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1998, 24. Jahrgang (pdf) - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

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a) Für Nicht-Zeitgenossen wird Atmosphäre<br />

vermittelt;<br />

b) im biographischen Bereich seien Bild <strong>und</strong><br />

Ton wichtige Ergänzungen etwa zu Redetexten;<br />

c) am Beispiel des Nationalsozialismus könne<br />

Einsicht in historische Strukturen gewonnen<br />

werden (Volksgerichtshof oder Hitlers 50. Geburtstag<br />

als Filmstreifen).<br />

d) Die »Regie der öffentlichen Erscheinung<br />

des Dritten Reiches« sei selbst Teil des »Staatlich-öffentlichen<br />

Daseins« gewesen <strong>und</strong> müsse<br />

als solche studiert werden. Unter pädagogischen<br />

Aspekten sei zwar Illustration nützlich, aber:<br />

»Die Forschung hingegen braucht neue Aufschlüsse,<br />

Erkenntnisse, die anders nicht ebenso<br />

leicht oder gar leichter gewonnen werden könnten<br />

. Quellen, die vorwiegend illustrativen Wert<br />

haben, sind weniger belangvoll.«3 Erst mit den<br />

Fragen nach individuellen Erfahrungen, kollektiver<br />

Wahrnehmung <strong>und</strong> Deutung , angeregt vor<br />

allem durch Oral History Projekte (so vor allem<br />

von Lutz Niethammer4), wurden Massenmedien<br />

unter dem Aspekt von Öffentlichkeit <strong>und</strong> Kommunikation<br />

zu interessanten Quellen. Die Verknüpfung<br />

von Zeit- <strong>und</strong> Mediengeschichte, wie<br />

das Grimme-Institut sie mit den beiden Teilen<br />

des Projektes »Unsere Medien, unsere Republik«<br />

versucht hat, ist Ausdruck der sich ändernden<br />

Forschungsfragen.<br />

Zweitens dauerte es relativ lange, bis die Historiker<br />

zu einer anderen Einschätzung der<br />

Massenmedien gelangten: Solange Radio <strong>und</strong><br />

Film unter dem Eindruck der Erfahrungen in der<br />

Ara des Nationalsozialismus' nur als Manipulationsinstrumente<br />

gesehen wurden, wie dies noch<br />

Moltmann/Reimers 1970 darstellten, lag die Frage<br />

nach den Rezipienten <strong>und</strong> deren Wahrnehmung<br />

noch kaum im Denkhorizont der Historiker.<br />

Zu den einflußreichen Texten, die auch in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik zu neuen Fragen führten, gehört<br />

Umberto Ecos Aufsatzsammlung »Apokalyptiker<br />

<strong>und</strong> Integrierte. Zur kritischen Kritik der Massenkultur«<br />

, in Italien 1964, hier 20 Jahre spater erschienen.s<br />

Eco zeigt an verschiedenen Fallen,<br />

daß es eine homogene Masse, die von Massenkultur<br />

beeinflußbar sei, so nicht gab <strong>und</strong> gibt,<br />

daß vielmehr die Reaktion der Rezipienten<br />

durchaus differenziert sei. Zur Debatte steht also<br />

die Aneignung von Massenmedien durch das<br />

Publikum. Die Rekonstruktion der Rezeption ist<br />

schwierig, aber Voraussetzung für die Entwicklung<br />

einer Mediengeschichte zur Sozial- <strong>und</strong><br />

Ku I tu rgesch ichte.<br />

Drittens hatten die Historiker Schwierigkeiten<br />

mit der Einordnung der Medien in ihren jeweiligen<br />

Kontext. Für alle historischen Quellen gilt,<br />

daß sie zur Interpretation der Kenntnis ihrer<br />

Entstehung <strong>und</strong> ihres ganzen Umfeldes bedürfen.<br />

Für AV-Medien gilt diese Gr<strong>und</strong>forderung in<br />

Wilharm: A V-Oberlieferung <strong>und</strong> Geschichtswissenschaft 47<br />

gleichem oder sogar höherem Maße, weil die<br />

Montierung von Bildern <strong>und</strong> Tönen, anders als<br />

bei Textquellen, selten durch Nachweise der<br />

Bild- bzw. Tonzitate kenntlich gemacht wird <strong>und</strong><br />

fOr den Laien nicht einfach erkennbar ist. Ein bekanntes<br />

Beispiel solcher Bild- <strong>und</strong> Tonmanipulation<br />

findet sich in dem Film zum Mauerbau (»Das<br />

Gesicht an der Grenze«, 1961), in dem eine Sequenz<br />

aus der Rede von Ernst Reuter aus dem<br />

Jahr 1948 anlaßlieh der Berlinblockade (»Völker<br />

der Welt, schaut auf diese Stadt.«) eingearbeitet<br />

ist. Auf solchen <strong>und</strong> ahnliehen Fallen beruht die<br />

Skepsis von Historikern selbst gegenüber Dokumentaraufnahmen.<br />

Viertens erfordert die Arbeit mit AV-Medien<br />

als Quellen in Forschung <strong>und</strong> Lehre eine entsprechende<br />

Ausstattung. Technischer Aufwand<br />

bzw. nicht allerorts vorhandene entsprechende<br />

Gerate, mangelhafte Kenntnisse über die Besonderheiten<br />

dieser Quellen sowie der höhere<br />

Zeitaufwand als bei der traditionellen Arbeit mit<br />

Texten tun ein übriges zur beobachteten Zurückhaltung<br />

der Historiker gegenüber der AV­<br />

Überlieferung.<br />

AV-Medien als Quellen zur<br />

Erforschung der Gesellschaft<br />

Der zögerliche Umgang der Historiker mit den<br />

audiovisuellen Materialien andert nichts daran,<br />

daß AV-Medien die wichtigsten Quellen zur Erforschung<br />

der inneren Verfaßtheit einer Gesellschaft<br />

sind, sieht man der »Oral History« <strong>und</strong><br />

ihren Bemühungen um den Zusammenhang von<br />

»Lebenserfahrung <strong>und</strong> kollektivem Gedachtnis«6<br />

ab. Die benachbarten Sozialwissenschaften haben<br />

übrigens die zentrale Kategorie von »Öffentlichkeit«<br />

bzw. der Veränderungen, denen sie<br />

unterlag, viel eher wahrgenommen.? Allerdings<br />

verblieben diese Überlegungen mehr auf einer<br />

eher allgemein - theoretischen Ebene, empirische<br />

Forschungen fehlten.<br />

Der <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> hat als Primärmedium bis zur<br />

Verbreitung des Fernsehens in der BRD in den<br />

50er Jahren eine zentrale Funktion für Information<br />

<strong>und</strong> Unterhaltung. Historischen Quellenwert<br />

haben nicht nur die Tondokumente, die als »veröffentlichte<br />

Meinung« in Gestalt von Forumsveranstaltungen,<br />

Diskussionssendungen mit Publikumsbeteiligung,<br />

Vortrag mit Kommentar seitens<br />

der Radiostationen u.a. unmittelbare Rückschlüsse<br />

auf die jeweilige Öffentlichkeit bzw.<br />

Teilöffentlichkeit der Gesellschaft ermöglichen.<br />

Wichtige Tondokumente sind auch Übertragungen<br />

von Staatsakten, Trauerfeierlichkeiten (z.B.<br />

das Trauerzeremoniell für Konrad Adenauer im<br />

April 1967) u.a., weil die Selbstinszenierung der<br />

Gesellschaft in diesen Fallen das Selbstver-

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