DasErste.de - Plusminus - Arbeitsmarkt 25.07.2012

DasErste.de - Plusminus - Arbeitsmarkt (25.07.2012) http://www.daserste.de/plusminus/beitrag_dyn~uid,whjh14rit88xm2b5...
Rückschau: Arbeitsmarkt
Verheißungsvolle Aussichten - Was hinter dem Jobwunder für
Ältere steckt
Autoren: Christiane Cichy, Jürgen Magister
(© mdr) Reiner Cörenzig ist eigentlich der Prototyp eines Gewinners am Arbeitsmarkt: Gute Ausbildung,
Berufserfahrung und absolut flexibel. Doch er ist 57 und keiner will ihn haben. Bis er vor einem Jahr
gekündigt wurde, war der Finanzwirt nie arbeitslos. Seitdem schreibt er unzählige Bewerbungen, quer
durch Deutschland. Doch er bekommt nur Absagen.
Trügerisches Glück
Alt und trotzdem gebraucht werden: So soll es sein.
Die Wirklichkeit sieht jedoch meist anders aus.
Die 60 Jahre alte Christine Dörfeld hatte mehr Glück. Nach
Jahren der Arbeitslosigkeit fand sie über das Förderprogramm
"Perspektive 50plus" einen Job in einem Ingenieurbüro. Mit dem
Programm sollen Ältere wie sie wieder dauerhaft in Lohn und
Brot gebracht werden. "Ich war glücklich darüber, noch mal
arbeiten zu können, jeden früh aufzustehen, etwas Sinnvolles zu
tun, das war wie ein Fünfer im Lotto", erinnert sich die
60-Jährige. Doch nach zwei Jahren war Schluss. Die
Bauzeichnerin musste nun wieder Bewerbungen eintüten, weil
die Förderung ausgelaufen war. Das Jobcenter hatte 70 Prozent
ihres Gehaltes gezahlt. Ohne diesen Zuschuss wollte ihr Arbeitgeber den Vertrag nicht verlängern. Ein
Interview dazu lehnte er ab.
Ein System, das Mitnahme-Effekte provoziert
Arbeitsmarktexperte Prof. Stefan Sell hat den Lohnkostenzuschuss für Ältere genauer untersucht. Sein
Resultat: "Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass wir immer das Problem der
Mitnahmeeffekte haben, wenn wir Lohnkostenzuschüsse an Arbeitgeber zahlen."
Erfolgs-Storys für die Werbebroschüre
Wir schauen uns die Förderungen für Ältere genauer an. Im Internet stoßen wir auf eine Werbebroschüre
der Bundesregierung für das Programm "Perspektive 50plus". Es läuft seit nahezu acht Jahren und soll
Ältere über 50 auf den Arbeitsmarkt zurückbringen. Eingliederungs- und Lohnkostenzuschüsse sollen
dabei helfen. Offenbar mit Erfolg. Sechs strahlende Gewinner werden in der Broschüre präsentiert. Einer
davon ist Hans Hemmis. Laut Prospekt ein Kämpfertyp. Nach einer Krebserkrankung war er wieder auf
die Beine gekommen und wollte noch mal durchstarten. Ein ganzes Kompetenzteam kümmerte sich um
den damals 58-jährigen Klempnermeister. Und er bekam einen Job bei VW in Kassel. Wir haben ihn dort
getroffen. Draußen vor dem Werktor, denn sein Traum, bis zur Rente dort zu arbeiten, ist geplatzt. Seit fast
einem Jahr ist er nun schon wieder arbeitslos. Was war passiert? Hans Hemmis baute keine Autos bei VW.
Das Unternehmen bietet auch Arbeitslosenschulungen an. Und da kam Hans Hemmis unter. Nach einer
vom Jobcenter finanzierten Schulung wurde er selbst Kursleiter für ältere Arbeitslose. Obwohl VW
Fördergelder für jeden Teilnehmer bekam, übernahm das Unternehmen keinen einzigen aus diesem Kurs.
Und auch für Hans Hemmis kam das Aus. Als die Fördergelder ausgelaufen waren, war auch für ihn kein
Platz mehr. VW bestätigt uns das schriftlich, allerdings habe man Hans Hemmis "…eine
1 von 2 28.07.2012 20:26

DasErste.de - Plusminus - Arbeitsmarkt (25.07.2012) http://www.daserste.de/plusminus/beitrag_dyn~uid,whjh14rit88xm2b5...
Weiterbeschäftigung in der Fertigung im Werk Kassel angeboten, leider erfolglos."
Auf Hans Hemmis wirkt das wie Hohn, denn es sei bekannt gewesen, dass er wegen seiner
Krebserkrankung nicht mehr im Schichtsystem der Produktion arbeiten könne.
Keine Erfolgsgeschichte
Wir recherchieren weiter. Was ist aus den anderen "50plus-Vorzeigehelden" geworden? Wir kontaktieren
alle im Prospekt angegebenen Arbeitgeber. Das Resultat: Nur eine, Marianne Schilling, arbeitet noch bei
ihrem Arbeitgeber. Beispiele eines nachhaltigen Erfolges sind offenbar nur schwer zu finden.
Prof. Stefan Sell plädiert deshalb dafür, Lohnkostenzuschüsse nur aufgrund des Alters ganz zu streichen:
"Wenn es sich um ganz normale Arbeitnehmer handelt, die in Anführungsstrichen nur das Problem haben,
über 50 zu sein, dann setzt man mit dem Lohnkostenzuschuss ja auch die falschen Signale, denn die
Unternehmen sollen sich gefälligst daran gewöhnen, dass die Erwerbsbevölkerung immer älter wird und
dass man Menschen über 50 auch ohne Lohnkostenzuschuss einstellen muss."
Dieser Text informiert über den Fernsehbeitrag vom 19.07.2012. Eventuelle spätere Veränderungen des
Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.
Sendung vom
Mi, 25.07.12 | 21:55 Uhr
Produktion
Dieser Beitrag wurde vom Mitteldeutschen Rundfunk produziert.
E-Mail an die Redaktion
Weiterempfehlen
Drucken
2 von 2 28.07.2012 20:26