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1998, 24. Jahrgang (pdf) - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

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ches stellten, heute als Ankläger gegen Männer aufstehen,<br />

die ebenso wehrlose oder noch wehrlosere<br />

Opfer des Terrors waren wie sie? Und wenn das richtig<br />

ist: was gedenkt das Parlament zu tun, um die<br />

Wiederholung solcher Vorkommnisse in Zukunft zu<br />

verhindern?« 12<br />

ln einer Forumsveranstaltung des <strong>R<strong>und</strong>funk</strong>s deren<br />

Mitschnitt erhalten ist, 1 3 wurden die Vorwürfe<br />

diskutiert. Teilnehmer der »Justiz <strong>und</strong> öffentliche<br />

Meinung« überschriebenen Diskussion, die den<br />

Grafeneckprozeß selbst nicht betraf, waren: Generalstaatsanwalt<br />

Dr. Richard Schmid, Ministerialrat<br />

Dr. von Wachter, Rechtsanwalt Dr. Wolfgang<br />

Schwamberger, Dr. Helmut Cron vom<br />

Journalistenverband Württemberg-Baden <strong>und</strong><br />

Redakteur der Stuttgarter »Wirtschaftszeitung«,<br />

Kurt Wessei von der »Stuttgarter Zeitung«. Es<br />

gab mit Mostars Schlußwort sechs Diskussionsbeitrage<br />

von jeweils etwa zehn Minuten Dauer.<br />

Unter den Beitragen aus dem Publikum fand -<br />

nach Dauer <strong>und</strong> Lautstarke - den meisten Beifall<br />

ein Herr Fink, der sich als Stimme des »kleinen<br />

Mannes« bezeichnete <strong>und</strong> den Gesichtspunkt<br />

des Opferstatus, der auch bei Mostar selbst angesprochen<br />

wird, thematisierte: die »kleinen<br />

Leute« waren alle Opfer.<br />

Ich greife die kontroversen Beitrage des Ministerialrats<br />

Dr. von Wachter <strong>und</strong> des Rechtsanwalts<br />

Dr. Schwamberger heraus. Von Wachter<br />

als Vertreter der Richter stellte die eher rhetorische<br />

Frage, ob die Justiz nach der öffentlichen<br />

Meinung urteilen solle, die es als einheitliche gar<br />

nicht gebe. Als abschreckendes Beispiel eines<br />

solchen Versuchs führte er die Abrechnung in<br />

Frankreich mit den Kollaborateuren an, über die<br />

die französische Öffentlichkeit inzwischen ganz<br />

anders denke, weil die Zusammenarbeit mit den<br />

Deutschen namlich Blutvergießen in Frankreich<br />

verhindern sollte. Über die tatsachlichen Vorgange<br />

in Frankreich weiß man heute mehr, als<br />

von Wachter damals wissen konnte, aber darum<br />

geht es auch nicht. Vielmehr ging es von Wachter<br />

für die Kontinuitaten in der Justiz um deren<br />

Rechtfertigung <strong>und</strong> um einen »harmonischen<br />

Dreiklang zwischen Recht, Richter <strong>und</strong> öffentlicher<br />

Meinung« mit Hilfe einer entsprechenden<br />

Vereinbarung.<br />

Eine der Gegenpositionen vertrat Rechtsanwalt<br />

Dr. Schwamberger. Seine Argumentation<br />

wurde haufig von starkem Beifall unterbrochen.<br />

Er machte deutlich, daß es sich bei dem Streit<br />

über die Grenzen des Rechts zu freier MeinungsaußerunQ<br />

um keinen Einzelfall im Nachkriegsdeutschland<br />

handele. Vielmehr lagen die<br />

strukturellen Ursachen in der fehlenden funktionsfahigen<br />

Opposition <strong>und</strong> der notwendigen<br />

Aufklarungsfunktion der Medien. Die mehrfache<br />

Berufung in den Podiumsbeitragen auf englische<br />

Institutionen, um die man die Englander nur be-<br />

Wilharm: A V-Oberlieferung <strong>und</strong> Geschichtswissenschaft 49<br />

neiden könne, helfe nicht weiter, weil die Rahmenbedingungen<br />

wegen der in Deutschland<br />

fehlenden starken Opposition nicht vergleichbar<br />

seien.<br />

Es gibt mehrere Ebenen der Interpretation,<br />

die ich kurz benennen will:<br />

1. Der Stellenwert der inhaltlichen Aussage:<br />

Die Thematisierung der öffentlichen Meinung<br />

<strong>und</strong> die Ängste vor der unkentreliierten <strong>und</strong> verantwortungslosen<br />

Presse <strong>und</strong> dem <strong>R<strong>und</strong>funk</strong> auf<br />

seiten der Etablierten sind ein zentrales Thema<br />

in der B<strong>und</strong>esrepublik auch noch in den 50er<br />

Jahren, <strong>und</strong> zwar durchaus für eine breitere Öffentlichkeit.<br />

Die beim Publikum erfolgreichen<br />

Pressefilme (z. B. »Der Mann, der sich verkaufte«,<br />

1959) hatten in den 50er Jahren genau den<br />

Tenor des verantwortungslosen Journalismus<br />

aus Ehrgeiz <strong>und</strong> Eitelkeit, der Existenzen zerstört.<br />

Die Unsicherheit in der verordneten Demokratie<br />

wird deutlich in den wiederholten Bemühungen,<br />

sich auf englische Verhaltnisse zu berufen,<br />

<strong>und</strong> das von den unterschiedlichsten Positionen<br />

aus.<br />

2. Die sprachliche Ebene: Wortwahl <strong>und</strong><br />

Sprachduktus, konventionelle Rede <strong>und</strong> Verwendung<br />

von Ironie charakterisieren die Sprecher<br />

<strong>und</strong> ermöglichen ihre Zuordnung zu unterschiedlichen<br />

Konventionen. Der »Blutkreislauf<br />

zwischen Justiz <strong>und</strong> Volk«, der »verantwortungslose«<br />

Journalismus, von dem der Generalstaatsanwalt<br />

spricht, die Einschrankung der Kritik<br />

auf die Sachkompetenz des Kenners bei von<br />

wachter sind leicht einzuordnen. Konkretheit<br />

<strong>und</strong> Sarkasmus bei Anwalt Dr. Schwamberger<br />

<strong>und</strong> dem Journalisten Wessei zeigen die Distanz<br />

<strong>und</strong> den ohnmachtigen Zorn der nachsten Generation<br />

gegenüber den alten <strong>und</strong> neuen Etablierten<br />

. Die Stimme des »kleinen Mannes« Fink aus<br />

dem Publikum benennt einen der haufigsten<br />

Schuldausschließungsgründe der Zeit, den Befehlsnotstand,<br />

in der Terminologie des autoritaren<br />

Staates seit der Kaiserzeit gelaufig: bestraft<br />

werden dürfe nicht der »kleine Mann«, der »an<br />

einen Platz gestellt war« . Der Sprache des Militars<br />

entspricht die Vorstellung des Gehorsams.<br />

3. Ambivalenzen der Kritik: Für die frühe<br />

Nachkriegsgeschichte hat sich Mitschertichs<br />

»Unfahigkeit zu trauern« <strong>und</strong> die Annahme der<br />

Verdrangung bei den Nachkriegsdeutschen weitgehend<br />

etabliert. Aus den Positionen des Forums<br />

wird deutlich, daß die kritischen Vorbehalte<br />

gegenüber den Kontinuitaten in der Justiz zusammen<br />

gehen mit einer Exkulpation, Entlastung<br />

von NS-Tatern <strong>und</strong> der Bereitschaft, viele als<br />

Mitlauter <strong>und</strong> letztlich Opfer zu behandeln. Die<br />

bemerkenswerten kritischen Positionen stützen<br />

die Tendenzen zur verbreiteten Selbststilisierung<br />

als Opfer. Der anhaltende Beifall für den<br />

»kleinen Mann« Fink ist nicht zufallig. Zusam-

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