1998, 24. Jahrgang (pdf) - Studienkreis Rundfunk und Geschichte

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4 Rundfunk und Geschichte 24 (1998) Autoren der längeren Beiträge Dr. Detlef Briesen, Franziskanerstraße 17, 51491 Overrath Dr. Ansgar Diller, Deutsches Rundfunkarchiv, Historisches Archiv der ARD, Bertramstraße 8, 60320 Frankfurt am Main Prof. Dr. Klaus Kreimeier, Liethenstraße 83, 50259 Pulheim-Dansweiler Prof. Dr. Rüdiger Steinmetz, Universitat Leipzig, Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft, Augustusplatz 9, 04109 Leipzig Dr. Bernd Stöver, Universitat Potsdam, Historisches Institut, Lehrstuhl Zeitgeschichte, Postfach 60 15 53, Am Neuen Palais 10, 14415 Potsdam Prof. Dr. lrmgard Wilharm, Universitat Hannover, Historisches Seminar, Am Ihmeuter 5, 30499 Hannover
Detlef Briesen Die Stellung Berlins im System der deutschen Medienstandorte Vom Anfang des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges* Forschungsstand und Forschungsfragen Kaum ein Teilbereich des öffentlichen Lebens hat seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eine solch tiefgreifende Wandlung erfahren wie der Bereich der Massenkommunikation. Besonders betroffen war davon die Zeitung, das neben dem Flugblatt älteste Medium der Massenkommunikation.1 Die Gesamtauflage vervielfachte sich, der Umfang der einzelnen Zeitungen stieg um das drei- bis vierfache an. Es entstanden neuartige Zeitungstypen, wie die Oberregionale politische Zeitung, die regionale und lokale Abonnementzeitung sowie die Boulevardzeitung. Wichtige Faktoren in dieser Entwicklung waren die Aufhebung des Intelligenzzwanges (d.h. des Anzeigenmonopols der Amtsblätter), die Abschaffung der Zeitungssteuer, die Freigabe der Telegraphenverbindungen für privaten Nachrichtenverkehr, der wachsende Anzeigenmarkt, die Weiterentwicklung der Drucktechnik, das Telefon als schneller Übermittler von Nachrichten usw. Einen ahnliehen stürmischen Aufschwung nahm, zum Teil aus denselben Gründen, das Zeitschriften- und Buchverlagswesen. Die weitere Entwicklung der Massenmedien in den Jahren kurz vor dem Ersten Weltkrieg bis in die frOhen 50er Jahre war dann geprägt durch das Aufkommen und die teilweise Durchsetzung der neuen Medien Film, Schallplatte, Rundfunk und Fernsehen. Besonders der Rundfunk stellte sich mehr und mehr als der eigentliche Konkurrent der Zeitungen heraus. Diese waren schon vor dem Ersten Weltkrieg aus Aktualitätsgründen in den Großstädten des Reiches zu zwei- bis dreimaligem tagliehen Erscheinen übergegangen. Mit der nahezu ständigen VerfOgbarkeit neuester Nachrichten durch den Hörfunk deutet sich somit schon in den Jahren zwischen den Weltkriegen jene Modifikation des Gefüges der Massenmedien an, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Fernsehen durchsetzen sollte. Mit Hörfunk und Film sind zwei in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts »neue« Medien genannt, die nicht im Mittelpunkt dieses Beitrages stehen werden. Der Beitrag befaßt sich vielmehr mit jenen um 1940 bereits traditionellen Formen der Massenkommunikation, mit Zeitungen, Zeitschriften und (begrenzt) auch mit dem Buchverlagswesen und konzentriert sich auf einige Grundzüge der Entwicklung des Massenme- dienstandorts Berlin. Dabei wird es notwendig sein, Entwicklungen seit jener für den Medienbereich wichtigen Zasur um die Mitte des letzten Jahrhunderts mit in den Blick zu nehmen. Endpunkt der Darstellung wird dagegen die Zeit des Nationalsozialismus und der Zusammenbruch sein, da sich von dort aus eine völlige Umstrukturierung der deutschen Medienlandschaft insgesamt ergeben hat, die auch die weitere Zukunft der deutschen Medienstandorte bestimmte. Der Beitrag hat keinen genuin mediengeschichtlichen Ansatz als Ausgangspunkt gewahlt,2 sondern den einer historischen Geographie oder geschichtlichen Raumwissenschaft.3 Dieser Wissenschaft geht es darum, Phänomene gesellschaftlicher Differenzierung in Bezug auf ihre funktionsraumliehe Verortung präziser zu ermitteln. ln diesem Zusammenhang muß darauf verwiesen werden, daß solche Fragestellungen im Bereich thematischer, theoretischer und methodelogischer Überschneidungen von Geschichtswissenschaft und Geographie speziell in Deutschland nur selten bearbeitet werden. Vermutlich hangt dies mit dem weitgehenden Desinteresse der Historiker am »Raum« und der Geographen an der »Zeit« als Erklärungskategorien zusammen und damit, daß »Raum« unter dem wirkungsmächtigen Einfluß der Systemtheorien lange Zeit als naive Substantialisierung von sozialen Beziehungen oder Kommunikationsstrukturen galt. Für die Geschichtswissenschaft selbst wirkt sich außerdem jene Desavouierung des Raumes als Erklärungskategorie durch die »Völkische« Wissenschaft der Zwischenkriegszeit aus. Unter dieser Perspektive verwundert es fast, daß ein ahnlieh gelagerter üedoch politisch anders intendierter) naiver Determinismus der französischen Schule der »Annales« begeistert rezipiert werden konnte, obwohl es auch hier im deutschsprachigen Raum kaum zu empirischen Forschungsarbeiten für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts kam. 4 Grundfrage soll im folgenden sein, wie das System der deutschen Medienstandorte zwischen 1850 und 1940 beschaffen war, auf welche funktionsraumliehen Einheiten - das sind Standorte, in der Regel Stadte - es sich stützte und wie sich die dabei besonders interessierenden Phänomene der Polarisierung und Dezentralisierung entwickelten. Ein zentraler Punkt des Beitrages wird dabei selbstverstandlieh immer
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