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Religiöse Politik und politische Religion im Kontext interner ...

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Wichtiger noch ist, dass <strong>Religion</strong> einerseits eine verfügbare <strong>und</strong> leicht zugängliche Ressource<br />

darstellt, andererseits bei Zuwiderhandlungen gegen Ge- <strong>und</strong> Verbote über Sanktionsmittel<br />

verfügt, die von Bestrafung bis zum Ausschluss aus der Gemeinschaft reichen. Dies schafft<br />

Zusammengehörigkeit, aber auch Angst <strong>und</strong> Scham, wenn den Ansprüchen nicht genügt oder<br />

an den Gr<strong>und</strong>annahmen gezweifelt wird.[12] Allerdings gilt diese Einschätzung nur bedingt für<br />

nicht-abrahamitische <strong>Religion</strong>en, d.h., sie mag für die Wahrnehmung in Südthailand zutreffen,<br />

erklärt aber nicht den Aufstieg f<strong>und</strong>amentalistischer Tendenzen in buddhistischen<br />

Gemeinschaften. Gerade der Buddhismus als ‘<strong>Religion</strong> ohne Gott’[13] hat als Doktrin mehr mit<br />

logischen Ableitungen zu tun als mit ‘Glauben’ <strong>im</strong> herkömmlichen Sinne. Seine leichte<br />

Zugänglichkeit als Ressource liegt auf einer anderen Ebene. Dies gilt in geringerem Maße<br />

auch für den Hinduismus.<br />

2. <strong>Religiöse</strong> Rituale beinhalten <strong>im</strong>mer auch Tabus: bezogen auf Nahrungsmittel, Personen,<br />

Außenstehende, Sexualität, Geschlecht. Ob solche Tabus, z.B. gegen Nahrungsmittel<br />

irgendwann einmal eine rationale Basis hatten, sei dahingestellt, gegenwärtig dienen sie vor<br />

allem zur Kontrolle <strong>und</strong> Dominanz, haben also eine irrationale Machtfunktion. Gleichzeitig sind<br />

diese Tabus <strong>und</strong> ihre Verpflichtungen <strong>im</strong> Gr<strong>und</strong>e unerfüllbar, so dass ein ständiger latenter<br />

Konflikt in der Gemeinschaft erzeugt wird, der geleugnet <strong>und</strong>/oder abgelenkt werden muss: auf<br />

einen anderen, den sprichwörtlichen Sündenbock. Der geschmähte Andere hat nicht nur das,<br />

was man selbst besitzen möchte, sondern tut auch die Dinge, die man selbst tun möchte, aber<br />

nicht darf. Die daraus resultierende latente Neurose könnte eine psychologische Erklärung für<br />

religiöse Gewalt, Selbstmordattacken <strong>und</strong> die Zunahme des F<strong>und</strong>amentalismus über<br />

Eisenstadt hinaus liefern, hier ist allerdings große Vorsicht geboten. Diese Erklärung gilt<br />

offensichtlich nicht <strong>im</strong>mer <strong>und</strong> nie für alle <strong>Religion</strong>en, erklärt daher nicht den Anstieg religiöser<br />

Gewalt gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Sie gilt z.B. nicht für buddhistische<br />

Gesellschaften, wo die Tabus <strong>und</strong> Verbote fast ganz aus der Gesellschaft ausgelagert <strong>und</strong> auf<br />

die Gemeinschaft der Mönche, den Sangha, übertragen werden.<br />

3. Andererseits ist die Verführung, die eine Ideologie mit einfachen Erklärungen <strong>und</strong> wenig<br />

intellektuellen Ansprüchen ausübt, nicht zu leugnen. In Gesellschaften mit geringer sozialer<br />

Kohäsion könnte sie die einzige Organisationsbasis <strong>und</strong> eine Art ‘sozialen Kitt’ darstellen. Die<br />

in manchen <strong>Religion</strong>en postulierte prinzipielle Gleichheit verschleiert <strong>und</strong> stabilisiert dabei<br />

bestehende Machtverhältnisse, besonders solche sexueller Art. Rituale <strong>und</strong> Tabus schaffen<br />

nämlich neben der Zusammengehörigkeit ein Gefühl des Stolzes: - wir sind besser als andere -<br />

<strong>und</strong> verleihen dadurch irrationalen Aktionen Sinn. Das heißt dann weiter, Dinge <strong>und</strong> Akte, die<br />

als böse oder sündhaft gelten, können dann auch durch die religiöse Überhöhung nicht nur<br />

akzeptabel, sondern gut <strong>und</strong> sinnvoll werden: diese Akte werden nicht innerhalb der<br />

Gemeinschaft, sondern außerhalb <strong>und</strong> an ‘Sündenböcken’ vollzogen, die sie ‘verdient’ haben.<br />

<strong>Religion</strong> als sozialer Kitt ist keineswegs, wie Adorno annahm, eine Erscheinung der Moderne:<br />

eine unverbindliche, ideologische Hülle in der säkularisierten Gesellschaft.[14] Adorno<br />

übersieht hier, dass gesellschaftliche Kohäsion <strong>im</strong>mer eine ganz zentrale, ja, wie Feil<br />

nachweist, vielleicht die zentrale Funktion von <strong>Religion</strong> als religio war.[15] Feil verweist auf<br />

Macchiavelli <strong>und</strong> Hobbes, man könnte auch noch aus dem indischen Raum Kautilya anführen.<br />

Es st<strong>im</strong>mt allerdings, dass die <strong>im</strong>plizite Wahrheit von <strong>Religion</strong> anfechtbarer geworden ist, je<br />

nötiger anscheinend ihre Funktion als sozialer Kitt wird.[16] Daher wird die Autorität der<br />

<strong>Religion</strong> nicht nur härter, sondern auch mit destruktiven Mitteln verteidigt. Hier haben wir einen

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