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bauchtänzerInnen In ägyPten - Norient

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schWErpunkt<br />

18<br />

megafon nr. 363, Januar 2012<br />

pErrEo<br />

sPektakulärer koPulatIVer<br />

tanz heute<br />

«Wir MAchEN liEbE uNd bEhAltEN diE<br />

klEidEr AN / fühlE diE lEidENSchAft<br />

dES rEggAE»<br />

Dies singt Reggaetonero Speedy<br />

aus Puerto Rico, unverfroren die<br />

Sinnlichkeit der Reggae Musik mit<br />

einer Wendung verbindend, welche<br />

oft dazu dient, die provozierenden<br />

Körperbewegungen im Herzen von<br />

Reggaeton zu umschreiben. Eher als<br />

ein Tanz, haben Kritiker gemeint, ist<br />

der Perreo kaum mehr als Heavy<br />

Petting in der Öffentlichkeit – eine<br />

verdorbene Version der Umwerbung<br />

und eine beschämende Tätigkeit für<br />

unschuldige Jugendliche. Speedys<br />

Refrain übernimmt diese Definition<br />

ohne Umschweife: Liebe machen mit<br />

den Kleidern am Leib tönt für ihn und<br />

sein Publikum ganz in Ordnung.<br />

Im Dokumentarfilm «Straight outta<br />

Puerto Rico» räumt der Produzent<br />

Jorge Oquendo peinlich berührt ein,<br />

dass der Perreo den Geschlechtsverkehr<br />

zwischen Hunden simuliert.<br />

Tatsächlich, trotz dem offensichtlichen<br />

Verweis auf die Kopulation von<br />

Hunden im Namen des Tanzes, ist<br />

das auch eine Art des Umgangs von<br />

Menschen. Begriffe wie «Perreo»<br />

oder «Doggystyle» zeugen einfach<br />

von unserer nach wie vor missionarischen<br />

Stellung in Bezug auf das<br />

Thema.<br />

Sexuelles Gebärdenspiel zieht<br />

sich tief durch die Geschichte des<br />

Tanzes, und parallel dazu die moralische<br />

Panik. <strong>In</strong> der neuen Welt und<br />

dem trans-kolonialen Europa haben<br />

die Rhythmen der afrikanischen<br />

Diaspora wie der «Dembow» des<br />

Reggaeton, für manche ein Synonym<br />

für Perreo, die Sorte intimen<br />

Tanzes hervorgebracht, welche die<br />

gewöhnlich unter der Fahne der Autorität<br />

christlicher Moral und zivilisatorischer<br />

Bestrebungen des Staates<br />

hochgehaltenen Grenzen zwischen<br />

Rassen, sozialen Klassen und Altersgruppen<br />

aufzulösen drohten.<br />

Neben anderen Vorläufern des<br />

Perreo sei nur die Haltung Europas<br />

gegenüber der «Zarabanda»<br />

erwähnt, einer hochenergetischen<br />

Form des Tanzes welche zum ersten<br />

Mal 1539 in Panama registriert wurde.<br />

<strong>In</strong> seinem Buch über die Musik<br />

Kubas beschreibt Ned Sublette die<br />

«Zarabanda» als «sexuelle Aktivitäten<br />

simulierenden Tanz», welcher<br />

die Tanzflächen Spaniens während<br />

dreissig Jahren um die Wende des<br />

17. Jahrhunderts beherrschte trotz<br />

der Bemühungen der Kirche, ihn<br />

unter Androhung des Auspeitschens<br />

für Männer, und der Verbannung für<br />

Frauen, zu unterdrücken.<br />

Bis zum heutigen Tag spielen sich<br />

Konflikte um vermeintlich «anrüchige»<br />

Arten des Tanzes im nahezu<br />

selben Rahmen ab. Seit einigen Jahren,<br />

speziell seit dem Aufkommen<br />

von Telefon-Kameras und YouTube,<br />

haben sich bemerkenswert vertraute<br />

Debatten um öffentlich zur Schau<br />

gestellte Freuden und Spiele entwickelt.<br />

Nehmen wir zum Beispiel<br />

«Daggering», eine spektakuläre, in<br />

der Tat regelrecht karikiete <strong>In</strong>karnation<br />

des zeitlosen Tanzes. Deren<br />

letzte «Slack» Variante, aus der Dancehall<br />

Reggae Tradition Jamaikas<br />

entstanden, die lange dem Ausdruck<br />

von Obszönität und Körperlichkeit<br />

diente, bezeichnet «Daggering»<br />

gewalttätige, um-sich-stossende<br />

Bewegungen, die eher auf ein Abstechen<br />

als auf Sex hindeuten. 2009<br />

kündigte der Rundfunk-Rat Jamaikas<br />

das Verbot sämtlicher Songs an,<br />

die auf den Auswuchs hindeuten.<br />

Der Perreo seinerseits wurde<br />

2002 vom Senat Puerto Ricos beinahe<br />

verboten, als die von religiösen<br />

Organisationen angestachelte Senatorin<br />

Velda Gonzalez die <strong>In</strong>halte von<br />

Reggaeton-Lyrics und -Videos zensieren<br />

wollte, allem voran jegliche<br />

Art von Tanz, die auf die Erregung<br />

von sexueller Lust abzielt. Auch<br />

wenn solche Bemühungen scheiterten<br />

– und Reggaeton kommerziell<br />

erblüht – hat die Verbreitung von<br />

Perreo in anderen Ländern die selben<br />

Ängste hervorgerufen, bis hin zu<br />

deren Beurteilung in den Fernseh-<br />

Nachrichten.<br />

Genährt von Sensationspresse<br />

und einer Flut von Videos machte<br />

der «Perreo Chacalonero» aus Peru<br />

Gebrauch von der lokalen «Chicha»<br />

Tradition, um Szenen sexueller Pantomime<br />

zu verbreiten, welche selbst<br />

in Jamaika verschämte Reaktionen<br />

hervorzurufen vermochten, vor allem<br />

auch, weil Perus Teenager dazu<br />

neigten, eine weit grössere Palette<br />

von Andeutungen als die klassische<br />

«Back-to-Front»-Pose anzuwenden.<br />

Auf YouTube brach der Tanz lange<br />

schwelende, rassistisch unterlegte,<br />

nationalistische Animositäten zwischen<br />

Peru, Chile und Argentinien<br />

neu auf. Ähnlich die kürzlich in Kolumbien<br />

aufgeflammte Erscheinung<br />

des «Choque», eines zwischen den<br />

Stössen des «Daggering» und dem<br />

sanfteren «Perreo» anzusiedelnden,<br />

akrobatisch auf den Beat zugeschnittenen<br />

Tanzes, der für Aufregung in<br />

den Spätnachrichten sorgte, weil er<br />

verstörte Kommentare von internationalen<br />

YouTube-Nutzer<strong>In</strong>nen hervorrief,<br />

welchen der lokale Rahmen<br />

zur <strong>In</strong>terpretation von alltäglichen<br />

Szenen gleichgeschlechtlichen Aufeinanderprallens<br />

mangelt.<br />

Hier, in den sittsamen aber dauersexualisierten<br />

Staaten, erstaunt es<br />

kaum, dass «Grinding» oder «Freak<br />

Dancing» – ein Nordamerikanisches<br />

Analog zu den kopulativen Verrenkungen<br />

der Karibik – von den High<br />

Schools des Landes verbannt wurde.<br />

Trotz solcher «Erfolge», diese Arten<br />

des Tanzes zum Verschwinden zu<br />

bringen, käme dies wohl der Aufgabe<br />

gleich, die Welt von geilen jungen<br />

Menschen zu befreien. Wahrlich ein<br />

Don Quixote würdiges Unterfangen.<br />

> WAyNE MArShAll <<br />

schWErpunkt<br />

megafon nr. 363, Januar 2012 19

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