Friedrich-Wilhelm Eickhoff Versuch über die Lüge aus ...
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<strong>Versuch</strong> <strong>über</strong> <strong>die</strong> <strong>Lüge</strong><br />
Freuds kleine Arbeit Zwei Kinderlügen (Freud, S., 1913 g) bezeugt einen großen<br />
Respekt vor dem nachdenklich stimmenden Charakter von <strong>Lüge</strong>n. Er beginnt<br />
zwar mit der ironischen Bemerkung, es sei begreiflich, daß Kinder lügen, wenn<br />
sie <strong>die</strong> – paternalistischen – <strong>Lüge</strong>n der Erwachsenen nachahmen. Aber ihn interessieren<br />
<strong>die</strong> komplexeren, verhängnisvolleren Situationen, in denen das Kind<br />
durch einen tiefen inneren Konflikt, der zu einem Kompromiß zwischen Geständnis<br />
und Verleugnung einer dem Vater geltenden Liebeserklärung führt, zum<br />
<strong>Lüge</strong>n und damit zur Störung der Beziehung zu der von ihm geliebten Person gedrängt<br />
wird. Nüchtern erzählt er zwei Geschichten, <strong>die</strong> eigentlich Tragö<strong>die</strong>n sind:<br />
in beiden Fällen wird ein Kind durch innere Schwierigkeiten gezwungen, zu einer<br />
<strong>Lüge</strong> zu greifen, <strong>die</strong> einen wahren Wunsch reflektiert. Er schreibt:<br />
Man möge nicht gering denken von solchen Episoden des Kinderlebens.<br />
Es wäre eine arge Verfehlung, wenn man <strong>aus</strong> solchen kindlichen Verfehlungen<br />
<strong>die</strong> Prognose auf Entwicklung eines unmoralischen Charakters<br />
stellen würde. Wohl aber hängen sie mit den stärksten Motiven der kindlichen<br />
Seele zusammen und künden Dispositionen zu späteren Schicksalen<br />
oder künftigen Neurosen an.<br />
Heinz Kohut (Kohut, H., 1987, S. 112) erkennt sowohl der unentdeckten Kindheitslüge,<br />
an der ein Kind entdecken kann, daß seine Eltern nicht allwissend sind<br />
und insbesondere nicht in seinen Geist eindringen können, <strong>die</strong> Bedeutung einer<br />
»optimalen Frustration« als Basis einer strukturbildenden Erfahrung als auch der<br />
zeitweiligen <strong>Lüge</strong> des erwachsenen Patienten den Sinn einer tastenden Behauptung<br />
der Rechte eines unabhängigen individuellen Selbst zu. Über Geheimnisse<br />
lesen wir in Sissela Boks Buch mit dem gleichnamigen Titel (Bok, S., 1982):<br />
Eine gewisse Befähigung, Geheimnisse zu wahren und den Zeitpunkt ihrer<br />
Kundgabe zu wählen, und damit der Zugang zum Erlebnis von Geheimhaltung<br />
und Tiefe sind für einen dauernden Sinn der Identität, für <strong>die</strong> Planungs-<br />
und Handlungsfähigkeit, und für wesentliche Zugehörigkeitsgefühle<br />
unerläßlich. Ohne <strong>die</strong> Kontrolle <strong>über</strong> Geheimhaltung und Offenheit<br />
könnte man weder vernünftig noch frei bleiben (S. 24).<br />
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