4 - Institut für Zeitgeschichte
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164 Ellen Gibbels<br />
4. Das neurologische Syndrom<br />
Gemäß dem Vorangeschickten war bei der Analyse der Filmaufnahmen das Augenmerk<br />
auf die Bewegungsabläufe bei Hitler zu richten und nach Hinweisen auf Hypokinese,<br />
Rigor und Ruhetremor zu suchen. Filmaufnahmen der zwanziger, vor allem<br />
aber der dreißiger Jahre 34 zeigen einen sich je nach Anlaß gravitätisch und gemessen<br />
oder aber dynamisch, lebhaft und sogar mit skurriler Geschwindigkeit bewegenden<br />
Hitler. Es fällt die Neigung des Rechtshänders auf, bei öffentlichen Reden den rechten<br />
Arm eher zum Gestikulieren einzusetzen, wobei sich die linke Hand am Rednerpult<br />
abstützt, manchmal auch das Manuskript oder den Zettel mit Stichworten festhält. Ein<br />
ähnlich unterschiedlicher Einsatz der beiden Arme läßt sich in anderen Situationen beobachten,<br />
die es erfordern, gemäß dem traditionellen Ritus den rechten Arm immer<br />
wieder zum „Deutschen Gruß" zu erheben oder ihn sogar - bei der Abnahme von<br />
Vorbeimärschen - mit nur Sekunden währenden Zwischenpausen längere Zeit in dieser<br />
Position zu belassen. Die linke Hand verharrt dann meist am Koppelschloß des<br />
Gürtels oder hält die Mütze bei angewinkeltem Arm vor den Unterleib. Diese Beobachtungen<br />
legen es nahe, eine sog. habituelle, also gewohnheitsmäßige Bevorzugung<br />
des rechten Armes <strong>für</strong> Willkür- und Ausdrucksbewegungen, demzufolge manchmal<br />
auch <strong>für</strong> Mitbewegungen, anzunehmen. Dem könnte die Verletzung der linken Schultergegend<br />
beim Novemberputsch des Jahres 1923 mit einer anfangs wahrscheinlich<br />
längeren Ruhigstellung des linken Armes Vorschub geleistet haben. Reste einer anhaltenden<br />
Beeinträchtigung sind jedoch nicht zu entdecken. Immer wieder sieht man<br />
nämlich Hitler, wie er mit raschen, weitausgreifenden Schritten und dabei seitengleich<br />
ausgiebig pendelnden Armen geht, wie er bei Ansprachen intermittierend und kraftvoll<br />
beide Arme gestikulatorisch einsetzt, ja den linken Arm selten sogar einmal über<br />
längere Zeit ausschließlich gebraucht 35 .<br />
Da sich bei der Betrachtung der Dokumentarfilme bis zum Jahre 1940 keine Änderung<br />
des Hitlerschen Bewegungsbildes ergeben hatte, schien es nicht erforderlich,<br />
bereits die Wochenschauen der dreißiger Jahre einer systematischen Analyse zu unterziehen.<br />
Somit setzte diese Form der Untersuchung an Wochenschauausgaben des<br />
Jahres 1940 ein. Im folgenden werden, chronologisch geordnet, die eigenen Protokolle<br />
mit den Ergebnissen der neurologischen Inspektion <strong>für</strong> solche Wochenschauausgaben<br />
wiedergegeben, die <strong>für</strong> den jeweiligen Zeitabschnitt repräsentativ sind.<br />
In: Mein Kampf; Hitler - eine Karriere; Wahlkampfrede 1933; Triumph des Willens; Die bunte Filmschau.<br />
Vgl. die Anmerkungen 8-12.<br />
35 Vgl. Deulig-Tonwoche vom 4.11.1936. Hitler hatte gemäß den Tagesnotizen Morells ja auch selbst<br />
gesagt, daß der linke Arm nach der Verletzung 1923 durch „angestrengteste Eigenübungen" wieder<br />
völlig normal funktioniert habe. (Eintrag vom 31.3. 1945, in: BA, NL 348/3). Entsprechend äußerte<br />
sich Morell bei der Vernehmung durch US-Offiziere; vgl. CIR/4, S. 6, in: BA, FC 6183. Demnach sind<br />
Zweifel angebracht, wenn Hitlers Sekretärin Christa Schroeder meinte, daß die linke Schulter seit der<br />
Verletzung „etwas steif" geblieben sei. Christa Schroeder, Er war mein Chef. Aus dem Nachlaß der<br />
Sekretärin von Adolf Hitler, hrsg. von Anton Joachimsthaler, München/Wien 2 1985, S. 70.