bauchtänzerInnen In ägyPten - Norient
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fr, 13.1.12, 20.00 uhr, rEitSchulEkiNo<br />
PolyPhonIa –<br />
albanIens Versteckte stIMMen<br />
EiN filM übEr diE MEhrStiMMigEN<br />
gESÄNgE iN dEN bErgEN MittElAlbANiENS –<br />
uNd übEr diE frEuNdSchAft zWiSchEN<br />
dEM orthodoxEN hirtEN ANAStAS uNd Arif,<br />
dEM MuSliM.<br />
theresa beyer<br />
doktoriert im fach<br />
Musikethnologie und<br />
arbeitet als freie<br />
kulturjournalistin in<br />
bern.<br />
1 www.destinatio.<br />
de/verlag/eckehardpistrick-verstecktestimmen.html<br />
schWErpunkt<br />
10<br />
megafon nr. 363, Januar 2012<br />
Ein Schluck schwarzer Kaffee, ein<br />
Gläschen hochprozentiger Raki und<br />
der Hirte Arif stimmt eine Melodie<br />
an. Nach dem ersten Takt setzen<br />
sechs ältere Herren ein und erzeugen<br />
einen durchdringenden<br />
Bordunton, der traditionsgemäss<br />
wie Glocken klingen soll. Im Dokumentarfilm<br />
«Polyphonia» gehen<br />
besonders diese Momente unter<br />
die Haut – hier wirkt das Miteinander-Singen<br />
wie eine organische<br />
Fortsetzung des Gespräches. Die<br />
Iso-Polyphonie (2005 wurde sie<br />
zum immateriellen UNESCO-Erbe<br />
erklärt) ist «eine existenzielle Art<br />
des Sich Ausdrückens, ein Akt der<br />
emotionalen Befreiung» schreibt<br />
der Filmemacher und Musikethnologe<br />
Eckehard Pistrick in seinem<br />
Reisetagebuch. 1<br />
Man mag sich fragen, warum<br />
einem dieser geheimnisvolle Gesang<br />
in den ersten 20 Minuten<br />
des Films vorenthalten wird. Später<br />
erzählt einer der Sänger: «Ein<br />
bisschen singen wir alle, aber es<br />
braucht ein wenig Anstrengung bis<br />
das Lied oder ein Gespräch ‹reif›<br />
ist und man sich miteinander versteht.»<br />
Auf diese Weise reift auch<br />
der Film: Langsam versinkt man in<br />
die malerische Bergwelt des oberen<br />
Shpati in Mittelalbanien. Der<br />
ausserordentliche Sinn für Lichtstimmungen<br />
und Details ist dem<br />
fotografischen Geschick des Dokumentarfilmers<br />
Björn Reinhardt zu<br />
verdanken. Manchmal verharrt er<br />
jedoch etwas lange auf den faltendurchfurchten<br />
Gesichtern, womit er<br />
seine Protagonisten in eine National-Geografics-Ästhetik<br />
deplaciert.<br />
Echte Nähe hingegen erzeugt das<br />
Mit-Erleben des ruralen Alltags.<br />
Ruhig verfolgt die Kamera wie der<br />
Esel beladen, das Beil geschliffen,<br />
die Ziegen verkauft werden. Der<br />
Kontext verrät dabei viel über die<br />
Musik: Während und nach der harten<br />
Arbeit bilden die meditativen<br />
Gesänge fest im Tageslauf verankerte<br />
Ruhepole.<br />
Doch der Film ist mehr als ein<br />
Portrait zweier befreundeter Hirten,<br />
welche die Liebe zur polyphonen<br />
Tradition teilen. Reinhardt und<br />
Pistrick wissen die <strong>In</strong>terviews mit<br />
Anastas, Arif und den Dorfbewohnern<br />
so zu verknüpfen, dass die Widersprüche<br />
der postsozialistischen<br />
Wirklichkeit Albaniens unaufgesetzt<br />
zur Sprache kommen. Es soll<br />
eine Strasse gebaut und Touristen<br />
angelockt werden – aber zugleich<br />
treiben Armut, Landflucht und Emigration<br />
den Zerfall der Bergdörfer<br />
weiter voran. Auch Anastas Kinder<br />
sind in die nächst grössere Stadt<br />
oder nach Griechenland gezogen.<br />
Bis der warmherzige Hirte im Jacket<br />
die Reise nach Griechenland<br />
antritt, stillt er seine Sehnsucht mit<br />
der passenden Ballade: «Die Alten<br />
haben ihr Leben geändert/ Und die<br />
Jugend bleibt in der Ferne/ Oh weh!<br />
Oh weh!/ Klagt ihr Armen, denn<br />
Kummer naht.»<br />
Besonders den Älteren fällt die<br />
Neuorientierung nach dem Sturz<br />
des Regimes 1990 schwer – die sozialistische<br />
Diktatur steckt ihnen<br />
noch in den Knochen und hat unter<br />
anderem ihre religiöse Identitäten<br />
erschüttert. 1967 erklärte der<br />
Diktator Enver Hoxha Albanien zu<br />
einem «atheistischen Staat», verbot<br />
jegliche Religion, liess Kirchen und<br />
Moscheen zerstören. Allmählich<br />
finden die 70 Prozent Muslime und<br />
30 Prozent Christen wieder zum<br />
Glauben zurück und leben friedlich<br />
zusammen. So ist es auch nicht ungewöhnlich,<br />
dass der muslimische<br />
Arif beim orthodoxen Osterfest mit<br />
von der Partie ist.<br />
Die ältere Generation beklagt,<br />
dass die Jungen zwar wesentlich<br />
religiöser seien, sich aber nicht für<br />
die traditionelle Musik interessieren:<br />
«Die Jugend sitzt den ganzen<br />
Tag vor dem Fernseher. Sie wollen<br />
leichte Musik hören, sie wollen<br />
die Mädchen mit dem nackten<br />
Bauchnabel sehen.» Doch dem<br />
unlösbar erscheinenden Generationenkonflikt<br />
setzen Pistrick und<br />
Reinhardt Zwischentöne entgegen.<br />
Sie zeigen, dass traditionelle Tanzschritte<br />
auch mit arabeskem Pop<br />
im Diskolicht kombiniert werden<br />
und dass selbst der pubertierende<br />
Dorf-DJ die alten Gesänge wertschätzt:<br />
«Die gesungenen Verse<br />
sind echt schön, weil das eine lebendige<br />
Tradition ist. Das ist nicht<br />
so wie die arrangierte Musik, die im<br />
Computer produziert wird.»<br />
> thErESA bEyEr <<br />
fr, 13.1.12, 22.00 uhr, rEitSchulEkiNo<br />
shukar! ruMänIsche djs<br />
und roMa treFFen sIch<br />
«thE ShukAr collEctivE projEct» iSt<br />
MEhr AlS EiN dokuMENtArfilM übEr EiN<br />
gESchEitErtES MuSik-projEkt. ES iSt<br />
EiNE MuSikAliSchE dokuMENtAtioN dES<br />
zuSAMMENprAllS zWEiEr WEltEN. iM filM<br />
vErWANdElt Sich dEr AMbitioNiErtE kulturAuStAuSch<br />
iN EiNEN hEftigEN SchlAg-<br />
AbtAuSch.<br />
Im Projekt «Shukar Collective»<br />
trifft Tradition auf Moderne. Auf der<br />
einen Seite steht die rurale Ursari-<br />
Band «Shukar» (das Romanes-Wort<br />
für «gut»), auf der anderen international<br />
renommierte Bukarester<br />
DJs. Die alten Weisen der Ursari<br />
verzieren elektronische Beats und<br />
die wummernden Bässe aus dem<br />
Drum-Computer. Die Mischung ist<br />
eklektisch: Trommeln, Löffel, folkloristische<br />
Gesänge, Loops und<br />
Samples. Kurz: «The spookiest<br />
band in Romania».<br />
Regisseur Matei-Alexandru Mocanu<br />
inszeniert seinen Film als<br />
musikalische Reise: von den ersten<br />
vielversprechenden Gehversuchen<br />
des ungleichen Musiker-Kollektivs<br />
zu ihren ersten Erfolgen im <strong>In</strong>-<br />
und Ausland, der Freude über die<br />
Erfolge, hin zu ersten Schwierigkeiten<br />
und Auseinandersetzungen.<br />
Die DJs und Produzenten werden<br />
immer in der technischen Umgebung<br />
ihrer Studios präsentiert. Sie<br />
stehen für die aufstrebende rumänische<br />
Metropole Bukarest mit<br />
ihren belebten Einkaufsstrassen,<br />
historischen Palästen, spröden<br />
Plattenbauten und <strong>In</strong>-Clubs. Im<br />
ländlichen Gratia, 50 Kilometer von<br />
Bukarest entfernt, begegnen wir<br />
den drei Ursari-Musikern Tamango,<br />
Napoleon und Classic. Sie sehen<br />
wir in ihren heruntergekommenen,<br />
einfach möblierten, aber farbenprächtig<br />
dekorierten Holzhäusern<br />
im trauten Kreise ihrer Grossfamilien.<br />
Von elektronischer Musik und<br />
ihren Aufnahmetechniken haben<br />
die Ursari-Musiker noch so gut wie<br />
nichts gehört…<br />
Differenzen sind vorprogrammiert:<br />
Wieviel Improvisation verträgt<br />
eine perfekte Studioaufnahme?<br />
Müssen gute Konzerte bis ins Detail<br />
geplant sein? Macht nur Übung<br />
den Meister? Oder soll man die<br />
Feste feiern, wie sie fallen? Entstehen<br />
die besten Konzerte, wenn die<br />
Spontaneität den Lauf der Klänge<br />
bestimmt? Die «White Chiefs» kritisieren<br />
die «Gypsies», sie wollten<br />
sich lediglich auf ihre Kosten amüsieren.<br />
Die «Gypsies» sind wiederum<br />
der Überzeugung, die «White<br />
Chiefs» nutzten sie aus, um auf ihre<br />
Kosten zu profitieren. Das «Shukar<br />
Collective Project» wird zum «Wir»<br />
gegen «Sie». Den Erfolg suchen sie<br />
am Anfang gemeinsam, doch die innovative<br />
Zusammenarbeit zwischen<br />
den Meistern der Improvisation und<br />
den Tüftlern der elektronischen<br />
Perfektion währt nur kurz. Dann<br />
ist Schluss. Der Zusammenprall<br />
zweier sozialer Realitäten, zweier<br />
Lebenswelten macht dem Projekt<br />
endgültig den Garaus.<br />
Unterbrochen von Ausschnitten<br />
aus <strong>In</strong>terviews mit und Gesprächen<br />
zwischen den ungleichen Künstlern,<br />
wird dieser Dokumentarfilm über<br />
weite Teile von der Musik getragen.<br />
Zu sehen sind Archivaufnahmen von<br />
Konzerten und Videoclips, Bildsequenzen<br />
von Bukarester Strassenszenen<br />
und dem von Kleinbauerntum<br />
und Pferdewagen geprägten<br />
ruralen Rumänien – manchmal in<br />
schneller Abfolge, hektisch und<br />
verwirrend, manchmal gelassener.<br />
Nur in der allerletzten Szene verzichtet<br />
Monacu auf jegliche musikalische<br />
Untermalung: Als der<br />
alte, von Krankheit gezeichnete<br />
Ursari-Sänger Tamango, die eine<br />
Hand an der Krücke, langsam vor<br />
seine Haustür tritt, um kurz darauf<br />
schwer atmend wieder auf dem<br />
Sofa Platz zu nehmen.<br />
Mocanu bedient sich in seinem<br />
Dokumentarfilm einer kräftigen<br />
Prise tiefgründiger Symbolik, wobei<br />
er die <strong>In</strong>terpretation den Zuschauer_innen<br />
überlässt. Eine längere<br />
Szene widmet er beispielsweise einer<br />
Bärenmutter und ihren Jungen,<br />
die in Kehricht-Containern nach<br />
Essbarem suchen. Ursari bedeutet<br />
Bärzähmer. Roma-Minoritäten<br />
unterscheiden sich häufig anhand<br />
ihrer Berufsbezeichnungen – und<br />
früher diente ihre traditionelle Musik<br />
dazu, die Bären zum Tanzen zu<br />
bringen. Heute ist das verboten, die<br />
Musik aber hat überlebt. Eine andere<br />
Szene zeigt einen Schwarm Krähen,<br />
der in der Abenddämmerung<br />
über Bukarest kreist. Früher galten<br />
die Krähen als Signal, dass die «Zigeuner»<br />
im Anmarsch sind. Heute<br />
werden sie als pejorative Metapher<br />
für dieselben verwendet.<br />
«Shukar Collective Project» ist<br />
ein Film über interkulturelle Kommunikation<br />
auf Abwegen. Der Film<br />
zeigt die tiefen Gräben auf, die bis<br />
›<br />
schWErpunkt<br />
megafon nr. 363, Januar 2012 11