Werkstatt Frieden & Solidarität - Friedenswerkstatt Linz
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6 EU und Rechtsextremismus guernica 5/2004<br />
ASYLPOLITIK<br />
Hinter der Scheibe<br />
Diana ist 7 Jahre alt. Ihren Vater<br />
darf sie nur durch eine Glasscheibe<br />
sehen. Er sitzt im Polizeigefängnis<br />
Hernalser Gürtel in Schubhaft. Diana<br />
wurde in einem Krisenzentrum<br />
der Gemeinde Wien untergebracht.<br />
Diana und ihr Vater sind Tschetschenen.<br />
Dem Völkermord entronnen,<br />
den die russische Besatzungsmacht<br />
in ihrer Heimat verübt. Das<br />
reiche Österreich hat ihren Asylantrag<br />
zurückgewiesen. Weil sie angeblich<br />
in der Slowakei vor Verfolgung<br />
sicher sind. Bis zum 30. April<br />
war die Slowakei nach ständiger<br />
Rechtsprechung des Unabhängigen<br />
Bundesasylsenats (UBAS) ein nicht<br />
sicherer Drittstaat. In der Nacht<br />
zum 1. Mai ist sie plötzlich sicher<br />
geworden. Weil sie seither EU-Mitglied<br />
ist. Diana und ihr Vater sind<br />
schon einmal von Österreich in die<br />
Slowakei abgeschoben worden.<br />
Dort waren sie kurze Zeit in einem<br />
Lager. In ständiger Angst, weitergeschoben<br />
zu werden in die Ukraine<br />
und von dort nach Russland, ins<br />
Verfolgerland - wie es schon so<br />
manchem anderen tschetschenischen<br />
Flüchtling ergangen ist. Daher<br />
haben Diana und ihr Vater noch<br />
einmal versucht, nach Österreich zu<br />
flüchten. Seither können sie einander<br />
nur mehr durch die Scheibe sehen.<br />
Dianas Asylantrag durfte - ob<br />
die Slowakei nun sicher ist oder<br />
nicht - keinesfalls zurückgewiesen<br />
werden. Sie ist traumatisiert. Laut<br />
Mitteilung der Amtsärztin der Erstaufnahmestelle<br />
Traiskirchen leidet<br />
sie an einer Anpassungsstörung, die<br />
sich in Bettnässen, Schlafstörungen<br />
und Angstzuständen äußert. Traumatisierte<br />
sind zum Verfahren zuzulassen.<br />
„Asyl in Not“ hat für Diana und<br />
ihren Vater Berufungen gegen die<br />
Zurückweisung ihrer Asylanträge<br />
und Schubhaftbeschwerden eingebracht.<br />
Wahrscheinlich werden sie<br />
trotzdem wieder abgeschoben. Das<br />
ist Strasserland, im Herbst 2004.<br />
Manchmal spüren wir nur mehr<br />
Ohnmacht. Und Wut.<br />
Michael Genner (Asyl in Not)<br />
„Minder schwerer Fall von<br />
Körperverletzung“<br />
Wer einen Menschen fesselt, knebelt,<br />
an einen Stuhl bindet und den<br />
Hilflosen sodann durch gewaltsames<br />
Ersticken auf grausame Weise<br />
zu Tode bringt, handelt in einem<br />
„minder schweren Fall von Körperverletzung“.<br />
Dies entschied im<br />
Herbst 2004 ein Frankfurter Gericht.<br />
Die amtliche Würdigung hat<br />
zur Voraussetzung, dass es sich bei<br />
dem Getöteten um einen afrikanischen<br />
Flüchtling und bei den Tätern<br />
um deutsche Beamte handelt. Das<br />
Tatmerkmal der Grausamkeit sei<br />
nicht zu erkennen, entschied das<br />
Gericht. Die Grenzschutz-Beamten<br />
wurden auf freien Fuß gesetzt und<br />
können weiterhin als Hoheitsträger<br />
der Bundesrepublik Deutschland<br />
tätig sein. Die drei angeklagten Beamten<br />
des Bundesgrenzschutzes<br />
(BGS) hatten am 28. Mai 1999 den<br />
sudanesischen Flüchtling Aamir<br />
Ageeb während der gewaltsamen<br />
Durchsetzung seiner Abschiebung<br />
nach Khartum erstickt.<br />
www.german-foreign-policy.com<br />
Positionspapier der <strong>Werkstatt</strong> <strong>Frieden</strong> & <strong>Solidarität</strong><br />
Das Verbotsgesetz anwenden - Rechte Politik stoppen!<br />
Am rechten Rand des politischen Spektrums findet eine Neuformierung statt. Mit den EU-Parlamentswahlen vom<br />
13. Juni 2004 schaffte der bekennende Deutschnationale Andreas Mölzer (FPÖ) den Einzug ins Europaparlament.<br />
Gemeinsam mit anderen rechtsextremen Gruppierungen wie der norditalienischen „Lega Nord“ oder dem belgischen<br />
„Vlaams-Block“ will er die von der EU-Kommission bereitgestellten Millionen für „Europäische Parteien“<br />
nutzen, um eine europaweite rechtsextreme Organisation aufzubauen. Rechtsextreme Gruppierungen, wie der BFJ<br />
(Bund Freier Jugend) suchen Andockmöglichkeiten bei der Antikriegsbewegung oder der globalisierungskritschen<br />
Bewegung.<br />
Diese Neuformierung rechter<br />
Kräfte geschieht vor dem Hintergrund<br />
der strategischen Krise der<br />
Haider-FPÖ. Für diese gibt es zwei<br />
wesentliche Ursachen:<br />
Der Versuch der Haider-FPÖ, das<br />
Österreichbewusstsein rechtsextrem<br />
zu wenden, ist gescheitert. Sie<br />
konnten wohl verbreitete ausländerfeindliche<br />
Stimmungen für ihre Politik<br />
nutzen, insgesamt erwies sich<br />
jedoch das mit Neutralität und sozialer<br />
Gleichheit verknüpfte nationale<br />
Selbstverständnis der Mehrheit<br />
der Menschen in Österreich als unvereinbar<br />
mit rechtsextremer Politik.<br />
Die Stammeszugehörigkeit der<br />
Menschen ist eben nicht die politische<br />
Grundlage unserer Republik.<br />
Die Spitzen der FPÖ sind selbst<br />
voll ins politische Establishment integriert.<br />
Die FPÖ war die erste politische<br />
Partei, die den EU- und den<br />
NATO-Beitritt Österreichs forderte.<br />
Die „Kleine Mann“-Rhetorik der<br />
Haider-FPÖ kann auf Dauer nicht<br />
darüber hinwegtäuschen, dass die<br />
von der EU betriebene Politik des<br />
sozialen Kahlschlags, der Militarisierung<br />
und Entdemokratisierung<br />
voll auf ihrer Linie liegt.<br />
Die strategische Krise der Haider-FPÖ<br />
darf nicht dazu verleiten,<br />
die Neuformierung rechter, deutschnationaler<br />
Kräfte zu unterschätzen.<br />
Zwei Momente müssen uns<br />
alarmieren:<br />
1. Die strategischen Ziele dieser<br />
Kräfte liegen voll auf Linie der<br />
herrschenden Eliten.<br />
2. Die herrschende Politik führt zu<br />
massenhafter Entwertung der Menschen.<br />
Gewerkschaften, fortschritt-<br />
4. Treffen des Antifa-Netzwerk<br />
liche politische Organisationen haben<br />
es bis dato nicht geschafft, bündige<br />
Gegenstrategien anzubieten.<br />
Zu 1: Die derzeitige Politik ist eine<br />
Politik der Zertrümmerung der fortschrittlichen<br />
Grundlagen der II. Republik:<br />
a) Mit der EU-Verfassung soll<br />
rechte Politik in den Verfassungsrang<br />
gehoben werden. Die Neutralität<br />
wird ausgehebelt, den Mitgliedstaaten<br />
wird eine Aufrüstungsverpflichtung<br />
aufgezwungen. Die<br />
ärmeren Staaten des Südens und<br />
Ostens werden zu Objekten des<br />
neuen Militärinterventionismus degradiert.<br />
b) Der Neoliberalismus wird zur<br />
Staatszielbestimung. Sozialabbau,<br />
Liberalisierung, Privatisierung öffentlicher<br />
Leistungen führen zu einem<br />
Regime des Sozialdarwinismus.<br />
c) Staatliche Strukturen werden<br />
nicht abgeschafft, sondern entdemokratisiert.<br />
Mit der Losung „Europa<br />
muss mit einer Stimme sprechen!“<br />
wird ein Superautoritarismus<br />
eingeleitet. Der europäische<br />
„Außenminister“ wird, mit Sondervollmachten<br />
ausgestattet, in einen<br />
EU-Feldmarschall verwandelt. Mit<br />
der Europäischen Zentralbank und<br />
der Europäischen Rüstungsagentur<br />
werden wesentliche gesellschaftliche<br />
Bereiche der demokratischen<br />
Kontrolle entzogen. Das Prinzip der<br />
Gewaltenteilung wird ausgehebelt:<br />
Der EU-Rat, die Versammlung der<br />
Staats- und Regierungschefs, bekommt<br />
in zentralen gesellschaftlichen<br />
Fragen unmittelbare Rechts-<br />
Konsequente Anwendung des<br />
NS-Verbotsgesetzes<br />
Am 2. Oktober 2004 fand im Bildungshaus Schloss Puchberg in Wels<br />
das 4. Treffen des Antifa-Netzwerkes statt. Rund 100 VertreterInnen<br />
von 43 politischen, kirchlichen, kulturellen und humanitären Organisationen<br />
waren dabei.<br />
Der Historiker Univ.-Lektor Thomas Hellmuth behandelte den austrofaschistischen<br />
Ständestaat der Jahre 1934 bis 1938. Dessen Begründer Engelbert<br />
Dollfuß (1892-1934) habe Demokratie und Arbeiterbewegung<br />
zerschlagen und dadurch dem Nationalsozialismus, dem er selbst zum<br />
Opfer fiel, den Weg bereitet. Eine Verharmlosung oder gar Verklärung<br />
des Diktators Dollfuß, wie sie in manchen Kommentaren der letzten Zeit<br />
angeklungen ist, sei völlig unangebracht, sagte Hellmuth. Darüberhinaus<br />
gab es eine Reihe eindrucksvoller Berichte und Kurzreferate zu antirassistischer<br />
und antifaschistischer Arbeit. Boris Lechthaler stellte in diesem<br />
Rahmen das Positionspapier der <strong>Werkstatt</strong> <strong>Frieden</strong> & <strong>Solidarität</strong> „Das<br />
Verbotsgesetz anwenden - Rechte Politik stoppen!“ vor.<br />
Die TeilnehmerInnen des Treffens fassten auch inhaltliche Beschlüsse.<br />
So forderten sie eine konsequente Anwendung des NS-Verbotsgesetzes<br />
auf Neonazi-Gruppen wie den „Bund Freier Jugend“ (BFJ). Das Netzwerk<br />
verlangt außerdem die Erfüllung der oö. Asylquote, die derzeit um<br />
rund 1.000 Personen unterschritten wird. Es sei keinesfalls akzeptabel,<br />
wenn das Land seine Asylvereinbarung mit dem Innenministerium zu<br />
Lasten der Flüchtlinge ignoriere.<br />
setzungskompetenz.<br />
d) Unter dem Titel „ethnische<br />
Selbstbestimmung“ wird der Blutund<br />
Bodenideologie breiten Raum<br />
gegeben und die Souveränität der<br />
kleinen und mittleren Nationalstaaten<br />
untergraben.<br />
e) Die Souveränität Österreichs<br />
und damit ihre antifaschistischen<br />
Grundlagen, das Verbotsgesetz,<br />
werden systematisch zerstört.<br />
wirtschaftlich (Industrie, Medien,<br />
Finanzintermediäre)<br />
militärisch und polizeilich<br />
politisch über die Parteien<br />
Mit rechter Politik kann der Gefahr<br />
von Rechts nicht begegnet werden.<br />
Zu 2: Immer mehr Menschen<br />
werden in ihren sozialen und demokratischen<br />
Rechten beschnitten und<br />
entwürdigt. Sie finden kaum Rückhalt<br />
bei den großen politischen und<br />
gewerkschaftlichen Organisationen,<br />
weil diese vielfach in die herrschende<br />
Politik eingebunden sind. Wenn<br />
es nicht gelingt, Handlungsfähigkeit<br />
von unten gegen die zerstörerische<br />
Politik von oben herzustellen, werden<br />
viele empfänglich für chauvinistische<br />
Überheblichkeit und Ausgrenzung<br />
nach unten. Soweit Opposition<br />
entwickelt wird, ist diese oft<br />
Wasser auf den Mühlen der herrschenden<br />
rechten Politik:<br />
a) Für vieles wird eine naturwüchsige<br />
Globalisierung und das anonyme<br />
internationale Finanzkapital<br />
verantwortlich gemacht. Verschwiegen<br />
wird, dass die Verantwortlichen<br />
Namen und Adresse haben: die Eliten<br />
der großen nach Vorherrschaft<br />
strebenden Nationalstaaten und ihre<br />
großen Konzerne.<br />
VA-Tech<br />
b) Systematisch wird in der Antikriegsbewegung<br />
das Augenmerk<br />
ausschließlich auf die Politik des<br />
Konkurrenten USA gelenkt. Aufrüstung<br />
und Kriegspolitik der eigenen<br />
Eliten werden ausgeblendet.<br />
c) Die Realität Europas wird mit<br />
chauvinistischem Sendungsbewusstsein<br />
überhöht. Wieder soll am<br />
„europäischen Wesen die Welt genesen“!<br />
Diese Gemengelage öffnet<br />
rechtsextremen Kräften Tür und Tor.<br />
Ihre derzeitige Schwäche ist vielmehr<br />
ihrer eigenen momentanen<br />
Unfähigkeit geschuldet als der Stärke<br />
der demokratischen Kräfte. Antifaschismus<br />
darf sich nicht in sauberer<br />
Sprache und Haltungsbetulichkeit<br />
erschöpfen. Für Österreich heißt<br />
Antifaschismus die fortschrittlichen<br />
Grundlagen der II. Republik zu<br />
wahren und sie für das 21. Jahrhundert<br />
in Bewegung zu setzen.<br />
In diesem Sinne fordern wir:<br />
Aus dem Verbotsgesetz muss<br />
ein wirksames Instrument gegen<br />
politische Kräfte geschmiedet<br />
werden, die Demokratie und<br />
Rechtsstaatlichkeit zerstören und<br />
Österreich wieder an die Seite<br />
von Militarismus und Krieg<br />
führen wollen.<br />
Die sofortige Umsetzung der<br />
Forderungen des <strong>Frieden</strong>svolksbegehrens.<br />
Die Erhaltung der sozialen<br />
Standards und des öffentlichen<br />
Eigentums.<br />
Finanzspekulant verkauft VA-<br />
Tech-Anteile an Rüstungskonzern<br />
Der Ausverkauf der österreichischen Industrie ist der gerade Weg in<br />
die Fänge der Rüstungsindustrie. Das beweist einmal mehr der Verkauf<br />
der VA-Tech-Anteile an Siemens durch den Spekulanten Mirko Kovats.<br />
Siemens ist ein großer deutscher Rüstungskonzern (siehe den Beitrag<br />
in der guernica 4/2004), der sowohl an der EU-Aufrüstung als auch<br />
an der US-Militarisierung kräftig verdient. Gemeinsam mit dem französischen<br />
Konzern Framatome ist Siemens einer der weltweit größten<br />
AKW-Produzenten. Siemens hat bereits angekündigt, dass sie beim derzeitigen<br />
16 %-Anteil an der VA-Tech nicht stehen bleiben wollen, sondern<br />
die Übernahme anstreben.<br />
Mirko Kovats wird durch diesen Verkauf innerhalb eines Jahres um 100<br />
Millionen Euro reicher. Den Arbeitnehmern verkündet er dagegen, dass<br />
sie in Zukunft durch „ein Tal der Tränen gehen müssen“, weil ihr Lebensstandard<br />
zu hoch ist (OÖN, 6.11.2004). Der Zynismus der Reichen<br />
wird immer unerträglicher.<br />
Privatisierung, Sozialabbau und Aufrüstung sind verschiedene Seiten ein<br />
und derselben Politik. Wer sich mit der Selbstherrlichkeit von Finanzspekulanten,<br />
Rüstungsindustriellen und ihnen ergebenen Politikern nicht<br />
abfinden will, ist eingeladen, bei der <strong>Werkstatt</strong> <strong>Frieden</strong> & <strong>Solidarität</strong> mitzuarbeiten.<br />
Nächstes Plenum: Dienstag, 16. November 2004, 18 Uhr,<br />
Waltherstr. 15b, A-4020 <strong>Linz</strong>; Kontakt: Tel. (0732) 77 10 94, E-Mail<br />
friwe@servus.at, Internet: www.friwe.at