Projekt Baden Württemberg /Hans Böcklerstiftung
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werden müssen. Konkretisierungsbedürftige Leerstellen gibt es vor allem hinsichtlich der<br />
Grundentgeltfindung und der Belastungen. Daraus ergibt sich notwendigerweise ein<br />
wertigkeits konkretisierendes Bargaining, das je nachdem, wie weit die Positionen beider<br />
Seiten voneinander entfernt sind, mehr oder weniger konflikthaft verlaufen kann.<br />
Zum vierten ergeben sich im Zuge der Einführung neue Konflikte um die<br />
Wertigkeitsrelationen von Arbeitsaufgaben, die auf gewachsenen betrieblichen<br />
Entgeltrelationen aufsetzen und bei denen versucht wird, gewisse Korrekturen der<br />
tariflichen Vorgaben zu erreichen. Die sich darum rankenden Auseinandersetzung lassen<br />
sich als wertigkeits korrigierendes Bargaining beschreiben. Die Übergänge von<br />
wertigkeitskorrigierendem und wertigkeitskonkretisierendem Bargaining sind fließend.<br />
Zum fünften ergeben sich Konflikte um die Frage, ob und wie innerhalb der Beschäftigten<br />
die Kosten der ERA-Einführung verteilt bzw. der Risiken der Entgeltminderung über die<br />
Tarifregelung hinaus verringert werden soll. Solche Auseinandersetzungen scheinen in der<br />
Regel dort eine Rolle zu spielen, wo der ERA-Ausgleichsfonds für den ursprünglich<br />
vorgesehenen Zweck nicht benötigt wird und zur Auszahlung an die Beschäftigten ansteht.<br />
Zum sechsten werden schließlich durch die Vermischung von Standortvereinbarungen und<br />
ERA-Einführung finanzielle Mittel, die zur ERA-Finanzierung vorgesehen waren, anderweitig<br />
verwendet, d.h. durch den Arbeitgeber einvernahmt (ERA-Strukturkomponente, ERA-<br />
Fondsmittel).<br />
Integratives und verteilungspolitisches Bargaining sind somit notwendigerweise verschränkt, wobei<br />
die strukturell eigentlich dominante Dimension durch die distributive immer wieder überlagert wird.<br />
Sowohl die Tarif- wie die Betriebsparteien bewegen sich im ERA-Einführungsprozess in diesem<br />
Spagat.<br />
2. Zum Koordinierungs- und Steuerungsinteresse der Verbände und ihren<br />
strategischen Zielen<br />
In unserem Forschungsantrag gehen wir von der Annahme aus, dass die Tarifparteien eine aktive<br />
und starke Rolle im Umsetzungsprozess spielen und sowohl steuernd als auch kontrollierend tätig<br />
werden. Diese Annahme ist keineswegs selbstverständlich. Gewöhnlich zeigen die<br />
Arbeitgeberverbände anders als die Gewerkschaften daran wenig Interesse. Während sich die<br />
Gewerkschaften via hauptamtlichem Apparat, Vertrauensleuten und nicht zuletzt Betriebsräten (§<br />
80 Abs. 1 BetrVG) traditionell wesentlich intensiver darum kümmern, dass die tariflichen Vorgaben<br />
entsprechend der gewerkschaftlichen Intention auch umgesetzt werden und schon lange ein<br />
allgemeines Verbandsklagerecht fordern, sind die Arbeitgeberverbände diesbezüglich, wie ein<br />
Verbandsvertreter von Südwestmetall es formuliert, „sehr viel weniger ehrgeizig“. In der Regel<br />
begnügen sie sich damit, die Unternehmen über die Tarifregelungen zu informieren, an der einen<br />
oder anderen Stelle Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen oder, meist allerdings nur in Einzelfällen<br />
und auf Nachfrage, beratend in den Umsetzungsprozess und bei Auseinandersetzungen<br />
einzugreifen. Ansonsten bleibt es den Betrieben überlassen, die Tarifverträge nach ihrem Gusto<br />
umzusetzen (oder auch zu ignorieren), ohne dass die Arbeitgeberverbände tätig werden. Anders<br />
als die Gewerkschaften, die Betriebsräte anhalten, als Wächter von Tarifverträgen zu agieren,<br />
sehen die Arbeitgeberverbände ihre Rolle traditionell nicht darin, vor Ort diejenigen zu sein, die auf<br />
die Einhaltung der Tarifverträge achten. Sie verklagen dementsprechend auch niemand, der sich<br />
nicht an den Tarifvertrag hält. „Die Gewerkschaften tun so etwas, wir nicht.“ (SWM) Insofern ist<br />
der Steuerungs- und Kontrollanspruch der Arbeitgeberverbände „normalerweise sehr viel geringer<br />
als bei den Gewerkschaften an dieser Stelle.“ (dto.)<br />
Bei der ERA-Umsetzung ist das, wie wir vermutet haben und wie wir mittlerweile wissen, nicht so,<br />
zumindest nicht in <strong>Baden</strong>-<strong>Württemberg</strong>. Es gibt vielfältige Aktivitäten, die Umsetzung „im Griff“ zu<br />
behalten bzw. sie in den Griff zu bekommen. Beide Tarifverbände sind etwa stark darum bemüht,<br />
Dritte, etwa freie ERA-Berater oder Weiterbildungsanbieter, die hier ein lukratives Geschäftsfeld<br />
wittern, fern zu halten. Dass sich der Steuerungs- und Kontrollanspruch im Falle der Umsetzung<br />
des ERA-TV von dem anderer Tarifverträge unterscheidet, wird von den befragten Vertretern von<br />
Südwestmetall ausdrücklich bestätigt. Die Umsetzung des ERA könne man „nicht so locker sehen“<br />
wie die anderer Tarifverträge. Welche Gründe könnten dafür maßgeblich sein?<br />
2.1. Offenheit und Interpretationsfähigkeit der Tarifregelungen<br />
Das Steuerungs- und Kontrollinteresse beider Tarifparteien signalisiert zunächst, dass der ERA-TV<br />
sehr unterschiedlich umgesetzt werden kann und die Tarifparteien die Gefahr sehen, dass die