Andreas Hoffmann-Ocon, Katja Koch, Kirsten Ricker (Hg.) „Und sie ...
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Wilfried Hansmann<br />
gen unterhielt sein Vater schon vor dem ersten Weltkrieg Kontakt zu reformpädagogisch<br />
orientierten Kreisen. 20<br />
Der schulische Fremdsprachenunterricht sah sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts<br />
mit dem Vorwurf konfrontiert, nur trockenes Buchwissen und Grammatik<br />
zu betreiben, aber nicht die lebendige Sprache zu lehren. 21 Im Jahrbuch von<br />
1929 bezieht Birger Askevold in einem programmatischen Aufsatz zu den Problemstellungen<br />
seines Faches Stellung, der es erlaubt, seine inneren Frames und<br />
Skripte22 zu rekonstruieren. Offensichtlich beeinflusst durch die Kunsterziehungsbewegung<br />
der Jahrhundertwende, sah Askevold Parallelen zwischen dem<br />
„Unterrichtsbetrieb“ in den Fremdsprachen und im Zeichnen. Ebenso wie dort<br />
die „seelenlose Wiedergabe von Form und Farbe [und] die Kopie von Vorlagen<br />
auszureichen schien“ habe „im fremdsprachlichen Unterricht vor der Umwälzung<br />
die Übermittlung gewisser Mittel, die gedächtnis- bzw. verstandesmäßig anzueignenden<br />
‚Vokabeln’ und grammatischen Regeln eine beherrschende Stellung“ eingenommen<br />
(Askevold 1929, 41):<br />
„Für die Unterweisung im praktischen Gebrauch dieser Mittel schien, wie im<br />
Zeichenunterricht das Kopieren von Vorlagen, so hier das Übersetzen, die bloße<br />
Wiedergabe fremdsprachlicher Wörter und Sätze durch deutsche und umgekehrt,<br />
zu genügen.“ (Askevold 1929, 41)<br />
Demgegenüber favori<strong>sie</strong>rt Askevold einen kommunikativen Unterricht, der in<br />
Abgrenzung zu einem ausschließlich reproduktiven Lernen der Fremdsprache die<br />
Grammatikübersetzungsmethoden des Latein- und Griechischunterrichts vermeiden<br />
sollte. Das Sprachenlernen erfordere wie der Zeichenunterricht „die radikale<br />
Umstellung auf das innere Schauen und Erleben“. Durch das gesprochene Wort<br />
würden nicht nur „die Besonderheiten der fremdsprachlichen Lautbildung, der<br />
Klangfarbe und des Tonfalls“ vermittelt, sondern „als Sinneseindruck die Seele<br />
gefangen“ genommen, was „den Schüler die fremde Sprache mit Lust aufnehmen<br />
lässt und zur Nachahmung und damit zum Sprechen reizt“ (Askevold 1929, 41).<br />
Zugleich weist Askevold seinem Sprachunterricht auch eine kulturelle Orientierung<br />
zu, die er in Anknüpfung an die Richertschen Richtlinien von 1925 freilich<br />
nicht nur dem Fremdsprachenunterricht, sondern jedem Unterricht zuschreibt. 23<br />
20 Ingolf Askevold, Schüler des RG II ab 1928, war nach Ende des 2. Weltkrieges nach Kanada<br />
ausgewandert. Über ehemalige Mitschüler hatte er von unserem Forschungsprojekt Kenntnis erhalten<br />
und sich brieflich mit dem Verfasser in Verbindung gesetzt.<br />
21 In Kassel zählte der Gymnasiallehrer Quiehl vom Realgymnasium I zu den Verfechtern eines auf<br />
praktisches Sprachkönnen abzielenden Unterrichts, der von dem Marburger Lehrer und späteren<br />
Hallenser Professor Vietor propagiert wurde. Die Anfänge dieser Reformbewegung gehen bis in das<br />
letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zurück (vgl. Rülcker 1969, 13ff.).<br />
22 Unter Frames sind bestimmte kulturelle Sinnmuster oder mentale Modelle wie „Lehrerfortbildung“,<br />
„Meine Klasse“, „Unterricht“ o.ä. zu verstehen, während die den Frames eingelagerten Skripten,<br />
die für eine Situation typischen Handlungssequenzen beinhalten (vgl. Goffman 1974, Minsky<br />
1975, Schank/Abelson 1977), z.B. die einzelnen Handlungsschritte des Schreibens einer Klassenarbeit<br />
oder die vom Lehrer habituali<strong>sie</strong>rten Routinen der Wissensvermittlung.<br />
23 Die Richertschen Richtlinien von 1925 themati<strong>sie</strong>ren ebenfalls eine zweifache Bedeutung des<br />
Kulturkundebegriffs.