Werkstatt Frieden & Solidarität - Friedenswerkstatt Linz
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10 Nord-Süd guernica 5/2004<br />
Cotonou - ein Tabu?<br />
Das im Jahr 2000 unterzeichnete Cotonou-Abkommen löst die bisherigen Lomé-Abkommen ab, die den 77 mit der EU assoziierten AKP-Staaten<br />
(Afrika, Karibik, Pazifik) Handelspräferenzen ihrer Exportgüter einräumen. Mit dem im April 2003 ratifizierten Cotonou-Abkommen entfallen die<br />
Handelspräferenzen, darüber hinaus dürfen diese Länder in Zukunft auch keine Zölle mehr auf importierte Waren erheben.<br />
Das Cotonou-Abkommen sieht<br />
die graduelle Liberalisierung<br />
des Handels mit Dienstleistungen<br />
gemäß den Bestimmungen des<br />
WTO-Dienstleistungsabkommens<br />
(GATS) vor. Handelsrelevante Bereiche<br />
im Rahmen des Cotonou-Abkommens<br />
sind die Wettbewerbspolitik,<br />
intellektuelle Eigentumsrechte,<br />
Fragen der Standardisierung und<br />
Zertifizierung, sanitäre und phytosanitäre<br />
Standards, Umweltaspekte,<br />
Arbeitsnormen sowie die Verbraucherpolitik.<br />
Unter den „Standards“<br />
werden die Bananen-produzierenden<br />
Länder verpflichtet, sich an bestimmte<br />
Normen (z. B. Größe der<br />
Bananen) zu halten, ähnlich wie die<br />
„Gurken-Verordnung“ innerhalb der<br />
EU. Darüber hinaus werden im Rahmen<br />
des Abkommens regionale<br />
Handelsabkommen (sog. Regional<br />
Economic Partnership Agreements,<br />
EPA) abgeschlossen, die zwischen<br />
2008 und 2020 implementiert werden<br />
sollen.<br />
Beim letzten Gipfeltreffen der<br />
AKP-Staaten und der EU im Juni in<br />
Mosambik wurde die EU heftig kritisiert,<br />
da sie auf einige AKP-Staaten<br />
großen Druck ausübt, um die Zustimmung<br />
zu solchen Handelsabkommen<br />
durchzusetzen.<br />
Auf einem Parallel-Treffen der<br />
Zivilgesellschaften wurde mit dem<br />
Slogan „Stoppt die EPAs“ Protest<br />
gegen die Handelsabkommen<br />
geäußert: „Die EU-Kommission begründet<br />
die EPAs als ´Entwicklungsinstrumente´,<br />
während alle genaueren<br />
Untersuchungen bisher gezeigt<br />
haben, dass die Lasten der Anpassung<br />
ausschließlich seitens der<br />
AKP-Länder getragen werden. Die<br />
EU hat die Ziele des Cotonou-Vertrags<br />
- die Beseitigung der Armut<br />
und die nachhaltige Entwicklung -<br />
auf einen Fahrplan zur Selbstbedienung<br />
in Handel und zur Deregulierung<br />
eigener Investitionen reduziert.<br />
Die EPA werden den sozial-ökonomischen<br />
Niedergang und die politische<br />
Brüchigkeit vertiefen und verlängern,<br />
die die meisten AKP-Länder<br />
kennzeichnen“.(1)<br />
Durch die erzwungene Marktöffnung<br />
durch IWF und Weltbank sank<br />
die Zahl der Beschäftigten in der<br />
verarbeitenden Industrie in Ghana<br />
von 78.000 (1987) auf 28.000 im<br />
Jahr 1993 durch die billigen Importe<br />
aus Industrieländern. Einen ähnlichen<br />
Effekt könnten die Freihandelsabkommen<br />
der EU haben.<br />
Anlässlich eines Hearings in<br />
Brüssel äußerte sich der Gewerkschaftsführer<br />
der ghanaischen Geflügelfarmer<br />
sehr besorgt über die<br />
wachsenden Importe aus der EU.<br />
„Wie in Kamerun ist eine große Zunahme<br />
von Hühnerfleischimporten<br />
durch den Zollabbau zu erwarten,<br />
die die ärmste Schicht unserer Gesellschaft<br />
aus dem Arbeitsmarkt verdrängt<br />
- das sind die Kleinbauern,<br />
und vor allem Frauen, die völlig abhängig<br />
von dem Geflügelsektor sind.<br />
Es ist schwer vorstellbar, dass im<br />
Namen des Freihandels das Dumping<br />
von Geflügelteilen wie Hühnerbeine,<br />
-flügel und -hälse, die sowieso<br />
keinen Absatzmarkt in der EU<br />
haben, erlaubt wird“.(2)<br />
Der Staatspräsident Benins wies<br />
im September 2003 in seiner Rede<br />
vor dem Europäischen Parlament<br />
darauf hin, dass sein Land bis zu 20<br />
% der Staatseinnahmen verlieren<br />
könnte, wenn es seine Wirtschaft<br />
nicht mehr durch Importzölle schützen<br />
darf. „Das wird Konsequenzen<br />
für die Investitionen im Sozialbereich<br />
haben und steht im krassen<br />
Missverhältnis zur Empfehlung von<br />
UNDP, dass Benin seine Steuerbasis<br />
erhöhen und mehr in den öffentlichen<br />
sozialen Sektor investieren<br />
muss, wenn es eine nachhaltige<br />
Entwicklung erreichen will“.(3)<br />
Aber nicht nur die Liberalisierung<br />
von Waren ist im Visier der<br />
EU, sondern auch der Investitionsbereich.<br />
Obwohl es eine breite Ablehnung<br />
gegen die Aufnahme von<br />
Verhandlungen über die sog. Singapurthemen<br />
(Wettbewerb, öffentliches<br />
Beschaffungswesen, Investitionen<br />
und Handelserleichterungen) innerhalb<br />
der WTO gibt, beabsichtigt<br />
die EU, diese Themen quasi „durch<br />
die Hintertür“ in regionale und bilaterale<br />
Handelsverträge mit Entwicklungsländern<br />
einzubringen. Damit<br />
ignoriert die EU nicht nur die ausdrückliche<br />
Ablehnung eines multilateralen<br />
Investitionsabkommens innerhalb<br />
der WTO, sondern übersieht,<br />
dass ein Investitionsrahmenabkommen<br />
nicht notwendigerweise<br />
zur Schaffung nachhaltiger Entwicklungsimpulse<br />
in den AKP-Staaten<br />
beiträgt. Im Gegenteil: Eine<br />
kürzlich erschienene Studie der<br />
Weltbank kommt zu dem Schluss,<br />
dass Länder, die bilaterale Investitionsabkommen<br />
abgeschlossen haben,<br />
nicht stärker am Fluss ausländischer<br />
Direktinvestitionen teilhaben,<br />
als solche ohne entsprechende Abkommen.<br />
Vielmehr zeigt die Erfahrung,<br />
dass die Investitionsliberalisierung<br />
eine Folge wirtschaftlicher<br />
Entwicklung ist, sobald ein Land<br />
eine gewisse Konkurrenzfähigkeit<br />
erreicht hat. Dazu gehört, durch positive<br />
Diskriminierung einheimische<br />
Unternehmen zu unterstützen und<br />
den Ausbau der nationalen Industrie<br />
durch protektionistische Staatsinterventionen<br />
zu stützen. Prinzipien<br />
übrigens, derer sich die EU sowie<br />
andere heute führende Wirtschaftsblöcke<br />
in ihrer wirtschaftlichen Expansionsphase<br />
ebenfalls bedient haben.<br />
Partizipation der Nicht-Regierungs-Akteure.<br />
Gemäß Artikel 4<br />
des Cotonou-Abkommens sollen<br />
Nicht-Regierungs-Akteure (NRA),<br />
wie die Zivilgesellschaften und der<br />
private Unternehmersektor, nicht<br />
nur über den Cotonou-Prozess informiert,<br />
sondern auch aktiv daran beteiligt<br />
sein.<br />
Um die NRAs über Inhalte und<br />
Schwerpunktsetzungen des Cotonou-Abkommens<br />
zu informieren<br />
und sie einzubeziehen, werden Gelder<br />
von der EU für capacity building<br />
zur Verfügung gestellt. Allerdings<br />
muss dieser Haushaltsposten im sog.<br />
National Indicative Programmes<br />
(NIP), den Cotonou-Länderprogrammen,<br />
enthalten sein, und das<br />
scheint in vielen Staaten nicht der<br />
Fall zu sein.<br />
Eine Analyse von CONCORD,<br />
einem europäischen Dachverband<br />
von NROs über die Einbeziehung<br />
der Nicht-Regierungs-Akteure in<br />
den Cotonou-Prozess kommt zu<br />
dem Schluss, dass deren Partizipation<br />
nur in einigen wenigen Ländern<br />
gelungen ist. In den meisten ACP-<br />
Staaten haben viele NSAs, vor allem<br />
die „Zivilgesellschaften“ noch nicht<br />
die Tragweite von Cotonou erfasst,<br />
viele haben auch davon noch nie<br />
gehört.<br />
Europäische Handelspolitik.<br />
Die Handelspolitik gehört zu den<br />
Politikfeldern, in denen die „exklusive<br />
Kompetenz“ auf EU-Ebene<br />
liegt. Mit Ausnahme von Handelsverträgen,<br />
die den Bereich der Auslandsinvestitionen<br />
und einige sensible<br />
Dienstleistungsbereichen wie<br />
Bildung und Gesundheit betreffen,<br />
brauchen die Verträge keine Zustimmung<br />
durch nationale Parlamente.<br />
Diese Mitbestimmung fällt mit dem<br />
EU-Verfassungsentwurf. In Zukunft<br />
werden alle Handelsverträge allein<br />
auf EU-Ebene ratifiziert werden und<br />
der EU-Handelskommissar hätte<br />
freie Bahn, um eigenmächtig bilaterale<br />
Investitionsabkommen oder<br />
Verträge wie das gescheiterte multilaterale<br />
Investitionsabkommen MAI<br />
zu verhandeln. „Dieser Machtzuwachs<br />
für die Kommission ist angesichts<br />
der intransparenten und undemokratischen<br />
handelspolitischen<br />
Entscheidungsprozesse in Brüssel<br />
skandalös“ kommentiert WEED.<br />
Die europäische Handelspolitik<br />
wird im sog.133er Ausschuss koordiniert;<br />
der Ministerrat, das formal<br />
höchste Entscheidungsgremium der<br />
EU, genehmigt die Vorlagen aus<br />
dem 133er Ausschuss in der Regel<br />
ohne weitere Diskussion. Zugang<br />
zu den Sitzungen haben neben den<br />
Vertretern der Wirtschafts- und Handelsministerien<br />
auch Vertreter von<br />
zwei Interessenverbänden von privaten<br />
Dienstleistungskonzernen, das<br />
European Services Forum (ESF)<br />
und die European Services Leaders<br />
Group (ESLG), aber NICHT die<br />
Mitglieder des Europäischen Parlaments.<br />
Kürzlich hat der WWF eine<br />
Klage gegen den Ministerrat vor<br />
dem Europäischen Gerichtshof eingereicht,<br />
weil der sog. 133er Ausschuss<br />
keine festen Regeln bezüglich<br />
Mitgliedschaft, Geschäftsordnung,<br />
Veröffentlichung von Tagesordnungen,<br />
Protokollen und dgl. wie<br />
andere Ministerrats-Ausschüsse hat<br />
und deshalb der Ausschuss mehr<br />
oder weniger im rechtsfreien Raum<br />
agiert. Selbst das britische Ministerium<br />
für Handel und Industrie<br />
scheint sich über die Rolle des 133er<br />
Ausschusses nicht im Klaren zu<br />
sein. Auf seiner Webseite heißt es,<br />
dass die Gemeinsame Handelspolitik<br />
im 133er Ausschuss entschieden<br />
wird, weiter unter steht, dass dieser<br />
Ausschuss eine Arbeitsgruppe des<br />
Ministerrats ist.<br />
Viel deutet daraufhin, dass innerhalb<br />
der Kommission die Unterordnung<br />
der Entwicklungspolitik unter<br />
die Außen- und Sicherheitspolitik<br />
vorangetrieben wird. Letztes Jahr<br />
hat die EU beschlossen, den Europäischen<br />
Entwicklungsfonds in<br />
den EU-Haushalt zu integrieren. Es<br />
besteht also die Gefahr, dass eine<br />
Vermischung der Gelder für Entwicklungszusammenarbeit<br />
und Armutsbekämpfung<br />
mit den Mitteln<br />
für außen- und sicherheitspolitische<br />
Belange stattfindet. Ein Beleg dafür<br />
ist die Entscheidung der EU im November<br />
2003, 250 Millionen Euro<br />
GRENZEN WELTWEIT<br />
Zonen, Linien, Mauern<br />
im historischen Vergleich<br />
Joachim Becker / Andrea Komlosy (Hrsg.)<br />
PROMEDIA-Verlag, EUR 22,90<br />
Zu bestellen in der <strong>Werkstatt</strong> <strong>Frieden</strong> & <strong>Solidarität</strong><br />
E-Mail friwe@servus.at, Tel. (0732) 77 10 94<br />
Durch die erzwungene Marktöffnung durch IWF und<br />
Weltbank sank die Zahl der Beschäftigten in der<br />
verarbeitenden Industrie in Ghana von 78.000 (1987)<br />
auf 28.000 im Jahr 1993 durch die billigen Importe aus<br />
Industrieländern. Einen ähnlichen Effekt könnten die<br />
Freihandelsabkommen der EU haben.<br />
aus bisher nicht beanspruchten Mitteln<br />
des Europäischen Entwicklungsfonds<br />
für die Finanzierung einer<br />
schnellen Eingreiftruppe der<br />
Afrikanischen Union zur Verfügung<br />
zu stellen. Und weitere 126,4 Millionen<br />
sollen durch Kürzungen der<br />
bereits bewilligten Länderallokationen<br />
und durch bisher nicht verplante<br />
Mittel aus dem Entwicklungsfonds<br />
für friedensschaffende Maßnahmen<br />
bereit gestellt werden.<br />
Abschließend ist zu bemerken,<br />
dass europäische Handels- und Entwicklungspolitik<br />
kaum öffentlich<br />
debattiert werden. Wichtige EU-Abkommen<br />
wie das Cotonou-Abkommen<br />
und die EU-Verfassung, deren<br />
Inhalte auch nur wenig in der Öffentlichkeit<br />
diskutiert werden, scheinen<br />
Tabu für die Medien zu sein.<br />
Nur Zufall oder absichtliches Tabu?<br />
Annette Groth<br />
(ATTAC Deutschland, Stuttgart)<br />
Anmerkungen:<br />
(1) Zeitschrift Entwicklungspolitik<br />
16/2004, S. 16<br />
(2) New ACP-EU Trade Arrangements:<br />
New Barriers to Eradicating Poverty?,<br />
Brüssel, März 2004, www.eurostep.org<br />
(3) ebd.<br />
(4) WEED: „Mehr Demokratieverlust<br />
wagen? WEED warnt vor weiterer Entdemokratisierung<br />
der Europäischen<br />
Handelspolitik durch EU-Verfassung“,<br />
29.11.2003<br />
Allerorts ist seit dem Fall des Eisernen Vorhanges von der<br />
Aufhebung von Grenzen die Rede, von Integratin und Freizügigkeit<br />
als Ausdruck eines zusammenwachsenden „Global<br />
Village“. Die Vervielfachung und Beschleunigung der<br />
Kapital-, Waren- und Migrationsströme gilt dafür als Indikator.<br />
Es scheint, als gehörten Grenzen der Vergangenheit an.<br />
Bei näherem Hinsehen springen gleichwohl alte und neue<br />
Barrieren ins Auge. Zwar gibt es keinen Eisernen Vorhang mehr. „Schengen“ und die Befestigungslinie<br />
zwischen den USA und Mexiko grenzen indes Zentralräume von Randgebieten ab. Zudem<br />
existieren Mauern zwischen Stadtvierteln unterschiedlicher religiöser und ethnischer Gruppen von<br />
Belfast über Ustinad Labem bis Jerusalem.<br />
Die AutorInnen des vorliegenden Bandes diskutieren die unterschiedlichen Funktionen von<br />
regional sowie sozial zunehmend schärfer gezogenen Grenzen in einer Welt, deren<br />
Selbstverständnis gleichwohl ein grenzenloses ist.<br />
AutorInnen: Joachim Becker, Hannes Hofbauer, Karen Imhof, Andrea Komlosy, Henning Melber,<br />
Hans-Heinrich Notle, Asli E. Odman, Helga Schultz, Paola Visca, Viktoria Waltz