<br />
Das erworbene von Willebrand-Syndrom<br />
<strong>aus</strong> <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>einweisende</strong> <strong>Ärzte</strong>
Impressum<br />
Redaktion<br />
Jens Oliver Bonnet<br />
(verantw.)<br />
Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens<br />
Prof. Dr. Christian Arning<br />
PD Dr. Oliver Detsch<br />
Dr. Birger Dulz<br />
PD Dr. Siegbert Faiss<br />
Dr. Christian Frerker<br />
Dr. Annette Hager<br />
Dr. Susanne Huggett<br />
Prof. Dr. Friedrich Kallinowski<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Dr. Jürgen Ma<strong>der</strong>t<br />
Dr. Kilian Röd<strong>der</strong><br />
Prof. Dr. Jörg Schwarz<br />
Prof. Dr. Gerd Witte<br />
Cornelia Wolf<br />
Her<strong>aus</strong>geber<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg GmbH<br />
Unternehmenskommunikation<br />
Rudi Schmidt V. i. S. d. P.<br />
Rübenkamp 226<br />
22307 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-82 66 36<br />
Fax (0 40) 18 18-82 66 39<br />
E-Mail:<br />
medtropole@asklepios.com<br />
Auflage: 15.000<br />
Erscheinungsweise:<br />
4 x jährlich<br />
ISSN 1863-8341<br />
Titel:<br />
pANCA bei Kleingefäß vasku -<br />
litiden wie mikroskopische<br />
Polyangiitis o<strong>der</strong> Churg-Str<strong>aus</strong>s-<br />
Syndrom (siehe Seite 811 – 814)<br />
Editorial<br />
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
die Fußball-WM-Euphorie hat sich gelegt, die Deutsche Mannschaft schneidet,<br />
durch<strong>aus</strong> zufriedenstellend, mit einer ehrbaren Bronzemedaille ab und gleichzeitig,<br />
fast unbemerkt, hat unsere Regierung kurz vor <strong>der</strong> Sommerp<strong>aus</strong>e eine<br />
sogenannte Gesundheitsreform verabschiedet, die sich offensichtlich das Etikett<br />
„Reform“ noch verdienen muss und sicherlich zu mancherlei Kopfzerbrechen in<br />
den Krankenhäusern, aber auch bei unseren nie<strong>der</strong>gelassenen Kollegen führen<br />
wird.<br />
Nicht erkennbar touchiert wurde durch die jetzige Gesundheitsreform das 2003 verabschiedete<br />
Gesetz zur Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), das seit dem 1. Januar<br />
2004 neben Vertragsärzten und ermächtigten <strong>Ärzte</strong>n auch medizinischen Versorgungszentren die<br />
Teilnahme an <strong>der</strong> ambulanten Versorgung erlaubt.<br />
Herr Dr. Stubbe, Geschäftsführer <strong>der</strong> MVZ Nord GmbH <strong>der</strong> AKHH, zeigt die Entwicklung <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> MVZ und die Zielsetzung unseres Unternehmens <strong>für</strong> dieses Geschäftsfeld in diesem<br />
Heft detailliert auf. Medizinische Versorgungszentren werden immer noch von vielen Kollegen<br />
kritisch beäugt; jedoch ist es durch<strong>aus</strong> möglich, diese ambulanten Behandlungszentren gerade in<br />
strukturschwachen Gegenden Hamburgs und im Umland sinnvoll zu etablieren und dabei durch<br />
eine behutsame Vorgehensweise nicht nur Patienten, son<strong>der</strong>n auch die in den MVZ arbeitenden<br />
Kollegen offensichtlich zufriedenzustellen. Immerhin beschäftigt die <strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH<br />
61 <strong>Ärzte</strong> und Psychologen in Voll- und Teilzeit, wobei ein weiteres Wachstum zu erhoffen ist, ohne<br />
dass, wie Herr Stubbe formuliert, die Interessen <strong>der</strong> nie<strong>der</strong>gelassenen <strong>Ärzte</strong> o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Krankenhäuser<br />
verletzt werden. Dies scheint mir in <strong>der</strong> Tat <strong>der</strong> richtige Weg <strong>für</strong> die Umsetzung des 2003<br />
beschlossenen Gesetzes zur Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong> gesetzlichen Krankenversicherung zu sein.<br />
Natürlich enthält diese Ausgabe <strong>der</strong> medtropole auch wie<strong>der</strong> interessante Arbeiten <strong>aus</strong> völlig<br />
unterschiedlichen Fachgebieten, die einmal mehr den breiten medizinischen Fächer <strong>der</strong> Hamburger<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en zeigen.<br />
Abschließend hoffe ich, wie<strong>der</strong> Ihr Interesse <strong>für</strong> die Lektüre dieser medtropole geweckt zu haben.<br />
Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, den Redaktionsmitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> medtropole <strong>für</strong> die<br />
geleistete Arbeit zu danken, insbeson<strong>der</strong>e Herrn Bonnet von <strong>der</strong> Pressestelle <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg, <strong>der</strong> unermüdlich recherchiert, die Redaktionssitzungen zur Zufriedenheit aller leitet<br />
und letztlich auch Motor und „guter Geist“ dieser Zeitschrift ist.<br />
Herzlichst<br />
Ihr<br />
Priv.-Doz. Dr. Meyer-Moldenhauer<br />
Ärztlicher Direktor <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />
Chefarzt des Urologischen Zentrums Hamburg
Inhalt<br />
804 | WIRBELSÄULENCHIRURGIE<br />
Operative Behandlung <strong>der</strong> idiopathischen Skoliose<br />
808 | UROLOGIE<br />
Therapie <strong>der</strong> Harninkontinenz<br />
nach radikaler Prostatektomie mit dem artifiziellen Sphinkter<br />
811 | RHEUMATOLOGIE<br />
Primäre systemische Vaskulitiden<br />
815 | PSYCHOSOMATIK<br />
Essstörungen<br />
Stationäre o<strong>der</strong> tagesklinische Behandlung?<br />
817 | PSYCHIATRIE UND PSYCHOTHERAPIE<br />
Können psychisch Gesunde süchtig werden?<br />
O<strong>der</strong> ist Sucht immer ein Symptom einer an<strong>der</strong>en psychischen Störung?<br />
820| PERSONALIA<br />
822 | NEUROCHIRURGIE<br />
Akutmaßnahmen beim Schädel-Hirntrauma<br />
826 | HÄMOSTASEOLOGIE<br />
Das erworbene von Willebrand-Syndrom<br />
830 | MEDIZINISCHE VERSORGUNGSZENTREN<br />
Die MVZ Nord GmbH <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg<br />
832 | GESCHICHTE DER MEDIZIN<br />
Vom guten Eiter bis zum Schnellverband:<br />
Die Geschichte <strong>der</strong> Wundversorgung<br />
S. 804<br />
S. 826<br />
S. 832
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Operative Behandlung<br />
<strong>der</strong> idiopathischen Skoliose<br />
PD Dr. Thomas Niemeyer, Dr. Kay Steffan<br />
Im Griechischen bedeutet „scolios“ krumm und im heutigen medizinischen<br />
Kontext versteht man unter Skoliose eine Formanomalie <strong>der</strong> Wirbelsäule,<br />
eine sogenannte 3D-Deformität, die durch Abweichung in <strong>der</strong> Frontal-<br />
Sagittalebene und in <strong>der</strong> Rotation gekennzeichnet ist.<br />
Die mit Abstand häufigste Form <strong>der</strong> nicht<br />
sekundär bedingten Wirbelsäulendeformi -<br />
täten ist die idiopathische Skoliose, die sich<br />
definitionsgemäß nicht auf an<strong>der</strong>e mögliche<br />
Ursachen wie Missbildungen, neurologische<br />
Erkrankungen, Syndrome und Bindegewebserkrankungen<br />
sowie Degeneration<br />
zurückführen lässt. Kennzeichen sind eine<br />
strukturelle Seitverbiegung <strong>der</strong> Wirbelsäule<br />
mit Fehlrotationskomponente <strong>der</strong> Wirbel,<br />
die zum Scheitelpunkt hin zunimmt und<br />
<strong>für</strong> die Ausbildung von Rippenbuckel<br />
und/o<strong>der</strong> Lendenwulst verantwortlich ist,<br />
sowie die Torsion (Verwringung) <strong>der</strong> einzelnen<br />
Wirbel in sich – einige Autoren [6]<br />
sprechen auch von einer Abweichung in<br />
<strong>der</strong> 4. Ebene (intravertebrale Deformierung,<br />
Abb. 3). Häufig liegt zusätzlich eine Deformierung<br />
in <strong>der</strong> Sagittalebene mit krankhafter<br />
Begleitlordose o<strong>der</strong> Begleitkyphose vor,<br />
wobei dann von einer Lordo skoliose beziehungsweise<br />
Kyphoskoliose gesprochen wird.<br />
804<br />
Abb. 1: Intravertebrale<br />
Deformität mit konkavseitig<br />
kleinem Pedikel<br />
Diagnostik<br />
Auffällig wird die Skoliose klinisch durch<br />
zunehmende Deformierung des Rumpfes<br />
mit o<strong>der</strong> ohne Lotabweichung und mit,<br />
je nach Lage <strong>der</strong> Deformität, Ausbildung<br />
eines Rippenbuckels und/o<strong>der</strong> Lendenwulstes,<br />
Asymmetrie <strong>der</strong> Taillendreiecke<br />
und gegebenenfalls Schulterschiefstand<br />
(Abb. 4). Die typischen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
treten häufig während des Wachstumsschubes<br />
<strong>der</strong> Pubertät auf und betreffen<br />
Mädchen vier Mal häufiger als Jungen.<br />
Radiologisch können die Haupt- und Ne -<br />
benkrümmungen nach <strong>der</strong> COBB-Methode<br />
auf <strong>der</strong> Ganzwirbelsäulenaufnahme <strong>aus</strong>gemessen<br />
und <strong>der</strong> Schweregrad <strong>der</strong> Skoliose<br />
bestimmt werden. Auf sogenannten röntgenologischen<br />
Bending-(Umkrümmungs-)<br />
aufnahmen lässt sich die Flexibilität von<br />
Haupt- und Nebenkrümmung bestimmen,<br />
um so prognostische Hinweise auf den<br />
Erfolg einer konservativen Korsettbehandlung<br />
o<strong>der</strong> das mögliche Ausmaß einer operativen<br />
Korrektur und die zu empfehlende<br />
Operationstechnik zu bekommen.<br />
Das biologische Alter bei <strong>der</strong> Entstehung<br />
einer Skoliose ist prognostisch bedeutsam.<br />
Das Skelettalter lässt sich in <strong>der</strong> Wachstumsphase<br />
anhand des Verknöcherungs -<br />
stadiums <strong>der</strong> Beckenkammapophyse nach<br />
RISSER und durch eine a-p-Röntgenaufnahme<br />
<strong>der</strong> linken Hand bestimmen.<br />
Nach <strong>der</strong> Lokalisation des Krümmungsscheitels<br />
werden bei <strong>der</strong> idiopathischen<br />
Skoliose vier Typen unterschieden: Bei <strong>der</strong><br />
bevorzugt linkskonvexen Lumbalskoliose<br />
liegt <strong>der</strong> Scheitelpunkt unterhalb des 1.<br />
Lendenwirbels, bei <strong>der</strong> Thorakolumbalskoliose<br />
in Höhe von Th12 o<strong>der</strong> L1. Idiopathische<br />
Thorakalskoliosen sind rechtskonvex<br />
mit einem Scheitelpunkt meist zwischen<br />
Th7 und Th11. Bei <strong>der</strong> doppelbogigen Skoliose<br />
liegen zwei Hauptkrümmungen vor,<br />
wobei die thorakale rechtskonvex und die<br />
lumbale linkskonvex <strong>aus</strong>gerichtet sind. Die<br />
letzte Form ist kosmetisch am wenigsten<br />
auffällig und wird meist spät erkannt, da<br />
sich die Krümmungen meist <strong>aus</strong>balancieren.<br />
Seit ihrer Veröffentlichung 1998 ist die<br />
nach LENKE benannte Klassifikation die<br />
am weitesten verbreitete, eine zweidimensionale<br />
Klassifikation mit sechs Typen. Ziel<br />
dieser Klassifikation war es, jede mögliche<br />
adoleszente idiopathische Skolioseform<br />
klassifizieren zu können und dabei gleichzeitig<br />
Therapierichtlinien festzulegen. [5,8,9]
Abb. 2: Ventrale Derotationsspondylodese Th9-L2: 16-jähriges Mädchen mit rechtskonvexer Thorakolumbalskoliose, Lenke Typ 5CN<br />
Therapie<br />
Eine exakte Diagnose auf Grundlage einer<br />
genauen Anamnese, <strong>der</strong> körperlichen und<br />
neurologischen Untersuchung sowie <strong>der</strong><br />
Röntgen-, Kernspin- o<strong>der</strong> CT-Aufnahmen<br />
ergibt die Basis <strong>für</strong> eine Beratung, in <strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Patient und gegebenenfalls die Eltern<br />
über die Diagnose Skoliose, <strong>der</strong>en Verlauf,<br />
eventuell bestehende Risiken und Behandlungsstrategien<br />
mit konservativem o<strong>der</strong><br />
operativem Vorgehen aufgeklärt werden. [4]<br />
Indikation und Verlauf<br />
Die Indikation zur operativen Therapie<br />
einer idiopathischen Skoliose wird durch<br />
verschiedene Faktoren beeinflusst:<br />
■ Zunahme <strong>der</strong> Skoliosekrümmung<br />
(Progression)<br />
■ Vermeidung sekundärer Komplikationen<br />
(Herz-Kreislauf-System und Lunge)<br />
■ Schmerzen infolge einer frühen Degeneration<br />
<strong>der</strong> Wirbelsäule, hervorgerufen<br />
durch die zunehmende Verkrümmung<br />
Weitere Faktoren wie Patientenalter, Cobb-<br />
Winkel, individuelle Beeinträchtigung<br />
(Kosmetik) und Leidensdruck fließen<br />
zusätzlich in diesen Entscheidungsprozess<br />
ein. Aufgrund <strong>der</strong> chirurgischen Ergebnisse<br />
bei idiopathischer Skoliose gilt eine<br />
operative Therapie ab Krümmungswinkeln<br />
von mehr als 40 Grad lumbal und thorakolumbal<br />
sowie mehr als 50 G rad thorakal<br />
<strong>der</strong>zeit national wie international als indiziert,<br />
da jenseits dieser Krümmungswinkel<br />
auch nach Wachstumsabschluss in aller<br />
Regel eine Progredienz auftritt (AWMF-<br />
Leitlinie).<br />
Dabei stehen drei Ziele im Vor<strong>der</strong>grund:<br />
■ maximale 3D-Korrektur unter Erhalt<br />
<strong>der</strong> Funktion und mit dem bestmöglichen<br />
kosmetischen Ergebnis<br />
■ hohe Sicherheit durch Primärstabilität<br />
<strong>der</strong> Instrumentation: vollständige korsettfreie<br />
Nachbehandlung<br />
■ Reduzierung von Schmerzen, wobei<br />
Schmerzen bei Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen<br />
mit idiopathischer Skoliose nicht<br />
im Vor<strong>der</strong>grund stehen<br />
Operationsverfahren<br />
Wirbelsäulenchirurgie<br />
Die operativen Korrekturverfahren einer<br />
Skoliose gehören zu den maximalchirurgischen<br />
großen Eingriffen an <strong>der</strong> Wirbelsäule.<br />
Möglich sind diese Verfahren letztlich<br />
nur durch die heutigen Narkoseverfahren<br />
und das anästhesiologische perioperative<br />
Management, die unabhängig von Alter<br />
und Komorbidität fast jede notwendige<br />
Korrektur ermöglichen. Die Historie <strong>der</strong><br />
operativen Skoliosetherapie begann vor<br />
rund 200 Jahren mit Muskeldurchtrennungen<br />
(Guerin, 1839: Myotomie Muskulatur),<br />
gefolgt von dem bis heute gültigen Prinzip<br />
<strong>der</strong> Spondylodese zur Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Zunahme <strong>der</strong> Skoliose (Hibbs, 1911: erste<br />
Wirbelsäulenfusion) bis zur ersten instrumentierten<br />
Skoliose (Harrington, 1962 Korrektur/Stabilisierung).<br />
Diese Pionierleistung<br />
ermöglichte in <strong>der</strong> Regel Korrekturen<br />
um 50 – 60 Prozent, aber mit einem durchschnittlichen<br />
Korrekturverlust bis 25 Prozent<br />
und einer Pseudarthroserate in bis zu<br />
20 Prozent aufgrund fehlen<strong>der</strong> Primärstabilität.<br />
Erschwerend kam hinzu, dass keine<br />
Beeinflussung des sagittalen Profils gelang<br />
und auf die Operation eine mehrwöchige<br />
Bettruhe und anschließend ein Jahr im<br />
(Gips-)Korsett folgten. Mit den heutigen<br />
805
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Abb. 3: 18-jährige Patientin mit doppelbogiger Skoliose Lenke Typ 3CN vor und nach Korrektur über den dorsalen Zugang von Th6-L4<br />
primärstabilen Implantaten lassen sich<br />
Skoliosen operativ viel effektiver aufrichten<br />
und stabilisieren. Durch die Korrektur<br />
<strong>der</strong> Skoliose werden nicht fusionierte<br />
Nebenkrümmungsbereiche mit den Bandscheiben<br />
und Wirbelgelenken distal <strong>der</strong><br />
Fusionsstrecke im Lumbal- o<strong>der</strong> Lumbo -<br />
sakralbereich entlastet. Die Langzeit -<br />
ergebnisse operierter Patienten mit<br />
idiopathischer Skoliose nach Harrington-<br />
Instrumentations-Spondylodese sind im<br />
Großen und Ganzen gut. [11] Da mit den<br />
mo<strong>der</strong>nen primärstabilen Verfahren bessere<br />
Korrekturergebnisse bei geringerer<br />
806<br />
Komplikationsrate und kürzerer Rehabilitationsphase<br />
erzielt werden, sollte die<br />
Langzeitprognose noch besser sein. [1–4,10]<br />
Verfahren zur Korrektur und Stabilisierung<br />
<strong>der</strong> Verkrümmung und Verdrehung <strong>der</strong><br />
skoliotischen Deformität:<br />
■ dorsale Verfahren über einen Zugangsweg<br />
von hinten<br />
■ ventrale Verfahren über einen vor<strong>der</strong>en<br />
Zugang<br />
■ kombinierte dorsale und ventrale<br />
Operationsverfahren<br />
Dabei werden intraoperativ Korrekturmanöver<br />
mit Distraktion, Kompression, Translation<br />
und Rotation angewendet. Die Korrektur<br />
<strong>der</strong> frontalen und sagittalen Ebene<br />
beträgt je nach Studie, verwendeten Im -<br />
plantaten und Flexibilität <strong>der</strong> Skoliosen<br />
zwischen 40 und 70 Prozent. [2,3,4,11] Nennenswerte<br />
Korrekturverluste treten im<br />
Implantationsbereich bei Verwendung von<br />
Pedikelschrauben o<strong>der</strong> ventralen Doppelstabsystemen<br />
nicht mehr auf. Häufig gelingt<br />
eine signifikante, kosmetisch vorteilhafte<br />
Abflachung von Rippenbuckel und/o<strong>der</strong><br />
Lendenwulst. Bei sehr rigiden Skoliosen
sind mitunter kombinierte dorsale und<br />
ventrale Operationsverfahren notwendig. [1]<br />
Zusätzliche Sicherheit bei allen korrigierenden<br />
Eingriffen wird durch ein intraoperatives<br />
Neuromonitoring mit Ableitung von<br />
SEPs und MEPs erreicht. Damit lässt sich<br />
das Querschnittsrisiko weiter minimieren.<br />
Der durchschnittliche Blutverlust und die<br />
OP-Zeit korrelieren mit dem Schweregrad<br />
<strong>der</strong> Skoliose. Die heutigen OP-Verfahren<br />
erlauben die zügige Wie<strong>der</strong>einglie<strong>der</strong>ung<br />
in den Alltag. Der stationäre Aufenthalt<br />
beträgt in aller Regel bei komplikations -<br />
losem Verlauf 10 – 14 Tage und nach ab -<br />
geschlossener Wundheilung dürfen die<br />
Patienten Schwimmen [7] gehen, leichte<br />
Krankengymnastik durchführen und<br />
öffentliche Verkehrsmittel benutzen.<br />
Fazit<br />
Die operative Therapie <strong>der</strong> idiopathischen<br />
Skoliose mit Korrektur des Achsenorgans<br />
in drei Ebenen gehört zu den maximalchirurgischen<br />
Eingriffen mit guten Langzeit -<br />
ergebnissen. Diese rekonstruktive Chirurgie<br />
<strong>der</strong> Wirbelsäule beim Kind, Jugendlichen,<br />
Erwachsenen und alten Menschen ist technisch<br />
anspruchsvoll, erfor<strong>der</strong>t ein aufwendiges<br />
perioperatives Management und<br />
Abb. 4: 13-jähriges Mädchen mit 96° nach Cobb<br />
Thorakalskoliose Lenke Typ 1CN mit typischen<br />
Zeichen; prä- und post operative Röntgenbil<strong>der</strong> einer<br />
dorsalen Korrektur von Th3-Th12<br />
muss in Zentren versorgt werden, die <strong>der</strong>artige<br />
Krankheitsbil<strong>der</strong> regelmäßig diagnostizieren,<br />
operieren und das Management<br />
<strong>der</strong> Komplikationen beherrschen. Die<br />
Lebensqualität <strong>der</strong> Patienten mit Skoliose<br />
ist dank <strong>der</strong> heutigen OP-Verfahren und<br />
<strong>der</strong> damit verbundenen hohen Sicherheit<br />
nach einem solchen Eingriff gut und<br />
bedeutet fast immer eine vollständige<br />
Wie<strong>der</strong>einglie<strong>der</strong>ung in den privaten und<br />
beruflichen Alltag.<br />
Literatur<br />
[1] Bullmann V, Halm HF, Schulte T, Lerner T, Weber TP,<br />
Liljenqvist UR. Combined anterior and posterior instrumentation<br />
in severe and rigid idiopathic scoliosis. Eur<br />
Spine J. 2006 Apr; 15(4): 440-8.<br />
[2] Bullmann V, Halm HF, Niemeyer T, Hackenberg L,<br />
Liljenqvist U. Dual-rod correction and instrumentation of<br />
idiopathic scoliosis with the Halm-Zielke instrumentation.<br />
Spine (Phila Pa 1976). 2003; 28(12): 1306-13.<br />
[3] Halm H, Niemeyer T, Halm B, Liljenqvist U, Steinbeck<br />
J. Halm-Zielke. Instrumentation bei idiopathischen Skoliosen.<br />
Ergebnisse bei 25 konsekutiven Patienten mit einem<br />
Mindestnachbeobachtungszeitraum von 2 Jahren.<br />
Z Orthop Ihre Grenzgeb. 2000; 138(1): 22-8.<br />
[4] Halm H, Richter A, Thomsen B, Köszegvary M, Ahrens<br />
M, Quante M. Ventrale Skolioseoperationen. Stand <strong>der</strong><br />
Technik und Vergleich mit dorsalen Verfahren. Orthopäde.<br />
2009; 38(2): 131-4, 136-40, 142-5.<br />
Kontakt<br />
PD Dr. Thomas Niemeyer<br />
Interdisziplinäres Wirbelsäulen Zentrum<br />
Hamburg<br />
Abteilung <strong>für</strong> Wirbelsäulen- und<br />
Skoliosechirurgie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 21 11<br />
Fax (0 40) 18 18-85 30 79<br />
E-Mail: t.niemeyer@asklepios.com<br />
Dr. Kay Steffan<br />
<strong>Asklepios</strong> Katharina-Schroth-<strong>Klinik</strong><br />
Orthopädisches Rehabiliationszentrum<br />
<strong>für</strong> die konservative<br />
Skoliose-Intensiv-Rehabilitation (SIR)<br />
Korczakstraße 2, 55566 Bad Sobernheim<br />
Tel. (0 67 51) 874-151<br />
Fax (0 67 51) 874-167<br />
E-Mail: k.steffan@asklepios.com<br />
Wirbelsäulenchirurgie<br />
[5] Lenke LG, Betz RR, Harms J, Bridwell KH, Clements<br />
DH, Lowe TG, Blanke K. Adolescent idiopathic scoliosis: a<br />
new classification to determine extent of spinal arthrodesis.<br />
J Bone Joint Surg Am. 2001; 83-A(8): 1169-81.<br />
[6] Liljenqvist U, Hackenberg L. Morphometric analysis of<br />
thoracic and lumbar vertebrae in idiopathic scoliosis. Stud<br />
Health Technol Inform. 2002; 88: 382-6.<br />
[7] Liljenqvist U, Witt KA, Bullmann V, Steinbeck J, Völker<br />
K. Empfehlungen zur Sport<strong>aus</strong>übung bei Patienten mit<br />
idiopathischer Skoliose. Sportverletz. Sportschaden. 2006;<br />
20(1): 36-42.<br />
[8] Liljenqvist U, Lerner T, Bullmann V. Selektive Fusionsmöglichkeiten<br />
<strong>der</strong> idiopathischen Skoliose unter kritischer<br />
Würdigung <strong>der</strong> Lenke-Klassifikation. Orthopäde. 2009;<br />
38(2): 189-92, 194-7.<br />
[9] Niemeyer T, Wolf A, Kluba S, Halm HF, Dietz K, Kluba<br />
T. Interobserver and intraobserver agreement of Lenke and<br />
King classifications for idiopathic scoliosis and the influence<br />
of level of professional training. Spine (Phila Pa 1976).<br />
2006; 31(18): 2103-7; discussion 2108.<br />
[10] Niemeyer T, Bövingloh AS, Grieb S, Schaefer J, Halm<br />
H, Kluba T. Low back pain after spinal fusion and Harrington<br />
instrumentation for idiopathic scoliosis. Int Orthop.<br />
2005; 29(1):47-50.<br />
[11] Niemeyer T, Liljenqvist U, Halm H, Winkelmann W.<br />
2- bis 4-Jahres-Ergebnisse dorsaler Doppelstabinstrumentationsspodylodesen<br />
bei idiopathischer Skoliose. Z Orthop.<br />
Ihre Grenzgeb. 1999; 137(5): 430-6.<br />
807
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Therapie <strong>der</strong> Harninkontinenz<br />
nach radikaler Prostatektomie mit dem artifiziellen Sphinkter<br />
Dr. Jochen Kilian, Dr. Alexan<strong>der</strong> von Bargen, PD Dr. Wolf-Hartmut Meyer-Moldenhauer<br />
Das Prostatakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung des Mannes. In einem lokal begrenzten Stadium ist<br />
die radikale operative Entfernung <strong>der</strong> Prostata (RPx) eine standardisierte Behandlungsmethode. Als häufigste<br />
Komplikation ist die postoperative Inkontinenz ein individuelles, gesellschaftliches und gesundheitsökonomisches<br />
Problem. [1] Führen konservative o<strong>der</strong> wenig invasive Therapien nicht zum Erfolg, bleibt die urologische Prothetik<br />
mit Implantation eines artifiziellen Sphinkters als bewährtes Verfahren zur Beseitigung einer postoperativen<br />
Inkontinenz.<br />
Nach erfolgreicher Tumortherapie wird die<br />
postoperative Belastungsinkontinenz nach<br />
radikaler Prostatektomie mit 1 bis 48 Prozent<br />
angegeben. [2] Allen Patienten wird<br />
nach <strong>der</strong> radikalen Prostatektomie zur<br />
postoperativen Rehabilitation geraten, in<br />
<strong>der</strong>en Zentrum die Anleitung zur selbstständigen<br />
und regelmäßigen Beckenbodengymnastik<br />
steht, um möglichst frühzeitig<br />
eine postoperative Kontinenz zu erreichen.<br />
Bei steigenden Operationszahlen wächst<br />
auch die Zahl <strong>der</strong> Patienten mit trotz Rehabilitation<br />
anhalten<strong>der</strong> Harninkontinenz,<br />
die einer erfolgreichen Therapie bedürfen.<br />
Die persistierende Inkontinenz erfor<strong>der</strong>t<br />
nach Differenzierung zwischen reiner<br />
Belastungs- und Drang-/Mischinkontinenz<br />
eine gezielte Weiterbehandlung. Während<br />
die Dranginkontinenz in <strong>der</strong> Regel gut mit<br />
einer anticholinergen Therapie zu behandeln<br />
ist, sollten Patienten mit <strong>aus</strong>geprägter<br />
Stressinkontinenz und über sechs bis maximal<br />
zwölf Monate frustranen konservativen<br />
Therapieversuchen operativ behandelt<br />
werden. [3]<br />
808<br />
Operative Therapie <strong>der</strong> anhaltenden<br />
Stressinkontinenz<br />
Die submuköse, paraurethrale Injektion<br />
von „bulking agents“ (Teflon, Kollagen,<br />
Silikon [Makroplastique ® ]) ist eine einfach<br />
durchzuführende Maßnahme, die aber<br />
bereits im An fangsstadium mit einer hohen<br />
Versagerrate belastet ist, die im Verlauf<br />
weiter ansteigt. [2] Wir halten daher den Einsatz<br />
von „bulking agents“ nicht mehr <strong>für</strong><br />
gerechtfertigt, zumal dadurch an<strong>der</strong>e, effizientere<br />
Therapieoptionen beeinträchtigt<br />
werden.<br />
Die anfangs hohen Erwartungen an die<br />
Stammzelltherapie zur Behandlung <strong>der</strong><br />
Stressinkontinenz haben sich nicht erfüllt.<br />
Sie ist daher ebenfalls nicht zu empfehlen. [2]<br />
Als weiteres minimal-invasives Therapieverfahren<br />
stehen adjustierbare Ballonsysteme<br />
(ProACT ® ) zur Verfügung, die durch<br />
Kompression <strong>der</strong> Harnröhre mit Hilfe<br />
zweier nachfüllbarer, paraurethral platzierter<br />
Ballons die Kontinenz wie<strong>der</strong>herstellen<br />
sollen. Auf diese Weise lassen sich Kontinenzraten<br />
von bis zu 60 Prozent erreichen. [4]<br />
Mathis et al. zitieren in ihrer systematischen<br />
Übersichtsarbeit Studien, in denen<br />
Blasenperforationen (6,4 – 9 %), Dranginkontinenz<br />
(6 – 8 %), rupturierte Ballons<br />
(20,7 % [5] ), Migrationen von Ballons (7 % [5] )<br />
sowie Erosionen (6,4 % [5] ), die eine Ballonentfernung<br />
nötig machten, auftraten. [6]<br />
In <strong>der</strong> eigenen <strong>Klinik</strong> haben wir bei <strong>aus</strong>wärtig<br />
operierten Patienten schwere Komplikationen<br />
wie urethrale Erosionen bis hin<br />
zum längerstreckigen Harnröhrenverlust<br />
und Infektionen beobachtet, die die komplette<br />
Explantation des Systems erfor<strong>der</strong>ten.<br />
Trotz <strong>der</strong> relativ hohen Kontinenzrate<br />
sind diese Systeme deshalb unseres Erachtens<br />
auch nicht zu empfehlen.<br />
Sehr erfolgreich sind bei mo<strong>der</strong>at <strong>aus</strong>geprägter<br />
Belastungsinkontinenz nach radikaler<br />
Prostatektomie spannungsfrei und<br />
nicht-obstruktiv wirkende Schlingensys -<br />
teme. In <strong>der</strong> eigenen <strong>Klinik</strong> hat sich bei<br />
geringgradiger Stressinkontinenz die<br />
Implantation <strong>der</strong> retro-urethralen transobturatorischen<br />
Schlinge (AdVance ® ) bewährt.<br />
Alle bisher aufgeführten Verfahren beeinträchtigen<br />
im Falle ihres Versagens die spätere<br />
Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />
im Bereich <strong>der</strong> proximal bulbären<br />
Urethra, da wegen <strong>der</strong> eingetretenen Vernarbung<br />
an dieser Lokalisation keine Man-
Abb. 1: Artifizieller Sphinkter (AMS 800 ® ) Abb. 2: Der proximal bulbäre Cuff nach RPx Abb. 3: Der distale Doppelcuff nach RPx<br />
schettenpositionierung des artifiziellen<br />
Sphinktersystems mehr möglich ist. Deshalb<br />
bedarf es einer kritischen Indikationsstellung.<br />
Das erste eingesetzte Operationsverfahren<br />
muss das Beste sein, weshalb bei<br />
<strong>aus</strong>geprägter Belastungsinkontinenz schon<br />
frühzeitig die Implantation eines artifiziellen<br />
Sphinkters, nach wie vor <strong>der</strong> Goldstandard<br />
in <strong>der</strong> Therapie <strong>der</strong> Post-Prostatektomie-Inkontinenz,<br />
in Erwägung gezogen<br />
werden sollte.<br />
Der artifizielle Sphinkter (Abb.1) wurde<br />
von Bradley und Scott entwickelt und erstmals<br />
1972 implantiert. Das heute verwendete<br />
Modell AMS 800 ® wurde bereits 1983<br />
eingeführt und ist ein hydraulisches, auch<br />
mit Antibiotikabeschichtung erhältliches<br />
System, das <strong>aus</strong> drei Komponenten<br />
besteht: einer Manschette (Cuff), die um<br />
die Harnröhre gelegt wird, einem druckregulierenden<br />
Ballon, <strong>der</strong> retropubisch o<strong>der</strong><br />
besser intraperitoneal platziert wird, und<br />
einer Kontrollpumpe, die im Skrotalfach<br />
untergebracht wird. Der im System herrschende<br />
Druck <strong>aus</strong> dem Ballon wird über<br />
die Pumpe auf die Manschette fortgeleitet<br />
und komprimiert die Harnröhre. Bei Miktion<br />
betätigt <strong>der</strong> Patient die skrotal gelegene<br />
Pumpe, wodurch <strong>der</strong> Cuff entleert und<br />
die Harnröhre freigegeben wird. Zeitverzögert<br />
verschließt sich die Manschette selbsttätig<br />
kurz nach <strong>der</strong> letzten Pumpenbetätigung.<br />
Nach radikaler Prostatektomie kommen<br />
zwei Positionen <strong>für</strong> die Implantation <strong>der</strong><br />
Harnröhrenmanschette in Betracht:<br />
1. Proximal-bulbäre Cuffposition mit<br />
knapp distal <strong>der</strong> Harnröhren-Blasen-<br />
Anastomosenregion gelegener Verschlussmanschette<br />
(Abb. 2)<br />
2. Der distale Doppelcuff liegt weiter distal<br />
an <strong>der</strong> bulbären Harnröhre und wird<br />
von uns bei allen voroperierten (bulking<br />
agents, Stammzelltherapie, Ballonsysteme,<br />
Schlingenoperation) o<strong>der</strong> bestrahlten<br />
Patienten verwendet (Abb. 3). An <strong>der</strong> proximal-bulbären<br />
Harnröhre muss durch Vernarbungen<br />
beziehungsweise postaktinische<br />
Durchblutungsbeeinträchtigung mit einer<br />
hohen Harnröhrenarrosionsrate gerechnet<br />
werden, weshalb in diesen Fällen ein distal-bulbärer<br />
Doppel-Cuff implantiert wird.<br />
Während die proximal-bulbäre Manschette<br />
außerhalb <strong>der</strong> Sitzdruckzone liegt, wird die<br />
Kontinenz bei einem distal-bulbär in <strong>der</strong><br />
Sitzdruckzone platzierten Cuff kompromittiert.<br />
Zur Vergrößerung <strong>der</strong> urethralen<br />
Druckübertragungsfläche werden deshalb<br />
zwei nebeneinan<strong>der</strong> liegende Cuffs<br />
implantiert.<br />
Präoperative Diagnostik<br />
und Behandlungsablauf<br />
Urologie<br />
Eine sorgfältige präoperative Abklärung<br />
zur Identifizierung <strong>der</strong> <strong>für</strong> die Sphinkter -<br />
implantation geeigneten Kandidaten<br />
sichert gute Behandlungsergebnisse.<br />
Anamnese mit Erfragung / Prüfung<br />
mentaler und manueller Fähigkeiten<br />
Miktions-Inkontinenzprotokoll<br />
Pad-Test [7]<br />
Körperliche Untersuchung<br />
Labor inklusive Urinsediment und Urinkultur<br />
Sonographie des Harntraktes<br />
Retrogrades Urethrogramm / MCU<br />
Urethrocystoskopie mit Stresstest im Liegen<br />
und Stehen<br />
Uroflowmetrie<br />
Urodynamik<br />
Tab. 1 Ambulante präoperative Diagnostik vor<br />
Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />
Ausmaß und Grad <strong>der</strong> Inkontinenz werden<br />
mit Inkontinenzprotokoll, Pad- und<br />
Stress-Tests erfasst. Die urodynamische<br />
Untersuchung wird zum Ausschluss kombinierter<br />
Harninkontinenzformen durch -<br />
geführt, die gegebenenfalls eine Vorbeziehungsweise<br />
Begleitbehandlung mit<br />
Anticholinergika erfor<strong>der</strong>n. Der Patient<br />
wird zur antibiotischen Vorbehandlung am<br />
präoperativen Tag aufgenommen und<br />
unter einem fünftägigen perioperativen<br />
Antibiotikaregime operiert. Die Entlassung<br />
809
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
erfolgt mit zunächst deaktiviertem Sphinktersystem.<br />
Nach einer sechswöchigen Einheilungszeit<br />
wird das System in einem<br />
kurzzeitstationären zweiten Aufenthalt<br />
mit einer Übernachtung aktiviert und die<br />
Bedienung eingeübt.<br />
Ergebnisse<br />
Die von Juni 2001 bis Dezember 2007 an<br />
<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg operierten<br />
269 Patienten mit Implantation eines artifiziellen<br />
Schließmuskels AMS 800 ® wurden<br />
im Rahmen einer Dissertation [8] mit standardisierten<br />
Fragebögen [ICIQ-SF 2004]<br />
und Pad-Test nach Klarskov und Hald [7]<br />
untersucht. 180 dieser Patienten konnten in<br />
die Auswertung einbezogen werden.<br />
Zwischenzeitlich wurden hier bis zum Mai<br />
2010 weitere 121 AMS 800 ® -Implantationen<br />
durchgeführt. Die Ursachen <strong>der</strong> Belastungsinkontinenz<br />
sind <strong>der</strong> Abbildung 4 zu<br />
entnehmen, <strong>der</strong> größte Anteil bezieht sich<br />
auf die Post-Prostatektomie-Inkontinenz.<br />
Die Kontinenzrate (0 bis max. 2 Vorlagen<br />
pro Tag) bei den untersuchten Patienten<br />
betrug nach Sphinkterimplantation nahezu<br />
86 Prozent. Im <strong>aus</strong>wertbaren Patientenkollektiv<br />
lag <strong>der</strong> Anteil von Revisionen bei<br />
17,3 Prozent. Trotz <strong>der</strong> hoch erscheinenden<br />
Revisionsrate lag die Zufriedenheit nach<br />
Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />
bei insgesamt 94,7 Prozent (Abb. 5)! Die<br />
Lebensqualität hatte sich nach Implantation<br />
eines artifiziellen Sphinkters bei 169 von<br />
180 Patienten (93,8 %) verbessert (Abb. 6)!<br />
Patienten, die einmal nach Aktivierung des<br />
artifiziellen Sphinktersystems kontinent<br />
waren, empfanden eine <strong>der</strong>artige Verbesserung<br />
ihrer Lebensqualität, dass sie bei<br />
einem auftretenden Systemdefekt<br />
schnellst möglich revidiert werden wollten,<br />
um bald wie<strong>der</strong> in die gute Ausgangslage<br />
versetzt zu werden.<br />
Fazit<br />
Die Implantation eines artifiziellen Sphinkters<br />
ist bei <strong>aus</strong>geprägter Postprostat ekto -<br />
mie-Inkontinenz ein äußerst erfolgreiches<br />
Therapiekonzept mit vertretbarer Komplikations-<br />
und sehr hoher Kontinenz- und<br />
Zufriedenheitsrate.<br />
810<br />
Anzahl <strong>der</strong> Patienten Prozent Anzahl <strong>der</strong> Patienten<br />
150<br />
120<br />
90<br />
60<br />
30<br />
0<br />
Abb. 4: Ursachen <strong>der</strong> Belastungsinkontinenz (n=180) [8]<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
0<br />
Abb. 5: Zufriedenheit nach Implantation eines artifiziellen Sphinkters im UZH [8]<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
Abb. 6: Lebensqualität <strong>der</strong> Patienten nach AMS 800 ® -Implantation [8]<br />
Literatur<br />
RPx: 147<br />
TUR-P: 21<br />
sehr zufrieden:<br />
50,3 %<br />
verbessert:<br />
169<br />
off PAEn: 1<br />
TUR-A: 2<br />
zufrieden:<br />
44,4 %<br />
unverän<strong>der</strong>t:<br />
4<br />
[1] Dombo O, Otto U. Stressinkontinenz beim Mann:<br />
Anatomische und funktionelle Beson<strong>der</strong>heiten. Journal <strong>für</strong><br />
Urologie und Urogynäkologie. 2004: 7-12.<br />
[2] Bauer RM, Mayer ME, Gratzke et al. Harninkontinenz<br />
nach radikaler Prostatektomie. Urologe. 2009; 48: 1044-9.<br />
[3] Schroe<strong>der</strong> A, Abrams P, An<strong>der</strong>sson KE et al. Guidelines<br />
on urinary incontinence. European Association of Urology,<br />
Arnheim. 2009: 28-34.<br />
[4] Hübner WA, Schlarp OM. Adjustable Continence<br />
Therapy (ProACT): Evaluation of the surgical technique in<br />
comparison of the original 50 patients with the most recent<br />
50 patients at a single centre. Eur Urol. 2007; 52: 680-6.<br />
[5] Hübner WA, Schlarp OM. Treatment of incontinence<br />
after prostatectomy using a new minimally invasive device:<br />
adjustable continence therapy. BJU Int. 2005; 96: 587-94.<br />
[6] Mathis S, Guba B, Adlbrecht C, Pramesberger C. Belas -<br />
tungsinkontinenz Evidenz zu vier minimal-invasiven<br />
Behandlungsmethoden mit fragwürdigem Nutzen – syste-<br />
Radiatio: 1<br />
Trauma: 1<br />
wenig zufrieden:<br />
3,5 %<br />
verschlechtert:<br />
2<br />
matische Übersicht. Urologe. 2009; 48: 1330-8.<br />
[7] Klarskov P, Hald T. Reproducability and realibility of<br />
urinary incontinence assessment with a 60 min test. Scand<br />
J Urol Nephrol. 1984; 18(4): 293-8.<br />
[8] Bargen VA. Der artifizielle Sphinkter AMS 800 –<br />
Erfolgsrate, Komplikationen und Patientenzufriedenheit.<br />
Inauguraldissertation 2008; Mainz.<br />
Kontakt<br />
neurogen: 3<br />
iatrogen: 3<br />
Dr. Jochen Kilian<br />
unbekannt: 1<br />
gar nicht<br />
zufrieden: 1,8 %<br />
keine Angabe:<br />
5<br />
Urologisches Zentrum Hamburg<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Harburg<br />
Eißendorfer Pferdeweg 52<br />
21075 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-86 25 54<br />
Fax (0 40) 18 18-86 34 26<br />
E-Mail: j.kilian@asklepios.com<br />
Ursachen<br />
Patientenzufriedenheit<br />
Lebensqualität
Primäre systemische Vaskulitiden<br />
Dr. Keihan Ahmadi-Simab<br />
Die Einteilung <strong>der</strong> PSV erfolgt gemäß <strong>der</strong><br />
Nomenklatur <strong>der</strong> Chapel Hill Consensus<br />
Conference (CHC) [1] nach dem prädominanten<br />
Befallmuster <strong>der</strong> Gefäße (Gefäßtyp)<br />
und unter Berücksichtigung pathophysiologischer<br />
Aspekte, das heißt ANCA-Assoziation<br />
beziehungsweise Immunkomplex-<br />
Genese (Tab. 1).<br />
Pathogenese<br />
Pathogenetisch lassen sich die Vaskulitiden<br />
in drei Gruppen unterteilen:<br />
1. Granulomatöse Vaskulitis<br />
2. Immunkomplexvaskulitis<br />
3. ANCA-assoziierte Vaskulitis<br />
(Pauci-immune Vaskulitis)<br />
Granulomatöse Vaskulitis<br />
Die Riesenzellarteriitiden (Arteriitis temporalis,<br />
M. Horton) und die Takayasu-Arteri -<br />
itis betreffen die großen Gefäße und zählen<br />
zu den Granulomatösen Vaskulitiden. Sie<br />
gehen mit einer granulomatösen Entzündung<br />
in <strong>der</strong> Gefäßwand einher, wobei sich<br />
peripher we<strong>der</strong> Immunkomplexe noch<br />
Autoantikörper finden. Zu den frühesten<br />
Krankheitsprozessen in <strong>der</strong> Pathogenese<br />
<strong>der</strong> Riesenzellarteriitis gehört die Aktivierung<br />
dendritischer Zellen in <strong>der</strong> Adventitia<br />
großer Gefäße, in <strong>der</strong>en Folge es zu einer<br />
Chemokin- und Th1-Typ-Zytokinsekretion<br />
kommt. T-Zellen migrieren in <strong>der</strong> Folge<br />
über die Vasa vasorum <strong>der</strong> Adventitia in<br />
die gesamte Gefäßwand. In diesem Rahmen<br />
werden Makrophagen aktiviert und<br />
fusionieren zu Riesenzellen.<br />
Immunkomplexvaskulitis<br />
Polyarteriitis nodosa, kutane leukozytoklastische<br />
Vaskulitis, essentielle kryoglobulinämische<br />
Vaskulitis und Schönlein-Henoch-<br />
Purpura sind Immunkomplexvaskulitiden.<br />
Die Ablagerung zirkulieren<strong>der</strong> Immunkomplexe<br />
induziert endothelseitig beziehungsweise<br />
in den Gefäßwänden eine Entzündung.<br />
Abgelagerte Immunkomplexe werden<br />
von neutrophilen Granulozyten über ihre<br />
Fc-γ-Rezeptoren erkannt, was zu einer vorzeitigen,<br />
endothelnahen Degranulierung<br />
mit konsekutiver Endothelschädigung<br />
führt. Abgelagerte Immunkomplexe und<br />
C1q induzieren zudem eine Verlangsamung<br />
des Rollens von Leukozyten über<br />
dem Endothel, was offenbar ebenfalls Entzündung<br />
und Endothelschädigung Vorschub<br />
leistet. Immunhistochemisch sind<br />
dementsprechend Immunkomplexe und<br />
Komplementfaktoren in <strong>der</strong> Gefäßwand<br />
nachzuweisen. Immunkomplexvaskulitiden<br />
sind durch einen Komplementverbrauch<br />
gekennzeichnet.<br />
ANCA-assoziierte Vaskulitis<br />
Zu den ANCA-assoziierten Vaskulitiden<br />
zählen die Wegenersche Granulomatose<br />
(WG), das Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom (CSS)<br />
und die Mikroskopische Polyangiitis<br />
(MPA). Alle drei Vaskulitiden betreffen<br />
hauptsächlich kleine Gefäße, also kleine<br />
Arterien, Arteriolen, Kapillaren und Venolen.<br />
Da Ablagerungen von Immunkomplexen<br />
nur in geringem Maße o<strong>der</strong> gar nicht<br />
in den entzündlichen Arealen nachzuweisen<br />
sind, werden diese Vaskulitiden als<br />
„pauci-immun“ bezeichnet. Diese Vaskulitis-Gruppe<br />
ist charakteristischerweise mit<br />
Rheumatologie<br />
Vaskulitiden sind chronisch entzündliche Erkrankungen <strong>der</strong> Blutgefäße. Man unterscheidet primäre systemische<br />
Vaskulitiden unklarer Ätiologie und sekundäre Vaskulitiden, die in Assoziation mit an<strong>der</strong>en chronisch entzündlichen<br />
und autoimmunen Erkrankungen auftreten. Der Begriff primäre systemische Vaskulitis (PSV) umfasst<br />
klinisch, morphologisch und immunpathogenetisch unterschiedliche Immunvaskulitiden.<br />
dem Nachweis anti-neutrophiler zytoplasmatischer<br />
Autoantikörper (ANCA) assoziiert:<br />
Bei generalisierter WG PR3-ANCA<br />
(≥ 95 %), bei MPA MPO-ANCA (40 – 80 %)<br />
und bei CSS meist MPO-ANCA, seltener<br />
PR3-ANCA (10 – 70 %). Neben ihrer diagnostischen<br />
Bedeutung kommt den ANCA<br />
in <strong>der</strong> Pathogenese <strong>der</strong> Vaskulitis eine<br />
bedeutende Rolle zu. Nach <strong>der</strong>zeitiger Vorstellung<br />
kommt es unter dem Einfluss von<br />
Zytokinen zur Translokation <strong>der</strong> primär<br />
intrazellulären Zielantigene (zum Beispiel<br />
PR3) auf die Oberflächenmembran neutrophiler<br />
Granulozyten. Möglicherweise spielt<br />
auch eine genetische Prädisposition in <strong>der</strong><br />
Oberflächenexpression <strong>der</strong> Zielantigene<br />
eine Rolle. Durch die Interaktion von<br />
ANCA mit den Zielantigenen auf <strong>der</strong> Zelloberfläche<br />
werden die Neutrophilen aktiviert.<br />
Es kommt zur vorzeitigen, endothelnahen<br />
Degranulation mit Freisetzung<br />
toxischer Sauerstoffradikale und lysosomaler<br />
Enzyme mit konsekutiver Schädigung<br />
des Endothels und somit Initiierung <strong>der</strong><br />
Vaskulitis.<br />
Symptome<br />
Die ersten Symptome <strong>der</strong> Vaskulitiden<br />
sind häufig uncharakteristisch (Tab. 2).<br />
Klinisch<br />
Allgemeinsymptome („constitutional symptoms“)<br />
Adynamie, Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust<br />
Rheumatische Beschwerdekomplex<br />
Polymyalgie, -arthralgie, -myositis, -arthritis<br />
(auch: mono- o<strong>der</strong> oligoarthritische Bil<strong>der</strong>)<br />
Labor<br />
Akutphasenproteinerhöhung<br />
(BSG-, CRP-Erhöhung etc.)<br />
Leuko- und Thrombozytose, Anämie<br />
Tab. 2: Indirekte Hinweise <strong>für</strong> PSV („Alarmsymptome“)<br />
811
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Erkrankung CHC Definition Typische klinische Symptome und Befunde<br />
Riesenzellarteriitis (RZA)<br />
Vaskulitis großer Gefäße<br />
Granulomatöse Arteriitis <strong>der</strong> Aorta und ihrer größeren Äste mit<br />
Plötzlicher Krankheitsbeginn, Fieber, B-Symptomatik, Gewichtsverlust, bitem-<br />
Prädilektion <strong>für</strong> die extrakraniellen Äste <strong>der</strong> A. carotis; Tempoporale<br />
Cephalgien, tastbar verhärtete und schmerzhafte Temporalarterie,<br />
ralarterie häufig betroffen; üblicherweise Patienten jenseits des<br />
Oberarmmyalgie, Depression<br />
40. Lebensjahres; häufig assoziiert mit Polymyalgia rheumatica<br />
Takayasu-Arteriitis<br />
Granulomatöse Entzündung <strong>der</strong> Aorta und ihrer Hauptäste;<br />
üblicherweise Patienten vor dem 40. Lebensjahr<br />
B-Symptomatik, Thorakalsymptome (Angina pectoris), Claudicatio,<br />
Blutdruckdifferenz, Schwindel<br />
Vaskulitis mittelgroßer Gefäße<br />
Polyarteritis nodosa<br />
(PAN)<br />
Nekrotisierende Entzündung <strong>der</strong> mittelgroßen o<strong>der</strong> kleinen<br />
Arterien ohne Glomerulonephritis und ohne Vaskulitis <strong>der</strong> Arteriolen,<br />
Kapillaren und Venolen<br />
B-Symptomatik, Arthralgien, Myalgien, art. Hypertonie, Polyneuropathie,<br />
Livedo reticularis, Angina abdominalis, Niereninfarkte, Angina pectoris, cerebrale<br />
Ischämie<br />
Kawasaki-Syndrom<br />
Wegenersche Granulomatose<br />
(WG)<br />
Mikroskopische<br />
Polyangiitis (MPA)<br />
Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom<br />
(CSS)<br />
Purpura Schönlein-<br />
Henoch<br />
Essentielle kryoglobulinämische<br />
Vaskulitis<br />
Kutane leukozyto-klastische<br />
Angiitis<br />
Im Verlauf kommen rheumatische Be -<br />
schwerden hinzu, die an eine entzündliche<br />
Systemerkrankung denken lassen. Bei<br />
sorgfältiger körperlicher Untersuchung finden<br />
sich auch meist die direkten Zeichen<br />
<strong>der</strong> Vaskulitis (Tab. 3), die als direkte Folge<br />
<strong>der</strong> Gefäßläsion anzusehen sind. Zur klinischen<br />
Diagnose führt die Synopse <strong>aus</strong><br />
<strong>Klinik</strong> (Schlüssel- und Leitsymptome),<br />
Immunserologie und histologischem Be -<br />
fund. Die wichtigsten Leitsymptome <strong>der</strong><br />
PSV sind in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />
Labordiagnostik<br />
Laborchemisch gibt es keinen Marker, <strong>der</strong><br />
allein eine Vaskulitis beweist. So werden<br />
prinzipiell diagnoseassoziierte, aktivitäts-<br />
812<br />
Arteriitis <strong>der</strong> großen, mittelgroßen und kleinen Arterien; häufig<br />
assoziiert mit dem mukokutanen Lymphknotensyndrom; Koronararterien<br />
häufig, Aorta und Venen z. T. betroffen; üblicherweise<br />
im Kindesalter<br />
assoziierte und/o<strong>der</strong> organbezogene<br />
Laborparameter bestimmt (Tab. 4 – 5). [2,3]<br />
Diagnostik<br />
Vaskulitis kleiner Gefäße<br />
Granulomatöse Entzündung des Respirationstraktes und nekrotisierende<br />
Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer Gefäße (d. h.<br />
Kapillaren, Venolen, Arteriolen und Arterien). Eine nekrotisierende<br />
Glomerulonephritis ist häufig.<br />
Nekrotisierende Vaskulitis kleiner Gefäße (d. h. Kapillaren,<br />
Venolen o<strong>der</strong> Arteriolen) mit wenigen o<strong>der</strong> keinen Immunkom-<br />
Pulmo-renales Syndrom<br />
plex-Ablagerungen. Eine nekrotisierende Arteriitis kleiner bis<br />
ANCA-Assoziation (MPO-ANCA)<br />
mittelgroßer Gefäße kann auftreten. Eine nekrotisierende Glomerulonephritis<br />
ist häufig, ebenso eine pulmonale Kapillariitis.<br />
Eosinophile und granulomatöse Entzündung des Respirations -<br />
traktes und nekrotisierende Vaskulitis kleiner bis mittelgroßer<br />
Gefäße. Mit Asthma und einer Eosinophilie assoziiert.<br />
Vaskultis <strong>der</strong> kleinen Gefäße mit überwiegend IgA-haltigen<br />
Immundepots in situ; betroffen sind typischerweise Haut,<br />
Gastrointestinaltrakt und Glomeruli; Arthralgien und o<strong>der</strong><br />
Arthritiden<br />
Vaskulitis <strong>der</strong> kleinen Gefäße (Kapillaren, Venolen o<strong>der</strong> Arteriolen)<br />
mit Kryoglobulinablagerungen in situ. Assoziiert mit Kryoglobulinen<br />
im Serum. Haut und Glomerula sind häufig betroffen.<br />
Isolierte leukozytoklastische Angiitis <strong>der</strong> Haut ohne systemische<br />
Vaskulitis o<strong>der</strong> Glomerulonephritis<br />
Abhängig vom Organbefall sind weitere<br />
diagnostische Untersuchungen zur Diagnosesicherung<br />
und Erfassung <strong>der</strong> Organschädigungen<br />
erfor<strong>der</strong>lich, wie zum<br />
Beispiel EKG und Langzeit-EKG (Herzrhythmusstörungen<br />
bei kardialer Beteiligung?),<br />
Echokardiographie (Perikar<strong>der</strong>guss?<br />
Kontraktilitätsstörungen bei<br />
Coronariitis und Myokarditis?), Herzkatheteruntersuchungen<br />
(Aneurysmen und<br />
Stenosen <strong>der</strong> Coronargefäße?), Myokardbiopsie<br />
(Sicherung einer Kapillaritis), Gastro-<br />
und Coloskopie (Hinweise auf gastro-<br />
Palmar- und Plantarerythem, polymorphes Erythem am Körperstamm, Fieber,<br />
Konjunktivitis, Lymphadenopathie, Erdbeerzunge, Myokardinfarkt<br />
Initialphase (lokalisierte WG): lokoregionale Symptomatik im oberen Respirationstrakt:<br />
verstopfte Nase, blutige Rhinitis, Epistaxis, Sinusitis, Otitis<br />
Generalisationsphase: B-Symptomatik, Arthralgien, Arthritiden, Episkleritis,<br />
Hauteffloreszenzen, Hämoptysen, Perforation des Nasenseptums, Sattelnase,<br />
blutig-borkige Rhinitis<br />
Trias: systemische nekrotisierende Angiitis, nekrotisierende Entzündung im<br />
Respirationstrakt, nekrotisierende Glomerulonephritis (Pulmo-renales Syndrom),<br />
ANCA-Assoziation (PR3-ANCA)<br />
Nichtvaskulitische Prodromalphase: Asthma Bronchiale, allergische Rhinitis,<br />
Pollinosis nasi, Hypereosinophiles Syndrom<br />
Vaskulitische Phase: Arthralgien, Myalgien, B-Symptomatik, pulmonale Infiltrate,<br />
Eosinophilie, Polyneuropathie, kardiale Beteiligung<br />
ANCA-Assoziation (meist MPO-ANCA)<br />
Makulopapulöses Exanthem, Fieber, Arthritiden, kolikartige abdominelle<br />
Schmerzen, Glomerulonephritis<br />
Purpura, Polyneuropathie, Neuropathia multiplex, Glomerulonephritis, gastrointestinale<br />
Vaskulitis, Komplementverbrauch, Kryoglobulinämie; 80 – 90 %<br />
<strong>der</strong> ursprünglich als „essentiell“ bezeichneten kryoglobulinämischen Vaskulitiden<br />
können heute einer chronischen HCV-Infektion zugeordnet werden.<br />
Palpable Purpura<br />
Tab. 1: Die Vaskulitiseinteilung und Definitionen gemäß <strong>der</strong> Chapel Hill Consensus Conference (CHC) sowie häufige klinische Manifestationen<br />
intestinale Vaskulitis?), Bronchoskopie<br />
mit bronchoalveolärer Lavage und transbronchialer<br />
Biopsie (neutrophile o<strong>der</strong> lymphozytäre<br />
Alveolitis? interstitielle Pneumonitis,<br />
Kapillaritis?), Angiographie<br />
(Aneurysmen und Stenosen großer und<br />
mittelgroßer Gefäße?), Rö-Thorax (Rundherde,<br />
Infiltrate?), HRCT (Milchglasinfiltrate?<br />
Rundherde? [Abb. 1]), Magnetresonanz-<br />
Tomographie (Abb. 2) sowie Angiographie-<br />
CT und PET-CT (Aortitis? Arteri itis?). Die<br />
histologische Sicherung <strong>der</strong> Vaskulitis ist<br />
<strong>aus</strong> diagnostischen und prognostischen<br />
Gründen anzustreben, wobei die Biopsien<br />
<strong>aus</strong> betroffenen Organen wie Haut o<strong>der</strong><br />
Niere zu entnehmen sind.
Gefäßtyp Klinisches Problem<br />
Episkleritis („rotes Auge“), Hörsturz, Vertigo, Hämoptysen (alveoläre Hämorrhagie), Mikrohämaturie<br />
Klein (Glomerulonephritis), (Mono-, Poly-) Neuritis, Herdencephalitis, palpable Purpura, Nagelfalznekrosen,<br />
Angina pectoris (Perimyocarditis), Purpura abdominalis (blutige Stühle) etc.<br />
Infarkte: Hirn, Herz, Niere (Makrohämaturie!), Darm (Meläna!), Extremität etc. Blutung bei<br />
Mittelgroß<br />
Ruptur von Mikroaneurysmen<br />
Stenosen: z. B. „subclavian steal syndrome“ o<strong>der</strong> Aortenbogensyndrom,<br />
Groß<br />
Aneurysma dissecans (Riesenzellarteriitis), Venen: z. B. Trombosen<br />
Cave: Überlappungen <strong>der</strong> Gefäßtypen eher häufig!<br />
Tab. 3: Direkte Hinweise <strong>für</strong> PSV (Leitsymptome)<br />
Bluteosinophilie (>10%) Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom<br />
Hepatitis Bs-Antigen Panarteriitis nodosa<br />
Hepatitis C-Antigen/HCV/RNA Kryoglobulinämische Vaskulitis<br />
cANCA (PR3-ANCA) Wegenersche Granulomatose<br />
pANCA (MPO-ANCA) Mikroskopische Polyangiitis<br />
Kryoglobuline Kryoglobulinämische Vaskulitis<br />
Endothelzellantikörper Kawasaki-Syndrom<br />
Tab. 4: Diagnoseassoziierte Laborparameter<br />
Komplementspiegel Immunkomplexvaskulitiden<br />
ANCA-Titer Pauci-immune-Vaskulitiden<br />
Leuko- und Thrombozytose Entzündungsaktivität<br />
BSG- und CRP-Erhöhung Entzündungsaktivität<br />
Tab. 5: Aktivitätsassoziierte Laborparameter<br />
Therapie<br />
Das therapeutische Proce<strong>der</strong>e richtet sich<br />
nach Ausdehnung, Organmanifestation<br />
und Aktivität <strong>der</strong> Erkrankung sowie <strong>der</strong><br />
Prognose. PSV werden immunsuppressiv<br />
behandelt. Dies erfor<strong>der</strong>t eine engmaschige<br />
ärztliche Überwachung. Eine Patientenschulung<br />
trägt zur Minimierung therapiebedingter<br />
Komplikationen bei. Man unterscheidet<br />
drei Therapiestadien:<br />
■ Induktionstherapie: Diese erfolgt in<br />
<strong>der</strong> Regel mit Cyclophosphamid (Boli<br />
o<strong>der</strong> oral) nur über 3– 6 Monate (Tab. 6).<br />
■ Erhaltungstherapie: Nach erzielter<br />
Remission werden weniger toxische<br />
immunsuppressive Substanzen zur<br />
Remissionserhaltung (in <strong>der</strong> Regel mindestens<br />
zwei Jahre) eingesetzt (Tab. 6).<br />
■ Eskalationstherapie: Bei therapierefraktärem<br />
Verlauf (etwa 5 – 10 Prozent<br />
<strong>der</strong> Patienten mit ANCA-assoziierten<br />
Vaskulitiden) ist eine Eskalation <strong>der</strong><br />
konventionellen immunsuppressiven<br />
Therapie durch additive Maßnahmen<br />
(z. B. Plasmapherese) und/o<strong>der</strong> neue<br />
biologische Immunmodulatoren erfor<strong>der</strong>lich<br />
(Tab. 7).<br />
Therapie <strong>der</strong> Immunkomplexvaskulitiden<br />
Kryoglobulinämische Vaskulitis (CV)<br />
Bei <strong>der</strong> HCV-assoziierten CV wird bei<br />
nicht lebensbedrohlichen Organmanifestationen<br />
<strong>der</strong> Versuch einer HCV-Elimination<br />
durch kombinierte Gabe von Interferon-α<br />
und Ribavirin über 18 – 24 Monate empfohlen.<br />
[4] Bei lebensbedrohlichen Verläufen,<br />
etwa bei zunehmen<strong>der</strong> Niereninsuffizienz,<br />
progredienter Polyneuropathie o<strong>der</strong> ZNS-<br />
Vaskulitis, ist eine immunsuppressive Therapie<br />
mit Cyclophosphamid (CYC) und<br />
Glucocorticoiden erfor<strong>der</strong>lich, bei Therapierefraktärität<br />
ergänzt durch additive<br />
Plasmaseparationen über circa zwei Wochen.<br />
Mit dem monoklonalen Anti-CD20-Antikörper<br />
Rituximab steht eine neue Therapieoption<br />
<strong>der</strong> CV zur Verfügung.<br />
Polyarteriitis nodosa (PAN)<br />
Kontrollierte Studien zur Therapie <strong>der</strong><br />
PAN finden sich kaum. Eine aktuellere Studie<br />
zeigt, dass Patienten mit vermutlich<br />
schlechter Prognose nach Gabe von zwölf<br />
Zyklen CYC eine geringere Rezidivhäufigkeit<br />
aufweisen als nach Gabe von sechs<br />
Zyklen. [5]<br />
Schönlein-Henoch-Purpura<br />
Die Prognose ist im Allgemeinen gut. Bei<br />
schweren Verlaufsformen (rapid-progressive<br />
Glomerulonephritis, Darmbeteiligung<br />
mit Blutungen) kann eine immunsuppres-<br />
Rheumatologie<br />
sive Therapie mit CYC o<strong>der</strong> AZA erfor<strong>der</strong>lich<br />
werden. Bei entsprechen<strong>der</strong> Überwachung<br />
können auch eine GC-Monotherapie<br />
o<strong>der</strong> eine hochdosierte intravenöse Im -<br />
munglobulin (IVIG)-Therapie <strong>aus</strong>reichen.<br />
Therapie ANCA-assoziierter Vaskulitiden<br />
Die Therapie erfolgt abhängig von Erkrankungsstadium<br />
und -aktivität. Die lokalisierte<br />
WG kann mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol<br />
(Cotrimoxazol) behandelt<br />
werden, wenn eine engmaschige Kontrolle<br />
gewährleistet ist. [6] Bei generalisierter,<br />
schwer verlaufen<strong>der</strong> ANCA-assoziierter<br />
Vaskulitis mit organ- und/o<strong>der</strong> lebensbedrohlichen<br />
Manifestationen erfolgt die<br />
remissionsinduzierende Therapie mit<br />
Cyclophosphamid entwe<strong>der</strong> nach dem<br />
„Fauci-Schema“ (2 mg/kg/Tag per os <strong>für</strong><br />
3 – 6 Monate) o<strong>der</strong> Austin-Schema (Boli)<br />
und Prednisolon. [7] Nach Erzielen einer<br />
Remission erfolgt eine Umstellung auf eine<br />
remissionserhaltende Therapie (mit zum<br />
Beispiel MTX, Azathioprin, Mykophenolat-<br />
Mofetil, Leflunomid).<br />
Therapie <strong>der</strong> granulomatösen<br />
Vaskulitiden<br />
Riesenzellarteriitis (RZA)<br />
Die RZA spricht häufig auf eine GC-Monotherapie<br />
innerhalb weniger Tage gut an.<br />
Eine Startdosis von 40 bis 60 mg Prednisolonäquivalent<br />
sollte innerhalb von etwa<br />
sechs Monaten auf 5 – 7,5 mg/Tag reduziert<br />
werden. Bei Visusstörungen sollte die Therapie<br />
unverzüglich und hochdosiert (intravenös<br />
Methylprednisolon, 250 – 1.000 mg<br />
täglich über drei Tage) begonnen werden.<br />
Bei therapieresistentem Verlauf und anhaltend<br />
hohem Steroidbedarf ist die Einleitung<br />
einer immunsuppressiven, steroid -<br />
einsparenden Therapie mit zum Beispiel<br />
Methotrexat (MTX) (0,3 mg/kg/Woche s. c.)<br />
o<strong>der</strong> alternativ Azathioprin angezeigt. [8]<br />
Takayasu-Arteriitis<br />
Randomisierte, placebo-kontrollierte Studien<br />
zur Behandlung <strong>der</strong> Takayasu-Arteri -<br />
itis liegen bislang nicht vor. Als Standard<br />
zur Behandlung unkomplizierter Verläufe<br />
gilt allgemein eine Glukokortikoidmonotherapie,<br />
jedoch sind etwa ein Viertel <strong>der</strong><br />
Patienten zunächst therapierefraktär und<br />
in bis zu 50 Prozent <strong>der</strong> Fälle kommt es zu<br />
Rezidiven. Daher sollte frühzeitig eine<br />
813
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Behandlung mit Immunsuppressiva (z. B.<br />
MTX) begonnen werden. [9] Bei beson<strong>der</strong>s<br />
aggressivem Verlauf ist CYC (als Boluso<strong>der</strong><br />
orale Gabe) einzusetzen. Ergebnisse<br />
einer retrospektiven Analyse von 106 ge -<br />
fäßchirurgisch behandelten Patienten mit<br />
Takayasu-Arteriitis zeigen, dass operative<br />
Therapieverfahren additiv zur immun -<br />
suppressiven Therapie die Prognose von<br />
Patienten mit Komplikationen und refraktärem<br />
Verlauf (zum Beispiel bei großen<br />
Aneurysmen) verbessern.<br />
Literatur<br />
[1] Jennette JC, Falk RJ, et al. Nomenclature of systemic<br />
vasculitides. Proposal of an international consensus conference.<br />
Arthritis Rheum. 1994; 37(2): 187-92.<br />
[2] Gross WL. Primäre systemische Vaskulitiden. Teil III.<br />
Pathogenese und Therapie. Der Internist. 1999; 40(11):<br />
1194-215.<br />
[3] Gross WL. Primär systemische Vaskulitiden Teil I:<br />
Allgemeine Übersicht. Der Internist 1999; 40(7): 779-94.<br />
[4] Della Rossa A, Tavoni A, et al. Treatment of chronic<br />
hepatitis C infection with cryoglobulinemia. Curr Opin<br />
Rheumatol. 2002; 14(3): 231-7.<br />
[5] Guillevin L, Cohen P, et al. Treatment of polyarteritis<br />
nodosa and microscopic polyangiitis with poor prognosis<br />
factors: a prospective trial comparing glucocorticoids and<br />
six or twelve cyclophosphamide pulses in sixty-five<br />
patients. Arthritis Rheum. 2003; 49(1): 93-100.<br />
[6] de Groot K, Reinhold-Keller E, et al. Therapy for the<br />
maintenance of remission in sixty-five patients with generalized<br />
Wegener’s granulomatosis. Methotrexate versus<br />
trimethoprim/sulfamethoxazole. Arthritis Rheum. 1996;<br />
39(12): 2052-61.<br />
[7] Fauci AS, Haynes BF, et al. Wegener’s granulomatosis:<br />
prospective clinical and therapeutic experience with 85<br />
patients for 21 years. Ann Intern Med. 1983; 98(1): 76-85.<br />
[8] De Silva M, Hazleman BL. Azathioprine in giant cell<br />
arteritis/polymyalgia rheumatica: a double-blind study.<br />
Ann Rheum Dis. 1986; 45(2): 136-8.<br />
[9] Shikawa K, Maetani S. Long-term outcome for 120<br />
Japanese patients with Takayasu’s disease. Clinical and statistical<br />
analyses of related prognostic factors. Circulation.<br />
1994; 90(4): 1855-60.<br />
814<br />
<strong>Klinik</strong> Substanz<br />
Induktionstherapie<br />
Dosis/Applikation<br />
Cotrimoxazol „Initialphase“ T/S 2 x 960 mg/die p. o.<br />
Methrotrexat<br />
„Fauci-Schema“<br />
blande MTX 0,3 mg/kg/Wo. i. v. o<strong>der</strong> s. c.<br />
NIH-Standard<br />
aktiv<br />
CYC 2 mg/kg die p. o.<br />
intensiviert<br />
progressiv/foudroyant<br />
CYC 3 – 4 mg/kg/ die p. o.<br />
„Austin-Schema“<br />
mäßig-aktiv bzw. überwiegend<br />
renale Vaskulitis<br />
CYC 15 – 20 mg/kg i. v.<br />
Plasmapherese foudroyant mit Nierenversagen 40 – 60 ml/kg (4 – 7x)<br />
Cotrimoxazol Voll-/Teilremission<br />
Erhaltungstherapie<br />
T/S 2 x 960 mg/die p. o.<br />
Methrotexat Teilremission MTX 0,3 mg/kg/Wo i. v.<br />
Azathioprin Teilremission AZA 2 – 3 mg/kg/die p. o.<br />
Cyclosporin A nach Organtransplantation CsA 3 – 5 mg/kg/die p. o.<br />
i. v. Immunglobuline refraktär<br />
Behandlung refraktärer Verläufe<br />
IVIG 400 mg/kg i. v. an 5 Tagen<br />
Monoklonale AK refraktär anti CD4 plus<br />
anti CD52 sequentielle Gabe i.v.<br />
Antithymozytenglobulin refraktär ATG i. v. 10 Tage<br />
Tab. 6: Aktivitäts- und <strong>aus</strong>dehnungsadaptierte Behandlung ANCA-assoziierter Vaskulitiden<br />
Name nach <strong>der</strong><br />
Chapel-Hill Conference 1992<br />
Intensiviertes Protokoll<br />
bei „therapieresistenten“ PSV<br />
Riesenzellarteriitis GC plus AZA o<strong>der</strong> MTX<br />
Takayasu-Arteriitis GC plus MTX<br />
Tab. 7: Behandlung <strong>der</strong> therapieresistenten bzw. -refraktären PSV-intensivierte Therapiemöglichkeiten bei Progression<br />
Kontakt<br />
„therapierefraktären“ PSV<br />
GC puls CYC<br />
(FAUCI- o<strong>der</strong> AustinSchema)<br />
GC plus CYC<br />
(FAUCI- o<strong>der</strong> Austin-Schema)<br />
Polyarteriitis nodosa (PAN) GC & CYC-Bolus plus Plasmapherese GC plus CYC (FAUCI-Schema)<br />
Hepatitis B-Virus-assoz. PAN<br />
IFNα & Lamivudin plus<br />
Plasmapherese<br />
GC plus CYC (FAUCI-Schema)<br />
Wegener’sche Granulomatose<br />
GC & CYC (FAUCI-Schema) plus<br />
IVIG<br />
AK: a-CD4/CD52*<br />
Churg-Str<strong>aus</strong>s-Syndrom GC plus CYC (FAUCI-Schema) α-Interferon (bis 3 x 106/Woche)<br />
Mikroskopische Polyangiitis GC & CYC plus IVIG<br />
Abb. 1: HRCT-Thorax, Lungengranulom bei M. Wegener Abb. 2: MRT-Kopf, M. Wegener, Mastoiditis<br />
α-Thymozytenglobulin<br />
Monoklonale AK: a-CD4/CD52<br />
Henoch-Schönlein-Purpura GC plus IVIG (evtl. CYC) GC plus CYC (AUSTIN-Schema)<br />
Kutane leukozytoklastische Angiitis GC plus AZA (MTX)<br />
Essentiell kryoglobulinämische α-Interferon & Ribavirin plus AUSTIN-Schema plus<br />
Vaskulitis<br />
Plasmapherese<br />
Plasmapherese<br />
Erläuterungen<br />
GC = Glucocorticoid AZA = Azathioprin „low-dose” MTX = Methotrexat<br />
CYC = Cyclophospamid GC & CP = FAUCI-Schema CP = Cyclophosphamid-bolus = AUSTIN-Schema<br />
* humanisiertes anti-CD4, anti-CAMPATH 1H<br />
Dr. Keihan Ahmadi-Simab<br />
<strong>Klinik</strong> <strong>für</strong> Rheumatologie,<br />
klinische Immunologie, Nephrologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 11 24<br />
Fax (0 40) 18 18-81 48 00<br />
E-Mail: keihan.ahmadi@asklepios.com
Essstörungen<br />
Stationäre o<strong>der</strong> tagesklinische Behandlung?<br />
Dr. Helge Fehrs<br />
Der Anteil chronischer Verläufe beträgt bei<br />
<strong>der</strong> Anorexie etwa 50 Prozent, [2,7] bei <strong>der</strong><br />
Bulimia nervosa rund 30 Prozent. [1] Daher<br />
ist es sinnvoll, eher in Behandlungsabschnitten<br />
zu denken als <strong>der</strong> Vorstellung zu<br />
erliegen, eine Maßnahme wie zum Beispiel<br />
eine achtwöchige stationäre Behandlung<br />
würde die Erkrankung „heilen“. Während<br />
bis vor wenigen Jahren ambulante und stationäre<br />
Behandlungsmöglichkeiten als einzige<br />
Alternativen zur Verfügung standen,<br />
gibt es inzwischen mehrere Zentren in<br />
Deutschland, die wie das <strong>Asklepios</strong> Westklinikum<br />
Hamburg auch tagesklinische<br />
Angebote vorhalten. Dabei sind verschiedene<br />
Tagesklinikmodelle zu unterscheiden,<br />
die entwe<strong>der</strong> alternativ zur stationären<br />
Behandlung (fünf Tage pro Woche) arbeiten<br />
o<strong>der</strong> aber ein Übergangssetting vom<br />
stationären zum ambulanten Bereich anbieten<br />
(zum Beispiel zwei Tage pro Woche).<br />
Stehen unterschiedliche Behandlungs -<br />
optionen zur Verfügung, sollten bei <strong>der</strong><br />
Entscheidung über die Therapieform im<br />
Ambulanzgespräch insbeson<strong>der</strong>e die<br />
Behandlungsmotivation und die Zielsetzung<br />
geklärt werden. Dabei ist <strong>der</strong> Aust<strong>aus</strong>ch<br />
mit Vorbehandlern in <strong>der</strong> Regel<br />
hilfreich. Bei <strong>der</strong> Entlassung <strong>aus</strong> einem<br />
Behandlungsabschnitt, also an <strong>der</strong> Schnittstelle<br />
zu einem möglichen nächsten Bau -<br />
stein <strong>der</strong> Behandlungskette, sind die noch<br />
vorhandene Erkrankungsschwere, das<br />
Rückfallrisiko und die psychosozialen Res-<br />
sourcen zu beachten. In jedem Fall kommt<br />
einer gezielten Vorbereitung auf die Zeit<br />
nach <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> große Bedeutung zu. Für<br />
die meisten Patienten ist ein Stufenplan<br />
<strong>der</strong> Behandlung optimal (z. B. stationärnachstationär-tagesklinisch-ambulant).<br />
Ziele stationärer und tagesklinischer<br />
Therapie bei Essstörungen [3]<br />
■ körperliche Stabilisierung (Anorexie:<br />
<strong>aus</strong>reichende Gewichtszunahme; Bulimie:<br />
Reduktion des selbstinduzierten<br />
Erbrechens, des Laxantienabusus und<br />
des exzessiven Sporttreibens)<br />
■ Normalisierung des Essverhaltens<br />
(Mahlzeitenzusammensetzung,<br />
Essensstruktur)<br />
■ Erarbeitung einer <strong>aus</strong>reichenden<br />
Behandlungs- und Än<strong>der</strong>ungsmotivation<br />
■ Her<strong>aus</strong>arbeiten zentraler psychischer<br />
Problembereiche (z. B. Reifungsängste,<br />
Probleme mit <strong>der</strong> Regulation eigener<br />
Gefühle)<br />
■ Verbesserung <strong>der</strong> psychischen Begleitsymptomatik<br />
(z. B. Depressivität,<br />
Ängste, selbstverletzendes Verhalten)<br />
■ Arbeit an zentralen dysfunktionalen<br />
Beziehungsmustern (z. B. Abhängigkeitskonflikt)<br />
■ Unterstützung bei Problemen im<br />
sozialen Umfeld<br />
Multimodale Therapieprogramme<br />
Psychosomatik<br />
Essstörungen mit Krankheitswert sind vor allem die Anorexia nervosa (Magersucht, ICD10 F50.0), die Bulimia<br />
nervosa (Ess-/Brechsucht, ICD10 F50.2) sowie die Binge-Eating-Störung (Essattacken ohne Erbrechen, ICD10<br />
F50.9). In <strong>der</strong> Therapie dieser Erkrankungen ist, wegen ihrer Chronifizierungstendenz und hoher Rückfallgefahr,<br />
eine Gesamtbehandlungsplanung von großer Bedeutung.<br />
Sowohl in stationärer als auch in tagesklinischer<br />
Behandlung finden multimodale<br />
Therapieprogramme ihre Anwendung. Sie<br />
bestehen <strong>aus</strong> psychodynamisch o<strong>der</strong> verhaltenstherapeutisch<br />
<strong>aus</strong>gerichteten Gruppen-<br />
und Einzelpsychotherapien, erlebnisorientierten<br />
Therapieverfahren, die<br />
schwerpunktmäßig in Gruppen angeboten<br />
werden (konzentrative Bewegungstherapie,<br />
Kunst- und Gestaltungstherapie o<strong>der</strong><br />
Musiktherapie), Ernährungsberatung,<br />
angeleitetem Kochen, Familiengesprächen<br />
sowie medizinischer Diagnostik und<br />
Behandlung. Hinzu kommen strukturierte<br />
symptomorientierte Komponenten, die sich<br />
speziell auf die Essstörung <strong>der</strong> Patientinnen<br />
beziehen. Sie halten Vorgaben zum<br />
Verzicht auf das pathologische Essverhalten,<br />
zur Gewichtsentwicklung und zur<br />
Nahrungsaufnahme vor, die häufig über<br />
Belohnungsverfahren positiv verstärkt<br />
werden. Zudem wird mit Esstagebüchern<br />
gearbeitet, die Mahlzeiten werden begleitet,<br />
es gibt Ruhephasen <strong>für</strong> Anorektikerinnen<br />
und Bulimikerinnen nach dem Essen<br />
sowie Sport- und Bewegungsangebote <strong>für</strong><br />
übergewichtige Patienten. Dabei sind<br />
Regeln und Vorgaben im stationären<br />
Bereich enger gefasst als im tagesklinischen<br />
Bereich – auch, weil dort den Patienten<br />
mehr Verantwortung übertragen wird.<br />
815
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Indikationsstellung<br />
Stationäre Behandlung<br />
Im Krankenh<strong>aus</strong> ist durch die ständige<br />
ärztliche und pflegerische Präsenz eine<br />
kontinuierliche körperliche Überwachung<br />
und Ansprechbarkeit gegeben. Die Tagesund<br />
Mahlzeitenstruktur ist vorgegeben, die<br />
Distanz zum belastenden Beziehungsumfeld<br />
o<strong>der</strong> Alltagsgeschehen durch die stationäre<br />
Aufnahme hergestellt. Abzuwägen<br />
ist, ob die „käseglockenartige“ Abschirmung<br />
durch das stationäre, regressionsfördende<br />
Milieu hilfreich ist, da es den Übergang<br />
in den Alltag erschwert. Für die meist<br />
jungen Patienten bedeutet ein <strong>Klinik</strong>aufenthalt<br />
in <strong>der</strong> Regel eine längere Unterbrechung<br />
von Schule, Ausbildung o<strong>der</strong> gerade<br />
begonnener Berufs<strong>aus</strong>bildung, die wie<strong>der</strong>um<br />
destabilisierend wirken kann.<br />
Bei <strong>der</strong> Anorexie ist eine <strong>Klinik</strong>behandlung<br />
indiziert bei raschem o<strong>der</strong> anhaltendem<br />
Gewichtsverlust (mehr als 20 Prozent über<br />
sechs Monate), gravierendem Untergewicht<br />
(BMI < 15 kg/m²) o<strong>der</strong> bei seit drei<br />
Monaten trotz ambulanter o<strong>der</strong> tagesklinischer<br />
Therapie stagnierendem erheblichem<br />
Untergewicht. Auch wenn soziale o<strong>der</strong><br />
familiäre Einflussfaktoren den Gesundungsprozess<br />
stark behin<strong>der</strong>n, ambulante<br />
o<strong>der</strong> tagesklinische Behandlungsmöglichkeiten<br />
unzureichend sind o<strong>der</strong> eine geringe<br />
Krankheitseinsicht besteht, ist an eine stationäre<br />
Behandlung zu denken. Medizinische<br />
Komplikationen wie schwere Infekte,<br />
körperliche Schwäche o<strong>der</strong> Herzrhythmusstörungen<br />
machen einen Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt<br />
unabdingbar. Bei <strong>der</strong> Bulimia nervosa<br />
sollte einer stationären Behandlung<br />
<strong>der</strong> Vorzug gegeben werden, wenn die<br />
Symptomatik so stark <strong>aus</strong>geprägt ist, dass<br />
<strong>der</strong> Alltag nicht mehr bewältigt werden<br />
kann o<strong>der</strong> wenn Impulsdurchbrüche in<br />
verschiedener Gestalt vorliegen (zum Beispiel<br />
Ess/Brechanfälle, selbstverletzendes<br />
Verhalten, Wut<strong>aus</strong>brüche, Suizidgedanken).<br />
Stärkere körperliche Beeinträchtigungen<br />
indizieren ebenfalls eine stationäre<br />
Therapie.<br />
Teilstationäre Behandlung<br />
Ein großer Vorteil <strong>der</strong> Tagesklinik ist die<br />
intensive Übungssituation: Täglich können<br />
Aspekte <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Therapie zu H<strong>aus</strong>e <strong>aus</strong>probiert<br />
werden und im Alltag auftretende<br />
Schwierigkeiten (zum Beispiel mit dem<br />
816<br />
Essen o<strong>der</strong> in zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen) fließen unmittelbar in die<br />
Behandlung ein. Das Selbstwirksamkeits -<br />
erleben <strong>der</strong> Patienten wird gestärkt („Ich<br />
habe etwas verän<strong>der</strong>t“), Nähe und Distanz<br />
lassen sich leichter regulieren.<br />
Nachteilig kann sich <strong>aus</strong>wirken, dass sich<br />
die Patienten nicht so umfassend von ihren<br />
Alltagsaufgaben zurückziehen o<strong>der</strong> sich<br />
nicht <strong>aus</strong> destruktiven Beziehungen lösen<br />
können. Pathologische Verhaltensweisen<br />
können leichter unbemerkt (heimlich) aufrecht<br />
erhalten werden. Für Magersuchterkrankte<br />
sind insbeson<strong>der</strong>e tagesklinische<br />
Modelle sinnvoll, die einen abgestuften<br />
Übergang in ein ambulantes Setting anbieten.<br />
Optimal sind Angebote, bei denen die<br />
Behandler <strong>der</strong> Station die Therapie auch in<br />
<strong>der</strong> Tagesklinik weiterführen (Behandlerkontinuität,<br />
Rückkehr an den vertrauten<br />
Ort). Für viele Patienten mit Bulimie ist<br />
die Tagesklinik <strong>der</strong> stationären Behandlung<br />
überlegen, vor allem, wenn die Symptomatik<br />
zwar noch regelmäßig vorhanden ist,<br />
aber nicht mehr so destruktiv umfassend<br />
auftritt. Bulimikerinnen profitieren sehr<br />
vom Übungscharakter <strong>der</strong> tagesklinischen<br />
Behandlungsform. [4,5,6]<br />
Bei Patienten mit Binge-Eating-Störung ist<br />
eine komplexe Therapie, stationär o<strong>der</strong><br />
tagesklinisch, insbeson<strong>der</strong>e dann indiziert,<br />
wenn bereits eine Adipositas mit Folge -<br />
erkrankungen entstanden ist.<br />
Fazit<br />
Essgestörte Patientinnen benötigen differenzierte<br />
Behandlungsangebote: ambulant,<br />
tagesklinisch als Alternative zur stationären<br />
Behandlung o<strong>der</strong> als Vor- und Nachbehandlung,<br />
sowie vollstationäre Behandlungsplätze,<br />
auch zur Krisenintervention<br />
ohne längere Wartezeit. Während <strong>für</strong><br />
Patientinnen mit Anorexia nervosa stationäre<br />
mit anschließenden nachstationären<br />
tagesklinischen Behandlungen oft die<br />
geeignetste Form darstellen, profitieren<br />
Bulimikerinnen mit mittelschweren Symptom<strong>aus</strong>prägungen<br />
nach neueren Erkenntnissen<br />
sogar eher von intensiven tagesklinischen<br />
Behandlungsangeboten als von<br />
vollstationären Settings. Patientinnen und<br />
Patienten mit Binge-Eating-Störung können<br />
häufig ambulant <strong>aus</strong>reichend versorgt<br />
werden – es sei denn, es ist bei chronischen<br />
langfristigen Störungen bereits zu massiver<br />
Gewichtszunahme mit Adipositas und entsprechenden<br />
Folgeerkrankungen psychischer<br />
und körperlicher Art gekommen.<br />
Stationäre und teilstationäre Programme<br />
<strong>für</strong> essgestörte Patientinnen sollten sowohl<br />
strukturierte symptomorientierte Angebote<br />
enthalten, als auch Angebote, in welchen<br />
die psychischen Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />
Patienten aufgegriffen werden.<br />
Literatur<br />
[1] Fichter MM, Quadflieg N. Twelve-year course and outcome<br />
of bulimia nervosa. Psychol Med. 2004; 34: 1395-406.<br />
[2] Steinh<strong>aus</strong>en HC. The outcome of anorexia nervosa in<br />
the 20th century. Am J Psychiatry. 2002; 159: 1284-93.<br />
[3] Zeeck A. in: Herpertz S, de Zwaan M, Zipfel S (Hrsg.)<br />
Handbuch Essstörungen und Adipositas, Springer 2008:<br />
214.<br />
[4] Zeeck A, Hartmann A. Stationäre und teilstationäre<br />
Therapie bei Anorexie und Bulimie. Ärztl Psychother<br />
Psychosomat. 2008; Med 1: 17-24.<br />
[5] Zeeck A, Sandholz A, Hipp W, Schmidt A. Stationäre<br />
und teilstationäre Bulimietherapie – das Freiburger Konzept.<br />
Psychotherapeut. 2005; 50(1): 43-51.<br />
[6] Zeeck A, Weber S, Sandholz A, Wetzler-Burmeister E,<br />
Wirsching M, Hartmann A. Inpatient versus day clinic treatment<br />
for Bulimia nervosa: A randomized controlled trial.<br />
Psychother Psychosom. 2009; 78(3): 152-60.<br />
[7] Zipfel S, Lowe B, Reas DL, Deter HC, Herzog W. Longterm<br />
prognosis in anorexia nervosa: lessons from a 21-year<br />
follow-up study. Lancet. 2000; 355: 721-2.<br />
Kontakt<br />
Dr. Helge Fehrs<br />
Abteilung <strong>für</strong> Psychosomatische Medizin<br />
und Psychotherapie<br />
<strong>Asklepios</strong> Westklinikum Hamburg<br />
Suurheid 20, 22559 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 81 91-25 01<br />
Fax (0 40) 81 91-25 99<br />
E-Mail: h.fehrs@asklepios.com
Die Hintergründe, vor denen <strong>aus</strong> Konsum<br />
o<strong>der</strong> schädlichem Konsum plötzlich eine<br />
Suchterkrankung wird, sind individuell<br />
und vielfältig. Die erhebliche Stigmatisierung<br />
durch die Zuschreibung einer Suchterkrankung<br />
[2] erklärt den Versuch, zur<br />
Entlastung den Hintergrund o<strong>der</strong> Auslöser<br />
als eigentliches psychisches Drama anzuführen,<br />
auf das sich die Sucht nur aufgepropft<br />
habe. Und diese Fälle gibt es auch<br />
tatsächlich. [6]<br />
Aber nicht jedem, <strong>der</strong> im Zwiespalt zwischen<br />
Wollen und Können zu einer stimulierenden<br />
o<strong>der</strong> sedierenden Substanz<br />
gegriffen o<strong>der</strong> versucht hat, innere Dis -<br />
harmonie mit Glücksspiel, Kaufen o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>em befriedigendem Verhalten zu<br />
kompensieren, ist deshalb gleich eine<br />
krankheitswertige psychische Störung<br />
zuzuordnen. Wir kennen viele auch schwer<br />
gestörte Patienten, bei denen sich nur die<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Suchterkrankung über<br />
viele Jahre zurückverfolgen lässt, an<strong>der</strong>e<br />
gravierende psychische Störungen hingegen<br />
nicht. Die süchtige Entwicklung geht<br />
allerdings mit einer – grundsätzlich reversiblen<br />
– Verhaltensauffälligkeit einher, die<br />
<strong>der</strong> ungestörten Beschaffung des Sucht -<br />
mittels sowie <strong>der</strong> Verdeckung und Verleugnung<br />
<strong>der</strong> Krankheit dient. Sie kann so<br />
krass und <strong>aus</strong>geprägt sein, dass über Jahre<br />
ernsthaft die inzwischen wi<strong>der</strong>legte Hypothese<br />
von einer vorbestehenden Suchtpersönlichkeit<br />
diskutiert wurde. Im Verlauf<br />
einer schweren Suchterkrankung können<br />
sich nicht nur somatische Begleit- und Folgeerkrankungen,<br />
son<strong>der</strong>n auch an<strong>der</strong>e –<br />
quasi reaktive – psychische Störungen von<br />
Krankheitswert <strong>aus</strong>bilden.<br />
Entstehungsmöglichkeiten<br />
Es besteht weithin eine wissenschaftliche<br />
Übereinstimmung in <strong>der</strong> Auffassung, dass<br />
bei Süchten verschiedene Bedingungskomplexe<br />
– auf <strong>der</strong> sozialen, personalen und<br />
biologischen Ebene – beteiligt sind. Diese<br />
Psychiatrie und Psychotherapie<br />
Können psychisch Gesunde süchtig<br />
werden?<br />
O<strong>der</strong> ist Sucht immer ein Symptom einer an<strong>der</strong>en psychischen Störung?<br />
Dr. Kl<strong>aus</strong> Behrendt, Dr. Erich Trüg<br />
Bei Menschen, die zum Beispiel eine Schizophrenie haben, würde kein Mediziner und vermutlich auch kein<br />
an<strong>der</strong>er vernünftiger Mensch auf die Idee kommen, die Krankheit sei eigentlich immer ein Symptom einer<br />
an<strong>der</strong>en psychischen Störung. Dabei entwickelt auch sie sich oft schleichend wie die Suchterkrankung. Auch hier<br />
gibt es das geflügelte Wort „sind wir nicht alle ein bisschen schizophren?“. Doch das Verhalten, das nur bei wenigen<br />
letztendlich süchtig entgleist, kann sehr lange als normales, vielleicht lange auch als schädliches Verhalten bestehen,<br />
über das <strong>der</strong> Mensch aber noch die Kontrolle hat. Entsprechend hielt Joël, ein Suchtexperte, von dem wir auch<br />
heute noch viel lernen können, bereits 1928 fest: „Der Unterschied zwischen dem Süchtigen und dem so genannten<br />
Normalen ist kein wesentlicher, son<strong>der</strong>n ein gradmäßiger, wenn auch oft von gewaltigem Ausmaß.“ [3]<br />
Ebenen sind we<strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong> zu reduzieren<br />
noch jeweils gleich wichtig. In<br />
unterschiedlichen Phasen dominieren verschiedene<br />
Aspekte. [1]<br />
Das „magische Dreieck“ von Droge, Um -<br />
welt und Person, in dem sich das süchtige<br />
Verhalten abspielt, [4] illustriert lediglich ein<br />
gegenseitiges Bedingungsgefüge. Dabei<br />
bleibt noch völlig offen, mit welchen Anteilen<br />
die jeweiligen Faktoren <strong>für</strong> verschiedene<br />
Gruppen von Menschen o<strong>der</strong> im Verlauf<br />
einer individuellen Karriere bestimmend<br />
sind – also welche Bedeutung etwa <strong>der</strong><br />
Drogenwirkung im Verhältnis zur sozialen<br />
Situation o<strong>der</strong> psychischen Verfassung<br />
zukommt und wie die Rückkopplungsprozesse<br />
<strong>aus</strong>sehen und im weiteren Verlauf zu<br />
gewichten sind. Suchtmittelkonsum kann<br />
beson<strong>der</strong>s lustvoll beziehungsweise angenehm<br />
und positiv verstärkend erlebt werden,<br />
wenn nüchtern keine o<strong>der</strong> nur unzureichende<br />
positiven Erfahrungen gemacht<br />
wurden (Erfahrungsdefizit) o<strong>der</strong> in<br />
817
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
bestimmten Konstellationen keine an<strong>der</strong>en<br />
Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung<br />
stehen.<br />
Suchtverhalten baut auf dem normalen alltäglichen<br />
Konsumverhalten auf und folgt<br />
<strong>der</strong> Logik „Gutes noch besser, Schlechtes<br />
gar nicht so schlimm“. Dieser Verstärkungsmechanismus<br />
kann zur Suchtentwicklung<br />
entgleisen, wenn zum Beispiel<br />
bei regelmäßigem Alkoholkonsum in einer<br />
Krise jedwe<strong>der</strong> Genese schleichend mehr<br />
konsumiert wird (Missbrauch) bis hin zu<br />
einem krankheitswertigen Ausmaß (Kontrollverlust).<br />
Dass „<strong>der</strong> erste Schuss süchtig<br />
macht“ ist ein seltenes Phänomen und hat<br />
auch mit dem Suchtpotential <strong>der</strong> konsumierten<br />
Droge und ihrer Applikation zu<br />
tun. In <strong>der</strong> Regel führen nicht die Drogen,<br />
son<strong>der</strong>n <strong>der</strong>en unsachgemäße Anwendung<br />
zur Abhängigkeit. Sehr häufig ist Suchtmittelkonsum<br />
mit einer weiteren psychischen<br />
Erkrankung verknüpft, seien es Persönlichkeitsstörungen,<br />
Belastungsstörungen,<br />
Depressionen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e psychiatrische<br />
Erkrankungen (Komorbidität). Suchtmittel<br />
werden in diesem Zusammenhang zur<br />
Befindens- beziehungsweise Affektregulation<br />
eingesetzt. Sie sind also willkommene<br />
Substanzen, um in eine annäherungsweise<br />
psychisch <strong>aus</strong>geglichene Balance zu kommen.<br />
818<br />
Hypothesen<br />
Vor<strong>aus</strong>zuschicken ist, dass jede Behandlung<br />
von Krankheiten und insbeson<strong>der</strong>e<br />
auch die psychischer Erkrankungen in<br />
einem historischen Kontext zu sehen ist<br />
und viel mit den persönlichen Einstellungen<br />
und Annahmen <strong>der</strong> Behandelnden zu<br />
tun hat. Sie stützt sich also letztlich nicht<br />
nur auf wissenschaftliche Erkenntnisse,<br />
son<strong>der</strong>n oft auch auf persönliche Einstellungen<br />
und Auffassungen, den Einfluss<br />
„alter Lehrer“ o<strong>der</strong> des Behandlungsteams,<br />
<strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>leitung und ähnlichem. Dabei<br />
lassen sich mehrere Grundannahmen o<strong>der</strong><br />
Hypothesen unterscheiden, von denen <strong>aus</strong><br />
Behandlungskonzepte entwickelt wurden<br />
und werden:<br />
■ „Entscheidend ist, die Suchterkrankung<br />
durchgreifend mit dem Ziel dauerhafter<br />
Abstinenz zu behandeln. Dann<br />
erledigen sich die ansonsten auftretenden<br />
psychischen Probleme und Störungen<br />
von selbst.“ Dieser früheste Einsatz<br />
professioneller Suchtbehandlung stützte<br />
sich insbeson<strong>der</strong>e auf die Vorstellungen<br />
und Erfahrungen abstinenter<br />
Abhängigkeitskranker, die sich in<br />
Selbsthilfegruppen organisiert hatten.<br />
■ Nicht selten trifft man auch auf die<br />
Auffassung, dass es <strong>aus</strong>reiche, eine auffällige<br />
psychische Störung konsequent<br />
medikamentös, psychotherapeutisch<br />
und soziotherapeutisch zu behandeln.<br />
Dann erledige sich die Sucht sozusagen<br />
von selbst. [5]<br />
■ Nach <strong>der</strong> Hypothese <strong>der</strong> Wechselwirkung<br />
zwischen Sucht und weiterer psychischer<br />
Störung muss dagegen beides<br />
immer gleichzeitig beachtet und behandelt<br />
werden, um ein positives Behandlungsergebnis<br />
zu erreichen.<br />
Dem ist im Übrigen bescheiden entgegenzuhalten,<br />
dass <strong>der</strong> häufigste erfolgreiche<br />
Weg <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Sucht <strong>der</strong> <strong>der</strong> Selbstheilung<br />
ohne professionelle Hilfe ist. So haben in<br />
den vergangenen drei Jahren zum Beispiel<br />
zwei Millionen Menschen in Deutschland<br />
das Rauchen aufgegeben. Es ist völlig<br />
ungeklärt, wie vielen abhängigkeitskranken<br />
Menschen es gelingt, ohne jede Unterstützung<br />
durch <strong>Ärzte</strong> o<strong>der</strong> suchtspezifische<br />
Beratungs- und Behandlungsangebote<br />
abstinent zu werden. Diese Menschen sind<br />
positiv zu verstärken. Therapeutische<br />
Hilfe, die sie offenbar nicht brauchen und<br />
oft auch gar nicht wollen, ist hier nicht<br />
indiziert.<br />
Professionelle Hilfe ist nur geboten, wenn<br />
die Störung so stark <strong>aus</strong>geprägt ist o<strong>der</strong><br />
die persönlichen Ressourcen so schwach<br />
sind, dass ein Ausstieg nicht allein gelingt.<br />
Und bei dieser Gruppe von Abhängigen ist<br />
im Verlauf zu klären, ob Abstinenz überhaupt<br />
erreicht werden kann und <strong>für</strong> die<br />
Patienten ein erstrebenswertes Ziel ist.
Unser Behandlungsansatz<br />
Unsere Basis ist <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Suchttherapie<br />
geltende Grundsatz, die Verantwortung<br />
(<strong>für</strong> Konsum o<strong>der</strong> Nicht-Konsum) beim<br />
Patienten zu belassen. Dementsprechend<br />
ist die Herangehensweise ganz pragmatisch<br />
individuell an den Patienten angepasst.<br />
Dabei gilt es her<strong>aus</strong>zufinden, was<br />
<strong>für</strong> den Patienten wirklich „passend“ ist,<br />
was er selbst will und nicht will, wozu er<br />
motiviert ist, was er anstrebt und welche<br />
Möglichkeiten ihm zur Verfügung stehen.<br />
Wir nehmen die Rolle des „Steigbügelhalters“<br />
ein. Das heißt, wir stellen unsere<br />
Möglichkeiten in den Dienst einer Ziel -<br />
hierarchie, die das Überleben sichert, Schaden<br />
minimiert und ein möglichst gesundes<br />
Leben, also Lebenskompetenzen („Lebensmittel“)<br />
vermittelt – bis dahin, die Abstinenz<br />
zu ermöglichen.<br />
Das Ideal „Abstinenz“ erreichen nur sehr<br />
wenige <strong>der</strong> chronisch Abhängigen. Hier<br />
ist Suchtbegleitung indiziert, zum Beispiel<br />
die Substitution mit Ersatzstoffen, die es<br />
ermöglichen, frei von Beschaffungskriminalität<br />
und -druck ein soziales, möglichst<br />
gesundes und selbstbestimmtes Leben zu<br />
führen.<br />
Die biologische Komponente <strong>der</strong> Sucht<br />
weist uns darauf hin, dass Sucht nicht nur<br />
eine Beeinträchtigung des Willens ist. Notwendig<br />
sind daher auch medikamentöse<br />
Behandlungsstrategien wie Substitution,<br />
Rückfallmedikationsprophylaxe, eine <strong>aus</strong>-<br />
schleichende Entzugsbehandlung sowie<br />
gegebenenfalls medikamentöse Unterstützung<br />
zur Stressreduktion und eine auch<br />
medikamentöse Behandlung von Komorbidität.<br />
Fazit<br />
Die Substitution verhält sich zur Abstinenz<br />
wie <strong>der</strong> Mieter im Mietsh<strong>aus</strong> zum Eigenheimbesitzer.<br />
Viele streben Letzteres an,<br />
nicht alle schaffen es und nicht zuletzt:<br />
nicht alle wollen es. Ermöglichen wir doch<br />
jedem das Seine, solange damit <strong>der</strong> individuelle<br />
Lebenswert abgesichert und erhalten<br />
werden kann.<br />
Bei medikamentösen Behandlungsstrategien<br />
sollte es, wenn möglich, aber nicht<br />
bleiben. Therapeutische beziehungsweise<br />
psychoedukative Angebote und Maßnahmen<br />
begleitend zu medikamentösen Strategien<br />
erhöhen erfahrungsgemäß die Erfolgsrate.<br />
Literatur<br />
Psychiatrie und Psychotherapie<br />
[1] Behrendt K, Degwitz P, Trüg E (Hrsg.). Schnittstelle<br />
Drogenentzug. Freiburg/B. Lambertus 1995 (S 12ff).<br />
[2] Erlenmeyer A: Die Morphiumsucht und ihre Behandlung,<br />
3. Auflage. Berlin, Leipzig, Neuwied: Heuser’s Verlag<br />
1887 (S87-88).<br />
[3] Joël E. Die Behandlung <strong>der</strong> Giftsuchten, Alkoholismus,<br />
Morphinismus, Kokainismus usw. Leipzig: Georg Thieme<br />
Verlag 1928 (S 11).<br />
[4] Feuerlein W (Hrsg.). Theorie <strong>der</strong> Sucht. Berlin: Springer<br />
1986 (S 104 ff).<br />
[5] Kellermann B. Süchtiges Verhalten und Gemeinwohl.<br />
HÄB 2010; 64(4): 28-30.<br />
[6] Ringelhahn S. Persönlichkeitsstörungen und Sucht.<br />
Medtropole 2010; 20: 751-4.<br />
Weiterführende Literatur<br />
[7] Wienberg G, Driessen M (Hrsg.) Auf dem Weg zur<br />
vergessenen Mehrheit. Innovative Konzepte <strong>für</strong> die<br />
Versorgung von Menschen mit Alkoholproblemen.<br />
Bonn: Psychiatrie-Verlag 2001.<br />
Kontakt<br />
Dr. Kl<strong>aus</strong> Behrendt<br />
IV. Fachabteilung Psychiatrie und<br />
Psychotherapie<br />
Abhängigkeitserkrankungen<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord – Ochsenzoll<br />
Langenhorner Ch<strong>aus</strong>see 560<br />
22419 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 27 39<br />
Fax (0 40) 18 18-87 17 03<br />
E-Mail: k.behrendt@asklepios.com<br />
819
Medtropole | Ausgabe 19 | Oktober 2009<br />
KONTAKT<br />
Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch<br />
Unfall- und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />
Chirurgisch-Traumatologisches Zentrum<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg<br />
Lohmühlenstraße 5, 20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 22 87<br />
Fax (0 40) 18 18-85 37 70<br />
E-Mail: k.frosch@asklepios.com<br />
Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg:<br />
Neuer Leiter des Chirurgisch-<br />
Traumatologischen Zentrums<br />
Am 1. Juli übernahm Prof. Dr. Karl-Heinz<br />
Frosch als Nachfolger von Prof. Dr. Christoph<br />
Eggers die Leitung <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong><br />
Unfall- und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />
sowie des Chirurgisch-Traumatologischen<br />
Zentrums in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg.<br />
Prof. Frosch wurde 1968 in Bischofsgrün<br />
geboren, besuchte unter an<strong>der</strong>em das Skigymnasium<br />
Christophorusschule in Berchtesgaden,<br />
nahm 1989 bis 1990 als Mitglied<br />
<strong>der</strong> deutschen Skinationalmannschaft<br />
„Nordische Kombination“ mehrfach am<br />
Weltcup teil, absolvierte sein Medizinstudium<br />
an <strong>der</strong> Friedrich-Alexan<strong>der</strong>-Universität<br />
Erlangen-Nürnberg und promovierte<br />
am dortigen Institut <strong>für</strong> klinische Immunologie<br />
und Rheumatologie. Eine Famulatur<br />
„Orthopaedic Trauma“ führte ihn ans<br />
Howard Head Medical Center in Vail,<br />
Colorado, das Praktische Jahr an die DUKE<br />
University, North Carolina. Seine Weiterbildung<br />
zum Facharzt <strong>für</strong> Chirurgie absolvierte<br />
Prof. Frosch am <strong>Klinik</strong>um Bamberg<br />
und in <strong>der</strong> Abteilung <strong>für</strong> Unfallchirurgie,<br />
Plastische und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />
des Universitätsklinikums Göttingen, wo<br />
er seither als Oberarzt tätig war.<br />
2004 erwarb Prof. Frosch die Schwerpunktsbezeichung<br />
Unfallchirurgie, 2007<br />
die Zusatzbezeichnung „Spezielle Unfallchirurgie“<br />
sowie die Facharztanerkennung<br />
„Orthopädie und Unfallchirurgie“. Im<br />
gleichen Jahr habilitierte er sich im Fach<br />
Unfallchirurgie mit dem Thema „Entwicklung<br />
stammzellbesiedelter Titan-Miniprothesen<br />
<strong>für</strong> den Oberflächenteilersatz am<br />
Kniegelenk“ und erhielt den Preis <strong>für</strong> die<br />
beste Habilitation <strong>der</strong> Fakultät im Wintersemester<br />
2006/2007. 2010 wurde er zum<br />
Außerplanmäßigen Professor <strong>der</strong> Univer-<br />
820<br />
Prof. Dr. Joachim Röther<br />
sität Göttingen berufen. Seit 2008 war Prof.<br />
Frosch ständiger D-Arzt-Vertreter und<br />
geschäftsführen<strong>der</strong> Oberarzt <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong><br />
Unfallchirurgie, Plastische und Wie<strong>der</strong>herstellungschirurgie<br />
sowie stellvertreten<strong>der</strong><br />
Leiter <strong>der</strong> AG Arthroskopische Chirurgie<br />
<strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong> Unfallchirurgie.<br />
Er ist Mitglied des Nichtständigen<br />
Beirats <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft <strong>für</strong><br />
Unfallchirurgie und <strong>der</strong> Deutschen Gesellschaft<br />
<strong>für</strong> Orthopädie und Unfallchirurgie.<br />
Prof. Frosch ist unfallchirurgisch breit <strong>aus</strong>gebildet<br />
und erfahren in <strong>der</strong> Polytraumaund<br />
Schwerverletztenversorgung. Sein klinischer<br />
Schwerpunkt ist die Behandlung<br />
von Kniekomplextraumen, schwersten<br />
Kniegelenksverletzungen, fehlverheilten<br />
Frakturen im Kniegelenksbereich mit intraund<br />
extraartikulären Korrekturosteotomien<br />
sowie <strong>der</strong> arthroskopischen Chirurgie inkl.<br />
<strong>der</strong> hinteren Kreuzbandchirurgie. Neben<br />
den bereits bestehenden Schwerpunkten<br />
wie <strong>der</strong> Wirbelsäulenchirurgie, Neurochirurgie,<br />
Plastischer und Handchirurgie<br />
sowie <strong>der</strong> Schwerverletztenversorgung soll<br />
insbeson<strong>der</strong>e die Arthroskopische Chirurgie<br />
und die Sporttraumatologie an <strong>der</strong><br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> St. Georg weiter <strong>aus</strong>gebaut<br />
und etabliert werden.<br />
KONTAKT<br />
Prof. Dr. Joachim Röther<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 14 00<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 06<br />
E-Mail: j.roether@asklepios.com<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona:<br />
Neue Leitung <strong>der</strong> Neurologie<br />
Am 1. Juli übernahm Prof. Dr. Joachim<br />
Röther als Nachfolger von Prof. Dr. Axel<br />
Müller-Jensen die Leitung <strong>der</strong> Neurologischen<br />
<strong>Klinik</strong> in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona.<br />
Nach dem Medizinstudium und <strong>der</strong><br />
Promotion in Marburg begann Röther eine<br />
neurochirurgische (RWTH Aachen) und<br />
neurologische Ausbildung (Universitätsklinikum<br />
Heidelberg/Mannheim). An <strong>der</strong><br />
Stanford University, USA, forschte er von<br />
1994 bis 1996 als Stipendiat <strong>der</strong> Deutschen<br />
Forschungsgemeinschaft über physiologische<br />
Hintergründe <strong>der</strong> Diffusions- und<br />
Perfusions-MR-Bildgebung. Für diese<br />
Arbeiten wurde er mit dem Hugo-Spatz-<br />
Preis <strong>der</strong> Deutschen Neurologischen<br />
Gesellschaft <strong>aus</strong>gezeichnet.<br />
Von 1996 bis 2005 war er als leiten<strong>der</strong><br />
Oberarzt und C3-Professor an den Neurologischen<br />
Universitätskliniken Jena und<br />
dem UKE Hamburg Eppendorf tätig. Von<br />
2000 bis 2005 leitete er als Chefarzt die<br />
Neurologische und ab 2008 als Ko-Chefarzt<br />
zusätzlich die Geriatrische <strong>Klinik</strong> des<br />
Johannes Wesling <strong>Klinik</strong>ums Minden.<br />
Prof. Röther ist Präsident <strong>der</strong> Deutschen<br />
Schlaganfall-Gesellschaft und hat sich in<br />
mehr als 200 wissenschaftlichen Arbeiten<br />
mit <strong>der</strong> Behandlung des Schlaganfalls<br />
befasst. Er ist als Experte in nationalen und<br />
internationalen Gremien und Studien in<br />
führenden Positionen vertreten, unter<br />
an<strong>der</strong>em als Gründungsmitglied <strong>der</strong> European<br />
Stroke Organisation, Mitglied des<br />
Editorial Board <strong>der</strong> Zeitschriften Journal of<br />
Neuroimaging und Cerebrovascular Disease<br />
und Mitglied des Scientific Board <strong>der</strong><br />
European Stroke Conference. Prof. Röther<br />
ist Sprecher <strong>der</strong> Arbeitsgemeinschaft<br />
„Herz & Hirn“ <strong>der</strong> Deutschen Schlag -
anfall-Gesellschaft und <strong>der</strong> Deutschen<br />
Gesellschaft <strong>für</strong> Kardiologie.<br />
Neben <strong>der</strong> Schlaganfallbehandlung und<br />
<strong>der</strong> neurologischen Intensivmedizin liegen<br />
weitere klinische Schwerpunkte von Prof.<br />
Röther in <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> Multiplen<br />
Sklerose, <strong>der</strong> Parkinsonerkrankung, <strong>der</strong><br />
Demenz und <strong>der</strong> Hirntumoren. Diese<br />
Schwerpunkte möchte er in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong><br />
<strong>Klinik</strong> Altona weiter <strong>aus</strong>bauen.<br />
Prof. Dr. Günter Seidel<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord:<br />
Neue Leitung <strong>der</strong> Neurologie<br />
K O N T A K T<br />
Prof. Dr. Günter Seidel<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord<br />
Tangstedter Landstraße 400<br />
22417 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 30 76<br />
Fax (0 40) 18 18-87 30 69<br />
E-Mail: g.seidel@asklepios.com<br />
Am 1. Juli 2010 übernahm Prof. Dr. Günter<br />
Seidel als Nachfolger von Prof. Dr. Jürgen<br />
Köhler die Leitung <strong>der</strong> neurologischen<br />
Abteilung in <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord.<br />
Der bisherige Oberarzt in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong> <strong>für</strong><br />
Neurologie im Universitätsklinikum<br />
Schleswig-Holstein, Campus Lübeck<br />
wurde 1963 in Dillenburg geboren und studierte<br />
an <strong>der</strong> Justus-Liebig-Universität in<br />
Gießen. Seidel promovierte im Pharmakologischen<br />
Institut bei Prof. Dreyer zum<br />
Thema „Membranströme in normalen und<br />
Rous-Sarkom-Virus infizierten embryonalen<br />
Hühnerfibroblasten“. Er begann seine<br />
Ausbildung zum Neurologen in <strong>der</strong> Neurologischen<br />
Uniklinik Gießen unter Prof.<br />
Dorndorf und wechselte nach vier Jahren<br />
an das Universitätsklinikum Schleswig-<br />
Holstein, wo er die Facharzt<strong>aus</strong>bildung<br />
abschloss. Seidel absolvierte die Weiterbildungen<br />
„Spezielle neurologische Intensivmedizin“<br />
und „Klinische Geriatrie“. 2000<br />
folgten die Habilitation mit dem Thema<br />
„Die Sonographie des Gehirns zur Erfassung<br />
<strong>der</strong> zerebralen Makro- und Mikrozirkulation<br />
unter beson<strong>der</strong>er Berücksichtigung<br />
von Ultraschallkontrastmitteln“ und<br />
die Erteilung <strong>der</strong> Venia legendi <strong>für</strong> das<br />
Fach Neurologie.<br />
2004 wurde er zum Außerplanmäßigen<br />
Professor <strong>der</strong> Medizinischen Fakultät <strong>der</strong><br />
Universität zu Lübeck berufen. Seidels wissenschaftliche<br />
Schwerpunkte umfassen<br />
unter an<strong>der</strong>en die neurovaskuläre Medizin,<br />
Bewegungsstörungen und Demenzerkrankungen.<br />
Er beherrscht das gesamte Spektrum<br />
<strong>der</strong> klinischen Neurologie. Seine klinischen<br />
Schwerpunkte liegen in <strong>der</strong><br />
Schlaganfallbehandlung (Stroke Unit, Primär-<br />
und Sekundärprävention, zerebrale<br />
Personalia<br />
Vaskulitis), <strong>der</strong> Neurosonologie (extraund<br />
intrakranielle Farbduplexsonographie,<br />
Hirnparenchym- und Muskel-Nerv-Sonographie)<br />
und <strong>der</strong> Intensivneurologie.<br />
Seidel ist Mitglied mehrerer nationaler<br />
und internationaler Fachgesellschaften<br />
und Autor zahlreicher wissenschaftlicher<br />
Artikel und Buchbeiträge. Daneben ist er<br />
Regionalbeauftragter <strong>der</strong> Stiftung Deutsche<br />
Schlaganfall-Hilfe.<br />
In <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord möchte Prof.<br />
Seidel das medizinische Angebot weiter<br />
<strong>aus</strong>bauen (Schlaganfall, Multiple Sklerose,<br />
Epilepsie, Neuroonkologie) und um die<br />
Schwerpunkte Früh-Rehabilitation und<br />
Bewegungsstörungen erweitern.<br />
Prof. Dr. Günter Seidel<br />
Abteilung <strong>für</strong> Neurologie<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Nord<br />
Tangstedter Landstrasse 400, 22417 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-87 30 76<br />
Fax (0 40) 18 18-87 30 69<br />
E-Mail: g.seidel@asklepios.com<br />
821
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Akutmaßnahmen<br />
beim Schädel-Hirntrauma<br />
Dr. Marcus Lücke, Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Das Schädel-Hirntrauma (SHT) ist definiert als durch äußere Gewalteinwirkung bewirkte Schädigung des<br />
Gehirns, die mit einer mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> schweren Verletzung des Schädels und <strong>der</strong> Kopfweichteile einhergehen<br />
kann. Als offenes SHT bezeichnet man dabei eine mit einer Verletzung des Schädels und <strong>der</strong> Weichteile einher -<br />
gehende Duraverletzung. Unter <strong>der</strong> primären Hirnschädigung sind die Verletzungen zum Zeitpunkt des Traumas<br />
zu verstehen, die durch eine Abfolge sekundärer Hirnschäden zu einer weiteren Verschlechterung des Verlaufs und<br />
des En<strong>der</strong>gebnisses führen können. Die sekundären Hirnschäden sind therapeutischer Ansatzpunkt.<br />
Knapp 250.000 Schädel-Hirntraumata werden<br />
in Deutschland pro Jahr registriert.<br />
Davon sind etwa fünf Prozent als schwer<br />
einzuschätzen.<br />
Präklinische Versorgung<br />
Das Schädel-Hirntrauma lässt sich in drei<br />
Grade einteilen (I: leicht, II: mittelschwer,<br />
III: schwer). Die 1953 publizierte Einteilung<br />
von Tönnis beruht auf <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong><br />
Bewusstseinsmin<strong>der</strong>ung und ist nur retrospektiv<br />
anwendbar. International üblicher<br />
ist die im Wesentlichen am Bewusstseinsgrad<br />
nach <strong>der</strong> Glascow Coma Scale (GCS,<br />
Tab. 1) orientierte Einteilung. [1]<br />
Wesentlich <strong>für</strong> die Erstbeurteilung und<br />
Versorgung sind:<br />
1. genaue Beurteilung <strong>der</strong> Bewusstseinslage<br />
nach <strong>der</strong> GCS, dabei insbeson<strong>der</strong>e<br />
auch die Dokumentation des exakten<br />
zeitlichen Verlaufs;<br />
822<br />
2. Bestimmung des neurologischen Status<br />
am Unfallort, dabei mindestens die<br />
konsequente Untersuchung auf fokale<br />
motorische und sensible Defizite <strong>der</strong><br />
Pupillenweite, <strong>der</strong> Lichtreaktion, beim<br />
komatösen Patienten zudem des Cornealreflexes<br />
und die Überprüfung<br />
pathologischer Reflexe;<br />
3. genaue Erhebung und Dokumentation<br />
<strong>der</strong> Vitalparameter, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />
Sauerstoffsättigung und des Blutdrucks;<br />
4. an<strong>der</strong>e Verletzungen und Begleit -<br />
umstände wie Intoxikation und<br />
Unterkühlung.<br />
Mit eindeutiger Evidenz sollte <strong>der</strong> Patient<br />
bei einer GCS unter 9 zum Transport intubiert<br />
werden, da die Aufrechterhaltung<br />
einer suffizienten Oxygenierung und Aspirationsschutz<br />
wichtiger sind als die exakte<br />
Beurteilung <strong>der</strong> Bewusstseinslage bei Eintreffen<br />
in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong>. [2] Dabei sollten jedoch<br />
in jedem Fall die Bewusstseinslage nach<br />
<strong>der</strong> GCS und <strong>der</strong> neurologische Status zum<br />
Zeitpunkt <strong>der</strong> Intubation erhoben und<br />
dokumentiert werden, um in <strong>der</strong> <strong>Klinik</strong><br />
eine Prioritätenhierarchie <strong>für</strong> Diagnostik<br />
und Erstmaßnahmen sowie eine Prognoseeinschätzung<br />
zu ermöglichen.<br />
Für die medikamentöse Therapie am<br />
Unfallort zur Hirnprotektion besteht keine<br />
evidenzbasierte Empfehlung, mit <strong>der</strong> Ausnahme,<br />
dass Glukokortikoide aufgrund<br />
eines statistisch schlechteren Ergebnisses<br />
nicht appliziert werden sollten. Die Gabe<br />
von Mannitol zur kurzfristigen Hirndrucksenkung<br />
kann bei schlechtem Status<br />
(Pupillenerweiterung, tiefes Koma) sinnvoll<br />
sein. [3]
Abb. 1: Akutes epidurales Hämatom mit deutlich<br />
raumfor<strong>der</strong>ndem Effekt → Indikation zur sofortigen<br />
operativen Entlastung<br />
Klinische Versorgung<br />
Nach Sicherung <strong>der</strong> Vitalparameter stehen<br />
die neurologische Befun<strong>der</strong>hebung und<br />
Diagnostik ganz oben auf <strong>der</strong> Prioritätenliste.<br />
Die Indikation zum CCT nach Schädel-Hirntrauma<br />
besteht bei<br />
■ Bewusstseinsmin<strong>der</strong>ung<br />
■ neurologischen Defiziten, die auf eine<br />
Hirnbeteiligung hindeuten<br />
■ Krampfanfall<br />
■ Erbrechen<br />
■ stärkeren mnestischen Störungen<br />
■ Hinweisen auf eine Schädelverletzung<br />
■ Hinweisen auf eine Liquorrhoe<br />
■ Hinweisen auf eine Gerinnungsstörung<br />
(Marcumar!)<br />
Auch wenn <strong>der</strong> Patient am Unfallort<br />
bewusstseinsklar war und <strong>aus</strong> an<strong>der</strong>er<br />
Indikation, etwa zur Schmerztherapie,<br />
intubiert wurde, sollte die Indikation zum<br />
CCT großzügig gestellt werden, insbeson<strong>der</strong>e<br />
wenn die operative Versorgung an<strong>der</strong>er<br />
Verletzungen ansteht. Nicht zu unterschätzen<br />
ist das sekundäre Auftreten von<br />
Gerinnungsstörungen bei größerem Blut -<br />
umsatz. Auch bei unauffälligem primärem<br />
CCT sollte in so einem Fall eine CCT-Verlaufskontrolle<br />
erfolgen, wenn <strong>der</strong> Patient<br />
nicht zeitnah angemessen neurologisch<br />
(Extubation) untersucht werden kann.<br />
Bei Vorliegen eines unauffälligen CCT<br />
genügt beim bewusstseinsklaren Patienten<br />
die stationäre Überwachung über 24 Stunden.<br />
Ist <strong>der</strong> Patient intubiert und sediert,<br />
sollte er schnellstmöglich wach und extubiert<br />
werden, um eine klinische Überwachung<br />
zu ermöglichen.<br />
Zeigt ein auffälliges CCT eine epidurale,<br />
subdurale, intracerebrale o<strong>der</strong> subarachnoidale<br />
Blutung, ein Hirnödem, einen Hydrocephalus<br />
o<strong>der</strong> eine an<strong>der</strong>e potentiell le -<br />
bensbedrohliche Raumfor<strong>der</strong>ung, sollte <strong>der</strong><br />
Neurochirurgie<br />
Abb. 2: SHT mit diffusen Kontusionen ohne aktuellen größeren raumfor<strong>der</strong>nden Effekt und erhaltenen basalen<br />
Cisternen → intensivmedinische Überwachung, Kontroll-CCT nach 4-8 Stunden. Im Falle <strong>der</strong> prolongierten Beatmung<br />
ggf. Einlage einer Hirndrucksonde<br />
Fall immer einem Neurochirurgen demonstriert<br />
werden. Dieser kann gegebenenfalls<br />
die Indikation zur sofortigen operativen<br />
Intervention stellen o<strong>der</strong> eine Risikoeinschätzung<br />
und Empfehlung zu weiterem<br />
Monitoring, Therapiemaßnahmen und zur<br />
Prognose abgeben.<br />
Operative Intervention<br />
Bei einer intrakraniellen Raumfor<strong>der</strong>ung<br />
(v. a. bei subduralem, epiduralem o<strong>der</strong><br />
intracerebralem Hämatom) und unmittelbar<br />
lebensbedrohlichem Status ist eine<br />
sofortige neurochirurgische Entlastung<br />
notwendig. Wenige Minuten können in<br />
solchen Situationen über Leben, Tod o<strong>der</strong><br />
die Ausprägung einer irreversiblen Behin<strong>der</strong>ung<br />
entscheiden!<br />
Die Operationsindikation stellt <strong>der</strong> Neurochirurg<br />
anhand <strong>der</strong> Gesamtschau <strong>aus</strong> neurologischem<br />
und allgemein klinischem<br />
823
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Abb. 3: SHT mit Hirnkontusionen und Hirnödem,<br />
zusätzlich Nachweis freier intrakranieller Luft als<br />
Beweis eines offenen SHT → Anlage einer Hirndruck -<br />
sonde, Kontroll-CCT nach 4 – 8 Stunden, bei Nachweis<br />
einer persistierenden Liquorfistel ggf. spätere Deckung<br />
Status, allgemeiner und akuter Anamnese<br />
sowie aktueller Bildgebung und eventuell<br />
auch des Hirndrucks. Gerade bei Grenz -<br />
fällen erfor<strong>der</strong>t diese Entscheidung viel<br />
Erfahrung, da, abgesehen von bestimmten<br />
Hirndruckwerten, <strong>für</strong> die Indikationsstellung<br />
wenig in Zahlen o<strong>der</strong> Messwerten<br />
sinnvoll abgebildet werden kann.<br />
824<br />
Punkte Augen öffnen beste sprachliche Äußerung beste motorische Antwort<br />
6 – – gezielt auf Auffor<strong>der</strong>ung<br />
5 – orientiert gezielt auf Schmerzreiz<br />
4 spontan verwirrt ungezielt auf Schmerzreiz<br />
3 auf Ansprache unangemessen Beugen auf Schmerzreiz<br />
2 auf Schmerzreiz unverständliche Laute Strecken auf Schmerzreiz<br />
1 nicht keine keine<br />
Tab. 1: Die Glascow Coma Scale zur international gebräuchlichen Einteilung <strong>der</strong> Bewusstseinslage.<br />
Die Addition <strong>der</strong> Punkte <strong>aus</strong> drei Qualitäten ergibt einen Punktwert von 3 – 15.<br />
Kraniotomie mit Ausräumung einer umschriebenen<br />
raumfor<strong>der</strong>nden Blutung epidural, subdural o<strong>der</strong><br />
intracerebral<br />
Kraniektomie, insbeson<strong>der</strong>e bei Hirnödem o<strong>der</strong> diffusen<br />
Kontusionen, ggf. auch in Kombination mit<br />
<strong>der</strong> Ausräumung einer umschriebenen Raumfor<strong>der</strong>ung,<br />
vor allem einer subduralen o<strong>der</strong> intracerebralen<br />
Blutung. Dabei evtl. Kryokonservierung eines<br />
großen Knochendeckels zur späteren Re-Implantation.<br />
Dura- und Schädeldachplastik, insbeson<strong>der</strong>e bei<br />
offenem Schädel-Hirntrauma o<strong>der</strong> Impressionsfraktur.<br />
Bei persistieren<strong>der</strong> Rhinoliquorrhoe und seltener<br />
Otoliquorrhoe evtl. sekundäre Deckung des<br />
Schädelbasisdefekts im Intervall.<br />
Anlage einer intraventrikulären Drainage zur Hirndruckmessung<br />
und ggf. -senkung, insbeson<strong>der</strong>e bei<br />
Vorliegen eines Hydrocephalus.<br />
Anlage einer Hirndruckmesssonde zum Monitoring<br />
einer konservativen Hirndrucktherapie, ggf. zum<br />
Feststellen des richtigen Zeitpunktes <strong>für</strong> eine<br />
neuerliche CCT-Kontrolle o<strong>der</strong> operative Therapie.<br />
Tab. 2: Neurochirurgische Interventionen Tab. 3: Konservative Maßnahmen auf <strong>der</strong> Intensivstation<br />
Konservative Maßnahmen auf <strong>der</strong><br />
Intensivstation<br />
In erster Linie ist die Homöostase <strong>für</strong><br />
Kreislauf, Ventilation, Körpertemperatur,<br />
Gerinnung und Metabolismus zu wahren.<br />
Operative Maßnahmen ohne notfallmäßige<br />
Indikation sollten zurückgestellt werden,<br />
insbeson<strong>der</strong>e wenn ein größerer Blut -<br />
umsatz und damit verbundene mögliche<br />
Gerinnungsstörungen zu erwarten sind.<br />
Die Schäden, die dadurch im Gehirn entstehen<br />
können, werden niemals wie<strong>der</strong><br />
<strong>aus</strong>heilen! Ist keine eindeutige neurolo -<br />
gische Beurteilung möglich, sollte bei<br />
pathologischem CCT o<strong>der</strong> adäquatem<br />
Trauma nach 4 – 8 Stunden ein Verlaufs-<br />
CCT erfolgen. Insbeson<strong>der</strong>e bei grenzwertig<br />
raumfor<strong>der</strong>nden Befunden mit noch zu<br />
erwarten<strong>der</strong> Dynamik o<strong>der</strong> weiteren Risikofaktoren<br />
(schwere zusätzliche Verletzun-<br />
Oberkörperhochlagerung um 30° zur Verbesserung<br />
des venösen Abflusses<br />
kurzfristige Hyperventilation<br />
(CO2 nicht unter 30 – 35 mmHg)<br />
Mannitol o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Osmodiuretika<br />
TRIS-Puffer<br />
Senkung <strong>der</strong> Körperkerntemperatur<br />
antiepileptische Medikation<br />
gen, Operationen) ist ein Hirndruckmonitoring<br />
zu erwägen, wenn prolongierte<br />
Sedierung und Beatmung erfor<strong>der</strong>lich<br />
sind. [4]<br />
Die verschiedenen medikamentösen und<br />
physikalischen Maßnahmen <strong>der</strong> Hirndrucktherapie<br />
(Tab. 3) dienen <strong>der</strong> Aufrecht -<br />
erhaltung des Metabolismus des Hirngewebes.<br />
Allerdings ist <strong>für</strong> keine über die<br />
Analgosedierung und Aufrechterhaltung<br />
<strong>der</strong> Homöostase hin<strong>aus</strong>gehende medikamentöse<br />
Therapie ein gesicherter Nutzen<br />
belegt, <strong>der</strong> evidenzbasiert eine generelle<br />
Empfehlung rechtfertigt. Auf die lange<br />
propagierte Anwendung von Glukokortikoiden<br />
sollte aufgrund einer signifikanten<br />
Steigerung <strong>der</strong> 14-Tages-Letalität verzichtet<br />
werden. [5]
Abb. 4: BU<br />
���������<br />
��������������������<br />
���������<br />
����������������������<br />
Prognose und Nachbehandlung<br />
�������<br />
Generell liegt die Letalität beim schweren<br />
SHT bei etwa 25 Prozent. [6] Entscheidend<br />
<strong>für</strong> die Prognose des weiteren Lebens eines<br />
polytraumatisierten Patienten ist meist das<br />
Ausmaß <strong>der</strong> persistierenden Ausfälle und<br />
kognitiven Einschränkungen als Folge <strong>der</strong><br />
ZNS-Schädigung. In <strong>der</strong> Akutphase ist,<br />
wenn nicht eindeutige Grenzparameter<br />
überschritten sind, eine Prognoseeinschätzung<br />
oft sehr schwierig, die Verläufe sind<br />
auch sehr unterschiedlich. Beim schweren<br />
SHT treten die entscheidenden funktionellen<br />
Besserungen innerhalb <strong>der</strong> ersten drei<br />
Monate ein, das Endstadium ist erst nach<br />
einem Jahr und später zu erwarten. Um<br />
die Neuroplastizität maximal <strong>aus</strong>zuschöpfen,<br />
ist dabei auch die statusangepasste<br />
stufenweise früh einsetzende Rehabilitationsbehandlung<br />
wesentlich.<br />
��������<br />
�����������������������<br />
���������<br />
�����������������<br />
����������������������<br />
�����������������<br />
�����������������<br />
���������<br />
Literatur<br />
����<br />
���������������������������<br />
���<br />
��������������<br />
�����������������<br />
����������<br />
[1] Bullock R, Chesnut RM, Clifton G, et al. Guidelines for<br />
the management of severe head injury. Brain Trauma Foundation.<br />
Eur J Emerg Med. 1996 Jun; 3(2): 109-27.<br />
[2] Gabriel EJ, Ghajar J, Jagoda A, et al. Guidelines for prehospital<br />
management of traumatic brain injury. J Neurotrauma.<br />
2002 Jan; 19(1): 111-74.<br />
[3] Roberts I, Schierhout G, Wakai A. Mannitol for acute<br />
traumatic brain injury. The Cochrane Database of Systematic<br />
Reviews 2003, Issue 2. Art. No.: CD001049<br />
[4] Balestreri M, Czosnyka M, Hutchinson P, et al. Impact<br />
of intracranial pressure and cerebral perfusion pressure on<br />
severe disability and mortality after head injury. Neurocrit<br />
Care. 2006; 4(1): 8-13.<br />
[5] CRASH Trial Collaborators. Effect of intravenous corticosteroids<br />
on death within 14 days in 10008 adults with<br />
clinically significant head injury (MRC CRASH trial):<br />
randomised placebo-controlled trial. Lancet (2004) 364:<br />
1321-28.<br />
[6] Penrod: Prognosis. In Marion (ed) Traumatic Brain injury.<br />
Thieme: 135-40.<br />
Kontakt<br />
Prof. Dr. Uwe Kehler<br />
Dr. Marcus Lücke<br />
�������<br />
Neurochirurgie<br />
����������<br />
�������������������������<br />
��������������<br />
q��������������<br />
��������������������������<br />
q����������������<br />
q���������������������������<br />
q�����������<br />
����������������<br />
Neurochirurgie<br />
Neurozentrum und Wirbelsäulenzentrum<br />
<strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong> Altona<br />
Paul-Ehrlich-Straße 1<br />
22763 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-81 16 71<br />
Fax (0 40) 18 18-81 49 11<br />
E-Mail: m.luecke@asklepios.com<br />
Guidelines<br />
http://www.aans.org/education/clinical%20_guidelines.asp<br />
http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/008-001.htm<br />
825
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Das erworbene<br />
von Willebrand-Syndrom<br />
Prof. Dr. Ulrich Budde, Dr. Sonja Schneppenheim, Dr. Hala El Abd-Müller, Dr. Rita Dittmer<br />
Das 1926 erstmals durch Erik von Willebrand beschriebene von Willebrand-Syndrom (VWS) ist die häufigste<br />
vererbbare Bluterkrankheit, die Männer und Frauen aller Ethnien gleichermaßen betrifft. Das erworbene VWS<br />
gilt als sehr viel seltener und wurde daher deutlich später erstmals beschrieben. Es ist davon <strong>aus</strong>zugehen, dass es<br />
häufig übersehen wird, vor allem wenn Erfahrungen mit diesen Patienten fehlen. Grundsätzlich können alle<br />
Disziplinen mit diesen Patienten in Kontakt kommen und bei vielen wird die Diagnose noch nicht gestellt sein.<br />
Daher ist es wichtig, die Aufmerksamkeit auf diese Hämostasestörung zu wecken und diagnostische Wege<br />
aufzuzeigen. Vor allem ist es wichtig zu wissen, dass Blutungen nicht nur durch erniedrigte Gerinnungseiweiße<br />
<strong>aus</strong>gelöst werden können, son<strong>der</strong>n auch bei nicht selten exzessiv erhöhten Faktoren, wenn diese Faktoren<br />
dysfunktionell sind.<br />
Synthese und Funktion des<br />
von Willebrand-Faktors (VWF)<br />
Syntheseorte <strong>für</strong> den VWF sind <strong>aus</strong>schließlich<br />
Endothelzellen und Megakariozyten.<br />
Die Synthesewege sind komplex (Abb. 1)<br />
und es entstehen Multimere gleicher<br />
Zusammensetzung, jedoch, abhängig von<br />
<strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Monomere, unterschiedlicher<br />
Größe zwischen 500 – 20000 KD.<br />
Die Größe <strong>der</strong> Multimere wird durch die<br />
Metalloprotease (ADAMTS13) reguliert.<br />
Der im Blut zirkulierende VWF ist das Produkt<br />
<strong>aus</strong> Synthese, Speicherung, Sekretion<br />
und Modifikation im Kreislauf. Der VWF<br />
bewirkt gemeinsam mit dem subendothelialen<br />
Collagen und Thrombozyten den primären<br />
Wundverschluss.<br />
826<br />
Pathomechanismus und häufigste<br />
Grundkrankheiten des erworbenen von<br />
Willebrand-Syndroms (eVWS)<br />
Bei den meisten Patienten mit eVWS wird<br />
<strong>der</strong> VWF in normaler, nicht selten sogar<br />
erhöhter Konzentration synthetisiert und<br />
ins Plasma sekretiert. Die quantitativen<br />
und/o<strong>der</strong> qualitativen Verän<strong>der</strong>ungen des<br />
VWF entstehen erst nach <strong>der</strong> Synthese<br />
durch unterschiedliche Pathomechanismen,<br />
die typisch <strong>für</strong> die jeweiligen Erkrankungen<br />
sind, jedoch nicht selten in Kombination<br />
auftreten (Tab. 1).<br />
Durch (1) pathologisch erhöhten Scherstress<br />
wird <strong>der</strong> VWF aktiviert und bindet<br />
vermehrt an seine Rezeptoren. Der gebundene<br />
VWF unterliegt anschließend einer<br />
Proteolyse durch ADAMTS13, die zu<br />
einem Verlust <strong>der</strong> großen Multimere und<br />
gesteigerter Bildung proteolytischer Fragmente<br />
führt. Das eVWS bei angeborenen<br />
Herzfehlern wurde bereits 1986 beschrie-<br />
ben. [4]<br />
Im Erwachsenenalter fallen vor allem<br />
Patienten mit Aortenstenosen [10] durch eine<br />
hämorrhagische Diathese auf. Die Koinzidenz<br />
von Aortenstenose und gastrointestinalen<br />
Blutungen ist als Heyde Syndrom<br />
(1958) bekannt. Aktuelle Publikationen [9]<br />
berichten vor allem bei Herzunterstützungssystemen<br />
(sog. künstlichen Herzen)<br />
über gravierende, sogar tödliche Blutungskomplikationen<br />
(Abb. 2). Ein weiterer<br />
Mechanismus <strong>für</strong> ein eVWS im höheren<br />
Alter ist die durch arteriosklerotische Prozesse<br />
induzierte zunehmende Einengung<br />
des Gefäßlumens im arteriellen Gefäßsystem.<br />
Erreicht hierdurch <strong>der</strong> Scherstress<br />
pathologische Werte, kommt es zum Verlust<br />
großer Multimere.<br />
Bei krankhaft erhöhten Thrombozytenzahlen<br />
sind die (2) Rezeptoren auf <strong>der</strong> Thrombozytenoberfläche<br />
expandiert. Die an sich<br />
physiologische Adhäsion in Gebieten mit<br />
hohem Scherstress entfernt dadurch<br />
vermehrt die beson<strong>der</strong>s aktiven großen<br />
Multimere <strong>aus</strong> dem Plasma. Auch hier<br />
werden sie nach erfolgter Bindung durch<br />
ADAMTS13 proteolysiert, so endgültig <strong>aus</strong>
Abb. 1: Biosynthese des VWF in <strong>der</strong> Endothelzelle; ER = endoplasmatisches retikulum; WP = Weibel-Palade-Körperchen<br />
dem Plasma entfernt und es lassen sich die<br />
vermehrten proteolytischen Fragmente<br />
nachweisen. Dabei nimmt die proteolytische<br />
Spaltung exponentiell mit steigen<strong>der</strong><br />
Thrombozytenzahl zu. [7]<br />
Zu den häufigen Komplikationen myeloproliferativer<br />
Erkrankungen zählen<br />
Thrombose und Blutungen, die nicht selten<br />
gleichzeitig auftreten. Während unterhalb<br />
einer Thrombozytenzahl von 1.000 x 109/l<br />
Thromboembolien führend sind, herrschen<br />
bei Zahlen über 2.000 x 109/l Blutungen<br />
vor. Zwischen 1.000 und 2.000 x 109/l können<br />
beide Komplikationen, nicht selten<br />
sogar gleichzeitig, auftreten. [1]<br />
Das eVWS bei lymphoproliferativen<br />
Erkrankungen geht meist mit einer deutlichen<br />
Vermin<strong>der</strong>ung des VWF und einem<br />
Verlust <strong>der</strong> großen Multimere einher.<br />
Angeschuldigt werden (3) spezifische o<strong>der</strong><br />
unspezifische Autoantikörper, die zur<br />
Immunkomplexbildung und verstärkter<br />
Elimination des VWF führen. Allerdings<br />
entgehen diese Antikörper meist dem<br />
Nachweis. Da in vielen Fällen <strong>der</strong> VWF<br />
stark vermin<strong>der</strong>t ist, wird <strong>der</strong> F VIII nicht<br />
<strong>aus</strong>reichend stabilisiert mit <strong>der</strong> Folge einer<br />
kombinierten Störung <strong>der</strong> primären und<br />
sekundären Hämostase. Daher haben diese<br />
Patienten gravierende Blutungskomplikationen,<br />
die sich vor allem in Form großflächiger<br />
Hautblutungen o<strong>der</strong> gastrointestinaler<br />
Blutungen darstellen. Bei monoklonaler<br />
Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS)<br />
o<strong>der</strong> Myelom vom Typ IgG ist <strong>der</strong> VWF fast<br />
immer dysfunktionell (erworbener Typ 2<br />
[Abb. 3]). Dagegen haben Patienten mit<br />
einer monoklonalen Gammopathie vom<br />
Typ IgM meist einen erworbenen Typ 1<br />
(Abb. 4).<br />
Nicht selten führt eine (4) verstärkte Proteolyse<br />
durch ADAMTS13 (spezifisch <strong>für</strong><br />
den VWF) o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Proteasen wie Plasmin<br />
o<strong>der</strong> Calpain (nicht spezifisch) zum<br />
Verlust großer Multimere. Die durch<br />
ADAMTS13 hervorgerufene verstärkte<br />
Proteolyse wurde bereits <strong>für</strong> kardiovaskuläre<br />
und myeloproliferative Erkrankungen<br />
beschrieben. Sie tritt jedoch auch bei <strong>der</strong><br />
terminalen Niereninsuffizienz und bei<br />
Behandlung mit Ciprofloxacin auf. Eine<br />
Hämostaseologie<br />
durch Plasmin induzierte verstärkte Proteolyse<br />
wurde <strong>für</strong> die primäre und sekun -<br />
däre Hyperfibrinolyse, aber auch <strong>für</strong> die<br />
Lysetherapie beschrieben.<br />
Eine (5) vermin<strong>der</strong>te Synthese des VWF<br />
induziert ein eVWS Typ 1 (Hypothyreose).<br />
Bei einer Reihe von mit einem eVWS einhergehenden<br />
Erkrankungen wie einem<br />
eVWS nach Behandlung mit Valproinsäure,<br />
Viruserkrankungen (z. B. chronische Hepatitis<br />
C) o<strong>der</strong> Hepatopathien, Amyloidose,<br />
Glykogenspeicherkrankheit Typ 1 und Turner<br />
Syndrom ist bisher kein Pathomechanismus<br />
bekannt.<br />
Um den Blick <strong>für</strong> das erworbene VWS zu<br />
schärfen, hat die ISTH eine Website eingerichtet,<br />
auf <strong>der</strong> Patienten mit erworbenem<br />
VWS diskutiert werden können und die<br />
aktualisierte Literatur sowie Adressen von<br />
<strong>Ärzte</strong>n mit beson<strong>der</strong>er Erfahrung auf<br />
diesem Gebiet zu finden sind<br />
(IntREaVWS.com / intreavws.com).<br />
Epidemiologie<br />
Das eVWS tritt wesentlich seltener auf als<br />
das angeborene VWS, dürfte jedoch auch<br />
unterschätzt werden. Die von Thiede et<br />
al. [9] beschriebenen 35 Patienten <strong>aus</strong> einem<br />
Zentrum waren wie folgt verteilt: kardiovaskulär<br />
46 Prozent, lymphoproliferativ<br />
31 Prozent, myeloproliferativ 3 Prozent.<br />
Die Patienten mit kardiovaskulären<br />
Erkrankungen hatten eine extrem hohe<br />
Mortalität innerhalb von zwei Jahren<br />
(50 %), jedoch war in keinem Fall das<br />
eVWS ursächlich. Die Patienten mit den<br />
schwersten Blutungssymptomen (lymphoproliferative<br />
Erkrankungen) hatten alle<br />
überlebt. Bei den übrigen Patienten waren<br />
zwölf Prozent verstorben. Die Blutungsfrequenz<br />
war mit 19 Prozent pro Jahr hoch,<br />
mit 34 Prozent noch höher war die Notwendigkeit<br />
<strong>für</strong> einen operativen Eingriff in<br />
den nächsten zwei Jahren. Dies zeigt, dass<br />
eine exakte Abklärung eine sehr hohe Priorität<br />
hat.<br />
827
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Abb. 2: VWF Multimere bei einem Patienten mit „Kunst herz“ (2) und im normalen Plasma (1). Bei A handelt es sich<br />
um ein Gel mittlerer Auflösungsfähigkeit (gute Auftrennung <strong>der</strong> individuellen Oligomere in Triplets), bei B um ein<br />
Gel niedriger Auflösungsfähigkeit (bessere Darstellung des Verlustes großer Multimere). C stellt das Gel niedriger<br />
Auflösungsfähigkeit densitometrisch dar. Der Verlust <strong>der</strong> großen Multimere (Pfeil auf <strong>der</strong> Grenze zwischen großen<br />
und mittelgroßen Multimeren) ist eindeutig erkennbar.<br />
Abb. 3: Vergleich <strong>der</strong> VWF Multimere eines Patienten mit MGUS vom Typ IgG (4) und im normalen Mischplasma (3).<br />
Bei D handelt es sich um ein Gel mittlerer Auflösungsfähigkeit (gute Auftrennung <strong>der</strong> individuellen Oligomere in<br />
Triplets), bei E um ein Gel niedriger Auflösungsfähigkeit (bessere Darstellung des Verlustes großer Multimere). Eine<br />
Triplet-Struktur ist praktisch nicht vorhanden. Es handelt sich also um nicht-prozessierten VWF (zu kurze Verweildauer<br />
im Plasma). C stellt das Gel niedriger Auflösungsfähigkeit densitometrisch dar. Der Verlust <strong>der</strong> großen Multimere<br />
(Pfeil auf <strong>der</strong> Grenze zwischen großen und mittelgroßen Multimeren) ist eindeutig erkennbar.<br />
Klinische Symptome<br />
Leitsymptom des klassischen VWS ist die<br />
verlängerte Schleimhautblutung: Blutungen<br />
nach Zahnextraktion, Epistaxis, Blutungen<br />
<strong>aus</strong> dem Magen-/Darmtrakt und<br />
dem Urogenitalsystem sowie Blutungen<br />
nach arteriellen Punktionen und Blutungen<br />
nach Einnahme von Aggregationshemmern<br />
o<strong>der</strong> Coumarinen.<br />
828<br />
Diagnostik<br />
Zur Bestätigung eines erworbenen von<br />
Willebrand-Syndroms müssen zunächst die<br />
auch bei dem angeborenen VWS notwendigen<br />
Tests eingesetzt werden (Tab. 2 und 3).<br />
Der Verdacht auf eine erworbene Form er -<br />
for<strong>der</strong>t eine sorgfältige Erhebung <strong>der</strong> Eigenund<br />
Familienanamnese. Bei Verdacht auf<br />
ein erworbenes VWS, das durch Antikörper<br />
gegen den VWF <strong>aus</strong>gelöst ist, kommt<br />
die Suche nach diesen Antikörpern hinzu. [3]<br />
Spezifische o<strong>der</strong> unspezifische Autoantikörper, die<br />
zur Immunkomplexbildung und verstärkter Elimination<br />
des VWF führen<br />
■ Lymphoproliferative Erkrankungen<br />
■ Neoplasien<br />
■ Immunologische Erkrankungen<br />
Adsorption des VWF an maligne Zellklone o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
Zelloberflächen<br />
■ Lymphoproliferative Erkrankungen<br />
■ Neoplasien<br />
■ Myeloproliferative Erkrankungen<br />
■ pathologischer Scherstress<br />
Verstärkte Proteolyse des VWF<br />
spezifisch<br />
■ Myeloproliferative Erkrankungen<br />
■ pathologischer Scherstress<br />
■ Urämie<br />
■ Ciprofloxacin<br />
unspezifisch (Plasmin)<br />
■ primäre Hyperfibrinolyse<br />
■ sekundäre Hyperfibrinolyse<br />
■ Lysetherapie<br />
Pathologischer Scherstress<br />
■ kongenitale Herzerkrankungen<br />
■ Aortenstenose<br />
■ Herzunterstützungssysteme<br />
■ Endokarditis<br />
■ Gefäßmalformationen<br />
(M. Osler, Kasabach-Merritt-Syndrom)<br />
■ schwere Arteriosklerose<br />
Vermin<strong>der</strong>te Synthese<br />
■ Unterfunktion <strong>der</strong> Schilddrüse<br />
Unbekannt<br />
■ Valproinsäure<br />
■ Viruserkrankungen<br />
■ Hepatopathien<br />
■ Amyloidose<br />
■ Glykogenspeicherkrankheit Typ 1<br />
Viruserkrankungen<br />
■ Turner-Syndrom<br />
Tab. 1: Pathogenetische Mechanismen bei verschiedenen<br />
Erkrankungen [6]<br />
A) Global- und Suchteste<br />
Eigen- und Familienanamnese<br />
(Blutungszeit)<br />
PFA-100 o<strong>der</strong> vergleichbare Instrumente<br />
aPTT<br />
Blutbild<br />
F VIII-Aktivität<br />
B) Spezifische Teste<br />
VWF-Antigen (VWF:Ag)<br />
Ristocetin cofactor Aktivität (VWF:RCo)<br />
Collagen Bindungskapazität (VWF:CB)<br />
C) Teste spezialisierter Laboratorien<br />
VWF Multimere<br />
VWF-Propeptid (VWF:AgII)<br />
Antikörper gegen den VWF<br />
Tab. 2: Teste zur Diagnostik des eVWS
Therapie<br />
Die Behandlung <strong>der</strong> Grundkrankheit hat in<br />
vielen Fällen die besten Erfolgs<strong>aus</strong>sichten.<br />
Wie bei dem angeborenen VWS stehen<br />
auch hier mit dem Desmopressin und den<br />
zugelassenen F VIII/VWF-Konzentraten<br />
zwei Hauptprinzipien <strong>der</strong> Behandlung zur<br />
Verfügung. Dabei sind aber die Beson<strong>der</strong>heiten<br />
des eVWS zu beachten. Sowohl<br />
FVIII/VWF-Konzentrate als auch Desmospressin<br />
wirken initial blutstillend bei myeloproliferativen<br />
Erkrankungen. Die Korrektur<br />
ist jedoch von deutlich kürzerer Dauer<br />
als bei dem angeborenen VWS. Außerdem<br />
kann die Normalisierung des VWF thromboembolische<br />
Komplikationen zur Folge<br />
haben. Gut belegt sind <strong>der</strong> schlechte<br />
Anstieg und die erheblich verkürzte Halbwertzeit<br />
nach Infusion von FVIII/VWF-<br />
Konzentraten und Desmopressin bei<br />
Patienten mit lymphoproliferativen<br />
Erkrankungen und monoklonaler Gammopathie.<br />
[5] Bei Nachweis von monoklonalem<br />
IgG ist die Anwendung von HDIgG meist<br />
erfolgreich, allerdings nur passager. Beim<br />
Typ IgM einer monoklonalen Gammopathie<br />
ist HDIgG wirkungslos. Hier bleibt<br />
lediglich die symptomatische Behandlung,<br />
zum Beispiel mit rekombinantem F VIIa.<br />
assoziierte Erkrankung<br />
n (%)<br />
VWF: Ag (median)<br />
Bereich<br />
VWF: CB (median)<br />
Bereich<br />
Ratio VWF: Ag / VWF: CB<br />
(median) Bereich<br />
Tab. 3: Laborbefunde bei den von uns im Jahr 2009 diagnostizierten Patienten mit erworbenem VWS<br />
Literatur<br />
kardiovaskulär<br />
45 (32 %)<br />
167 %<br />
52 – 602<br />
137 %<br />
36 – 478<br />
0,77<br />
0,3 – 1,02<br />
[1] Budde U, Schäfer G, Müller N, et al. Acquired von<br />
Willebrand’s disease in the myeloproliferative syndrome.<br />
Blood 1984; 64: 981-85.<br />
[2] Coppes MJ, Zandvoort SWH, Sparling CR, Poon AO,<br />
Weitzman S, Blanchette VS. Acquired von Willebrand dis -<br />
ease in Wilm’s tumor patients. J Clin Oncol 1992; 10: 422-7.<br />
[3] Fe<strong>der</strong>ici AB, Rand JH, Bucciarelli P, et al. Acquired von<br />
Willebrand syndrome: Data from an international registry.<br />
Thromb Haemost 2000; 84: 345-9.<br />
[4] Gill JC, Wilson AD, Endres-Brooks J, Montgomery RR.<br />
Loss of the largest von Willebrand factor multimers from<br />
plasma of patients with congenital cardiac defects. Blood<br />
1986; 67: 758-61.<br />
[5] Michiels JJ, Budde U, van Gen<strong>der</strong>en PJJ, et al. Acquired<br />
von Willebrand Syndromes: Clinical features, etiology,<br />
pathophysiology, classification and management. Best<br />
Pract Clin Haematol 2001; 14: 401-36.<br />
[6] Schneppenheim R, Budde U. von Willebrand-Syndrom<br />
und von Willebrand-Faktor. UNI-MED Verlag AG Bremen-<br />
London Boston 2. Aufl. 2006.<br />
[7] Shim K, An<strong>der</strong>son PJ, Tuley EA, Wiswall E, Sadler E.<br />
Platelet-VWF complexes are preferred substrates of<br />
ADAMTS13 un<strong>der</strong> fluid shear stress. Blood 2008; 111:<br />
651-57.<br />
[8] Simone JV, Cornet JA, Abildgaard CF: Acquired von<br />
Willebrand’s syndrome in systemic lupus erythematodes.<br />
Blood 1968; 31: 806-11.<br />
lymphoproliferativ<br />
26 (19 %)<br />
15,5 %<br />
6– 50<br />
6%<br />
Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />
Medizinische Versorgung im Zentrum<br />
Die MVZ Nord GmbH<br />
<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en Hamburg<br />
Dr. Hans-Martin Stubbe<br />
Das Gesetz zur Mo<strong>der</strong>nisierung <strong>der</strong><br />
gesetzlichen Krankenversicherung<br />
(GMG) vom 14. November 2003<br />
erlaubt seit dem 1. Januar 2004<br />
neben Vertragsärzten und Ermächtigten<br />
<strong>Ärzte</strong>n auch Medizinischen<br />
Versorgungszentren die Teilnahme<br />
an <strong>der</strong> ambulanten Versorgung<br />
gesetzlich Krankenversicherter.<br />
Die <strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH wurde<br />
am 27. Juni 2007 im Rahmen einer außer -<br />
ordentlichen Sitzung des Zulassungs<strong>aus</strong>schusses<br />
<strong>der</strong> KV Hamburg zugelassen und<br />
nahm am 1. September 2007 ihre Tätigkeit<br />
auf. Unternehmensziel ist die Komplettierung<br />
des medizinischen Angebotes im<br />
nie<strong>der</strong>gelassenen Bereich. Hier deckt sich<br />
das Ziel des Gesetzgebers, Ärztinnen und<br />
<strong>Ärzte</strong>n eine weitere Möglichkeit <strong>der</strong><br />
nie<strong>der</strong>gelassenen Tätigkeit zu eröffnen, mit<br />
unserer Intention. We<strong>der</strong> ist beabsichtigt,<br />
Arztpraxen in „lukrative“ Stadtteile zu<br />
verlegen, noch <strong>für</strong> Einweisungen in die<br />
eigenen Krankenhäuser zu sorgen. Um<br />
dies zu dokumentieren, gab die <strong>Asklepios</strong><br />
MVZ Nord GmbH bereits am 18. Juni 2008<br />
eine freiwillige, öffentliche Selbstverpflichtungserklärung<br />
gegenüber <strong>der</strong> Kassenärztlichen<br />
Vereinigung Hamburg ab, die dies<br />
<strong>aus</strong>schließt. Zu keinem Zeitpunkt wurde<br />
seither gegen diese Selbstverpflichtung<br />
verstoßen.<br />
Die Standorte unserer Gesundheitszentren<br />
befinden sich durchweg in eher strukturschwachen<br />
Gegenden Hamburgs und im<br />
Umland. Diese Strategie wird weiter verfolgt.<br />
Somit ist <strong>für</strong> uns <strong>der</strong> Westen Hamburgs<br />
nicht Blankenese son<strong>der</strong>n Osdorf.<br />
Mit <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> MVZ<br />
830<br />
MVZ NORD<br />
MVZ Labor Altona<br />
Labormedizin<br />
Dr. Otte<br />
Dr. Dittmer<br />
Dr. El Abd-Müller<br />
MVZ Harburg<br />
Gynäkologie, Psychiatrie,<br />
Orthopädie, Allg. Med.,<br />
Chirurgie, Kin<strong>der</strong>chirurgie,<br />
Gefäßchirurgie, Psychologie<br />
Dr. Unger<br />
Dr. Ude<br />
Dr. Bosse<br />
Dr. Bonitz-Swoboda MVZ Seevetal<br />
Dr. Hütter<br />
Gynäkologie, Orthopädie<br />
Dr. Halsner<br />
Dr. Gheorgiu<br />
Prof. Dr. Kallinowski Dr. Reichle<br />
Dr. Daum<br />
Hr. Maack<br />
Dr. Richter<br />
Hr. Kleinschmidt<br />
Dr. Zebidi<br />
Dipl.-Psych. Fränzi Martens<br />
Dipl.-Psych. Ziegler<br />
Dr. Johnsen (AKB)<br />
Nord GmbH haben die <strong>Asklepios</strong> <strong>Klinik</strong>en<br />
Hamburg Vertragsärzten die Möglichkeit<br />
gegeben, auch nach Übergabe <strong>der</strong> Praxis<br />
ohne wirtschaftliche Zwänge weiter ärztlich<br />
tätig zu sein. Auf diese Weise können<br />
sie dem wachsenden Problem, geeignete<br />
MVZ Bergedorf<br />
Innere Medizin,<br />
Orthopädie, Gynäkologie,<br />
Psychiatrie<br />
Dr. Sliwiok<br />
Dr. Weidenfeld<br />
Dr. Friedrichs<br />
Fr. Ballnus<br />
Dr. Godat<br />
Dr. Stammer (AKW)<br />
Fr. Kossin<br />
MVZ Heidberg-Ochsenzoll<br />
Pädiatrie, Radiologie,<br />
Neurochirurgie,<br />
Psychiatrie, Psychologie,<br />
Innere Medizin<br />
Dr. Theobald Hormann<br />
Fr. Wolf<br />
PD Dr. Veelken<br />
Dipl.-med. Wagner<br />
Prof. Dr. Kremer et al.<br />
Hr. Jungfer<br />
Dipl.-Psych. Ziertmann<br />
Dipl.-Psych. Heumann<br />
Dr. Nagel<br />
MVZ Mitte<br />
Kardiologie, Psychiatrie,<br />
Physiotherapie, Chirurgie<br />
Dr. Hinrichs<br />
Dr. Peschel<br />
Hr. Gensch<br />
PD Dr. Niemeyer<br />
Dr. Flügel<br />
MVZ Geesthacht<br />
Allg. Med., Orthopädie<br />
Dr. Hadaschick<br />
Dr. Logmani<br />
Dr. Pietschmann<br />
Fr. Radzko<br />
Praxisnachfolger zu finden, <strong>aus</strong> dem Wege<br />
gehen. Vielmehr haben sie nun sogar die<br />
Möglichkeit, ihre Erfahrung und ihr Wissen<br />
über einen selbst gewählten Zeitraum<br />
auf die Nachfolgerin o<strong>der</strong> den Nachfolger<br />
zu übertragen. Wie regelmäßige, wissen-
„In einer gesundheitspolitisch unsicheren Zeit gibt<br />
uns <strong>der</strong> Anschluss an den <strong>Asklepios</strong>-Konzern mehr<br />
finanzielle Sicherheit. Unsere Arbeitsplätze und die<br />
unserer Mitarbeiterinnen sind gesichert und es<br />
besteht die Möglichkeit, einer Teilzeittätigkeit nachzugehen.<br />
Im Umfeld des Konzerns ist die Urlaubsvertretung<br />
möglich somit ist die Kontinuität <strong>der</strong><br />
Patientenbetreuung gesichert. Der interdisziplinäre<br />
Aust<strong>aus</strong>ch wird geför<strong>der</strong>t und <strong>der</strong> Kontakt zu den<br />
<strong>Klinik</strong>en wird enger.“<br />
Dr. Edmund Hütter<br />
Dr. Peter Halsner<br />
MVZ Harburg<br />
schaftliche Untersuchungen im Unternehmen<br />
zeigen, erwächst <strong>aus</strong> diesem sanften<br />
Übergang auch <strong>für</strong> unsere Patienten mehr<br />
Sicherheit und Zufriedenheit.<br />
Die Medizinischen Versorgungszentren<br />
können aber auch <strong>für</strong> jüngere Kollegen<br />
eine interessante Option sein: Hier haben<br />
sie die Chance, ohne finanzielle Risiken<br />
eigenständig ambulant zu arbeiten. Sie<br />
nutzen sowohl die Sicherheit eines großen<br />
Unternehmens als auch die häufig besseren<br />
Arbeitsbedingungen in einer Praxis. Die<br />
bisherigen Erfahrungen zeigen, dass auch<br />
<strong>der</strong> Wegfall von Nacht- und Wochenenddiensten<br />
durch<strong>aus</strong> ein Argument bei <strong>der</strong><br />
Entscheidung <strong>für</strong> diesen ärztlichen Tätigkeitsbereich<br />
ist.<br />
Gemäß <strong>der</strong> Selbstverpflichtung, die im<br />
September 2009 noch einmal in Form einer<br />
eidesstattlichen Erklärung des Geschäftsführers<br />
bekräftigt wurde, gibt es auch<br />
keine Anweisungen an die Mitarbeiter, bei<br />
<strong>Klinik</strong>einweisungen bestimmte <strong>Klinik</strong>en zu<br />
bevorzugen.<br />
Eine oft über Jahrzehnte gewachsene o<strong>der</strong><br />
durch die räumliche Nähe geprägte<br />
Zusammenarbeit mit Krankenhäusern<br />
an<strong>der</strong>er Träger wird auch unter dem Dach<br />
<strong>der</strong> <strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH gepflegt<br />
und im besten Fall sogar weiter <strong>aus</strong>gebaut.<br />
Denn <strong>der</strong> aufgeklärte Patient mit seiner<br />
Entscheidungssouveränität steht auch hier<br />
im Vor<strong>der</strong>grund.<br />
Unter diesen Vorgaben hat sich die <strong>Asklepios</strong><br />
MVZ Nord GmbH sehr positiv ent -<br />
wickelt, <strong>der</strong>zeit sind hier 61 <strong>Ärzte</strong> und<br />
Psychologen mit Voll- o<strong>der</strong> Teilzeitverträgen<br />
angestellt. Auch künftig wird das<br />
Unternehmen innerhalb <strong>der</strong> selbst gesetzten<br />
und <strong>der</strong> vom Gesetzgeber vorgegebenen<br />
Regeln weiter wachsen – ohne die<br />
Interessen nie<strong>der</strong>gelassener <strong>Ärzte</strong> o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>er Krankenhäuser zu verletzen. Sollte<br />
Medizinische Versorgungszentren<br />
einmal ein an<strong>der</strong>er Eindruck entstehen,<br />
sind wir <strong>für</strong> Hinweise dankbar und zu<br />
je<strong>der</strong> Zeit gesprächsbereit.<br />
Kontakt<br />
Dr. Hans-Martin Stubbe<br />
Geschäftsführer<br />
<strong>Asklepios</strong> MVZ Nord GmbH<br />
Lohmühlenstraße 5, H<strong>aus</strong> W<br />
20099 Hamburg<br />
Tel. (0 40) 18 18-85 26 50<br />
Fax (0 40) 18 18-85 26 59<br />
E-Mail: h.stubbe@asklepios.com<br />
831
ISSN 1863-8341<br />
Geschichte <strong>der</strong> Medizin<br />
Vom guten Eiter bis zum Schnellverband:<br />
Die Geschichte <strong>der</strong> Wundversorgung<br />
Jens Oliver Bonnet<br />
Die Wundversorgung mit Verbandsmaterialien<br />
<strong>aus</strong> Blättern, Harzen o<strong>der</strong> Rinden<br />
ist vermutlich so alt wie die Menschheit<br />
selbst, auch wenn Aufzeichnungen dar -<br />
über nicht einmal 5.000 Jahre zurück reichen:<br />
Papyrusrollen <strong>aus</strong> dem alten Ägypten<br />
beschreiben Verletzungen, die mit in<br />
Öl und Honig getränktem feinen Leinen<br />
verbunden wurden.<br />
Bereits Hippokrates (460 – 375 v. Chr.) un -<br />
terschied Schnittwunden ohne Verunreinigung<br />
von komplizierten Verletzungen mit<br />
abgestorbenem Gewebe. Schnittwunden<br />
reinigte er mit Wein o<strong>der</strong> abgekochtem<br />
Regenwasser, vernähte sie und ließ sie unter<br />
mit starkem Rotwein getränkten Leinen -<br />
kompressen primär heilen. Verschmutzte<br />
o<strong>der</strong> entzündete Wunden mussten dagegen<br />
schnell durch den Vorgang <strong>der</strong> Eiterung<br />
gebracht werden, offen bleiben und<br />
sekundär heilen. Nach <strong>der</strong> Vier-Säfte-Lehre<br />
interpretierte Hippokrates die Entzündung<br />
als Säftestau, <strong>der</strong> durch Eiterung aufgelöst<br />
werden kann. Obwohl die <strong>Ärzte</strong> <strong>der</strong> Antike<br />
we<strong>der</strong> weiße Blutkörperchen noch<br />
Bakterien kannten, ahnten sie bereits die<br />
Bedeutung <strong>der</strong> verschiedenen Eiterformen:<br />
Weißer Eiter galt als günstig (Pus bonum et<br />
laudabile), dünnflüssiger o<strong>der</strong> stinken<strong>der</strong><br />
Eiter dagegen als prognostisch ungünstig. [1]<br />
In speziellen Fällen riefen die <strong>Ärzte</strong> gezielt<br />
eine Eiterung hervor, wenn die Wunde<br />
nicht primär verheilen konnte. Bei Entzündungszeichen<br />
in primär heilbaren Wunden<br />
trugen sie dagegen entzündungshemmende<br />
Mineralstoffe und Kräuter auf. Um die<br />
Wundeiterung in zerklüfteten und verschmutzten<br />
Wunden zu stimulieren, brachte<br />
Hippokrates in Wein abgekochte Schafswolle<br />
in die Wunde ein – dabei achtete er<br />
auf größtmögliche Reinlichkeit. Aulus<br />
Cornelius Celsus (ca. 25 v. Chr. – 50 n. Chr.)<br />
erwähnt in seinen Schriften Techniken <strong>der</strong><br />
Blutstillung und <strong>der</strong> Kauterisation durch<br />
www.medtropole.de<br />
Hilfe zur Selbsthilfe: <strong>der</strong> erste Pflasterschnellverband<br />
Ausbrennen <strong>der</strong> Wunde mit einem heißen<br />
Eisen, [1] Claudius Galen (129 – 216 n. Chr.)<br />
beschreibt bereits 108 verschiedene Verbände,<br />
darunter die bis heute gebräuchlichen<br />
Schildkröten- und den Kornährenverbände.<br />
Im kirchlich geprägten Mittelalter gab es<br />
nur wenige <strong>Ärzte</strong> in Diensten <strong>der</strong> Adligen<br />
und Reichen, während die medizinische<br />
Versorgung <strong>der</strong> Bevölkerung vor allem<br />
durch Ba<strong>der</strong>, Barbiere, Scherer und „weise<br />
Frauen“ geleistet wurde. [2] Das im Mittel -<br />
alter verbreitete Einbringen von Schmutz<br />
in primär heilbare Wunden beruhte vermutlich<br />
auf einer Fehlinterpretation des<br />
Hippokratischen Konzeptes des lobenswerten<br />
Eiters. Eine bahnbrechende Entdeckung<br />
machte <strong>der</strong> französische Barbier<br />
Ambroise Paré (1510 – 1590), <strong>der</strong> als Militärchirurg<br />
die bis dahin mit kochendem<br />
Holun<strong>der</strong>öl kauterisierten Schusswunden<br />
mit einem Digestivum <strong>aus</strong> Eigelb, Rosenöl<br />
und Terpentin bestrich, weil ihm während<br />
eines Gefechts das Öl <strong>aus</strong>ging: Den so<br />
Behandelten erging es erheblich besser als<br />
ihren kauterisierten Kameraden. [3]<br />
1865 entdeckte Louis Pasteur, dass Gärung<br />
und Fäulnis durch mikroskopisch kleine<br />
Lebewesen verursacht werden. Joseph Lister<br />
erkannte, dass diese Keime <strong>für</strong> Wundinfektionen<br />
verantwortlich waren und<br />
führte 1867 den mit Karbolsäure getränkten<br />
Wundverband ein, <strong>der</strong> die Todesraten<br />
in den <strong>Klinik</strong>en deutlich senkte. [4] Einen<br />
weiteren Meilenstein legte <strong>der</strong> Tübinger<br />
Chirurg Viktor von Bruns 1870 mit <strong>der</strong><br />
Erfindung <strong>der</strong> hydrophilen Verbandwatte,<br />
indem er Baumwolle bleichte und entfettete.<br />
1874 beschrieb Lister ein Verfahren zur<br />
Herstellung eines keimabtötenden Wundverbands,<br />
<strong>der</strong> Listerschen Carbolgaze.<br />
1922 brachte die Hamburger Firma Beiersdorf<br />
mit dem Hansaplast Schnellverband<br />
mit Mullkissen den ersten Pflasterverband<br />
auf den Markt, <strong>der</strong> eine eigenständige Versorgung<br />
kleiner Verletzungen durch den<br />
Patienten ermöglichte. Bis dahin erfor<strong>der</strong>ten<br />
selbst Bagatellverletzung professionelle<br />
Hilfe. 1962 legte Georg Winter den Grundstein<br />
<strong>für</strong> die mo<strong>der</strong>ne feuchte Wundbehandlung<br />
sekundär heilen<strong>der</strong> Wunden. [5]<br />
Literatur<br />
[1] Majno G. The Healing Hand – Man and Wound in the<br />
Ancient World, Harvard University Press, Cambridge 1975.<br />
[2] Ackerknecht EH. Geschichte <strong>der</strong> Medizin, 5. Auflage,<br />
Stuttgart 1986: 75.<br />
[3] Forrest, R. D.: Development of wound therapy from the<br />
dark ages to the present, Journal of the Royal Society of<br />
Medicine 1982, Bd. 75: 268-73.<br />
[4] Lister J. On a new method of treating compound<br />
fracture, abscess, etc., The Lancet. 1867; 45: 326-29.<br />
[5] Winter GD. Formation of the scab and the rate of epithelization<br />
of superficial wounds in the skin of the young<br />
domestic pig. Nature. 1962; 193: 293-4.<br />
BUCHTIPP<br />
W. Sellmer, A. Bültemann, W. Tigges<br />
Wundfibel: Wunden versorgen, behandeln, heilen<br />
193 S.; MWV 2010; € 24,95<br />
ISBN: 978-3-941468-14-6