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Kollektives Arbeitsrecht - Alpmann Schmidt

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64<br />

1. Teil: Das Koalitions-, Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht<br />

abgeschlossen werden können. Zum anderen muss gewährleistet werden, dass nur<br />

in begründeten Fällen unter Beachtung der Arbeitskampfregeln gestreikt wird, was<br />

beim Fehlen der gewerkschaftlichen Organisation nicht der Fall ist. 303<br />

(6) Zahlreiche weitere Anforderungen an die Rechtmäßigkeit eines Streiks<br />

kann man unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit zusammenfassen.<br />

304<br />

,,Arbeitskämpfe müssen zwar nach unserem freiheitlichen Tarifvertragssystem möglich<br />

sein, um lnteressenkonflikte über Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen im äußersten<br />

Falle austragen und ausgleichen zu können. In unserer verflochtenen und<br />

wechselseitig abhängigen Gesellschaft berühren aber Streik wie Aussperrung nicht<br />

nur die am Arbeitskampf unmittelbar Beteiligten, sondern auch Nichtstreikende und<br />

sonstige Dritte sowie die Allgemeinheit vielfach nachhaltig. Arbeitskämpfe müssen<br />

deshalb unter dem obersten Gebot der Verhältnismäßigkeit stehen. Dabei sind die<br />

wirtschaftlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen und das Gemeinwohl darf nicht<br />

offensichtlich verletzt werden. ... Arbeitskämpfe dürfen nur insoweit eingeleitet und<br />

durchgeführt werden, als sie zur Erreichung rechtmäßiger Kampfziele und des nachfolgenden<br />

Arbeitsfriedens geeignet und sachlich erforderlich sind. Jede Arbeitskampfmaßnahme<br />

– sei es Streik, sei es Aussperrung – darf ferner nur nach Ausschöpfung<br />

aller Verständigungsmöglichkeiten ergriffen werden; der Arbeitskampf muss<br />

also das letzte mögliche Mittel (ultima ratio) sein. ... Die Mittel des Arbeitskampfes<br />

dürfen ihrer nach nicht über das hinausgehen, was zur Durchsetzung des erstrebten<br />

Zieles jeweils erforderlich ist. ... Der Arbeitskampf ist deshalb nur dann rechtmäßig,<br />

wenn und solange er nach Regeln eines fairen Kampfes geführt wird.“ 305<br />

Im Einzelnen ist hervorzuheben:<br />

(a) Verhältnismäßigkeit bezüglich des ,,Ob“ des Streiks<br />

Vor Streikbeginn müssen alle Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft<br />

sein, insbesondere ein vorgesehenes Schlichtungsverfahren<br />

durchgeführt werden. 306 Dies ist vorliegend geschehen.<br />

Das Ultima-ratio-Prinzip gilt auch für Warnstreiks im Zuge der Kampftaktik der<br />

,,Neuen Beweglichkeit“. 307 Allerdings müssen die Tarifverhandlungen nicht zuvor<br />

,,offiziell“ für gescheitert erklärt werden. 308 Die Tarifvertragsparteien können vielmehr<br />

das vorläufige Scheitern auch dadurch erklären, dass sie zu einem Warnstreik<br />

aufrufen, obwohl ein neuer Verhandlungstermin vereinbart worden ist. 309<br />

Es gibt keine staatliche Pflicht zur Durchführung einer Urabstimmung vor einem Arbeitskampf.<br />

Dementsprechend begründet nach h.M. das satzungswidrige Unterlassen<br />

einer Urabstimmung vor Streikbeginn nicht die Rechtswidrigkeit des Streiks,<br />

303 Vgl. BAG NZA 1996, 389 ff.; AP Nr. 106 zu Art. 9 GG „Arbeitskampf“; Brox/Rüthers, AK; Rdnr. 132; Kissel<br />

§ 25 Rdnr. 1 ff.; Schaub § 193 Rdnr. 51; MünchArbR/Otto § 285 Rdnr. 69 ff.; a.A. ArbG Gelsenkirchen AuR<br />

1998, 427; Däubler, AK, Rdnr. 110 f.; 127; Zachert AuR 2001, 401 ff. unter Hinweis auf Art. 6 Ziff. 4 der Europäischen<br />

Sozialcharta sowie Schutz von ad-hoc-Koalitionen durch Art. 9 Abs. 3 GG.<br />

304 Vgl. dazu BAG NZA 2003, 866, 869 @ ; MünchArbR/Otto § 285 Rdnr. 119 ff.; Erfk/Dieterich Art. 9 GG<br />

Rdnr. 123 ff.; Kissel §§ 29–32.<br />

305 Vgl. dazu BAGE-GS-23, 306 ff.; MünchArbR/Otto § 285 Rdnr. 124 ff.<br />

306 BAG NZA 2003, 734, 739 @ ; 866, 869 @ ; Löwisch/Rumler in Löwisch 170.11; Schaub § 197 Rdnr. 1 ff.<br />

307 BAG JZ 1989, 85 m.Anm. Löwisch/Rieble unter Aufgabe von BAGE 46, 322.<br />

308 Vgl. BAG NZA 2003, 866, 869 @ ; Däubler, Ratgeber, Rdnr. 141.<br />

309 Zustimmend Hohenstatt/Schaude DB 1989, 1566; a.A. MünchArbR/Otto § 285 Rdnr. 103: keine förmliche,<br />

aber ausdrückliche Erklärung des Scheiterns erforderlich; kritisch gegenüber der darin erblickten ,,Aufweichung“<br />

des Ultima-ratio-Prinzips Rüthers DB 1990, 113; Rüthers/Bakker ZfA 1992, 199 ff.; vgl. dazu auch<br />

Weller AuR 1989, 325; Buchner BB 1989, 1334.

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