» intErviEw DeR MOBILe GeISt Michael Köhlmeier über magische Momente, Energien beim Schreiben und den mobilen Geist. 12 <strong>MAGAZIN</strong>
Mit seinen Büchern avancierte Michael Köhlmeier zu einem der erfolgreichsten und auch produktivsten Schriftsteller Österreichs. Richtig populär machte ihn aber der Rundfunk: Mit warmer, einschmeichelnder Stimme entführte der begnadete Erzähler in den neunziger Jahren seine Zuhörer in die Welt der griechischen Götter und Helden. Im Interview erzählt der Hohenemser Künstler von seiner Verbundenheit zur Literatur, er lüftet das Geheimnis der Poeten und betrachtet die Mobilität aus einem anderen Blickwinkel. Sie haben früh gewusst, dass Sie Schriftsteller werden wollen? Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem Literatur sehr viel gegolten hat. Mein Vater hat Bücher gesammelt. Ein Buch war für ihn ein Tor zur Welt. Meine Mutter konnte viele Verse aus dem Faust auswendig zitieren. Meine Eltern haben es begrüßt, dass sich ihr Sohn mit Schreiben seinen Lebensunterhalt verdienen wollte. Und das als bekennender Legastheniker. Inwieweit beeinflusste die Lese-Rechtschreib-Schwäche Ihr Schaffen? Ich hatte eine freundliche, kluge Lehrerin, die diese Schwäche schnell entdeckt hat, ohne das Wort dafür zu kennen. Bei uns war Legasthenie damals noch nicht bekannt. Sie sagte zu meinem Vater, der sehr besorgt war: „Wenn er es eines Tages braucht, dann wird er es lernen und besser behalten als jeder andere.“ Denn etwas, das man mit Mühe erwirbt, das kann man besser. Die Aufmerksamkeit der Sprache gegenüber ist für mich etwas Alltägliches geblieben, eine nie endende Aufgabe und Herausforderung. Mit Ihren eigenwilligen Erzählungen im Rundfunk haben Sie vielen Menschen die Welt der griechischen Götter und Helden erschlossen. Woher kommt Ihre Faszination für Mythen? Mein Vater war Historiker. Für ihn war wichtig, die Menschen zur Geschichte hinzuführen. Und er war der Meinung, bei jungen Menschen weckt man Interesse an der Vergangenheit, indem man ganz am Anfang beginnt: bei der Mythologie. Mein Vater hat mir sehr viel aus der griechischen Sagenwelt erzählt. Es sind Geschichten, nicht mehr und nicht weniger. Man muss nicht immer so tun, als wäre die Historie nur dazu da, um aus ihr zu lernen. Geschichte ist mehr als die Rute des Krampus. Geschichte lebendig und zeitgemäß zu vermitteln, ist aber auch kein leichtes Unterfangen. Wie ist es Ihnen gelungen? Als ich zum ersten Mal in Griechenland war, brachte ich die Landschaft und seine Menschen in keiner Weise mit der griechischen Sagenwelt in Verbindung. Der Schauplatz dieser Geschichten war für mich immer im Bekanntenkreis, in der Bäckerei oder auf dem Bahnhof. Odysseus, Phaedra, Klytaemnestra – sie alle hatte ich gekannt. Denn Figuren aus der Mythologie, die sich nicht in die Gegenwart übertragen lassen, verblassen irgendwann. Und worin liegt nun die Kunst des Erzählens? Ein guter Erzähler glaubt im Augenblick des Erzählens an die Realität seiner Geschichte. Es kommt darauf an, wie souverän er all das, was ihn umgibt, zu seiner Welt machen kann. Das Geheimnis eines Poeten ist es, die einfachsten, Dinge so darzustellen, als sähe er sie zum ersten oder zum letzten Mal. Dann entsteht Magie. Was bedeutet Mobilität für Sie? Da fragen Sie genau den Richtigen! Ich habe seit über 25 Jahren kein Auto mehr. Aber Mobilität ist ja nicht nur eine körperliche Angelegenheit. Das Internet ist für mich die größte Erfindung der Menschheit nach Sprache und Schrift – die globale und unmittelbare Vernetzung von Intelligenz. Insofern bin ich auf dem Weg, ein mobiler Mensch zu werden. Wenngleich sie nur der körperlichen Fortbewegung dienen: Was halten Sie von Elektrofahrzeugen? Elektrofahrzeuge wären für mich ein Grund zu überlegen, ob ich mir wieder ein Auto anschaffe. Danke für das Gespräch! » im gESpräch Zur Person Michael Köhlmeier geboren 1949 in Hard, lebt als Schriftsteller und Musiker in Hohenems und Wien. Für seine Erzählungen, Romane und Hörspiele erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. U.a. wurde das Jahrhundertepos „Abendland“ 2007 für den Deutschen Buchpreises nominiert und 2008 mit dem Bodensee- Literaturpreis ausgezeichnet. Für sein literarisches Gesamtwerk erhielt Köhlmeier 2007 den Österreichischen Würdigungspreis für Literatur. Zuletzt erschienen ist die Novelle „Idylle mit ertrinkendem Hund“ (2008). <strong>MAGAZIN</strong> 13