1998, 24. Jahrgang (pdf) - Studienkreis Rundfunk und Geschichte
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Telefunken erreicht, die technisch weiter dachten,<br />
für die Errichtung mehrerer, gleichmaßig<br />
Ober das Reich verteilter Sender pladierten3 <strong>und</strong><br />
damit unbewußt erstmals deutlich machten, daß<br />
Standortfragen virulent werden könnten.<br />
Aber weder der Vorschlag der »Deutschen<br />
St<strong>und</strong>e« noch derjenige des Lorenz-Telefunken<br />
Konsortiums wurden nach den ursprünglichen<br />
Vorstellungen realisiert. Probesendungen der<br />
Hauptfunksteile Königs Wusterhausen ergaben<br />
qualitativ nur mangelhafte Empfangsergebnisse,<br />
da die Industrie noch keine für größere Raume<br />
geeignete Lautsprecher anbieten konnte. So sah<br />
sich die Post gezwungen, ihren technisch <strong>und</strong>urchführbaren<br />
Plan eines »Zentralfunks« Ober<br />
Bord zu werfen <strong>und</strong> ab Herbst 1922 ein ganz<br />
anderes Konzept zu verfolgen: das der Dezentralisation<br />
mit mehreren Senderstandorten. ln<br />
diesem Zusammenhang hatte sie sich die Frage<br />
nach den Kriterien zu stellen, die für eine sachgerechte,<br />
d.h. ökonomisch wie technisch tragfahige,<br />
Auswahl dieser Standorte zugr<strong>und</strong>e gelegt<br />
werden sollten. Die Kriterien glaubte die Post bei<br />
den auch als »R<strong>und</strong>spruch« bezeichneten Exklusivdiensten<br />
für Presse <strong>und</strong> Wirtschaft, d.h. bei<br />
deren Akzeptanz, sowie dem Telegrammaufkommen<br />
ausgewahlter größerer Stadte gef<strong>und</strong>en<br />
zu haben. 4 Schließlich wurden neun Großstadte<br />
- in alphabetischer Reihenfolge: Berlin,<br />
Breslau, Frankfurt am Main, Hamburg, Köln bzw.<br />
für eine Übergangszeit Münster, Königsberg,<br />
Leipzig, München <strong>und</strong> Stuttgart - als Standorte<br />
von Sendern bestimmt, die - geographisch gesehen<br />
- etwa gleich große Sendegebiete zu versorgen<br />
hatten. Doch nach wie vor galt das Konzept,<br />
von der Deutschen St<strong>und</strong>e das Programm<br />
zusammenstellen <strong>und</strong> zentral in Berlin abspielen<br />
zu lassen, wobei die Bezirkssender als bloße<br />
Relaisstationen gedacht waren.<br />
Doch ein weiterer Sinneswandel der postalischen<br />
Ministerialbürokratie scheint sich in den<br />
darauffolgenden Wintermonaten, vor allem im<br />
Frühjahr 1923 vollzogen zu haben, wie ein<br />
R<strong>und</strong>schreiben des Reichspostministeriums an<br />
die Oberpostdirektionen vom 6. Juli dokumentiert.<br />
Die oberste Postbehörde machte darin ihre<br />
Mittelinstanzen mit den Ergebnissen der bisherigen<br />
Verhandlungen zwischen den beteiligten<br />
Reichsressorts, vor allem mit den Sicherheitsbedenken<br />
der Beamten des Reichsinnenministeriums<br />
gegen eine Privatgesellschaft, die auch politische<br />
Nachrichten verbreiten werde, bekannt.<br />
Und es war in diesem R<strong>und</strong>schreiben nicht mehr<br />
allein von Vorführungen des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>programms<br />
gegen Eintrittsgeld die Rede, sondern<br />
auch vom Zugestandnis, die Darbietungen privat<br />
zu Hause empfangen zu können. Den Sicherheitsaspekt,<br />
dem noch immer große Bedeutung<br />
zugemessen wurde, unterstrich aber die Be-<br />
Diller: <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>star1dorte in der Weimarer Republik 23<br />
stimmung, Empfanger dürften ohne schriftliche<br />
Genehmigung der Reichstelegraphenverwaltung<br />
nicht in B!i::trieb genommen werden. Zusammenfassend<br />
erlauterte das Reichspostministerium<br />
die auf die Oberpostdirektionen neu zukommenden<br />
Aufgaben, beispielsweise Überwachung der<br />
öffentlichen Vorführungen der »Deutschen St<strong>und</strong>e«,<br />
Kontrolle privater Empfangsanlagen sowie<br />
den Herstellern von Radioempfangern. 5 Die<br />
Mitteilung Ober die angestrebte Liberalisierung<br />
des Radioempfangs scheint nicht Oberall auf<br />
Zustimmung gestoßen zu sein. Jedenfalls hegte<br />
die Oberpostdirektion in Frankfurt am Main<br />
»insofern Bedenken, als durch die unbeschrankte<br />
Zulassung von Privatantennen die Herstellung<br />
von Reichsanlagen erheblich behindert ( .. . ) <strong>und</strong><br />
die Auftindung geheimer Funkanlagen außerordentlich<br />
erschwert wird.« Gleichwohl versicherte<br />
der oberste Frankfurter Postvertreter, er sehe<br />
sich in der Lage, die Überwachung öffentlicher<br />
Vorführungen »durch im Funkdienst erfahrene<br />
Beamte« vornehmen zu lassen.s<br />
Eine weitere, dieses Mal aber noch gravierendere,<br />
aber weniger von der Standortfrage gepragte<br />
Entscheidung stand an, als es darum<br />
ging, die nachste, im Spätsommer 1923 gewonnene<br />
Erkenntnis der Reichspost umzusetzen:<br />
namlich, der technischen Dezentralisierung eine<br />
programmliehe Regionalisierung folgen <strong>und</strong> in<br />
jedem Sendebezirk durch eine dort zu gründende<br />
Programmgesellschaft jeweils auch ein eigenes<br />
Programm ausstrahlen zu lassen. Hierfür<br />
erhielt die »Deutsche St<strong>und</strong>e« den Auftrag,<br />
quasi als Agentin der Post finanzkraftige Kooperationspartner<br />
zu gewinnen, zumal die Post davon<br />
ausging, daß der neue Dienst, d.h. die einzurichtenden<br />
Radioprogramme, den staatlichen<br />
Etat angesichts einer galoppierenden Hyperinflation<br />
keinesfalls belasten dürfe. Und die (Vor-)<br />
Finanziers für die Programmangebote der neun<br />
Bezirkssender, bzw. der neun nunmehr zu gründenden<br />
regionalen Programmgesellschaften<br />
hoffte die »Deutsche St<strong>und</strong>e«, notwendigerweise,<br />
an den nunmehr bekanntgewordenen Senderstandorten<br />
zu finden. Und dafür standen Unternehmer<br />
bereit, die sich bereits in anderen<br />
Branchen gasehaftlieh erfolgreich betatigt hatten,<br />
aber auch Kaufleute, Journalisten, Juristen, Verbandsvertreter<br />
oder Künstler, die Neues wagen<br />
wollten.