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medtropoleAktuelles aus der Klinik für einweisende Ärzte - Asklepios

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Medtropole | Ausgabe 22 | Juli 2010<br />

Indikationsstellung<br />

Stationäre Behandlung<br />

Im Krankenh<strong>aus</strong> ist durch die ständige<br />

ärztliche und pflegerische Präsenz eine<br />

kontinuierliche körperliche Überwachung<br />

und Ansprechbarkeit gegeben. Die Tagesund<br />

Mahlzeitenstruktur ist vorgegeben, die<br />

Distanz zum belastenden Beziehungsumfeld<br />

o<strong>der</strong> Alltagsgeschehen durch die stationäre<br />

Aufnahme hergestellt. Abzuwägen<br />

ist, ob die „käseglockenartige“ Abschirmung<br />

durch das stationäre, regressionsfördende<br />

Milieu hilfreich ist, da es den Übergang<br />

in den Alltag erschwert. Für die meist<br />

jungen Patienten bedeutet ein <strong>Klinik</strong>aufenthalt<br />

in <strong>der</strong> Regel eine längere Unterbrechung<br />

von Schule, Ausbildung o<strong>der</strong> gerade<br />

begonnener Berufs<strong>aus</strong>bildung, die wie<strong>der</strong>um<br />

destabilisierend wirken kann.<br />

Bei <strong>der</strong> Anorexie ist eine <strong>Klinik</strong>behandlung<br />

indiziert bei raschem o<strong>der</strong> anhaltendem<br />

Gewichtsverlust (mehr als 20 Prozent über<br />

sechs Monate), gravierendem Untergewicht<br />

(BMI < 15 kg/m²) o<strong>der</strong> bei seit drei<br />

Monaten trotz ambulanter o<strong>der</strong> tagesklinischer<br />

Therapie stagnierendem erheblichem<br />

Untergewicht. Auch wenn soziale o<strong>der</strong><br />

familiäre Einflussfaktoren den Gesundungsprozess<br />

stark behin<strong>der</strong>n, ambulante<br />

o<strong>der</strong> tagesklinische Behandlungsmöglichkeiten<br />

unzureichend sind o<strong>der</strong> eine geringe<br />

Krankheitseinsicht besteht, ist an eine stationäre<br />

Behandlung zu denken. Medizinische<br />

Komplikationen wie schwere Infekte,<br />

körperliche Schwäche o<strong>der</strong> Herzrhythmusstörungen<br />

machen einen Krankenh<strong>aus</strong>aufenthalt<br />

unabdingbar. Bei <strong>der</strong> Bulimia nervosa<br />

sollte einer stationären Behandlung<br />

<strong>der</strong> Vorzug gegeben werden, wenn die<br />

Symptomatik so stark <strong>aus</strong>geprägt ist, dass<br />

<strong>der</strong> Alltag nicht mehr bewältigt werden<br />

kann o<strong>der</strong> wenn Impulsdurchbrüche in<br />

verschiedener Gestalt vorliegen (zum Beispiel<br />

Ess/Brechanfälle, selbstverletzendes<br />

Verhalten, Wut<strong>aus</strong>brüche, Suizidgedanken).<br />

Stärkere körperliche Beeinträchtigungen<br />

indizieren ebenfalls eine stationäre<br />

Therapie.<br />

Teilstationäre Behandlung<br />

Ein großer Vorteil <strong>der</strong> Tagesklinik ist die<br />

intensive Übungssituation: Täglich können<br />

Aspekte <strong>aus</strong> <strong>der</strong> Therapie zu H<strong>aus</strong>e <strong>aus</strong>probiert<br />

werden und im Alltag auftretende<br />

Schwierigkeiten (zum Beispiel mit dem<br />

816<br />

Essen o<strong>der</strong> in zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen) fließen unmittelbar in die<br />

Behandlung ein. Das Selbstwirksamkeits -<br />

erleben <strong>der</strong> Patienten wird gestärkt („Ich<br />

habe etwas verän<strong>der</strong>t“), Nähe und Distanz<br />

lassen sich leichter regulieren.<br />

Nachteilig kann sich <strong>aus</strong>wirken, dass sich<br />

die Patienten nicht so umfassend von ihren<br />

Alltagsaufgaben zurückziehen o<strong>der</strong> sich<br />

nicht <strong>aus</strong> destruktiven Beziehungen lösen<br />

können. Pathologische Verhaltensweisen<br />

können leichter unbemerkt (heimlich) aufrecht<br />

erhalten werden. Für Magersuchterkrankte<br />

sind insbeson<strong>der</strong>e tagesklinische<br />

Modelle sinnvoll, die einen abgestuften<br />

Übergang in ein ambulantes Setting anbieten.<br />

Optimal sind Angebote, bei denen die<br />

Behandler <strong>der</strong> Station die Therapie auch in<br />

<strong>der</strong> Tagesklinik weiterführen (Behandlerkontinuität,<br />

Rückkehr an den vertrauten<br />

Ort). Für viele Patienten mit Bulimie ist<br />

die Tagesklinik <strong>der</strong> stationären Behandlung<br />

überlegen, vor allem, wenn die Symptomatik<br />

zwar noch regelmäßig vorhanden ist,<br />

aber nicht mehr so destruktiv umfassend<br />

auftritt. Bulimikerinnen profitieren sehr<br />

vom Übungscharakter <strong>der</strong> tagesklinischen<br />

Behandlungsform. [4,5,6]<br />

Bei Patienten mit Binge-Eating-Störung ist<br />

eine komplexe Therapie, stationär o<strong>der</strong><br />

tagesklinisch, insbeson<strong>der</strong>e dann indiziert,<br />

wenn bereits eine Adipositas mit Folge -<br />

erkrankungen entstanden ist.<br />

Fazit<br />

Essgestörte Patientinnen benötigen differenzierte<br />

Behandlungsangebote: ambulant,<br />

tagesklinisch als Alternative zur stationären<br />

Behandlung o<strong>der</strong> als Vor- und Nachbehandlung,<br />

sowie vollstationäre Behandlungsplätze,<br />

auch zur Krisenintervention<br />

ohne längere Wartezeit. Während <strong>für</strong><br />

Patientinnen mit Anorexia nervosa stationäre<br />

mit anschließenden nachstationären<br />

tagesklinischen Behandlungen oft die<br />

geeignetste Form darstellen, profitieren<br />

Bulimikerinnen mit mittelschweren Symptom<strong>aus</strong>prägungen<br />

nach neueren Erkenntnissen<br />

sogar eher von intensiven tagesklinischen<br />

Behandlungsangeboten als von<br />

vollstationären Settings. Patientinnen und<br />

Patienten mit Binge-Eating-Störung können<br />

häufig ambulant <strong>aus</strong>reichend versorgt<br />

werden – es sei denn, es ist bei chronischen<br />

langfristigen Störungen bereits zu massiver<br />

Gewichtszunahme mit Adipositas und entsprechenden<br />

Folgeerkrankungen psychischer<br />

und körperlicher Art gekommen.<br />

Stationäre und teilstationäre Programme<br />

<strong>für</strong> essgestörte Patientinnen sollten sowohl<br />

strukturierte symptomorientierte Angebote<br />

enthalten, als auch Angebote, in welchen<br />

die psychischen Schwierigkeiten <strong>der</strong><br />

Patienten aufgegriffen werden.<br />

Literatur<br />

[1] Fichter MM, Quadflieg N. Twelve-year course and outcome<br />

of bulimia nervosa. Psychol Med. 2004; 34: 1395-406.<br />

[2] Steinh<strong>aus</strong>en HC. The outcome of anorexia nervosa in<br />

the 20th century. Am J Psychiatry. 2002; 159: 1284-93.<br />

[3] Zeeck A. in: Herpertz S, de Zwaan M, Zipfel S (Hrsg.)<br />

Handbuch Essstörungen und Adipositas, Springer 2008:<br />

214.<br />

[4] Zeeck A, Hartmann A. Stationäre und teilstationäre<br />

Therapie bei Anorexie und Bulimie. Ärztl Psychother<br />

Psychosomat. 2008; Med 1: 17-24.<br />

[5] Zeeck A, Sandholz A, Hipp W, Schmidt A. Stationäre<br />

und teilstationäre Bulimietherapie – das Freiburger Konzept.<br />

Psychotherapeut. 2005; 50(1): 43-51.<br />

[6] Zeeck A, Weber S, Sandholz A, Wetzler-Burmeister E,<br />

Wirsching M, Hartmann A. Inpatient versus day clinic treatment<br />

for Bulimia nervosa: A randomized controlled trial.<br />

Psychother Psychosom. 2009; 78(3): 152-60.<br />

[7] Zipfel S, Lowe B, Reas DL, Deter HC, Herzog W. Longterm<br />

prognosis in anorexia nervosa: lessons from a 21-year<br />

follow-up study. Lancet. 2000; 355: 721-2.<br />

Kontakt<br />

Dr. Helge Fehrs<br />

Abteilung <strong>für</strong> Psychosomatische Medizin<br />

und Psychotherapie<br />

<strong>Asklepios</strong> Westklinikum Hamburg<br />

Suurheid 20, 22559 Hamburg<br />

Tel. (0 40) 81 91-25 01<br />

Fax (0 40) 81 91-25 99<br />

E-Mail: h.fehrs@asklepios.com

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