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bauchtänzerInnen In ägyPten - Norient

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schWErpunkt<br />

22<br />

megafon nr. 363, Januar 2012<br />

Wanlovs neueste Suche ist von<br />

etwas anderer Natur: Nach der grünen<br />

und gelben Karte geht auf seinem<br />

neuen Soloalbum das «Kartenspiel»<br />

mit der Farbe Braun weiter:<br />

«Die ‹Brown Card› ist der Ausweis,<br />

den du brauchst, um in Westafrika<br />

frei mit einem Fahrzeug herumreisen<br />

zu dürfen», erklärt er. «<strong>In</strong><br />

der Art, wie das die Gypsies schon<br />

immer gemacht haben. Nicht von<br />

Grenzen behindert werden, die unsichtbar<br />

zwischen Staaten gezogen<br />

sind. Braun ist aber auch der Farbton<br />

der Erde. Und schliesslich steht<br />

braun auch für meine Gesichtsfarbe,<br />

da mein Vater Ghanaer und meine<br />

Mutter Rumänin ist.»<br />

Sowohl auf dem Album als auch<br />

auf der Bühne lässt Wanlov rumänische<br />

Bläser, Geige und Akkordeon<br />

mit Highlife-Hörnern, ghanaischen<br />

Lauten und Trommeln kollidieren.<br />

Der Untertitel des Albums «Brown<br />

Card» ist «African Gypsy» – für Wanlov<br />

nicht nur ein musikalischer Stil,<br />

auch eine Lebenseinstellung. «Da<br />

ich ein Reisender bin und wegen<br />

meines persönlichen Hintergrunds<br />

identifiziere ich mich als ‹African<br />

Gypsy›. Ich kann nicht immer in einer<br />

bestimmten musikalischen Ecke<br />

bleiben, denn ich nehme ja ständig<br />

eine Menge anderer Einflüsse auf.<br />

Meine Musik wird sich immer weiterentwickeln,<br />

anderes adaptieren,<br />

mal spassiger, mal experimenteller<br />

sein und das widerspiegeln, was ich<br />

gerade durchlebe.»<br />

Wanlov, der Unberechenbare,<br />

schwankt stets zwischen kleinen<br />

Skandälchen und Engagement, wie<br />

auch seine beiden aktuellen Hits zeigen:<br />

Mit «The River» hat er den Hit<br />

der neuseeländischen Popsängerin<br />

Holly Smith adaptiert, um auf die<br />

Verschmutzung der ghanaischen<br />

Umwelt aufmerksam zu machen.<br />

Von anderem Zuschnitt dagegen<br />

«Thank God We‘re Not A Nigerians»<br />

(sic!): Hier verdichtet er mit Partner<br />

M3nsa alle Vorurteile, die die Ghanaer_innen<br />

in den traditionell gepflegten<br />

Frotzeleien gegen ihre anglophonen<br />

Nachbarn pflegen. Racial<br />

Profiling pur – doch man kann es<br />

ihm kaum verübeln. Denn wie so<br />

viele provokante Gratwanderungen<br />

wird auch diese bei Wanlov zur spielerischen<br />

Kunstform.<br />

> StEfAN frANzEN <<br />

stefan franzen ist<br />

freischaffender<br />

Musikjournalist aus<br />

freiburg.<br />

lö tröSENbEckS SElbStvErSuch: StErEotypEN<br />

Von FröhlIchen F<strong>In</strong>nen und lang-<br />

WeIlIgen tanzFesten IM balkan<br />

WENN filME Wirklich diE WElt vErÄNdErN<br />

köNNEN, dANN SichEr iNdEM SiE MEhr<br />

vErStÄNdNiS für diE WuNdErbArE WElt dEr<br />

divErSEN kulturEN SchAffEN. viEllEicht<br />

köNNtEN Wir dANk filMEN SogAr gANz AufS<br />

rEiSEN vErzichtEN. EiNfAch dvd rEiN<br />

SchiEbEN odEr öffENtlich-rEchtlichES<br />

fErNSEhEN EiNSchAltEN uNd SchoN rEi-<br />

SEN Wir durch diE hiNtErlEtztEN EckEN<br />

diESEr ErdE. lö tröSENbEck MAchtE dEN<br />

tESt.<br />

Lö Trösenbeck gibt sich gern als<br />

kosmopolitischer Mensch, der laut<br />

in vielen verschiedenen Sprachen so<br />

tut, als wüsste er haargenau, wie die<br />

Welt aussieht. <strong>In</strong> Wirklichkeit sitzt er<br />

am liebsten zu Hause, gemütlich vor<br />

dem Fernsichtgerät, Bier und Erdnüsse<br />

in Griffweite. Für ihn wäre die<br />

Welt perfekt, würden die Theorien<br />

von de Selby stimmen.<br />

De Selby (1829–1961) war ein<br />

Philosoph und Naturwissenschaftler,<br />

der sich selber als Theologe<br />

und Physiker bezeichnete. Seine<br />

eigentliche Existenz ist umstritten.<br />

Sicher ist, er erscheint in diversen<br />

Romanen des irischen Schriftstellers<br />

Flann O‘Brien, unter anderem<br />

im Werk «Der dritte Polizist». Mit<br />

wahnsinnigen Versuchen, beweist<br />

de Selby seine Theorien. So schaffte<br />

er es, innerhalb einer Woche den besten<br />

Whisky Irlands herzustellen. <strong>In</strong><br />

seiner Theorie der «Schwarzen Luft»<br />

erklärte er, dass die Nacht nur ein<br />

Mythos sei. Es handle sich nämliche<br />

jeweils nur um schmutzige, schwarze<br />

Luft. Und er schaffte es, zu reisen,<br />

ohne sein Zimmer zu verlassen. Ein<br />

paar Postkarten der Ortschaften,<br />

die er eigentlich besuchen wollte,<br />

genügten. Lö Trösenbeck versuchte<br />

de Selbys Theorie ohne Postkarten<br />

zu beweisen. Er benutzte DVDs und<br />

VHS-Kassetten mit Filmen, die an<br />

Orten spielten, wo er selber noch<br />

nie war. Danach reiste er in den jeweiligen<br />

Kulturkreis und überprüfte<br />

das Bild, das ihm die Filme vermittelt<br />

lö trösenbeck<br />

ist reisender. Er<br />

befindet sich dank<br />

der Methode «de<br />

selby» regelmässig<br />

im norient, ohne sein<br />

zuhause in bümpliz<br />

zu verlassen.<br />

hatten.<br />

Da waren zum Beispiel die Filme<br />

des Ex-Jugoslawen Emir Kusturica.<br />

Seine Filme sind geprägt von einer<br />

Festfreude sondergleichen. Wer zum<br />

Beispiel «Schwarze Katze, weisser<br />

Kater» sieht, kommt schnell einmal<br />

in Versuchung zu denken, dass dort<br />

im Balkan das Phänomen «Festfreude<br />

an sich» erfunden wurde.<br />

Lö Trösenbeck war selber Mitglied<br />

eines Festkomitees. Es nannte<br />

sich «die Mundwässerer». Wenn<br />

das Komitee die Plattenteller belegte<br />

und mit Videokunst die Wände verpixelte,<br />

entstand ein Menü, dass den<br />

Tanzfreudigen das Wasser im Mund<br />

zusammen fliessen liess. <strong>In</strong> Bern, einer<br />

Provinzstadt, die weit herum als<br />

sehr langweilig gilt, zelebrierten die<br />

Mundwässerer einmal pro Monat die<br />

Nacht. Dann wurde getanzt, bis die<br />

ersten Trambahnen ihre Nachtdepots<br />

verliessen. Biedere Bundesbeamte<br />

tanzten auf den Tischen und Stühlen.<br />

Nette Vorzimmerdamen rissen sich<br />

die Kleider vom Leib. Was würde passieren,<br />

wenn diese explosive Festmischung<br />

nach Serbien exportiert<br />

würde, in die Region der scheinbar<br />

wildesten Feste der Welt?<br />

Tatsächlich tanzte eine nette<br />

Gruppe von Belgrader_innen zu den<br />

Bildern und Tönen der Mundwässerer.<br />

Sie rissen sich jedoch weder<br />

die Kleider vom Leib noch tanzten sie<br />

auf Tischen und Stühlen. Im Gegenteil,<br />

Punkt zwei Uhr früh, schlossen<br />

die serbischen Kulturbeamt_innen<br />

die Bierausgabestellen und knipsten<br />

das grelle Neonlicht an. Die Berner<br />

Mundwässerer sassen auf dem Trockenen,<br />

packten ihre Sachen und<br />

reisten zurück ins Reich der Langeweile.<br />

De Selby wurde von Kusturica widerlegt.<br />

Für Lö Trösenbeck war klar,<br />

das Experiment musste andernorts<br />

fortgeführt werden.<br />

Vielleicht ist es klüger, Schwermut<br />

statt Festfreude zu suchen,<br />

dachte sich der Reisende. Er schaute<br />

sich das Gesamtwerk vom Finnen<br />

Aki Kaurismäki an. Finnland, das<br />

war klar, bestand hauptsächlich<br />

aus schweigenden, alkoholabhängigen,<br />

traurigen Menschen. Perfekt<br />

für einen Sommerurlaub des Sommerverächters<br />

Lö Trösenbeck. Dann<br />

auch hier ein Skandal. Bürger_innen<br />

von Finnland entpuppten sich als<br />

unheimlich fröhliche und schwatzhafte<br />

Menschen. Keine Strasse, kein<br />

Wald, keine Sauna war vor ihnen sicher.<br />

Überall lauerten sie mit ihren<br />

Mobiltelefonen, wild gestikulierend<br />

und laut kichernd. Vielleicht kam Lö<br />

Trösenbeck einfach zu spät, um die<br />

Realität Kaurismäkis zu erfahren.<br />

Vielleicht hatte die Gummistiefelfabrik<br />

in der Ortschaft Nokia genau das<br />

gemacht, auf das Finnland jahrhunderte<br />

lang gewartet hatte. Sie diversifizierte.<br />

Neben Gummistiefeln produzierte<br />

sie handliche Telefone.<br />

Offenbar spielen Kaurismäkis<br />

Filme im Zeitalter der Gummistiefel.<br />

Mit Gummistiefeln liess sich nicht so<br />

leicht schwatzen. Sie machten traurig<br />

und alkoholabhängig. Aber heute<br />

ist klar, Kaurismäkis Finnland entspricht<br />

nicht mehr der Wirklichkeit<br />

oder wenigstens nicht derjenigen, die<br />

Trösenbeck erwartet hatte.<br />

Für Trösenbeck war der Ansporn<br />

gross, wenigstens einmal de Selby<br />

bestätigt zu sehen. Es musste Orte<br />

geben, die per DVD und VHS bereist<br />

werden konnten. Im Laufe der Zeit<br />

wurde er fündig. <strong>In</strong> Neuseeland gibt<br />

es tatsächlich Hobbits («Herr der<br />

Ringe»). <strong>In</strong> Kalifornien wird sehr viel<br />

gekifft («Cheech & Chong»). Und im<br />

Weltraum herrscht wirklich Schwerelosigkeit<br />

(«2001 – Odyssee im Weltraum»).<br />

Eines wurde Lö Trösenbeck nach<br />

diesem Selbstversuch klar. Filme<br />

zeigen einem zwar nicht unbedingt<br />

die reale Welt, doch sie laden ein, diese<br />

Welt zu erkunden. Denn Kiffen mit<br />

Hobbits ist im Weltraum schöner als<br />

Zuhause vor dem Fernseher. Auch<br />

wenn das Reisen auf überraschende<br />

Weise beweist, Kusturicas Komödien<br />

finden eher in Finnland und Kaurismäkis<br />

Tragödien in Serbien statt.<br />

> lö tröSENbEck <<br />

schWErpunkt<br />

megafon nr. 363, Januar 2012 23

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