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Krieg und Frieden

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er behielt immer einen klaren Kopf. Kuragin <strong>und</strong> Dolochow waren zu jener<br />

Zeit zwei Berühmtheiten in den Kreisen der Taugenichtse <strong>und</strong> Zecher<br />

Petersburgs.<br />

Die Flasche Rum wurde gebracht. Zwei Diener versuchten, den<br />

Fensterrahmen herauszubrechen, der das Sitzen auf der äußeren Böschung des<br />

Fensters unmöglich machte; sie bemühten sich offenbar nach Kräften, waren<br />

aber durch die Ratschläge der um sie herumstehenden Herren <strong>und</strong> das<br />

Anschreien ganz konfus geworden.<br />

Anatol trat mit seiner Siegermiene zum Fenster. Er hatte die größte Lust,<br />

irgend etwas zu zerbrechen. Die Diener zurückstoßend, riß er an dem Rahmen;<br />

aber der Rahmen gab nicht nach. Anatol zerschmetterte eine Fensterscheibe.<br />

»Na, nun probier du mal, du Kraftmensch!« rief er Pierre zu. Dieser packte<br />

das Fensterkreuz <strong>und</strong> zog es mit solcher Gewalt an sich, daß der eichene<br />

Rahmen krachend teils zerbrach, teils sich loslöste.<br />

»Heraus mit dem ganzen Rahmen!« sagte Dolochow. »Sonst denkt<br />

womöglich einer, daß ich mich festhalte.«<br />

»Der Engländer prahlt, er werde gewinnen ... Nun? Alles in Ordnung?«<br />

sagte Anatol.<br />

»Alles in Ordnung!« antwortete Pierre <strong>und</strong> blickte Dolochow an, der, die<br />

Rumflasche in der Hand, zum Fenster schritt. Durch das Fenster sah man den<br />

hellen Himmel <strong>und</strong> wie Abendröte <strong>und</strong> Morgenröte an ihm ineinanderflossen.<br />

Dolochow sprang mit der Rumflasche in der Hand auf das Fensterbrett.<br />

»Aufgepaßt!« rief er, auf dem Fensterbrett stehend <strong>und</strong> sich nach dem<br />

Zimmer hinwendend. Alle wurden still. »Ich wette« (er sprach französisch,<br />

damit ihn der Engländer verstehen könnte, war aber dieser Sprache nicht recht<br />

mächtig), »ich wette auf fünfzig Imperials ... oder wünschen Sie auf h<strong>und</strong>ert?«<br />

fügte er, zu dem Engländer gewendet, hinzu.<br />

»Nein, auf fünfzig«, antwortete der Engländer.<br />

»Schön, auf fünfzig Imperials, daß ich eine ganze Flasche Rum, ohne sie<br />

vom M<strong>und</strong> abzusetzen, austrinken werde, <strong>und</strong> zwar indem ich außerhalb des<br />

Fensters, hier auf dieser Stelle« (er beugte sich nieder <strong>und</strong> zeigte auf den<br />

abschüssigen Mauervorsprung draußen vor dem Fenster) »sitzen werde, ohne<br />

mich an etwas festzuhalten ... Stimmt es?«<br />

»Jawohl, stimmt!« antwortete der Engländer.<br />

Anatol wandte sich zu dem Engländer <strong>und</strong> begann, indem er ihn an einem<br />

Frackknopf festhielt <strong>und</strong> von oben auf ihn heruntersah (der Engländer war von<br />

kleiner Statur), ihm auf englisch die Bedingungen der Wette zu wiederholen.<br />

»Warte mal!« rief Dolochow <strong>und</strong> klopfte mit der Flasche auf das Fenster,<br />

um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Warte mal, Kuragin! Hören Sie,<br />

meine Herren! Wenn einer von Ihnen dasselbe macht, so bezahle ich ihm<br />

h<strong>und</strong>ert Imperials. Verstanden?«<br />

Der Engländer nickte mit dem Kopf, ohne deutlich zu machen, ob er diese<br />

neue Wette anzunehmen gesonnen sei oder nicht. Anatol ließ den Engländer<br />

nicht los, <strong>und</strong> obwohl dieser durch Kopfnicken zu verstehen gab, daß er alles<br />

richtig erfaßt habe, übersetzte ihm Anatol Dolochows Worte ins Englische. Ein<br />

schmächtiger junger Mensch, Leibhusar, der an diesem Abend im Spiel sein<br />

ganzes Geld verloren hatte, stieg auf das Fensterbrett, bog sich hinaus <strong>und</strong>

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