Ein kleiner Sprung für die Raumfahrt - KOPS - Universität Konstanz
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tur, in der es unzählige Hexen, Teufel und Dämonen nicht<br />
zuletzt als Erziehungs- und Schreckfiguren gab – eine Kultur,<br />
in der kindliche Fantasien eine Rolle spielten und in<br />
der es nicht schwierig war, dämonische Narrative zu gebären,<br />
wenn man nur der Meinung war, man solle sie erzählen.<br />
Situationsverkennungen spielen eine wichtige<br />
Rolle. Fakt ist, dass <strong>die</strong> Richter<br />
lange nicht durchschaut haben,<br />
womit sie es zu tun haben,<br />
und zufrieden waren, gewisse<br />
Fiktionen als Geständnisse interpretieren<br />
zu können.«<br />
Also ein reiner Scheinprozess,<br />
in dem Kinderfantasien<br />
verurteilt wurden? »Das wäre<br />
zu undifferenziert«, warnt der Historiker davor, <strong>die</strong> Hexerei<br />
als luftleeres Gespinst abzutun, denn <strong>für</strong> <strong>die</strong> Menschen<br />
jener Zeit wirkte Hexerei gleichzeitig als höchst reale Bedrohung.<br />
»Wir verstehen Hexenglauben oft zu sehr als Hokuspokus<br />
und vernachlässigen <strong>die</strong> religiöse, spirituelle<br />
Komponente. Da geht es um eine kollektive Bedrohung,<br />
um <strong>die</strong> Bedrohung der christlichen Gesellschaft, in einer<br />
Zeit der Umbrüche und Verunsicherung. Prozess und Urteil<br />
sind das Ergebnis einer Gelehrtendämonologie, einer Theologie,<br />
<strong>die</strong> Teufelsbilder generiert,<br />
<strong>die</strong> dann vergleichsweise flexibel<br />
auf bestimmte Konstellationen und<br />
Situationen angewendet werden<br />
konnten«, erläutert Beck.<br />
Mäuse zaubern, ein Kinderspiel!<br />
Wie ein Kind wurde der »Trudenfanger«<br />
jedoch nicht behandelt,<br />
zumindest nicht vor Gericht. »Es<br />
gab damals keinen ›Kinderprozess‹«,<br />
verdeutlicht Rainer Beck,<br />
»Kinder wurden vor Gericht behandelt<br />
wie Erwachsene.« Anders<br />
als in der Moderne wurde ein Kind<br />
damals nicht als unschuldig und<br />
schützenswert betrachtet. Hexerei<br />
galt zudem als Sonderverbrechen.<br />
<strong>Ein</strong>e Unschuldsvermutung, wie sie<br />
<strong>für</strong> unser heutiges Recht essentiell<br />
ist, gab es in einem Hexenprozess<br />
nicht. »Unschuld musste bewiesen<br />
»Wir verstehen Hexenglauben<br />
oft zu sehr als Hokuspokus und<br />
vernachlässigen <strong>die</strong> religiöse,<br />
spirituelle Komponente.«<br />
Dr. Rainer Beck »Mäuselmacher oder<br />
<strong>die</strong> Imagination des Bösen«, Verlag<br />
C. H. Beck, 1008 Seiten, 49,95 €.<br />
Forschung<br />
werden, anstatt dass man sich auf Unschuld beziehen<br />
konnte«, zeigt der Historiker auf. Dass der »Trudenfanger«<br />
ein Bettelknabe war, kam erschwerend hinzu: »In <strong>die</strong>ser<br />
Form von Ständegesellschaft gehörte es nicht zur politischen<br />
Korrektheit, Respekt vor Armen zu empfinden. Im<br />
Gegenteil, Arme wurden dämonisiert und standen gelegentlich<br />
unter Generalverdacht,<br />
Dr. Rainer Beck<br />
mit dem Teufel im Bunde zu<br />
sein«, erklärt Beck.<br />
Mäuse wurden herbeigezaubert,<br />
und Mäuse griffen um<br />
sich. Wo ein <strong>kleiner</strong> Mäuselmacher<br />
den Anfang machte, standen<br />
am Ende fast 70 Kinder<br />
und Erwachsene unter Anklage.<br />
»<strong>Ein</strong> großer Hexenprozess wirkte mitten in eine Gemeinde<br />
hinein und konnte ganze Städte bedrohen, weil am Ende<br />
niemand mehr sicher war, wenn keine Notbremse gezogen<br />
wurde«, erläutert Beck. Und <strong>die</strong> Notbremse wurde gezogen:<br />
Das Todesurteil wurde über den »Trudenfanger« und<br />
etliche seiner Kameraden ausgesprochen, auf dass sich <strong>die</strong><br />
saubere Gesellschaft von ihren Plagegeistern befreie. So<br />
ganz wohl schien sich <strong>die</strong> Gemeinde mit ihrem Schlussstrich<br />
aber nicht zu fühlen, zumindest wurde künftig vermieden,<br />
jemals wieder einen Hexenprozess<br />
zu führen.<br />
»Im Grunde genommen war der<br />
Prozess ein Desaster: Er war hochaufwändig,<br />
er war verbunden mit<br />
der Notwendigkeit, alles Mögliche<br />
zu vertuschen, was man unsauber<br />
gemacht hat, er hat nicht wahnsinnig<br />
viel gebracht – wobei man<br />
sich grundsätzlich fragen sollte,<br />
was Hexenprozesse eigentlich<br />
bringen sollen«, zieht Rainer Beck<br />
sein Fazit. Sein Buch endet mit<br />
der Beschreibung einer pompösen<br />
Tausendjahrfeier, wie <strong>die</strong> hohen<br />
Gäste des Umlandes zum Korbiniansfest<br />
in <strong>die</strong> Stadt Freising einzogen.<br />
Die Mäuse waren weg, end-<br />
lich konnte sich <strong>die</strong> durchlauchte<br />
Gesellschaft wieder selbst feiern.<br />
❱ gra.<br />
48|2012<br />
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