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Beiträge<br />
zur<br />
Umweltpolitik<br />
Sabine Voigt<br />
Fragen und Antworten<br />
zur Grünen Gentechnik<br />
in der Landwirtschaft<br />
und Lebensmittelherstellung<br />
1/2005<br />
Ökologische<br />
Plattform<br />
bei der PDS
Fragen und Antworten<br />
zur Grünen Gentechnik<br />
in der Landwirtschaft<br />
und Lebensmittelherstellung<br />
J.W. Goethe zu Eckermann 1829: "...die Natur versteht gar keinen<br />
Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat<br />
immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des<br />
Menschen."<br />
Herausgeber:<br />
Ökologische Plattform bei der PDS<br />
Kleine Alexanderstr. 28<br />
10178 Berlin<br />
oekoplattform@pds-online.de<br />
http://www.oekologische-plattform.de<br />
Autor:<br />
Dr. Sabine Voigt<br />
Berlin, Dezember 2004
Inhalt: Seite<br />
Vorwort von Prof. Dr. Wolfgang Methling 3<br />
1. Warum noch eine Broschüre zur Gentechnik? 6<br />
2. Was muss ich über Gentechnik, Gentechnologie,<br />
Biotechnologie wissen?<br />
Ist gentechnische Züchtung wirklich so „natürlich“?<br />
Was verbirgt sich hinter den gewollten Resistenzen?<br />
Wie sieht die gegenwärtige Nutzung von transgenen<br />
Pflanzen in der Welt aus?<br />
3. Was wollen die Gentech-Konzerne?<br />
Was macht Grüne Gentechnik so attraktiv für die Konzerne?<br />
Haben sich die Segnungen der Gen-Industrie bestätigt?<br />
Wird das Welthungerproblem gelöst?<br />
Ist grüne Gentechnik wissenschaftlich-technischer Fortschritt?<br />
4. Welche Risiken gibt es für die Umwelt? 26<br />
5. Was interessiert mich <strong>als</strong> Verbraucher?<br />
Haben gentechnisch veränderte Lebensmittel Auswirkungen<br />
auf die menschliche Gesundheit?<br />
Woran erkenne ich Genfood?<br />
Was kann man dem Konsumenten empfehlen?<br />
6. Was betrifft die Bauern?<br />
Saatgut – wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit oder<br />
Knebelverträge für die Bauern?<br />
Gibt es Alternativen zur Gentechnik in der Landwirtschaft?<br />
Für die Bauern bringt Gentechnik nichts. Warum wird es<br />
dann trotzdem gemacht?<br />
Was ist unter Koexistenz zu verstehen?<br />
Warum lassen sich Gentechnikfolgeschäden nicht<br />
versichern bzw. wer soll dafür haften?<br />
Warum werden Patente abgelehnt?<br />
7. Warum sind gentechnikfreie Zonen so wichtig und wie<br />
organisiert man sie?<br />
8. Welche gesetzlichen Regelungen gibt es? 57<br />
9. Welche Standpunkte vertreten die etablierten Parteien? 60<br />
10. Was spricht gegen den Einsatz der Gentechnik?<br />
Politischer Standpunkt der Ökologischen Plattform bei<br />
der PDS<br />
11. Wo kann ich mich weiter informieren? 65<br />
9<br />
17<br />
34<br />
42<br />
54<br />
62
Vorwort<br />
3<br />
Die Ökologische Plattform beginnt mit diesem Heft die Herausgabe einer<br />
Schriftenreihe, die sich mit verschiedenen umwelt- und naturschutzpolitischen<br />
Themen befassen soll. Das kann ich nur begrüßen.<br />
Im Rahmen der Programmdiskussion konnten wir feststellen, dass sich ein<br />
deutlicherer grüner Faden durch das Programm zieht <strong>als</strong> durch das alte. Alle<br />
Freunde von Natur und Umwelt in der PDS sind sicher genauso wie ich froh<br />
darüber, dass der Satz „Sozialismus ist...eine Bewegung gegen die<br />
Ausplünderung der Natur“ darin steht. Er markiert eine neue Qualität von<br />
umweltpolitischem Anspruch. Trotzdem stelle ich leider immer wieder fest,<br />
dass das noch lange nicht bedeutet, dass jedes PDS-Mitglied in seinem<br />
Denken schon „grün“ ist. Umso wichtiger ist es, nicht nachzulassen im<br />
Bemühen um Aufklärung über Naturzusammenhänge sowie über den<br />
Nachhaltigkeitsdreisatz von Ökologie, Ökonomie und Soziokultur und somit<br />
zur Standpunktbildung beizutragen. Dem will sich die neue Reihe der<br />
Ökologischen Plattform widmen. Ich wünsche der Ökologischen Plattform<br />
dabei viel Erfolg.<br />
Das erste Heft befasst sich mit Fragen und Antworten zur Grünen<br />
Gentechnik. Ein Jahr lang haben wir uns in der Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
Umwelt-Energie-Verkehr gemeinsam mit der Ökologischen Plattform und der<br />
AG Agrarpolitik mit dem Thema beschäftigt. Es war wie in der gesamten<br />
Gesellschaft eine z.T. sehr emotionsgeladene Diskussion. Meinungsunterschiede<br />
sind deutlich geworden. Wie in der Gesellschaft reichen die<br />
Meinungen zur Grünen Gentechnik von der generellen Ablehnung bis zur<br />
pragmatischen Berücksichtigung von aktuellen Entwicklungen in den<br />
Ländern. Der Grundkonsens, auf den wir uns geeinigt haben, ist nicht das<br />
Ende der Diskussion. Aber er ist wichtig, deshalb will ich an dieser Stelle<br />
einige Punkte daraus erwähnen.<br />
Wir fühlen uns verantwortlich für den Schutz des Verbrauchers, für die<br />
Wahlfreiheit von Verbrauchern und Landwirten sowie für den Schutz der<br />
biologischen Vielfalt. Daher sind wir uns grundsätzlich einig darüber,<br />
dass die Anwendung der „Grünen Gentechnik“ in der Landwirtschaft<br />
weder notwendig noch wünschenswert ist. Die Natur kann nicht beliebig<br />
manipuliert oder gentechnisch konstruiert werden. Wie bei allen<br />
Risikotechnologien, werden sich auch bei der Gentechnik die<br />
Nebenwirkungen erst mittel- und langfristig manifestieren. Darüber<br />
hinaus ist sie ein Intensivierungsfaktor, der die Abhängigkeit des<br />
Landwirtes von Saatgutkonzernen noch weiter erhöhen wird.
4<br />
Wir haben aber auch festgestellt, dass angesichts der politischökonomischen<br />
Rahmenbedingungen die Anwendung der Gentechnik<br />
scheinbar unumkehrbar ist.<br />
Dennoch fordern wir, dass die Diskussion über Notwendigkeit,<br />
Nützlichkeit und Risiken vor der Freisetzung und Praxisanwendung<br />
geführt wird.<br />
Wir teilen die Skepsis von Landwirten und Verbrauchern gegenüber<br />
gentechnisch verändertem Saatgut und Futtermitteln sowie<br />
Nahrungsmitteln und fordern eine Kennzeichnungspflicht und die<br />
Einhaltung von möglichst niedrigen Grenzwerten (0,1%) für<br />
Beimischungen/Verunreinigungen. Besonderen Wert legt die PDS auf<br />
eine strenge Reinhaltung des Saatgutes, denn nur so kann eine<br />
schleichende Kontaminierung vieler Flächen verhindert werden. Der<br />
Verbraucher muss jederzeit die Wahl zwischen natürlichen und<br />
gentechnisch veränderten Nahrungs- und Genussmitteln haben.<br />
Babynahrung und Milch dürfen keinerlei transgene Inhaltsstoffe<br />
enthalten.<br />
Eine „friedliche Koexistenz“ des Anbaus von gentechnisch veränderten<br />
und herkömmlichen Kulturpflanzen ist nur unter gewissen<br />
pflanzenspezifischen Anbau- und Schutzbedingungen<br />
(Sicherheitsabstände, Mantelsaaten, gentechnikfreie Zonen, Garantie-<br />
bzw. Haftungsverpflichtungen u. a.) zu erreichen. Für einige<br />
Pflanzenarten (z.B. Raps) ist die Koexistenz praktisch kaum oder nicht<br />
möglich. Die PDS unterstützt die Schaffung gentechnikfreier Regionen.<br />
Außerordentlich bedenklich sind die Verengung der Bewertung<br />
gesellschaftlicher Bedarfe und des Nutzens biotechnologischer<br />
Innovationen auf ihre ökonomische Verwertbarkeit sowie die teilweise<br />
Bagatellisierung der Risiken und Folgeprobleme. Daraus resultiert oft<br />
eine Tendenz zur Reduzierung der begleitenden Risiko-, Sicherheits-<br />
und Technikfolgeforschung. Erforderlich ist die Ausweitung einer<br />
systematischen biotechnischen Sicherheits- und Begleitforschung. Das<br />
schließt die Förderung von Grundlagenforschung zum gezielten<br />
Ausschluss von Risikofaktoren ein.<br />
Angesichts der Anfangserfolge gibt es bei manchen<br />
Verantwortungsträgern in Politik und Wirtschaft, aber auch in der<br />
Wissenschaft, nicht die notwendige kritische Distanz zu den eigenen<br />
Ergebnissen. Den Gentechnik-Kritikern gebührt Respekt, weil diese in<br />
der öffentlichen Auseinandersetzung über die Chancen und Risiken der
5<br />
Gentechnik die Öffentlichkeit sensibilisiert haben. Aktivitäten in diesem<br />
Sinne werden wir unterstützen. Die Geheimhaltung von<br />
Freisetzungsversuchen und Erprobungsanbau vermehrt das<br />
Misstrauen. Nur Transparenz kann Vorbehalte abbauen.<br />
Wir sind der Meinung, dass statt der Nutzung neuer gentechnischer<br />
Methoden die traditionelle Züchtung und Züchtungsforschung auf<br />
hohem Niveau zu erhalten und weiterzuentwickeln ist. Auch wenn<br />
Pflanzen eingesetzt werden, die gegen Schaderreger und<br />
Pflanzenschutzmittel resistent sind, darf es nicht zu einer<br />
Vernachlässigung bewährter Grundsätze der guten fachlichen Praxis<br />
kommen. Die grüne Gentechnik darf nicht Reparaturtechnologie gegen<br />
die Folgen von Monokulturen sein.<br />
Das in diesem Heft von Sabine Voigt vorgelegte Material geht weit über die<br />
hier thesenhaft aufgeführten Bewertungen hinaus. Ich betrachte es <strong>als</strong> einen<br />
weiteren wichtigen Baustein für die Diskussion innerhalb und außerhalb der<br />
PDS. Nötig ist eine sachliche, von Emotionen möglichst freie Erörterung des<br />
Themas. Das zu trägt das Heft bei.<br />
Prof. Dr. Wolfgang Methling
1. Warum noch eine Broschüre zur Gentechnik?<br />
6<br />
Gentechnologie – unverzichtbare Chancen oder unkalkulierbare Risiken? Seit<br />
den ersten Experimenten in den 80er Jahren tangiert der Einsatz der<br />
Gentechnik heute fast alle Bereiche der Umwelt, der Natur und des Lebens.<br />
Die Gentechnik wird bei breiter globaler Anwendung – und das ist für die<br />
nächsten Jahrzehnte <strong>als</strong> sehr realistisch einzuschätzen – nicht nur auf den<br />
Kulturflächen der Landwirtschaft zu finden sein, sondern auch in der<br />
Forstwirtschaft, im Gartenbau und in der Tierproduktion und natürlich auch in<br />
Lebensmitteln – von der Sondennahrung im Krankenhaus bis zu den Fertig-<br />
Produkten. Künftig kommt keiner umhin, im Alltag Entscheidungen zu treffen,<br />
bei denen die Gentechnik eine Rolle spielt. Das betrifft nicht nur gentechnisch<br />
veränderte Lebensmittel (Genfood), sondern neben Waschmittel oder<br />
Arzneimittel auch Gentherapien oder Gendiagnostik. Fachleute<br />
unterscheiden die Gentechnik nach Farben: Die rote Gentechnik beschäftigt<br />
sich mit der Humanmedizin, darunter die weiße Gentechnik mit der<br />
Arzneimittelproduktion, die graue Gentechnik mit umweltrelevanten Verfahren<br />
und die blaue Gentechnik mit Anwendungen in der Meeresbiologie und<br />
Fischzucht. Die grüne Gentechnik betrifft die Landwirtschaft und die<br />
Nahrungsmittelverarbeitung. Nur um diese soll es in der vorliegenden<br />
populärwissenschaftlichen Broschüre auch gehen. Sie ist ein besonders<br />
umstrittenes Thema in der Öffentlichkeit wie in der Politik. Denn die Erfolge<br />
der Gentechnikindustrie liegen eher in der Pharmazie und der<br />
Arzneimittelentwicklung. Da könnte Kranken geholfen werden und jeder<br />
Betroffene kann mehr oder weniger selbst entscheiden, welche<br />
Nebenwirkungen in Kauf genommen werden. Im Landwirtschaftsbereich ist<br />
das ganz anders: Man darf sich keine unumkehrbaren und zerstörerischen<br />
Nebenwirkungen mit fatalen Folgen für Natur und Menschheit leisten. Es ist<br />
nicht notwendig, Gentechnik einzuführen. Keiner will, dass das, was wir<br />
essen auch noch zur Krankheit führt.<br />
Wurde vor rd. 20 Jahren euphorisch von künftigen Erfolgsquoten in der<br />
Agrarproduktion und Ernährung gesprochen, so lässt sich heute feststellen,<br />
dass sich weder die großen Erfolge eingestellt haben noch die Entwicklung in<br />
Richtung Schutz der Umwelt und des Verbrauchers geht. Dem Bauern bzw.<br />
dem essenden Menschen sollen gentechnisch verändertes Saatgut bzw. die<br />
daraus hergestellten Lebensmittel aufgedrängt werden, weil es Gentech-<br />
Konzerne so wollen. Und die Natur wird einer weiteren gefährlichen<br />
Technologie unterworfen. Aber auch sie wehrt sich und reagiert entsprechend<br />
in ihren Ökosystemen mit Erosionen, Resistenzen und Artenschwund. Die<br />
Gentechnik ist dennoch eine junge Technologie, und sie zählt zu den<br />
Risikotechnologien. Deshalb diskutieren seit den ersten Laborversuchen<br />
Befürworter und Gegner Vor- und Nachteile, Risiken und
7<br />
Fortschrittspotentiale der grünen Gentechnik – allerdings mit wenig Erfolg<br />
einen gemeinsamen Standpunkt zu finden.<br />
Tatsache ist, grüne Gentechnik ist Realität. Muss jedoch eine Verbreitung<br />
von Gen-Saatgut, Gen-Futtermitteln und Genfood per se <strong>als</strong> Argument für die<br />
Notwendigkeit einer Akzeptanz angeführt werden? Solange es Menschen<br />
gibt, die <strong>als</strong> Verbraucher, Ökologen, Landwirte und Verarbeiter in der<br />
Mehrheit den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft und in<br />
Lebensmitteln ablehnen, ist deren Wunsch nach Wahlfreiheit zu respektieren!<br />
Befürworter und Kritiker argumentieren oftm<strong>als</strong> mit einem breiteren<br />
Blickwinkel für die Vielfalt der gesellschaftlichen Auswirkungen – so beim<br />
Welthungerproblem, beim Arbeitskräfteproblem, bei wirtschaftlichen Erfolgen<br />
oder Misserfolgen in der Landwirtschaft, bei Fragen der sozialen Auswirkungen<br />
auf kleine Farmer und Mittelbauern – auch in Entwicklungsländern.<br />
Politiker aller Fraktionen, Wissenschaftlerorganisationen, Industrie-, Umwelt-<br />
wie Verbraucherverbände nehmen sich der Frage an und schreiben stetig<br />
Bücher und Artikel über die Problematik, um die eine oder andere Seite zu<br />
überzeugen. Es stellt sich <strong>als</strong>o die Frage: Warum noch eine Broschüre zur<br />
Gentechnik? Trotz des Medieninteresses (oder gerade aufgrund dessen?) ist<br />
nicht zu leugnen, dass einige Verbraucher immer noch davon ausgehen,<br />
dass in Lebensmitteln keine Gene sind, dass Landwirte meinen, dass mit<br />
einer Freisetzung von Gentech-Saatgut keine größeren Risiken <strong>als</strong> bisher in<br />
der landwirtschaftlichen Produktion in Kauf genommen werden; und Politiker,<br />
ja selbst Fachleute werfen Gentechnologie und Biotechnologie in einen Topf.<br />
Auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird es mit Sicherheit<br />
weitere neue Erkenntnisse im Reich der Gentechnologie geben. Dabei<br />
kommt sie von Seiten der Gentech-Konzerne nicht <strong>als</strong> Bedrohung über uns,<br />
sondern <strong>als</strong> Versprechen: nützliche Produkte, eine hoffnungsvolle Zukunft<br />
und ein langes gesundes Leben. Was ist von diesen Verheißungen zu<br />
halten? Wer entscheidet darüber, was für die Menschheit nützlich ist? Was ist<br />
tatsächlich möglich? Und wie hoch ist der Preis, den wir für die Anwendung<br />
der Gen- und Fortpflanzungstechnologien möglicherweise zahlen müssen?<br />
Kann das Nebeneinander – die Koexistenz - von Produktionssystemen mit<br />
und ohne Einsatz der Gentechnik funktionieren? Und: Sind die gesetzlichen<br />
Regelungen etwa der Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel<br />
ausreichend, um eine Ernährung ohne Gentechnik zu gewährleisten?<br />
Diese und weitere Fragen zum Thema Gentechnik sollen in dieser Broschüre<br />
aufgegriffen werden.
8<br />
Die Ökologische Plattform bei der PDS hat angeregt, eine Broschüre für<br />
die Basisorganisationen der PDS und für Interessierte vorzulegen, die<br />
allgemeinverständlich für Verbraucher und Bauern die<br />
Gentechnikprobleme und den politischen Standpunkt der ÖPF darlegen.<br />
Die Broschüre ist sowohl für den schnellen <strong>als</strong> auch interessierten<br />
Leser gedacht: Jeder Laie und jede Interessensgruppe können sich kurz<br />
und knapp einen Überblick über den Stand der gegenwärtigen<br />
Anwendung, Risiken und Diskussion der grünen Gentechnik<br />
verschaffen.
9<br />
2. Was muss ich über Gentechnik, Gentechnologie und<br />
Biotechnologie wissen?<br />
Lebewesen verfügen über die einzigartige Fähigkeit, sich zu vermehren und<br />
ihre Gene zu vererben – d.h. aus Weizensamen wird wieder Weizen keimen<br />
und aus einer Kartoffelknolle wird eine Pflanze hervorgehen, die wiederum<br />
Kartoffelknollen erzeugt. Die jeweils weiter gegebenen Gene <strong>als</strong> Träger der<br />
Erbinformation bestimmen über Art, Rasse und Sorte sowie Aussehen und<br />
Eigenschaften.<br />
Diesen Umstand sich zu Nutze machend, domestizieren, züchten und<br />
kreuzen Menschen seit über zehntausend Jahren Pflanzen und Tiere und<br />
beschränken sich mittels klassischer Zuchtmethoden auf die Übermittlung<br />
von Genen zwischen eng miteinander verwandten Lebewesen, auch bei<br />
solchen industrialisierten Formen wie künstliche Besamung oder<br />
Meristemkultur (Pflanzen, die sich aus teilendem Gewebe herstellen lassen).<br />
Durch menschliche Hand wurde eine große Vielfalt an essbaren<br />
Kulturpflanzen und leistungsfähigen Nutztieren geschaffen. Allein die aus<br />
Wildarten gezüchteten verschiedenen regionalen Sorten an Mais, Reis,<br />
Weizen … zählen Tausende.<br />
Im Laufe der Evolution haben sich Gene und Genome (das ist die Summe<br />
der Gene eines Lebewesens) stetig verändert und entsprechend den Um-<br />
welt-, Lebens- und Nahrungsbedingungen entwickelt. Jedoch erfolgte die<br />
Vererbung immer innerhalb der Artgrenzen, immer in Einklang mit der Natur.<br />
Die Natur lässt es auch zu, dass Familien mit gemeinsamen Vorfahren sich<br />
kreuzen können, z.B. Pferd und Esel, wobei die Nachfahren meist nicht<br />
zeugungsfähig sind. In der Pflanzenwelt ist die Kreuzungsfähigkeit bei nahen<br />
Verwandten viel größer. Die Fähigkeit der artüberschreitenden Weitergabe<br />
von Erbinformationen bleibt nur niedrigen Organismen, den<br />
Mikroorganismen, vorbehalten. Bakterien tauschen z.B. die Eigenschaft aus,<br />
gegen Antibiotika unempfindlich zu werden. Dies kann zu den gefürchteten<br />
Antibiotikaresistenzen führen. Viren können sich selbst – ein Stück<br />
Erbinformation in einer Eiweißhülle - in Pflanzen- oder Tierzellen einbauen.<br />
Dies ist unter dem Begriff Infektion bekannt und hat ein jeder schon mal z.B.<br />
<strong>als</strong> Virus-Erkältung und Schnupfen erlebt. Dieser natürliche Vorgang hat<br />
jedoch nichts mit gentechnischen Veränderungen zu tun.<br />
Die natürliche Evolution scheint bei höheren Lebewesen, da sie sich nur<br />
untereinander geschlechtlich fortpflanzen können, Grenzen zu unterliegen.<br />
Auch in der Züchtung von Kulturpflanzen und Nutztieren bleibt dadurch die<br />
Zahl der Kombinationen stark begrenzt. Bisher ist es unmöglich, ein völlig
10<br />
neues Gen z.B. für bestimmte Zuchteigenschaften entstehen zu lassen. Auch<br />
mittels Gentechnik kann nur aus dem Genpool geschöpft werden, der<br />
vorhanden und von der Natur hervorgebracht worden ist.<br />
In der neuen Technologie werden mittels Gentransfer gentechnisch<br />
veränderte Organismen (kurz: GVO) erzeugt. Gentransfer ist die<br />
Übertragung von Genen bzw. DNA mittels bestimmter Methoden (z.B. mit<br />
Hilfe von Viren <strong>als</strong> so genannte Gen-Fähren oder mittels Zellfusion). Das ist<br />
möglich, weil das Erbmaterial (die DNA) bei allen Lebewesen von<br />
Mikroorganismus bis Mensch nach dem gleichen Muster („Code") aufgebaut<br />
ist. Das Prinzip der Gentechnik ist immer die künstliche Veränderung der<br />
DNA, <strong>als</strong>o der Erbinformation von Organismen.<br />
Diese Technologie wird auch <strong>als</strong> „moderne Biotechnologie“ oder<br />
„Gentechnologie“, manchmal auch <strong>als</strong> „DNA-Rekombinationstechnik“ oder<br />
„Gentechnik“ bezeichnet. Damit können ausgewählte einzelne oder mehrere<br />
Gene mit denen „gezielt“ bestimmte Eigenschaften „vererbt“ werden sollen,<br />
über alle biologischen Grenzen hinweg von einem Organismus auf einen<br />
anderen übertragen werden. Seit dem Gelingen des ersten gentechnischen<br />
Experiments 1972 konnten einzelne Abschnitte des Erbguts aus Organismen<br />
isoliert, im Reagenzglas manipuliert und in das Erbgut anderer Lebewesen<br />
eingefügt werden. Gen"spender“ und Genempfänger müssen dazu weder<br />
nahe Verwandte sein noch derselben Art angehören. Selbst Gene von<br />
niederen und höheren Lebewesen (Bakterium und Pflanze oder Pflanze und<br />
Tier) lassen sich im Reagenzglas miteinander verbandeln.<br />
Auch in der juristischen Definition im europäischen und deutschen<br />
Gentechnik-Gesetz wird der Unterschied zur traditionellen Züchtung<br />
herausgearbeitet: Gentechnische Arbeiten bedeuten hier die Erzeugung<br />
(auch Verwendung, Vermehrung, Lagerung, Freisetzung, Entsorgung,<br />
Transport) von GVO, d.h. von vermehrungsfähigen biologischen Einheiten,<br />
bei denen das Erbmaterial in einer Weise verändert wurde, die in der Natur<br />
durch Kreuzung oder natürliche Rekombination 1 nicht vorkommt. GVO sind<br />
dabei Organismen, die <strong>als</strong> Lebewesen eingestuft werden.<br />
Gentechnik umgeht somit die Artengrenzen ganz und gar. Diese sind<br />
keine undurchdringliche Mauer mehr, die verschiedene Tiere, Pflanzen<br />
und den Menschen voneinander trennen. Der Mensch beeinflusst<br />
Evolution nicht nur, sondern macht Evolution jetzt selbst. Er verändert<br />
maßgeblich die Urbausteine des Lebens selbst - in einem Mix, wie sie<br />
die Natur von sich aus nie hervorbringen würde. Der Mensch wird zum<br />
1 Rekombination - Austausch von DNA-Abschnitten zwischen verschiedenen Molekülen, spontan bei der natürlichen<br />
Zellteilung oder durch gentechnische Verfahren.
11<br />
Schöpfer auf der Laborbank, mit der er künstlich hergestellte Natur in<br />
seinem Umfeld etablieren kann. So können heute genetische Stoffe aus<br />
miteinander nicht verwandten Organismen zusammengesetzt werden<br />
und ergeben neue Qualitäten, neue Eigenschaften und gar neue Wesen.<br />
Es sind die tiefsten Eingriffe in die evolutionären Prozesse, die bisher durch<br />
eine Technik innerhalb eines kurzen Zeitraumes möglich sind. Grundlage<br />
dafür ist die Erbsubstanz. Sie bildet den unermesslich großen Informationsspeicher<br />
für alles Leben auf der Erde.<br />
Gentechnologie und Gentechnik können im allgemeinen Sprachgebrauch<br />
begrifflich <strong>als</strong> Synonym verwendet werden. Sie bezeichnen die Gesamtheit<br />
der mikrobiologischen, biochemischen und gentechnologischen Methoden<br />
zur „gezielten“ Bildung neuer Kombinationen genetischen Materi<strong>als</strong> und zur<br />
Vermehrung des rekombinierten Erbmateri<strong>als</strong> in einer Empfängerzelle.<br />
Organismen (GVO), die ein fremdes Gen tragen, werden auch Transgene<br />
oder transgene Organismen genannt.<br />
Gentechnik ist ein Teilgebiet der Biotechnologie und ist nicht mit dieser zu<br />
verwechseln bzw. begrifflich oder inhaltlich gleich zu setzen. Gentechnik ist<br />
eine fachübergreifende Methode, die sich aus der Molekularbiologie<br />
entwickelt hat. Die Wurzeln der Biotechnologie reichen dagegen weit zurück.<br />
Schon seit Urzeiten hat es der Mensch verstanden, die biologischen<br />
Fähigkeiten von Kleinstlebewesen wie Bakterien oder Pilze zur Herstellung<br />
von Brot, Käse, Joghurt, Kefir oder Bier zu nutzen. Bei der Biotechnologie<br />
wird deren Stoffwechsel genutzt, um einen Ausgangsstoff zu verändern.<br />
Schon die Ägypter haben vor 3000 Jahren Biotechnologie betrieben, indem<br />
sie ganz einfach Brot gebacken (Hefe-/Sauerteig) oder Bier (Bierhefe)<br />
gebraut haben. Jeder, der einen Joghurt herstellt oder einen Sauerbraten<br />
zubereitet, seinen Brotteig aufgehen lässt etc. betreibt Biotechnologie. Das<br />
hat nicht zwangsläufig etwas mit Gentechnologie zu tun, denn an den<br />
beteiligten Bakterien oder Hefen wurde (im Regelfall) keine gentechnische<br />
Veränderung vorgenommen.<br />
Die systematische Erforschung solcher Mikroorganismen und Zellkulturen hat<br />
mit den Jahren zu weiteren Anwendungen geführt und beispielsweise die<br />
industrielle Herstellung von Vitaminen oder Antibiotika ermöglicht - zunächst<br />
ohne Manipulation von Erbgut. Bereits in den 60er Jahren entdeckte man,<br />
dass – vereinfacht dargestellt - die DNA mit bestimmten Enzymen<br />
zerschnitten und mit anderen DNA-Bausteinen wieder verknüpft werden<br />
kann. Mit relativ einfachen gentechnischen Verfahren lässt sich dabei ein<br />
einziger DNA-Abschnitt im Reagenzglas in kürzester Zeit millionenfach<br />
vermehren.
12<br />
Man kann allerdings die Gentechnik auch dazu einsetzen, um bei<br />
Mikroorganismen die Produktion bestimmter Eiweißbausteine hervorzurufen,<br />
z.B. zur Herstellung von Insulin, das Diabetikern hilft und heute nicht mehr<br />
aus den Pankreasdrüsen von Schweinen hergestellt wird. Allerdings gehört<br />
dieses Beispiel in den pharmazeutischen Bereich. Hier kann einzelnen<br />
Kranken geholfen werden. Die grüne Gentechnik umfasst dagegen<br />
Lebensmittel, die wir täglich mehrm<strong>als</strong> zu uns nehmen und nicht nur für den<br />
Menschen Risiken beinhalten, sondern für unsere ökologischen<br />
Lebensgrundlagen schlechthin.<br />
Ist gentechnische Züchtung wirklich so „natürlich“?<br />
Gentechniker stellen gentechnische Veränderungen gern <strong>als</strong> „natürlichen“<br />
Prozess dar bzw. argumentieren mit dem Vergleich zur traditionellen<br />
Züchtung. Diese Legitimierung zeigt auf, wie wenig differenziert das<br />
eigentlich neue und alle herkömmliche Verfahren in den Schatten Stellende<br />
an der Gentechnik gesehen wird. Bzgl. der Einfügung von Genen anderer<br />
Arten in einen Wirtsorganismus stellt sich allerdings die Frage, ob jem<strong>als</strong> in<br />
der klassischen Züchtung versucht worden ist, ein schnell wachsendes Rind<br />
mit einer Forelle zu verbandeln oder gar einen Fisch mit einer Tomate?<br />
Gerade im Überschreiten von Artgrenzen liegt ein Risiko, dass zu<br />
ökologischen Verschiebungen führen kann. Wenn Gentechnik so natürlich<br />
ist, wo ist er dann, der geheimnisvolle Ort, an dem sich Schneeglöckchen und<br />
Kartoffeln ekstatisch im Liebestanz vereinen? Gentechnologische Veränderungen der<br />
Erbsubstanz über Artgrenzen hinweg entsprechen nicht den Prinzipien der<br />
Natur. Das für den Leuchtstoff des Glühwürmchens zuständige Gen würde<br />
niem<strong>als</strong> den Weg in eine Tabakpflanze finden, um die Tabakblätter zum<br />
Leuchten zu bringen; das Gen für Wachstumshormone vom Menschen nie<br />
einen Lachs aufsuchen. So verwundert es nicht, wenn sich mit Argumenten<br />
der jahrtausendalten Züchtungserfahrungen und der Anwendung<br />
biotechnologischer Verfahren (z.B. der Gärung), da sie gerade nicht zur<br />
Gentechnologie zählen, diese aber begründen sollen, kein Grundkonsens<br />
finden lässt. "Grüne Gentechnik birgt keine Gefahren, die die traditionelle,<br />
herkömmliche Pflanzenzüchtung nicht auch birgt" und "die Gentechnik macht<br />
weiter nichts, <strong>als</strong> dass Informationen der Erbsubstanz auseinander<br />
geschnitten und neu kombiniert werden", so die beschönigenden<br />
Einschätzungen der Wortführer von Konzernleitungen.<br />
Gentechnik ist aber grundsätzlich anders zu bewerten, denn sie ist ein<br />
künstlicher Eingriff in ein biologisches Informationssystem, das vielschichtig<br />
verflochten und multikausal (mit vielen Ursachen und Funktionen) arbeitet.
13<br />
Das Risiko der Gentechnik entsteht durch technische Manipulation von<br />
Leben. Die Naturfremdheit des technischen Eingriffs in Lebensformen<br />
ist unbestritten. Hier gilt, je kleiner der Organismus desto gefährlicher<br />
das Experiment. Im Vergleich beider Züchtungsvarianten entfernt man sich<br />
bei gentechnischen Veränderungen viel mehr von dem, was im Lauf der<br />
Evolution geschehen und entstanden ist. Bei der herkömmlichen Zucht bleibt<br />
die Anordnung der Gene im Erbgut weitgehend erhalten. Dadurch ist<br />
gewährleistet, dass die Nachkommen lebensfähig sind und den Eltern sowie<br />
Vorfahren ähneln. Auch Rückzüchtungen sind möglich. Züchter wissen<br />
deshalb um den Umstand, dass viele Leistungs- und Gesundheitsmerkmale<br />
konträr zueinander gelagert sind, ohne die Zusammenhänge in und zwischen<br />
den Genen unbedingt zu kennen. 2<br />
Die bisher bekannten wirtschaftlich relevanten Entwicklungen zielen aber<br />
genau darauf ab, die mit den Gesetzen der Vererbung naturgegebenen<br />
engen biologischen Grenzen der traditionellen Züchtung zu überwinden, um<br />
neue "optimierte" Mikroorganismen, Pflanzensorten und Tierarten zu<br />
schaffen, wie sie weder nach traditioneller Züchtung noch in der Natur<br />
vorkommen.<br />
Was <strong>als</strong> „zielgerichtete Einschleusung“ benannt wird, ist eigentlich eine<br />
Methode nach dem Zufallsprinzip. Die Wissenschaftler können nicht<br />
vorhersagen, wo ein neu hinzugefügtes (modifiziertes) Gen auf ein<br />
Chromosom 3 landen wird, so dass auch immer die Möglichkeit besteht, dass<br />
andere Zellfunktionen beeinträchtigt werden können. Beispiele<br />
fehlgeschlagener Versuche gibt es bereits genügend (s. Pkt. Risiken). Doch<br />
selbst wenn ein modifiziertes Gen es schafft, am gewünschten Ort „inseriert“<br />
(eingenistet) zu werden, so gibt es noch lange keine Garantie dafür, dass es<br />
dort auch „exprimiert“ (in seiner Funktion erkannt und ausgebildet) wird.<br />
Trotz ihrer über 30jährigen Laufbahn in der Forschung steht diese neue<br />
Technologie immer noch erst am Anfang. Das Erkennen aller<br />
Beziehungsnetze zwischen Genen, Geweben, Organen, Organismen und der<br />
äußeren Umgebung samt den möglichen Störungen, Mutationen 4 und<br />
Reaktionen geht so weit über jegliche bisher bekannten komplexe Systeme<br />
hinaus, dass es der Wissenschaftlergemeinde auch in Zukunft noch viel Zeit<br />
2 Auf dem Wege der klassischen Züchtung ist ohnehin schwer gesündigt worden: Die Leistungsfähigkeit hat ihre<br />
natürlichen Grenzen. Eine einseitige Leistungssteigerung erzeugt Disproportionen in anderen Lebensfunktionen: z.B.<br />
eine Höchstertragsleistung bei Getreide benötigt gleichzeitig Halmstabilisatoren. Eine Züchtung auf höhere<br />
Milchfettanteile verringert den relativen Milcheiweißanteil. Eine hohe bzw. überhöhte Milchleistung geht zu Lasten der<br />
Eutergesundheit, der Reproduktionsrate und der Gesundheit des Bewegungsapparates.<br />
3 Chromosom - fadenförmiges aus DNA und Proteinen aufgebautes Molekül im Zellkern; die Gesamtheit der<br />
Chromosomen enthält den größten Teil der Erbsubstanz. Die Anzahl der Chromosomen ist artspezifisch; der Mensch<br />
besitzt 23 Chromosomenpaare.<br />
4 Mutation - sprunghafte Veränderung der biologischen Information der DNA.
14<br />
für ein weites Spektrum zum Lokalisieren, Kartieren, Sequenzieren,<br />
Analysieren, Katalogisieren, Modellieren und Verwerten der Gene abfordert.<br />
Dafür müssten wir über die tiefen Geheimnisse der Natur, die sie über<br />
Jahrmilliarden angesammelt hat, detailliert informiert sein. Wir kennen heute<br />
kaum die vollständigen Gensequenzen der Erbsubstanz der Pflanzen und<br />
Tiere, noch kennen wir die genauen Funktionsweisen der Gene, ihre<br />
Eigenschaften in Nachbarschaft mit anderen Genen und Eiweißbausteinen<br />
sowie ihr Zusammenwirken. Hieß es noch vor kurzem, die unbrauchbaren<br />
Gene in der Erbsubstanz (auch <strong>als</strong> „Genmüll“ bezeichnet) hätten sich im<br />
Laufe der Evolution angesammelt, sind aber unnütze, so gibt es schon wieder<br />
neue Erkenntnisse: ohne seinen scheinbar funktionslosen Datenmüll könnte<br />
ein Lebewesen nicht existieren.<br />
Was verbirgt sich hinter den gewollten Resistenzen?<br />
Grundlegende Ziele der Anwendung gentechnologischer Verfahren in der<br />
Pflanzenzüchtung sind:<br />
1. Resistenzen gegenüber Herbizide (Pflanzentilgungsmittel), die so<br />
genannte Herbizidresistenz: Nutzpflanzen werden gentechnisch so<br />
verändert, dass sie eine hohe Verträglichkeit gegenüber Herbiziden<br />
aufweisen. Der Landwirt kann mit den entsprechenden<br />
Unkrautvernichtungsmitteln seinen Acker praktisch völlig unkrautfrei halten,<br />
ohne die Kulturpflanzen zu schädigen.<br />
2. Resistenzen gegenüber Pflanzenschädlingen (Insektenfraß), so genannte<br />
Insektenresistenz oder Insektentoleranz: Den GVO-Pflanzen wird ein Gen<br />
für eine toxische Reaktion übertragen, so dass die Pflanzen gegen<br />
Insekten widerstandsfähig sind oder die Insekten absterben.<br />
3. Resistenzen gegenüber Krankheitserregern (Pilze, Viren, Bakterien).<br />
4. Resistenzen gegenüber klimatischen Bedingungen (z.B. Frost, Hitze,<br />
Dürre, Feuchtigkeit).<br />
5. Verbesserung der Qualität der Rohstoffe bzgl. des Anteils gewünschter<br />
Inhaltsstoffe (z.B. Stärkegehalt) oder bzgl. ernährungsphysiologischer<br />
Qualitäten der Inhaltsstoffe (z.B. Anteil ungesättigter Fettsäuren).<br />
Diese Eigenschaften werden teilweise in einer transgenen Sorte kombiniert<br />
hergestellt.
15<br />
Wie sieht die gegenwärtige Nutzung von transgenen Pflanzen in der<br />
Welt aus?<br />
Zur Einschätzung der gegenwärtigen Anwendung der Gentechnik in der<br />
kommerziellen Landwirtschaft sollen ein paar Zahlen helfen:<br />
Im Jahr 2003 umfasste der kommerzielle Anbau gentechnisch veränderter<br />
Pflanzen weltweit 68 Millionen Hektar, das waren 4,5 Prozent aller<br />
agrarischen Flächen. (Zum Vergleich: Die Gesamtfläche Deutschlands<br />
beträgt 35 Millionen Hektar.) In sechzehn Ländern auf allen Kontinenten wird<br />
die grüne Gentechnik kommerziell zur Lebens- und Futtermittelproduktion<br />
eingesetzt. Sie ist damit zwar weltweit eine Realität, aber geographisch und<br />
wirtschaftlich höchst ungleich verteilt. Nur vier Pflanzen bestimmen die GVO-<br />
Branche (darunter ein Nicht-Lebensmittel): nämlich Soja, Baumwolle, Mais<br />
und Raps. Zunehmende Bedeutung wird auch Reis erlangen. Ganze fünf<br />
Länder produzieren über 90% der GVO: In den USA wurden zwei Drittel aller<br />
Gentech-Pflanzen angebaut, gefolgt von Argentinien mit 14 Prozent der<br />
weltweiten GVO-Fläche, Kanada mit 4,4 Prozent sowie Brasilien und China<br />
mit je 4 Prozent. Weltweit werden mehr <strong>als</strong> die Hälfte der Sojabohnen mit<br />
GV-Sorten (kurz Gensoja) erzeugt (55%). In Argentinien sind konventionelle<br />
Sojabohnen fast vollständig verdrängt worden (GVO: 99%).<br />
Auch einige europäische Länder bauen Genpflanzen an. In Spanien betrugen<br />
die Anbauflächen für insektenresistenten Bt-Mais 5 32.000 Hektar. Rumänien<br />
erntete herbizidresistente Sojabohnen auf 70.000 Hektar. Kleinere<br />
(Versuchs)Flächen gibt es in Deutschland für Bt-Mais (500 Hektar in 2003),<br />
der nur betriebsintern verfüttert werden darf. Ein größerer Erprobungsanbau<br />
mit Bt-Mais fand 2004 statt. (s. Pkt. 6.)<br />
Das Spektrum transgener Pflanzen ist auf wenige Sorten und technisch<br />
einfach zu realisierende Merkm<strong>als</strong>veränderungen begrenzt geblieben:<br />
Sie sind entweder herbizidresistent (zu 71 %) oder insektenresistent (zu<br />
22 %) oder mit einer kombinierten Herbizid- und Insektenresistenz (zu 7<br />
%) ausgestattet. Veränderte Qualitätsmerkmale, die auch den Verbrauchern<br />
einen zusätzlichen Nutzen versprechen (wie etwa eine<br />
Reduktion von toxischen Inhaltsstoffen und Allergenen), spielen im<br />
kommerziellen Anbau transgener Pflanzen noch keine Rolle.<br />
Entsprechende Produkte dürften erst in fünf bis zehn Jahren technisch<br />
realisierbar sein und auf den Markt kommen.<br />
Das Geschäft mit der Grünen Gentechnik befindet sich in einer Handvoll<br />
5 Diesem Genmais wurde ein Gen des Giftes eines Bodenbakterium hinzugefügt, um den Fraßschädling Maiszünsler<br />
abzuwehren. (siehe Pkt. Risiken)
16<br />
multinationaler Firmen. Das US-amerikanische Unternehmen Monsanto<br />
dominiert inzwischen 90 Prozent des Marktes für genverändertes Saatgut.<br />
Aufgrund ihres Fusionsstils und Aufkauf von tausenden kleinen und mittleren<br />
Saatgut- und Pharmafirmen weltweit, ihrem aggressiven Vorgehen auch in<br />
Entwicklungsländern hat Monsanto nicht ganz zu Unrecht die Beinamen<br />
„Mutanto“ und „Monsatan“ erhalten.<br />
Der Gentech-Anbau wächst zwar nicht mehr so rasant weiter wie Ende der<br />
90er Jahre, nimmt aber dennoch langsam zu. Kein Wunder, die Gentech-<br />
Konzerne kaufen sich die Politiker, die sie für ihre Wirtschaftspolitik<br />
benötigen. US-Landwirtschaftsministerin Ann Venemann ist gleichzeitig im<br />
Vorstand der Biotechnologiefirma Calgene – das erste Unternehmen, das in<br />
den USA genmanipulierte Lebensmittel auf den Markt brachte und von<br />
Monsanto aufgekauft wurde. Monsanto spendete 12.000 Dollar für Bushs<br />
Wahlkampf und versuchte bisher erfolgreich ein Gesetz zu verhindern, das<br />
eine Kennzeichnung gentechnischer Beigaben in Lebensmitteln vorschreibt. 6<br />
Das ist kein Einzelfall.<br />
Brasilien - zweitgrößter Sojaexporteur in der Welt - galt bisher <strong>als</strong> Gentechfrei.<br />
Monsanto wird nun beschuldigt, in Brasilien ordentlich mit<br />
Schmiergeldern und der Finanzierung von Forschungsprojekten geholfen zu<br />
haben, um das Gen-Anbauverbot der brasilianischen Regierung aufzuheben.<br />
Wie es der "Zufall" will, ist der Chef von Monsanto Brasilien auch Mitglied der<br />
brasilianischen Regierungsbehörde für Biosicherheit, die Gensaatgut und<br />
Freilandversuche in Brasilien zulassen muss. Welch ein Zufall auch, dass<br />
Monsanto die illegale Einfuhr seines Gensamens von Argentinien nach<br />
Brasilien zuließ. Ausgerechnet hier wurde der Weiterverkauf des Gensojas<br />
durch Farmer oder Drittpersonen erlaubt, was sonst aufgrund der zu<br />
entrichtenden Patentgebühren in allen anderen Ländern der Welt strengstens<br />
verboten ist. Diese raffinierte Vorgehensweise ist von Monsanto in beiden<br />
Ländern geplant worden, um damit illegal Gensoja nach Brasilien zu<br />
schmuggeln, so dass im Süden Brasiliens bereits 30% aller Soja-<br />
Anpflanzungen aus dem Schmuggelsaatgut Monsantos stammt. Die großen<br />
Latifundistas hatten natürlich auch ihre Hand im Spiel. Die brasilianische<br />
Regierung knickte ein, und der Verkauf von Gen-Soja wurde für den<br />
brasilianischen Markt freigegeben – mit der Alibiklausel einer Befristung bis<br />
2004. Monsanto feiert indes seinen Sieg und Brasilien wird in Infomaterialien<br />
des Gentechkonzerns schon in der Farbe der »Pro-Gentechnik-Staaten«<br />
wiedergegeben. 7<br />
6 Moore, Michael (2004) Stupid White Men. Piper München, Zürich, S. 46<br />
7 09.07.2004, junge Welt
17<br />
3. Was wollen die Gentech-Konzerne?<br />
Die Mischpulte für das Leben in diesem Jahrtausend stehen in den<br />
Laboratorien der Saatgutindustrie, der Pharmaindustrie und der<br />
Chemiekonzerne. Ihre wirtschaftliche Macht kann selbst nicht mehr <strong>als</strong><br />
national definiert werden. Sie ist von den speziellen Gegebenheiten des<br />
Stammlandes kaum noch beeinflussbar. Monsanto (bekannt durch Agent<br />
Orange im Vietnamkrieg), DOW, DuPont (Pioneer), Syngenta<br />
(hervorgegangen aus Astra Zeneca, Ciba Geigy, Novartis u.a.), BASF und<br />
Bayer CropScience (ein Zusammenschluss aus Hoechst, Schering, Rhone<br />
Poulenc, AgrEvo, Aventis u.a.) sind im Verständnis der Öffentlichkeit, aber<br />
auch der Politik, amerikanisch, schweizerisch und deutsch, obwohl sie längst<br />
kosmopolitisch und global agieren und rund um die Welt in vielen Staaten -<br />
ebenso in den Mutterländern der Konkurrenzfirmen - dominieren.<br />
Der Gentech-Markt ist ein Wachstumsmarkt. Er bedingt Fusionen,<br />
Kartellbildungen und dementsprechende Preisabsprachen und weltweit<br />
milliardenschwere Patentstreitigkeiten.<br />
Die Firma Monsanto kaufte beispielsweise für fast 10 Milliarden Mark in den<br />
vergangenen Jahren landwirtschaftliche Unternehmen und insbesondere<br />
Saatguterzeuger in der Welt auf. Erklärtes Ziel sei es, so ein<br />
Konzernsprecher, die gesamte Nahrungsmittelkette zu kontrollieren. 8 Wenn<br />
sich ein derartiges Machtmonopol bildet, wird es keine Wahlfreiheit mehr<br />
geben: Gegessen wird fortan, was auf den Markt soll!<br />
Alle diese Konzerne versprechen uns mit Hilfe von Gentechnik gesunde<br />
Nahrungsmittel trotz verschmutzter Umwelt, Superpflanzen trotz ausgelaugter<br />
Böden, Milch von gentechnisch zu Höchstleistungen angetriebenen Kühen.<br />
Die Protagonisten der Gentechnik feiern sich <strong>als</strong> Retter der Erde, die sich<br />
durch menschlichen Einfluss zunehmend verändert hat und für so manchen<br />
Artgenossen wie für den Menschen selbst in so manchen Regionen immer<br />
ungastlicher wird. Erst in den letzten 100 bis 150 Jahren - in Relation zum<br />
Zeitalter der Evolution auf der Erde entspricht das etwa einem<br />
Stecknadelkopf auf einem Fußballfeld - haben Abholzung, Verwüstung,<br />
Versalzung, Überweidung, Süßwasserverknappung, Erosion von Muttererde<br />
ungeahnte Ausmaße angenommen. All dies hat Prozesscharakter, wobei die<br />
Zerstörung schneller <strong>als</strong> eine natürliche Erholung abläuft und auch in den<br />
nächsten Jahrzehnten nicht aufgehalten werden kann, wenn nicht massiv<br />
(politisch) eingegriffen wird. Die Gentechnik hat sich verbal und<br />
wissenschaftlich all diesen Problemfeldern verschrieben. Salzresistente und<br />
wassersparende Kulturpflanzen? Kein Problem im biotechnologischen Zeit-<br />
8 The Guardian, 15.12.1997
18<br />
alter. Lösen sie damit die hausgemachten Probleme? Bringen sie sie<br />
bestenfalls zum Stillstand? Wohl kaum.<br />
Was macht Grüne Gentechnik so attraktiv für die Konzerne?<br />
Es gibt zwei schlüssige Indikatoren: einmal das Tempo der internationalen<br />
Innovationstätigkeit auf diesem Gebiet und damit das immense Potential zur<br />
Kapitalkonzentration und zum anderen die Zunahme der mit<br />
gentechnologisch erzeugten Produkten erzielten Wertschöpfung. Unter dem<br />
Deckmantel der Vorteile für den Verbraucher, für Umwelt und zur<br />
Arbeitsplatzbeschaffung heißt das Ziel: Erhöhung der Kapitalverwertung und<br />
Sicherung von Märkten, Marktanteilen und Profiten.<br />
Die großen Pharmakonzerne betreiben nicht ohne Grund eine<br />
Doppelstrategie: Angesichts der hohen Entwicklungskosten und -risiken<br />
stellt das Engagement der Agrochemie im Saatgutbereich eine Form der<br />
Produktabsicherung dar. Eine Produktlinie soll den Bedarf nach der nächsten<br />
aus dem gleichen Hause wecken. Damit lässt sich doppelt abkassieren. Die<br />
meisten Pflanzen der Gentech-Konzerne sind per Genmanipulation resistent<br />
gegen ein firmeneigenes Herbizid: bei Monsanto z.B. „Round-up Ready<br />
(RR)", bei Aventis das Herbizid “Liberty”. Das heißt: Wer Saatgut von<br />
Monsanto benutzt, muss auch das Pflanzenschutzmittel „RR“ einsetzen.<br />
Dadurch ist der Absatz von Agrochemikalien gesichert. Neben der neuen<br />
transgenen Kulturpflanze entsteht so in erster Linie ein neuer Markt für<br />
Herbizide – dem eigentlichen Wirtschaftsziel der Chemiegiganten.<br />
Herbizidtolerante Pflanzen machen nicht zufällig zwei Drittel aller am Markt<br />
vorhandenen transgenen Pflanzen aus. Diese Pflanzen sind nicht gerade im<br />
Sinne der Lösung der dringendsten Probleme der Menschheit entwickelt<br />
worden, aber die Logik ist einfach: herbizidresistente Pflanzen gefährden den<br />
Herbizidmarkt nicht. Monopole würden wohl kaum auf die profitschmälernde<br />
Idee kommen, Pflanzen zu entwickeln, mit denen sich keine Herbizide oder<br />
Düngemittel mehr verkaufen lassen. „Daher wurde der Versuch, die bei<br />
Hülsenfrüchten vorhandene Fähigkeit der Stickstoffbindung auf andere<br />
Pflanzen zu übertragen, … weitgehend aufgegeben.“ 9 Eine an sich sehr<br />
sinnvolle Entwicklung, denn Stickstoffproduktion und Überdüngung<br />
verursachen ökologische Schäden. Aber Stickstoff gehört zu den Favoriten<br />
unter den Düngemitteln. Die Chemiebranche würde sich selbst den Profit-Ast<br />
absägen, auf dem sie sitzt.<br />
Von Vorteil für die Riesen unter den Weltmarktteilnehmer ist darüber hinaus,<br />
dass Gentechnik einen homogenen Massenmarkt befördert. Das erhöht<br />
Profitraten und sichert Marktanteile.<br />
9 Lewontin, R.C., 1998, a.a.O.
19<br />
Insbesondere geht es den Unternehmen mit den GVO auch um das<br />
Patentrecht. Das Recht, Patente auf Lebewesen zu erteilen, wurde erst mit<br />
der Entwicklung der Gentechnik massiv vorangetrieben, da an den bisherigen<br />
unpatentierten Kulturpflanzen kein Extraprofit erzielt werden kann. Das neue<br />
Patentrecht begünstigt nun die Hersteller von Gentech-Saatgut und<br />
benachteiligt die konventionellen Pflanzenzüchter. Gentech-Unternehmen<br />
können über das Patentrecht gleich mehrere Pflanzen auf einmal für sich<br />
schützen, nämlich all jene, in die ein bestimmtes Gen eingebracht ist. So<br />
umfasst ein einziges Patent von Monsanto 18 verschiedene Nutzpflanzen.<br />
Haben sich die Segnungen der Gen-Industrie bestätigt?<br />
Die Versprechen der Agro-Gentechnik-Branche, die Erträge zu steigern, den<br />
Einsatz von Pestiziden (Oberbegriff für Pflanzenschutz- und<br />
Insektenbekämpfungsmittel) zu verringern, die Umwelt zu entlasten und die<br />
Welternährung zu sichern, haben sich <strong>als</strong> nicht haltbar erwiesen.<br />
Steigerung der Erträge: Nach derzeitiger Datenlage sind die Erträge von<br />
gentechnisch verändertem Soja im Vergleich zu herkömmlichem Soja<br />
geringer, während bei gentechnisch verändertem Mais die Erträge gleich<br />
hoch wie bei normalem Mais ausfallen. 10<br />
Verringerung des Pestizideinsatzes: Die Datenlage zum Pestizidverbrauch<br />
beim Anbau von Genpflanzen erlaubt keine endgültigen Schlüsse 11 . Da aber<br />
Unkräuter und Insekten Resistenzen ausbilden, kommt es häufig zu einer<br />
Zunahme des Pestizidverbrauchs: Wie Beobachtungen aus dem<br />
großflächigen Anbau von Gensoja 12 und Genbaumwolle in den USA zeigen,<br />
entwickeln sich durch den ausschließlichen Einsatz eines Wirkstoffes<br />
allmählich resistente Ackerkräuter, d.h. es müssen von Saison zu Saison<br />
mehr Pflanzenschutzmittel ausgebracht werden, um sie zu beseitigen 13 . Der<br />
Einsatz von Gentechnik verspricht nicht einmal eine Atempause in der<br />
Einsparung von Umweltgiften.<br />
Umweltfreundlichere Produktion: Beim Herbizidresistenz-System soll die<br />
Ackerbegleitflora weniger geschädigt werden <strong>als</strong> beim bisherigen<br />
Herbizideinsatz. Im Herbst 2003 veröffentlichte Ergebnisse umfangreicher<br />
10 USDA (1999): Report erhältlich unter www.econ.ag.gov/new-at-ers<br />
11 Benbrook (2001) Do GM crops mean less pesticide use? Pesticids Outlook, Oktober 2001, 204-207<br />
12 Eine von der Universität von Madison (1999) in acht amerikanischen Bundesstaaten durchgeführte (unabhängige)<br />
Untersuchung ergab einen Ertrag von durchschnittlich nur 96% (Schwankungsbreite von 86-113%) bei der Gen-<br />
Roundup-Ready-Sojabohne im Vergleich zu konventionellen Saatgut (5172mal wurde konventionell, 3067mal Roundup<br />
Ready angebaut). Der 'Benbrook Consulting Report' (1999, S.2) stellt den Einsatz der zwei- bis fünffachen Menge an<br />
Herbiziden fest im Vergleich zu den in den USA anderen gängigen Unkrautvernichtungsmaßnahmen.<br />
13 Reporte unter: www.btintefnet.com/~nlpwessex/Documents/Monsantosuperweeds.htm und<br />
www.organicconsumers.org/Monsanto/Roundupsuperwecds.cfm, und Mellon und Rissler (1998) Now or Never - Serious<br />
New Plants to Save A Natural Pest Control, Union of Concerned Scientists (UCS)
20<br />
Studien in England haben jedoch gezeigt: Im Vergleich zum konventionellen<br />
System waren beim Anbau herbizidresistenter Raps- und Zuckerrüben-<br />
Pflanzen Anzahl und Vielfalt der Wildkräuter auf und neben dem Acker<br />
erheblich verringert. Bis zu 40 Prozent weniger Blütenpflanzen wuchsen an<br />
den Ackerrändern. Das führte zu negativen Auswirkungen auf die<br />
Insektenwelt und in der Folge auch zu Gefährdungen von Vögeln und<br />
Wirbeltieren. Herbizidresistente Pflanzen entlasten die Umwelt demnach<br />
nicht, sondern beeinträchtigen die Artenvielfalt. 14<br />
Es gibt bis heute keine Ökobilanz der Verwendung von Genmais 15 oder<br />
Genraps und damit keine wissenschaftlich belastbare Abschätzung des<br />
Umwelteffekts. Warum dies so ist, beantwortet z.B. eine Hochglanzbroschüre<br />
der deutschen Firma AgrEvo 1996 zum Einsatz eines „nichtselektiven<br />
Herbizids mit günstigen ökologischen Eigenschaften“ mit der Bezeichnung<br />
„Basta“ (später aufgrund des negativen Namensimage in „Liberty“<br />
umgewandelt) gleich selbst: Von AgrEvo wird es für unwahrscheinlich<br />
gehalten, dass sich herbizidresistenter Raps auf andere verwandte Senfarten<br />
auskreuzt – „Sollte es dennoch geschehen, kann ... immer noch ein anderes<br />
Mittel verwendet werden“. Also umweltfreundlicher??? Gleiches wird<br />
abwägend auf die Frage beantwortet, ob Unkräuter selbst gegen das Totalvernichtungsmittel<br />
Resistenzen entwickeln können? Wäre ja auch nicht so<br />
schlimm, denn: „Eine Kontrolle mit Herbiziden, die einen anderen<br />
Wirkungsmechanismus aufweisen, ist weiterhin möglich.“<br />
Wird das Welthungerproblem gelöst?<br />
Während die Gentechnik zum Schrittmacher für die Weltwirtschaft wird,<br />
verarmen immer mehr Klein- und Mittelbauern sowie Nomaden und<br />
verhungern immer mehr Bewohner dieser Erde. Es gibt keinen direkten<br />
Zusammenhang zwischen der Menge an Nahrungsmitteln, die ein Land<br />
produziert, und der Zahl der hungernden Menschen. Grundsätzlich gilt:<br />
Hunger ist ein gesellschaftliches und politisches Problem und kann deshalb<br />
nicht durch den Einsatz von Technik allein gelöst werden. Hunger wird durch<br />
ein komplexes Zusammenspiel von Armut, zu knappen oder zerstörten<br />
Ressourcen, Umweltkatastrophen, ungerechten Strukturen des Welthandels<br />
sowie von f<strong>als</strong>cher Politik und Krieg verursacht.<br />
Untersuchungen der FAO 16 , der Welthungerhilfe 17 und des Büros für<br />
Technikfolgeabschätzung beim Deutschen Bundestag sagen aus: Gentechnik<br />
14 www.pubs.roy<strong>als</strong>oc.ac.uk/FSEresults<br />
15 Kleine Anfrage der CDU (DS 14/3969 vom 02.08.2000), 500 ha Bt-Mais mit Insektenresistenz ("-toleranz") von<br />
Syngenta werden für eine betriebsinterne Produktion in Deutschland angebaut (entspricht 80 Fußballfelder).<br />
16 FAO: Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen<br />
17 ngo-online vom 18. Okt. 2004 www.ngo-online.de/ganze_nachricht.php4?Nr=9527
21<br />
wird keinen Beitrag zur Bekämpfung von Armut und Hunger in der Dritten<br />
Welt leisten. Die Zahl der Hungernden vor allem in Afrika und Südasien wird<br />
sich offenbar vorerst nicht verringern - es sei keine Trendwende in Sicht.<br />
Insgesamt seien nach den letzten Zahlen der Welternährungsorganisation<br />
FAO 798 Millionen Menschen in Entwicklungsländern unterernährt. Eher<br />
bedroht der Verlust der biologischen Vielfalt die Ernährungssicherung in den<br />
Entwicklungsländern, so die Welthungerhilfe. Im vergangenen Jahrhundert<br />
sind drei Viertel der genetischen Vielfalt verloren gegangen. Hoch gezüchtete<br />
Pflanzenarten haben zahlreiche einheimische Sorten verdrängt. Die neuen<br />
Sorten sind zwar ertragreicher, aber anfälliger für Krankheiten und<br />
klimatische Schwankungen, außerdem können die Bauern kein Saatgut für<br />
sich ziehen. Für Kleinbauern hingegen sei die Vielfalt der traditionellen Sorten<br />
lebensnotwendig. Gut fundierte, empirische Studien der letzten Jahre zeigen,<br />
dass gerade die nachhaltige Landwirtschaft, der Einsatz traditioneller<br />
Anbauverfahren und alter standortgerechter Nutzpflanzen enorme Potenziale<br />
für Entwicklungsländer birgt.<br />
Alle GVO, die bisher auf dem Markt kamen, sind auf die Monokulturen der<br />
Landwirtschaft in den reichen Ländern des Nordens zugeschnitten, nicht auf<br />
die regionalen Bedürfnisse der armen Länder des Südens. Kein Wunder,<br />
Kaufkraft kann nur dort abgeschöpft werden, wo sie vorhanden ist.<br />
Hunger könnte in der Welt längst gebannt sein. So ist für die letzten<br />
Jahrzehnte im Vergleich zum Bevölkerungswachstum eine schneller<br />
wachsende Primärproduktion in der Welt zu verzeichnen. Bei gleich<br />
bleibender bzw. abnehmender Ackerfläche hat sich die Erntemenge bei<br />
Getreide seit 1960 verdoppelt. Doch warum werden Butter- und Fleischberge,<br />
Milchseen und Getreidevorräte nicht bereits zur Abwendung von Hunger<br />
genutzt? Wieso werden spanische Orangen und griechische Oliven auf dem<br />
Meer verklappt oder toskanische Weintrauben und deutsche Äpfel<br />
kompostiert? An den Hungernden lässt sich nichts verdienen, das ist der<br />
wahre Grund. Warum soll mittels Gentechnik noch mehr Lebensmittel<br />
produziert werden, wenn die Ernte nicht verteilt werden kann? Auch für die zu<br />
erwartende Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert könnte in Nahrungsenergie<br />
gemessen, bedarfsgerecht in Qualität und Quantität produziert werden. Aber<br />
nicht ein mal mit dem technischen Fortschritt bei den pflanzlichen<br />
Kultursorten und „Industrietierrassen“ durch die so genannte „grüne<br />
Revolution“ in den Industrieländern konnte den Hungernden geholfen werden<br />
– wie soll die grüne Gentechnik dann Abhilfe schaffen? Auch in den<br />
Industrieländern mit Überschüssen an Lebensmitteln, wo das Wegwerfen<br />
zum täglichen Lebensstil gehört, steigt die Zahl derer, die zunehmend auf<br />
Suppenküchen und diakonische Einrichtungen angewiesen sind. Die
22<br />
Gentechnik kann auch hier nicht weiterhelfen, da sie weder Armut noch<br />
Hunger bekämpft.<br />
Schaffung von Arbeitsplätzen?<br />
Gentechnologie bringt insgesamt keinen Arbeitsplatzgewinn. Sie setzt<br />
weltweit in der Landwirtschaft, in den vorgelagerten Bereichen der<br />
Forschung, Saatgut- und Chemieindustrie sowie in der Verarbeitungsindustrie<br />
Arbeitskräfte frei! In Deutschland und EU-weit werden politisch motivierte<br />
positive Prognosen gemacht. So sollten in der Gesamtbranche Bio- und<br />
Gentechnik bis zur Jahrtausendwende ca. 2 Mio. neue Arbeitsplätze entstehen.<br />
Diese haben sich bisher jedoch nicht bewahrheitet. Mit jeder<br />
Übernahme und Fusion unter den Pflanzenschutz-, Saatgut- und Biotech-<br />
Unternehmen wurden jeweils bis zu mehreren Tausend Beschäftigte<br />
entlassen. Negative Auswirkungen können sich mit der breiten Einführung<br />
der Gentechnik vor allem bei den Primärproduzenten ergeben. Das<br />
Bauernsterben wird durch Gentechnik forciert, da diese die Produktion von<br />
Monokulturen begünstigt bzw. voraussetzt. Klein- und Mittelbauern haben<br />
das Nachsehen. Schon der Einsatz von „Unkraut-Totalvernichtungsmitteln“ in<br />
den Gen-Feldern anstelle spezifischer Spritzmittel oder mechanischer<br />
Unkrautbekämpfung spart Arbeitszeit. Besonders betroffen sind auch die<br />
Bauern in Entwicklungsländern, die Rohstoffe für die verarbeitende<br />
Lebensmittelindustrie herstellen. Z.B. erübrigt sich mit der gentechnischen<br />
Herstellung von Vanille die Rohstoffproduktion auf Madagaskar, in Reunion,<br />
auf den Komoren, in Indonesien, Mexiko und Tahiti. 18 Für die Vanille-Bauern<br />
wird dies katastrophale wirtschaftliche Folgen haben, wenn nicht rechtzeitig<br />
auf andere Anbaupflanzen umgestellt wird.<br />
Ein weiteres Beispiel: Einige Firmen versuchen sich jetzt an der Herstellung<br />
von Thaumatin - einem Süßmittel, das aus der gleichnamigen westafrikanischen<br />
Staude gewonnen wird. Thaumatin ist in seiner reinsten Form<br />
hunderttausend Mal süßer <strong>als</strong> Zucker. Die gentechnische Herstellung von<br />
Thaumatin und anderen Süßstoffen wird den Weltzuckermarkt weiter<br />
schrumpfen lassen. Mehr <strong>als</strong> zehn Millionen Bauern der Dritten Welt könnten<br />
dadurch ihrer Lebensgrundlage beraubt werden. Angesichts der Tatsache,<br />
dass etwa nur 20% des gesamten (deutschen) Zuckerbedarfs<br />
Haushaltszucker (Streuzucker) ist und der Rest in die Verarbeitungsindustrie<br />
18 Der Anbau von Vanille ist sehr kostspielig. Die Vanille-Orchidee muss von Hand bestäubt werden, ist schwierig zu<br />
ernten und weiterzuverarbeiten. Mit der gentechnischen Herstellung von Vanille werden die Schote, die Pflanze, der<br />
Boden, der Anbau, die Ernte und der Anbauer überflüssig. Die aus Zellkulturen hergestellte Vanille der kalifornischen<br />
Biotechfirma Escagenetics ist bei einem Preis von 25$ pro Pfund wesentlich billiger <strong>als</strong> die natürliche Vanille, die auf<br />
dem Weltmarkt 1.200$ kostet. Die Firma hat bereits ein Patent für ihre Laborvanille beantragt und will damit die<br />
landwirtschaftlich produzierte Vanille vom Weltmarkt, auf dem fast 200 Millionen Dollar umgesetzt werden, verdrängen<br />
(Bioprocessing Technology Januar 1991:7 zit. nach Rifkin 1995).
23<br />
(Getränke, Süßwaren, Backwaren etc.) geht, könnte die Zuckerproduktion<br />
auch hier kollabieren.<br />
Ist grüne Gentechnik wissenschaftlich-technischer Fortschritt?<br />
Die Gentechnik <strong>als</strong> Methode ist es mit Sicherheit. Die Monopolherrschaft<br />
hat jedoch dazu geführt, dass die Entwicklung der Produktivkraft<br />
Gentechnik (und sie befindet sich noch in der Entwicklung!) in dem<br />
gegenwärtigen Stadium der Entlassung von manipuliertem Leben in die<br />
Natur in eine Stufe eingetreten ist, wo sie nur Unheil anrichtet und daher<br />
destruktiv wird. Wenn die Umwelt verseucht, die Artenvielfalt eingeschränkt,<br />
der Boden beeinträchtigt und die wirtschaftliche Existenz der Bauern aufs<br />
Spiel gesetzt werden und dadurch unsere Nahrungsmittelproduktion auf<br />
lange Sicht ad absurdum geführt wird, wie können unsere künftigen<br />
Generationen sich dann noch ernähren? Ähnlich wie bei der Atomtechnik<br />
kann auch Gentechnik zur Produktivkraft oder zur Destruktivkraft werden. Die<br />
Ökonomen bestehen auf der Produktivkraftentwicklung, ohne die die<br />
Menschheit nicht existieren könne, die Ökologen sehen in der Gentechnik<br />
eher den ökologischen Suizid, Ärzte äußern den Verdacht einer neuen<br />
Allergiewelle.<br />
Die Argumentation, dass technischer Fortschritt nicht aufzuhalten ist, fußt nur<br />
auf der Überzeugungsrhetorik nach dem Motto "ist doch längst da und kann<br />
nicht mehr verhindert werden". Politik muss nicht der normativen Kraft des<br />
Faktischen unterliegen. Es gibt genügend Beispiele in Produktion und<br />
Forschung, wo extreme Verbote z. T. weltweit geregelt bestehen<br />
(Massenvernichtungswaffen, Bio-Waffen, Tiermehle, menschliche<br />
Embryonen und Föten sowie hochtoxische Stoffe wie z.B. die einstm<strong>als</strong> in<br />
vollster Überzeugung der Ungefährlichkeit zugelassenen Mittel DDT <strong>als</strong><br />
Pflanzenschutzmittel, Lindan <strong>als</strong> Holzschutzmittel, Contergan <strong>als</strong><br />
Schlafmittel).<br />
Es ist schon seltsam, wenn Protagonisten der Gentechnik die Ansicht<br />
vertreten, die Gentechnik-Kritiker seien alle ideologisch geprägt, und die<br />
Befürworter seien rein rational. In der Diskussion um den gesellschaftlichen<br />
Fortschritt durch die grüne Gentechnik lassen die Gen-Konzerne in ihren<br />
propagandistischen und Profitbestrebungen nichts unversucht, um die<br />
Menschheit von ihrem „heiligen Gral des Lebens“ zu überzeugen. Monsanto<br />
und Co. finanzieren z.B. solche ihren Interessen nahe stehende Vereine wie<br />
den „Wissenschaftlerkreis GRÜNE GENTECHNIK“, der sich auch aus Mitarbeitern<br />
von Pharmakonzernen rekrutiert. Für diesen Fakt beanspruchen die<br />
Konzerne wie in solchen von ihnen selbst (mit-) finanzierten Vereinen die<br />
"Stimme der Wissenschaft" für sich. Das ist wie zu Zeiten des kalten Krieges.
24<br />
Es gab Wissenschaftler wie Teller und Co., die absolute Befürworter von<br />
Atomwaffen waren. Und es gab Wissenschaftler der „Pugwash-Bewegung“,<br />
die den Friedensnobelpreis bekamen, weil sie dagegen waren. Heute sind<br />
solche Wissenschaftlerkreise wie die UCS (Union of Concerned Scientists –<br />
Vereinigung der besorgten Wissenschaftler), die Alliance for Biointegrity und<br />
die ISIS 19 (Offener Brief von 463 renommierten Wissenschaftlern aus 56<br />
Ländern) zu nennen, die sich schon im Jahr 2000 weltweit gegen transgene<br />
Pflanzen und gegen Patentierung von lebenden Organismen ausgesprochen<br />
haben.<br />
Das auch deutsche Wissenschaftler wegen ihrer Funktionen in öffentlichen<br />
oder privaten Ämtern gerne <strong>als</strong> Fürsprecher gewonnen werden, mag da nicht<br />
überraschen: Einen Gewissenskonflikt scheinen sie nicht zu erkennen, wenn<br />
sie sich in starkem Maße für die Gen-Projekte einsetzen: Bei einer PR 20 -<br />
Veranstaltung am 18. Juli 1996 zum Auftakt der Monsanto-Kampagne zur<br />
Einführung von Gen-Soja in Deutschland plädierte Prof. Jany 21 entschieden<br />
für Monsantos Anliegen. Auch der 'deutsche Markt' könne sich solch<br />
neuartigen Lebensmitteln 'nicht verschließen'. Er wandte sich gegen eine<br />
übertriebene Kennzeichnungspflicht, etwa, wenn Gensojaerzeugnisse in<br />
anderen Lebensmitteln verarbeitet werden. Er fühle sich dabei aber, sagt<br />
Jany, 'relativ neutral'. 22 Warum aber soll der Verbraucher nicht wissen, was er<br />
kauft? Die Antwort ist denkbar einfach: Die Industrie fürchtet die<br />
Einkaufskorb-Politik!<br />
Vor solch gefährlichen Interessenverflechtungen von staatlichen<br />
Aufsichtsbehörden, wissenschaftlichen Institutionen und der Industrie, warnte<br />
sogar die Financial Times im Januar 1999: "Manche werden die Erklärungen<br />
von Monsanto, dass deren Soja sicher zu essen sei, für bare Münze nehmen.<br />
Und sie werden sich durch zahlreiche amtliche Äußerungen der zuständigen<br />
Kontrollbehörden ermutigt fühlen. Wir Zyniker aber vermuten, dass die<br />
großen Unternehmen Experten in der Lobbyarbeit und beim Bestechen der<br />
Behörden sind."<br />
Die Forschungs- und Entwicklungsbereiche der Industrie müssen <strong>als</strong><br />
integraler Bestandteil eines auf Profit ausgerichteten Unternehmens gesehen<br />
werden. Als Folge dessen sind die Forscher viel stärker am<br />
Unternehmenserfolg orientiert <strong>als</strong> ein „unabhängiger“ Wissenschaftler. Es<br />
graust einem vor Wissenschaftlern, die die Wissenschaft in einem<br />
19<br />
International Security Information Service – Internationaler Sicherheits-Informationsdienst<br />
20<br />
Public Relation - Öffentlichkeitsarbeit<br />
21<br />
Prof. Dr. Klaus-Peter Jany: Wissenschaftlerkreis Grüne Gentechnik, Leiter des Molekularbiologischen Zentrums an der<br />
Bundesforschungsanstalt für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe<br />
22<br />
Hans-Ulrich Grimm (1999) Aus Teufels Topf: die neuen Risiken beim Essen; Stuttgart: Klett-Cotta, S.272
25<br />
Wolkenkuckuckshein vermuten und sich die Wahrheit beim Buchhalter des<br />
Großkonzerns ausstellen lassen.<br />
Mit den gegenwärtigen Erkenntnissen ist die Wahrscheinlichkeit, dass grüne<br />
Gentechnik den humanen Interessen entspricht, viel geringer <strong>als</strong> die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass sie Schaden anrichtet – gewollt oder ungewollt,<br />
durch Missbrauch oder Gebrauch, unabhängig von der herrschenden Gesellschaftsordnung.<br />
Die Menschheit hat in ihrer Verantwortung im Umgang mit<br />
sich selber und ihrer Umwelt bisher versagt. Die Aufsummierung der<br />
ökologischen Beeinträchtigungen durch den Menschen in den letzten 100<br />
Jahren übertrifft bei weitem jene negativen Einflüsse auf Umwelt und Natur<br />
der gesamten Menschheitsgeschichte davor. Wie viel hunderte Jahre haben<br />
wir noch? Wie viele sind es noch mit der Gentechnik?
26<br />
4. Welche Risiken gibt es für die Umwelt?<br />
Vor über 15 Jahren begannen in Europa die Diskussionen um die Wirkungen<br />
von GVO auf Mensch und Umwelt. Schon dam<strong>als</strong> war klar, dass die<br />
vererbbaren Baupläne des Lebens unter Kontrolle der Gentech-Konzerne<br />
stehen. Kein vernünftiger Mensch wird unter den globalisierten und<br />
entfesselten Kräften des Marktes auch nur einen Augenblick daran zweifeln<br />
und erkennen, dass eine solche nie gekannte Macht über die Gene auch<br />
beträchtliche Risiken hervorbringen wird.<br />
Die ersten praktischen Erfahrungen haben schon Schwachstellen deutlich<br />
aufgezeigt. So wird weder mehr Ertrag eingefahren, noch wird dem<br />
Umweltschutz genüge getan. Nachweislich werden keine Pestizide<br />
eingespart. Erste Insektenresistenzen, Auskreuzungen in verwandte Arten<br />
und resistente „Superunkräuter“ haben sich gebildet. Warum die<br />
Risikodiskussion so vehement am Leben bleibt, ist die zunehmende<br />
Bestätigung von Risiken. Wer sich einmal mit Ökologie beschäftigt hat, der<br />
merkt schnell, dass biologische und ökologische Systeme endlos kompliziert<br />
sind. Wenn einem klar wird, dass hier mit Systemen herumgespielt wird, von<br />
denen wir praktisch nicht genug wissen, dann kommt man automatisch zu<br />
einer starken Auslegung des Vorsorgeprinzips. Man springt in einer<br />
unbekannten Gegend nicht fröhlich in die Dunkelheit, wenn man nicht weiß,<br />
was vor einem liegt. Mit 'ideologischen Scheuklappen' hat das wenig zu tun,<br />
es sei denn, der schlichte gesunde Menschenverstand wird jetzt schon zur<br />
Ideologie erhoben.<br />
Zu jeder gentechnischen Veränderung gibt es entsprechende Risiken. Hier<br />
eine Auswahl:<br />
Herbizidresistenz<br />
Die häufigste Eigenschaft, die durch Gentechnik in die Pflanze eingebracht<br />
wird, ist die Resistenz gegen ein spezifisches Pflanzenschutzmittel. Eine<br />
solche gentechnisch veränderte Pflanze wird <strong>als</strong> herbizidresistent bezeichnet.<br />
Wird der Acker mit dem entsprechenden (komplementären) Herbizid<br />
besprüht, überlebt allein die gentechnisch veränderte Pflanze. Hier werden<br />
Pflanzen nicht etwa gegen Unkraut oder Schädlinge resistent gemacht,<br />
sondern gegen Bekämpfungsmittel! Der Wahnsinn hat Methode. Immerhin<br />
kann dann großflächig das Gift versprüht werden, ohne dass die Nutzpflanze<br />
darunter direkt leidet. Wie es dem Grundwasser, dem Boden, dem<br />
Ackerrandstreifen – der Umwelt insgesamt, aber auch dem Konsumenten<br />
oder dem Bauer dabei ergehen, ist für die Gentech-Konzerne schließlich<br />
Nebensache, Kollater<strong>als</strong>chaden sozusagen im Experimentierfeld der Praxis.
27<br />
Mit Totalherbiziden wird eine Radikalkur auf den Feldern betrieben, die mit<br />
dem Nachhaltigkeitsprinzip nichts mehr zu tun hat. Statt das Unkraut<br />
mechanisch zu entfernen oder spezifisch zu spritzen, brauchen die Bauern<br />
jetzt nur noch Totalherbizide einzusetzen. Dabei ist der Unkrautdruck oftm<strong>als</strong><br />
gar nicht so hoch und nicht alle (Un-) Kräuter stehen in direkter Konkurrenz<br />
zur Nutzpflanze. Das alte Prinzip der Untersaaten in Getreide ist dann<br />
sowieso nicht mehr möglich.<br />
Die Pollen dieser Genpflanzen haben wie jeder Blütenstaub einige natürliche<br />
aber für die Gentech-Anbauer sehr unangenehme Eigenschaften: Sie lassen<br />
sich von Insekten mitnehmen oder vom Wind in alle vier Himmelsrichtungen<br />
treiben – und: sie dienen der Vermehrung! Aus dieser Art der Fortpflanzung<br />
erwächst ein Risiko: Die transgenen Pollen sind ebenfalls resistent gegen<br />
Herbizide und können sich in das Erbgut von wild wachsenden verwandten<br />
Kräutern einkreuzen oder auf Nachbars Feld in der gleichen Kulturpflanze<br />
niederlassen. Deren Populationen lassen sich mit den Totalherbiziden nicht<br />
mehr bekämpfen. Herbizidresistente Unkräuter wären ein Horror für die<br />
Landwirte. Andere Mittel müssen wieder eingesetzt werden. Aber auch<br />
ausgefallener Gensamen wird zum Problem, wenn er im darauf folgenden<br />
Jahr keimt und sich zwischen anderen Früchten nicht mehr bekämpfen lässt.<br />
Ein erster Bericht über dreifach-herbizidresistenten Raps kam im Jahr 2000<br />
aus Kanada, wo Durchwuchs-Raps auftrat, der gegen die Herbizide Roundup<br />
(Monsanto), Liberty (Aventis) and Pursuit (BASF, herkömmliches Mittel)<br />
widerstandsfähig war. Monsanto hat für den höheren Gebrauch ihres Total-<br />
Herbizids Roundup schon mal vorgesorgt und an die zuständigen Stellen<br />
appelliert, die höchstzulässigen Grenzwerte für Roundup-Rückstände in der<br />
Nahrung von 6 mg/kg Trockenmasse auf 20 Milligramm anzuheben.(!) 23 Ein<br />
hoher Preis für Ökologie und Humangesundheit, denn allzu ungefährlich ist<br />
Roundup 24 nicht. Es gibt Hinweise auf krebsfördernde Wirkungen, es gilt <strong>als</strong><br />
fischgiftig, giftig gegenüber Bodenbakterien, und wurde schon in<br />
Oberflächen- und Grundwasser gefunden.<br />
Insektenresistenz<br />
Die häufigste bei Mais und Baumwolle durch Gentechnik bewirkte<br />
Eigenschaft ist die Insektenresistenz, die durch den Einbau von Genen<br />
eines Bodenbakteriums namens Bacillus thuringiensis (Bt) in die Pflanzen<br />
erzielt wird. Diese transgenen Pflanzen produzieren nun während der<br />
gesamten Vegetationsperiode ständig ihr eigenes chemisches Abwehrmittel -<br />
23 Steinbrecher, From Green to Gene Revolution, S. 273<br />
24 Das Totalherbizid Glyphosat (Markenname Roundup) reizt Haut und Augen und beeinträchtigt die<br />
Fortpflanzungsfähigkeit von Versuchstieren. Glyphosat hemmt in allen Zellen ein Enzym, daß die Produktion von<br />
speziellen Aminosäuren einleitet. Werden sie nicht mehr hergestellt, stoppt die Proteinbiosythese, die<br />
Stoffwechselvorgänge in der Pflanzenzelle kommen zum Erliegen. Die Pflanzen sterben ab.
28<br />
ein Gift, das Bt-Toxin, das die Darmwand der Raupen z.B. des Maiszünslers,<br />
der Mehlmotte, des Reisbohrers, des Baumwollkapselwurms angreift und<br />
diese Fraßschädlinge schließlich tötet.<br />
Es zeigt sich allerdings, dass das Insektengift nicht nur die Schädlinge tötet,<br />
die es töten soll, sondern auch andere Insekten, denn das Gift der Gentech-<br />
Pflanze wird über die Nahrungskette weitergegeben. 25 Ein Nützling wie die<br />
Florfliegenlarve ernährt sich u.a. von Maiszünsler-Raupen und nimmt das in<br />
deren Körper befindliche Gift auf und wird gleich mitentsorgt. Betroffen ist<br />
auch der Monarchschmetterling, der von dem Pollen des Bt-Mais nascht.<br />
Ungarische Untersuchungen bestätigen, dass Pollen des BT-Mais namens<br />
MON810 von Monsanto auch Larven des Tagpfauenauges bis zu einer 20<br />
%igen Mortalitätsrate schädigen. 26 Das Robert Koch-Institut (RKI) in<br />
Deutschland zweifelt diese Ergebnisse fachlich an und sieht keinen Anlass,<br />
die bisherige Sicherheitsbewertung von Bt-Mais zu ändern. Dann haben<br />
Wissenschaftler der Biologischen Bundesanstalt mögliche Effekte des GV-<br />
Mais auf Larven von Trauermücken untersucht, die eine wichtige Rolle <strong>als</strong><br />
Zersetzer von Mais-Ernterückständen auf Ackerflächen spielen. Diese<br />
Trauermückenlarven brauchten signifikant mehr Zeit bis zur Verpuppung <strong>als</strong><br />
die Kontrollgruppe. Ob das Bt-Toxin ausschlaggebend für diese<br />
Entwicklungsverzögerung ist, klärten die Forscher in ihren Untersuchungen<br />
nicht auf. Ein solcher Nahrungsqualitätsverlust von Gen-Mais-Streu kann bei<br />
längerfristigem GV-Maisanbau das Gefüge der Artengemeinschaften massiv<br />
stören. 27<br />
Eine Studie der französischen Gentechnikkommission zeigt: Gentech-Mais<br />
hat bei Ratten zu gesundheitlichen Problemen geführt (u.a. Nierenleiden,<br />
Zunahme Lymphozyten, erhöhter Blutzuckerspiegel). Wirkte auch hier das<br />
Toxin? 28 Die Grundlagen der wirklichen chemischen und biologischen<br />
Zusammenhänge sind den Wissenschaftlern kurioserweise immer unklar.<br />
Das gibt genügend Spielraum für die Genpflanzen-Hersteller, diese kritischen<br />
Studien <strong>als</strong> fragwürdig oder <strong>als</strong> einen „zu vernachlässigen Effekt“ zu<br />
bezeichnen.<br />
Eine neue Spielart unerwarteter Nebenfolgen insektenresistenter Pflanzen<br />
förderte darüber hinaus eine Studie zu Tage, für die Wissenschaftler Larven<br />
der Kohlmotte mit von der Genpflanze hergestellten Proteinen fütterten 29 .<br />
25<br />
Environmental Entomolgy 27 (1998) S. 480-487; Annual Reports of the Crop Scottish Research Institute 1996/1997, S.<br />
68-72<br />
26<br />
www.greenpeace.at/uploads/media/dt_abstract_darvas.pdf<br />
27<br />
Büchs et al. (2004) Potentielle Auswirkungen des Anbaus von Bt-Mais, Seminar "Sicherheitsforschung und Monitoring<br />
2004, Berlin 16. Juni 2004<br />
28<br />
Le Monde, 23.4.04<br />
29<br />
The Independent, 30.3.2003, „Insects thrive on GM-pest-killing Crops"
29<br />
Statt toxische Wirkung zu entfalten, gediehen die Larven nach dem Proteinverzehr<br />
im Labor prächtig: Die Kohlmotten nutzten das Protein <strong>als</strong><br />
Nahrungsergänzung und wiesen eine bis zu 56 Prozent höhere<br />
Wachstumsrate gegenüber ihren Artgenossen auf. Als Folge für die<br />
Landwirtschaft könnte sich bei großflächigem Anbau eine wahre Plage von<br />
Kohlmotten entwickeln.<br />
Untersuchungen haben außerdem gezeigt 30 , dass das Insektengift von den<br />
Genpflanzen über die Wurzeln in den Boden abgegeben wird und dort<br />
offenbar sehr stabil ist. Dies ist insofern brisant, <strong>als</strong> nur ein Bruchteil der im<br />
Boden lebenden Mikroorganismen bekannt ist und Erkenntnisse über Wechselwirkungen<br />
des Gifts mit den Bodenmikroorganismen, bodenlebenden<br />
Insekten und Nematoden nicht existieren.<br />
Aber die Natur ist auch beim Freilassen von insektenresistenten Genpflanzen<br />
sehr erfinderisch. Die meisten Schadinsekten werden zwar abgetötet, aber<br />
die wenigen widerstandsfähigsten, die durch evolutionären Zufall resistent<br />
sind oder wurden, können sich in der freigewordenen Nische zügig ausbreiten.<br />
Die Schädlinge wie Maiszünsler und Baumwollkapselwurm passten<br />
sich ungewöhnlich schnell an das immer vorhandene Gift an. Schon nach<br />
4jähriger Nutzung des Bt-Maises und der Bt-Baumwolle wurden Resistenzen<br />
nachgewiesen. In den Vereinigten Staaten, wo 1998 schon ein Drittel der mit<br />
Mais kultivierten Anbaufläche aus gentechnisch veränderten Pflanzen<br />
bestand, wurden bereits die ersten Parzellen mit resistenten Maiszünslern<br />
vernichtet. Wegen der steigenden Resistenzentwicklung erließ die<br />
amerikanische Umweltbehörde Auflagen: die Bereitstellung von so genannten<br />
gentechfreie Refugien (Anbaustreifen) auf bis zu 40% Genpflanzen-<br />
Ackerfläche. Das dürfte mehr Arbeit bedeuten und keineswegs höhere<br />
Erträge sichern. Die Refugien zielen aber nicht auf einen Schmetterlings-<br />
oder Nützlingsschutz ab, sondern auf die Verzögerung einer Gefahr, die auf<br />
die Landwirtschaft selbst zurückschlägt: die Ausbildung Bt-resistenter<br />
Schädlingspopulationen. Und hier bestätigt sich die These: einmal in die<br />
Umwelt entlassen, stellen sich die natürlichen Kontrahenten darauf ein<br />
und sind nicht mehr zurückholbar. So ist bei GV-Pflanzen damit zu<br />
rechnen, dass der eingebaute Schutzmechanismus gegen einzelne<br />
Schädlinge oder Herbizide innerhalb weniger Jahre durchbrochen wird, und<br />
somit wieder mehr Chemie oder neue Gentech-Pflanzen erforderlich machen.<br />
Ein Wettlauf mit der Zeit, bei dem Mensch und Umwelt großen Schaden<br />
nehmen können. Genetisch veränderte Pflanzen bilden daher keine<br />
nachhaltige Lösungsstrategie. Künstliche Barrieren werden durch die Natur<br />
schneller überwunden, je tiefer die Eingriffe sind.<br />
30 Nature 402 (1999) S. 480
Pilzresistenz<br />
30<br />
Gerste verfügt aufgrund natürlicher Widerstandsfähigkeit über ein<br />
Resistenzgen gegenüber Mehltau - das so genannte mlo-Gen. Mehltau kann<br />
von Gerste somit erfolgreich abgewehrt werden. Diese Resistenz ist so stabil,<br />
dass sie in fast 70 Prozent aller Gerstesorten traditionell eingezüchtet wurde.<br />
Mit dieser Erkenntnis sollte das mlo-Gen auch zur erfolgreichen Abwehr<br />
gegenüber anderen Pilzarten in weiteren Sorten eingesetzt werden. Dieses<br />
Gen wirkte jedoch entgegen den Erwartungen der Wissenschaftler auf die<br />
Entwicklung eines Schadpilzes massiv fördernd. Warum das so ist und<br />
welche Wirkmechanismen dabei ablaufen, ist nicht bekannt. Die mlo-<br />
Resistenz jedenfalls ist für den gentechnischen Einsatz zur Verbesserung<br />
von Krankheitsresistenzen in weiteren Kulturpflanzen nicht geeignet. Das alte<br />
Konzept „ungefährlich plus ungefährlich ergibt ungefährlich“ stimmt<br />
offensichtlich nicht.<br />
Auch bei Gen-Pflanzen, die vermeintlich ungefährlich sein könnten, da sie<br />
nicht <strong>als</strong> Lebensmittel sondern für die industrielle Verwertung eingesetzt<br />
werden, gilt: die Risiken bleiben. Das Max-Planck-Institut für Molekulare<br />
Pflanzenphysiologie will mit einer genetisch veränderten Kartoffelpflanze die<br />
Stärkeproduktion erhöhen und so eine »neue attraktive Industriepflanze« für<br />
die Papierherstellung entwerfen. Ob sich neben dem Stärkegehalt auch der<br />
Giftgehalt der grünen Pflanzenteile erhöht, wird jedoch vorerst nicht<br />
untersucht. Beim großflächigen Einsatz der Gentech-Kartoffel könnte der Giftgehalt<br />
Auswirkungen auf die Artenvielfalt haben. 31 Man zäumt wieder einmal<br />
das Pferd von hinten auf.<br />
Eines der größten Risiken stellen der Gentransfer und die Auskreuzung<br />
transgener Pflanzen in Wildarten und verwandte Populationen dar. 32 Gerade<br />
in den übergreifenden Artgrenzen liegt ein Risiko, dass zu ökologischen<br />
Verschiebungen führen kann. Transgene Pflanzen und ihre Resistenzen<br />
bedrohen massiv die Artenvielfalt – nicht nur durch die Ausweitung von<br />
Monokulturen. Beispielsweise verfügt(e) das Ursprungsland des Wildmaises<br />
Mexiko über 3000 verschiedene regionale Wild- und Kultursorten. Die<br />
Umweltbehörde der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) hat jetzt<br />
Alarm geschlagen. Sie geht davon aus, dass sich exportierter Gen-Mais nach<br />
Mexiko unkontrolliert und nicht rückholbar unter den einheimischen<br />
mexikanischen Sorten ausbreiten wird. Die Behörde fordert nicht nur eine<br />
Kennzeichnung von amerikanischem Gen-Mais, sondern auch ein Export in<br />
31 Junge Welt vom 26.05.2004<br />
32 Eine umfangreiche Recherche ist in den Gentechnik-Nachichten Spezial Nr. 11/12 (2002) beschrieben,<br />
www.oeko.de/gennews.htm.
31<br />
nur noch gemahlener Form, damit es nicht zur Aussaat und Verbreitung von<br />
Gentech-Pollen kommt. 33<br />
In Europa besteht diese Gefahr der Ausbreitung der neuen Eigenschaften auf<br />
verwandte Wildarten besonders bei Raps und Zuckerrüben, da beide hier<br />
beheimatet sind und über entsprechend viele verwandte Arten verfügen. In<br />
einem Forschungsprojekt im Nordosten Deutschlands wurde festgestellt,<br />
dass sogar die beobachtete Auskreuzungsrate von transgenem Raps in eine<br />
verwandte Senfsorte (Sareptasenf) höher <strong>als</strong> in konventionellen Raps ist.<br />
Unter Freilandbedingungen wurde bislang eine Auskreuzung von transgenem<br />
Raps mit Rübsen, Sareptasenf, Schwarzem Senf, Grausenf, Hederich und<br />
Ackersenf belegt. Selbst bei einer niedrigen Einkreuzungsrate von 0,1% in<br />
eine Nutzpflanze wie Raps, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass sie<br />
bis zu 4.000 Samen pro Individuum bilden kann. Genau aus diesen Gründen<br />
der negativen Beeinflussung und Verringerung der Biodiversität (Artenvielfalt)<br />
hat die belgische Regierung im Februar 2004 den Antrag auf europaweite<br />
Zulassung einer GV-Rapslinie von Bayer abgelehnt. 34<br />
Wie schwierig es ist, einmal Fuß gefasste selbst reproduzierbare<br />
Fremdorganismen wieder zu eliminieren, lässt sich leicht veranschaulichen<br />
an der Einführung exotischer Arten in fremde Ökosysteme. 35<br />
Mit der „Verknappung“ des Genpools unter Kultur- wie Wildpflanzen, Nutz-<br />
wie Wildtieren schaufelt sich die biotechnologische Revolution vermutlich ihr<br />
eigenes Grab. Auf der einen Seite hängt ihr Erfolg vom reichhaltigen Zugang<br />
an das Gen-Reservoir dieser Erde ab. Auf der anderen Seite wird mit den<br />
hervorgebrachten Monokultur- und Genpflanzen eine regelrechte Genarmut<br />
produziert, indem alte traditionelle Sorten - von Natur aus gegen Krankheiten<br />
resistent oder auf spezifische kleinräumliche klimatische Bedingungen<br />
angepasst - immer mehr verschwinden.<br />
Wer mit der Gentechnik zu tun hat, erfährt von den alltäglichen Negativ-<br />
Meldungen, die über „Versuch und Irrtum“ (trial and error) in den Laboren, in<br />
den Feldversuchen und in der Praxis zu Tage gefördert werden. Da scheitern<br />
in Kenia die Versuche mit GV-Süßkartoffeln 36 , da deckt ein leuchtender GV-<br />
33<br />
NAFTA kritisiert Gefährdung der biologischen Vielfalt durch Gen-Mais, 19. Okt. 2004, www.greenpeace.de<br />
34<br />
The Guardian 03.02.04, zitiert nach GENET 04.02.04<br />
35<br />
Bekannteste Beispiele sind in Deutschland eingeschleppte und sich unkontrolliert ausbreitende Pflanzen (z.B.<br />
Bärenklau) oder in Australien die Kaninchenplage.<br />
36<br />
Dreijährige Feldversuche mit einer virusresistenten GV-Süßkartoffel in Kenia ergaben, dass die GV-Kartoffeln anfällig<br />
gegenüber Viruskrankheiten sind und dass zudem konventionelle Kartoffeln höhere Ernteerträge erbringen. Die GV-<br />
Kartoffel war in einem neunjährigen Projekt, das 6 Millionen US Dollar kostete, von dem Unternehmen Monsanto mit<br />
Unterstützung von der Weltbank und der US-amerikanischen Regierung entwickelt worden. (GENET 02.02.04; The New<br />
Scientist, Vol 181 No. 2433, 7 February 2004).
32<br />
Zierfisch eine Gesetzeslücke auf 37 , da zeigt sich, dass GV-Mücken weniger<br />
fruchtbar sind <strong>als</strong> ihre natürlichen Verwandten 38 - die Liste der Pleiten und<br />
Pannen ließe sich fortführen.<br />
Eine der grundlegenden Voraussetzungen für einen großflächigen Anbau von<br />
gentechnisch veränderten Pflanzen in Europa ist die Gewährleistung der<br />
Wahlfreiheit der Bauern wie Verbraucher. Dazu müssen die Warenströme<br />
klar getrennt werden. Eine lange Liste von Kontaminationen – hier nur für<br />
Saatgut - zeigt, dass dies praktisch nicht möglich ist 39 :<br />
Deutschland: zwei Chargen Mais, die mit Gentech-Material vermischt sind:<br />
die Sorte Arsenal ist mit der Monsantos GA 21 und Janna mit den Novartis-<br />
Sorten Bt 176 und Bt 11 verunreinigt. (2001)<br />
Frankreich: Spuren von Gensoja finden sich in Soja-Saatgut. Die Werte<br />
liegen zwischen 0,8 und 1,5%. Gensoja darf in Frankreich nicht angepflanzt<br />
werden. (2000)<br />
Neuseeland: Süßer Mais ist von einer schwer wiegenden Saatgut-<br />
Verunreinigung betroffen. Eine Lieferung von insgesamt 5,6 Tonnen ist mit<br />
gentechnisch verändertem Saatgut kontaminiert. (2002)<br />
Griechenland… Österreich…Vereinigte Staaten… Kanada… Das Problem<br />
geht rund um den Erdball und ist in einigen Ländern gleich mehrm<strong>als</strong> zu<br />
finden. Verunreinigtes Saatgut der Firma Advanta wurde in Deutschland,<br />
Frankreich, Luxemburg, Großbritannien und Österreich gefunden. Es handelt<br />
sich um die Sommerraps-Sorten Hyola 38, 330 und 401, die mit Monsantos<br />
Genraps RT 73 verunreinigt waren. (2000) Es ist zu befürchten, dass sich<br />
gentechnisch veränderte Bausteine über kurz oder lang in allen landwirtschaftlichen<br />
Nutzpflanzen und vielen Wildpflanzen wieder finden.<br />
Sofern <strong>als</strong>o Befunde zu den Auswirkungen gentechnisch veränderter<br />
Pflanzen auf Umwelt, Mensch und Wirtschaftsweise vorliegen, geben diese<br />
Anlass zur Besorgnis. Transgene Pflanzen sind nach wie vor eine Gleichung<br />
mit vielen Unbekannten. Beinahe jeder in die freie Wildbahn entlassene<br />
transgene Organismus stellt eine potentielle Bedrohung für das Ökosystem<br />
dar. Die einstigen und heutigen Versprechungen und Unbedenklich-<br />
37 Da der Zierfisch kein Lebensmittel und keine Arznei ist, fiel die Zulassung der Genveränderung in keine der<br />
betreffenden Behörden in den USA. Dem Zebrafisch wurde das Gen einer Koralle eingebracht, das bei ultraviolettem<br />
Licht ein rot fluoreszierendes Protein produziert.<br />
38 Die Entwicklung von transgenen Moskitos wurde bisher mit dem Ziel betrieben, dass sie Krankheitserreger nicht mehr<br />
mit dem Speichel weitergeben. Jedoch konnten die gewünschten Eigenschaften wie z.B. keine Übertragung von<br />
Gelbfieber in der Natur nicht verbreitet werden. (Irvin et al. (2004): Assessing fitness costs for transgenic Aedes aegypti<br />
expressing the GFP marker and transposase genes. PNAS 101 (3): 891-896)<br />
39 Schadensfall Grüne Gentechnik GID 153, 2003, www.gen.ethisches-netzwerk.de
33<br />
keitsbeteuerungen der Pharma- und Gentechlobby unterliegen somit einer<br />
hohen Irrtumswahrscheinlichkeit und -gefahr. Auch von ihren Studien, die den<br />
Beweis umweltfreundlicher Produkte antreten wollen, bleibt nichts weiter <strong>als</strong><br />
reine Spekulation. Niemand hätte damit gerechnet, dass sich in relativ kurzer<br />
Zeit Resistenzen bei Schädlingen oder Superunkräutern entwickeln würden –<br />
auch die Natur geht mit der Zeit, könnte man hämisch entgegnen. Ökologen<br />
und kritische Wissenschaftler verwundert es nicht: Vergleicht man das<br />
Vorgehen der Natur zur Anpassung an ein neues ökologisches<br />
Ungleichgewicht mit den Methoden der Gentechniker, so nehmen sich ihre<br />
neuen Methoden recht primitiv aus. Die Entwicklungszeit zur Herstellung<br />
einer transgenen Sorte dauert bedeutend länger, <strong>als</strong> sich die Natur wieder<br />
darauf eingestellt hat. Transgene Nutzpflanzen drohen das genetische<br />
Reservoir aber auch noch anders auszuhöhlen. Während die Natur es<br />
eingerichtet hat, Resistenzen gegen Schädlinge, Krankheiten, Salz oder<br />
Dürre in einer Pflanze über mehrere hundert Gene zu verteilen, können<br />
die Gentechniker jeweils immer nur mit einem, zwei oder drei Genen für<br />
die Übertragung in eine Kulturpflanze arbeiten. Indem sie sich auf<br />
„Einzelgen-Resistenzen“ beschränken, verhelfen die Gentechniker Insekten,<br />
Viren und Pilze zu einem leichten Sieg, denn ihr Transgen wird innerhalb<br />
kurzer Zeit wieder wirkungslos geworden sein.<br />
Unter diesen Bedingungen sind die Risiken der Gentechnik, die auf einer so<br />
weit reichenden Beherrschung und Durchbrechung der Naturgesetze<br />
beruhen, überhaupt nicht beherrschbar. Risiken können nur vermindert<br />
werden, wenn sie überhaupt bekannt sind und verstanden werden. Das ist<br />
auch ein weiterer Grund, warum Gentechnik weiterhin in der Kritik steht: die<br />
unzureichende Risikoforschung. Ökologische und gesundheitliche<br />
Risikobegleitforschungen werden bei Freisetzungsexperimenten lt.<br />
Umweltbundesamt in Deutschland nur zu 15 Prozent aller Freilandexperimente,<br />
weltweit sogar nur bei einem Prozent berücksichtigt. Nicht mal durch<br />
die Grundlagenforschung ist das Zusammenspiel der Gene und ihre<br />
Funktionsweise im Organismus oder in Fremdorganismen wissenschaftlich<br />
hinreichend erklärt.<br />
Es ist deshalb kaum anzunehmen, dass bei Risiken und Nebenwirkungen<br />
eine "Packungsbeilage" reicht. Rechtfertigen die bereits bekannten und noch<br />
nicht bekannten Risiken eine Abwägung zwischen Gefahrenpotentialen und<br />
„Notwendigkeit“ der Gentechnik in der Lebensmittelproduktion? Der<br />
Verbraucher - und vor ihm der Bauer - müssen letztendlich selbst<br />
entscheiden.
34<br />
5. Was interessiert mich <strong>als</strong> Verbraucher?<br />
Lebensmittel, die mit Hilfe der Gentechnik hergestellt wurden oder<br />
Bestandteile von GVO beinhalten, so genanntes Genfood, erobern den<br />
Supermarkt. Brot, Kuchen, Desserts, Chips und Süßigkeiten enthalten oft<br />
genetisch veränderten Mais oder veränderte Soja. Das ist das Ergebnis einer<br />
Untersuchung der STIFTUNG WARENTEST im Spätsommer 2004: 82<br />
Lebensmittel wurden exemplarisch geprüft. In 31 Produkten fanden die<br />
Tester gentechnisch veränderte Zutaten. Die gefundenen Mengen an fremder<br />
Erbsubstanz lagen meist unter einem Prozent und waren demzufolge nicht<br />
kennzeichnungspflichtig. Nur drei Produkte: ein Pfannkuchen-Mix, ein<br />
Sportler-Riegel und ein Tofu-Eis, enthielten einen deutlichen Anteil artfremder<br />
Erbsubstanz. Die Tester registrierten hier bis zu 20 Prozent. Immerhin ein<br />
Drittel der getesteten Produkte war nicht mehr "gentechnikfrei".<br />
Haben gentechnisch veränderte Lebensmittel Auswirkungen auf die<br />
menschliche Gesundheit?<br />
Das ist – um es kurz zu sagen - nicht geklärt. Deutsche Lebensmittel seien<br />
die Sichersten der Welt, so tönt es von den Vertretern der<br />
Lebensmittelindustrie. Sorry, aber selbst die alten klassischen<br />
Lebensmittelkrankheiten wie Salmonellose, die Listeriose und Escherichia<br />
coli 40 leben in den letzten Jahren wieder auf. Und die Belastungen von<br />
Lebensmitteln mit Pestiziden und künstlichen Zusatzstoffen nehmen zu. 41<br />
Und wenn die Hersteller behaupten, Genfood sei am besten getestet, so ist<br />
das Unsinn. Die am besten getesteten Lebensmittel sind die, die Menschen<br />
seit Generationen verspeisen.<br />
Die Regierungen, die protagonistischen Molekularbiologen und die<br />
Gentechnologiefirmen halten nach wie vor die Illusion aufrecht, dass ein<br />
ausreichendes Sicherheitsreglement existiere, was den sehr sensiblen<br />
Bereich der humanen Ernährung von Genfood betrifft.<br />
Gäbe es handfeste Beweise für eine Gefährdung, dann müsste Genfood<br />
sofort aus dem Verkehr gezogen werden. Aber es gibt keine<br />
Langzeituntersuchungen, nicht einmal in den USA. 42 Bei BSE bzw. der neuen<br />
Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (nCJK) hat es nach den ersten<br />
wissenschaftlichen Vermutungen über deren Zusammenhang 10 Jahre<br />
gedauert, bis BSE-Fleisch von der Ladentheke genommen wurde. Natürlich<br />
40<br />
Auch EHEC oder E. coli genannt ist die Abkürzung für enterohämorrhagische Escherichia coli, einer bakteriell<br />
bedingten Durchfallerkrankung.<br />
41<br />
Voigt, Sabine (2003) Essen – sicher und gesund? Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. VSA-Verlag<br />
Hamburg<br />
42<br />
www.telepolis.de/tp/deutsch/special/leb/16244/1.html
35<br />
ist in der Lebensmittelproduktion keine 100%ige Sicherheit vorhersagbar und<br />
natürlich lässt sich ein Risiko niem<strong>als</strong> ausschließen. Jedoch mangelhafte<br />
Untersuchungen und fehlende Ergebnisse über die Schädlichkeit von<br />
Genfood sind kein Beleg für deren Unbedenklichkeit. Solange man das Risiko<br />
für die Gesundheit des Menschen nicht kennt und keine Risikoabschätzung<br />
vorgenommen werden kann, sind drastische Sicherheitsmaßnahmen zu<br />
ergreifen. Fütterungsversuche an Kühen oder Ratten dauern in der Regel ein<br />
paar Wochen bis ein paar Monate. Was sind schon 10, 20 oder 30 Jahre -<br />
Menschen ernähren sich bis zu fünf Mal täglich ein ganzes Leben lang. Durch<br />
Gentechnik treten Gene und ihre entsprechenden Produkte in der Nahrung<br />
auf, die der Mensch, obwohl ein Omnivor (Allesfresser), so oder in der neuen<br />
Kombination niem<strong>als</strong> im Essen hatte. So kann etwa das Bt-Toxin aus dem<br />
insektenresistenten Mais über die Nahrung mit aufgenommen werden.<br />
Noch bis kurz vor der BSE-Krise hat der Bauernverband – ein großer<br />
Befürworter der Anwendung der Gentechnik, da deren Verbandsobrigen auch<br />
in den Aufsichtsräten der Pharmalobby, der Ölmühlen- und<br />
Futtermittelindustrie sitzen, mit solchen Argumenten die Gentechnik den<br />
Verbraucher schmackhaft machen wollen, wie „Kinderkrankheiten“ einiger<br />
Produkte müssen überwunden werden, und „der (menschliche) Körper<br />
verfügt jedoch mit der Leber und der Milz über ein bewährtes Entsorgungssystem<br />
für Fremdgene, das ihn vor schädliche Auswirkungen schützt“. Aha!<br />
Aber Vorsicht, nach dieser Aussage müsste der Mensch nicht mal an<br />
bakteriell bedingten Durchfällen geschweige denn Viren oder sonstigen<br />
„Fremdgenen“ erkranken. Ob der Bauernverband mit seinen Mitgliedern auch<br />
so diskutiert? Ob wir Verbraucher denen noch trauen können? Inzwischen ist<br />
diese „Kinderkrankheit“ in den Konjunktiv (Vermutung und Möglichkeit)<br />
umgeschrieben worden: "Gentechnisch veränderte Lebensmittel können<br />
gesünder sein <strong>als</strong> traditionell hergestellte, und ihre Produktion kann auch zu<br />
einem besseren Umweltschutz beitragen." 43<br />
Dass transgene Soja-DNA die Dünndarmpassage überdauern kann, wurde<br />
u.a. in einer britischen Studie mit Testpersonen mit einem künstlichen<br />
Darmausgang festgestellt. Die Mahlzeit enthielt GV-Soja, das gegen das<br />
Herbizid Roundup resistent ist. In den Ausscheidungen wurde transgene<br />
DNA festgestellt. Dieser Anteil variierte, lag in einem Fall bei 3,7% der<br />
zugeführten transgenen DNA-Menge. Generell ist zu bedenken, dass die<br />
Versuchspersonen lediglich eine Mahlzeit mit GV-Soja zu sich genommen<br />
haben. Die Forscher empfehlen, dass die Ergebnisse in zukünftigen<br />
Bewertungen der Lebensmittelsicherheit von GV-Lebensmitteln bedacht<br />
werden sollten. 44<br />
43 Pascher, Peter (1999, 2000) Situationsbericht 1999 und 2000. Deutscher Bauernverband, Bonn, S. 282, 285<br />
44 Gentechnik Nachrichten 33/34 (2004) unter www.oeko.de/gennews.htm
36<br />
Im Zusammenhang mit Genfood werden in erster Linie zwei<br />
Gesundheitsrisiken diskutiert 45 : das Entstehen von weiteren<br />
Antibiotikaresistenzen und von neuen Allergien.<br />
Antibiotikaresistenzgene werden zur Markierung des neuen<br />
Genabschnittes in der Pflanze eingefügt, um festzustellen, ob die an der<br />
Pflanze vorgenommene Genmanipulation erfolgreich war. Die<br />
Antibiotikaresistenzgene können sich auf Bakterien im menschlichen Darm<br />
übertragen. Dadurch besteht die Gefahr, dass immer mehr in der<br />
Humanmedizin genutzte Antibiotika unwirksam werden. Erst im März 2001 ist<br />
eine novellierte Freisetzungsrichtlinie verabschiedet worden, wonach<br />
Antibiotika-Resistenzmarker mittelfristig aus GVO ausgeschlossen werden<br />
sollen.<br />
Die in verschiedene Nutzpflanzen neu eingebrachte Erbinformation produziert<br />
Proteine. Proteine sind potentielle Allergieauslöser, und Lebensmittelallergien<br />
beruhen auf einer Überempfindlichkeit gegenüber Proteinen.<br />
Darüber hinaus kann die gentechnische Veränderung auch zu unerwarteten<br />
Veränderungen im Stoffwechsel der Pflanzen führen und die Qualität der<br />
daraus hergestellten Lebensmittel beeinträchtigen. 46<br />
Ein Beispiel für eine Schwächung von Abwehrkräften ist der Bt-Mais<br />
(StarLink) von Aventis in den USA, dem selbst die Zulassungsbehörde in den<br />
USA eine 'mittlere Wahrscheinlichkeit' für Allergien bescheinigte. Folgerichtig<br />
wurde es nur für die Nutztierfütterung zugelassen. Dennoch wurde der genveränderte<br />
Mais in über 300 Mais-beinhaltenden Lebensmittelartikeln<br />
nachgewiesen, und ging <strong>als</strong> StarLink-Skandal in die Gentechnik-Geschichte<br />
ein. 47<br />
Die Zahl der Lebensmittelunverträglichkeiten bzgl. Soja und Mais ist in den<br />
USA, Groß Britannien und Deutschland drastisch gestiegen. Die Prävalenz<br />
(<strong>als</strong>o zukünftige Bedeutung) in Deutschland ist laut aktuellem 'Weißbuch der<br />
Ernährung' weiter steigend.<br />
Seit gentechnisch veränderte Soja hergestellt wird, gibt es in den USA 48 und<br />
in GB 49 eine starke Zunahme - bis zu 50 Prozent - von Allergien gegen Soja<br />
45 Eckelkamp et al (1998): Antibiotikaresistenzgene in transgenen Pflanzen, insbesondere Ampicillin-Resistenz in Bt-<br />
Mais. Ökoinstitut, Freiburg; Schulte und Käppli (1996) Gentechnisch veränderte krankheits- und schädlingsresistente<br />
Nutzpflanzen. Eine Option für die Landwirtschaft? Band I, Schwerpunktprogramm Biotechnologie des Schweizerischen<br />
Nationalfonds, Bern; WHO (2000): Safety aspects of genetically modified foods of plant origin; Report FAO/WHO<br />
46 Federal Environment Agency, Austria (2002); Toxicological and allergological safety evaluation of GMO<br />
47 Aventis musste die gesamte Ernte des Futtermais zurückkaufen. Die Rückholaktion, Vernichtung der Erntebestände<br />
samt Reinigung der Äcker und die Entschädigungen der Schadensbegleichung kostete eine exorbitante Dimension von 1<br />
Milliarde US Dollar.<br />
48 taz Bremen Nr. 7345 vom 28.4.2004, Seite 22<br />
49 Daily Express (England), 12.3.1999
37<br />
in Lebensmitteln. Zeitlich parallel kam gentechnisch veränderte Soja in die<br />
Lebensmittel. Vor allem Ärzte sehen sich bestätigt hinsichtlich der<br />
Vermutung, dass insbesondere bei Soja die gentechnisch hergestellte Soja-<br />
Bohne dafür verantwortlich ist. Da es jedoch kaum Begleitforschung gibt,<br />
geschweige denn von der Industrie unabhängige, kann man nicht von<br />
eindeutigen Belegen sprechen. Nur von Annahmen. Wissenschaftler<br />
drängten z.B. die britische Regierung, ein "sofortiges Verbot genmanipulierter<br />
Nahrung zu erlassen“. John Graham, vom untersuchenden York-Labor,<br />
sagte, dass die Forscher 4.500 Menschen auf allergische Reaktionen bei<br />
Gemüsearten einschließlich Soja getestet haben. Die Krankheiten, die Soja<br />
verursachte, waren u.a. das Reizdarmsyndrom, Verdauungsprobleme und<br />
Hautbeschwerden wie Akne und Ekzeme. Soja ist in rund 60% aller fertig<br />
zubereiteten Lebensmittel zu finden (z.B. <strong>als</strong> Lecithin) und wird überwiegend<br />
in den USA produziert.<br />
Eine andere beunruhigende Studie hatte der weltweit renommierte<br />
Lebensmittelgenetiker Prof. Pusztai über Rattenfütterungsversuche 1998 (mit<br />
z.T. wiederholten Untersuchungsergebnissen) mit gentechnisch veränderten<br />
Kartoffeln, denen ein zusätzliches Gen des Schneeglöckchens (Lektin -<br />
bewirkt Insektenschutz) eingepflanzt worden war, vorgelegt und Aufsehen<br />
erregt. Die Ratten zeigten Veränderungen in den Organgewichten,<br />
Wachstumsstörungen und Irritationen des Immunsystems. 50 Bei uns<br />
Menschen ist nicht damit zu rechnen, dass wir nach einem Bissen von<br />
Genmais, Gensoja oder Genkartoffel eingehen, aber die Menge insgesamt<br />
summiert sich. Nichts anderes <strong>als</strong> eine Schwächung bzw. Irritation des<br />
Immunsystems ist eine Allergie bzw. Nahrungsmittelunverträglichkeit.<br />
Ärzte und besorgte Wissenschaftler sind der Meinung, Genfood müsste<br />
eigentlich nach denselben strengen Verfahren zugelassen werden wie<br />
Medikamente!<br />
Letztendlich stellt sich für den verunsicherten Verbraucher immer wieder die<br />
Frage, warum den kritischen Ergebnissen nicht nachgegangen wird und<br />
umfassendere (Langzeit-)Untersuchungen durchgeführt werden? Warum<br />
geht man politisch so verantwortungslos damit um? Hat man Angst vor den<br />
Ergebnissen? Eine Frage von Kosten oder möglicherweise verhinderten<br />
Profiten?<br />
Wie Gentechnik auf Menschen wirklich wirkt, wissen auch die Fachleute<br />
nicht. Die Bundesforschungsanstalt für Ernährung räumt ein, dass "kaum<br />
Erfahrungen mit gentechnisch erzeugten Lebensmitteln vorliegen". Auch das<br />
Robert-Koch-Institut – die oberste Zulassungsbehörde für GVO - kann<br />
50 Lancet, Vol.354: No.9187, 16.10.1999; und www.transgen.de
38<br />
ebenso wenig ausschließen, dass Lebensmittel aus transgenen Rohstoffen<br />
die Gesundheit des Menschen potenziell gefährden können. Die<br />
Genehmigungen erfolgen - wie es das Gentechnik-Gesetz vorschreibt - "nach<br />
dem Stand der gegenwärtigen Wissenschaft". Studien 51 , die sich mit der<br />
Ernährung beschäftigen, belegen aber immer wieder die Datenlücken aus der<br />
Risiko- und Begleitforschung. Auch wird vermutet, wenn mehr Lebensmittel<br />
gentechnisch verändert werden, dass es zu einer weiteren Zunahme von<br />
Lebensmittelallergien kommen kann. Andererseits wird von den Protagonisten<br />
behauptet, mit Hilfe der Gentechnik könnten bekannte allergene<br />
Lebensmittel für AllergikerInnen verträglich gemacht werden – allerdings in<br />
praxi noch pure Zukunftsmusik.<br />
Woran erkenne ich Genfood?<br />
Wenn es nicht gekennzeichnet ist - mit bloßem Auge gar nicht. Die<br />
Verbraucherinnen und Verbraucher sind <strong>als</strong>o ganz auf das angewiesen, was<br />
auf der Packung angegeben ist.<br />
Eine verbesserte Kennzeichnungspflicht ist am 18. April 2004 EU-weit in Kraft<br />
getreten. Auf der Zutatenliste aller verarbeiteten Produkte sowie bei<br />
Auszeichnung auch der losen und unverarbeiteten Ware müssen<br />
beabsichtigte Gen-Zutaten vermerkt werden. Eine Kennzeichnung ist hierbei<br />
auch dann vorzunehmen, wenn GVO-Proteine im Endprodukt nicht mehr<br />
nachweisbar sind. Dies betrifft hauptsächlich Öle und pflanzliche Fette (aus<br />
Gensoja) sowie Stärke (aus Genmais). Erfrischungsgetränke können zum<br />
Beispiel Glukose- oder Fruktose-Sirup aus gentechnisch verändertem Mais<br />
enthalten. Sie müssten gekennzeichnet werden.<br />
Die Kennzeichnung hat allerdings einen Haken: Erstens müssen<br />
unvermeidbare bzw. unbeabsichtigte Spuren von GVO in Höhe von 0,9%<br />
nicht auf der Verpackung erscheinen. Dies, obwohl die wissenschaftliche<br />
Nachweisgrenze zurzeit bei 0,1 Prozent liegt. Man beugt schon mal vor, was<br />
Verunreinigungen in unserer Nahrung betrifft…<br />
Zweitens müssen Fleisch, Eier und Milch von Tieren, die mit gentechnisch<br />
verändertem Futter gefüttert wurden, nicht gekennzeichnet werden.<br />
Drittens, werden nur Produkte gekennzeichnet, die aus GVO stammen, nicht<br />
aber solche, die mit Hilfe von GVO gewonnen werden. Das betrifft vor allem<br />
die Zusatzstoffe. Das Vitamin B 2, auch <strong>als</strong> Farbstoff Riboflavin bekannt, die<br />
Vitamine B 12, C und E, der Geschmacksverstärker Glutamat sowie die<br />
51 www.oeko.de/indexb.html
39<br />
Enzyme in Backmischungen und das Lab-Enzym in Käse (Chymosin 52 )<br />
können mit Hilfe gentechnischer Verfahren hergestellt werden, müssen <strong>als</strong>o<br />
nicht gekennzeichnet werden. Darin liegt ein großer Unsicherheitsfaktor.<br />
Genfood kann <strong>als</strong>o durchaus in den Vitaminen der Brausetabletten, Zusätzen<br />
zu Säften oder Softdrinks enthalten sein, ohne dass der Verbraucher darüber<br />
informiert werden muss. Vitamin E aus Gensoja beispielsweise muss<br />
gekennzeichnet werden, stellt man dasselbe Vitamin mit Hilfe von<br />
gentechnisch veränderten Mikroorganismen her, dann muss nicht<br />
gekennzeichnet werden. Auch Wein aus gentechnisch veränderten Trauben<br />
muss gekennzeichnet werden. Wein, der mit Hilfe gentechnisch veränderter<br />
Hefe hergestellt wird, jedoch nicht.<br />
Weiterhin ermöglicht das Gesetz Rückrufaktionen, wenn sich ein<br />
Lebensmittel, das gentechnisch veränderte Bestandteile erhält, <strong>als</strong><br />
gesundheitsgefährdend erweist. Man holt <strong>als</strong>o Gen-Food aus den Regalen<br />
zurück, wenn sich herausstellt, dass sich die Krankenhäuser füllen…<br />
Die Politik formulierte „Wahlfreiheit und Transparenz“ <strong>als</strong> Zielstellung für das<br />
Kennzeichnungsgesetz - etwas, was der Verbraucher nach wie vor vermisst<br />
und sich somit weiterhin in seiner Souveränität <strong>als</strong> Konsument eingeschränkt<br />
fühlt.<br />
Was kann man dem Konsumenten empfehlen?<br />
„Sich, wenn möglich, nicht einem Versuch einer risikoreichen<br />
Großtechnologie auszusetzen und diese Produkte komplett zu meiden. Wir<br />
wissen noch eindeutig zu wenig über die Folgen, “ so die Ärztin Angela von<br />
Beesten vom Ökologischen Ärztebund und Theodora Plate von der<br />
Verbraucherzentrale Bremen im April 2004 53 .<br />
So kann man am besten den „Biss ins Ungewisse“ vermeiden:<br />
- Die Mahlzeiten aus frischen Zutaten, insbesondere frisches Obst und<br />
Gemüse aus der Region, selbst zubereiten.<br />
-<br />
- Fertigprodukte und „Schnelle Küche" meiden. Generell gilt nämlich: Je<br />
stärker ein Gericht vorproduziert ist, desto größer ist die<br />
Wahrscheinlichkeit, dass einzelne Inhaltsstoffe mit Gentechnik in<br />
Berührung gekommen sind.<br />
-<br />
- Nur sortenreine pflanzliche Öle wie Olivenöl, Sonnenblumenöl, Distelöl,<br />
52 In Deutschland ist seit März 1997 gentechnisch hergestelltes Chymosin auch für die Käseproduktion zugelassen.<br />
53 taz Bremen Nr. 7345, 28.4.2004, S. 22 oder www.taz.de/pt/2004/04/28/a0077.nf/text.ges,1
40<br />
Nussöle verwenden, da kann keine Soja drin sein.<br />
-<br />
- Lebensmittel mit dem „Ohne-Gentechnik“-Zeichen kaufen.<br />
-<br />
- Ansonsten gilt: Immer auf die Zutatenliste bzw. die Auszeichnung achten.<br />
-<br />
- Gentechnikfreie Ernährung ist am einfachsten durch Bio-Essen zu<br />
gewährleisten. Denn der ökologische Landbau – klar erkennbar am<br />
Biosiegel oder dem EU-Bio-Siegel – muss nach den gesetzlichen<br />
Vorgaben garantiert gentechnikfrei wirtschaften. Gekennzeichnet sind<br />
ökologische Produkte auch mit den jeweiligen Zeichen der Anbauverbände<br />
(ANOG, Biokreis, Bioland, Biopark, Demeter, Gäa, Naturland).<br />
Große Aufklärungskampagnen und Werbung für die Gentechnik könnten den<br />
Eindruck erwecken, herkömmliche Lebensmittel können unseren<br />
Nährstoffbedarf nicht sicher decken. Diese Behauptung ist f<strong>als</strong>ch. Eine<br />
vollwertige Kost braucht - bis auf Jodsalz – auch keine Nahrungsergänzungen<br />
54 wie Vitamintabletten, Mineralpülverchen etc! Wir können mit<br />
normalen Lebensmitteln gesund leben. Unter einer Bedingung: Wir müssen<br />
genügend Grundnahrungsmittel essen, abwechslungsreich und vollwertig<br />
essen.<br />
Und Lebensmittel sind relativ billig – im Vergleich zu anderen notwendigen<br />
Grundbedürfnissen des Lebens (Miete, Fahrkarten, Benzin etc.), so dass die<br />
Argumentation, eine weitere Kostensenkung durch Gentechnik in der<br />
Landwirtschaft könne an den Verbraucher weitergereicht werden, ganz und<br />
gar ins Leere läuft. Die Lebensmittelkonzerne stehen zwischen Baum und<br />
Borke. Sie sind an der breiten Einführung der Gentechnik interessiert, da sie<br />
mit jedem Innovationsschub natürlich auch Kostensenkungen und höhere<br />
Profitraten erwarten. Aber sie fürchten die Macht der Verbraucher, wenn<br />
dieser an der Ladentheke „abstimmt“ – so wie zur BSE-Krise. Und 70% der<br />
Verbraucher, die sich gegen Gen-Pflanzen ausgesprochen haben, lassen<br />
sich nicht einfach mit noch so wohlfeiler Werbung fangen. So lange der<br />
Verbraucher das Unbehagen von Genfood in seiner Nahrung ablehnt, werden<br />
die Lebensmittelgiganten nichts tun, was zu einem plötzlichen Einbruch ihres<br />
Absatzes führen könnte. Und die Bauern müssen sich von den Konsumenten<br />
eines Tages die Frage gefallen lassen, für wen sie Lebensmittel produzieren -<br />
für die Industrie oder den Verbraucher.<br />
54 Einen ersten Super-Gau haben die Gentechniker bereits 1989 erzeugt: An einem gentechnisch hergestellten<br />
eiweißhaltigen Nahrungsergänzungsmittel (L-Tryptophan) der japanischen Firma Showa-Denko starben mindestens 37<br />
Menschen. Tausende leiden noch immer an den Auswirkungen einer Autoimmunkrankheit (EMS, chronischer<br />
Hautschrumpfung und andauerndende Muskelschmerzen). Offenbar hat das gentechnisch hergestellte L-Tryptophan die<br />
Erbinformation für die Erneuerung des menschlichen Bindegewebes unwiderruflich fehlgesteuert. Schlaflose Nächte.<br />
(Der Spiegel 41, 1990, S. 273-274)
41<br />
Aber die Verbraucher haben noch ein anderes Problem. Eine wachsende<br />
Förderung der Gentech-Forschung, insbesondere der anwendungsorientierten<br />
Forschung, mit Steuermitteln, obwohl die Steuerzahler sicherlich<br />
andere Prioritäten setzen würden, kommt nicht nur einer Hintergehung der<br />
Wählerinteressen gleich. Werden neue Gensorten eingeführt, zahlen Farmer<br />
wie die Allgemeinheit zunächst für deren Züchtung und Sicherheitsprüfung<br />
aus dem Steuersäckl und dann für das fertige Produkt die<br />
Patentschutzgebühren. Diese werden auf den Verbraucher umgelegt. Treten<br />
darüber hinaus Öko-Schäden oder wirtschaftliche Verluste beim Bauer auf,<br />
sind die Konzerne ebenfalls von der Zeche (Haftung) befreit. Ein Kreislauf,<br />
der sich für die Gentech-Konzerne ohne finanzielles Risiko wirklich lohnen<br />
muss.
6. Was betrifft die Bauern?<br />
42<br />
In Deutschland ist es nun so weit. Das Gentechnik-Gesetz ist verabschiedet.<br />
Der Weg für Genbauern ist ab kommendem Jahr frei. Das CDU/FDP-regierte<br />
Bundesland Sachsen-Anhalt hat <strong>als</strong> Initiator inzwischen den ersten<br />
großflächigen Erprobungsanbau von Bt-Mais in diesem Jahr durchgeboxt und<br />
ist sich gewiss, dass keine unkalkulierbaren Risiken auftreten. So ganz sicher<br />
sind sie sich aber nicht, denn die Haftung für etwaige doch auftretende<br />
Risiken ist im Wege. Weil die Haftungsregelung an die Adresse der Gen-<br />
Bauer nach dem neuen Gentechnik-Gesetz geht, wollen sie gegen die<br />
Bundesregierung klagen. 55 (siehe weiter unten)<br />
Saatgut – wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit oder Knebelverträge für<br />
die Bauern?<br />
Sorten-<br />
und Preisdiktat der Saatgutkonzerne erreichen mit Einführung der<br />
Gentechnik eine neue Qualität. Was auf dem amerikanischen Kontinent<br />
bereits Praxis ist, wird auch in Europa auf die Bauern zukommen: Gensaatgut<br />
und Pestizide sind per Vertrag nur von einem Konzern zu beziehen. Bauern<br />
müssen sich verpflichten, dem Konzern die Geschäftsbücher zur Kontrolle<br />
offen zu legen. Die Abhängigkeit gipfelt in der Aufgabe des traditionellen<br />
Landwirteprivilegs. Das heißt, Bauern können einen Teil der Ernte für die<br />
nächste Saat einbehalten. Die Biotech-Industrie verkauft ihr Saatgut immer<br />
nur für eine Nutzung, wer Teile seiner eigenen Ernte im nächsten Jahr wieder<br />
aussäen will, muss erneut Lizenzgebühr bezahlen. Doch damit nicht genug!<br />
Die Firmen sind mit Detektiven und z.T. kriminellen Methoden hinter den<br />
Bauern her, um das genau zu prüfen und wer erwischt wird, den verklagen<br />
sie sofort auf hohe Summen. 56 Reihenweise wurden Landwirte von Monsanto<br />
auf zu entrichtende Technologieabgaben verklagt, auf deren Feldern eine<br />
Auskreuzung nachweisbar war. Einen Schutz vor Pollen-, Bienen- und<br />
Vogelflug oder Wind gibt es nicht. Selbst der Amazonas in Südamerika - so<br />
haben Klimaforscher und Geologen nachgewiesen wird von Sandstürmen der<br />
Sahara in Nordafrika gedüngt. Bei nur 1% Kontamination in üblichem<br />
konventionellem Saatgut würde dies immerhin 100 m² pro Hektar<br />
ausmachen. In ihrer Not klagen amerikanische und kanadische Bauern<br />
gegen die Gentechnik-Konzerne Bayer und Monsanto. Sie hoffen, dass<br />
Europa aus ihrem warnenden Beispiel lernt. Doch die Schäden ihrer Äcker<br />
und Ernten müssen die Kläger vor Gericht beweisen und, was noch schwerer<br />
ist, die Gen-Saatmultis <strong>als</strong> Verursacher überführen. Hier kämpfen ungleiche<br />
Gegner. Argumente der zunehmenden Abhängigkeit der Bauern haben so<br />
55 Berliner Morgenpost, 26.11.2004, http://morgenpost.berlin1.de/content/2004/11/25/wirtschaft/718202.html<br />
56 Andrea Naica-Loebell, 19.11.2003, Lizenzgebühren für jede einzelne Bohne,<br />
www.heise.de/tp/r4/artikel/16/16076/1.html
43<br />
inzwischen ihre juristische Realität bekommen und werden in naher Zukunft<br />
auch in Deutschland ihren Lauf nehmen.<br />
Gibt es Alternativen zur Gentechnik in der Landwirtschaft?<br />
Alternativen<br />
bestehen nicht nur in der Forschung. Auch durch die<br />
Weiterentwicklung und Anwendung moderner Produktionsmethoden kann<br />
mehr geerntet, zielgenauer gedüngt, gepflegt und gespritzt werden. Pfluglose<br />
Bestellung, Bearbeitung mit bodenschonenden Geräten, Satellitenortung,<br />
gezielte biologische Schädlingsbekämpfung, pflanzengenaue Applikationen<br />
(Tröpfchenbehandlung) etc. lassen Dünge- und Pflanzenschutzmittel<br />
sparsamer und wirkungsvoller einsetzen <strong>als</strong> die Gentechnik mit einer<br />
Herbizid- oder Insektenresistenz hervorbringen kann. Die Alternativen sind<br />
ökologisch verträglicher und letztendlich billiger. Allein in der Senkung von<br />
Ernte-, Transport-, Lagerungs- und Verarbeitungsverlusten beispielsweise<br />
von Getreide mit wenigen technischen Hilfsmitteln liegt ein Potential von bis<br />
zu 30% höhere Ertragsausnutzung. Das liegt weit über jegliche<br />
prognostizierte Ertragssteigerung durch Gentechnik. Darüber hinaus können<br />
Unkräuter gegen mechanische Techniken und Ungeziefer kann gegen<br />
biologische Verfahren (Einsatz von Nützlingen) nicht resistent werden.<br />
Aber<br />
der Bauer weiß selbst am besten, welche Alternativen es zur<br />
Gentechnik gibt, da er sie über Jahrzehnte praktiziert und über Jahrhunderte<br />
überliefert hat.<br />
Warum<br />
werden die unverhältnismäßig großen Risiken in Kauf genommen,<br />
wenn eine nachhaltige Bewirtschaftung mit moderner Technik gekoppelt, eine<br />
schonende und lohnende Ernährung sicherstellen kann? In Amerika wird es<br />
offensichtlich, wie ein Präsident Clinton dam<strong>als</strong> grünes Licht in allen Fragen<br />
der Gentechnikanwendung geben konnte: Die Bewerber in einem Wahlkampf<br />
tingeln von einer Industrie zur nächsten und halten dabei ihren Hut hin. Raten<br />
sie einmal, wer einer der größten Geldgeber für Clintons Wahlkampf war? Es<br />
ist der größte Konzern mit GVO-Angebot und hat seine Tochterunternehmen<br />
in über 50 Ländern: Monsanto.<br />
Für<br />
die Bauern bringt Gentechnik nichts. Warum wird es dann trotzdem<br />
gemacht?<br />
Weil<br />
die Industrie sich davon viel verspricht. Und weil die Gentechnik aus rein<br />
wirtschaftlichen Gründen verlockend ist. „Ich habe in meiner ganzen<br />
politischen Laufbahn noch kein Thema erlebt, bei dem so massiv und effizient
44<br />
Lobbyarbeit gemacht wurde wie bei der Gentechnik.“ 57 Im Atombereich ist es<br />
ähnlich. Eine profitable Technik – entwickelt und subventioniert aus<br />
Steuergeldern - wird mit aller Macht in den Markt gedrückt und man<br />
verhindert diese in unserem Zeitalter nicht zum Beginn, sondern erst wenn<br />
große Probleme aufgetreten sind. Die Risiken wie sie unter Pkt. 4<br />
beschrieben worden sind, treffen alle - die Umwelt, den Bauern und den<br />
Verbraucher. Und wie bereits unter Pkt. 3 beschrieben, sind Gen-Pflanzen<br />
nicht immer wirtschaftlich überlegen. Der erwartete Nutzen für die Landwirte<br />
lag in vielen Fällen unter den höheren Einstiegskosten für teureres Saatgut,<br />
zusätzlicher "Technologieabgabe" und für komplementäre Pflanzenschutzmittel.<br />
58 Der wirtschaftliche Marktvorteil der Gentech-Branche kann sich<br />
schnell zum wirtschaftlichen Nachteil bei den Bauern entwickeln.<br />
Wirtschaftliche Risiken sind in den großen Anbaugebieten mit GVO bereits an<br />
der Tagesordnung. Agrar-Experten schätzen die Verluste amerikanischer<br />
Bauern durch Produktions- und Ernteausfälle auf über 1 Mrd. $ durch das<br />
Gen-Geschäft.<br />
Aufgrund der Abnahmeverweigerung der EU von Genmais und Gensoja ist<br />
folgerichtig, dass für konventionelle Gentechnik-freie Ernten (Mais, Raps und<br />
Soja) zwischenzeitlich höhere Verkaufspreise auf dem Weltmarkt erzielt<br />
werden können.<br />
Was sich <strong>als</strong> mögliches zukünftiges Szenario für Deutschland und die<br />
EU abzeichnet, ist in den drei Hauptanbauländern von gentechnisch<br />
veränderten Pflanzen schon jetzt Realität. Die USA, Argentinien und<br />
Kanada können nicht mehr gewährleisten, dass ihr Saatgut und ihre<br />
Ernten keine Gentechnik enthalten - die gentechnische Kontamination<br />
ist allgegenwärtig.<br />
Das führte beim Sojaanbau in den USA zu einer geradezu grotesken<br />
Situation. Die astronomisch hohe Anbauquote von inzwischen fast 80 Prozent<br />
transgenem Soja resultiert nicht etwa daraus, dass die Bauern einem<br />
qualitativ überlegenen Produkt den Vorzug geben, sondern aus einem<br />
simplen ökonomischen und alltagspraktischen Kalkül: Immer wieder wurden<br />
konventionell wirtschaftende Soja-Bauern, auf deren Feldern ungewollt auch<br />
gentechnisch veränderte Pflanzen wuchsen, vom Hersteller des Gensojas,<br />
dem US-amerikanischen Konzern Monsanto, wegen Verletzung des<br />
Patentschutzes verklagt und von den Gerichten zur nachträglichen Zahlung<br />
57<br />
Agrarexperte Graefe zu Baringdorf warnt vor einem "gentechnischen Tschernobyl", taz Nr. 7344, 27.4.2004, S. 6,<br />
www.taz.de/pt/2004/04/27/a0199.nf/text.ges,1<br />
58<br />
Für viele Bauern kam das Ärgernis hinzu, dass in einigen Fällen bestimmte Gen-Manipulationen gar nicht wirkten,<br />
weil Instabilitäten vorlagen. Unter Hitzebedingungen blieb z.B. Bt-Baumwolle ohne insektizide Wirkung und Soja wurde<br />
am Wachstum gehindert (der Stengel splitterte auf; vermutet wird, dass mit der Manipulation eine höhere<br />
Ligninproduktion angeregt wurde). Aber der Konzern war nicht freiwillig bereit, für Produktionsausfälle Entschädigungen<br />
an die Bauern zu zahlen. (Kaiser, Jocelyn (1996) Pests Overwhelm Bt Cotton Crop, Science, 26. Juli 1996, S. 423)
45<br />
von Lizenzgebühren verurteilt. Die Folge: Statt zweimal Geld für Saatgut<br />
auszugeben, greifen die Bauern lieber gleich zum transgenen Saatgut,<br />
zahlen nur einmal und ersparen sich den Ärger eines aufwändigen<br />
Gerichtsverfahrens, in dem sie nach derzeitiger Rechtslage ohnehin<br />
unterliegen.<br />
Damit wird die neue Technologie zum wirtschaftlichen Stolperstein und<br />
Risikofaktor bei Unwägbarkeiten der Genpflanzen. Insbesondere Ökobauern<br />
fürchten um ihre Öko-Lizenz und ihre Existenz. Kommt die grüne<br />
Gentechnik massiv ins Freiland, ist der Ökolandbau so gut wie ruiniert.<br />
Bezeichnungen wie "Gentech-frei" wären passé. Auch könnten Landwirte<br />
in der EU ein Risiko des Absatzverlustes ihrer Produktion wie bei der BSE-<br />
Krise kein weiteres Mal in Kauf nehmen.<br />
Was ist unter Koexistenz zu verstehen?<br />
Der Begriff der Koexistenz von Landwirtschaft mit und ohne Einsatz der<br />
Gentechnik steht nach wie vor im Mittelpunkt der politischen Debatte der EU<br />
und in Deutschland. Koexistenz bedeutet, dass am Ende beide Seiten, die<br />
GVO-Anbauer und die Nicht-Gentech-Bauern, nebeneinander produzieren<br />
und dauerhaft existieren können. Kein Bauer soll seine Anbaustrukturen<br />
aufgeben müssen. (Das ist angesichts der kleinstrukturierten Anbauflächen<br />
im Westen Deutschland schon fraglich.) Grundlage ist die Einhaltung der so<br />
genannten „guten fachlichen Praxis“ bei Gen-Anbau, der Rechtsvorschriften<br />
für Etikettierung und der Schwellenwerte für Sortenreinheit und<br />
Kennzeichnung (Grenzwerte für die zugelassene Kontamination). Es geht um<br />
die möglichen wirtschaftlichen Nachteile, die Landwirten des konventionellen<br />
und/oder des ökologischen Landbaus erwachsen können, wenn sie wegen<br />
zufälliger Spuren von GVO über dem zugelassenen Höchstwert ihre Ernte<br />
nicht absetzen können oder zu einem niedrigeren Preis verkaufen müssen.<br />
Die Koexistenz ist <strong>als</strong>o vor allem eine wirtschaftlich-rechtliche Frage. Die<br />
Hauptfrage ist nur, ob die Maßnahmen ausreichen, um einem<br />
gentechnikfreien Landbau die Existenz zu sichern. Es ist zwar das Recht des<br />
Landwirts Gentechnik abzulehnen, er ist aber noch lange nicht dadurch<br />
geschützt.<br />
Die EU-Kommission beschloss im März 2003 Leitlinien zur Koexistenz, die<br />
den Mitgliedstaaten zur Ausarbeitung eigener Strategien für die Koexistenz<br />
überlassen wurden. Die Leitlinien zur Koexistenz stützen sich u.a. auf<br />
bestehende Trennungspraktiken z.B. zur Saaterzeugung. Sie sollen für unterschiedliche<br />
Arten von Kulturen gelten, da die Wahrscheinlichkeit der<br />
Vermischung unterschiedlich groß ist: bei Kulturen wie Raps ist sie sehr groß,<br />
bei Kartoffeln beispielsweise eher gering. Ferner sollen lokale und regionale
46<br />
Aspekte ganz mit einbezogen werden. Grundsätzlich sollten lt. Kommission<br />
die Landwirte in der Phase der Gentech-Einführung in einer Region die<br />
Verantwortung für die Durchführung von Maßnahmen zur Kontrolle der<br />
Vermischung tragen. Diese Kontrollen sollen helfen, den möglichen Gentech-<br />
Kontaminationen auf der Spur zu sein. Das ist wie der Versuch, mit einem<br />
Fahrrad einen D-Zug zu verfolgen.<br />
Weiterhin sollen betriebliche Maßnahmen und Maßnahmen zur Koordinierung<br />
benachbarter Betriebe Vorrang haben. Ein Großteil der Verantwortung wird<br />
damit an die Bauern selbst delegiert. Sollte mit ihren Maßnahmen die<br />
Koexistenz nicht gewährleistet werden können, wären regionale Maßnahmen<br />
zu erwägen, beispielsweise Beschränkungen beim Anbau einer bestimmten<br />
Art von GVO in einer Region. So hat der Raiffeisenverband bereits in einigen<br />
Gegenden Deutschlands in seinen Verträgen eine Klausel festgeschrieben,<br />
die die Bauern zur Lieferung von gentechnikfreiem Mais verpflichtet. Regional<br />
geltende Maßnahmen müssen für jede Kultur und jede Erzeugnisart (wie z. B.<br />
Saaten oder Pflanzen) einzeln begründet werden.<br />
Die Regeln und Pflichten für diese Art von „guter fachlicher Praxis“ der<br />
Gentech-Bauern soll für die deutsche Landwirtschaft die am 26.11.2004 im<br />
Bundestag verabschiedete Novelle des Gentechnik-Gesetzes liefern.<br />
Ebenso werden darin klare Haftungsbestimmungen angestrebt, so dass für<br />
diejenigen Landwirte, die durch den GVO-Anbau ihrer Nachbarn einen<br />
Kontaminationsschaden erleiden, Rechtssicherheit herrscht. Zur guten<br />
fachlichen Praxis wurden im Gentechnik-Gesetz jedoch nicht alle Vorschriften<br />
reingeschrieben. Dazu ist ein Gesetz auch ein viel zu starrer Rahmen. Die<br />
gute fachliche Praxis für GVO-Anbauer müsste konkrete Vorschriften und<br />
Einzelregelungen zur Pflanzenart, Bodenart etc. mit den jeweiligen<br />
Abstandsvorschriften und Vorschriften zu Schutzstreifen und Schutzmaßnahmen<br />
etc. enthalten. Diese können jedoch nur von den Ländern vor Ort<br />
erarbeitet und kontrolliert werden.<br />
Bauern brauchen einen wirksamen Schutz, denn zur Koexistenz gibt es in<br />
den großen GVO-Anbaugebieten bislang nur negative Erfahrungen, da die<br />
Koexistenz praktisch nicht funktioniert. In etlichen Regionen Kanadas sind<br />
sich die GVO-Bauern und jene, die gentechnikfrei produzieren wollen,<br />
inzwischen spinnefeind. Die aggressive Durchsetzungspolitik großer Biotech-<br />
Konzerne wie Monsanto macht die neue Technologie auch nicht sonderlich<br />
sympathisch (siehe zu Patenten, der Fall Percy Schmeiser). Gentechnik wird<br />
auch in Deutschland zu einem Angriff auf den sozialen Frieden in den Dörfern<br />
werden.
47<br />
Konventionelle Landwirte und Öko-Landwirte, die selbst keine gentechnisch<br />
veränderten Pflanzen einsetzen, bewirtschaften ihre Felder nicht unter einer<br />
Glasglocke. Die Vorstellung eines friedlichen Nebeneinanders von<br />
Landwirtschaftsformen mit und ohne Gentechnik ist somit eine Illusion.<br />
Die so genannte Koexistenz ist ein Trojanisches Pferd, bei dem wir<br />
genau wie in den USA, Argentinien oder Mexiko nach fünf oder zehn Jahren<br />
feststellen müssen, GVO’s gibt es leider überall, entweder bewusst angebaut<br />
oder durch Pollen- und Bienenflug, durch Saatgutvermengung, unsaubere<br />
Erntetechnik und…und …<br />
Ein weiterer Beleg dafür, dass es keine Koexistenz zwischen transgenen<br />
und herkömmlichen Pflanzen geben kann, zeigten sechs Studien, die in vier<br />
Staaten der EU durchgeführt wurden. Das Joint Research Centre der EU-<br />
Kommission hat darüber im Mai 2002 einen Bericht über die voraussichtlichen<br />
Möglichkeiten einer Koexistenz des Anbaus von transgenem,<br />
konventionellem und ökologisch produziertem Raps, Mais und Kartoffeln in<br />
der EU veröffentlicht. Für zwei angenommene Szenarien (10% und 50%<br />
Anteil von transgenen Nutzpflanzen am gesamten Anbau in einer Region)<br />
wurde auf der Basis von Computermodellen und Expertenwissen eine<br />
Abschätzung vorgenommen, welche Kontaminationshöhen von transgenen<br />
Nutzpflanzen vermutlich in ursprünglich gentechnikfreien Pflanzen zu<br />
erwarten sind. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass in keinem der<br />
betrachteten Szenarien eine Koexistenz innerhalb einer Region mit<br />
Kontaminations-Schwellenwerten von 0,1% möglich ist. Ferner wird<br />
festgestellt, dass selbst mit bedeutenden Änderungen des Anbaumanagements<br />
ein 0,1% Grenzwert für Kontaminationen in gentechnikfreien<br />
Produkten kaum erreichbar sein kann. Lassen wir uns mit transgenen<br />
Pflanzen auf ein ökologisches Roulette ein?<br />
Warum lassen sich Gentechnikfolgeschäden nicht versichern bzw. wer<br />
soll dafür haften?<br />
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft hat am 2. Juli<br />
2004 bekannt gegeben, dass Landwirte, die GV-Saatgut einsetzen und für<br />
Auskreuzungen haften müssen, das Risiko der Kontamination nicht über eine<br />
Haftpflichtversicherung versichern können. 59 Deutsche Versicherungskonzerne<br />
schließen eine Haftung für Gentechnikfolgeschäden aufgrund<br />
unkalkulierbarer Risiken somit aus. 60 Genbauern können nicht versichert<br />
werden. Das Risiko ist nicht versicherbar, so der Gesamtverband. Damit<br />
59 agrar Aktuell 05.07.04; www.gdv.de/presseservice/24243.htm<br />
60 Klaus Schramm: Deutsche Versicherungskonzerne schließen Haftung für Gentechnikfolgeschäden aus, 02.07.2004,<br />
www.umweltdebatte.de
48<br />
unterstützen sie unweigerlich die kritischen Argumente der Gentechnik-<br />
Gegner.<br />
Auch die Gentech-Konzerne schließen eine Haftung für die anwendenden<br />
Bauern, die für Schäden bei anderen Bauern einen Ausgleich zahlen sollen,<br />
aus (es gibt nur eine Produkthaftung). Noch nie haben sich die Gentech-<br />
Firmen gegen die Haftung für ihre eigenen Produkte gewehrt, wo sie doch<br />
gleichzeitig von der Sicherheit der Gentechnik so überzeugt sind.<br />
Nun hat der Bauernverband doch tatsächlich versucht, dass die<br />
Saatgutfirmen die Verantwortung für mögliche Schäden übernehmen. Die<br />
haben dankend abgelehnt. Da sich die Auskreuzung nicht vermeiden lasse,<br />
»werden wir kein Risiko eingehen«, sagte ein Sprecher der Kleinwanzlebener<br />
Saatzucht (KWS) AG, der größte Vermehrer und Anbieter von Saatgut in<br />
Deutschland. Die KWS hat nun bekannt gegeben, dass sie GV-Saatgut in<br />
Deutschland nicht vermarkten will. 61 Da zeigt sich, wie schnell politische<br />
Regelungen wirtschaftliche Entscheidungen nach sich ziehen können, obwohl<br />
jahrelang genau das Gegenteil behauptet wurde.<br />
Auch international gibt es für die Haftung bei Gen-Landwirtschaft keine<br />
Versicherungsmöglichkeit. Die fünf wichtigsten britischen Versicherer<br />
erklärten schon im Oktober 2003, sie würden keine Policen im Bereich<br />
Genmanipulation ausstellen. Die meisten großen amerikanischen<br />
Versicherungskonzerne wollten sich auf Anfrage nicht äußern, aber Robert<br />
Hartwig vom Insurance Information Institute kommentierte: Genetisch<br />
modifizierte Nahrungsmittel gehören zu den risikoreichsten von allen<br />
denkbaren Versicherungen, die wir heute ausstellen können. Und dafür gibt<br />
es gute Gründe. Keine Firma weiß, wohin der Weg der genetisch veränderten<br />
Nahrungsmittel uns in Bezug auf die menschliche Gesundheit oder die<br />
Umweltverschmutzung letztlich führen wird. 62 Die Frage ist auch, bis zu<br />
welcher Höhe die Versicherer bereit sind, eine Abdeckung anzubieten.<br />
Experten schätzen, dass es realistisch bis zu mehreren Milliarden gehen<br />
müsste, um wirklich langwierige Prozesse auf Schadensersatz komplett zu<br />
finanzieren. Die entsprechenden Großfirmen wie Monsanto und Co. leugnen<br />
ein Problem im Versicherungsbereich zu haben. Dafür bilden sie Rücklagen<br />
in Milliardenhöhen, um beispielsweise solche Rückholaktionen wie beim<br />
StarLink-Skandal in den USA finanzieren zu können.<br />
Das neue Gentechnik-Gesetz sieht nun vor, dass die Genbauern bei GVO-<br />
Kontamination von Feldern benachbarter Landwirte „gesamtschuldnerisch<br />
und verschuldensunabhängig“ haften. Jedoch nur, wenn nachgewiesen ist,<br />
61 Tagesspiegel 03.07.04<br />
62 www.telepolis.de/tp/deutsch/special/leb/16244/1.html
49<br />
dass der Schaden wirtschaftliche Einbußen verursacht hat und die<br />
Kontamination über dem Schwellenwert liegt. Fakt ist, dass ein Nicht-GVO-<br />
Bauer keine Einspruchsmöglichkeit besitzt, wenn in seinem Erntegut für<br />
Lebensmittel bis zu 0,9% GVO-Anteil enthalten sind. Denn das ist der<br />
Grenzwert, bis zu dessen Höhe unvermeidbare GVO-Anteile in Lebensmitteln<br />
vorkommen dürfen. Darüber kann die Ware vermutlich nur noch <strong>als</strong> Viehfutter<br />
abgesetzt werden.<br />
Ist eine Ernte ungewollt von GVO kontaminiert und der Landwirt erleidet<br />
dadurch wirtschaftliche Einbußen, ist er in jedem Fall benachteiligt, sei es<br />
auch, dass er Schädigungen rechtlich geltend machen kann. Die Beweislast<br />
liegt beim Geschädigten. Die Aufwendungen, die Analysekosten, das<br />
Rechtsverfahren einzuleiten und den Nachweis zu führen, kosten auf jeden<br />
Fall Zeit, Nerven und Geld. Dass eine GVO-Kultur die Genveränderung in<br />
fremden Kulturen bewirkt hat, muss bewiesen werden – und zwar vom<br />
geschädigten Landwirt selbst. Im Einwirkungsbereich der Pollen einer GVO-<br />
Kultur wird sie <strong>als</strong> Ursache vermutet. Sind mehrere GVO-Kulturen in der<br />
Nähe, gelten sie gemeinsam und zu gleichen Teilen <strong>als</strong> Ursache. Für Klarheit<br />
sorgt auf jeden Fall eine Genanalyse vor der Ernte, denn nach der Ernte<br />
können Verunreinigungen angesichts vieler möglicher Kontaminationspfade<br />
durch Ernte- oder Transportmaschinen erfolgt sein.<br />
GVO-Anbauer müssen nur für Genanalysen zahlen, wenn ein Schaden<br />
rechtlich anerkannt worden ist. Die Analysekosten gehören zum<br />
ausgleichspflichtigen Schaden. Von Saatguthändlern soll eine Zusicherung<br />
über Gentechnik-Freiheit des Saatgutes verlangt werden. Für die<br />
Saatgutproduzenten gibt es eine Informationspflicht. Der Produzent muss<br />
darin erklären, wie die im Gesetz genannten Anforderungen zur guten<br />
fachlichen Praxis beim Gentech-Anbau eingehalten werden können. GVO-<br />
Anbauer sind somit nur haftbar für wirtschaftliche Schäden, über ökologische<br />
Schäden gibt es keinen entsprechenden Passus im Gesetz.<br />
Damit hat es sich der Gesetzgeber leicht gemacht und wälzt die Problematik<br />
auf Auseinandersetzungen innerhalb der Bauernschaft ab. Der GVO-Bauer<br />
muss Ausgleich zahlen, weil er einen Schaden verursacht hat<br />
(Verursacherprinzip), nicht weil er ihn verschuldet hat. Die eigentliche Schuld<br />
an dem Dilemma tragen die Chemieriesen und Pharmakonzerne, die diese<br />
Produkte entwickelt haben, aber nicht für deren Sicherheit garantieren<br />
können. Der eigentliche Erzeuger und Vertreiber von GVO-Saatgut, der am<br />
Patent verdient, bleibt damit außen vor. Nun soll der anwendende Bauer<br />
dafür haften. Sicherlich liegt es in seinem Verantwortungsbewusstsein, ob<br />
und wie er mit GVO umgeht und sich von den Versprechungen der Gentech-<br />
und Saatgutindustrie einfangen lässt. Abstandsstreifen und Schutz-
50<br />
pflanzungen scheinen zunächst sinnvoll zur Vorbeuge zu sein, aber sie<br />
taugen weder für alle Kulturen, noch unter bestimmten regionalen<br />
Bedingungen (Naturschutzgebiete), noch für bestimmte technische<br />
Anbauverfahren und nicht für alle Witterungsbedingungen.<br />
Aufgrund des Dilemmas verweigerter Garantien und Versicherungen bei<br />
Haftung des Anwenders wird nach Einschätzung des Deutschen<br />
Bauernverbandes kein Landwirt in Deutschland auf absehbare Zeit<br />
gentechnisch verändertes Saatgut verwenden. Ob sich diese Einschätzung<br />
<strong>als</strong> zutreffend erweist, ist allerdings in Anbetracht des derzeit laufenden<br />
»Erprobungsanbaus« von Genmais fraglich. Dahinter steckt Methode:<br />
angefangen wurde beim Mais, der keine Artverwandten in Deutschland hat,<br />
und der relativ schwere Pollen im Normalfall nicht so weit fliegt. Im Frühjahr<br />
2004 wurde für sieben Sorten Genmais der Erprobungsanbau ermöglicht, der<br />
auf rund 60 geheim gehaltenen Flächen mit insgesamt rund 1.000 Hektar in<br />
sieben Bundesländern stattfindet. 63 Von wesentlichen Einträgen könne nur<br />
innerhalb von zehn Metern gesprochen werden. Ein Trennstreifen von 20<br />
Meter Breite zwischen GVO und konventionellem Mais würde bereits<br />
genügen, um eine wesentliche Kontamination zu verhindern. Damit sei das<br />
Ziel bereits erreicht, dass der Schwellenwert für die Kennzeichnung <strong>als</strong> GVO<br />
von 0,9 Prozent unterschritten werde, heißt es. 64 Fragt sich nur, wie lange<br />
diese Weißmalerei bei großflächigem Anbau aufrechterhalten werden kann.<br />
Denn der Probeanbau hat wichtige Fragen ausgeklammert - etwa, wie die<br />
Vermischung nach Jahren aussieht und wie Pflanzen aus dem Biotech-Labor<br />
Insekten, andere Tiere und den Boden beeinträchtigten.<br />
Beteiligt waren außer landwirtschaftlichen Versuchsanstalten auch einzelne<br />
Bauern, die von Gentechnikfirmen durch hohe Zahlungen und vertragliche<br />
Risikoabsicherungen zum Anbau der Genpflanzen veranlasst wurden.<br />
Diejenigen, die den Anfang machen, werden nicht ohne Grund bevorteilt.<br />
Schließlich sind die Auswirkungen nicht gleich so groß und die Kosten<br />
können die Genkonzerne noch aus der Portokasse bezahlen. Man muss erst<br />
mal einen Fuß in der Tür haben. Bestes Beispiel, bis die ganze Sache kippt<br />
und nicht mehr <strong>als</strong> Gentechnikfrei zu halten ist, zeigte Brasilien (siehe Pkt. 2)<br />
Das Pollenproblem mit seiner Ausbreitungsgefahr von GVO ist sicherlich<br />
dennoch ein gravierendes. In der nächsten GVO-Generation wird es jedoch<br />
keine Pollen mehr geben 65 – zumindest keine fortpflanzungsfähigen.<br />
63<br />
Beteiligt sind sieben Bundesländern: Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Bayern, Sachsen, Brandenburg,<br />
Baden-Württemberg und Thüringen. Bayern und Sachsen-Anhalt stellten neben privaten auch staatlich Flächen für den<br />
Anbau von gentechnisch veränderten Körnermais und die Futterpflanze Silomais zur Verfügung. Das Saatgut wurde von<br />
Großkonzernen wie Saatguthersteller Monsanto und Pioneer Hi-Bred Northern Europe gestellt.<br />
64<br />
GVO: Bei Mais ist eine Koexistenz möglich, LME Aktuell - Lebensmittel und Ernährung, 25.11.2004, www.lmeonline.de<br />
65<br />
Sterile Pollen gegen Gentech-Ausbreitung, 15.11.2004, www.telepolis.de/r4/artikel/18/18784/1.html
51<br />
Jedes mit der Gentechnik einhergehende einzeln betrachtete Problem<br />
kann sich <strong>als</strong> marginal erweisen. Wichtig ist, den Gesamtcharakter von<br />
Gentechnik herauszustellen: nicht ökologisch verträglich, nicht<br />
nachhaltig, eine Produktivkraft zur weiteren stärkeren Ausbeutung der<br />
Natur mit starkem destruktiven Charakter für Natur und Menschheit.<br />
Landwirte sind nun gut beraten, sich vor jeder Saatgut- und Feldbestellung zu<br />
informieren. Das Gentechnikkataster bzw. Standortregister gibt denjenigen<br />
eine parzellengenaue Auskunft über geplante Kulturen mit GVO, die ein<br />
berechtigtes Interesse daran haben (Imker, Landwirte, Bio-Bauern). Natürlich<br />
kann jeder Bauer schon heute von seinem Nachbarn Auskunft über geplante<br />
GVO-Kulturen verlangen, vorausgesetzt Nachbars Pollen können seine<br />
eigene Ernte beeinträchtigen. Denn das nachbarschaftliche Gemeinschaftsrecht<br />
verlangt Rücksichtnahme.<br />
Das Haftungsproblem steht stark unter Kritik, natürlich vom Bauernverband<br />
und den Herren von der Industrie, denn sie wollen am liebsten gar keine<br />
Haftung bzw. nicht dafür aufkommen. Aber Verbraucher, Kritiker und<br />
betreffende Bauern sehen, dass sie sozusagen zweimal für einen Fakt<br />
bestraft werden sollen, den sie eigentlich gar nicht wollen: Bayer und<br />
Monsanto und Co. sind für die Ausbreitung ihrer Produkte verantwortlich, und<br />
damit auch für die entstandenen Schäden. Mit anderen Worten, es kann nicht<br />
sein, dass diejenigen, die die Umwelt und die Lebensmittel vermüllen,<br />
belohnt, und diejenigen, die dagegen ankämpfen, bestraft werden. Bei<br />
Konstruktionsfehlern einer neuen Automarke wird doch auch nicht der Fahrer<br />
in Haft genommen, sondern die Hersteller müssen die defekten Autos<br />
zurückrufen bzw. bei Mängeln haften. Wieso werden <strong>als</strong>o die Gentech-<br />
Konzerne so in Schutz genommen? Von wem werden die Gentech-Pflanzen<br />
denn kreiert und in Umlauf gebracht? Wer kassiert denn Patentgebühren?<br />
Sollen doch diejenigen Firmen, die die gentechnischen Veränderungen<br />
ausgeheckt haben, doch auch bitte dafür büßen (haften). Wenn die<br />
Genkonzerne und nicht mal die Versicherer bereit sind, die Risiken zu tragen,<br />
warum sollte man Fonds einrichten, die das Risiko bestenfalls bei kleineren<br />
Schäden abfangen können, die aber bei größeren Schäden kaum ausreichen<br />
werden? Einen Haftungsfonds zu bilden, spielt nur der Gentechindustrie in<br />
die Hände, die sich um die Folgen wenig schert. Wozu überhaupt ein<br />
Haftungsfonds, in der Bund und Länder einzahlen sollen? Wieso soll der<br />
Steuerzahler wieder dafür aufkommen? Es ist typisch: Privatisierung der<br />
Gewinne bei den Konzernen, aber für Schäden, Verluste und Kosten muss<br />
der Bürger zahlen!
Warum werden Patente abgelehnt?<br />
52<br />
Ein Blick nach Kanada zeigt die Symptome der krankhaften<br />
Genehmigungspraxis von Patentämtern und deren Rückendeckung durch die<br />
Justiz: Der Landwirt Percy Schmeiser bewirtschaftet den ererbten Boden in<br />
der dritten Generation und züchtete erfolgreich Raps. Bis der Pollen von<br />
Genraps seine Pflanzen bestäubten. Der Zuchterfolg von mehreren<br />
Jahrzehnten war mit einem Mal dahin. Doch damit nicht genug, verklagte ihn<br />
der Patentinhaber Monsanto bereits 1998 wegen angeblicher Patentrechts-<br />
Verletzungen, weil er die entsprechende Lizenzgebühr von 37 kanadischen<br />
Dollar pro Hektar für die patentgeschützte Pflanze nicht gezahlt hatte. Und<br />
das, obwohl der Farmer glaubhaft machen konnte, dass er seit über 40<br />
Jahren mit eigenem Saatgut Raps anbaut, und der Gen-Raps sehr leicht von<br />
Nachbars Feldern oder vorbeifahrenden Lastwagen stammen könnte. Das<br />
Gericht sah es für unerheblich an, wie der Gen-Raps auf Schmeiser Felder<br />
kam - Patentschutz habe immer Vorrang. Der Farmer wurde im letzten Jahr<br />
rechtskräftig zur Zahlung von 20.000 Dollar Strafe an Monsanto verurteilt. 66<br />
Kürzlich erhielt er den Mahatma-Gandhi-Award für seinen friedvollen Widerstand.<br />
67 Ausdauer und Hartnäckigkeit sind gefragt, wenn man mit Klagen<br />
gegen die Gentech-Unternehmen vorgehen will.<br />
Der Fall zeigt exemplarisch die Folgen von Bio-Patenten: Sie bedeuten,<br />
dass Bauern, die in der Nachbarschaft von transgenen Pflanzen<br />
produzieren, den Firmen Tantieme für Produkte zahlen müssen, die sie<br />
nie gekauft haben und von denen sie keinen Nutzen haben.<br />
Verfolgt man die Patentierungen an pflanzlichen, tierischen und<br />
menschlichen Genomen so wird klar: Das Leben erfolgt im Griff der<br />
Wirtschaft. Patentierung bedeutet Privatisierung von Leben und Sicherung<br />
exklusiver Nutzungsrechte an Pflanzen, Tieren und deren Erbgut zur<br />
nachhaltigen Abschöpfung von Profiten und zur Steigerung von<br />
Börsenkursen. Patente blockieren die freie Nutzung der geschützten Gene<br />
und behindern so die weitere Forschung und Entwicklung durch andere<br />
Wissenschaftler <strong>als</strong> durch die Patentinhaber. Verbal gut <strong>als</strong><br />
„Technologieabgaben“ oder „Lizenzgebühren“ verpackt, treiben Patente die<br />
Kosten in die Höhe, bei gewollter Anwendung oder ungewollter Kontamination.<br />
Man muss sich im Klaren sein, dass Patente wie das Ei im Kuchen<br />
daherkommen. Es wird keine gentechnisch veränderten Kultursorten geben,<br />
für die nicht auch mit einem entsprechenden Aufpreis zu zahlen ist.<br />
Besonders betroffen sind auch Entwicklungsländer. Die Bauern in der dritten<br />
66 Dokumentiert in dem Video „Tote Ernte. Der Kampf ums Saatgut“, www.gen-ethisches-netzwerk.de<br />
67 www.percyschmeiser.com
53<br />
Welt können sich gekauftes Saatgut in der Regel nicht leisten - und<br />
produzieren seit jeher eigenes Saatgut.<br />
Eine Folge der Patentierungsmöglichkeit biologischer Ressourcen ist die<br />
Biopiraterie. Dies trifft vor allem Länder, an deren natürlichen Biodiversität<br />
durch exklusive Vermarktungsrechte die Patentinhaber verdienen. Manchmal<br />
fallen sogar jahrtausendlange Traditionen der Nutzung alter Kultur- oder<br />
Wildpflanzen unter das Patentrecht. Bestenfalls dürfen die Einheimischen<br />
selber ihre eigenen traditionellen Produkte noch nutzen, aber nicht mehr<br />
handeln oder auf den Weltmarkt bringen. Ein Beispiel: Das Patent EP 445929<br />
vom Mai 2003 beschreibt die konventionelle Züchtung einer bestimmten<br />
Weizensorte, die für die Herstellung von Keksen geeignet ist. Bei der<br />
Züchtung wurde von einer ursprünglichen indischen Weizensorte<br />
ausgegangen. Ein typischer Fall von Biopiraterie!
54<br />
7. Warum sind gentechnikfreie Zonen so wichtig und<br />
wie organisiert man sie?<br />
Die beste Möglichkeit, gentechnikfrei auch in Zukunft zu bleiben, ist<br />
gentechnikfrei zu wirtschaften – vom Saatgut bis zum Futtermittel. Der<br />
gangbarste Weg wäre, wenn sich jeder Bauer in der Nachbarschaft<br />
Gentechnikfreiheit zusichert. Bisher haben sich in Deutschland innerhalb<br />
eines Jahres rund 11.600 Landwirte in 50 gentechnikfreie Regionen<br />
organisiert und vereinbart, keine gentechnisch veränderten Pflanzen<br />
anzubauen. Das entspricht einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 430.000<br />
Hektar. Wald- und Schutzgebietsflächen hinzugerechnet sind es fast eine<br />
Million Hektar oder rund zwei Millionen Fußballfelder.<br />
Der Wille zu gentechfreien Gebieten überspannt inzwischen den Erdball: Z.B.<br />
erklärt sich die philippinische Provinz Bohol gentechnikfrei. Auch in Polen<br />
wird das erste gentechfreie Gebiet deklariert. 68 Das thailändische Kabinett<br />
verbietet den Anbau von GVOs für 3 Jahre.<br />
10 Gründe für die Einrichtung gentechnikfreier Zonen:<br />
1. Verbraucher und Bauern sind Partner. Ein Bauer ernährt 140<br />
Konsumenten. 112 davon wollen kein Genfood. Bauern müssen<br />
marktorientiert wirtschaften und gentechnikfreie Produkte erzeugen.<br />
Verunreinigungen der Marktfrüchte muss der Bauer daher verhindern.<br />
2. Der Verbraucher will seine Wahlfreiheit behalten und nicht zwischen<br />
mehr oder weniger verunreinigten Nahrungsmitteln wählen. Deshalb<br />
muss biologische und konventionelle Landwirtschaft weiterhin möglich<br />
bleiben.<br />
3. Gentechnikfreie Landwirtschaft verhindert Mehrkosten für Bauern, für<br />
den Verbraucher und für den Steuerzahler. Maßnahmen, um<br />
Verunreinigungen zu verhindern, wären überflüssig. Die EU-Kommission<br />
hat errechnet, dass die Sicherung einer gentechnischen Produktion im<br />
landwirtschaftlichen Betrieb die Kosten um 5 bis 10 % erhöht. Auch die<br />
Trennung der Produktströme in der Lagerhaltung und<br />
Lebensmittelindustrie sowie in der Saatgutaufbereitung ist nur durch<br />
erhöhten Aufwand möglich.<br />
4. Die Bioproduktion wird in gentechnikfreien Zonen am besten geschützt.<br />
Kontaminierte Öko-Produkte können nicht mehr <strong>als</strong> „Bio" verkauft<br />
68 www.blauen-institut.ch, Gentechnews 99/2004
55<br />
werden und die Ökozertifizierung der Landwirtschaftsbetriebe könnte im<br />
Umfeld von Gen-Anbau schnell verloren gehen.<br />
5. Bestimmte Länder wollen keine Genprodukte kaufen. Diejenigen Länder<br />
sind im Vorteil, die gentechnikfreie Produkte anbieten können. Die USA-<br />
Importe in die EU und nach Japan sind zusammengebrochen, weil nur<br />
noch kontaminierter Mais und Soja angeboten werden können.<br />
6. Die Unabhängigkeit der Bauern wird gesichert. Es fallen keine<br />
Patentgebühren an. Der Koppelverkauf von Saatgut und Pestiziden fällt<br />
weg.<br />
7. Ohne GVO-Anbau wird der Bodenwert erhalten. In den USA ist der<br />
Bodenwert bei GVO-Anbau gesunken, weil schwer bekämpfbare<br />
„Superunkräuter“ und „Superinsekten“ vorhanden sind und die<br />
Rückumstellung auf konventionellen Anbau Jahre dauert. Raps kann 10<br />
Jahre im Boden lagern und nach dem Mähdrusch können 200 bis 300 kg<br />
pro Hektar Rapssamen <strong>als</strong> Ausfall im Boden zurückbleiben.<br />
8. Gentechnikfreie Zonen sind für Bauern und Verbraucher transparent.<br />
Jetzt sind GVO-Register für NGO's (Nicht-Regierungsorganisationen)<br />
und Konsumenten nicht zugänglich.<br />
9. Konflikte zwischen Biobauern, konventionellem Bauer und Genbauern<br />
können vermieden werden. Gerichtliche Auseinandersetzungen<br />
verschlechtern das Nachbarschaftsverhältnis. In den Dörfern entsteht<br />
Zwietracht.<br />
10. Das Risiko der Kontaminierung mit wirtschaftlichen Verlusten wird von<br />
keiner Versicherung getragen.<br />
Wie organisiert man eine gentechnikfreie Zone?<br />
Die Initiative kann von verschiedenen Seiten ausgehen:<br />
- Überregionale Aktionsbündnisse (z.B. der Landkreise Uckermark und<br />
Barnim www.ioew.de, Barnimer Aktionsbündnis gegen Gentechnik<br />
www.dosto.de/gengruppe).<br />
- Einzelpersonen, die einen Antrag an die Kommunale Vertretung richten.<br />
- Fraktionen der Parteien, die einen Antrag stellen.<br />
- Bauern, die sich freiwillig zusammenschließen.
56<br />
Nun kann eine solche Zone nicht „von oben" festgesetzt werden, sondern es<br />
müssen auf freiwilliger Basis Erklärungen und Verpflichtungen abgegeben<br />
werden:<br />
- Gemeinden können einen Beschluss fassen und die Landwirte zur<br />
Gründung einer gentechnikfreien Zone auffordern.<br />
- Gemeinden und Kirchengemeinden/Diözesen können beschließen, dass<br />
auf kommunalen/kircheneigenen Ackerflächen kein Genanbau erfolgen<br />
darf.<br />
- Bauern können eine Selbstverpflichtungserklärung abgeben.<br />
- Kreistage können beschließen, dass auf kreiseigenen Flächen kein<br />
Genanbau zulässig ist.
57<br />
8. Welche gesetzlichen Regelungen gibt es?<br />
EU-Vorschriften für GVO gibt es seit Beginn der neunziger Jahre. Allerdings<br />
hinken sie der wissenschaftlich-technischen Entwicklung hinterher. Der<br />
Rechtsrahmen wurde immer wieder erweitert und präzisiert. Es gibt<br />
mittlerweile 35 Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen auf EU-Ebene,<br />
die auch national gültig sind. Nicht alle müssen nochm<strong>als</strong> in nationales Recht<br />
umgesetzt werden. Auf nationaler Ebene in Deutschland gibt es weitere 20<br />
Gesetze, Verordnungen bzw. spezifizierte nationale Umsetzungen von EU-<br />
Verordnungen.<br />
Das neue deutsche Gentechnik-Gesetz wurde unter den Fragen der<br />
Koexistenz und Haftung (Pkt. 6.) bereits ausführlich behandelt.<br />
Die EU-Biopatent-Richtlinie 98/44/EG steht seit Jahren in der Debatte. Sie<br />
muss in nationales Recht umgesetzt werden. Beim Schutz von Pflanzen und<br />
Tieren vor Patentierung hat Rot-Grün kaum Fortschritte erreicht. So werden<br />
auch mit den neuesten Vorschlägen zur Umsetzung der EU-Patent-Richtlinie<br />
keine Regelungen vorgesehen, die den Patentschutz bei Saatgut wirksam<br />
begrenzen.<br />
Die Richtlinie sichert den Patentinhabern umfangreiche Rechte zur<br />
Patentierung von Leben und Lebewesen zu, so auf Pflanzenpatente, Patente<br />
auf Tiere und Teile des Menschen, auf Gensequenzen und Gene (siehe<br />
Pkt. 6.).<br />
Das wichtigste Instrument für die Genehmigung experimenteller<br />
Freisetzungen sowie der Vermarktung von GVO in der EU ist eine neue<br />
aktualisierte Richtlinie (2001/18/EG – „Freisetzungs-Richtlinie“). Danach<br />
wird ein abgestuftes Zulassungsverfahren eingeführt. Umwelt- und<br />
Gesundheitsaspekte werden geregelt. Die Freisetzungsrichtlinie verschärft<br />
zunächst scheinbar die alten geltenden Vorschriften. Es gibt aber auch<br />
wesentliche Erleichterungen. Die Richtlinie führt auf EU-Ebene insbesondere<br />
Folgendes ein:<br />
- Grundsätze für eine Umweltverträglichkeitsprüfung; (können von den<br />
Antragstellern der Gentechfirmen selbst durchgeführt werden)<br />
- die Pflicht zur Überwachung von Langzeiteffekten in der Praxis; (D.h., sich<br />
aufsummierende und langfristige Auswirkungen werden erst untersucht,<br />
wenn sich die Gefahr bereits in der Landwirtschaft oder über den Magen<br />
etabliert hat. Mensch und Umwelt werden zum Versuchskaninchen.)
58<br />
- die Pflicht zur Information der Öffentlichkeit; (Das ist nicht näher definiert.<br />
Die Öffentlichkeit können Ministerien oder Behörden sein, es können ganz<br />
allgemeine Informationen sein. Die Praxis jedenfalls beweist, dass von<br />
GVO-Anbau zu Versuchszwecken mit Flurstück und Name des Anwenders<br />
noch nicht einmal die betreffende Gemeinde erfährt, geschweige denn die<br />
Bevölkerung.)<br />
- Vorschriften über die Kennzeichnungspflicht und die Rückverfolgbarkeit in<br />
allen Stadien der Vermarktung;<br />
- Befristung der Erstzulassungen für die Freisetzung von GVO auf höchstens<br />
zehn Jahre; (Vorher waren es 8 Jahre.)<br />
- die Pflicht zur Anhörung der Wissenschaftlichen Ausschüsse; (Diese<br />
bestehen auf EU-Ebene vor allem aus Lobbyisten der entsprechenden<br />
Branchen.)<br />
- die Pflicht zur Anhörung des Europäische Parlaments zu Entscheidungen<br />
über die Genehmigung von GVO; (Das ist eine reine<br />
Beruhigungsveranstaltung. Das EU-Parlament darf zwar angehört werden,<br />
aber nicht entscheiden. Das ist eine eklatante Verletzung des<br />
demokratischen Willensprozesses der gewählten EU-Parlamentarier.) u.a.<br />
Der bisherige Gesetzesrahmen ist ergänzt durch zwei neue Verordnungen,<br />
die im April 2004 in Kraft traten:<br />
• Verordnung über genetisch veränderte Futter- und Lebensmittel<br />
(1829/2003) und<br />
• Verordnung über Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von GVO’s<br />
(1830/2003).<br />
Die geplante Saatgut-Richtlinie der EU ist nach wie vor aufgrund von<br />
Streitigkeiten über die Höhe der zuzulassenden Verunreinigungen in<br />
widersprüchlicher Diskussion. Die Schwellenwerte sollen in Abhängigkeit von<br />
der Kultursorte zwischen 0,3 % und 0,7 % ohne Kennzeichnung erlaubt sein.<br />
Erreicht werden müsste eine Schwelle für die Saatgutkennzeichnung in Höhe<br />
von 0,1 %. Dies ist technisch durchaus machbar. Wenn das Reinheitsgebot<br />
von Saatgut erst einmal aufgegeben ist, dann setzt sich die Verunreinigung<br />
durch GVO unweigerlich im Erntegut und den nachgezüchteten Generationen<br />
und damit im Lebens- und Futtermittel fort.
59<br />
Ferner müssen GVO-Saatgutsorten, genverändertes forstwirtschaftliches<br />
Vermehrungsgut und Vermehrungsmaterial im Weinbau im Rahmen der<br />
Freisetzungs-Richtlinie zugelassen werden, bevor sie in der EU in den<br />
Gemeinsamen Sortenkatalog aufgenommen werden.<br />
Bei der Kommission liegen derzeit 22 Notifizierungen für Gen-Saatgut der<br />
neuen Richtlinie vor. Sieben betreffen Erzeugnisse, die zur Zeit der<br />
Aufhebung der Richtlinie 90/220/EWG noch anhängig waren.
60<br />
9. Welche Standpunkte vertreten die etablierten<br />
Parteien?<br />
Der CDU/CSU/FDP-dominierte Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum<br />
Gentechnik-Gesetz der Bundesregierung vom April 2004 deutlich gemacht,<br />
dass er auf der Seite der Gentech-Industrie und derjenigen Bauern steht, die<br />
transgenes Saatgut ausbringen wollen. Er lehnt jede gesetzliche Regelung<br />
der „Guten fachlichen Praxis des GVO-Anbaus" ab. Der Vorschlag der Union<br />
geht dahin, das Haftungsrisiko auf das Staatssäckel und damit auf die<br />
Allgemeinheit abzuwälzen (Einrichtung eines Haftungsfonds). Die drei<br />
Parteien sind die politischen Protagonisten der grünen Gentechnik und fungieren<br />
<strong>als</strong> verlängerter Arm der Gen-Konzerne in jeglichen politischen<br />
Auseinandersetzungen – z.B. zur Durchsetzung des Erprobungsanbaus und<br />
zur Patentierung. Sie sehen in der Gentechnik eine enorme Chance zur<br />
Lösung einer Reihe von weltweiten und hausgemachten wirtschaftlichen,<br />
ökologischen und sozialen Problemen. 69<br />
Seit Eintritt der SPD in die Regierung wird ein Schlingerkurs vertreten, der<br />
zunächst den großflächigen Erprobungsanbau für Gentechnik einführen<br />
sollte. Dies ist jedoch mit der BSE-Krise jäh unterbrochen worden, da dem<br />
Verbraucher nicht mehr zu vermitteln war, dass nun der Bt-Mais anstelle von<br />
Tiermehl an die „kranken Rinder“ verfüttert werden soll. Inzwischen wurden<br />
mehrere Novellen des EU-Gentechnik-Rechts umgesetzt. Erprobungsanbau<br />
ist auch wieder möglich. Unter der SPD konnte (neben militärischen<br />
Bereichen) die Förderung der Gentechnologieforschung trotz massiver<br />
Einsparungen in den übrigen Haushalten kontinuierlich ausgebaut werden.<br />
Für die Grünen stellt die Gentechnik eine Risikotechnologie dar, weshalb sie<br />
versucht „eine bedachte und behutsame Anwendung und Entwicklung<br />
gentechnischer Verfahren zu gewährleisten“. 70 Die Anwendung in der<br />
Lebensmittelproduktion wird zwar abgelehnt und die Patentierung kritisch<br />
gesehen. Viele politische Zielstellungen werden jedoch so hingebogen, dass<br />
sie mit den Interessen des großen Koalitionspartners in der Bundesregierung<br />
passfähig werden. Das von Verbraucherministerin Künast auf den Weg<br />
gebrachte Gentechnikgesetz steht unter Kritik der Liberalen und rechten<br />
Opposition, eröffnet nun aber die Anwendungsmöglichkeit der grünen<br />
Gentechnik in der Landwirtschaft. Zwischen Politik der Grünen in Bundestag<br />
und Basiswillen klaffen erhebliche Differenzen.<br />
69 Groth, Tina (2001) Übersicht über die Positionen von Greenpeace und der im Bundestag vertretenden Parteien zum<br />
Thema grüne Gentechnik. Wiss. Hausarbeit zur Staatsprüfung für das Amt des Lehrers. Berlin, TU-Berlin<br />
70 Bündnis90/Die Grünen, Grundsatzprogramm, S. 20
61<br />
Die PDS betrachtet die Anwendung der grünen Gentechnik in der<br />
Landwirtschaft und in der Forstwirtschaft bis auf wenige Ausnahmen sehr<br />
kritisch und <strong>als</strong> weder notwendig noch wünschenswert. Darauf verständigte<br />
sich im November 2004 die Bundesarbeitsgemeinschaft Umwelt, Energie und<br />
Verkehr unter ihrem Vorsitzenden Prof. Methling. Die PDS leitet ihre<br />
politischen Positionen zur Anwendung der grünen Gentechnik vor allem von<br />
der Verantwortung für den Schutz des Verbrauchers, aber auch der<br />
anwendenden und nicht anwendenden Landwirte, für die Wahlfreiheit von<br />
Verbrauchern und Landwirten sowie für den Schutz der biologischen Vielfalt<br />
ab. Gefordert werden u.a. die Kennzeichnungspflicht für Futtermittel und<br />
Lebensmittel, die Einhaltung von möglichst niedrigen Grenzwerten für<br />
Beimischungen bzw. Verunreinigungen, die Ausweitung einer systematischen<br />
biotechnischen Sicherheits- und Begleitforschung sowie die Einrichtung eines<br />
Haftungsfonds, der von der Saatgut und Futtermittel herstellenden Industrie<br />
und nicht aus Steuermitteln gespeist wird.
62<br />
10. Was spricht gegen den Einsatz der grünen<br />
Gentechnik? Politischer Standpunkt der Ökologischen<br />
Plattform bei der PDS zur Gentechnik<br />
Der Standpunkt der Ökologischen Plattform ist <strong>als</strong> Reaktion auf den<br />
gegenwärtig dominierenden neoliberalen Imperialismus zu sehen. Tatsache<br />
ist, dass die von den großen Gentechnik-Konzernen geschaffene Einführung<br />
von GVO in die breite Praxis der Landwirtschaft in den USA, Kanada und<br />
lateinamerikanischen Ländern wie Argentinien und Brasilien und die von den<br />
Regierungen der USA, der EU und Deutschlands geschaffenen rechtlichen<br />
Regelungen zur Verbreitung gentechnischer Produkte und Anbaumethoden<br />
beim gegenwärtigen Kräfteverhältnis nicht rückgängig gemacht werden<br />
können. Wir wollen uns zwar mit den Tatsachen nicht abfinden, aber die<br />
derzeitigen Chancen, eine Wende auf dem Gebiet der Gentechnologie<br />
herbeizuführen, sind gering. Entwicklung ist nur nachhaltig, wenn sie<br />
gegenwärtig und zukünftig umwelt- und sozialverträglich ist. Ökologische und<br />
sozial gerechte Gesichtspunkte müssen deshalb dauerhaft in alle Gebiete<br />
und Bereiche integriert werden.<br />
Unser Standpunkt ist daher politisch realistisch, kapitalismuskritisch,<br />
demokratisch und vertritt die Interessen von Konsumenten und Bauern.<br />
1. Wir lehnen die Gentechnik zur Schaffung neuer Pflanzen- und Tierarten<br />
und zur Nutzung in der landwirtschaftlichen Praxis ab. Wegen der<br />
Komplexität ökologischer Prozesse und der Nichtrückholbarkeit von<br />
GVO ist das Risiko der irreversiblen Freisetzung bei großflächiger<br />
Kontamination in die Natur besonders hoch. Bilden sich Resistenzen bei<br />
Kräutern, Unkräutern und Schadinsekten ist die gesamte<br />
landwirtschaftliche Produktion und damit die Lebensmittelherstellung –<br />
die Grundlage unseres Lebens - auf lange Sicht bedroht.<br />
2. Zum Schutz der weltweiten Artenvielfalt auf der Grundlage des<br />
Biosafety-Protokolls lehnen wir die Verbreitung von GVO ab, um auch<br />
späteren Generationen die Nutzung der natürlichen genetischen Vielfalt<br />
zu erhalten. Kritisch zu hinterfragen und zu beleuchten ist, ob die<br />
gewählten Maßnahmen zur Erhaltung der Kultursorten und Artenvielfalt<br />
ausreichend sind. Regionale Sorten müssen erhalten werden. Die<br />
weltweite Verbreitung von GVO-Monokultursorten muss vermieden<br />
werden. Bauern müssen freien Zugang und Wahlfreiheit beim Bezug von<br />
Saatgut behalten, sie dürfen nicht in Abhängigkeit der Saatgut-Konzerne<br />
geraten.
63<br />
3. Wir lehnen die Patentierung von Genen und Lebewesen ab. Niemand<br />
kann Leben erfinden und <strong>als</strong> Eigentum beanspruchen. Gene,<br />
Gensequenzen, Zellen, Organe, Pflanzen, Tiere und Teile des<br />
menschlichen Körpers dürfen nicht patentiert werden. Wir fordern, die<br />
Patentregelungen international, in der EU und in Deutschland<br />
dahingehend zu korrigieren. Die EU muss eine neue europäische<br />
Patentgesetzgebung auf den Weg bringen, die Patente auf Lebewesen<br />
und Gene verbietet.<br />
4. Bisher entwickelte GVO bringen keinen Kundenvorteil. Die Ernährung ist<br />
ein grundlegendes Menschenrecht, weshalb wir fordern, dass in allen<br />
Sortimenten des Handels Waren ohne GVO angeboten werden müssen.<br />
Der Kunde soll sein Recht auf Wahlfreiheit wahrnehmen können. Um<br />
dieses Recht zu gewährleisten, treten wir für eine vollständige, auffällige<br />
und gut sichtbare Kennzeichnung von gentechnisch veränderten<br />
Produkten, Inhaltsstoffen und Produktionsprozessen mit GVO-<br />
Beteiligung ein. Diese Deklarationspflicht muss auch für Nahrungsmittel<br />
gelten, die tierischen Ursprungs sind, wenn zur Fütterung<br />
genmanipuliertes Futter eingesetzt wurde.<br />
5. Alle Staaten, insbesondere die Entwicklungsländer, sollen ihre<br />
Ernährungsprobleme selbst lösen können und es darf ihnen kein GVO-<br />
Saatgut, GVO-Nahrungsmittel oder GVO-Futtermittel aufgezwungen<br />
werden. Das Welthungerproblem und der Nord-Süd-Konflikt werden<br />
durch die Gentechnik weiter verschärft. Die wirtschaftliche und politische<br />
Unabhängigkeit aller Völker in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln<br />
ohne GVO muss gewährleistet werden.<br />
6. Das Vorsorgeprinzip muss durch staatliche Mittelfreigabe für die<br />
unabhängige wissenschaftliche Risiko- und Technikfolgenabschätzung<br />
gewährleistet werden. In jedem Fall der Entwicklung von GVO sind<br />
vorher die Auswirkungen auf die Gesamtnatur (Flora, Fauna, Mensch) in<br />
ihrer Komplexität einzuschätzen. Im Falle von unkalkulierbaren Risiken<br />
und Auswirkungen sind GVO gemäß dem Vorsorgeprinzip abzulehnen.<br />
Die Gentechkonzerne müssen zur Beteiligung an der Risikoforschung<br />
ihrer eigenen Produkte verpflichtet werden.<br />
7. Wir fordern eine demokratische Kontrolle bei Entwicklung, Einführung<br />
und Regelung von GVO. Werden GVO freigesetzt und in Verkehr<br />
gebracht, dann sind öffentliche Kontrollmechanismen sowie weisungs-<br />
und kontrollberechtigte Behörden mit demokratischer Legitimierung<br />
notwendig. So bedarf jeder Schritt in der Nutzbarmachung der<br />
Gentechnologie strikter, gesetzlich gesicherter Kontrolle, öffentlicher
64<br />
Aufklärung und Kennzeichnung sowie eines angemessenen<br />
Schutzniveaus für die potenziell Betroffenen und nicht zuletzt hoher<br />
außerparlamentarischer Aufmerksamkeit.<br />
8. Es müssen gesetzliche Regelungen geschaffen werden, die eine<br />
Auskreuzung von GVO auf Pflanzen der gleichen Art oder verwandte<br />
Wildpflanzen unterbindet. Antibiotikaresistente, insekten- und<br />
herbizidresistente GVO werden für die Humanernährung abgelehnt und<br />
weil sie die Biodiversität verringern, regionale Zuchtsorten verdrängen,<br />
und nachweislich Bodenflora und –fauna beeinflussen. Die Erhaltung der<br />
Bodenfruchtbarkeit ist aber das A und O <strong>als</strong> Ernährungsbasis für eine<br />
nachhaltige und künftige Landwirtschaft.<br />
9. Gentechnik bürdet der Gesellschaft immense Kosten auf: die<br />
Entwicklung, Forschung, Kontrolle, Haftung, politische Behandlung,<br />
Trennung zwischen GVO und konventionellen Produkten in der<br />
Lagerung und Verarbeitung usw. wird zu einem erheblichen Teil aus<br />
Steuermitteln des Staates finanziert oder in den Produktpreis <strong>als</strong><br />
Kostenfaktor auf den Verbraucher umgelegt. Wer GVO entwickelt, muss<br />
auch im vollen Umfang für die Folgen bei Schädigungen und<br />
gesellschaftlichen Kosten aufkommen. Zur Haftung insbesondere für<br />
ökologische und wirtschaftliche Schäden sind nicht nur die unmittelbaren<br />
Verursacher (die GVO-Anbauer), sondern vor allem die Entwickler und<br />
Hersteller <strong>als</strong> Schuldner für die Sicherheit des Produktes hinzuzuziehen.<br />
10. Wir treten für die Schaffung gentechnikfreier Zonen auf gesetzlicher<br />
Grundlage ein. Die nachhaltigste Form der landwirtschaftlichen<br />
Produktion, die Biolandwirtschaft, halten wir für besonders unterstützungswürdig.<br />
So bleibt nur noch die Frage: Wird und soll es künftig noch möglich sein,<br />
Landwirtschaft ohne Gentechnik zu betreiben und gentechnisch veränderte<br />
Produkte zu vermeiden? Darauf gibt es nur eine Antwort: Die beste Lösung<br />
wäre ein Verbot der kommerziellen Nutzung der Gentechnik in der<br />
Landwirtschaft.
65<br />
11. Wo kann ich mich weiter informieren?<br />
Derzeitige GVO-Zulassungen nach EU-Recht, Stand der Dinge, sowie<br />
Fragen und Antworten zur GVO-Regelung (MEMO/04/16 und MEMO/04/17)<br />
unter<br />
http://europa.eu.int/rapid/start... durchklicken.<br />
Alle Gesetze, Verordnungen, Richtlinien auf EU- und auf nationaler Ebene<br />
sind unter dem Stichwort „Gentechnik“ auf der Internetseite der Biologischen<br />
Bundesanstalt einzusehen: www.bba.de<br />
Regelungen und Erklärungen des Bundesverbraucherschutzministeriums<br />
sind erhältlich unter:<br />
www3.verbraucherministerium.de/index... und www.transgen.de<br />
Auf den Internetseiten des Öko-Instituts Freiburg wurde eine "Bewertung der<br />
Änderung im Gentechnik-Gesetz unter besonderer Berücksichtigung der<br />
Koexistenz in der Landwirtschaft" veröffentlicht.<br />
www.oeko.de/presse.htm?mitte_presse1157020204.htm<br />
Rechtliche Fragen für Bauern: www.nachbarrechtfuerbauern.de/<br />
Bewertungen zu rechtlichen Regelungen und sonstigen Fragestellungen zur<br />
Gentechnik von Umwelt- und Ökoverbänden sind unter www.keinegentechnik.de<br />
und auf den Internetseiten der Zukunftsstiftung Landwirtschaft<br />
dokumentiert:<br />
www.zs-l.de/saveourseeds/news/nachrichten..<br />
Materialien und wissenschaftliche Studien sind beim Öko-Institut Freiburg<br />
und Blauen Institut Schweiz dokumentiert: www.blauen-institut.ch und<br />
www.oeko.de/gennews.htm<br />
Die Gentechnik-Nachrichten sind unter folgenden URL-Adressen im Internet<br />
zu finden:<br />
www.genet-info.org und www.gen-ethisches-netzwerk.de<br />
Informationen über Lebensmittel mit und ohne Gentechnik:<br />
www.greenpeace.de/einkaufsnetz<br />
Den aktuellen Stand der gekennzeichneten Gen-Produkte findet man unter<br />
www.greenpeace.de/gen-alarm
66<br />
Unter dem Motto "Gentechnikfreie Landwirtschaft und Ernährung sichern!"<br />
haben Umwelt-, Wirtschafts-, Verbraucher- und Bauernverbände einen neuen<br />
Informationsdienst ins Leben gerufen: www.informationsdienst-gentechnik.de<br />
Eine ausgezeichnete Übersicht über gentechfreie Gebiete in Europa und<br />
weltweit liefern die folgenden websites: www.genet-info.org (weltweit),<br />
www.foeeurope.org (Europa), www.faire-nachbarschaft.de, www.<br />
abl-ev.de/gentechnik (Deutschland).<br />
Keine Gentechnik auf kommunalen Flächen/Keine Gentechnik auf<br />
Kirchenland:<br />
http://vorort.bund.net/fairenachbarschaft/initiativen/initiativen_13/initiativen_46<br />
.htm<br />
Weltweit haben sich Wissenschaftlerkreise organisiert, die sich gegen<br />
transgene Pflanzen, deren Freisetzung und Patentierung ausgesprochen<br />
haben:<br />
Union of Concerned Scientists: www.ucsusa.org<br />
Alliance for Biointegrity: www.biointegrity.org<br />
Open Letter from World Scientists: www.i-sis.org<br />
Zu empfehlende Literatur:<br />
Christian Hiß (Hg., 2002) Der GENaue Blick. Grüne Gentechnik auf dem<br />
Prüfstand. Com Verlag<br />
Jeffrey M. Smith (2004) Tojanische Saaten. Genmanipulierte Saaten –<br />
genmanipulierter Mensch. Riemann<br />
Jeremy Rifkin (1998) Das biotechnische Zeitalter. Die Geschäfte mit der<br />
Genetik. Bertelsmann<br />
Joscha Wullweber (2004) Das grüne Gold der Gene. Westfälisches<br />
Dampfboot<br />
Judith Miller, Stephen Engelberg u.a. (2001) Virus – Die lautlose Bedrohung.<br />
Droemer München<br />
Köck/Mohr/W<strong>als</strong>h (Hg., 2003) Gentechnik und Gesellschaft. BoD GmbH,<br />
Norderstedt<br />
Per Pinstrup-Andersen, Ebbe Schioler (2001) Der Preis der Sattheit. Springer<br />
Wien, New York
Richard Fuchs (1997) Gen-Food. Ernährung der Zukunft? Ullstein Berlin<br />
67<br />
Ulrich Dolata (1996) Politische Ökonomie der Gentechnik. Ed. Sigma Berlin<br />
Vandana Shiva (2001) Biopiraterie. Haupt Verlag<br />
Video: Tote Ernte. Der Kampf ums Saatgut. Ausleihe unter www.genethisches-netzwerk.de<br />
Werner Bartens (1999) Die Tyrannei der Gene. Blessing München