Andreas Hoffmann-Ocon, Katja Koch, Kirsten Ricker (Hg.) „Und sie ...
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„Schulaufsicht von oben und von unten“ im Königreich Hannover<br />
Rekonstruktionen<br />
Der Auslöser des Konflikts zwischen der neuen Behörde und der Stadt Stade war<br />
Anfang des Jahres 1831 das Bestreben des OSK, den Rektor des städtischen<br />
Gymnasiums (Vallet) in den Ruhestand zu versetzen. Als Begründung wurde angeführt,<br />
dass aus dem Lehrerkollegium derartige Forderungen gegenüber dem<br />
OSK artikuliert worden seien, da der Rektor durch sein hohes Alter seinen bedeutenden<br />
Aufgaben nicht mehr gewachsen sei. Ausdruck der nachlassenden Leitungskompetenz<br />
seien die Differenzen im Lehrerkollegium. Zunächst versuchten<br />
die Vertreter des OSK mit dem Verweis, dass die staatliche der städtischen Schulaufsicht<br />
in der Hierarchie der Unterrichtsverwaltung vorgesetzt sei, den Magistrat<br />
zur Pensionierung des Rektors zu zwingen. Bereits einen Monat später gab der<br />
Magistrat jedoch unmissverständlich zur Antwort, dass er an dem Rektor festhalten<br />
werde (vgl. NHStA, Hann. 130, Nr. 687). Nachdem die unterschiedlichen<br />
Positionen des Magistrats und des OSK zur Besetzung der Rektorenstelle in Stade<br />
deutlich geworden waren und eine Annäherung sich nicht abzeichnete, ging der<br />
Magistrat dazu über, nicht mehr direkt mit dem OSK zu kommunizieren. Berichte,<br />
Beschlüsse und Stellungnahmen wurden nun vom Magistrat direkt an das Ministerium<br />
gerichtet.<br />
Der nächste Steuerungsversuch der staatlichen Bildungsadministration zielte<br />
auf ein schulrechtliches Instrument, das mit hohem Drohpotential angereichert<br />
war: Gemäß des Königlichen Patentes vom 5. Juni 1830 (§2, 7) hatte das OSK für<br />
das Ministerium die Untersuchung vorzunehmen und die Entscheidung vorzubereiten,<br />
ob eine Schulanstalt als Progymnasium oder Gymnasium eingeordnet oder<br />
ob eine gelehrte Schule als solche aufgehoben und etwa in eine höhere Bürgerschule<br />
verwandelt werden sollte (vgl. Sammlung der Gesetze [...] für das Königreich<br />
Hannover 1830/ II. Abtheilung, 19). Der Magistrat bezweifelte im Spätsommer<br />
1831 in seinem Schreiben an das OSK, dass die staatliche Behörde befugt<br />
sei, die höhere Schule zum Progymnasium herabzustufen:<br />
„Selbst der Eingang der Instruction vom 30ten Novbr. 1829 läßt annehmen, wenn der<br />
Zustand einer Schule für den bestimmten Zweck sich hinreichend herstellet, könne von<br />
einer Veränderung der Qualität nicht die Rede seyn und das Patent vom 2 Junius 1830<br />
sagt, das Oberschul-Collegium habe zu bestimmen, ob eine Schulanstalt eine Gymnasium<br />
werden [sic] solle. Das schließt doch wohl den Fall aus, einem seit Jahrhunderte wohl bestandenen<br />
Gymnasio seine bisherige Qualität zu nehmen, weil für die Extension die Mittel<br />
nicht für hinreichend befunden werden, es müßte doch erst sich darlegen lassen, daß den<br />
sonstigen Anforderungen nicht Genüge zu leisten sey“ (NHStA Hann.130, Nr. 687).<br />
Die Interpretation des Magistrats, dass das OSK lediglich die Möglichkeit habe,<br />
Progymna<strong>sie</strong>n zu vollständigen Gymna<strong>sie</strong>n zu ernennen, war sicherlich auch ein<br />
Ausdruck davon, wie hoch die Stadtbehörde mögliche Folgeschäden und Bedeutungsverluste<br />
bei einer Herabstufung einschätzte. In dieser nördlichen Region<br />
(innerhalb des Königreichs wurde auch die Bezeichnung „Provinz“ verwendet)<br />
galt Stade als „Hauptstadt“ der Provinz. Ein vollständiges Gymnasium verlieh<br />
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