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bauchtänzerInnen In ägyPten - Norient

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dr. Miriam gazzah<br />

arbeitet als kulturanthropologien<br />

in amsterdam. sie<br />

forscht zu marokkanischenJugendkulturen<br />

und hip hop in<br />

den niederlanden.<br />

links:<br />

miriamgazzah.nl,<br />

miriamgazzah.nl,<br />

nerationhalal.net,<br />

generationhalal.net<br />

schWErpunkt<br />

8<br />

megafon nr. 363, Januar 2012<br />

eine zwiespältige Situation gebracht<br />

hätte, seine Geldgeber kritisch zu<br />

hinterfragen.<br />

Auch wenn der Film aus heutiger<br />

Sicht etwas veraltet scheinen<br />

mag, er wurde 2007 veröffentlicht,<br />

im Hinblick auf den Arabischen<br />

Frühling und die Rolle von Hip Hop<br />

in den Revolutionen Tunesiens<br />

und Ägyptens ist «I love Hip Hop<br />

in Morocco» immer noch ein interessantes,<br />

aufschlussreiches Dokument.<br />

Mit einem Anteil von über<br />

der Hälfte der Bevölkerung an unter<br />

25-Jährigen wäre Marokko doch<br />

eine geeignete Hip Hop-Fanbase,<br />

und der Film könnte uns einiges<br />

offenbaren, was auf die Zukunft des<br />

Landes hinweist. Auch wenn einer<br />

der Väter den Hype um Hip Hop,<br />

der seinen Sohn (Brown Fingaz) erfasst<br />

hat, als vorübergehende Modeerscheinung<br />

ansieht, könnte die<br />

Musik ein wichtiger Katalysator für<br />

die Mobilisierung grosser Teile der<br />

Jugend Marokkos werden. Ob die<br />

Mobilisierung rein künstlerischer<br />

Natur sein wird, oder vielleicht doch<br />

politisches Gewicht erlangten, wird<br />

die Zukunft zeigen.<br />

> rEzENSioN voN<br />

MiriAM gAzzAh <<br />

do, 12.1.12, 22.00 uhr, rEitSchulEkiNo<br />

Wenn dIe sche<strong>In</strong>WerFer ausgehen:<br />

<strong>bauchtänzer<strong>In</strong>nen</strong> <strong>In</strong> <strong>ägyPten</strong><br />

MuSik, gESANg uNd bAuchtANz gEhörEN<br />

iN ÄgyptEN zu jEdEM hochzEitSfESt. jE<br />

poMpöSEr uNd koStSpiEligEr bANd uNd<br />

tÄNzEriNNEN, dESto ANgESEhENEr iSt dEr<br />

gAStgEbEr. pArAdoxErWEiSE gENiESSEN diE<br />

tÄNzEriNNEN kEiNEN gutEN ruf. SiE gEltEN<br />

AlS lEichtE odEr gEfAllENE MÄdchEN<br />

uNd WErdEN oft AlS hurEN bESchiMpft.<br />

susanne schanda<br />

ist freie Journalistin<br />

und spezialistin für<br />

ägypten<br />

Der Mond hängt ruhig am nächtlichen<br />

Himmel über Kairo – und unten<br />

ist die Hölle los. Die festlichen<br />

Lichter blinken in allen Farben. Ein<br />

ohrenbetäubender, elektronisch<br />

übersteuerter Klangteppich aus<br />

vorwärts treibender Perkussion<br />

und dem durchdringenden, nasalen<br />

Klang ägyptischer Blasinstrumente<br />

überflutet die Hochzeitsgesellschaft.<br />

Der Sänger schreit sich<br />

die Seele aus dem Leib ins Mikrophon,<br />

dann kommt ein Frauengesicht<br />

ins Bild, schwarz umrandete<br />

Kleopatra-Augen, das Lächeln erstarrt<br />

unter der Schminke und einer<br />

Langhaarperücke mit blonden<br />

Strähnen. Der füllige Körper wiegt<br />

sich im Rhythmus, die Brüste drohen<br />

aus dem glitzernden Oberteil<br />

des Bauchtanzkostüms zu springen.<br />

Amira ist eine von drei Töchtern<br />

der 42-jährigen Reda, die ihren<br />

Lebensunterhalt als Tänzerinnen<br />

verdienen: «Amira hat schon immer<br />

getanzt, sie ist tanzend aus<br />

meinem Bauch gekommen», sagt<br />

Reda stolz, am Boden ihres kargen<br />

Wohnzimmers sitzend und bereits<br />

wieder schwanger. Auch sie war<br />

einst Bauchtänzerin.<br />

Der ägyptisch-kanadische Film<br />

«At Night They Dance» leuchtet hinter<br />

die Kulissen des Bauchtanzes<br />

in einem ärmlichen Viertel in Kairo,<br />

wo die Mutter gerade die Geschäfte<br />

ihrer Töchter organisiert, Amira am<br />

Telefon einen Kunden beschimpft<br />

und Bussy ihren Drogenrausch<br />

ausschläft. <strong>In</strong> der kleinen Wohnung<br />

geht die Kamera nah an die Gesichter<br />

und erfasst die feinen Übergänge<br />

zwischen Wutausbruch und<br />

Gelächter, Trotz und Tränen, Schlaf<br />

und Wachsein. Ein junger Mann, der<br />

gerade geheiratet hat, kommt zusammen<br />

mit seinem Vater zu Reda,<br />

um sich darüber zu beklagen, dass<br />

eine ihrer Töchter ihn als Tänzerin<br />

versetzt hat. Seine Ehre sei verletzt.<br />

Er droht mit Rache. Während die betreffende<br />

Tochter im gleichen Raum<br />

vorgibt, tief zu schlafen, redet sich<br />

Mutter Reda um Kopf und Kragen<br />

und steckt dem Mann schliesslich<br />

ein paar Hunderter zu, um ihn von<br />

seinen Racheplänen abzubringen.<br />

Musik, Gesang und Bauchtanz<br />

gehören in Ägypten zu jedem Hochzeitsfest.<br />

Je pompöser und kostspieliger<br />

Band und Tänzerinnen,<br />

desto angesehener ist der Gastgeber.<br />

Paradoxerweise geniessen die<br />

Tänzerinnen keinen guten Ruf. Sie<br />

gelten als leichte oder gefallene<br />

Mädchen und werden oft als Huren<br />

beschimpft. Ihre Arbeitszeiten<br />

beginnen um elf Uhr nachts und<br />

enden morgens um vier. Auf dem<br />

Heiratsmarkt haben Tänzerinnen<br />

schlechte Karten. Der Freund der<br />

im Film porträtierten Amira verlässt<br />

sie, weil sie sich nicht von<br />

ihrem Beruf abbringen lässt. Doch<br />

Amira kann einstecken ebenso wie<br />

austeilen. Nach einem lautstarken<br />

Streit mit ihrem Freund und ein<br />

paar Tränen wünscht sie ihn zum<br />

Teufel und schminkt sich für den<br />

nächsten Auftritt. Ihr Selbstvertrauen<br />

gewinnt sie nicht zuletzt aus der<br />

Tatsache, dass sie ihren Lebensunterhalt<br />

selbst verdient.<br />

Der Film verzichtet auf erklärende<br />

Kommentare und beeindruckt<br />

umso mehr durch starke Frauenporträts.<br />

Neben Amira und der hübschen,<br />

aber faulen Bussy arbeitet<br />

auch die 15-jährige Hind bereits als<br />

Tänzerin. Sie ist die einzige der sieben<br />

Geschwister, die nicht mehr bei<br />

der Mutter wohnt, sondern zu ihrem<br />

Vater gezogen ist, der die Familie<br />

verlassen hat. Eine Rebellin, die ihre<br />

Beziehung zu einem verheirateten<br />

Mann nüchtern als temporär bezeichnet.<br />

Sie wolle überhaupt nicht<br />

heiraten. Auf dem Nachhauseweg<br />

von einem Auftritt als Tänzerin wird<br />

sie von der Polizei angehalten und<br />

festgenommen, weil sie in ihrem<br />

Alter nicht als Tänzerin arbeiten<br />

dürfte. Weil ein Verehrer von Hind<br />

die Polizei schmiert, wird sie aus<br />

der Haft entlassen. Ein paar Tage<br />

später steht sie wieder vor dem<br />

Spiegel, tuscht sich die Wimpern,<br />

legt Rouge auf und pudert die Augenpartie<br />

weiss – ein Clowngesicht.<br />

Das Tänzerinnenleben geht weiter.<br />

> SuSANNE SchANdA <<br />

schWErpunkt<br />

megafon nr. 363, Januar 2012 9

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