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Projekt Baden Württemberg /Hans Böcklerstiftung

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Umsetzung in einer Art und Weise vollzogen wird, die ihren Intentionen nicht entspricht. Dafür<br />

können grundsätzlich zwei Faktorenbündel maßgeblich sein:<br />

Gründe, die in den Variationsmöglichkeiten des Tarifvertrags selbst liegen bzw. in seiner<br />

Interpretationsfähigkeit und Deutungsoffenheit,<br />

Gründe, die in betriebspolitischen Bedingungen und Interessen liegen und die eine den<br />

Intentionen der Tarifparteien widersprechende Handhabung der ERA-Bestimmungen mit<br />

sich bringen könnten.<br />

Hinsichtlich des ersten Faktorenbündels, der Variationsmöglichkeiten, Interpretationsfähigkeit und<br />

Deutungsoffenheit des ERA, ließe sich als generelle These formulieren, dass die Koordinations- und<br />

Steuerungsleistungen der Tarifparteien um so nötiger sind, je offener die Tarifregelungen gehalten<br />

sind und je höher somit der betriebliche Konkretisierungsbedarf ist. Umgekehrt gälte dann: Je<br />

abschließender die Regelungen sind, desto weniger Steuerungsbedarf besteht.<br />

Für diese These spricht zunächst der Umstand, dass der Tarifvertrag in der Tat eine Vielzahl von<br />

betrieblichen Variationsmöglichkeiten vorsieht. Dass die Tarifparteien im Umsetzungsprozess diese<br />

Variationsbreite entsprechend der jeweiligen verbandspolitischen Prioritäten zu kanalisieren<br />

versuchen, ist naheliegend und hierfür finden sich auch Belege. Dieser Befund ist allerdings nicht<br />

überraschend. Er entspricht der Logik qualitativer tariflicher Regelungen, bei denen die<br />

Tarifparteien, sofern sie dezidierte, im Tarifvertrag angelegte, aber nicht abgesicherte Ziele<br />

verfolgen, diesen im Umsetzungsprozess Geltung verschaffen wollen.<br />

Wenig überraschend sind auch die vielfältigen Interpretations- und Deutungsprobleme des<br />

Tarifvertrags, mit denen die Tarifparteien zwischenzeitlich konfrontiert sind und deren Klärung von<br />

ihnen seitens der betrieblichen Akteure erwartet wird. Die Materie ist bekanntermaßen äußerst<br />

komplex und es gibt auch Leerstellen unterschiedlichster Art, die gefüllt werden müssen. Dass dem<br />

so sein wird, war erwartbar, zumal sich der Verhandlungsprozess über mehr als zehn Jahre<br />

hinstreckte, bei dem Zwischenstände und Verständigungen über Sachverhalte und Begriffe in einer<br />

Vielzahl von Synopsen und Protokollnotizen festgehalten wurden, die analog zu<br />

Gesetzesauslegungen wichtig für den Deutungsrahmen sind, in das „Endprodukt“ aber keinen<br />

Eingang fanden und finden konnten. Der Tarifvertrag selbst hat Leerstellen und es besteht zudem<br />

eine „Lücke“ zwischen Text und Intention, die zu schließen auch Aufgabe der Betriebs-, vor allem<br />

aber der Tarifparteien ist. Diese haben sich darauf eingestellt, u.a. ein gemeinsames Glossar mit<br />

den wichtigsten Begriffen ausgearbeitet und einen gestuften Klärungs- und<br />

Konfliktlösungsmechanismus verabredet, dessen letzte Stufe in einer gemeinsamen Stellungnahme<br />

der beiden ERA-Verantwortlichen auf Landesebene besteht. Dieses Verfahren wurde anfänglich<br />

stark in Anspruch genommen, hat zwischenzeitlich jedoch wieder an Bedeutung verloren, weil die<br />

Arbeitgeberseite weniger konkrete Einzelfragen klären wollte, sondern pauschalere Absprachen<br />

anstrebte, zu denen die IG Metall nicht bereit war. Deshalb sind weiterhin viele Fragen offen, die<br />

nunmehr betrieblich geklärt werden müssen und sollen. Als Erfolg verbuchen die Vertreter beider<br />

Seiten dennoch, dass bisher nur wenige Fragen gerichtlich geklärt wurden bzw. zur Klärung<br />

anhängig sind. [3]<br />

Als Problem empfinden vor allem die gewerkschaftlichen Vertreter, dass sich die Interpretation des<br />

Tarifvertrags zunehmend von seiner Genese, d.h. vom Verhandlungsprozess und den Intentionen<br />

beider Seiten ablöst und sich die Arbeitgeber eine rein textlich-systematische Interpretation des<br />

ERA zu eigen machen. Juristen beherrschten nun das Feld. Ein gemeinsames Grundverständnis des<br />

Tarifvertrags müsse und könne ihres Erachtens jedoch aus der (Verhandlungs-)Geschichte<br />

kommen. Der Arbeitgeberseite wird unterstellt, sie entferne sich davon, interpretiere den<br />

Tarifvertrag sehr eng und aus rein juristischer Sicht.<br />

Die Interpretations- und Deutungsoffenheit des ERA ist somit sicherlich ein wichtiger Grund,<br />

weshalb die Tarifparteien im Umsetzungsprozess des ERA mehr gefordert sind als bei anderen<br />

Tarifverträgen. Gegen die These, wonach das Steuerungsinteresse der Tarifparteien sich aus der<br />

Offenheit und Interpretationsfähigkeit des Tarifvertrags ergibt, spricht allerdings, dass das<br />

Hauptaugenmerk beider Tarifparteien vor allem auf jenen Teil des Tarifvertrags gerichtet ist, bei<br />

dem die Betriebsparteien verglichen mit der bisherigen Situation einen geringeren<br />

Gestaltungsspielraum haben: die Grundentgeltfindung.<br />

Südwestmetall zufolge ist die Grundentgeltfindung im ERA-TV „abschließend geregelt, d.h. die<br />

Betriebsparteien vollziehen in der Arbeitsbewertung lediglich den Tarifvertrag“. In der Regel sei<br />

„völlig klar, in welche ‚Schublade' eine Arbeitsaufgabe gehört“ (Gryglewski 2004, S. 553). Raum für

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