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Religiöse Politik und politische Religion im Kontext interner ...

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kommen, gleichzeitig mit moralischen Betrachtungen zum ökonomischen Handeln <strong>und</strong><br />

Entscheiden verb<strong>und</strong>en ist. Wie stark diese Annahmen noch bis vor relativ kurzer Zeit gewirkt<br />

haben, sehen wir in Webers Konzept der protestantischen Ethik <strong>und</strong> dem Geist des Kapitalismus,<br />

aber auch in den Konzepten von karma <strong>und</strong> dharma in Buddhismus <strong>und</strong> Hinduismus. Die moral<br />

economy bietet damit Erklärungen dafür, warum eben so selten revoltiert wird: dies bedeutet die<br />

Gefährdung oder gar Aufgabe sozialer Beziehungen, die zu Verlust <strong>und</strong>/oder Scham führt.<br />

Die Moderne, vielleicht erst die Postmoderne, löste diese Verbindung von <strong>Religion</strong> <strong>und</strong><br />

ökonomischem Handeln, also die moral economy auf <strong>und</strong> ersetzte sie einerseits durch den <strong>im</strong><br />

Nationalstaat aufgehobenen Wohlfahrtsstaat, andererseits durch einen neo-liberalen Kapitalismus,<br />

der nur noch sich selbst gehorcht. Die moral economy musste der absoluten Gewinnmax<strong>im</strong>ierung<br />

weichen.<br />

Polanyi[18] hat diese Entzauberung als Entbettung der Wirtschaft von der Gesellschaft <strong>und</strong> ihrer<br />

Moral bezeichnet. Im Prozess des Handelns <strong>und</strong> Feilschens verlieren moralische Gesetze ihre<br />

Gültigkeit: was sich an den calvinistischen Kapitalisten der USA sehr schön beobachten lässt, bei<br />

denen die Gewinnmax<strong>im</strong>ierung direkt ins H<strong>im</strong>melreich führt. Diese Entbettung droht heute den<br />

Wohlfahrtsstaat zu zerstören, der bisher durch den gleichzeitig mit dem Kapitalismus entstehenden<br />

Nationalstaat gewährleistet wurde. Der Nationalstaat brachte seine eigene Moral, geb<strong>und</strong>en an<br />

sozialen Sinn hervor, der den Verlust von <strong>Religion</strong> teilweise auffangen konnte.<br />

In der neoliberalen Welt jedoch verstärkt sich die Desorientierung des einzelnen dadurch, dass<br />

soziale Prozesse überindividuell ablaufen, also von Menschen geschaffene Bedingungen nicht<br />

mehr als solche wahrgenommen werden. Zur Bewältigung dieses Zustandes werden diese<br />

Vorgänge personalisiert, stereotypisiert <strong>und</strong> naturalisiert.[19] Hier stellt sich jedoch die ganz<br />

entscheidende Frage, welchen Interessen z.B. Naturalisierung gehorcht. M.a.W.: warum hat zum<br />

gegenwärtigen Zeitpunkt die Biogenetik die Bedeutung <strong>und</strong> die Akzeptanz erlangt, die sie jetzt<br />

besitzt? Man ist hier versucht, an die berühmten ‘Sachzwänge’ früherer Jahrzehnte zu denken<br />

oder gar an die normative Kraft des Faktischen.<br />

Das Phänomen des <strong>Religion</strong>sverlustes gilt allerdings für die von uns untersuchten Länder nur<br />

bedingt, denn hier werden sowohl Nation, Staat <strong>und</strong> ökonomischer Egoismus religiös unterfüttert.<br />

Buddhismus wie Hinduismus (wie ja auch das Christentum) haben Vorstellungen staatlicher<br />

Wohlfahrt entwickelt, die der Verantwortung des Einzelnen für sein – auch wirtschaftliches –<br />

Wohlergehen <strong>und</strong> seine Rettung nicht entgegenstehen: Es ist die Verantwortung des Herrschers,<br />

hierfür die geeignete Umgebung <strong>und</strong> Bedingungen zu schaffen.<br />

In Südostasien hat aber <strong>Religion</strong> die Entwertung der moral economy nicht verhindern können. Dies<br />

ist z.B. am Untergang von Patronagebeziehungen zu beobachten: die moral economy der<br />

Patronage ist nicht durch neue Formen der moral economy wie den Wohlfahrtsstaat oder neue<br />

Formen sozialer Organisation ersetzt worden, wie wir sie z.B. in Indien finden. Die Entstehung des<br />

sog. Gangsterkapitalismus in Russland wäre ein weiteres Beispiel.<br />

Was wir dann hier hätten, wäre eine erste Erklärung für die angesprochene religiöse F<strong>und</strong>ierung<br />

des ökonomischen Egoismus <strong>und</strong> Marktf<strong>und</strong>amentalismus. <strong>Religion</strong> wäre dann zum letzten Mittel<br />

sozialer wie ökonomischer Kohäsion geworden, legit<strong>im</strong>iert aber gleichzeitig die<br />

Gewinnmax<strong>im</strong>ierung, also die amoralische, neoliberale Marktideologie. Es scheint demnach so, als<br />

brauche der globale Marktf<strong>und</strong>amentalismus, der sich jetzt als ein solcher Sachzwang <strong>und</strong> gar als<br />

einzig moralische Instanz ausgibt, gerade die <strong>Religion</strong>, um sich selbst als praktisch gottgegeben zu

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