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Diplomarbeit als pdf (2.3 MB) - Bleiberechtsbüro

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„Chancen nutzen - Aufenthalt sichern“ 1 ?<br />

- Ein Bleiberecht für langjährig geduldete Menschen -<br />

<strong>Diplomarbeit</strong> zur Erlangung des Grades einer<br />

Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin<br />

an der Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik „Alice Salomon“<br />

eingereicht im: Sommersemester 2007<br />

am: 23.10.2007<br />

von: Johanna Schührer 032150<br />

Projektseminar:<br />

Soziale Ungleichheit in einer globalisierten Welt.<br />

Soziale Arbeit und Menschenrechte<br />

Erstgutachterin:<br />

Zweitgutachterin:<br />

Nivedita Prasad<br />

Prof. Dr. Birgit Rommelspacher<br />

1 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2007, S. 1.


Ich bedanke mich bei den Interviewpartnern für das mir entgegen gebrachte<br />

Vertrauen und bei all denen, die mich beim Schreiben dieser<br />

Arbeit unterstützt haben.<br />

2


Erklärung<br />

Hiermit erkläre ich, dass ich die <strong>Diplomarbeit</strong> selbstständig verfasst und keine<br />

anderen <strong>als</strong> die angegebenen Hilfsmittel und Quellen benutzt habe. Ich bin damit<br />

einverstanden, dass meine <strong>Diplomarbeit</strong> in der Bibliothek bereitgestellt wird. Alle<br />

darüber hinausgehenden Rechte behalte ich mir vor. Zitate sind nur mit vollständigen<br />

bibliographischen Angaben und dem Vermerk „unveröffentlichtes Manuskript<br />

einer <strong>Diplomarbeit</strong>“ zulässig.<br />

Johanna Schührer Berlin, den 23.10.2007<br />

3


„Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende<br />

Gesinnung sein: Sie muß zur Anerkennung führen.<br />

Dulden heißt beleidigen.“<br />

(Goethe 1976, S. 162)<br />

4


Inhaltsverzeichnis<br />

Abkürzungsverzeichnis .........................................................................................7<br />

Vorwort...................................................................................................................9<br />

Einleitung................................................................................................................9<br />

I. Die Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006.....12<br />

I.1 Der begünstigte Personenkreis .....................................................................14<br />

I.2 Erteilungsvoraussetzungen ...........................................................................16<br />

I.3 Ausschlussgründe .........................................................................................20<br />

II. Die empirische Studie.....................................................................................21<br />

II.1 Methodik und praktische Vorgehensweise .................................................21<br />

II.1.1 Die Vorbereitung der Interviews..........................................................22<br />

II.1.2 Der Feldzugang ....................................................................................23<br />

II.1.3 Die Interviewdurchführung..................................................................24<br />

II.1.4 Die Interviewauswertung .....................................................................26<br />

II.2 Vorstellung der Interviewpartner und Interviewbewertung........................28<br />

II.2.1 Herr Schurda: „Das ist wie ein Teufelskreis“ ......................................28<br />

II.2.2 Herr Miçko: „Für uns Roma gibt’s nirgendwo Platz“ .........................29<br />

II.<strong>2.3</strong> Herr Diyar: „Und das geht immer hin und her“...................................30<br />

II.2.4 Herr Ahmed: „Also ich selber hatte Glück, nur“ .................................31<br />

II.2.5 Herr Ratnam: „Das war nicht gut, was sie mit mir gemacht haben“ ...32<br />

II.2.6 Herr Erol: „Die Freude ist nicht lange geblieben“ ...............................32<br />

II.2.7 Herr Koç: „Ganz schwierig alles“........................................................34<br />

II.2.8 Herr Jiyan: „Wenn man nicht stark ist, dann verliert man sich“..........35<br />

III. Die Inhaltsanalyse der Interviews anhand von rechtlichen und<br />

theoretischen Rahmenbedingungen und Hintergründen.................................36<br />

III.1 Anforderungen ...........................................................................................37<br />

III.1.1 Passpflicht...........................................................................................37<br />

III.1.1.1 Zusammenfassung und Bewertung..............................................43<br />

III.1.2 Soziale und wirtschaftliche Integration ..............................................44<br />

III.1.2.1 Sicherung des Lebensunterhaltes.................................................44<br />

III.1.2.1.1 Zugang zur Schulbildung......................................................46<br />

5


III.1.2.1.2 Ausbildung............................................................................50<br />

III.1.2.1.3 Arbeit: Arbeitsverbot und Vorrangprüfung ..........................54<br />

III.1.2.1.4 Die Bedeutung von Arbeit und Bildung für die Betroffenen58<br />

III.1.2.1.5 Zusammenfassung und Bewertung.......................................59<br />

III.1.2.2 Ausreichende Deutschkenntnisse ................................................60<br />

III.1.2.2.1 Zusammenfassung und Bewertung.......................................62<br />

III.1.<strong>2.3</strong> Ausreichender Wohnraum ...........................................................62<br />

III.1.<strong>2.3</strong>.1 Zusammenfassung und Bewertung.......................................68<br />

III.1.3 Soziale und wirtschaftliche Integration?.............................................68<br />

III.2 Ausschlussgründe ......................................................................................69<br />

III.2.1 Straftaten.............................................................................................69<br />

III.2.1.1 Ausländerrechtliche Straftaten.....................................................70<br />

III.2.1.1.1 Verstoß gegen die Residenzpflicht .......................................70<br />

III.2.1.1.2 Aufenthalt in der BRD ohne Papiere ....................................72<br />

III.2.1.2 Armut <strong>als</strong> Ursache von Straftaten................................................73<br />

III.2.1.2.1 Sozialleistungen nach dem AsylbLG....................................73<br />

III.2.1.2.2 Fahren ohne Fahrschein ........................................................76<br />

III.2.1.<strong>2.3</strong> Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis ............................................77<br />

III.2.1.3 Sonstige Straftaten .......................................................................78<br />

III.2.1.4 Zusammenfassung und Bewertung..............................................78<br />

III.2.2 Täuschung...........................................................................................79<br />

III.2.2.1 Zusammenfassung und Bewertung..............................................80<br />

III.3 Umsetzung der Bleiberechtsregelung durch die Ausländerbehörde..........81<br />

III.3.1 Zusammenfassung und Bewertung.....................................................84<br />

IV. „Chancen nutzen – Aufenthalt sichern“? ...................................................85<br />

V. Ausblick ...........................................................................................................88<br />

V.1 Politische Forderungen ...............................................................................88<br />

V.2 Konsequenzen für die Soziale Arbeit .........................................................89<br />

Quellenangaben....................................................................................................92<br />

Anhang..................................................................................................................98<br />

6


Abkürzungsverzeichnis<br />

ABH<br />

Ausländerbehörde<br />

AE<br />

Aufenthaltserlaubnis<br />

ALG II<br />

Arbeitslosengeld II<br />

ÄndG<br />

Änderungsgesetz<br />

Art.<br />

Artikel<br />

AsylbLG<br />

Asylbewerberleistungsgesetz<br />

AsylVfG<br />

Asylverfahrensgesetz<br />

AufenthG<br />

Aufenthaltsgesetz<br />

AufenthV<br />

Aufenthaltsverordnung<br />

AuslG<br />

Ausländergesetz (wurde 2005 durch<br />

das AufenthG ersetzt)<br />

BAMF<br />

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

BeschVerfV<br />

Beschäftigungsverfahrensverordnung<br />

BRD<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

bzw.<br />

beziehungsweise<br />

ebd.<br />

ebenda<br />

ehem.<br />

ehemalig<br />

EU<br />

Europäische Union<br />

GERR<br />

Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen<br />

GG<br />

Grundgesetz<br />

GÜB<br />

Grenzübertrittsbescheinigung<br />

ILO<br />

Internationale Arbeitsorganisation<br />

IMK<br />

Innenministerkonferenz<br />

LU<br />

Lebensunterhalt<br />

o. A. ohne Angabe<br />

o. S. ohne Seitenangabe<br />

OWiG<br />

Ordnungswidrigkeitengesetz<br />

S. Seite<br />

7


SchlG<br />

Schulgesetz<br />

SGB<br />

Sozialgesetzbuch<br />

StAG<br />

Staatsangehörigkeitsgesetz<br />

u. a. und andere/unter anderem<br />

usw.<br />

und so weiter<br />

VAB<br />

Vorläufige Anwendungshinweise der<br />

Ausländerbehörde Berlin<br />

vgl.<br />

vergleiche<br />

z. B. zum Beispiel<br />

ZuwG<br />

Zuwanderungsgesetz<br />

8


Vorwort<br />

In meinem Halbjahrespraktikum, das ich im Rahmen meines Studiums in einer<br />

Einrichtung für junge Migrant_innen absolvierte, kündigte sich eine junge Frau<br />

für ein Beratungsgespräch an. Sie war im Besitz einer Duldung und wollte sich<br />

über Ausbildungsmöglichkeiten in einem bestimmten Berufsfeld informieren. Im<br />

Vorfeld recherchierte ich über dieses Themengebiet und setzte mich mit verschiedenen<br />

anderen Beratungsstellen in Verbindung. Es stellte sich heraus, dass lediglich<br />

die Möglichkeit einer schulischen Ausbildung gegeben war. Denn der Zugang<br />

zu betrieblichen Ausbildungen für Menschen mit Duldung wird durch gesetzliche<br />

Bestimmungen verwehrt. Leider gab es in Berlin keine schulischen Ausbildungen,<br />

die im Interessengebiet dieser jungen Frau lagen. So waren mir letztendlich die<br />

Hände gebunden und ich konnte ihr im Beratungsgespräch nicht weiterhelfen, was<br />

ich <strong>als</strong> sehr frustrierend empfand.<br />

Dies ist nur eine von vielen Begebenheiten, bei denen ich erlebte, mit welchen<br />

Widrigkeiten Personen mit Duldung im Alltag konfrontiert sind. Ende 2006<br />

wurde schließlich eine Bleiberechtsregelung für Menschen, wie die Rat suchende<br />

Frau, beschlossen. Aus dem Bedürfnis heraus zu sehen, inwiefern sich dadurch<br />

die Situation für diese Personen verbessert, entstand die Idee, diese Regelung im<br />

Rahmen meiner <strong>Diplomarbeit</strong> näher zu untersuchen.<br />

Einleitung<br />

In der Bundesrepublik Deutschland (BRD) leben rund 189.000 Menschen mit unsicherem<br />

Aufenthalt. Aufgrund der bestehenden Ausreisepflicht wird das Aufenthaltsrecht<br />

dieser Personen, das über die Aufenthaltsgestattung, die Duldung, die<br />

Grenzübertrittbescheinigung oder ähnlichen Papieren dokumentiert wird, <strong>als</strong> vorübergehend<br />

betrachtet (vgl. Deutscher Bundestag. 16. Wahlperiode 2006, S. 7). 2<br />

Aus verschiedenen Hinderungsgründen, auf die ich im weiteren Verlauf eingehen<br />

werde, ist die Durchführung einer Abschiebung dennoch nicht möglich. Tatsächlich<br />

leben mehr <strong>als</strong> die Hälfte dieser Menschen seit über sechs Jahren in der<br />

2 In dieser Arbeit werden Menschen, die seit vielen Jahren mit den genannten Bescheinigungen in<br />

Deutschland leben, <strong>als</strong> langjährig geduldete Menschen bezeichnet.<br />

9


Bundesrepublik (vgl. ebd.). „Die größte Gruppe langjährig Geduldeter stammt aus<br />

dem ehemaligen Jugoslawien, die zweitgrößte aus der Türkei“ (Bundesministerium<br />

des Innern 2007, S. 2). Viele Menschen aus der Gruppe der langjährig Geduldeten<br />

sind vor Bürgerkriegen oder anderen innerstaatlichen Konflikten nach<br />

Deutschland geflohen und stellten in der Bundesrepublik vergeblich einen Asylantrag<br />

(vgl. Burkhardt 2006, S. 4). Ihr Aufenthalt ist mit erheblichen gesetzlichen<br />

Einschränkungen verbunden, die das gesamte Leben dieser Menschen negativ<br />

beeinflussen. Auch die kurzfristige Ausstellung der Aufenthaltsdokumente verhindert<br />

häufig die Entwicklung einer tragfähigen oder dauerhaften Lebensperspektive.<br />

In der Vergangenheit gab es verschiedene einmalige Regelungen, die langjährig<br />

geduldeten Menschen einen rechtmäßigen Aufenthalt erteilten. Die so genannten<br />

Altfall- oder Bleiberechtsregelungen waren an eine Vielzahl von Bedingungen<br />

geknüpft, so dass nur einer geringen Anzahl der Antragsteller_innen ein<br />

dauerhafter Aufenthalt gewährt wurde (vgl. König 2002, o. S.). Manche anderen<br />

Regelungen betrafen nur einen kleinen Personenkreis innerhalb der Gruppe der<br />

langjährig geduldeten Menschen, wie die Berliner Weisung für die Erteilung einer<br />

Aufenthaltserlaubnis (AE) im Jahr 2005 für traumatisierte Menschen aus Bosnien<br />

und Menschen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit palästinensischer Zugehörigkeit<br />

aus dem Libanon (vgl. Senatsverwaltung für Inneres 2005, S. 1f.). Ebenfalls<br />

sollte im gleichen Jahr eine Gesetzesregelung im dam<strong>als</strong> neuen Zuwanderungsgesetz<br />

(ZuwG) die so genannten Kettenduldungen abschaffen. Über diese „Soll“-<br />

Bestimmung des § 25 (5) im Aufenthaltsgesetz (AufenthG) erhielten jedoch nur<br />

sehr wenige Betroffene eine AE (vgl. Burkhardt 2006, S. 4). Gleichzeitig wurde<br />

die Möglichkeit der Einrichtung einer Härtefallkommission durch die Landesregierung<br />

im § 23 AufenthG gesetzlich geregelt. Die Mitglieder dieser Kommission<br />

können sich dafür aussprechen, dass ein „Ausländer“ 3 aus dringenden humanitären<br />

oder persönlichen Gründen einen gesicherten Aufenthalt bekommt.<br />

In der Praxis zeigte sich, dass alle diese Regelungen die Situation der<br />

3 Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff „Ausländer“ in Bezug auf gesetzliche Regelungen<br />

verwendet. Ansonsten wird er vermieden, da dieses Wort Menschen auf das Fehlen einer Staatsbürgerschaft<br />

reduziert und verleugnet, dass viele dieser Menschen längst „Inländer“ sind.<br />

10


langjährig geduldeten Menschen nur geringfügig veränderten und keine umfassende<br />

Lösung für die Verbesserung ihrer Situation boten. Deshalb beschlossen im<br />

November 2006 die Innenminister_innen der Bundesländer nach vielen Bemühungen<br />

von Flüchtlingsorganisationen und den Betroffenen selbst eine neue Bleiberechtsregelung<br />

für langjährig geduldete Menschen (vgl. Burkhardt 2007, S. 4).<br />

Abgelöst wird diese Regelung später von einer gesetzlichen. So formuliert Marx<br />

treffend: „Der Beschluss selbst versteht sich lediglich <strong>als</strong> Zwischenstation auf<br />

dem Weg zu einer umfassenden gesetzgeberischen Lösung" (Marx 2007, S. 1). 4<br />

Die Erteilung einer AE nach der auf der Innenministerkonferenz (IMK)<br />

beschlossenen Regelung ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. In meiner<br />

Arbeit möchte ich folgender Fragestellung nachgehen:<br />

Inwiefern eröffnet die Bleiberechtsregelung eine echte Chance auf Aufenthalt<br />

für langjährig geduldete Menschen in Deutschland?<br />

Besonders werde ich dabei auf die bisherigen rechtlichen Rahmenbedingungen für<br />

das Leben langjährig geduldeter Menschen eingehen und untersuchen, welche<br />

Widersprüche zwischen den Anforderungen der Bleiberechtsregelung und den<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen bestehen. Die Aktualität dieses Themas erforderte<br />

die Notwendigkeit des empirischen Arbeitens. Ich wählte für die Untersuchung<br />

eine qualitative Methode, um die subjektiven Sichtweisen der Befragten einzufangen,<br />

denn „viel zu selten kommen die Betroffenen selbst zu Wort“ (Burkhardt<br />

2007, S. 4). Ebenfalls der Aktualität geschuldet ist das Aufführen vieler Internetquellen.<br />

Denn die Veröffentlichung themenspezifischer Literatur außerhalb des<br />

Internets erfolgte bisher kaum.<br />

Im ersten Teil meiner Arbeit werde ich die IMK-Regelung vorstellen. Dabei<br />

werde ich den begünstigten Personenkreis beschreiben und die in Frage kommenden<br />

Arten des Aufenthaltsstatus definieren. Der Inhalt der Bleiberechtsregelung<br />

wird getrennt nach Erteilungsvoraussetzungen und Ausschlussgründen dargestellt.<br />

4 Am 28. August 2007 wurde die bei der IMK beschlossene Bleiberechtsregelung im § 104 a AufenthG<br />

gesetzlich verankert mit der Maßgabe, dass Begünstigte sofort eine Aufenthaltserlaubnis<br />

erhalten sollen und sich bis 2009 eine Beschäftigung suchen müssen. Diese gesetzliche Regelung<br />

ist ebenfalls einmalig: Der Einreisestichtag ist der 01.07.1999 für Einzelpersonen bzw. 01.07.2001<br />

für Familien mit Kindern.<br />

11


Als nächstes werde ich im 2. Kapitel die empirische Studie präsentieren.<br />

Der erste Teil des Kapitels soll die angewendete Methodik offen legen und die<br />

Untersuchung nachvollziehbar machen. Im zweiten Teil werden die Interviewpartner<br />

vorgestellt und die Interviews bewertet.<br />

Die Inhaltsanalyse der Interviews erfolgt im 3. Kapitel anhand von rechtlichen<br />

und theoretischen Hintergründen und Rahmenbedingungen. Dafür werden in<br />

jedem Punkt die themenrelevanten Faktoren näher erläutert. Der Schwerpunkt<br />

liegt hierbei bei den bisherigen gesetzlichen Bestimmungen für langjährig geduldete<br />

Menschen, da diese vermutlich einen großen Einfluss auf die Erfüllbarkeit<br />

der Anforderungen in der Bleiberechtsregelung haben. Dieses Kapitel ist der<br />

Übersicht halber in die Punkte „Anforderungen“, „Ausschlussgründe“ und „Umsetzung<br />

der Bleiberechtregelung durch die Ausländerbehörde“ gegliedert. Jeder<br />

Unterpunkt innerhalb des Kapitels wird zusammengefasst und auf die Fragestellung<br />

der Arbeit hin ausgewertet.<br />

Die Ergebnisse der Untersuchung werden schließlich im Kapitel „Chancen<br />

nutzen – Aufenthalt sichern“? dargestellt. Dabei wird die Fragestellung der Arbeit<br />

anhand von Schlussfolgerungen, die sich aus der Inhaltsanalyse ergeben, beantwortet.<br />

Zum Abschluss werden im letzten Kapitel politische Forderungen erhoben<br />

und Konsequenzen für die Soziale Arbeit formuliert.<br />

I. Die Bleiberechtsregelung der Innenministerkonferenz<br />

vom 17.11.2006 5<br />

Am 17.11.2006 einigten sich die Innenminister_innen der Bundesländer auf eine<br />

Regelung, die "wirtschaftlich und sozial integrierten ausreisepflichtigen ausländischen<br />

Staatsangehörige“ einen rechtmäßigen Aufenthalt ermöglichen soll (Senatsverwaltung<br />

für Inneres und Sport (Hrsg.) 2006, o. S.). Die Grundlage für diese<br />

Entscheidungsmöglichkeit bildet der § 23 (1) im Aufenthaltgesetz (AufenthG).<br />

Dort heißt es: „Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären<br />

Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik<br />

5 Die rechtliche Grundlage dieses Kapitels ist die Berliner Weisung der Bleiberechtsregelung (vgl.<br />

Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten. Ausländerbehörde Berlin (Hrsg.) 2007,<br />

S. 85 - 96). Alle zusätzlichen Quellen werden ausdrücklich genannt.<br />

12


Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger<br />

Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird.“<br />

Der IMK-Beschluss ist eine politische Entscheidung der Länderinnenminister_innen<br />

im Einvernehmen mit dem Bundesinnenminister. Eine Entscheidung<br />

wird nach folgendem Prinzip getroffen: „Die Innenministerkonferenz fasst ihre<br />

Beschlüsse einstimmig. Ein Beschluss kommt somit nur dann zustande, wenn alle<br />

Mitglieder einen Beschlussvorschlag inhaltlich mittragen und kein Mitglied dagegen<br />

stimmt" (ebd. 2007, o. S.). Aufgrund des föderalistischen Prinzips weicht die<br />

(praktische) Ausführung des Beschlusses in den einzelnen Bundesländern teilweise<br />

sehr voneinander ab. In meiner Arbeit werde ich mich deshalb speziell auf die<br />

Berliner Weisung der Bleiberechtsregelung beziehen.<br />

Ursprünglich musste das Bleiberecht laut IMK-Beschluss bis zum<br />

01.10.2007 bei der Ausländerbehörde (ABH) beantragt werden, um unter die Regelung<br />

zu fallen. Die Berliner ABH hat nun in ihrer rechtlichen Auslegung die<br />

Antragsfrist nachträglich um fast vier Monate auf den 18.05.2007 gekürzt, ohne<br />

diese Entscheidung den Beratungsstellen mitzuteilen. Folglich wurde das ursprüngliche<br />

Fristdatum bis zum April 2007 von diversen Beratungsstellen, wie<br />

z. B. vom Berliner Flüchtlingsrat, in ihrer Beratung weitergegeben (vgl. Flüchtlingsrat<br />

Berlin e.V. 2007, S. 1).<br />

In der Regel wird die AE für zwei Jahre für diejenigen erteilt, die alle Voraussetzungen<br />

erfüllen und bei denen keine Ausschlussgründe vorhanden sind.<br />

„Wenn die Ausländerbehörde Zweifel an der erreichten ‚Integration’ hat (mangelnde<br />

Deutschkenntnisse, unsicherer Arbeitsplatz), ist eine kürzere Frist möglich“<br />

(vgl. Classen 2007 a, S. 6). Mit Personen, die eine AE erhalten, schließt die<br />

Berliner ABH eine so genannte Integrationsvereinbarung ab, die unter anderem<br />

die Verpflichtung zum Erwerb von Deutschkenntnissen regelt (vgl. Flüchtlingsrat<br />

Berlin e.V. 2007, S. 5). Eine AE nach der IMK-Regelung ermöglicht den Familiennachzug.<br />

Verschiedene Auflagen, wie die Residenzpflicht 6 , die Menschen mit<br />

Duldung erteilt werden, gelten mit AE nicht mehr. Wenn die Voraussetzungen<br />

schließlich nach zwei Jahren weiterhin vorhanden sind, wird die AE verlängert.<br />

6 Zur Residenzpflicht siehe unter III.2.1.1.1.<br />

13


Bis zum Juli 2007 wurden in der BRD 66.624 Anträge auf Erteilung einer<br />

AE nach der IMK-Regelung gestellt. Die Bewilligungsquote liegt bei 15,2%. In<br />

Berlin wurden 3.086 Anträge gestellt, davon bewilligt wurden 330 Anträge. Damit<br />

ist die Berliner Bewilligungsquote mit 10,7% geringer <strong>als</strong> die Durchschnittsquote<br />

(vgl. <strong>Bleiberechtsbüro</strong> im Bayerischen Flüchtlingsrat e.V. 2007, o. S.).<br />

I.1 Der begünstigte Personenkreis<br />

Einen Antrag auf Erteilung einer AE gemäß der IMK-Regelung können Personen<br />

stellen, die seit vielen Jahren ununterbrochen mit einer Aufenthaltsgestattung, mit<br />

einer Duldung oder mit einer Grenzübertrittsbescheinigung oder ähnlichen Bescheinigungen<br />

in der BRD leben. Die Inhaber_innen dieser Dokumente haben<br />

Folgendes gemeinsam: sie sind entweder ausreisepflichtig oder von der Ausreisepflicht<br />

bedroht.<br />

Ein möglicher früherer Aufenthalt zu einem anderen Zweck, wie beispielsweise<br />

ein Aufenthalt über ein Studium oder über eine Eheschließung steht<br />

der Anwendung dieser Regelung entgegen. Dabei wird die ganze Familie von der<br />

Bleiberechtsregelung ausgeschlossen, auch wenn nur ein Familienmitglied einen<br />

solchen Aufenthalt besaß. Eine Ausnahme stellt der zwischenzeitliche Besitz eines<br />

Aufenthaltstitels aus „völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen“<br />

(5. Abschnitt des Kapitels 2 des AufenthG) dar, wenn am 17.11.2006 eine<br />

Ausreisepflicht (aller Familienangehörigen) bestand.<br />

Aufenthaltsstatus<br />

Es kann in diesem Kontext zwischen drei Formen des Aufenthaltsstatus <strong>als</strong> Voraussetzung<br />

zur Bleiberechtsbegünstigung unterschieden werden. Die Duldung ist<br />

gemäß § 60a AufenthG eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung.<br />

Sie ist kein rechtmäßiger Aufenthalt; der „Aufenthalt“ wird lediglich hingenommen,<br />

weil die Abschiebung aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht<br />

durchgesetzt werden kann. Rechtlich unmöglich kann eine Abschiebung sein,<br />

wenn beispielsweise der Schutz der Ehe und Familie Priorität hat (Art. 6 GG), ein<br />

Petitionsverfahren läuft oder Abschiebungsverbote nach § 72 (4) oder § 60 (1)–(7)<br />

AufenthG vorliegen. Die tatsächliche Unmöglichkeit der Abschiebung besteht<br />

14


zum Beispiel beim Fehlen eines geeigneten Reisedokuments, bei Staatenlosigkeit<br />

oder bei fehlender Transportmöglichkeit oder Übernahmebereitschaft des Herkunftsstaates<br />

(vgl. Schührer u.a. 2007, S. 19). Die Duldung ist maximal auf sechs<br />

Monate befristet. Nach sechs Monaten kann sie aber verlängert werden, wenn die<br />

Abschiebungshindernisse immer noch bestehen. „Geduldete Ausländer befinden<br />

sich folglich in einem Schwebezustand zwischen erlaubtem und illegalem Aufenthalt.<br />

Einerseits erhält diese Gruppe kein Recht zum weiteren Aufenthalt in<br />

Deutschland, andererseits wird ihre Ausreiseverpflichtung nicht zwangsweise<br />

durchgesetzt, denn die Abschiebung ist ausgesetzt. Ihre Situation lässt sich kennzeichnen<br />

<strong>als</strong> ein Zwischenstadium des unrechtmäßigen, nicht sanktionierten Aufenthalts“<br />

(Riecken 2006, S. 15).<br />

Häufig wird anstatt der Duldung eine Grenzübertrittsbescheinigung<br />

(GÜB) oder eine ähnliche Bescheinigung von der ABH ausgegeben. Auf der GÜB<br />

wird ein Termin festgelegt, zu welchem der Ausgewiesene spätestens „freiwillig“<br />

ausgereist sein muss (vgl. §50 AufenthG und Classen 2005, S. 20).<br />

Die Aufenthaltsgestattung schließlich ist eine Bescheinigung, die Personen<br />

erhalten, die einen Asylantrag gestellt haben und sich im Asylverfahren befinden<br />

(vgl. § 55 AsylVfG). Mit dem Abschluss des Asylverfahrens, erlischt die<br />

Aufenthaltsgestattung (vgl. Leidt/Skerutsch 2005, S. 52 ff.). Um gemäß der IMK-<br />

Regelung eine AE beantragen zu können, müssen asylsuchende Menschen ihren<br />

Asylantrag, ihre Asylklage bzw. die Klage gegen den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung<br />

zurückziehen.<br />

Aufenthaltsdauer<br />

Einen wesentlichen Faktor stellt die Aufenthaltsdauer dar. Der IMK-Beschluss ist<br />

eine Stichtagsregelung. Das heißt, nur diejenigen werden begünstigt, die die entsprechende<br />

Aufenthaltsdauer erfüllen.<br />

Der 17.11.2000 <strong>als</strong> Einreisestichtag gilt für Familien, die am 17.11.2006<br />

mit mindestens einem minderjährigen ledigen Kind in familiärer Lebensgemeinschaft<br />

lebten, welches das zweite Lebensjahr vollendet hat, und von denen sich<br />

mindestens ein Familienmitglied seit dem 17.11.2000 im Bundesgebiet aufgehalten<br />

hat. Unbegleitete, bei der Einreise minderjährige Flüchtlinge betrifft die<br />

15


Aufenthaltszeit von mindestens 6 Jahren ebenfalls.<br />

Der 17.11.1998 <strong>als</strong> Einreisestichtag erstreckt sich auf Einzelpersonen,<br />

Ehepaare und Alleinerziehende, die entweder keine minderjährigen Kinder haben<br />

oder minderjährige Kinder, die am 17.11.2006 noch keine 2 Jahre alt waren.<br />

Keinen Einreisestichtag müssen in der Berliner Weisung volljährige unverheiratete<br />

Kinder nachweisen, die <strong>als</strong> Minderjährige zu ihren Eltern eingereist<br />

sind. Dies gilt nur, wenn gewährleistet erscheint, dass sie sich aufgrund ihrer bisherigen<br />

Ausbildung und Lebensverhältnisse im Sinne der Innenminister_innen<br />

dauerhaft integrieren werden.<br />

I.2 Erteilungsvoraussetzungen<br />

Langjährig geduldete Menschen müssen, um von der Bleiberechtsregelung begünstigt<br />

zu werden, verschiedene Erteilungsvoraussetzungen wie die Passpflicht,<br />

die Sicherung des Lebensunterhaltes (LU), ausreichende Deutschkenntnisse und<br />

ausreichenden Wohnraum erfüllen. Diese Faktoren werden mit Ausnahme der<br />

Passpflicht auch <strong>als</strong> Integrationsvoraussetzungen bezeichnet.<br />

Passpflicht<br />

In der Regel muss ein gültiger Reisepass vorgelegt werden. Ausnahmen treten<br />

auf, wenn sich die Botschaft weigert einen Pass auszustellen oder ein Pass nicht in<br />

zumutbarer Weise erlangt werden kann (vgl. § 55 AufenthV). Zumutbar sind beispielsweise<br />

wiederholte Vorsprachen bei verschiedenen Botschaften.<br />

Für Personen, die sonst alle anderen Voraussetzungen erfüllen, kann die<br />

Berliner ABH eine so genannte Zusicherung ausstellen. Diese bescheinigt der<br />

Botschaft, dass die betreffende Person bei der Vorlage eines Passes eine AE erhalten<br />

wird. Wenn der/die Betroffene nachgewiesen hat, dass er/sie einen Antrag auf<br />

Ausstellung oder Verlängerung eines Passes gestellt hat, kann ihm eine AE für<br />

sechs Monate auf einem Ersatzausweis ausgestellt werden. Dies soll den Betroffenen<br />

eine rasche Arbeitsaufnahme ermöglichen, während die zeitintensive Passbeschaffung<br />

weiter ausgeführt wird.<br />

16


Sicherung des Lebensunterhaltes (LU)<br />

Die Sicherung des LU der Familie oder der Einzelperson durch eigene Arbeit oder<br />

zumindest die Vorlage eines Arbeitsangebotes sowie die Nichtinanspruchnahme<br />

von Sozialleistungen sind zentrale Voraussetzungen für die Erteilung einer AE<br />

nach der Bleiberechtsregelung. Eine selbstständige Tätigkeit reicht für die Ersterteilung<br />

nicht aus. Erst bei der Verlängerung der zweijährigen AE wird sie <strong>als</strong><br />

Nachweis anerkannt. Mehrere Beschäftigungsverhältnisse sind jedoch kombinierbar<br />

und gelten <strong>als</strong> Bescheinigung der Sicherung des LU (vgl. Classen 2007 a,<br />

S. 2).<br />

„Lebensunterhaltssicherung bedeutet, dass das erzielte eigene Einkommen<br />

(netto) die Summe des Geldbetrages aus Miete inklusive Heizung und der Regelsätze<br />

für das Arbeitslosengeld II für die Familienangehörigen erreichen sollte“<br />

(ebd.). Ein Ehepaar ohne Kinder beispielsweise, das 390 € für die Miete und 80 €<br />

für die Heizkosten bezahlen muss, benötigt mindestens folgendes Nettoeinkommen:<br />

Regelsätze (Arbeitslosengeld II (ALG II)) 311 € + 311 € + Miete warm 470<br />

€ = 1092 €. Im Gegensatz zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz<br />

(AsylbLG), der Sozialhilfe und des ALG II zählen staatliche Leistungen wie Kinder-,<br />

Erziehungs- und Elterngeld <strong>als</strong> eigenes Einkommen (vgl. ebd.).<br />

Ausnahmen, bei denen auch ohne (ausreichenden) Arbeitsplatz eine AE erteilt<br />

wird, stellen folgende Personengruppen dar:<br />

− Auszubildende in betrieblichen oder schulischen Ausbildungen in anerkannten<br />

Lehrberufen und Schüler an allgemein bildenden Schulen dürfen<br />

zur Sicherung des LU staatliche Leistungen beziehen.<br />

− Studierende, die mit Erlaubnis der ABH ein Studium an einer staatlichen<br />

oder staatlich anerkannten Hochschule oder an einer vergleichbaren Ausbildungseinrichtung<br />

bereits begonnen haben, müssen das Studium nicht<br />

abbrechen. Sie dürfen aber keine staatlichen Leistungen beziehen.<br />

− Familien mit Kindern dürfen vorübergehend ergänzende Sozialleistungen<br />

(ergänzendes ALG II oder „Kinderzuschlag“) beziehen, bis die Kinder<br />

volljährig sind. Der Unterhaltsbedarf der Eltern muss jedoch durch Arbeit<br />

gesichert sein.<br />

17


− Alleinerziehende mit Kindern dürfen vorübergehend auf Sozialleistungen<br />

angewiesen sein, wenn ihnen die Arbeitsaufnahme nicht zumutbar ist, weil<br />

beispielsweise das Kind das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet hat<br />

(vgl. § 10 (1) Nr. 3 SGB II).<br />

− Erwerbsunfähige (nicht arbeitsfähige, kranke und behinderte) Menschen<br />

müssen gewährleisten können, dass ihr LU einschließlich einer erforderlichen<br />

Betreuung und Pflege ohne Leistungen der öffentlichen Hand dauerhaft<br />

gesichert ist. Leistungen, die auf Beitragszahlungen beruhen, dürfen<br />

bezogen werden. Dies kommt jedoch äußerst selten vor, da es den meisten<br />

langjährig geduldeten Menschen faktisch unmöglich war zu arbeiten. 7<br />

− Personen, die am 17.11.2006 das 65. Lebensjahr vollendet und in ihrem<br />

Herkunftsland keine Familie, dafür aber im Bundesgebiet Angehörige<br />

(Kinder, Enkel) mit dauerhaftem Aufenthalt bzw. deutscher Staatsangehörigkeit<br />

haben, müssen gewährleisten können, dass für sie keine Sozialleistungen<br />

in Anspruch genommen werden. Auch die Krankheitskosten müssen<br />

von den Familienangehörigen getragen werden.<br />

Gemäß § 68 AufenthG wird in den beiden letzten Ausnahmefällen eine so genannte<br />

Verpflichtungserklärung über das Aufkommen für alle Unterhaltskosten<br />

gefordert (vgl. ebd, S. 4).<br />

Personen, die sämtliche Voraussetzungen mit Ausnahme der eigenständigen Sicherung<br />

des LU erfüllen, erhalten bis zum 1.10.07 eine vorläufige Duldung, um<br />

ihnen bis zu diesem Zeitpunkt die Ausbildungs- oder Arbeitsplatzsuche zu ermöglichen.<br />

8 Die ABH händigt den Betroffenen eine Bescheinigung zur Erleichterung<br />

der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche aus, wonach die Erteilung einer AE bei<br />

Vorlage eines Arbeitsplatzangebotes in Betracht gezogen wird. Diese Bescheinigung<br />

enthält die Erlaubnis zum vorübergehenden Verlassen des Landes Berlin. 9<br />

Das Arbeitsplatzangebot muss schließlich bis zum 1.10.07 bei der ABH vorliegen<br />

7 Siehe dazu unter „III.1.2.1.3 Arbeit: Arbeitsverbot und Vorrangprüfung“.<br />

8 Die ABH und die Arbeitsagentur führen die sonst für diesen Personenkreis übliche Arbeitsmarktprüfung<br />

nicht durch. Das bedeutet, dass hier nicht geprüft wird, ob dem/der potentiellen<br />

Arbeitgeber_in ein/eine bevorrechtigte_r Arbeitnehmer_in vermittelt werden kann; zur Vorrangprüfung<br />

siehe unter III.1.2.1.3.<br />

9 Der Aufenthalt geduldeter und gestatteter Menschen ist ansonsten räumlich beschränkt; zur Residenzpflicht<br />

siehe unter III.2.1.1.1.<br />

18


(vgl. ebd, S. 3).<br />

Schule und Kindergarten<br />

Der tatsächliche Schulbesuch von schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen und<br />

der Kindergartenbesuch bei Kindern ab 2 Jahren ist ebenfalls eine Bedingung, um<br />

eine AE zu erhalten.<br />

Ausreichende Deutschkenntnisse<br />

Außerdem werden hinreichende mündliche Deutschkenntnisse aller Familienmitglieder<br />

verlangt. Gemäß der Stufe A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens<br />

(GERR) wird von den Antragsteller_innen in Berlin gefordert, in einfachen<br />

Sätzen über vertraute Themen sprechen zu können, ohne jedoch ein Gespräch<br />

in Gang halten zu müssen. Ausnahmen bilden hier Menschen, die diese<br />

Anforderung aufgrund einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit<br />

oder Behinderung nicht erfüllen können. Die Deutschkenntnisse werden bei einem<br />

Gespräch auf der ABH geprüft. Sind die Deutschkenntnisse nicht ausreichend,<br />

werden die Betroffenen durch die so genannte Integrationsvereinbarung 10 dazu<br />

verpflichtet, an einem Deutschkurs teilzunehmen (Flüchtlingsrat Berlin e.V. 2007,<br />

S. 8).<br />

Ausreichender Wohnraum<br />

Eine weitere Erteilungsvoraussetzung ist der ausreichende Wohnraum. Die Gesamtfläche<br />

muss 9 m² pro Erwachsener und 6 m² pro Kind unter sechs Jahren betragen<br />

(vgl. Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten. Ausländerbehörde<br />

Berlin 2007, S. 27).<br />

10 Integrationsvereinbarung: siehe Anhang.<br />

19


I.3 Ausschlussgründe<br />

Wenn ein Familienmitglied einen der nachfolgenden Ausschlussgründe erfüllt,<br />

kann ein Ausschluss der gesamten Familie erfolgen. 11 Kinder, die das 15. Lebensjahr<br />

vollendet haben, die seit acht Jahren in Deutschland leben und deren Betreuung<br />

und Lebensunterhalt gesichert ist, können einen eigenständigen Antrag auf<br />

Bleiberecht stellen, wenn die Eltern ihrer Ausreisepflicht nachgekommen sind.<br />

Falls ein Kind oder mehrere minderjährige Kinder aufgrund einer Straffälligkeit<br />

von der Regelung ausgeschlossen wurden, kann den Eltern und den nicht straffälligen<br />

Kindern eine AE erteilt werden, wenn die Betreuung des straffälligen Kindes<br />

im Herkunftsland gewährleistet und es seiner Ausreisepflicht nachgekommen<br />

ist. Die beiden nachfolgenden Ausschlussgründe kommen nicht zum Tragen,<br />

wenn die Tatbestände vor dem Einreisestichtag der ABH bekannt waren.<br />

Vorsätzliche Täuschung der Ausländerbehörde über aufenthaltsrechtlich<br />

relevante Umstände<br />

Ausgeschlossen von der Regelung sind Personen, die die ABH vorsätzlich über<br />

aufenthaltsrelevante Umstände wie ihre Identität oder Herkunft getäuscht haben.<br />

Vorsätzliches Hinauszögern oder Verhindern der Abschiebung<br />

Des Weiteren werden Personen ausgeschlossen, die behördliche Maßnahmen vorsätzlich<br />

hinausgezögert oder behindert haben. Dies ist beispielsweise der Fall,<br />

wenn sich der/die Betroffene beharrlich geweigert hat, bei der Botschaft ein Reisedokument<br />

zu beantragen, wenn er/sie relevante Urkunden vernichtet hat oder<br />

wenn er/sie sich durch Untertauchen den behördlichen Maßnahmen entzogen hat.<br />

Als Ausschlussgrund wird dies nicht betrachtet, wenn die Abschiebung auch ohne<br />

die genannten Abschiebungshindernissen unmöglich war.<br />

Straftaten<br />

Nicht unter die Bleiberechtsregelung fallen Personen, bei denen Ausweisungsgründe<br />

beispielsweise wegen schwerwiegender Straftaten (vgl. §§ 53, 54, 55 (1),<br />

11 Von einigen Flüchtlingsorganisationen wird diese Handhabung <strong>als</strong> „Sippenhaftung“ bezeichnet<br />

(vgl. Classen 2007 b, S. 80).<br />

20


(2) Nr. 1-5 und 8 AufenthG) vorliegen. Auch die Verurteilung wegen vorsätzlicher<br />

Straftaten steht der Erteilung einer AE entgegen. Geldstrafen bis zu 50 Tagessätzen<br />

und bei bestimmten ausländerrechtlichen Delikten, wie der Verletzung<br />

der Residenzpflicht, bis zu 90 Tagessätzen bleiben unberücksichtigt. Die Geldstrafen<br />

werden dabei zusammengerechnet. Durch die Tilgungsfrist gelöschte<br />

Straftateneinträge im Bundeszentralregister werden hingegen nicht mehr <strong>als</strong> Straftaten<br />

gezählt.<br />

Bezüge zu Extremismus oder Terrorismus<br />

Um den Ausschlussgrund „Bezüge zu Extremismus oder Terrorismus“ zu prüfen,<br />

kann die ABH insbesondere bei Personen aus bestimmten islamisch geprägten<br />

Ländern Anfragen an die deutschen Geheimdienste stellen. Die Erteilung einer<br />

AE soll aber durch diese Routineüberprüfung nicht verzögert werden (vgl.<br />

Classen 2007 a, S. 5).<br />

II. Die empirische Studie<br />

II.1 Methodik und praktische Vorgehensweise<br />

Für die Beantwortung meiner Fragestellung wählte ich das Interview <strong>als</strong> qualitative<br />

Forschungsmethode. Die individuellen und subjektiven Sichtweisen der Befragten<br />

sollen der Analyse zugrunde liegen. Mein Anliegen ist, die Betroffenen<br />

selbst zu Wort kommen zu lassen, dabei aber gleichzeitig den rechtlichen Hintergrund<br />

und weiterführende Literatur mit einzubeziehen. Das problemzentrierte Interview,<br />

das 1982 von Witzel entwickelt wurde, bietet sich dafür an. Denn die<br />

„Forschung setzt an konkreten gesellschaftlichen Problemen an, deren objektive<br />

Seite vorher analysiert wird“ (Mayring 1999, S. 51).<br />

Die Grundgedanken des problemzentrierten Interviews sind:<br />

− die Problemzentrierung: Es wird an speziellen Problemfeldern angesetzt,<br />

die objektiv vorher erarbeitet wurden. Die Fokussierung liegt bereits auf<br />

der Auswertung.<br />

− die Gegenstandsorientierung: Die Untersuchung soll den Besonderheiten<br />

des Gegenstands angepasst werden.<br />

21


− die Prozessorientierung: Schrittweise sollen neue Erkenntnisse über den<br />

Forschungsgegenstand in den Forschungsprozess miteinbezogen werden<br />

(vgl. ebd., S. 50).<br />

Obwohl ich mein Vorwissen in den Prozess der Studie mit einbezogen habe,<br />

formulierte ich keine Hypothesen. Durch eine offene Forschungshaltung sollten<br />

die Ergebnisse möglichst nicht vorweg genommen werden. Im abschließenden<br />

Prozess der Verallgemeinerung während der Inhaltsanalyse kristallisierten sich<br />

fundierte Thesen heraus.<br />

Da die Datenmenge bei der qualitativen Forschung meist gering ausfällt,<br />

sollen bestimmte Gütekriterien beachtet werden. Wichtig ist insbesondere, dass<br />

der Teilnehmer_innenkreis und die Interviewsituation beschrieben werden. Ebenfalls<br />

sollen die verwendeten Methoden der Datenerhebung, -bearbeitung und<br />

-auswertung festgelegt und dargestellt werden und ihr Prozess soll nachvollziehbar<br />

sein. Die Interpretation schließlich soll in sich schlüssig sein (vgl. ebd.,<br />

S. 119ff.).<br />

II.1.1 Die Vorbereitung der Interviews<br />

Die Methode des problemzentrierten Interviews bietet sich bei spezifischen Fragestellungen<br />

an. Außerdem ermöglicht die Standardisierung durch den Interviewleitfaden<br />

die Vergleichbarkeit mehrerer Interviews. Denn das Material aus den<br />

Gesprächen ist auf die jeweiligen Leitfragen bezogen und kann somit leicht ausgewertet,<br />

und die Ergebnisse können verallgemeinert werden (vgl. ebd., S. 52).<br />

Auf diese Weise entwickelte ich basierend auf der Gesetzeslektüre und<br />

Fortbildungen zur Bleiberechtsregelung einen Leitfaden, der <strong>als</strong> Orientierungsrahmen<br />

bzw. Gedächtnisstütze bei der Interviewdurchführung diente. Ebenfalls<br />

hilfreich war hierfür meine langjährige Beschäftigung mit der deutschen Asylpolitik<br />

und der damit verbundenen Lebensbedingungen der davon Betroffenen. Der<br />

gesamte Problembereich ist hierbei in einzelne thematische Felder aufgeteilt. Die<br />

so entstandenen Kategorien für den Interviewleitfaden sind: „Migration und<br />

Flucht“, „Aufenthaltsstatus“, „Lebenssituation in Deutschland“, „Arbeit und Bildung“,<br />

„Anforderungen und Ausschlussgründe der Bleiberechtsregelung“,<br />

22


„Erfahrungen mit der Bleiberechtsregelung“. 12 Wie von Mayring empfohlen, erprobte<br />

ich den Leitfaden in einer Pilotphase (vgl. ebd., S. 52). Daraufhin wurden<br />

die Reihenfolge und zum Teil der Inhalt modifiziert. Nachdem sich die Datenerhebung<br />

bei den Befragten nach Alter, Geschlecht und Familie <strong>als</strong> sehr langwierig<br />

herausstellte, entwickelte ich einen Kurzfragebogen, den ich am Ende des Gespräches<br />

den verbleibenden Interviewpartnern vorlegte. 13<br />

II.1.2 Der Feldzugang<br />

Ursprünglich wollte ich in meiner Arbeit intensiv die geforderte „Sicherung des<br />

LU“ aus dem Kriterienkatalog der Bleiberechtsregelung untersuchen, weil ich<br />

aufgrund meiner Vorerfahrungen vermutete, dass hierbei besondere Probleme auftreten.<br />

Dafür suchte ich Interviewpartner_innen, die alle Voraussetzungen der<br />

Bleiberechtsregelung mit Ausnahme der „Sicherung des LU“ erfüllten. Nach einigen<br />

Telefonaten und Treffen mit Mitarbeiter_innen verschiedener Organisationen,<br />

Einrichtungen und Anwaltskanzleien, stellte es sich heraus, dass mir dieser Personenkreis<br />

nicht vermittelt werden konnte, da die Antragssteller_innen zusätzlich an<br />

vielen anderen Anforderungen scheitern. Deshalb erweiterte ich den zu interviewenden<br />

Personenkreis auf langjährig geduldete Menschen, die in Berlin leben und<br />

die einen Antrag auf ein Bleiberecht gestellt haben. Daraus ergab sich, dass die<br />

einen Befragten einen positiven Entscheid, die anderen einen negativen bekommen<br />

haben, während bei manchen das Ergebnis des Antrags noch aussteht.<br />

Anfangs gestaltete sich die Suche relativ schwierig. Einige kontaktierte<br />

Institutionen meldeten sich nicht zurück. Andere lehnten aufgrund des Zeitaufwandes<br />

die Kontaktvermittlung ab. Manche Beratungsstellen hatten durch ihre<br />

Struktur nur einmaligen Kontakt zu ihren Klient_innen und deshalb selbst keinen<br />

persönlichen Zugang. Eine weitere Schwierigkeit stellte das Fehlen einer gemeinsamen<br />

Sprache für die Durchführung der Interviews dar.<br />

Schließlich bekam ich über zwei Beratungsstellen, eine Anwaltskanzlei<br />

und einen persönlichen Kontakt Zugang zu zehn Personen, die sich bereit erklärten,<br />

sich interviewen zu lassen. Vorausgegangen waren jeweils persönliche<br />

12 Interviewleitfaden: siehe Anhang.<br />

13 Kurzfragebogen: siehe Anhang.<br />

23


Gespräche mit den Kontaktpersonen und zum Teil Telefongespräche mit den zukünftigen<br />

Interviewpartner_innen. Ein Befragter vermittelte mir einen weiteren<br />

Interviewpartner und stellte den Kontakt zu einer sozialen Einrichtung her, in deren<br />

Räumlichkeiten ich ebenfalls drei Interviews durchführte. Eine Beratungsstelle<br />

wollte mir eine Frau vermitteln, die mit ihren zwei Kindern von der Bleiberechtsregelung<br />

ausgeschlossen wurde, da ihr Mann sich straffällig gemacht hatte.<br />

Auf die psychische Verfassung der Frau achtend, die durch die Ablehnung der<br />

Anträge angeschlagen war, zog eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle das Gesprächsangebot<br />

wieder zurück. Zwei Interviews, davon eines mit einer Frau, waren<br />

unter anderem wegen Verständigungsschwierigkeiten nicht aussagekräftig<br />

genug, um sie für eine repräsentative Auswertung zu verwerten. Im Ergebnis<br />

konnte ich die acht Interviews mit einer relativ homogenen Gruppe von männlichen,<br />

erwerbsfähigen Interviewpartnern unter 65 Jahren durchführen und auswerten.<br />

II.1.3 Die Interviewdurchführung<br />

Die Wahl der Örtlichkeiten für die Interviewdurchführung überließ ich den Interviewpartnern.<br />

Schließlich fanden vier Interviews in der Wohnung der jeweiligen<br />

Interviewpartner_innen, drei in meiner Wohnung und drei in den Räumlichkeiten<br />

einer sozialen Einrichtung statt. Neun Interviews konnten in deutscher Sprache<br />

abgehalten werden. Ein Interview wurde ins Arabische übersetzt. Die Übersetzungssituation<br />

und die Anwesenheit unbeteiligter Personen erschwerte die Durchführung<br />

mancher Interviews, worauf ich im Punkt „II.2 Vorstellung der Interviewpartner<br />

und Interviewbewertung“ näher eingehen werde. Alle Interviews<br />

wurden auf Tonband aufgezeichnet, um die genaue Erfassung des Kommunikationsprozesses<br />

zu gewährleisten. Keiner der Befragten fühlte sich nach eigenen<br />

Angaben dadurch beeinträchtigt.<br />

Wichtig war mir folgende ethische Haltung bei der Durchführung der Interviews:<br />

Zunächst sollte zur Gefahrenvermeidung auf die Stabilität der Persönlichkeit<br />

geachtet werden (vgl. Cropley 2005, S. 58). Weiter sollte der Interviewer<br />

„auf bestimmte Aspekte einer Untersuchung gewissenhaft achten, wie etwa informierte<br />

Zustimmung der Teilnehmer oder Vermeidung negativer Folgen der<br />

24


Teilnahme“ (ebd.). So informierte ich alle Interviewpartner_innen unmittelbar vor<br />

der Interviewdurchführung über das Wesen der Teilnahme (Thema der Untersuchung,<br />

Freiwilligkeit der Beantwortung der Fragen und Tonbandaufzeichnung,<br />

Anonymisierung der vorkommenden Namen 14 und Orte) und erläuterte den Sinn<br />

und Zweck der Untersuchung (Erkenntnisgewinn über die Thematik). Der dadurch<br />

gewährleistete Informationsstand diente vor allem auch der Vermeidung<br />

von Ängsten und Unsicherheiten. Darüber hinaus war es mir wichtig, eine freundliche<br />

Atmosphäre zu schaffen. Die im Studium und in zahlreichen Beratungsgesprächen<br />

erlernte empathische Haltung gegenüber den Klient_innen, war bei der<br />

Interviewdurchführung sehr hilfreich.<br />

Ein weiteres Merkmal der Interviewdurchführung nach Mayring ist die<br />

Offenheit bezüglich der Antworten (Mayring 1999, S. 50f.). Durch den Interviewleitfaden<br />

werden zwar bestimmte Fragestellungen vorgegeben, trotzdem gilt:<br />

„Der/die Interviewte soll frei antworten können, ohne vorgegebene Antwortalternativen“<br />

(ebd., S. 51).<br />

Schließlich wurde <strong>als</strong> Gesprächseinstieg das Thema „Migration und<br />

Flucht“ angesprochen. Die Formulierung der Frage „Wollen Sie mir dazu was<br />

erzählen, warum Sie nach Deutschland gekommen sind?“ gab den Befragten die<br />

Möglichkeit, dieses Thema gegebenenfalls zu umgehen. Danach wurden die<br />

Themen aus dem vorab entwickelten Interviewleitfaden für das weitere Gespräch<br />

vorgegeben. Während des Interviews ergaben sich jedoch immer wieder Fragen,<br />

die nicht im Leitfaden vorkamen. Wenn sie mir für meine Fragestellung bedeutsam<br />

erschienen, formulierte ich sie spontan. Ebenfalls stellte ich Verständnis- und<br />

Vertiefungsfragen. Zur Förderung der Verständlichkeit wurde bei der Interviewdurchführung<br />

die Sprache dem Kommunikationsniveau der Interviewten angeglichen,<br />

indem beispielsweise Fachtermini in Alltagssprache ausgedrückt wurden.<br />

Am Ende des Interviews schließlich wurde der Kurzfragebogen vorgelegt.<br />

Ich sicherte allen Interviewpartnern zu, sie über das Ergebnis dieser Arbeit zu informieren.<br />

Viele bedankten sich am Ende des Interviews für das Gespräch. Woraus<br />

deutlich wird, dass gemäß dem Autor A. Cropley die Teilnahme auch für die<br />

14 Den Vorschlag, sich selbst einen Namen zu geben, nahmen einige Interviewpartner auf.<br />

25


Befragten bereichernd sein kann. Sie bietet beispielsweise die Gelegenheit, sich<br />

mit den behandelten Themen intensiv auseinanderzusetzen (Cropley 2005, S. 88).<br />

II.1.4 Die Interviewauswertung<br />

Die Transkription der aufgezeichneten Interviews ist die Basis der wissenschaftlichen<br />

Auswertung. Hierbei verfolgte ich den Anspruch auf Lesbarkeit nach<br />

Bourdieu: „Der Anspruch auf Lesbarkeit, der sich aus der Bezugnahme auf ein<br />

mögliches Zielpublikum mit höchst unterschiedlichen Erwartungen und Kompetenzen<br />

ergibt, verbietet die Publikation einer phonetischen Transkription“<br />

(Bourdieu u. a. 1997, S. 798). So wurde „bedeutungsloses“ 15 oder unverständliches<br />

Material wie „Äh, Hmn“ aus dem zu analysierenden Text gestrichen. Da<br />

Deutsch nicht die Muttersprache aller Interviewten ist, wurden die Interviews bei<br />

der Verschriftlichung in Abwägung ihrer Bedeutung zum Teil sprachlich und<br />

grammatikalisch geglättet. Allerdings wurde in Anlehnung an Bourdieu kein Wort<br />

durch ein anderes ersetzt oder der Inhalt, die Reihenfolge der Fragen oder der Ablauf<br />

des Interviews verändert (vgl. ebd., S. 798f.). Um datenschutzrechtlichen Kriterien<br />

zu entsprechen, wurden alle Namen und Ortsangaben weggelassen oder<br />

anonymisiert. Zum Teil wurden deshalb Erklärungen oder Anmerkungen notwendig,<br />

die ich kursiv in Klammern dahinter setzte. Auslassungen wurden folgendermaßen<br />

„[...]“ kenntlich gemacht, sofern die Aussagen irrelevant für den Untersuchungsgegenstand<br />

sind. Die Pseudonyme der Befragten schließlich sind zum<br />

größten Teil selbst gewählt. Aus Personenschutzgründen der interviewten Personen<br />

veröffentliche ich die Transkripte nicht in dieser Arbeit.<br />

Als Beispiel für die Umwandlung des gesprochenen Originaltextes in ein<br />

zusammengefasstes Transkript führe ich eine Textsequenz aus dem Interview mit<br />

Herrn Diyar auf.<br />

„Ähm, bei der Ausländerbehörde hängen immer so ne Zettel, Informationszettel.<br />

Und da hat man gelesen. Es gibt so ein neues Gesetz. Und dann haben wir recherchiert<br />

bei unserer Anwältin und so und so“ (Herr Diyar).<br />

Ebendieses lautet in veränderter Fassung:<br />

15 „Bedeutungsloses“ Material hier im Sinne von: es wird kein neuer Sachverhalt eingeführt.<br />

26


„Bei der Ausländerbehörde hängen immer Informationszettel. Und da hat man gelesen,<br />

dass es ein neues Gesetz gibt. Und dann haben wir recherchiert bei unserer<br />

Anwältin“ (Herr Diyar).<br />

Für die Datenauswertung wählte ich die qualitative Inhaltsanalyse, deren Stärke<br />

nach Mayring darin besteht, „daß sie streng methodisch kontrolliert das Material<br />

schrittweise analysiert. Sie zerlegt ihr Material in Einheiten, die sie nacheinander<br />

bearbeitet. Im Zentrum steht dabei ein theoriegeleitet am Material entwickeltes<br />

Kategoriensystem; durch dieses Kategoriensystem werden diejenigen Aspekte<br />

festgelegt, die aus dem Material herausgefiltert werden sollen“ (Mayring 1999,<br />

S. 91). Die Kategorien ergaben sich aus dem Kriterienkatalog der Bleiberechtsregelung<br />

und sind folgende: „Passpflicht“, „Sicherung des Lebensunterhaltes (LU)“,<br />

„Ausreichende Deutschkenntnisse“, „Ausreichender Wohnraum“, „Straftaten“<br />

und „Täuschung“. Die Kategorie „Umsetzung der Bleiberechtsregelung durch die<br />

Ausländerbehörde (ABH)“ wurde unabhängig davon gebildet, da sie sich in den<br />

Interviews <strong>als</strong> wesentlich herausgestellt hat.<br />

Die relevanten Textstellen wurden je nach Themengebiet unterschiedlich<br />

farbig markiert, und den vorab entwickelten Kategorien zugeordnet. In einem<br />

nächsten Schritt wurden die Aussagen zusammengefasst. Hierfür wurden gegebenenfalls<br />

Unterkategorien gebildet, die sich aus dem Material ergaben. Unterkategorien<br />

sind unter der Kategorie „Passpflicht“ beispielsweise folgende: „Passlosigkeit“,<br />

„Passbeschaffung“ und „Zumutbarkeit der Passbeschaffung“. Die Kategorien<br />

wurden jedes Mal auf Tauglichkeit überprüft und nach Bedarf modifiziert.<br />

Das komprimierte Material wurde letztendlich bezüglich der Fragestellung interpretiert.<br />

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Verständlichkeit wurde der<br />

Theorieteil, <strong>als</strong>o die Darstellung der Hintergründe und Rahmenbedingungen, mit<br />

der Inhaltsanalyse der Interviews zusammengebracht. Die Vorgehensweise war<br />

dabei die Folgende: Interviewimmanente Auswertung, genaue Recherche der in<br />

den Interviews behandelten rechtlichen und faktischen Sachverhalte und schließlich<br />

Inhaltsanalyse der Interviews anhand von rechtlichen und theoretischen Hintergründen<br />

und Rahmenbedingungen.<br />

Dem vorangestellt wird der Punkt „Vorstellung der Interviewpartner und<br />

27


Interviewbewertung“, der zum einen Informationen zur Biographie und zur aktuellen<br />

Lebenssituation jedes einzelnen Interviewpartners gibt (vgl. Bourdieu, u. a.<br />

1997, S. 793) und zum anderen die Interviewsituation reflektiert. Die Vorstellung<br />

der Interviewpartner dient der Zuordnung der Zitate in der Inhaltsanalyse zu konkreten<br />

Menschen und Interviewsituationen. Gleichzeitig soll der Datenerhebungsprozess<br />

offen gelegt werden und somit die Glaubwürdigkeit der Personen und die<br />

Beziehung der Interviewerin und des Interviewten nachvollziehbar sein. Jedem<br />

Interview ist ein Titel vorangestellt, der sich auf das Hauptthema des jeweiligen<br />

Gesprächs bezieht und den Äußerungen der jeweiligen Person entnommen wurde<br />

(vgl. ebd., S. 14). Die Reihenfolge der Vorstellung der Interviewpartner letztlich<br />

richtet sich nach dem Zeitpunkt der Interviewdurchführung, wobei das erste Interview<br />

am weitesten zurückliegt.<br />

II.2 Vorstellung der Interviewpartner und Interviewbewertung<br />

II.2.1 Herr Schurda: „Das ist wie ein Teufelskreis“<br />

Herr Schurda 16 ist 27 Jahre alt. Er wurde in Bosnien geboren, lebte aber bis zu<br />

seinem elften Lebensjahr in Serbien. Er ist muslimischer Bosnier und Roma. Herr<br />

Schurda spricht Serbokroatisch, Romanes und Deutsch. 1991 flüchtete er mit seiner<br />

Familie aufgrund des Krieges nach Deutschland. In Deutschland beantragte<br />

die Familie erfolglos Asyl. 17 Schon seit 1992 versucht das Verwaltungsgericht in<br />

Berlin vergeblich, die Staatsangehörigkeit seines Vaters festzustellen und einen<br />

aufnahmebereiten Staat zu finden.<br />

Herr Schurda lebt mit seinem Vater, Herrn Miçko, seiner Mutter und seinen<br />

sechs Geschwistern in Berlin. Abgesehen von ihm und seinem 23jährigen<br />

Bruder gehen alle Kinder der Familie zur Schule. Den Antrag auf eine AE nach<br />

der Bleiberechtsregelung stellte Herr Schurda gemeinsam mit seiner Familie. Bisher<br />

wurde darüber noch nicht entschieden. Herr Schurda erfüllt mit Ausnahme der<br />

Passpflicht die Voraussetzungen für eine AE.<br />

16 Alle Namen, Institutionen und Orte wurden aus datenschutzrechtlichen Gründen anonymisiert.<br />

17 Alle Befragten beantragten in Deutschland Asyl. Die Anerkennungsquote ist in Deutschland<br />

sehr gering und seit vielen Jahren rückläufig. Im Jahr 2006 wurden nur 0,8% der Antragsteller_innen<br />

<strong>als</strong> asylberechtigt anerkannt, 3,6% erhielten einen Abschiebungsschutz und bei 0,3 %<br />

wurde ein Abschiebungshindernis festgestellt (vgl. Schührer u. a. 2007, S. 3).<br />

28


Das Interview wurde in Anwesenheit mehrerer Personen geführt: sein Vater,<br />

Herr Miçko und zeitweise seine Mutter und sein zweitältester Bruder. Die<br />

Atmosphäre empfand ich <strong>als</strong> sehr entspannt und angenehm. Herr Schurda war<br />

mitteilsam und offen und ging detailliert auf die vorgegebenen Themen ein. An<br />

manchen Stellen bezog Herr Schurda Herrn Miçko ins Gespräch ein, was es mir<br />

anfangs etwas schwer machte, den Dialog zum Thema zurückzuführen.<br />

Die Hauptthemen des Interviews sind sein fehlender Pass, die Ausweglosigkeit<br />

der Passbeschaffung und die Fluchtursache der Familie. Die Bezeichnung<br />

seiner Situation <strong>als</strong> „Teufelskreis“ im analytischen Titel bezieht sich auf folgendes<br />

Dilemma: Für eine AE muss er erwerbstätig sein. Die Arbeitserlaubnis ist wiederum<br />

an die Passbeschaffung gebunden. Angesprochene Themen, die nicht im Leitfaden<br />

vorkommen, waren: seine Verwurzelung in Berlin, der erzwungene Abbruch<br />

der Führerscheinprüfung aufgrund der Duldung, sein Misstrauen gegenüber<br />

den Medien und der ABH und seine Rassismuserfahrungen im ehemaligen Jugoslawien<br />

und in Berlin.<br />

II.2.2 Herr Miçko: „Für uns Roma gibt’s nirgendwo Platz“<br />

Herr Miçko ist 52 Jahre alt und der Vater von Herrn Schurda. Herr Miçko kommt<br />

aus dem ehemaligen Jugoslawien. Geboren wurde er in Bosnien. Dieses Gebiet<br />

wurde nach dem Krieg serbisches Territorium. Er ist muslimischer Roma. Herr<br />

Miçko gibt <strong>als</strong> Muttersprachen Serbokroatisch und Romanes an. Er lebte bereits<br />

von 1970 bis 1976 bei seiner Schwester in Deutschland. In einer kleinen Ortschaft<br />

in Süddeutschland ging er zur Schule und machte eine Ausbildung <strong>als</strong> Koch. 1977<br />

kehrte er zurück ins ehemalige Jugoslawien. 1991 flüchtete er mit seiner Familie<br />

nach Deutschland. Für eine AE nach der Bleiberechtsregelung fehlen ihm bisher<br />

zwei Voraussetzungen: die Sicherung des LU und die Erfüllung der Passpflicht.<br />

Das Interview fand im Anschluss an das Gespräch mit Herrn Schurda statt.<br />

Herr Schurda war weiterhin anwesend. Die Atmosphäre am Gesprächsort blieb<br />

entspannt. Auch Herr Miçko machte auf mich während des Gesprächs einen sehr<br />

offenen und mitteilsamen Eindruck. Über manche Themen fiel es ihm jedoch<br />

schwer zu sprechen, vor allem wenn er über seine Zukunft und die seiner Kinder<br />

redete. Schwierigkeiten bereitete es mir immer wieder, die Konzentration auf das<br />

29


Interview zu lenken, zum einen wegen seiner für mich ungewöhnlichen Ausdrucksweise;<br />

zum anderen aufgrund seiner Abschweifungen, die mich immer wieder<br />

in die Situation brachten, ihn auf das eigentliche Thema zurückführen zu<br />

müssen.<br />

Vorwiegende Themen waren die Schwierigkeit der Passbeschaffung, seine<br />

Angst vor der Abschiebung und die Diskriminierung der Roma. Auf den letzten<br />

Punkt bezieht sich auch der Titel „Für uns Roma gibt’s nirgendwo Platz“. Themen,<br />

die außerhalb des Leitfadens von Herrn Miçko angesprochen wurden, waren:<br />

das nicht Vorhandensein einer Lebensgrundlage im ehemaligen Jugoslawien<br />

und die Hinderlichkeit seines fortgeschrittenen Alters bei dem Aufbau einer solchen<br />

im Falle einer Abschiebung, die Sorgen um die Zukunft seiner Kinder, für<br />

die Berlin die Heimat ist und die ungeklärte Todesursache seines Vaters.<br />

II.<strong>2.3</strong> Herr Diyar: „Und das geht immer hin und her“<br />

Herr Diyar ist 19 Jahre alt. Er ist in Syrien geboren und ist Kurde. Herr Diyar<br />

spricht Kurdisch, Deutsch, Arabisch und ein bisschen Türkisch. Im Jahr 2000 floh<br />

er mit seiner Familie aufgrund der politischen Verfolgung nach Deutschland. In<br />

Deutschland stellte die Familie einen Asylantrag, der vor drei Jahren abgelehnt<br />

wurde. Seitdem besitzt sie eine Duldung wegen der Passlosigkeit, die aus folgender<br />

Tatsache resultiert: Der Großvater von Herrn Diyar flüchtete vor vielen Jahren<br />

aufgrund der Kurdenverfolgung aus der Türkei nach Syrien. In Syrien jedoch wurden<br />

der Großvater, sein Vater, er und seine Geschwister nie registriert.<br />

Herr Diyar lebt zusammen mit seinen Eltern und seinen sechs Geschwistern<br />

in Berlin. Er bekam Ende März eine AE nach der Bleiberechtsregelung über<br />

sechs Monate mit der Auflage, sich um einen Pass zu bemühen. Über den Antrag<br />

seiner Familie wurde noch nicht entschieden.<br />

Die Gesprächsatmosphäre war gut. Zuerst wirkte er auf mich ein bisschen<br />

schüchtern, was mit der Schwere der Thematik zu tun haben könnte oder auch nur<br />

mit seiner leisen Stimme. Herr Diyar ging auf die vorgegebenen Themen ein,<br />

machte aber wenig Ausführungen. Auffallend war, wie reflektiert er über die<br />

Thematik sprach.<br />

30


Die Hauptthemen des Interviews waren die Schwierigkeit der Passbeschaffung,<br />

die Kritik an der Arbeit der ABH und die Schwierigkeit, eine Ausbildung zu<br />

machen. Der Ausspruch „Und das geht immer hin und her“ bezieht sich auf die<br />

Passbeschaffung: Die ABH verlangt von Herrn Diyar, dass er sich um einen Pass<br />

bemüht und dazu bei verschiedenen Botschaften vorspricht. Die türkische Botschaft<br />

gibt ihm jedoch keine Anwesenheitsbescheinigung darüber, die er aber <strong>als</strong><br />

Beweis für seine Bemühungen bei der ABH vorlegen muss.<br />

II.2.4 Herr Ahmed: „Also ich selber hatte Glück, nur“<br />

Herr Ahmed ist 22 Jahre alt. Er ist im Libanon geboren. Herr Ahmed spricht Arabisch,<br />

Deutsch, Englisch und ein bisschen Französisch. 1998 kam er mit seinen<br />

Eltern und seinen vier Geschwistern nach Deutschland. Die Eltern stellten in Berlin<br />

einen Asylantrag, der abgelehnt wurde. Auf den Fluchtgrund möchte er nicht<br />

eingehen.<br />

Seine Geschwister sind zwischen vier und zwanzig Jahre alt und gehen<br />

alle noch zur Schule. Im Januar 2007 stellte die Familie einen Antrag nach der<br />

Bleiberechtsregelung. Da er eine Ausbildung anfangen wollte und unter Zeitdruck<br />

geriet, koppelte er seinen Antrag von dem der Familie ab und stellte einen eigenständigen<br />

Antrag, der mit einem Positivbescheid endete. Über den Antrag seiner<br />

Familie wurde noch nicht entschieden.<br />

Das Gespräch mit Herrn Ahmed fand im Anschluss an das Gespräch mit<br />

Herrn Diyar statt. Die Gesprächsatmosphäre war entspannt, ich fühlte mich jedoch<br />

vom vorherigen Gespräch etwas erschöpft. Auf die Thematik des Interviews ging<br />

Herr Ahmed detailliert ein. Sein Umgang mit den Interviewinhalten war sehr politisch<br />

und reflektiert.<br />

Hauptthema in diesem Interview war seine schulische und berufliche Bildung.<br />

Immer wieder betonte er, dass er in vielen Dingen Glück hatte und dass viele,<br />

die sich in der gleichen Lebenssituation befänden, mehr Schwierigkeiten hätten.<br />

Zusätzlich zu den Interviewinhalten sprach Herr Ahmed folgende Themen an:<br />

die Ablehnung und die Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft gegenüber „Ausländern“<br />

(Herr Ahmed) und die schwierige Lebenssituation von Bekannten und<br />

Freunden mit Duldung. Er äußerte Kritik an den mangelnden Hilfsangeboten für<br />

31


Flüchtlinge in Deutschland, an der unzureichenden Berichterstattung über die<br />

schlechten Lebensverhältnisse der Flüchtlinge und an der damit einhergehenden<br />

Unwissenheit der Mehrheitsgesellschaft über dieses Thema.<br />

II.2.5 Herr Ratnam: „Das war nicht gut, was sie mit mir gemacht haben“<br />

Herr Ratnam kommt aus Sri Lanka und ist Tamile. Er spricht Tamilisch und<br />

Deutsch. 1992 ist Herr Ratnam mit 18 Jahren vor dem Krieg in Sri Lanka geflohen<br />

und stellte in Berlin einen Asylantrag. Seine Mutter lebt in Holland, seine<br />

Schwester ebenfalls in Berlin. Während des vierjährigen Asylverfahrens durfte er<br />

arbeiten. Nach dem Negativbescheid bekam er ein Arbeitsverbot. Zum Schluss<br />

erhielt er lediglich eine Grenzschutzbescheinigung, die er monatlich bei der ABH<br />

verlängern musste. Im Dezember 2006 stellte er den Antrag nach der Bleiberechtsregelung.<br />

Seit Juni 2007 besitzt er eine AE.<br />

Am Anfang des Interviews wurden wir durch das Gezwitscher seiner Kanarienvögel<br />

gestört. Nachdem er ein Tuch über den Käfig legte, entspannte sich<br />

die Gesprächssituation. Herr Ratnam sprach sehr schnell und manchmal etwas<br />

undeutlich, so dass ich mich sehr konzentrieren musste, um alles zu verstehen und<br />

seinen Erzählungen folgen zu können. Er war äußerst aufgeschlossen. Auch nachdem<br />

das Tonband abgeschaltet war, unterhielten wir uns über verschiedene Themen,<br />

die ihn beschäftigen.<br />

Sehr häufig thematisierte er die schwierige Lebenssituation <strong>als</strong> geduldeter<br />

Mensch in Deutschland. Der Ausspruch „Das war nicht gut, was sie mit mir gemacht<br />

haben“ bezieht sich darauf. Dabei kritisierte er besonders das Arbeitsverbot.<br />

Auf seinen Fluchtgrund ging er detailliert ein und wiederholte verschiedene<br />

Ereignisse, die zur Flucht führten. Ebenfalls betonte er seine Abschiebungsangst<br />

in der Vergangenheit und begründete sie mit der für ihn lebensgefährlichen Situation<br />

im Herkunftsland und der Tatsache, dass die ABH einen Emergency Passport<br />

für ihn besaß, mit dem die Abschiebung jederzeit möglich war.<br />

II.2.6 Herr Erol: „Die Freude ist nicht lange geblieben“<br />

Herr Erol stammt aus der Osttürkei und ist Kurde. Seine Muttersprachen sind<br />

Arabisch und Kurdisch. Er besitzt sowohl einen türkischen <strong>als</strong> auch einen<br />

32


arabischen Familiennamen. Zwischenzeitlich lebte er mehrere Jahre ohne Papiere<br />

im Libanon. 1990 floh er mit seiner Frau und seinen Kindern aus der Türkei nach<br />

Deutschland. Als Fluchtgrund gab er die staatliche Unterdrückung in der Türkei<br />

an. Der Asylantrag der Familie wurde unverzüglich negativ beschieden. Danach<br />

wurden die Erols <strong>als</strong> Kurden aus dem Libanon unter Angabe ihres arabischen Familiennamens<br />

geduldet. Etwa 1994 wurden sie beschuldigt, die ABH über ihre<br />

wahre Identität getäuscht zu haben. Nach verschiedenen erfolglosen Anträgen<br />

beispielsweise bei der Härtefallkommission und beim Petitionssauschuss stellte<br />

Herr Erol im April 2007 einen Antrag auf eine AE nach der Bleiberechtsregelung.<br />

Nach eineinhalb Monaten wurde sein Antrag wegen vorsätzlicher Täuschung abgelehnt.<br />

Das Interview wurde in Anwesenheit vieler Personen geführt: dem Sozialarbeiter<br />

einer Beratungsstelle (Herr S.), Herrn Ahmed, Herrn Koç und dem<br />

14jährigen Sohn des Interviewten. Das Gespräch wurde von Herrn Ahmed und<br />

Herrn S. vom Deutschen ins Arabische und vom Arabischen ins Deutsche übersetzt.<br />

Die Interviewatmosphäre war sehr angespannt. Fast das ganze Gespräch<br />

über konnte ich keine Beziehung zu Herrn Erol aufbauen. Herr Erol schaute während<br />

des Interviews nicht mich, sondern den Kommunikationsmittler an. Er saß<br />

mit verschränkten Armen da. Die Situation war ihm sichtlich unangenehm. Wie es<br />

sich im Laufe des Gesprächs herausstellte wurde der Interviewte von Herrn S.<br />

dazu überredet, das Gespräch zu führen, da es für seine weitere Situation hilfreich<br />

sein könnte. Ich hatte das Gefühl, dass Herr S. große Erwartungen in mich setzte.<br />

Er intervenierte während des Gesprächs und kommentierte das von dem Interviewpartner<br />

Gesagte. Ich fühlte mich sehr unwohl, konnte das Gefühl aber während<br />

des Gespräches nicht benennen und offen legen. Während der Durchführung<br />

kam eine Konfrontation mit vielschichtigen emotionalen Spannungen auf. Ich<br />

fühlte mich der Erwartungshaltung des Interviewten gegenüber verpflichtet, das<br />

Interview nicht abzubrechen, da er vornehmlich wegen des Interviews gekommen<br />

war. Ich hatte den Eindruck, dass ich Herrn S. Hoffnungen gerecht werden und<br />

ihm ein positives Ergebnis liefern sollte. Herrn Ahmed gegenüber fühlte ich mich<br />

verpflichtet, weil er zu mir den Kontakt aufgenommen und sich um die Interviews<br />

bemüht hatte. Zudem setzte mich mein eigener Anspruch unter Druck, die Studie<br />

33


vielfältig zu gestalten und auch Personen zu interviewen, deren Antrag abgelehnt<br />

wurde. Beschäftigt mit den aufgeführten Einflüssen, konnte ich nicht auf das Unbehagen<br />

von Herrn Erol eingehen. Gegen Ende des Interviews jedoch wendete<br />

sich Herr Erol mir zu und beantwortete die letzten Fragen auf Deutsch. Dadurch<br />

hatte ich das Gefühl, dass bei ihm gegen Ende doch ein eigenständiges Interesse<br />

entstanden war. Aus diesem Grund entschied ich mich, das Interview zu verwenden<br />

und die Schwierigkeit der Interviewdurchführung zu thematisieren.<br />

Das Hauptthema des Interviews war die Täuschung. Dieser Punkt wurde<br />

auch von mir immer wieder angesprochen, da ich vieles diesbezüglich nicht<br />

verstand. Der Titel dieses Abschnitts bezieht sich auf die anfängliche Freude der<br />

Familie Erol über die Bleiberechtsregelung. Insgesamt berichtete Herr Erol wenig<br />

detailreich. Ich musste häufig nachfragen, um die Zusammenhänge zu verstehen.<br />

Immer wieder klinkte sich Herr S. ein, um Fragen zu klären. Etwas ausführlicher<br />

erzählte Herr Erol über die schwierige Lebenssituation <strong>als</strong> Inhaber einer Duldung.<br />

Er sprach an, dass Deutschland das Zuhause für seine Kinder ist und sie sich im<br />

Falle einer Abschiebung in der Türkei nicht zurechtfinden würden.<br />

II.2.7 Herr Koç: „Ganz schwierig alles“<br />

Herr Koç ist 42 Jahre alt und stammt aus der gleichen Stadt in der Osttürkei wie<br />

Herr Erol. Er ist Kurde und spricht Arabisch, Kurdisch und Deutsch. Auch er besitzt<br />

wie Herr Erol einen türkischen und einen arabischen Familiennamen. Herr<br />

Koç ist verheiratet und hat sechs Kinder im Alter zwischen 3 und 18 Jahren. Das<br />

jüngste Kind geht in den Kindergarten, alle anderen in die Schule. Mehrere Jahre<br />

lebte er ohne Papiere im Libanon. 1991 flüchtete er mit seiner Familie vor dem<br />

Krieg im Osten der Türkei nach Deutschland. Er stellte in Berlin einen Asylantrag,<br />

der 2003 negativ beschieden wurde. Wegen der vorgeworfenen Identitätstäuschung<br />

– die Familie hatte bei der Asylantragsstellung ähnlich wie die Familie<br />

von Herr Erol nur ihren arabischen Namen angegeben - besitzen seine Familie<br />

und er seit 2003 eine Duldung, die alle ein bis zwei Monate verlängert wird. Von<br />

der Bleiberechtsregelung wurden sie ebenso wie Herr Erol aufgrund der vorsätzlichen<br />

Täuschung ausgeschlossen.<br />

Das Interview mit Herrn Koç wurde unmittelbar nach dem Gespräch mit<br />

34


Herrn Erol durchgeführt. Herr Ahmed, Herr Erol und sein Sohn verabschiedeten<br />

sich. Herr S. war während des Gesprächs die meiste Zeit in einem anderen Raum.<br />

Herr Koç war sich anfangs etwas unsicher, ob er sich gut in Deutsch ausdrücken<br />

könne. Herr S. und ich bestärkten ihn darin, es auf Deutsch zu versuchen. Nach<br />

dem Gespräch mit Herrn Erol fühlte ich mich erschöpft. Doch ich hatte den Eindruck,<br />

dass Herr Koç das Interview geben wollte, was mich sehr motivierte. Die<br />

Gesprächsatmosphäre war gut. Er erzählte wenig im Detail und mit einfachen<br />

Worten. Das Interview gestaltete sich kurz.<br />

Häufig betonte er, wie schwierig sein Leben in Deutschland ist. Zusätzlich<br />

führte er seinen Sohn an, der eine Ausbildung machen möchte und mit Duldung<br />

keinen Ausbildungsplatz bekommt.<br />

II.2.8 Herr Jiyan: „Wenn man nicht stark ist, dann verliert man sich“<br />

Herr Jiyan ist 26 Jahre alt und stammt aus der Osttürkei. Er ist Kurde und der jesidischen<br />

Religion zugehörig. 1996 kam er mit 16 Jahren und ohne Familie nach<br />

Berlin. Er erhoffte sich von einem Aufenthalt in Deutschland die Gewährung von<br />

Menschenrechten und ein besseres Leben <strong>als</strong> in der Türkei. In Deutschland stellte<br />

er einen Asylantrag, der 2005 endgültig negativ beschieden wurde. Seit der Ablehnung<br />

lebt er mit einer Duldung in Deutschland. Im Dezember 2006 stellte er<br />

einen Antrag auf ein Bleiberecht. Bisher wurde noch nicht darüber entschieden.<br />

Herr Jiyan war während des Interviews sehr mitteilsam. Ich hatte den Eindruck,<br />

dass er ein großes Bedürfnis hatte, von seinem Leben und seiner Einstellung<br />

zum Leben zu erzählen. Die Gesprächsatmosphäre war entspannt. Allerdings<br />

stellte es für mich eine große Herausforderung dar, während seiner Erzählungen<br />

von Notsituationen mit der aufkommenden emotionalen Belastung umzugehen.<br />

Die Tatsache, dass Herr Jiyan häufig von sich in der 3. Person Singular sprach<br />

und er auf manche Ereignisse sehr ungenau einging, bereitete mir weitere Schwierigkeiten.<br />

Durch meine Verständnisfragen erschloss sich dennoch der Zusammenhang<br />

des Erzählten.<br />

Seine Hauptthemen waren seine schwierige Lebenssituation in Deutschland<br />

- besonders in der Zeit <strong>als</strong> unbegleiteter Minderjähriger -, seine Abneigung<br />

gegen Drogen, die „rassistische Politik“ (Herr Jiyan) in der Türkei und die<br />

35


Menschenrechtsverletzungen in der Türkei und in Deutschland. Ebenfalls ging er<br />

auf seine Angst vor einer Abschiebung und auf seine situationsbedingten psychischen<br />

Probleme ein. Der Ausspruch „Wenn man nicht stark ist, dann verliert man<br />

sich“ bezieht sich auf sein langjähriges Leben im Wohnheim.<br />

III. Die Inhaltsanalyse der Interviews anhand von rechtlichen<br />

und theoretischen Rahmenbedingungen und Hintergründen<br />

Die Interviews werden im Kontext der rechtlichen Rahmenbedingungen analysiert.<br />

Weiterführende Literatur, die für das Verstehen des Inhalts notwenig ist,<br />

wird ebenfalls hinzugezogen.<br />

Die gesetzlichen Bestimmungen für Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus<br />

sind hauptsächlich im Aufenthaltsgesetz (AufenthG), im Asylbewerberleistungsgesetz<br />

(AsylbLG) und im Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) geregelt.<br />

Sie bedeuten erhebliche Einschränkungen im Leben dieser Personengruppe. So<br />

ermöglichen die Gesetze unter anderem die Durchsetzung der Residenzpflicht, die<br />

Unterbringung in Heimen, das Verhängen von Arbeits- und Ausbildungsverboten,<br />

die Kürzung der Sozialhilfe und die Einschränkung der Rechtsmittel und Rechtswege.<br />

Durchführendes Organ der Bleiberechtsregelung sind die ABH, die nach<br />

§ 71 AufenthG für aufenthaltsrechtliche und passrechtliche Maßnahmen und andere<br />

Entscheidungen zuständig sind. Aufgaben der ABH sind beispielsweise die<br />

Erteilung, Verlängerung oder der Widerruf der Duldung, die Zurückschiebung<br />

und Abschiebung, die Überwachung der Passpflicht, sowie die Ausstellung der<br />

Arbeitserlaubnis. Die praktische Anwendung der Gesetze ist für die ABH Berlin<br />

in den „Vorläufigen Anwendungshinweisen der Ausländerbehörde Berlin (VAB)“<br />

geregelt (vgl. Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten. Ausländerbehörde<br />

Berlin 2007).<br />

36


III.1 Anforderungen<br />

III.1.1 Passpflicht<br />

Die Erfüllung der Passpflicht auf zumutbare Weise ist eine Voraussetzung zur<br />

Erteilung einer AE nach der Bleiberechtsregelung. Vor dem Inkrafttreten der<br />

Bleiberechtsregelung wurde nur einem Interviewpartner, Herrn Jiyan, ein Pass<br />

ausgestellt. Bisher erhielten zwei Interviewpartner, Herr Ahmed und Herr<br />

Ratnam, über die Bleiberechtsregelung Pässe. Nach wie vor ohne Pässe sind fünf<br />

Interviewpartner. Herr Diyar bekam ausnahmsweise einen Aufenthalt ohne Pass.<br />

Dieser Aufenthalt ist jedoch auf sechs Monate befristet. Er wird weiterhin aufgefordert,<br />

sich um einen Pass zu bemühen.<br />

Passlosigkeit<br />

Alle Interviewpartner hatten während ihres Aufenthaltes in Deutschland Schwierigkeiten,<br />

ihre Staatsangehörigkeit nachzuweisen oder einen Pass zu beschaffen.<br />

Gerade die Passlosigkeit stellt ein besonders komplexes Problemfeld dar. Denn<br />

gemäß § 15 AsylVfG und § 49 AufenthG sind Personen nichtdeutscher Herkunft<br />

verpflichtet, ihre Staatsangehörigkeit bzw. Identität anzugeben. 18 Bei vielen langjährig<br />

geduldeten Menschen liegt jedoch der Duldungsgrund darin, dass sie zum<br />

einen nicht über Papiere verfügen, die für die Rückkehr ins Herkunftsland erforderlich<br />

sind. Zum anderen besitzen viele keine Dokumente, wie Geburtsurkunde<br />

oder Ähnliches, die für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit erforderlich<br />

sind. So ist auch der Duldungsgrund bei Herrn Diyar und seiner Familie<br />

in der Passlosigkeit begründet:<br />

„Dann hatten wir einen Termin bei der Ausländerbehörde und dann mussten wir<br />

den Ausweis verlängern. Dann sind wir dahin gegangen und sie haben uns gesagt:<br />

‘Ihr habt keine Pässe. Dafür habt ihr jetzt eine Duldung für sechs Monate. Und<br />

wenn ihr dann die Pässe gefunden habt, dann werdet ihr abgeschoben.’ Und das<br />

ging so drei Jahre weiter, bis jetzt“ (Herr Diyar).<br />

18 Der Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Pass stellt gemäß § 95 (1) Nr.1 AufenthG einen Straftatbestand<br />

dar. Eine Verurteilung setzt aber die Vorsätzlichkeit der Tat, wie zum Beispiel Passvernichtung<br />

voraus. Die nicht rechtzeitige Aushändigung von Unterlagen zur Beschaffung eines Identitätspapiers<br />

beispielsweise gilt <strong>als</strong> Ordnungswidrigkeit (vgl. Storr u. a. 2005, S. 565f.).<br />

37


Das Fehlen der Dokumente kann verschiedene Gründe haben. Ebenfalls kann die<br />

Unnachweisbarkeit der Staatsangehörigkeit verschiedene Ursachen haben. Die<br />

von den Interviewpartnern angegebenen Ursachen sind das Löschen der Namen<br />

aus dem Geburtenregister des Herkunftslandes (ehem. Jugoslawien), das Zurücklassen<br />

der Dokumente bei der überstürzten Flucht und die ungeklärte Staatsangehörigkeit<br />

durch zerfallende Staaten (ehem. Jugoslawien) oder das fluchtbedingte<br />

Überschreiten der Staatsgrenzen über mehrere Generationen.<br />

Die ungeklärte Staatsangehörigkeit verdeutlichen folgende Aussagen:<br />

„Und jetzt nach diesem Krieg ist das Land geteilt. Und dort, wo er (Herr Miçko)<br />

geboren ist, ist die Grenze oder so was und ist jetzt Serbien. Also nicht mehr Bosnien.<br />

Und die Daten alle wurden gelöscht. Praktisch ist er jetzt staatenlos, um besser<br />

zu sagen. [...] Und mein Bruder ist in Serbien geboren (er lacht) und ich in<br />

Bosnien und mein Vater nirgendwo. Und dann sagen Sie mir, woher ich die Pässe<br />

kriegen kann. […] Weil, wie gesagt meine drei Geschwister sind hier geboren. Und<br />

ich weiß jetzt nicht, welcher Staatsangehörigkeit die jetzt angehören“ (Herr<br />

Schurda). 19<br />

„Weil mein Großvater türkischer Herkunft ist. Er ist nach Syrien abgehauen, <strong>als</strong> es<br />

diesen Krieg zwischen Kurden und Türken gab. Er hat diese Grenze passiert und<br />

ist dann da geblieben. Und deshalb glauben wir, dass wir keine Pässe haben, dass<br />

wir nicht registriert sind. Wir waren in Syrien auch Ausländer. Wir waren nie richtig<br />

syrischer Herkunft“ (Herr Diyar).<br />

Herr Miçko und Herr Schurda beantragten vor zirka sieben Jahren mit Hilfe ihres<br />

Anwaltes vergeblich einen Staatenlosenpass. Bis jetzt wurde darüber nicht entschieden,<br />

wie sie betonen. Die Ursache liegt in der Tatsache, dass einen Staatenlosenpass<br />

in Deutschland nur eine Person erhält, die einen rechtmäßigen Aufenthalt<br />

besitzt (vgl. Heinhold 2003, S. 185f.). 20<br />

19 In Deutschland geborene Kinder, deren Eltern einen unsicheren Aufenthaltsstatus besitzen, erben<br />

diesen. Gemäß § 4 StAG erhalten Kinder, die in Deutschland geboren sind und deren nichtdeutsche<br />

Eltern einen ununterbrochenen rechtmäßigen Aufenthalt über acht Jahre besitzen, die<br />

deutsche Staatsangehörigkeit. Aufenthaltsgestattung, Duldung und GÜB werden nicht <strong>als</strong> rechtmäßiger<br />

Aufenthalt angesehen.<br />

20 Das „Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen – Staatenlosenübereinkommen“<br />

von 1954, das die Unterzeichnerstaaten dazu verpflichtet, Staatenlosen Personaldokumente auszustellen<br />

und ihnen unter Umständen einen legalen Aufenthalt auf ihrem Hoheitsgebiet zu ermöglichen,<br />

wurde von Deutschland ratifiziert. Die BRD legte jedoch gegenüber dem Artikel 27 des<br />

38


Passbeschaffung<br />

Um die Abschiebung ausreisepflichtiger Personen vollziehen zu können, wird der<br />

Passbeschaffung von staatlicher Seite eine übergeordnete Rolle eingeräumt. Einigen<br />

Interviewpartnern, wie beispielsweise Herrn Diyar und Herrn Ahmed, wurde<br />

sogar die Passbeschaffung im Duldungsdokument vermerkt.<br />

„Da steht drin, Reiseunterlagen oder Reisedokument ist vorzulegen. Da war ich<br />

damit in der libanesischen Botschaft, hab einen Antrag gestellt auf einen Pass. Die<br />

libanesische Botschaft hat das aber abgelehnt, mir einen Reisepass zu erstellen“ 21<br />

(Herr Ahmed).<br />

Bei zwei Interviewpartnern bemühte sich die ABH Berlin persönlich um die Reisedokumente.<br />

Mit Herrn Ratnam gingen Mitarbeiter_innen der Berliner ABH zur<br />

Botschaft von Sri Lanka. Für einen Staatsangehörigkeitsnachweis wandten sie<br />

sich bei Herrn Miçko sogar ans Innenministerium des vermuteten Herkunftslandes.<br />

„Und dann hat unsere Botschaft, eine Schweinerei, mir ohne ein Dokument und alles<br />

einen Emergency Passport ausgestellt. Also die konnten mich jederzeit abschieben.<br />

[...] Die haben das der Ausländerbehörde gegeben. Das war ein Emergency<br />

Passport. Damit kann ich nur nach Sri Lanka fliegen. Für Asylbewerber gibt das<br />

die Botschaft. Die arbeiten mit Ausländerbehörde zusammen. Das heißt, dass die<br />

mich jede Minute abschieben können. Deswegen habe ich immer Angst gehabt“ 22<br />

(Herr Ratnam).<br />

„Und ich hab’ s versucht über das Verwaltungsgericht in X (Stadt in Deutschland).<br />

Die Ausländerbehörde hat auch versucht. Und hat vom Innenministerium von Y<br />

(Stadt im ehemaligen Jugoslawien) ein Schreiben gekriegt, dass ich und meine<br />

Frau sind nicht Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, heutige Serbien,<br />

weil Montenegro ist selbstständig“ (Herr Miçko).<br />

Übereinkommens, welcher die Ausstellung der Personaldokumente beinhaltet, einen Vorbehalt<br />

ein.<br />

21 Daraufhin behandeln die Sozialämter sie gemäß § 1a AsylbLG und verweigern ihnen weitere<br />

Zahlungen (vgl. freya fluten 2006, o. S.); siehe dazu auch „III.2.1.2.1 Sozialleistungen nach dem<br />

AsylbLG“.<br />

22 Das Einbehalten des „Emergency Passports“ ist im § 48 AufenthG geregelt. Dort heißt es, dass<br />

Pass, Passersatz, Duldung oder Ähnliches den Behörden, wie ABH und Grenzbehörden, auszuhändigen,<br />

vorzulegen und gegebenenfalls zu überlassen ist, wenn das verlangt wird.<br />

39


Der § 48 (3) des AufenthG enthält die Mitwirkungspflicht der Betroffenen bei der<br />

Passbeschaffung auf zumutbarer Weise. Die Beweislast für die Identität und Herkunft<br />

liegt bei den Betroffenen (§ 82 AufenthG). So wurden die meisten Interviewpartner<br />

dazu gedrängt, den Pass selbst zu beschaffen oder zumindest nachzuweisen,<br />

dass sie sich um einen Pass bemüht haben. Die Passbeschaffung stellte<br />

sich bei allen Interviewpartnern <strong>als</strong> sehr schwierig heraus. Sie bemühten sich seit<br />

vielen Jahren bei verschiedenen Botschaften um Pässe oder um Nachweise, die<br />

ihre Passbemühungen beweisen.<br />

Zumutbarkeit der Passbeschaffung<br />

Die Mitwirkungspflicht bei der Passbeschaffung muss für die Betroffenen jedoch<br />

zumutbar sein (vgl. § 48 AufenthG). Der Recherche des Rechtsanwaltes Herrn<br />

Kabis zufolge, gilt es beispielsweise für Frauen aus dem Iran <strong>als</strong> zumutbar, mit<br />

Kopftuch bekleidet bei der iranischen oder pakistanischen Botschaft vorzusprechen,<br />

eine Erklärung über die Freiwilligkeit des Rückkehrwunsches in den Iran zu<br />

unterschreiben oder eine iranische Geburtsurkunde durch Verwandte oder Anwälte<br />

im Iran beschaffen zu lassen (vgl. Kabis 2007, S. 11).<br />

Vier Interviewpartner äußern sich zur Problematik, bei Vertretern einer<br />

Botschaft vorsprechen zu müssen, in deren Herkunftsland sie aufgrund ihrer ethnischen<br />

Zugehörigkeit verfolgt oder diskriminiert werden.<br />

„Also die (ABH) haben jeden Tag fast Druck gemacht, dass wir einen Pass beschaffen.<br />

Dann waren wir bei der Botschaft, aber die haben uns wieder raus geschmissen.<br />

[…] Weil wir Kurden sind, hatten wir Angst in die Botschaft rein zu<br />

kommen und sie wollten uns in der Botschaft nicht drin haben“ (Herr Erol).<br />

Anforderungen der Botschaften für die Passausstellung<br />

Ein großes Problem stellen die Anforderungen der Botschaften für eine Passausstellung<br />

dar. Manche Botschaften weigern sich, Einreisedokumente auszustellen,<br />

weil die Identität oder Staatsangehörigkeit des/der Antragsteller_in nicht geklärt<br />

ist und die verlangten Dokumente, wie beispielsweise die Geburtsurkunde, nicht<br />

vorgelegt werden können.<br />

40


„Dann sagen die mir einfach, aber mündlich, das ist das Problem [...]: ‘Besorgen<br />

Sie sich bitte folgende Dinge. Entweder brauchen Sie ein Dokument, <strong>als</strong>o einen alten<br />

Pass oder einen Ausweis oder ganz einfach: Geburtsurkunde oder Staatsangehörigkeit.’<br />

Aber das hab ich nicht und ich kann das nur holen, wenn ich nach Bosnien<br />

fahre. Weil das machen die nur dort“ (Herr Schurda).<br />

„Seit mehr <strong>als</strong> 15 Jahren weiß ich nicht, wer soll mir die Geburtsurkunde und<br />

Staatsangehörigkeit geben. […] Serbien und Montenegro nehmen mich nicht auf,<br />

weil ich bin nicht Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro. Und heute ich<br />

hab’s versucht überall bei bosnischer, bei Botschaft serbischer. Es ist nicht<br />

möglich, dass ich meine Geburtsurkunde irgendwoher bekomme. [...]Wenn ich jetzt<br />

zur Botschaft sage: ‘Suchen Sie bitte selbst, weil ich hab keine Möglichkeit hier<br />

aus Deutschland, jemand zu schicken.’ Wenn ich jemand schicke, ich brauch wenigstens<br />

1000 € zu jemanden geben. Ich bin Sozialempfänger. Wie kann ich das<br />

geben?“ (Herr Miçko).<br />

Beweislast bei den Betroffenen<br />

Zusätzlich hängt aber die Beweisbarkeit der Identität und Herkunft von den Behörden<br />

in den Herkunftsländern ab. Manche Botschaften stellen keine Pässe aus,<br />

weil die Antragsteller_innen politisch unerwünscht sind. So erhalten „Kurden aus<br />

Syrien etwa […] grundsätzlich keinen Nationalpass, weil sie <strong>als</strong> unerwünschte<br />

Volksgruppe gelten und aus Sicht des syrischen Staates staatenlos sind“ (Kabis<br />

2007, S. 15). Verbreitete Praxis der ABH ist, die Betroffenen zu mehreren ausländischen<br />

Botschaften zu schicken (vgl. ebd., S. 16).<br />

Dies erwähnen auch einige Interviewpartner. Weil die Mitarbeiter_innen<br />

der ABH die Herkunft von Herrn Diyars Familie anzweifelten, schickten sie sie<br />

zur syrischen, zur türkischen und zur irakischen Botschaft. Viele Botschaften bescheinigen<br />

die Vorsprachen der Betroffenen nicht, was wiederum dazu führt, dass<br />

sich die Antragstellung bei der ABH nicht beweisen lässt.<br />

„Und dann waren wir bei der türkischen Botschaft, was die uns leider überhaupt<br />

nicht glaubten. Sie sahen, dass wir Kurden aus Syrien sind und sagten: ‘Nee, du<br />

hast hier nichts zu suchen. Also bekommst du auch nichts von uns. Wenn du nicht<br />

aus der Türkei bist, dann kann ich dir auch nicht helfen.’ Und das Problem ist bei<br />

den Botschaften, die geben überhaupt keine Bescheinigung, dass wir da waren und<br />

41


dass wir beantragt haben. Und die Ausländerbehörde glaubt uns das nicht. Und<br />

das geht immer hin und her“ (Herr Diyar).<br />

Die ABH kann auch weitere Bescheinigungen verlangen:<br />

„Die wollen, dass ich einfach zur Botschaft gehe und mir eine Bestätigung geben<br />

lasse, dass ich nicht registriert bin. Aber die türkische Botschaft gibt diese Bestätigung<br />

überhaupt nicht“ (Herr Diyar).<br />

Herr Diyar benötigt diese Bestätigung von der syrischen, der türkischen und der<br />

irakischen Botschaft. Von der syrischen Botschaft erhielt er bereits ein solches<br />

Dokument. Seit sechs Monaten wird dieses Dokument von der ABH auf<br />

Echtheit geprüft.<br />

Veränderung der Passsituation durch die Bleiberechtsregelung?<br />

Bei zwei Interviewpartnern veränderte sich durch die Bleiberechtsregelung die<br />

Passsituation. Da sie alle anderen Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung erfüllten<br />

und gleichzeitig ihre Identität geklärt war, konnten sie mit einer Bescheinigung<br />

der ABH bei ihrer Botschaft einen Pass beantragen. Die Bescheinigung enthält<br />

die Zusicherung der ABH auf eine AE bei Erteilung eines Passes.<br />

„Mitte Februar war ich dann bei der Botschaft, hab dann mit dieser Zusicherung<br />

für eine Aufenthaltserlaubnis einen Antrag gestellt noch mal bei der Botschaft auf<br />

einen Reisepass. Hab die ganzen Unterlagen eingereicht bei der Botschaft, <strong>als</strong>o<br />

Heiratsurkunde, Geburtsurkunde und so was. […] Dann brauchte ich auf meinen<br />

Pass ein paar Wochen zu warten, ich glaub vier Wochen ungefähr“ (Herr Ahmed).<br />

Beim zweiten Interviewpartner lief die Passausstellung nicht ganz so problemlos.<br />

Er musste bei der Botschaft Fragen zu seinem Fluchtgrund erdulden und viel Geld<br />

für die Passausstellung bezahlen.<br />

„Fast vier Monate habe ich gewartet auf den Pass. […] Die Ausländerbehörde<br />

hat mir den Emergency Pass zurückgegeben. Ich war damit auf der Botschaft. Die<br />

haben mich gefragt, wer mir den gegeben hat. ‚Die Ausländerbehörde.’ ‚Das dürfen<br />

die nicht, weil Sie gehen sollen.’ […] Die haben nach meiner Geburtsurkunde<br />

gefragt und dann musste ich fast 359 € bezahlen. Und dann haben sie so viele Fragen<br />

gestellt: ‚Warum sind Sie hierher gekommen?’ Beim Notar musste ich auch einen<br />

Brief holen. Da musste ich auch 70 € bezahlen. In Englisch musste es<br />

42


übersetzt werden“ (Herr Ratnam).<br />

Zwei weitere Interviewpartner erfüllen ebenfalls alle anderen Voraussetzungen<br />

der Bleiberechtsregelung. Deshalb erhielten auch sie eine Zusicherung von der<br />

ABH. Durch ihre ungeklärte Staatsangehörigkeit verlief die Passbeschaffung trotz<br />

Zusicherung erfolglos. 23 So erhielt Herr Diyar eine AE über die<br />

Bleiberechtsregelung, die auf sechs Monate befristet ist mit der Auflage einen<br />

Pass zu beschaffen. Herr Schurda ist dagegen weiterhin im Besitz einer Duldung.<br />

„Und die erwarten einen Reisepass von mir, damit die zwei Jahre da drauf machen<br />

können. Und ich habe leider gar keinen und die glauben das nicht. Und das ist immer<br />

dieser Konflikt: ‘Ich habe keinen Pass.’ ‘Nein, du hast einen. Wenn du ihn<br />

bringst, kriegst du einen Aufenthalt für zwei Jahre’“ (Herr Diyar).<br />

„Und ich habe meinen Nachweis bei der Ausländerbehörde vorgelegt, dass mich<br />

und meinen Bruder jemand einstellen wird, wenn wir Arbeitserlaubnis kriegen.<br />

Und die meinten: ‚Ja, du kriegst Arbeitserlaubnis, weil du kriegst einen Aufenthalt,<br />

aber du musst uns Pass besorgen.’ Ja, und das ist zurzeit nicht möglich, weil-“ 24<br />

(Herr Schurda).<br />

III.1.1.1 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Die Zusicherungsbescheinigung der ABH erleichtert die Passbeschaffung für<br />

Menschen mit geklärter Identität oder Staatsangehörigkeit erheblich. Diese Menschen<br />

haben eine wirkliche Chance, die Voraussetzung „Passpflicht“ zu erfüllen.<br />

Bei Menschen mit formell ungeklärter Identität oder Staatsangehörigkeit<br />

ist dies nicht gegeben. Ihnen werden Pflichten auferlegt, die nur selten zu erfüllen<br />

sind. Wie oben aufgeführt, ist zum einen die Zumutbarkeit der Passbeschaffung<br />

sehr hoch gesteckt, zum anderen wird der restriktive Umgang oder der Handlungsspielraum<br />

der Botschaften mit der Passausstellung oder den gewünschten<br />

Bescheinigungen nicht ausreichend von den Mitarbeiter_innen der ABH beachtet.<br />

23 Bei der Veranstaltung „Bleiben in Berlin - Bilanz und Perspektiven der Bleiberechtsregelung“<br />

am 19.09.2007 in der Heilig-Kreuz-Kirche Berlin äußerte Frau Eva-Maria Kulla, Ausländerbeauftragte<br />

des Ev. Kirchenkreises Teltow-Zehlendorf und Initiatorin der Arbeitsplatzkampagne für<br />

langjährig geduldete Migrant_innen, dass die bosnische und serbische Botschaft ihren<br />

Klient_innen keine Pässe ausstellen. Trotz der Dokumentation der Passverweigerung durch<br />

Zeug_innen und deren Vorlage bei der ABH erhielten die Klient_innen bisher keine AE.<br />

24 Das Zeichen „- “ innerhalb eines Interviews bedeutet Satzabbruch während des Gesprächs.<br />

43


Gleichzeitig werden oft die vorherigen Anstrengungen der Betroffenen diesbezüglich<br />

nicht berücksichtigt. Die Bemühungen der Menschen um die Erfüllung der<br />

Mitwirkungspflicht sind aus den genannten Gründen selten nachweisbar.<br />

III.1.2 Soziale und wirtschaftliche Integration<br />

Einige Voraussetzungen für die Erteilung einer AE nach der Bleiberechtsregelung<br />

werden, wie bereits erwähnt, <strong>als</strong> Integrationsvoraussetzungen bezeichnet. So heißt<br />

es in der Broschüre „Chancen nutzen - Aufenthalt sichern“ der Integrationsministerin<br />

M. Böhmer: „Die Bleiberechtsregelung soll ausreisepflichtigen Ausländern<br />

einen rechtmäßigen Aufenthalt mit einer Bleibeperspektive ermöglichen, wenn sie<br />

sich sozial und wirtschaftlich integriert haben“ (Beauftragte der Bundesregierung<br />

für Migration, Flüchtlinge und Integration 2007, S. 2).<br />

Dabei gibt es sehr unterschiedliche Auffassungen von Integration. Sie bewegen<br />

sich zwischen den beiden Polen: „die Gesellschaft integriert die Menschen“<br />

und „die Menschen müssen sich in die Gesellschaft integrieren“ (vgl.<br />

Weber 2003, S. 165f.). Die „soziale und wirtschaftliche Integration“ nach der<br />

Bleiberechtsregelung wird an den nachfolgenden Punkten „Sicherung des Lebensunterhaltes“,<br />

„Ausreichende Deutschkenntnisse“ und „Ausreichender Wohnraum“<br />

gemessen.<br />

III.1.2.1 Sicherung des Lebensunterhaltes<br />

Die Sicherung des LU stellt eine Erteilungsvoraussetzung für eine AE dar. Erfüllt<br />

ist diese Voraussetzung in der Berliner Weisung durch den Nachweis eines Ausbildungs-,<br />

eines Studien- oder eines Arbeitsplatzes. Die meisten der Befragten<br />

konnten dies erfüllen. Herr Ahmed und Herr Diyar konnten über ihre AE nach der<br />

Bleiberechtsregelung eine betriebliche Ausbildung in einem Krankenhaus aufnehmen.<br />

Herr Ratnam arbeitet seit der Erteilung der AE <strong>als</strong> Beikoch. Zwei Interviewpartner,<br />

Herr Schurda und Herr Jiyan, legten bereits Arbeitsangebote bei der<br />

ABH vor. Nur Herr Miçko muss bis zum 1.10.2007 einen Arbeitsplatz vorweisen.<br />

Da Herr Erol und Herr Koç von der Bleiberechtsregelung von vornherein ausgeschlossen<br />

wurden, müssen sie auch keine Arbeitsangebote vorlegen.<br />

44


Die nachfolgende Tabelle soll zuallererst einen zusammenfassenden Überblick<br />

über die schulische und berufliche Bildung und beruflichen Qualifikationen<br />

der Interviewpartner in den Herkunftsländern und in Deutschland vermitteln.<br />

Herr Miçko<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Herr Erol<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Herr Koç<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Herr Ratnam<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Herr Jiyan<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Herr Schurda<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Herr Ahmed<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Herr Diyar<br />

im Herkunftsland<br />

in Deutschland<br />

Schule Ausbildung Arbeit<br />

bis 7. Klasse<br />

5 Jahre (ohne Abschluss<br />

(früherer Aufenthalt))<br />

bis 5. Klasse<br />

-<br />

bis 5. Klasse<br />

-<br />

bis 10.Klasse (ohne Abschluss)<br />

3 Monate<br />

bis 8. Klasse (mit Abschluss)<br />

6 Monate<br />

bis 4. Klasse<br />

erweiterter Hauptschulabschluss<br />

bis 6. Klasse<br />

Abitur<br />

?<br />

Re<strong>als</strong>chulabschluss<br />

-<br />

Koch (früherer Aufenthalt)<br />

Maurer<br />

-<br />

Maurer<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

Seit der AE: Pflegeassistentenausbildung<br />

-<br />

Seit der AE: Pflegeassistentenausbildung<br />

Koch, Fabrikarbeiter<br />

Koch (früherer Aufenthalt)<br />

Maurer<br />

Arbeitsgelegenheit 25<br />

Maurer<br />

-<br />

-<br />

Zeitungsausträger,<br />

Tellerwäscher<br />

Seit der AE: Beikoch<br />

-<br />

Gastronomiebereich<br />

(irregulär)<br />

-<br />

Reinigungs- und<br />

Gastronomiebereich<br />

(irregulär)<br />

-<br />

-<br />

-<br />

-<br />

Das nachfolgende Kapitel ist gegliedert in die Unterpunkte „Zugang zur<br />

Schulbildung“, „Ausbildung“, „Arbeit“ und „Bedeutung von Arbeit und Bildung<br />

für die Betroffenen“. Das abschließende Fazit des gesamten Kapitels findet sich<br />

25 In den ersten drei Jahren kann von allen arbeitsfähigen (auch von arbeitsfähigen Personen im<br />

Rentenalter), nicht schulpflichtigen Leistungsempfängern des AsylbLG gefordert werden, so genannte<br />

Arbeitsgelegenheiten wahrzunehmen (vgl. § 5 AsylbLG). Ebenfalls kann dies von Personen<br />

gefordert werden, die ihr Abschiebungshindernis selbst beeinflusst haben oder denen unterstellt<br />

wird, nach Deutschland eingereist zu sein, um Leistungen nach dem AsylbLG zu erlangen.<br />

Der Lohn beträgt 1,05 € pro Stunde. Wer eine zumutbare Arbeitsgelegenheit nicht wahrnimmt,<br />

dem wird der Barbetrag der Sozialhilfe nach dem AsylbLG gekürzt oder gestrichen (vgl. Classen<br />

2000, S. 148). Diese Sanktionsmöglichkeit verstößt wegen des zugleich bestehenden faktischen<br />

und tatsächlichen Arbeitsverbotes gegen die ILO- Übereinkommen Nr. 29 sowie Nr. 105 über die<br />

Abschaffung der Zwangs- und Pflichtarbeit, zumal die Arbeitsgelegenheit gerade nicht den Zielen<br />

einer beruflichen und sozialen Integration dient.<br />

45


im letzten Unterpunkt „Zusammenfassung und Bewertung“.<br />

III.1.2.1.1 Zugang zur Schulbildung<br />

Um ein Beschäftigungsverhältnis abzuschließen, welches wiederum die Voraussetzung<br />

für die Erfüllung der Anforderung „Sicherung des LU“ ist, verlangen fast<br />

alle Betriebe von ihren Bewerber_innen die Vorlage und Darstellung ihres Lebenslaufes.<br />

Arbeitgeber_innen achten insbesondere auf einen lückenlosen schulischen<br />

und beruflichen Werdegang. Auch Schulabschlüsse, berufliche Qualifikationen<br />

und gute Noten sind äußerst wichtig. (vgl. Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.)<br />

2006, S. 18ff.). Aufgrund der hohen Bedeutung der Schulbildung für die Chancen<br />

auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt werde ich in diesem Unterpunkt insbesondere<br />

auf den schulischen Werdegang der Interviewpartner eingehen.<br />

In der Bundesrepublik Deutschland ist der Schulbesuch der Kinder mit<br />

unsicherem Aufenthaltsstatus in jedem Bundesland unterschiedlich geregelt. Da<br />

die Familien, die in Deutschland geduldet oder gestattet werden, ihren Wohnort<br />

nicht selbst wählen dürfen, sondern in die Bundesländer verteilt werden, hängt der<br />

Schulbesuch der Kinder von ihrer Zuteilung ab.<br />

Unterschieden wird zwischen Schulpflicht und Schulrecht. Nachteile eines Schulbesuchsrechts<br />

gegenüber einer Schulpflicht sind unter anderem:<br />

− Die Eltern werden häufig nicht über die Möglichkeit des Schulbesuchs informiert.<br />

− Von außerschulischen Fördermaßnahmen sind die Schüler häufig ausgeschlossen<br />

(vgl. Rieger 2007, S. 248).<br />

− Die Transporte zur Schule werden nicht bezahlt (vgl. Neumann 2007,<br />

S. 239).<br />

− „Schulen können Kinder mit Schulbesuchsrecht unter dem Vorbehalt personeller,<br />

finanzieller oder sachlicher Voraussetzungen abweisen.“<br />

(Motakef 2006, S. 32).<br />

Von 1989 bis 2004 bestand in Berlin gemäß Art. 20 (1) Verfassung Berlin und<br />

dem § 15 (1) SchlG (alt) für asylsuchende und geduldete Kinder und Jugendliche<br />

46


die Schulpflicht bis 14 Jahren. 26 14- bis 15-jährige, die in zwei Jahren den<br />

Hauptschulabschluss erreichen konnten, unterlagen ebenfalls der Schulpflicht; die<br />

anderen besuchten zwei Jahre dauernde Einführungslehrgänge. Bei 16 und<br />

17jährigen bestand nur ein Schulantragsrecht, dem abhängig vom Bildungsstand<br />

stattgegeben wurde.<br />

Fünf der acht Interviewpartner kamen <strong>als</strong> Kinder beziehungsweise <strong>als</strong> Jugendliche<br />

nach Deutschland und besuchten in Berlin die Schule. Nach dem damaligen<br />

Berliner Schulgesetz galten drei von ihnen <strong>als</strong> schulpflichtig. Trotzdem hatten<br />

zwei schulpflichtige Interviewpartner Schwierigkeiten, in das deutsche Schulsystem<br />

zu gelangen. Der mehrmalige Wechsel der Unterkünfte, die fehlende Information<br />

über den Schulbesuch und die mangelnde Aufnahmebereitschaft der<br />

Schulen wegen angeblicher Vollbelegung verzögerten den Zugang zur Schule um<br />

mehrere Monate.<br />

„In der ersten Zeit, ich glaub vom Winter bis Sommerferien, <strong>als</strong>o ich kam ja im<br />

Winter, bis dahin waren wir gar nicht in der Schule. Da kam auch gar niemand<br />

und hat sich darum gekümmert und hat nachgefragt, warum wir nicht in der Schule<br />

sind. Und das war, dass wir zuerst in diesem Aufsammellager waren in X und da<br />

war’ s auch so. […] Da waren wir dort, ich glaub ein Monat. Dann waren wir in<br />

einem ganz anderen Heim für zwei Monate. Da kam auch nichts. Und dann waren<br />

wir in einem ganz anderen Heim, und da haben wir uns in der Schule angemeldet“<br />

(Herr Ahmed).<br />

„Also, wo ich nach Deutschland kam, waren so viele Leute hier unterwegs nach<br />

Deutschland, dass die Schulen schon voll waren. Und ich konnte in gar keine Schule<br />

reinkommen. Und das heißt vielleicht sechs, sieben Monate oder so war ich nicht<br />

in der Schule. Ich konnte nicht, weil die alle voll waren. Ich stand auf der Liste, <strong>als</strong>o<br />

mein Vater hat mich zur Untersuchung gebracht für ganz normale Schule, und<br />

das war ganz einfach voll“ (Herr Schurda).<br />

Bevor Herr Ahmed, Herr Schurda und Herr Diyar eine Regelschule besuchen<br />

durften, kamen sie in eine Vorbereitungsklasse, die für Migrant_innen und<br />

26 Seit dem 26.1.2004 besteht gemäß Art. 20 (1) Verfassung Berlin und den §§ 2 (1), 41 (1) und (2)<br />

des SchlG (neu) bis 17 Jahren die Schulpflicht (vgl. Harmening 2005, S. 12). Bis heute gibt es in<br />

Baden-Württemberg für asylsuchende und geduldete Kinder und in Hessen für geduldete Kinder<br />

keine Schulpflicht (vgl. ebd. 2006, o. S.).<br />

47


Flüchtlinge angeboten wurde. Ein Interviewpartner kritisiert das niedrige Niveau<br />

der Vorbereitungsklasse. In seiner Wartezeit hatte er Deutsch über das Fernsehen<br />

gelernt. Nach etwa einer Woche stellte seine Lehrerin in der Vorbereitungsklasse<br />

fest, dass er die deutsche Grammatik beherrscht. Trotzdem musste er dort noch<br />

etwa drei Monate bleiben, da der Wechsel in eine Regelschule erst zum Schuljahresende<br />

möglich war.<br />

„Und bei der Vorbereitungsklasse haben wir alles durcheinander gelernt. Weil ich<br />

kann mich noch erinnern in der dritten und vierten Klasse im ehemaligen Jugoslawien,<br />

was ich dort in Mathe gehabt habe, hatte ich in dieser Vorbereitungsklasse<br />

nicht gelernt. Da waren die Aufgaben viel leichter in dieser Vorbereitungsklasse.<br />

[…] Von 25 oder 26 Schülern konnten vielleicht nur fünf, sechs gut deutsch, <strong>als</strong>o<br />

was heißt gut deutsch, aber konnten sich schon unterhalten“ (Herr Schurda).<br />

Nach der Vorbereitungsklasse wechselte ein Interviewpartner auf die Re<strong>als</strong>chule<br />

und machte dort seinen Abschluss; die beiden anderen gingen auf eine Hauptschule.<br />

Herr Ahmed war auf der Hauptschule unterfordert, Herr Schurda schaffte dort<br />

seinen Abschluss nicht.<br />

„Aber dann ging ich auf eine ganz normale Klasse, achte Klasse, neunte und ich<br />

hab oft gefehlt (er lacht) und konnte meinen Abschluss nicht schaffen“ (Herr<br />

Schurda).<br />

„Ich hab’ s dam<strong>als</strong> aber auch nicht so verstanden- <strong>als</strong>o das war so- weil da kam<br />

niemand irgendwie und hat erklärt: ‚Es gibt Hauptschule, Re<strong>als</strong>chule und so was.’<br />

[…] Ja dann war ich da, ich glaub vier Wochen und dann meinte mein Lehrer,<br />

dass ich das auf der Re<strong>als</strong>chule probieren soll“ (Herr Ahmed).<br />

Herr Schurda holte den Hauptschulabschluss schließlich an der Volkshochschule<br />

nach und über ein Projekt des EU-Programms EQUAL 27 nutzte er die Chance diesen<br />

zu erweitern. Herr Ahmed machte wie Herr Diyar den Re<strong>als</strong>chulabschluss.<br />

Die Wohnsituation der Kinder und Jugendlichen, die in Gemeinschaftsunterkünften<br />

wohnen müssen, ist eine weitere Barriere, die den Zugang zur Bildung<br />

erschwert. Die Autorin Rieger meint dazu: „Die Wohnverhältnisse sind oft sehr<br />

schwierig und beengt, so daß es für die Kinder mitunter nicht leicht ist, unter<br />

27 Zu EQUAL siehe unter „III.1.2.1.2 Ausbildung“.<br />

48


diesen Lebensumständen ihre Hausaufgaben zu erledigen“ (Rieger 2007, S. 246).<br />

Auch ein Interviewpartner kritisierte die beengten Wohnverhältnisse des Wohnheims,<br />

die ihm das Lernen erschwerten.<br />

„Noch eine Rieseneinschränkung war das Leben im Heim. […] Und da ist es jetzt<br />

auch gar nicht möglich mal Freunde mitzunehmen oder irgendwie Ruhe zu haben<br />

und so was. Ganz in Ruhe Hausaufgaben zu machen oder Leute zu sich einladen.<br />

Gar, gar nicht möglich“ (Herr Ahmed).<br />

Weiter erwähnte er, dass er während seiner Schulzeit keinen Förderunterricht erhielt.<br />

Gemäß § 80 AufenthG gelten „ausländische“ Jugendliche ab 16 Jahren <strong>als</strong><br />

handlungsfähig. 28 Dadurch, dass sie nicht mehr durch die Jugendhilfe unterstützt<br />

werden, haben sie auch keinen Anspruch auf Förderung durch schulische Maßnahmen<br />

(vgl. Vogl 2003, S. 58).<br />

„Ja dann war ich auf einer Re<strong>als</strong>chule. […] Aber auch in der Zeit, es gab gar kein<br />

Deutschförderunterricht oder so, <strong>als</strong>o speziell für mich oder so. […] Also das war<br />

jetzt auch im Wohnheim, wo sehr viele Jungs und Mädchen da sind, die in der<br />

Schule sind. Da kam auch nicht irgendwie ein Lehrer nachmittags. Hausaufgabenhilfe<br />

oder so was gab’ s da gar nicht. Also war praktisch auf sich allein gestellt“<br />

(Herr Ahmed).<br />

Während sich Herr Diyar nach seinem Re<strong>als</strong>chulabschluss vergeblich bemühte,<br />

auf ein Gymnasium zu wechseln, um das Abitur zu machen, konnte Herr Ahmed<br />

ein solches absolvieren. Beide waren zu diesem Zeitpunkt nach dem Berliner<br />

Schulgesetz nicht mehr schulpflichtig. Ein Schulantragsrecht bestand jedoch. Wie<br />

oben erwähnt, können Schulen Jugendliche mit einem Schulantragsrecht abweisen.<br />

„Ich wollte mein Abi machen. Die Schule wollte mich erst annehmen. Dann wollten<br />

die meinen Pass sehen. Das ist selten, dass die danach fragen, aber bei mir haben<br />

die danach gefragt. Dann habe ich ihn gezeigt und die meinten: ‚Für sechs<br />

28 Diese Unterscheidung zu deutschen Jugendlichen verstößt gegen die UN-Konvention über die<br />

Rechte des Kindes (KRK). Sie wurde 1992 von der BRD mit einer Vorbehaltserklärung ratifiziert.<br />

Diese hat zum Inhalt, dass die KRK nicht dahingehend ausgelegt werden kann, „dass sie das Recht<br />

der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von<br />

Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthaltes zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern<br />

und Ausländern zu machen.“ Das bedeutet, dass „ausländische“ Kinder und Jugendliche in<br />

Deutschland vom Schutz der KRK ausgenommen sind.<br />

49


Monate Aufenthalt und dann Abschiebung. Das geht nicht’“ (Herr Diyar).<br />

Mit ihren 16 und 18 Jahren waren zwei Interviewpartner, die ohne Familie nach<br />

Deutschland kamen, nach dem damaligen Berliner Schulgesetz nicht mehr schulpflichtig.<br />

Wegen der Unvereinbarkeit von Schule und Arbeit und wegen psychischen<br />

Problemen brachen beide die Schule, die sie ein paar Monate besuchten, ab.<br />

„Und danach, <strong>als</strong> ich in Deutschland war, danach hab ich die X- Schule besucht.<br />

[…] Das hat nicht lange gedauert, so fünf, sechs Monate, weil mit den Leute, die<br />

Drogen nehmen und die kiffen. Und die Arbeit machen, mit dem Leben und auch<br />

gleichzeitig zur Schule gehen hat nicht geklappt. […] Hat nicht geklappt, weil ich<br />

hatte viele Probleme und man sieht viele verschiedene Menschen und man kriegt<br />

Stress und Depression auf einmal“ (Herr Jiyan).<br />

„Ich war hier am Anfang in der Schule. […] Aber ich hab keinen Schulabschluss,<br />

weil ich hab nebenbei gearbeitet. Irgendwann hat das nicht mehr funktioniert.<br />

Nachtschicht habe ich gearbeitet, tagsüber musste ich schlafen. Außerdem fragte<br />

die Ausländerbehörde, von was ich lebe. Sie wollen auch nicht, dass ich von Sozialhilfe<br />

lebe. Deswegen habe ich gearbeitet“ (Herr Ratnam).<br />

Zu einem späteren Zeitpunkt wollten beide den Schulbesuch wiederaufnehmen,<br />

was ihnen aus Gründen wie dem Mangel aufnahmebereiter Schulen und dem<br />

Schulbesuchsverbot von Seiten der ABH nicht möglich war.<br />

„Ich wollte eigentlich noch mal zur Schule gehen, noch mal auf eine Volksschule<br />

gehen, noch mal studieren gehen. Aber dann habe ich die Ausländerbehörde gefragt,<br />

ob ich studieren kann, in die Schule gehen kann. Das war nicht gestattet“<br />

(Herr Ratnam).<br />

III.1.2.1.2 Ausbildung<br />

Auch wenn die Betroffenen die Hürden der schulischen Bildung erfolgreich<br />

überwinden können, ist der Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für Menschen<br />

mit unsicherem Aufenthaltsstatus stark erschwert. Für Praktika, schulische<br />

und berufliche Ausbildungen ist für Menschen mit unsicherem Aufenthalt eine<br />

Arbeitserlaubnis erforderlich. Nach Vorlage eines Ausbildungsangebotes bei der<br />

ABH wird den Betroffenen, wie unten genauer erläutert, nur dann eine<br />

50


Arbeitserlaubnis erteilt, wenn die Bundesagentur für Arbeit nach einer Arbeitsmarktprüfung<br />

der Erteilung zustimmt (vgl. Rieger 2007, S. 250).<br />

Die Ausbildungsplätze müssen von den Jugendlichen selbst gefunden werden,<br />

„da die Dienste des Arbeitsamtes generell die Beratung asylsuchender und<br />

geduldeter Jugendlicher nicht umfassen“ (ebd., S. 251). Weil geduldete und asylsuchende<br />

Menschen keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II) haben,<br />

entfallen auch die Ansprüche auf Fördermaßnahmen zur Arbeitsmarktintegration<br />

(vgl. Foda/Kadur 2005, S. 32). 29<br />

Es besteht aber die Möglichkeit, schulische Qualifizierungsmaßnahmen im<br />

Rahmen von EQUAL wahrzunehmen (vgl. Rieger 2007, S. 247). EQUAL ist eine<br />

Gemeinschaftsinitiative der Europäischen Union, die die Diskriminierung und<br />

Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen sowie bestimmte Zielgruppen<br />

(wie z. B. Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus) fördern will (vgl.<br />

Bundesministerium für Arbeit und Soziales o. J., o. S.). Für Praktika oder Qualifizierungsmaßnahmen<br />

des EU-Programms EQUAL benötigen die Teilnehmer_innen<br />

keine Arbeitserlaubnis (vgl. Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten.<br />

Ausländerbehörde Berlin. 2007, S. 114).<br />

Durch die Residenzpflicht 30 ist die Ausbildungsplatzsuche auf den Landkreis<br />

beschränkt. „Ein Rechtsanspruch auf Umverteilung in einen anderen Landkreis<br />

besteht nicht. Ausbildungsstellen, die Mobilität verlangen wie zum Beispiel<br />

Montagefahrten im Baugewerbe, sind schon aus diesem Grunde für asylsuchende<br />

Jugendliche häufig ausgeschlossen“ (Rieger 2007, S. 247).<br />

Zugang zur schulischen Ausbildung<br />

Zwei Interviewpartner hatten die Möglichkeit, eine schulische Ausbildung zu machen.<br />

Beide brachen die Ausbildung ab. Herr Schurda hatte persönliche Gründe<br />

für den Abbruch, Herr Diyar bekam die Möglichkeit an einer Qualifizierungsmaßnahme<br />

zum Pflegeassistenten teilzunehmen, was im Gegensatz zu seiner vorherigen<br />

Elektrikerausbildung seinem Interessengebiet entspricht. Die schulische<br />

Ausbildung wurde ihm über eine Organisation, die vom EU-Programm EQUAL<br />

29 Zu den Leistungsansprüchen siehe unter „III.2.1.2.1. Sozialleistungen nach dem AsylbLG“.<br />

30 Zur Residenzpflicht siehe unter „III.2.1.1.1 Verstoß gegen die Residenzpflicht“.<br />

51


gefördert wird, vermittelt.<br />

„Eine schulische Ausbildung ist die einzige Möglichkeit, <strong>als</strong>o dass man überhaupt<br />

eine Chance hat. Das darf man machen. […] Ich hab eineinhalb Jahre eine schulische<br />

Ausbildung <strong>als</strong> Elektriker gemacht. Dann hab ich von dieser Maßnahme gehört<br />

und dann hab ich damit aufgehört und mit dieser Krankenpflegerausbildung<br />

angefangen. […] Die Elektrikerausbildung hab ich nur gemacht, um nicht zu Hause<br />

herumzusitzen. Um irgendeine Beschäftigung für mich zu finden“ (Herr Diyar).<br />

Zugang zur betrieblichen Ausbildung<br />

Wie bereits erwähnt, benötigen Personen mit Duldung eine Arbeitserlaubnis, um<br />

eine betriebliche Ausbildung aufnehmen zu können. Zwei Interviewpartner bemühten<br />

sich erfolglos um eine betriebliche Ausbildung. Herr Jiyan wurde von<br />

einer sozialen Einrichtung unterstützt, die Flüchtlingen hilft, einen Ausbildungsplatz<br />

zu finden. Trotz der Unterstützung dieser Einrichtung fand er keinen Ausbildungsplatz.<br />

Herr Diyar wurde zu vielen Vorstellungsgesprächen eingeladen. Als<br />

schwierig empfand er es, die Arbeitgeber_innen über seine Duldung aufzuklären:<br />

„Das Problem ist, in ein Gespräch zu gehen und die ein bisschen über deine Situation<br />

aufzuklären. Dass der Aufenthalt für sechs Monate reicht. Und ob sie vielleicht<br />

einen Brief an Ausländerbehörde schicken könnten, dass wenn er einen Aufenthalt<br />

bekommt, dann kriegt er eine Ausbildung. Die Situation zu erklären. Das ist<br />

richtig schwierig und manche kapieren es überhaupt nicht. Die wissen überhaupt<br />

nicht, um was es geht. Die wissen nicht immer, was eine Duldung ist“ (Herr<br />

Diyar).<br />

Als Ablehnungsgründe geben Herr Jiyan und Herr Diyar den fehlenden Pass, die<br />

beschränkte Aufenthaltsdauer durch die Duldung und die Duldungsauflage „Erwerbstätigkeit<br />

nicht gestattet“ an.<br />

„Ich hab keine Ausbildungsplätze gefunden, weil ich kein Papier oder Pass habe<br />

oder was weiß ich“ (Herr Jiyan).<br />

„Und dann einmal hatte ich es fast geschafft, da meinten die: ‚Dürfen wir deinen<br />

Pass kopieren?’ Dann haben sie mich angeschaut und gesagt: ‚Oh nee, tut mir<br />

leid, das geht nicht, weil da steht ‚Erwerbstätigkeit nicht gestattet’. Der Aufenthalt<br />

ist auch nur für sechs Monate. Wir wissen nicht, ob du hier bleibst oder nicht und<br />

52


deswegen können wir dir auch keinen Ausbildungsplatz geben’“ (Herr Diyar).<br />

Qualifizierungsmaßnahme zur Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung<br />

Wie bereits erläutert, erschwert die Ausstellung kurzfristiger Duldungen die Ausbildungssuche.<br />

Denn die mögliche Abschiebung bedeutet für den Ausbildungsbetrieb<br />

ein finanzielles Risiko. Wegen des Verwaltungsaufwandes bilden Arbeitgeber_innen<br />

meist nur dann Jugendliche mit unsicherem Aufenthaltsstatus aus,<br />

wenn sie Unterstützung von externen Institutionen erhalten (vgl. ebd., S. 247).<br />

Zwei Interviewpartner absolvierten eine Qualifizierungsmaßnahme des<br />

EU- Programms EQUAL zum Pflegeassistenten. Durch die Kooperation zwischen<br />

dem Projekt und einem großen Berliner Krankenhaus, konnten Herr Ahmed und<br />

Herr Diyar im April 2007 mit ihrer Ausbildung im Krankenhaus beginnen. Voraussetzungen<br />

für den Ausbildungsplatz in diesem Krankenhaus waren ein Krankenhauspraktikum,<br />

ein gutes Schulzeugnis, Deutschkenntnisse und eine AE. Die<br />

AE musste dem Krankenhaus mindestens eine Woche vor dem Ausbildungsbeginn<br />

vorliegen. Die Projektmitarbeiter unterstützten die Jugendlichen intensiv bei<br />

der Erlangung der AE nach der Bleiberechtsregelung.<br />

„Also das war relativ leicht, diesen Ausbildungsplatz zu bekommen. Aber ich denke,<br />

wenn es dieses X (Projekt) jetzt nicht gäbe und dieses Verhältnis nicht gäbe,<br />

wäre es viel schwieriger, viel schwieriger. Beziehungsweise eigentlich gar nicht<br />

möglich, weil <strong>als</strong>o so wie das Krankenhaus mit uns, <strong>als</strong>o mit den Qualifizierungsteilnehmern,<br />

umgeht, das war jetzt nicht normal. Weil <strong>als</strong>o die hatten von uns gehört,<br />

dass es für uns schwer ist wegen der Aufenthaltserlaubnis und das so zeitlich<br />

abgestimmt werden muss“ (Herr Ahmed).<br />

„Ich habe eine Ausbildung <strong>als</strong> Pflegeassistent angefangen durch diese Maßnahme<br />

von X (Projekt). Und er hat mir immer geholfen bei der Ausländerbehörde, damit<br />

ich die Ausbildung, die Maßnahme machen kann. Er hat Druck bei der Ausländerbehörde<br />

gemacht. Und die haben mir eine Aufenthaltserlaubnis gegeben, aber das<br />

ist ein Ersatzausweis“ (Herr Diyar).<br />

53


III.1.2.1.3 Arbeit: Arbeitsverbot und Vorrangprüfung<br />

Der Arbeitsmarktzugang für Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus wird<br />

wie schon der Zugang zu Schule und Ausbildung erschwert bzw. verhindert. Unterschieden<br />

werden kann zwischen dem absoluten und dem faktischen<br />

Arbeitsverbot.<br />

Die gesetzlichen Regelungen zum absoluten Arbeitsverbot sind von<br />

ständigen Änderungen gekennzeichnet. So bestand bis Ende 1990 eine Wartezeitregelung<br />

von fünf Jahren. Im Jahr 1991 wurde sie auf ein Jahr herabgesetzt, um<br />

noch Mitte des gleichen Jahres auf drei Monate verringert zu werden. 1997 wurde<br />

für diejenigen, die nach dem 15.5.1997 eingereist sind, der arbeitserlaubnisrechtliche<br />

Zugang zum Arbeitsmarkt vollkommen versperrt (vgl. Kühne/Rüßler 2000,<br />

S. 98f.). Mit der Lockerung des absoluten Arbeitsverbotes im Jahr 2001 besteht<br />

für Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus nur noch im ersten Jahr ihres<br />

Aufenthalts in der BRD ein absolutes Arbeitsverbot (vgl. Herzog/Wälde 2004,<br />

S. 112). 31 Personen, die nach Deutschland eingereist sind, um Leistungen nach<br />

dem Asylbewerberleistungsgesetz zu erlangen oder Menschen, die Gründe, die<br />

ihrer Abschiebung entgegenstehen, selbst zu vertreten haben, sind von der Erteilung<br />

der Arbeitserlaubnis ausgeschlossen (vgl. § 11 BeschVerfV).<br />

Im Jahr 1993 wurde ein Prüfverfahren eingeführt, das bis heute<br />

besteht (vgl. Herzog/Wälde 2004, S. 113). Es wird häufig <strong>als</strong> faktisches Arbeitsverbot<br />

bezeichnet, da dieses Verfahren die Arbeitsaufnahme tatsächlich unmöglich<br />

macht. Demnach kann eine Arbeitserlaubnis nur erteilt werden, wenn erstens<br />

keine nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu erwarten sind und<br />

zweitens für die Beschäftigung keine bevorrechtigten Arbeitnehmer_innen zur<br />

Verfügung stehen. Bevorrechtigt sind Deutsche, EU-Bürger_innen und Drittstaatler_innen,<br />

die eine Arbeitsberechtigung besitzen (vgl. § 39 AufenthG). Die Vorrangprüfung<br />

sieht in der Praxis folgendermaßen aus: Die betreffende Person muss<br />

ein Arbeitsangebot bei der ABH vorlegen. Daraufhin gibt die ABH die Angaben<br />

an die Arbeitsagentur weiter. Diese prüft, ob die Person nicht zu ungünstigeren<br />

Arbeitsbedingungen (mindestens ortsüblicher Lohn) <strong>als</strong> ein vergleichbarer<br />

31 Geregelt im § 61 AsylVfG und im § 10 BeschVerfV.<br />

54


deutscher Arbeitnehmer beschäftigt werden soll. Der/Die Arbeitgeber_in muss<br />

deshalb der Arbeitsagentur über Bezahlung, Arbeitszeiten und sonstige Arbeitsbedingungen<br />

Auskunft geben (§ 39 (2) S. 3 AufenthG). Nach positiver Prüfung<br />

schickt die Arbeitsagentur dem/der Arbeitgeber_in bis zu sechs Wochen bevorrechtigte<br />

Arbeitslose. Wenn der/die Arbeitgeber_in begründen kann, dass darunter<br />

kein_e geeignete_r Arbeitnehmer_in war, stimmt die Arbeitsagentur der Beschäftigung<br />

zu und gibt das an die ABH weiter, die dann die Arbeitserlaubnis erteilt<br />

(vgl. Classen 2005, S. 122). 32<br />

Nach dem alten Recht wurden die Arbeitserlaubnisse von den Arbeitsämtern<br />

direkt erteilt (vgl. Leidt/Skerutsch 2005, S. 59). Seit 2005 holt die ABH die<br />

Zustimmung zur Arbeitserlaubnis bei dem zuständigen Arbeitsamt ein („One stop<br />

government“). Pro Asyl hat beobachtet, dass seit der Einführung dieser Regelung<br />

noch mehr Arbeitsverbote erteilt werden (Pelzer/Mesovic 2006, S. 21ff.).<br />

Zugang zum regulären Arbeitsmarkt<br />

Vor der Bleiberechtsregelung ging nur ein Interviewpartner einer regulären Erwerbsarbeit<br />

nach. Der Zugang zum Arbeitsmarkt war, wie oben erläutert, von<br />

ständigen Änderungen geprägt. Herr Ratnam kam diesbezüglich zu einem günstigen<br />

Zeitpunkt nach Deutschland. So bestand in seinem Ankunftsjahr 1992 das<br />

Arbeitsverbot lediglich für drei Monate, die Arbeitsmarktprüfung wurde erst 1993<br />

eingeführt. Zirka vier Jahre durfte er <strong>als</strong> Tellerwäscher und Zeitungsausträger in<br />

Deutschland arbeiten. Erst <strong>als</strong> sein Asylverfahren negativ entschieden wurde und<br />

er eine Duldung bekam, änderte sich seine Arbeitssituation.<br />

„Gericht hat den Asylantrag abgelehnt, Aufenthalt weg. Arbeitserlaubnis weg.<br />

Mein Chef sagte auch: ‘Du kannst nicht mehr hier arbeiten.’ Das war wirklich<br />

schwierig“ (Herr Ratnam).<br />

Während seines Aufenthaltes mit einer Duldung oder Grenzschutzbescheinigung<br />

war er nicht auf Arbeitssuche.<br />

„Ich hätte von mir aus einen Arbeitsplatz gesucht, aber die geben mir ja keine<br />

32 Nach dem 2. ÄndG zum ZuwG, das im August 2007 in Kraft getreten ist, erhalten Menschen<br />

mit Duldung nach vier Jahren einen gleichrangigen Arbeitsmarktzugang (vgl. Dienelt 2007, o. S.).<br />

55


Erlaubnis“ (Herr Ratnam).<br />

Insgesamt fünf Interviewpartner bemühten sich erfolglos um eine Arbeitserlaubnis.<br />

Einer von ihnen erzählte, dass er Schwierigkeiten hatte, eine Arbeit zu finden.<br />

Dies führte er auf seinen Aufenthaltsstatus zurück.<br />

„Aber ich hab Arbeit gesucht, dam<strong>als</strong> noch, hab ich keine Arbeit gekriegt, weil ich<br />

war über zwölf Jahre Asylbewerber und jetzt bin ich seit drei oder vier Jahren geduldet“<br />

(Herr Miçko).<br />

Die vier anderen berichteten, dass sie keine Schwierigkeiten hatten, eine Arbeit<br />

im Gastronomie-, Bau- oder Reinigungsbereich zu finden und legten regelmäßig<br />

über viele Jahre hinweg Arbeitsangebote vor. Entweder wurde die Erteilung sofort<br />

abgelehnt oder die Befragten erhielten keine Antwort von den Behörden.<br />

„Ich habe alle drei Monate einen Antrag gestellt beim Jobcenter, dass ich eine Arbeit<br />

bekomme, aber es wurde abgelehnt. Die haben gesagt, ich kann keine Arbeit<br />

kriegen und ‚Kommen Sie in drei Monaten’. […] Ich hab drei Mal einen Job gefunden<br />

<strong>als</strong> Maurer, wo ich auch voll arbeiten kann, wurde das von der Arbeitsagentur,<br />

vom Arbeitsamt dam<strong>als</strong>, die Arbeitserlaubnis abgelehnt und ich hab auch<br />

geklagt beim Sozialgericht. Nach der Ablehnung vom Gericht bin ich auch mal zum<br />

Anwalt. Und der Anwalt hat mir auch davon abgeraten noch weiter einen Job zu<br />

suchen, weil das hat gar keinen Sinn“ (Herr Erol).<br />

„Ich hab mal Arbeit gefunden, dass die mir 1700 brutto oder 2000 € brutto zahlen<br />

im Bau, in der Gastronomie. Ich war beim Arbeitsamt und sie haben abgelehnt.<br />

Die haben gesagt: ‚Ja, lass es mal hier. Wir machen eine Kopie’, und so blabla<br />

und ‚Wir schicken per Post eine Antwort.’ Ich hab gar nichts gekriegt. […] Ich hab<br />

mich drei-, viermal für die Arbeitserlaubnis angemeldet, im Baubereich. Die haben<br />

gar keine Antwort gegeben“ (Herr Jiyan).<br />

Arbeitsplatzsuche seit der Bleiberechtsregelung<br />

Drei Interviewpartner (Herr Jiyan, Herr Ratnam und Herr Schurda) arbeiteten vor<br />

der Bleiberechtsregelung in Deutschland, zwei von ihnen auf dem irregulären Arbeitsmarkt.<br />

33 Alle drei hatten keine Schwierigkeiten, die Voraussetzung der<br />

33 Siehe dazu unter „III.2.1.<strong>2.3</strong> Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis“.<br />

56


Sicherung des LU durch Erwerbstätigkeit zu erfüllen. Herr Ratnam und Herr<br />

Schurda beispielsweise fanden ihre Arbeitsstellen im Gastronomie- und Reinigungsbereich<br />

über Freunde.<br />

Bisher durfte jedoch nur einer seine Arbeitsstelle antreten, da er alle anderen<br />

Voraussetzungen ebenfalls erfüllte und ihm daher eine AE erteilt wurde.<br />

Hingegen darf Herr Schurda die angebotene Arbeitsstelle noch nicht antreten, da<br />

seine Passsituation weiterhin ungeklärt ist.<br />

„Also ich arbeite bei einem Freund. Ich hab ihn gefragt. […] Der Geschäftsverwalter<br />

hat mir das Angebot gegeben und dann konnte ich da arbeiten“ (Herr<br />

Ratnam).<br />

„Und ich hab schon Leute gefunden, die mich einstellen würden, wenn ich eine Arbeitsgenehmigung<br />

vorlegen kann. Aber ich krieg ja keine, wegen Pass und so. Also<br />

das verbindet sich immer. Das ist wie ein Teufelskreis. […] Weil dieser Mann ist<br />

mein Kumpel. Also ich kenn den schon länger, <strong>als</strong>o den Chef. […] Und wenn der<br />

mal Hilfe braucht, geh ich ab und zu mal und helf ihm und nur um den Job zu sehen,<br />

wie der so ist und so“ (Herr Schurda).<br />

Ohne Zugang zu Arbeit und Bildung waren drei Interviewpartner von wichtigen<br />

sozialen und gesellschaftlichen Systemen ausgeschlossen, ohne die sich die Arbeitsaufnahme<br />

aller Wahrscheinlichkeit nach schwierig gestalten wird<br />

(vgl. Hemmerling/Schwarz 2003, S. 23). Leider kann in der vorliegenden Studie<br />

keine eindeutige Auskunft über die Arbeitsplatzsuche der drei Interviewpartner<br />

gemacht werden.<br />

Ein Interviewpartner hatte sich zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht<br />

um einen Arbeitsplatz bemüht. Er vermutet, dass durch seine lange Abwesenheit<br />

auf dem Arbeitsmarkt und sein fortgeschrittenes Alter die Arbeitssuche nicht erfolgreich<br />

sein wird. Die beiden anderen wurden von der Bleiberechtsregelung von<br />

vornherein ausgeschlossen.<br />

„Jetzt frage ich mich selber: ‚Wer stellt mich an mit meine 52 Jahre? Wer?’ Die<br />

Jugendlichen hier finden keine Arbeit in Berlin. Wie kann ich jetzt mit meinen 52<br />

Jahre eine Arbeit suchen?“ (Herr Miçko).<br />

Eine Schwierigkeit könnte bei allen drei Interviewpartnern ihre fehlenden Ausbildungs-<br />

und Arbeitsnachweise darstellen. Das Nichtvorhandensein von<br />

57


Ausbildungs- und Arbeitsnachweisen resultiert aus dem Zurücklassen der Dokumente<br />

bei der Flucht (Herr Miçko) oder aus der Tatsache, dass die Ausstellung<br />

von Nachweisen im Herkunftsland nicht üblich war (Herr Erol und Herr Koç).<br />

III.1.2.1.4 Die Bedeutung von Arbeit und Bildung für die Betroffenen<br />

Viele Befragte äußerten sich dazu, was das faktische Arbeits- und Ausbildungsverbot<br />

für sie bedeutet oder bedeutete. Das Angewiesensein auf staatliche Leistungen,<br />

die existenzielle Not und die fehlende Anerkennung schwächten ihr<br />

Selbstwertgefühl. Denn Arbeit ist „sowohl aus psychologischer wie aus existenzieller<br />

Sicht äußerst wichtig, um der sozialen Isolation zu entfliehen und eine gewisse<br />

gesellschaftliche Anerkennung zu erhalten“, wie die Autorinnen Herzog<br />

und Wälde betonen (vgl. Herzog/Wälde 2004, S. 114). Gerade in leistungsorientierten<br />

Gesellschaften wie in Deutschland definiert sich der Wert eines Menschen<br />

hauptsächlich über seine Arbeit und seine berufliche Position, was wiederum großen<br />

Einfluss auf das Selbstwertgefühl der Individuen hat (vgl.<br />

Hemmerling/Schwarz 2003, S. 23).<br />

Weiter stellen die Ablehnungsbescheide, die Langeweile und die Eintönigkeit<br />

eines Alltags ohne Tagesstruktur und die fehlende Lebensperspektive für<br />

die Betroffenen eine große psychische Belastung dar. „Das Warten auf irgendetwas<br />

wird zur Hauptbeschäftigung, Langeweile und Apathie zu ständigen Begleitern“<br />

(ebd.). Dies alles wiederum kann den erfolgreichen Abschluss eines Arbeitsverhältnisses<br />

negativ beeinflussen, denn im Bewerbungsgespräch ist laut der<br />

Bundesagentur für Arbeit ein überzeugendes Auftreten von großer Bedeutung<br />

(vgl. Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.) 2006, S. 18ff.).<br />

„Ich hab viele Ausbildungsplätze gesucht und ich wollt einfach was lernen und einen<br />

Beruf haben. Die haben aber abgelehnt. Und da kriegt man auch automatisch<br />

schlechte Laune, keine Lust zum Leben. Man kann auch Selbstmord machen. Man<br />

hat keinen Lohn. Man muss irgendwas anfassen. Wenn man nichts anfassen kann,<br />

dann wird man verrückt“ (Herr Jiyan).<br />

„Aber ich hatte Schwierigkeiten. Ich wusste auch nicht, was ich machen sollte.<br />

Immer den ganzen Tag zu Hause! […] Das war nicht gut, was sie mit mir gemacht<br />

haben. Sieben Jahre lang, das ist schlimm. […] Wirklich das war eine<br />

58


Katastrophe. Hier in Deutschland kann man sogar im Knast arbeiten, aber hier.<br />

(er lacht). Das war auch nervlich ganz schön-“ 34 (Herr Ratnam).<br />

„Wenn ich den Fernsehen anmache und dann kommt mir jemand und sagt: ‚Oh,<br />

ich lebe lieber vom Staat <strong>als</strong> zu arbeiten.’ Dann könnte ich einfach zu ihm hingehen<br />

und sagen: ‚Komm, lass uns tauschen. Komm her, ich geb dir die Duldung, du<br />

gibst mir deinen Ausweis und fertig.’ Ja, das würde ich am liebsten machen. Weil<br />

ist ja langweilig, eigentlich. Immer wieder von neuem den Tag zu beginnen und zu<br />

beenden. Einfach nichts tun, sitzen, gucken, fernsehen, fertig“ (Herr Schurda).<br />

III.1.2.1.5 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Der Zugang zur Bildung, der für die Erfüllung der Voraussetzung „Sicherung des<br />

LU“ häufig äußerst entscheidend ist, gestaltete sich für Menschen mit unsicherem<br />

Aufenthaltsstatus in der Vergangenheit schwierig. Die rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

behinderten besonders die Schulbildung der älteren Schüler_innen. Ebenfalls<br />

erschwerten sie den Wechsel auf weiterführende Schulen und den Zugang zu<br />

Fördermöglichkeiten. Gute Schulabschlüsse sind jedoch meist unerlässlich für gut<br />

bezahlte Arbeit.<br />

Die Aufnahme einer betrieblichen Ausbildung oder einer Arbeitsstelle war<br />

ebenfalls wegen den gesetzlichen Auflagen nicht möglich, was unter anderem die<br />

Schwächung des Selbstwertgefühls und psychische Belastungen nach sich ziehen<br />

kann. Diese Faktoren könnten eine dauerhafte Arbeitsaufnahme und ein sicheres<br />

Auftreten beim Bewerbungsgespräch erschweren.<br />

Die einzigen Weiterbildungsmöglichkeiten nach dem Schulbesuch, sofern<br />

dieser möglich war, stellten die schulischen Ausbildungen und Maßnahmen im<br />

Rahmen des EU-Projektes EQUAL dar. Durch die Qualifizierung und die intensive<br />

Unterstützung der Mitarbeiter_innen können diese Maßnahmen seit der Bleiberechtsregelung<br />

den Einstieg in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt bedeuten und<br />

somit die Anforderung erfüllbar machen.<br />

Erwerbsfähige Menschen, die während ihres Aufenthaltes bereits gearbeitet<br />

haben (vorwiegend irregulär) und über ein soziales Netzwerk verfügen,<br />

34 Das Zeichen „- “ innerhalb eines Interviews bedeutet: Satzabbruch während des Gesprächs.<br />

59


kommen häufig auch ohne schulische oder berufliche Abschlüsse meist im Niedriglohnsektor<br />

wie im Gastronomie-, Bau- oder Reinigungsbereich unter.<br />

Die Praxis der ABH, die den Antritt einer Arbeitsstelle erst bei Erteilung<br />

der AE ermöglicht und somit den Arbeitsbeginn erheblich verzögert, könnte dazu<br />

führen, dass die Arbeitgeber_innen ihre Arbeitsplatzzusage rückgängig machen.<br />

Für Menschen, die während ihres Aufenthaltes aufgrund der gesetzlichen<br />

Auflagen keiner Arbeit nachgegangen sind, kann die lange Abwesenheit auf dem<br />

Arbeitsmarkt die Erfüllung der Anforderung zusätzlich erschweren.<br />

Als Ergebnis lässt sich zusammenfassend sagen, dass der Zugang zum<br />

Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und somit die Erfüllung der Voraussetzung „Sicherung<br />

des Lebensunterhaltes“ durch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die<br />

bisher für den betroffenen Personenkreis galten, und deren Auswirkungen erheblich<br />

erschwert wird. In der Regel ist eine Ausbildungs- oder Arbeitsaufnahme nur<br />

mit viel Anstrengung, Unterstützung und zum Teil auch Verstößen gegen das Arbeitsverbot<br />

in der Vergangenheit möglich.<br />

III.1.2.2 Ausreichende Deutschkenntnisse<br />

Um eine AE nach der Bleiberechtsregelung zu erhalten, müssen die Antragsteller_innen<br />

ausreichende Deutschkenntnisse nachweisen. Diese werden bei einem<br />

Gespräch auf der ABH geprüft. Sämtliche Interviews, bis auf eines, wurden in<br />

deutscher Sprache durchgeführt. Damit dürfte diese Anforderung der Bleiberechtsregelung<br />

bei zumindest sieben Interviewpartnern erfüllt sein. Das achte Interview<br />

mit Herrn Erol wurde gedolmetscht, da er seinen Deutschkenntnissen<br />

nicht traute.<br />

Die Befragten gaben unterschiedliche Lernquellen an. Die drei Interviewten,<br />

die <strong>als</strong> Kinder nach Deutschland gekommen sind, gaben zum einen die Vorbereitungsklasse,<br />

zum anderen das Selbststudium an. Für Herrn Diyar stand die<br />

Vorbereitungsklasse im Mittelpunkt der Erlangung seiner Deutschkenntnisse.<br />

Aufgrund des fehlenden Sprachangebots im Wohnheim und dem verzögerten Zugang<br />

zur Schule lernten Herr Ahmed und Herr Schurda vorrangig im Selbststudium<br />

Deutsch.<br />

„Weil die Kinder, wo wir waren in so einem Wohnheim. […] Keiner von den<br />

60


Kindern konnte deutsch. Darum wollte ich mit den Kindern nicht spielen, weil ich<br />

wollte Deutsch lernen. Und dann habe ich fern geguckt und so was alles. Und <strong>als</strong><br />

ich in die Schule kam, nach sechs, sieben Monate wusste keiner, dass ich schon<br />

deutsch kann. Also ich wusste auch nicht, dass ich schon sprechen kann. (er lacht).<br />

Ich habe nur im Fernsehen gesehn und mir selber eingeprägt“ (Herr Schurda).<br />

„Und im Wohnheim gab’ s auch nicht die Möglichkeit, Sprachunterricht oder so<br />

was. Ich hab mir das aber selbst beigebracht und so“ (Herr Ahmed).<br />

Die meisten Interviewpartner, vor allem die älteren, mussten sich intensiv um ihre<br />

Deutschkenntnisse bemühen. Obwohl es vielen Menschen mit unsicherem Aufenthalt<br />

aufgrund der geringen finanziellen Mittel nicht möglich ist, an einem<br />

Sprachkurs teilzunehmen, besuchten drei Interviewpartner einen solchen (vgl.<br />

Foda/Kadur 2005, S. 30). 35 Seit 2005 haben zwar gemäß § 44 (1) AufenthG Neuzuwanderer<br />

mit einer AE einen Anspruch auf einen Deutschkurs. Asylsuchende<br />

und ausreisepflichtige Menschen sind jedoch davon ausgeschlossen (vgl. Classen<br />

2005, S. 127f.).<br />

Herr Jiyan besuchte zirka fünf Sprachkurse, die alle mehr <strong>als</strong> zwei Monate<br />

dauerten. Den ersten Sprachkurs in Deutschland hatte er über einen Freund gefunden.<br />

Herr Erol und Herr Koç gingen ein Jahr auf eine Sprachschule, die sie sich<br />

selbst gesucht hatten. Zwei Befragte (Herr Koç und Herr Ratnam) verbesserten<br />

oder erwarben ihre Deutschkenntnisse durch soziale Kontakte. Einer davon über<br />

seine damalige Arbeitsstelle.<br />

„Hab ich selbst bezahlt. [...] Weil wir haben keinen Aufenthalt. Wenn man den<br />

Kurs nicht selbst bezahlt, muss man ein Jahr Aufenthalt haben. Wir haben keinen,<br />

haben einen Monat, dann muss man selbst bezahlen. […] Ich bin zum Deutschkurs<br />

gegangen, <strong>als</strong>o fast ein Jahr lang und hab deutsche Kollegen, Freunde und so was,<br />

hab mit ihnen auch Kontakt“ (Herr Koç).<br />

Herr Miçko lernte bei einem früheren Aufenthalt in Deutschland in der Schule<br />

deutsch.<br />

35 Sozialleistungen nach dem AsylbLG siehe unter III.2.1.2.1.<br />

61


III.1.2.2.1 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Für Menschen, die <strong>als</strong> Kinder oder Jugendliche nach Deutschland gekommen<br />

sind, stellt der Erwerb von Deutschkenntnissen in der Regel weniger ein Problem<br />

dar <strong>als</strong> für erwachsene Personen. Der Schulbesuch und ihr lernfähiges Alter lassen<br />

sie das geforderte Sprachniveau leichter erreichen.<br />

Menschen, die im Erwachsenenalter nach Deutschland kommen, müssen<br />

sich intensiv um den Erwerb der Deutschkenntnisse bemühen, was häufig mit<br />

Kosten verbunden ist, die durch die gekürzte Sozialhilfe 36 nicht immer aufzubringen<br />

sind. Durch die lange Aufenthaltszeit können sich weitere Möglichkeiten zum<br />

Erlernen der deutschen Sprache durch soziale Kontakte mit Menschen, die<br />

Deutsch sprechen, ergeben.<br />

Rechtliche Rahmenbedingungen wie das faktische Ausbildungs- und Arbeitsverbot<br />

37 , das Wohnen in Wohnheimen 38 und die gekürzte Sozialhilfe können<br />

die Kontaktaufnahme und somit den Erwerb der deutschen Sprache jedoch erschweren.<br />

39<br />

III.1.<strong>2.3</strong> Ausreichender Wohnraum<br />

Der ausreichende Wohnraum der Betroffenen <strong>als</strong> Voraussetzung für eine AE ist<br />

ebenfalls im Kriterienkatalog der Bleiberechtsregelung enthalten. Fast alle Interviewpartner<br />

mussten lange Zeit in den äußerst beengten Verhältnissen der Wohnheime<br />

leben. Einer der Interviewpartner wohnt weiterhin in einem Wohnheim.<br />

Alle anderen bewohnen Mietwohnungen. Die Wohnungsgröße derjenigen Interviewpartner,<br />

die bisher eine AE erhalten haben, spielte bei der Erteilung eine geringfügige<br />

Rolle. Obwohl zwei Befragte in beengten Verhältnissen leben, einer im<br />

Wohnheim, der andere bei einem Freund, bekamen sie eine AE.<br />

36 Sozialleistungen nach dem AsylbLG siehe unter III.2.1.2.1.<br />

37 Arbeitsverbot und Vorrangprüfung siehe unter III.1.2.1.3.<br />

38 Wohnen im Wohnheim siehe unter III.1.<strong>2.3</strong>.<br />

39 Die Vermutung liegt nahe, dass Menschen, die keine Lebensperspektive in Deutschland erhalten,<br />

wenig motiviert sein könnten, Deutschkenntnisse zu erwerben. Bei den hier Befragten war<br />

dies jedoch nicht der Fall.<br />

62


Wohnheim<br />

In den ersten drei Monaten des Asylverfahrens werden Asylbewerber_innen in<br />

den so genannten Aufnahmeeinrichtungen untergebracht (§ 47 AsylVfG). Danach<br />

werden sie auf die verschiedenen Bundesländer verteilt und in Gemeinschaftsunterkünften<br />

untergebracht. Die Verteilung erfolgt mit Hilfe eines zentralen Computersystems,<br />

das die Aufnahmequoten der Länder steuert (vgl. Kühne/Rüßler 2000,<br />

S. 63).<br />

Die weitere Unterbringung der Leistungsberechtigten des AsylbLG ist Ermessenssache<br />

der zuständigen Behörde, wobei die Behörden gemäß § 3 AsylbLG<br />

den Gemeinschaftsunterkünften bei ihrer Entscheidung den Vorrang geben sollen.<br />

In zwei Fällen sind die Behörden jedoch verpflichtet, Menschen mit Duldung in<br />

einer Gemeinschaftsunterkunft unterzubringen: bei Einweisung in eine Ausreiseeinrichtung<br />

40 (vgl. § 61 (2) AufenthG) und falls der Verdacht auf Terrorismus vorliegt<br />

(vgl. § 58a AufenthG).<br />

Die Mindestwohnfläche der Wohnheime pro Person beträgt in Berlin 6 m²<br />

und für Kinder bis zu sechs Jahren 4 m². Unbegleitete Flüchtlinge zwischen 16<br />

und 18 Jahren werden in der Regel ebenfalls in Wohnheimen untergebracht 41 (vgl.<br />

Vogl 2003, S. 58).<br />

Sieben Interviewpartner lebten lange Zeit in verschiedenen Wohnheimen;<br />

Herr Erol beispielsweise 15 Jahre lang. Die Wohnverhältnisse waren bei allen<br />

äußerst beengt und unterschritten die von der Bleiberechtsregelung geforderte<br />

Wohnfläche von 9 m² pro Person bei weitem.<br />

„Wir waren zu siebt in zwei Zimmern, 40 m². Ich glaub, in Deutschland hat ein<br />

Hund mehr Bewegungsplatz zum Leben <strong>als</strong> ein Asylbewerber, irgendwie so“ 42<br />

40 Die Einweisung in eine Ausreiseeinrichtung trifft besonders auf Personen zu, die ihrer Mitwirkungspflicht<br />

bei der Passbeschaffung nicht nachkommen und keine oder unzutreffende Angaben<br />

zu ihrer Staatsangehörigkeit machen (vgl. § 1a AsylbLG). Verstöße dagegen sind nach § 98 (3) Nr.<br />

3 bußgeldbewehrt (vgl. Storr u. a. 2005, S. 404f.). „In Ausreiseeinrichtungen soll durch Betreuung<br />

und Beratung die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise gefördert und die Erreichbarkeit für<br />

Behörden und Gerichte sowie die Durchführung der Ausreise gesichert werden“ (§ 61 (2) AufenthG).<br />

41 Gemäß § 80 AufenthG sind Personen nach dem Zuwanderungsgesetz ab 16 Jahren voll handlungsfähig.<br />

42 Ein Schäferhund kann nach dem Tierschutzgesetz 8 m² beanspruchen, wohingegen in Berlin die<br />

Mindestwohnfläche pro Person in Gemeinschaftsunterkünften 6 m² und für jedes Kind bis zu sechs<br />

Jahren 4 m² beträgt (vgl. Goerens 2003, S. 29).<br />

63


(Herr Ahmed).<br />

„Mit sechs Leuten in einem Zimmer, mit sieben Leute in einem Zimmer, wie die<br />

Tiere“ (Herr Jiyan).<br />

„Ganz, ganz schwierig, weil wir haben zehn Jahre im Heim gelebt, weil wir haben<br />

eine Duldung. Da muss man im Heim leben. […] Zum Beispiel mit vier Personen<br />

ein Zimmer und das Bad zusammen, fünf Familien, sechs Familien, Duschen und<br />

die Küche“ (Herr Koç).<br />

Herr Diyar lebt <strong>als</strong> einziger Interviewpartner seit sechs Jahren noch immer in einem<br />

Wohnheim. Das erste halbe Jahr in Deutschland lebte er mit anderen Personen<br />

zusammen; sie teilten sich Küche, Toilette und Bad. Jetzt wohnt er mit seiner<br />

Familie (neun Personen) in einer Vierzimmerwohnung. Seine Wohnverhältnisse<br />

bezeichnet er <strong>als</strong> „Katastrophe“. Die Familie darf allerdings aus diesem Wohnheim<br />

nicht ausziehen, solange sie keine AE hat.<br />

„Manche haben auch keinen Aufenthalt und die dürfen trotzdem. Es kommt nur auf<br />

die Sachbearbeiter vom Sozialamt an“ (Herr Diyar).<br />

Diese Form des Wohnens kann erhebliche Folgen nach sich ziehen, die für die<br />

weitere Entwicklung der Menschen und ihrer Lebenssituation von großer Bedeutung<br />

sein können. So sind die Wohnheime für ausreisepflichtige Menschen häufig<br />

von den Wohngebieten abgelegen und meist mit Zäunen, Stacheldraht und Wachschutz<br />

abgegrenzt (vgl. Hemmerling/Schwarz 2003, S. 22). Nach den Autor_innen<br />

Hemmerling und Schwarz hat die Aus- und Abgrenzung von Menschen<br />

mit unsicherem Aufenthalt aus der Mehrheitsgesellschaft System. Denn Kontakte<br />

zur Bevölkerung können Unterstützung bedeuten und somit der erste Schritt zu<br />

einer Integration sein. Dies wird jedoch durch diese Maßnahmen von behördlicher<br />

Seite unterbunden (vgl. ebd.).<br />

Ein Interviewpartner beschreibt die Wohnheimunterbringung und die Abgeschiedenheit<br />

des Wohnheims folgendermaßen:<br />

„Und das sieht überall gleich aus. Das haben 300 Leute auch so. Man hat überhaupt<br />

nicht die Möglichkeit, sich individuell zu entfalten, gar nicht. Das ist alles<br />

einheitlich. Es wird auch ständig kontrolliert. Also das waren sechs Etagen zu je<br />

24 Wohnungen. Und das war wirklich sehr weit von wirklich allem. Und wenn man<br />

64


jetzt irgendwie ein Arzt braucht oder so. […] Da sucht man ganz allein in der großen<br />

Stadt nach einem Arzt“ (Herr Ahmed).<br />

Häufig müssen die Zimmer mit fremden Personen unterschiedlicher Herkunft,<br />

Sprache und Sozialisation geteilt werden. Nach Goerens gibt es oft Streit beispielsweise<br />

um die Benutzung von WCs, Duschen und Waschmaschinen oder<br />

Konflikte, die aus der ethnischen Zugehörigkeit der Personen und der politischen<br />

Situation im Herkunftsland resultieren (vgl. Goerens 2003, S. 28ff.). Von<br />

Konflikten im Wohnheim berichtet auch ein Interviewpartner.<br />

„In dem Bundesland, in dem wir waren, hatten wir Konflikte mit anderen Gruppen,<br />

mit anderen Menschen, die politischen Inhalt hatten. Deshalb bin ich nach Berlin<br />

gekommen“ 43 (Herr Erol).<br />

Die Unterbringung im Wohnheim bedeutet für die Bewohner_innen eine große<br />

psychische Belastung. „Eine Untersuchung über Lager beschreibt, welchen Einfluss<br />

die Wohnsituation auf die Menschen hat: die Schlafsituation ist unerträglich,<br />

Freizeitmöglichkeiten fehlen, eine Intimsphäre ist nicht zu bewahren“ (Herzog/<br />

Wälde 2004, S. 109).<br />

„Und da ist es jetzt auch gar nicht möglich mal Freunde mitzunehmen oder irgendwie<br />

mal Ruhe zu haben und so was“ (Herr Ahmed).<br />

„Also Kinder, wenn die jeden Morgen um sieben Uhr aufstehen, können nicht<br />

schlafen. Alle Leute sprechen laut, Musik. Und das war ganz schwer“ (Herr Koç).<br />

Weiter beschreibt die Studie: „Bei ca. 60 Prozent der Flüchtlinge sind Depressionen<br />

festzustellen. Diese äußern sich in Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen,<br />

Neigung zum Weinen und Müdigkeit, Alkoholsucht, die im Herkunftsland<br />

noch nicht bestand, ist weit verbreitet. Aggressionen und Identitätsverlust<br />

sind die Folge“ 44 (ebd.). Auf die psychischen Auswirkungen geht Herr Jiyan<br />

ein, der mit 16 Jahren alleine nach Deutschland kam und in zirka 20 Wohnheimen<br />

leben musste.<br />

43 Herr Erol ist ohne Erlaubnis der ABH nach Berlin gekommen.<br />

44 Die Autor_innen beziehen sich auf die Untersuchung „Lager und menschliche Würde“ von Henning/Wießner<br />

aus dem Jahr 1982, die aufgrund der unveränderten Unterbringungssituation weiterhin<br />

aktuell sei.<br />

65


„Da hab ich auch Probleme gehabt mit meinem- 45 Ich war psychisch nicht in der<br />

Lage <strong>als</strong>o. Weil man kennt viele Leute, man hört viele Leute und wenn man nicht<br />

stark ist, dann verliert man sich“ (Herr Jiyan).<br />

Mietwohnung<br />

Die Behörde hat die Möglichkeit, eine Unterbringung in Mietwohnungen zuzulassen.<br />

Dem öffentlichen Interesse an der Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft<br />

steht hierbei das individuelle Interesse der Personen gegenüber (§ 53<br />

AsylVfG). Viele Sozialämter übernehmen jedoch nicht die Mietkosten für eine<br />

angemietete Wohnung (vgl. Classen 2005, S. 79). Dies bestätigt auch Goerens:<br />

„Der Staat bevorzugt die Finanzierung von Unterbringungen in Flüchtlingswohnheimen,<br />

obwohl sie nach einer Berechnung des Bundesinnenministeriums für Gesundheit<br />

von 1983 circa 30-50 Prozent teurer ist, <strong>als</strong> die Miete in einer normalen<br />

Wohnung“ (Goerens 2003, S. 27).<br />

Berlin hat allerdings eine Entscheidung zugunsten von Mietwohnungen im<br />

August 2003 getroffen. Es wurde damit begründet, dass Mietwohnungen günstiger<br />

<strong>als</strong> die Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften sind (vgl. Classen 2005,<br />

S. 86). Dies bestätigt, dass die oben genannte Berechnung von 1983 weiterhin<br />

ihre Gültigkeit hat.<br />

Wie bereits oben angesprochen, leben sieben der acht Interviewpartner in<br />

einer Mietwohnung. Sechs Interviewpartner berichteten von der Schwierigkeit<br />

eine Wohnung zu finden. Als Probleme wurden die Vorbehalte der Vermieter_innen<br />

gegenüber der Familiengröße, den Kindern, „Ausländern“ allgemein<br />

und das Eingehen eines finanziellen Risikos aufgrund der befürchteten Abschiebung<br />

und des bestehenden Arbeitsverbotes genannt.<br />

„Wenn du eine Wohnung suchst, dann dieses zeigst, dieses Papier, das du hast,<br />

dann lachen dich die Leute aus und nehmen das auch nicht ernst, dass du mit diesem<br />

Papier eine Wohnung suchst. […] Zum Beispiel der Vermieter hat gesagt: ‘Ich<br />

will nur, dass Leute einziehen, die arbeiten und Geld verdienen’“ (Herr Erol).<br />

45 Das Zeichen „- “ innerhalb eines Interviews bedeutet: Satzabbruch während des Gesprächs.<br />

66


„Und wir hatten die Möglichkeit, nach vier Jahren umzuziehen. Wir waren aber<br />

dann noch im Wohnheim, ich glaube, noch ein dreiviertel Jahr, weil wir haben ein<br />

dreiviertel Jahr nach einer Wohnung suchen müssen. Weil <strong>als</strong>o das war ganz ganz<br />

schwer, ganz ganz schwer eine Wohnung für sieben Personen zu finden, erstens.<br />

Dann, wenn es Ausländer sind, dann ist es eh noch schwieriger, mit fünf Kindern<br />

noch dazu, ist es fast unmöglich. […] Aber ständig kam: ‚Ach so, Sie haben eine<br />

Duldung. Nee, das geht nicht. Sie brauchen mindestens eine Aufenthaltserlaubnis<br />

von zwei Jahren, weil es kann ja sein, dass Sie in der Zeit abgeschoben werden“<br />

(Herr Ahmed).<br />

Nach einem Dreivierteljahr fand die Familie von Herrn Ahmed schließlich eine<br />

Wohnung.<br />

„Es hat dann geklappt, weil die Wohnung, die wir haben wollten, war schon seit<br />

langem gar nicht benutzt und der Hausvermieter die unbedingt loswerden wollte.<br />

Und wir haben dann - das ist eine mit vier Zimmern und die ist aber vergleichsweise<br />

teuer. Und deswegen hat’ s dann auch geklappt praktisch“ (Herr Ahmed).<br />

Zwei Interviewpartner berichteten, dass sie keinerlei Unterstützung erhielten. Ein<br />

anderer Interviewpartner (Herr Erol) holte sich Hilfe bei einer sozialen Einrichtung,<br />

aber auch sie konnte ihm irgendwann nicht mehr weiterhelfen. Ein weiterer<br />

(Herr Jiyan) bekam seine Wohnung über eine Freundin vermittelt.<br />

„Und da ist man dann auch so enttäuscht und deprimiert zugleich. Man denkt irgendwie:<br />

‚Überall, überall Abweisung.’ Und dann braucht man in dem Moment<br />

auch Unterstützung. Und da war gar nichts. Obwohl man auch ganz genau weiß,<br />

<strong>als</strong>o man ist hier fremd auch nach drei Jahren ist man hier eh fremd. Weil die ganzen<br />

Leute zeigen auch, dass du hier nicht willkommen bist. Und ständig überall<br />

Abweisung. Und dann fühlt man sich so ganz allein in so einer Riesenwelt“ (Herr<br />

Ahmed).<br />

Herr Ratnam wohnt seit vielen Jahren bei einem Freund.<br />

„Die meiste Zeit habe ich mit ihm zusammen gewohnt. Und er hat mir viel geholfen.<br />

Ohne ihn wäre das eine Katastrophe“ (Herr Ratnam).<br />

Trotzdem ist seine Wohnsituation für ihn sehr belastend:<br />

„Dann musste ich mit meinem Kumpel leben, das ist auch nervig manchmal. Also<br />

das ist auch kein schönes Leben“ (Herr Ratnam).<br />

67


Die Ambivalenz zwischen der früheren Wohnsituation in den Wohnheimen und<br />

der jetzt geforderten Wohnungsgröße wurde von Herrn Miçko und Herrn Schurda<br />

angesprochen.<br />

„Da frag ich mich so: Vor ein paar Jahren, vor zehn Jahren oder so, da haben wir<br />

sieben Personen in zwei Zimmern gewohnt, <strong>als</strong>o in einem Heim, je vielleicht 16 m².<br />

Wenn sie so was zugelassen haben, warum lassen sie uns dann nicht in eine Wohnung<br />

mit vier oder fünf Zimmern einziehen. Also, jetzt ist es zu klein, aber früher<br />

vor zehn Jahren war es in Ordnung“ (Herr Schurda).<br />

III.1.<strong>2.3</strong>.1 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Es hat sich herausgestellt, dass die Mitarbeiter_innen der ABH Berlin dieser Voraussetzung<br />

vermutlich wenig Gewicht beimessen. Wäre dies nicht der Fall, könnte<br />

die Erfüllung dieser Anforderung vor allem für diejenigen ein Problem werden,<br />

die in Gemeinschaftsunterkünften leben (müssen). Denn der dortige Wohnraum<br />

unterschreitet die Anforderung in der Regel bei weitem. Die rechtlichen Bestimmungen<br />

würden der Erfüllung der Anforderung somit entgegenstehen.<br />

Die Wohnungssuche ist häufig mit viel Geduld und Anstrengung verbunden,<br />

da die rechtlichen Rahmenbedingungen wie das Arbeitsverbot und der vermeintlich<br />

kurzzeitige Aufenthalt, der im Duldungsdokument vermerkt ist, für viele<br />

Vermieter_innen ein finanzielles Risiko bedeuten.<br />

Für diejenigen, die sich zur Erfüllung der Regelung ohne lange Vorlaufzeit<br />

auf Wohnungssuche begeben müssen, wird die Anforderung deshalb nicht leicht<br />

zu erfüllen sein. Die meisten langjährig geduldeten Menschen in Berlin erhielten<br />

jedoch bereits vor einigen Jahren die Erlaubnis zum Auszug aus dem Wohnheim<br />

und können die Anforderung deshalb erfüllen.<br />

III.1.3 Soziale und wirtschaftliche Integration?<br />

Wie bereits erwähnt, wird von der Politik häufig gefordert, dass sich Migrant_innen<br />

und Flüchtlinge der Mehrheitsgesellschaft anpassen sollen. Gleichzeitig<br />

haben sie aber nicht die gleichen Rechte wie die Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft<br />

(vgl. Weber 2003, S. 165f.). Daher steht die Forderung nach sozialer<br />

und wirtschaftlicher Integration von Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus<br />

68


im Widerspruch zu den rechtlichen und institutionellen Integrationshindernissen,<br />

die für diesen Personenkreis gelten. Gemäß Classen bedeutet Integration „vor allem<br />

einen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Arbeit, Wohnen und Freizügigkeit,<br />

die Sicherheit des Aufenthaltes und einen wirksamen Schutz vor Diskriminierung.<br />

Das Ausländerrecht, die sozialrechtlichen Sonderregelungen für<br />

Ausländer 46 sowie der fehlende praktische Schutz vor Diskriminierung bewirken<br />

in vielen Lebensbereichen das Gegenteil von Integration“ (Classen 2005, S. 126).<br />

Die Verhinderung der Teilhabe am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und<br />

sozialen Leben, die ständige Angst vor Abschiebung, die zum Teil vorgeschriebene<br />

Unterbringung in Wohnheimen, die soziale Erfahrung des Unerwünschtseins<br />

und die daraus resultierenden psychischen Belastungen hindern viele Menschen<br />

mit unsicherem Aufenthaltsstatus daran, eine Lebensperspektive in Deutschland<br />

zu entwickeln und sich somit gemäß der politischen Forderung in Deutschland zu<br />

„integrieren“.<br />

III.2 Ausschlussgründe<br />

III.2.1 Straftaten<br />

Kein Interviewpartner wurde wegen Straftaten von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen.<br />

Trotzdem benannte jeder Interviewpartner Ordnungswidrigkeiten,<br />

die von ihm begangen wurden. Die überwiegenden Ordnungswidrigkeiten der<br />

Interviewpartner können den Kategorien „Ausländerrechtliche Straftaten“ und<br />

„Straftaten aus Armut“ zugeordnet werden. Gemäß Storr gilt „bei Ordnungswidrigkeiten<br />

[…] nach § 45 (1) OWiG das Opportunitätsprinzip, das heißt, dass die<br />

Behörde den Verstoß ahnden kann, aber nicht muss. Die Begehung von Straftaten<br />

dagegen muss verfolgt werden” (Storr u. a. 2005, S. 564).<br />

46 Im Abschnitt III.2.1 werde ich auf diese Problematik, insbesondere auf die Residenzpflicht und<br />

die gekürzte Sozialhilfe, eingehen.<br />

69


III.2.1.1 Ausländerrechtliche Straftaten<br />

III.2.1.1.1 Verstoß gegen die Residenzpflicht<br />

Seit 1982 ist gemäß § 61 (1) AufenthG der Aufenthalt geduldeter und asylsuchender<br />

Menschen räumlich auf den Verwaltungsbezirk der zuständigen ABH beschränkt.<br />

Für das Verlassen der Stadt oder des Landkreises muss ein kostenpflichtiger<br />

Antrag gestellt werden. Ob der Antrag genehmigt wird, liegt im Ermessen<br />

der Behörde. Im Ausweis ist die Bewegungsbeschränkung notiert (vgl.<br />

Herzog/Wälde 2004, S. 115).<br />

Der Verstoß gegen die Residenzpflicht zählt zu den ausländerrechtlichen<br />

Delikten und gilt <strong>als</strong> Ordnungswidrigkeit (vgl. § 98 (3) Nr.1 AufenthG). Beim<br />

mehrmaligen Verstoß gegen die Residenzpflicht können die Betroffenen strafrechtlich<br />

verfolgt werden und mit Geldbußen bis zu 5000 € oder mit einer Gefängnisstrafe<br />

bis zu einem Jahr belangt werden (vgl. § 95 (1) Nr. 7). Sunny<br />

Omwenyeke von The Voice Africa Forum, einer Flüchtlingsorganisation, sieht in<br />

der Residenzpflicht „die effektivste Maßnahme zur Kriminalisierung von Asylsuchenden<br />

in Deutschland.“ Weiter merkt er an: „Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit<br />

erschwert zudem den persönlichen Kontakt zu Freunden und Verwandten,<br />

zwischenmenschliche Beziehungen werden dadurch verhindert“<br />

(Omwenyeke 2000, S. 16).<br />

Wie in Punkt III.5. berichtet, werden Asylbewerber_innen bei ihrer Ankunft<br />

in Deutschland auf die verschiedenen Bundesländern verteilt. Nur in Härtefällen<br />

können sie ihren Wohnort frei wählen. Wurzbacher weist in diesem Zusammenhang<br />

darauf hin, dass „Wünsche von Seiten der Flüchtlinge - beispielsweise<br />

eine Weiterleitung in ein bestimmtes Bundesland, weil dort schon Verwandte<br />

und Freunde leben - […] von dem Computerprogramm der zentralen Verteilerstelle<br />

in den seltensten Fällen einbezogen werden [können]. Einzig Familienbindungen<br />

ersten Grades (Ehegatten und minderjährige Kinder) finden bei der<br />

Verteilungsentscheidung Berücksichtigung“ (Wurzbacher 1997, S. 53). So berichteten<br />

alle Interviewpartner von der Schwierigkeit mit der Residenzpflicht umzugehen.<br />

Sie haben Verwandte, Freunde und Bekannte außerhalb von Berlin, die sie<br />

nicht besuchen dürfen.<br />

„Ich konnte nicht mal meine Mutter und meine Bekannte besuchen gehen. […]<br />

70


Also das finde ich auch nicht schön. Das war wirklich wie Knast für mich, hier<br />

Berlin. 13 Jahre haben sie mich eingesperrt“ (Herr Ratnam).<br />

„Ja wir haben Verwandte, <strong>als</strong>o in Westdeutschland. Wir sind sechzehn Jahre hier<br />

in Berlin. Da kann man nicht besuchen. Wir können nicht hingehen, nur telefonieren.<br />

Ganz schwierig alles“ (Herr Koç).<br />

Ein Interviewpartner äußerte, dass er sich an die Residenzpflicht gewöhnt hat.<br />

„Weil wenn man anders gewöhnt ist, vielleicht fällt es schlimmer. Aber, ich bin<br />

jetzt fast 16, 17 Jahre in Berlin und das ist eine lange Zeit. Also, ich hab mich<br />

schon daran gewöhnt“ (Herr Schurda).<br />

Um Berlin zu verlassen, müssen die Betroffenen einen Antrag stellen. Über den<br />

restriktiven Umgang der ABH mit der Antragstellung berichteten vier Interviewpartner.<br />

Selbst bei Hochzeiten, Trauerfeiern und Klassenfahrten außerhalb Berlins<br />

wurden die Anträge abgelehnt.<br />

„Zum Beispiel außerhalb Berlin, um wegzufahren mit den Kindern irgendwie zu<br />

einer Feier oder Trauerfeier oder Hochzeit durfte ich nicht. Und Anträge habe ich<br />

ja gestellt und musste ich zwei Tage hintereinander vorsprechen, bekam ich immer<br />

eine Ablehnung“ (Herr Erol).<br />

„Schwierigkeiten gab es zum Beispiel, <strong>als</strong> meine Oma krank war. Wir mussten dahin<br />

gehen. Wir haben einen Antrag gestellt. Er wurde leider abgelehnt“ (Herr<br />

Diyar).<br />

„Aber so Sachen irgendwie wie Residenzpflicht. Dass man jetzt ständig bei Sachen<br />

wie beispielsweise Klassenfahrten, das beantragen muss und dass das immer auf<br />

den letzten Drücker klappt, wenn überhaupt. Ja das war schon ganz schlimm“<br />

(Herr Ahmed).<br />

Herr Schurda und Herr Miçko merkten an, dass sie die Residenzpflicht aus Gesetzestreue<br />

und den Konsequenzen bei einer Kontrolle nicht verletzen würden.<br />

„Ein Kilometer reicht, krieg ich Schwierigkeiten. Warum bin ich dort gegangen?<br />

Was such ich hier? Kannst du das nicht lesen? [...] Wenn die mich erwischen, Routinekontrolle,<br />

bin ich weg vom Fenster. Das lohnt sich nicht“ (Herr Miçko).<br />

Drei Interviewte berichteten jedoch vom Überschreiten der Regelung, um Bekannte<br />

außerhalb Berlins besuchen oder um an einer Gruppenreise teilnehmen zu<br />

71


können.<br />

„Wir waren mal mit einer Jugendgruppe in X (außerhalb von Berlin). Und da bin<br />

ich dam<strong>als</strong> rein gefahren. Das war auch ganz kurzfristig. Und da hab ich mir gesagt,<br />

das ist gar nicht möglich in so kurzem Zeitraum die Erlaubnis zu bekommen.<br />

Bin ich einfach mitgefahren, dam<strong>als</strong>“ (Herr Ahmed).<br />

Nur ein Interviewpartner (Herr Jiyan) erwähnte, dass er einmal beim Übertreten<br />

der Residenzpflicht erwischt wurde und infolgedessen 100 € Strafe bezahlen<br />

musste.<br />

III.2.1.1.2 Aufenthalt in der BRD ohne Papiere<br />

Ebenfalls zu den ausländerrechtlichen Straftaten zählt der Aufenthalt in der BRD<br />

ohne Papiere. Gemäß § 95 (1) Nr. 2 werden Personen mit einer Freiheitsstrafe bis<br />

zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe bestraft, wenn sie sich ohne Aufenthaltstitel<br />

in der BRD aufhalten, sie vollziehbar ausreisepflichtig sind und ihre Abschiebung<br />

nicht ausgesetzt ist. Die nicht rechtzeitige Aushändigung oder Vorlage eines<br />

Aufenthaltsdokumentes gilt gemäß § 98 (2) Nr. 3 <strong>als</strong> Ordnungswidrigkeit.<br />

Einige Interviewpartner berichteten, dass sie zwischenzeitlich aus Angst<br />

vor einer Abschiebung ohne Papiere in Deutschland lebten. Dies hatte jedoch in<br />

ihrem Fall weder straf- und aufenthaltsrechtliche Konsequenzen noch Auswirkungen<br />

auf ihren Bleiberechtsantrag, da der Verstoß vermutlich <strong>als</strong> Ordnungswidrigkeit<br />

angesehen wurde, deren Verfolgung, wie bereits erläutert, im Ermessen der<br />

Behörde liegt.<br />

„Manchmal habe ich keine Duldung gehabt. Sie haben sie mir nicht gegeben. Ich<br />

habe Angst gehabt, zur Ausländerbehörde zu gehen und dass sie mich abschieben.<br />

Manchmal sagte meine Anwältin auch: ‚Geben Sie mal nicht den Pass der Ausländerbehörde.<br />

Einen Monat müssen Sie warten.’ Und dann habe ich illegal gelebt.<br />

Wenn man das zusammenrechnet, habe ich bestimmt ein halbes Jahr hier illegal<br />

gelebt, ohne Duldung und so. […] Es ist keine gute Sache, wenn man illegal lebt.<br />

Wenn sie mich erwischt hätten, könnten sie mich gleich abschieben, hat man mir<br />

gesagt. Aber was soll ich machen? Ich habe Angst gehabt, da hinzugehen, wenn<br />

meine Anwältin das nicht sagt“ (Herr Ratnam).<br />

„Und wegen der Abschiebung mussten wir uns auch ein bisschen verstecken. Wir<br />

72


durften nicht in unserer eigenen Wohnung bleiben. Wir sind untergekommen bei<br />

Freunde, Familie und so was. Und dann hat unser Anwalt so was gemacht und<br />

dann haben wir eigentlich die Duldung gekriegt, <strong>als</strong>o beantragt und dann wieder<br />

gekriegt“ (Herr Schurda).<br />

III.2.1.2 Armut <strong>als</strong> Ursache von Straftaten<br />

III.2.1.2.1 Sozialleistungen nach dem AsylbLG<br />

Die materielle Sicherung der Lebensgrundlage der Menschen mit unsicherem<br />

Aufenthaltsstatus ist seit November 1993 im Asylbewerberleistungsgesetz<br />

(AsylbLG) geregelt. In Folge der wachsenden Zahl der Asylsuchenden und der<br />

rassistischen Ausschreitungen u. a. gegen die Asylaufnahmestelle Rostock-<br />

Lichtenhagen im Jahr 1992, beschloss die Bundesregierung den so genannten<br />

Asylkompromiss, der neben dem AsylbLG die Einschränkung des Asylrechts beispielsweise<br />

durch die Drittstaatenregelung 47 enthält (vgl. Classen 2005, S. 54f.).<br />

Geregelt ist im AsylbLG die Erbringung von Leistungen für Unterkunft, Ernährung,<br />

Kleidung, Hygienebedarf, für den persönlichen Bedarf und die medizinische<br />

Versorgung. Voraussetzung für den Bezug von Leistungen nach diesem Gesetz ist<br />

die materielle Bedürftigkeit dieser Personengruppe, was durch das (faktische) Arbeitsverbot<br />

fast immer gegeben ist. 48 „Die Höhe der Leistungen nach dem<br />

AsylbLG ist seit 1993 unverändert geblieben. Sie ist gegenüber dem Existenzminimum<br />

der Sozialhilfe bzw. des ALG II um ca. 35 % reduziert“ (ebd., S. 55).<br />

Eine weitere Einschränkung bedeutet das seit 1997 im deutschen AsylbLG<br />

verankerte Sachleistungsprinzip (vgl. Initiative gegen das Chipkartensystem 2003,<br />

S. 75). Gemäß § 3 AsylbLG sollen seitdem Leistungen vorrangig <strong>als</strong> Sachleistungen<br />

erbracht werden. Nach dem Autor Classen wird in der Praxis der Verwaltungs-<br />

und Organisationsaufwand der Sachleistungen häufig aus den Grundleistungsbeträgen<br />

der Anspruchsberechtigten finanziert (vgl. Classen 2005, S. 89).<br />

Auch wird der Wert der Sachleistungen durch die damit verbundenen Restriktionen<br />

vermindert, und somit ist das Leistungsniveau der Sachleistungen um einiges<br />

niedriger <strong>als</strong> das der Geldleistungen. Als Beispiel führt der Autor beim<br />

47 Mehr zur Drittstaatenregelung in Schührer u.a. 2007, S. 9f..<br />

48 Siehe dazu unter „III.1.2.1.3 Arbeit: Arbeitsverbot und Vorrangprüfung“<br />

73


Chipkartensystem 49 die Beschränkung des Einkaufs auf bestimmte Geschäfte und<br />

Artikel, keine oder begrenzte Restgeldrückgabe, zusätzlich notwendige Fahrtkosten<br />

aufgrund längerer Einkaufswege und Ähnliches mehr auf (vgl. ebd., S. 56).<br />

Zusätzlich zu den Sachleistungen erhält jede_r Leistungsberechtigte_r einen geringen<br />

Barbetrag (vgl. § 3 (1) AsylbLG).<br />

In der nachfolgenden Tabelle sind die Leistungen des AsylbLG nach Classen,<br />

2005, S. 85 aufgeführt:<br />

Haushaltsvorstände<br />

u. Alleinstehende<br />

Haushaltsangehörige<br />

0-6 Jahre<br />

Haushaltsangehörige<br />

7-13 Jahre<br />

Haushaltsangehörige<br />

14-17 Jahre<br />

Haushaltsangehörige<br />

ab 18 Jahren<br />

Leistungen<br />

§ 3 Abs. 2<br />

AsylbLG<br />

Barbetrag<br />

§ 3 Abs. 1<br />

AsylbLG<br />

Grundleistungen<br />

gesamt<br />

Zum Vergleich:<br />

Regelsatz nach<br />

SGB II / SGB<br />

XII (West)<br />

184,07 40,90 224,97 345.-<br />

112,48 20,45 132,94 207.-<br />

158,50 20,45 178,95 207.-<br />

158,50 40,90 199,40 276.-<br />

158,50 40,90 199,40 276.-<br />

In verschiedenen Bundesländern wurde beschlossen, dass außerhalb der Erstaufnahmeeinrichtungen<br />

50 Geldleistungen erbracht werden. Alle Berliner Bezirke erteilen<br />

inzwischen Geldleistungen. Zur Begründung der Ermessensentscheidung<br />

für Geldleistungen wird beispielsweise der geringere Verwaltungsaufwand angeführt<br />

(vgl. ebd., S. 83).<br />

Die medizinische Versorgung ist nach § 4 AsylbLG auf eine medizinische<br />

Notversorgung beschränkt. Alles, was darüber hinausgeht, ist Ermessenssache des<br />

Sozialamtes (vgl. Hemmerling/Schwarz 2003, S. 22f.). Sonstige zusätzliche Leistungen<br />

sind im § 6 AsylbLG geregelt. So können beispielsweise Fahrt- und<br />

Transportkosten bei Verlegung in eine andere Unterkunft und die Kosten für Hygieneartikel<br />

für Wöchner_innen, die Behandlung und die Versorgung chronischer<br />

Krankheiten und psychotherapeutische Hilfen, Klassenfahrten und<br />

49 Auf den Chipkarten werden die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz elektronisch<br />

verbucht. Mit den Chipkarten können nur Lebensmittel, Körperpflegeartikel und Haushaltsbedarf<br />

in bestimmten Läden eingekauft werden. Ausgeschlossen sind die Bezahlung von beispielsweise<br />

Zigaretten oder Alkoholika, Bus- und Bahn-Tickets oder Anwalts- und Telefonkosten (vgl. Initiative<br />

gegen das Chipkartensystem 2003, S. 76).<br />

50 Erstaufnahmeeinrichtungen siehe unter „III.1.<strong>2.3</strong> Wohnen im Wohnheim“.<br />

74


Babyausstattung beantragt werden. Für diese Leistungen gilt: „Die Leistungen<br />

sind <strong>als</strong> Sachleistungen, nur bei Vorliegen besonderer Umstände <strong>als</strong> Geldleistung<br />

zu gewähren. Zur Durchsetzung der Leistungen ist in der Praxis ein gut begründeter,<br />

einzelfallbezogener Antrag erforderlich“ (Classen 2005, S. 99). Weiter können<br />

Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus kein Kinder- und Erziehungsgeld<br />

und keinen Unterhaltsvorschuss beziehen (vgl. Keßler 2005, S. 64).<br />

Unter bestimmten Voraussetzungen können nach 36 Monaten Bezug von<br />

Leistungen nach dem AsylbLG die Leistungen in Form und Höhe des SGB XII<br />

(Regelsatz, Mehrbedarf, einmalige Beihilfen, medizinische Versorgung usw.) bezogen<br />

werden (vgl. § 2 AsylbLG). Seit September 1998 gilt jedoch, dass die Dauer<br />

des Aufenthalts nicht selbst rechtsmissbräuchlich beeinflusst worden sein darf.<br />

So kann Menschen mit Duldung unterstellt werden, dass sie die Ausreisehindernisse<br />

selbst zu verantworten haben, beispielsweise durch fehlende Mitwirkung bei<br />

der Passbeschaffung oder durch f<strong>als</strong>che Angaben zur Identität (vgl. Classen 2005,<br />

S. 75 und § 1a AsylbLG). Gleichzeitig beinhaltet die gesetzliche Regelung von<br />

1998 die weitere Kürzung der ohnehin schon niedrigen Leistungen für diesen Personenkreis<br />

(vgl. ebd., S. 55). Die Leistungseinschränkungen beziehen sich meist<br />

auf die Streichung des Barbetrags und auf die Form der Leistung; das heißt Sachstatt<br />

Geldleistungen. In Berlin werden häufig sogar sämtliche Leistungen eingestellt<br />

(vgl. ebd., S. 69ff.). Ebenso wird dieser Paragraf in Berlin in der Regel <strong>als</strong><br />

Repressionsmittel eingesetzt. So werden etwa 2/3 der Menschen mit Duldung<br />

Zahlungen aufgrund dieses Paragrafen verweigert (freya fluten 2006, o. S.). Häufig<br />

behandeln die Sozialämter gerade Menschen mit einer Passbeschaffungsauflage<br />

gemäß des oben genannten § 1a AsylbLG und verweigern ihnen weitere Zahlungen<br />

(vgl. ebd.). Vier Interviewpartner berichteten, dass in ihrem Duldungsdokument<br />

von der ABH eine solche Passbeschaffungsauflage vermerkt wurde.<br />

Für Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus besteht in der Regel keine<br />

Gefahr der Abschiebung oder Nichtverlängerung ihres Aufenthaltes wegen des<br />

Bezugs von Leistungen nach dem AsylbLG, so Classen (vgl. Classen 2005, S.<br />

176f.). Trotzdem berichtete ein Interviewpartner, dass er aus Angst vor negativen<br />

Folgen für seinen Aufenthalt fast drei Jahre keine Sozialleistungen bezog. Überleben<br />

konnte er nur mit Hilfe eines Freundes und seiner Mutter.<br />

75


„Und wie kann ich leben? Ich war auch beim Sozialamt. Aber zum Sozialamt wollte<br />

ich nicht jeden Monat gehen. Frau A. (Anwältin) meinte auch, dass Sozialhilfe<br />

nicht gut ist wegen meinem Aufenthalt. Deswegen bin ich nicht gegangen. Aber ich<br />

hatte Schwierigkeiten. […] Gott sei Dank, mein Freund hat mir meistens geholfen.<br />

[…] Meine Mutter hat mir auch viel geholfen. Aber das war wirklich schwierig.<br />

[…] Arbeitsproblem, Geldproblem, Klamotten alles. Dann musste ich mit meinem<br />

Kumpel leben, das ist auch nervig manchmal. Also das ist auch kein schönes Leben.<br />

Da waren noch mehr Probleme. An manchen Monaten wurde der Strom abgeschaltet,<br />

weil wir kein Geld dafür hatten. […] Wo, wo kommt das Geld her? Der<br />

Grund, wieso ich nicht auf das Sozialamt gehen kann, hab ich dir gesagt“<br />

(Herr Ratnam).<br />

III.2.1.2.2 Fahren ohne Fahrschein<br />

Zwei Interviewpartner äußerten sich zum Fahren ohne Fahrschein in den öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln. Herr Schurda musste deshalb vor Gericht. Als Gründe für<br />

die Notwendigkeit der Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel, werden auch<br />

von ihm die mit dem Chipkartensystem verbundenen langen Einkaufswege und<br />

die Behördengänge genannt. Wie bereits erwähnt, können mit den Chipkarten keine<br />

Fahrtickets bezahlt werden. Die langen Einkaufswege sind in der Tatsache begründet,<br />

dass, wie zwei Interviewpartner berichteten, nur in bestimmten Läden die<br />

Möglichkeit besteht, mit den Chipkarten zu bezahlen. Im Gegensatz zu Herrn<br />

Schurda bekam aber Herr Ahmed Geld für Fahrkarten.<br />

„Aber nicht in jedem Einkaufsladen konnte man mit diesem Gutschein einkaufen.<br />

Das waren so spezielle Läden. Und Berlin ist ja groß. [...] Drei Jahre mussten wir<br />

so machen. Es ging nicht anders. Wir konnten uns keine Fahrscheine leisten, <strong>als</strong>o<br />

mussten wir schwarzfahren“ (Herr Schurda).<br />

„Also man bekommt nur Bargeld für die Fahrkarte und der Rest ist in Form von<br />

Scheinen, beziehungsweise wie heißt denn das, Wertpapiere, mit denen man auch<br />

einkauft. […] Der nächste Laden, wo wir spezielle Lebensmittel jetzt kaufen können<br />

wie jetzt Fladenbrot und Fleisch, was nach islamischen Regeln geschlachtet<br />

wird und so weiter. Heißt du musst da ganz lange fahren, um an so was ranzukommen.<br />

Und die Läden, die die deutschen Wertpapiere akzeptieren, das sind<br />

meistens auch sehr teure wie jetzt Extra, Edeka und so was. Preiswerte wie Lidl<br />

76


und Aldi machen das gar nicht“ (Herr Ahmed).<br />

Herr Ratnam sieht das Fahren ohne Fahrschein durch die vielen Behördengänge<br />

bedingt.<br />

„Jeden Monat musste ich zur Ausländerbehörde gehen. Da brauchte ich eine<br />

Fahrkarte für hin und zurück. Zum Sozialamt musste ich hin- und zurückgehen. Da<br />

bleibe ich lieber gleich zu Hause. Wenn ich schwarzfahre jeden Tag, brauch ich<br />

auch Geld“ (Herr Ratnam).<br />

III.2.1.<strong>2.3</strong> Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis<br />

Zum Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis äußerten sich drei Personen. Zwei gaben an,<br />

im informellen Sektor tätig (gewesen) zu sein. Ein dritter (Herr Miçko) hätte, trotz<br />

seiner Bedenken gegen das Gesetz zu verstoßen, irregulär gearbeitet, wenn seine<br />

Arbeitssuche erfolgreich gewesen wäre. Sie fühlen oder fühlten sich aufgrund des<br />

Arbeitsverbotes und der geringen Sozialhilfe gezwungen, inoffiziell zu arbeiten,<br />

um ihre Lebensunterhaltskosten zu decken.<br />

„Wovon soll ich leben? Die geben mir 120 € Geld. […] Ich muss entweder Drogen<br />

verkaufen oder klauen oder schwarzarbeiten. Ich arbeite lieber schwarz. […] Ich<br />

wollte irgendwo arbeiten, weil ich muss kochen, ich muss leben, ich muss irgendwo<br />

leben. […] Ich hab schwarzgearbeitet, weil ich meine Anwältin zahlen muss“ (Herr<br />

Jiyan).<br />

Herr Jiyan betonte immer wieder, dass er nicht irregulär beschäftigt sein möchte,<br />

aber dass es für ihn keine andere Alternative gibt.<br />

„Ich will ja nicht schwarzarbeiten. Warum? Ich will mein Geld haben. Ich will<br />

meine Versicherung selber zahlen. Ich will nicht einfach vom Sozialamt leben“<br />

(Herr Jiyan).<br />

Seine Arbeitssituation stellt ihn nicht zufrieden.<br />

„Die (Arbeitgeber) wissen, wer Asyl hat und die zahlen weniger“ (Herr Jiyan).<br />

Einmal wurde Herr Jiyan beim Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis erwischt und<br />

musste zirka 200 € Strafe bezahlen.<br />

77


III.2.1.3 Sonstige Straftaten<br />

Ein Interviewpartner (Herr Ratnam) bekam zwei Anzeigen wegen Körperverletzung<br />

und eine wegen Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz (Marihuanabesitz).<br />

Er bezahlte für alle Anzeigen Bußgeld. Seine Straffälligkeit schrieb er seiner<br />

damaligen Jugend und „Dummheit“ (Herr Ratnam) zu. Bei der Aufenthaltserteilung<br />

wurde ihm gesagt, dass bei erneuter Straffälligkeit die AE nicht verlängert<br />

werde. Darin sah er allerdings kein Problem, da er bereits fünf Jahre nicht mehr<br />

straffällig war.<br />

III.2.1.4 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Die größte Zahl der Ordnungswidrigkeiten/Straftaten, die von Menschen mit unsicherem<br />

Aufenthaltsstatus begangen werden, lässt sich in zwei Kategorien einteilen.<br />

Das sind zum einen ausländerrechtliche Ordnungswidrigkeiten/ Straftaten wie<br />

die Verletzung der Residenzpflicht und der Aufenthalt ohne Papiere, zum anderen<br />

Ordnungswidrigkeiten/Straftaten aus Armut wie Fahren ohne Fahrschein oder<br />

Arbeiten ohne Arbeitserlaubnis.<br />

Die Ursachen für das Begehen dieser Ordnungswidrigkeiten/Straftaten<br />

liegen in den speziellen rechtlichen Regelungen für diesen Personenkreis und der<br />

restriktiven Umsetzungspraxis der ABH. Die Bleiberechtsregelung trägt der Besonderheit<br />

der ausländerrechtlichen Ordnungswidrigkeiten/Straftaten insofern<br />

Rechnung, dass der eingeräumte Tagessatz höher <strong>als</strong> bei anderen Straftaten angesetzt<br />

wurde. 51 Bei den Straftaten aus Armut ist dies nicht gegeben.<br />

Dadurch, dass der betroffenen Personenkreis seit vielen Jahren mit diesen<br />

gesetzlichen Bestimmungen leben muss und die Ordnungswidrigkeiten/Straftaten<br />

zusammengerechnet werden, könnte dieser Ausschlussgrund schnell zum Tragen<br />

kommen. Es hängt häufig vom Zufall ab, ob Betroffene beispielsweise beim<br />

Übertreten der Residenzpflicht erwischt werden und wie die zuständige Behörde<br />

damit umgeht.<br />

51 Siehe dazu unter „Straftaten“ in Punkt „I.3 Ausschlussgründe“.<br />

78


III.2.2 Täuschung<br />

Der Ausschlussgrund „vorsätzliche Täuschung“ basiert auf der genannten gesetzlichen<br />

Verpflichtung, Identität und Staatsangehörigkeit anzugeben. Laut Rechtsanwalt<br />

Kabis „unterliegt [es] keinem Zweifel, dass damit alle vorhandenen Staatsangehörigkeiten<br />

gemeint sind, dient die Erfassung der Angaben doch u. a. der<br />

Vorbereitung des Vollzugs aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Die Behörden<br />

haben daher ein rechtliches Interesse, alle Länder zu kennen, die zur Aufnahme<br />

des Ausländers völkerrechtlich verpflichtet sind“ (Kabis 2007, S. 8). Der Vorwurf<br />

des Rechtsmissbrauchs trifft aber nur zu, wenn die betreffende Person wusste,<br />

dass sie alle ihr bekannten Daten angeben muss (vgl. ebd.).<br />

Wegen „vorsätzlicher Täuschung der Ausländerbehörde über aufenthaltsrechtlich<br />

relevante Umstände“ wurde der Antrag von zwei Interviewpartnern abgelehnt.<br />

Sie stammen beide aus einer Provinz in der Osttürkei und gehören einer<br />

arabisch sprechenden kurdischen Minderheit an. Neben ihren untereinander gebräuchlichen<br />

arabischen Namen besitzen sie auch türkische, die den Angehörigen<br />

ihrer Volksgruppe im Zuge der „Zwangstürkisierung“ unter Atatürk gegeben<br />

wurden (vgl. ebd.). „Oftm<strong>als</strong> fanden Registrierungen in der Türkei statt im Rahmen<br />

von Volkszählungen etwa in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Dadurch<br />

wurden Personen zu türkischen Staatsbürgern, ohne türkische Vorfahren<br />

gehabt zu haben oder eingebürgert worden zu sein. Die Nachkommen dieser Personen<br />

erwarben die türkische Staatsbürgerschaft durch Geburt unabhängig davon,<br />

ob sie selbst weiter in der Türkei lebten“ (ebd.).<br />

Aus Existenz- und Kriegsgründen wanderten die Interviewpartner in den<br />

Libanon aus, wo sie nie registriert wurden. Schließlich flohen sie aufgrund des<br />

Bürgerkrieges im Libanon über die Türkei nach Deutschland. Die Türkei bot für<br />

sie weiterhin keine Lebensperspektive. Darüber hinaus galt in ihrer Herkunftsregion<br />

in der Osttürkei von 1978 bis 1996 der Ausnahmezustand (Oberdiek 2001,<br />

o. S.). Beide Interviewpartner stellten in Deutschland einen Asylantrag, der negativ<br />

beschieden wurde. Daher wird angenommen, dass die Interviewpartner wussten,<br />

dass sie alle Staatsangehörigkeiten angeben müssen. Denn eine Frage bei der<br />

Asylanhörung, zielt genau darauf ab (vgl. Kabis 2007, S. 9). Eine Duldung erhielten<br />

sie, weil sie nur ihre arabischen Namen und ihre libanesische Nationalität<br />

79


angegeben hatten. Während sie nämlich in die Türkei ohne Probleme hätten abgeschoben<br />

werden können, bestand in den Libanon ein Abschiebehindernis.<br />

„Weil wir hatten Angst wieder zurück in die Türkei und dann nach Libanon, weil in<br />

beiden ist Krieg“ (Herr Koç).<br />

„Unsere Identität, unsere richtige Identität durften wir nicht preisgeben, damit<br />

man uns nicht erkennt <strong>als</strong> solche und damit es leichter ist. […] Und wir haben<br />

zwar einen Fehler begangen, aber das ist kein Fehler, weil wir das nicht aus freiem<br />

Willen gemacht haben, sondern wir wurden durch die Umstände dazu gezwungen<br />

das zu machen“ (Herr Erol).<br />

Seitdem die ABH von der Registrierung in der Türkei erfuhr, verlängerte sie die<br />

Duldung immer nur für einen sehr kurzen Zeitraum von ein bis zwei Monaten.<br />

Alle anderen Bemühungen einen Aufenthalt zu bekommen, wie die Antragsstellung<br />

bei der Härtefallkommission oder beim Petitionsausschuss scheiterten ebenfalls<br />

wegen des Tatbestands der „vorsätzlichen Täuschung“. 52 Laut Behrisch sind<br />

in Berlin hunderte Familien, die aus der gleichen Region wie Herr Koç und Herr<br />

Erol stammen und die gleiche ethnische Zugehörigkeit wie sie besitzen, von der<br />

gleichen Problematik betroffen (vgl. Behrisch 2007, S. 21).<br />

III.2.2.1 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Allein durch den Tatbestand „Täuschung“ werden Menschen ausgeschlossen, die<br />

unter Umständen alle anderen Voraussetzungen erfüllen würden. Ebenso wird<br />

deutlich, dass der juristische Tatbestand der „Täuschung“ die Komplexität der<br />

Lebensgeschichten und die besondere Gefährdung der betroffenen Personen in<br />

ihren (vermeintlichen) Herkunftsländern nicht vollständig berücksichtigt. Anstatt<br />

die Hintergründe der Täuschung wie beispielsweise nachvollziehbare humanitäre<br />

52<br />

Die Härtefallkommission ist eine Stelle, die von der Landesregierung eingerichtet werden kann<br />

(vgl. §23a AufenthG). Sie kann sich dafür aussprechen, dass ein „Ausländer“ aus dringenden humanitären<br />

oder persönlichen Gründen einen Aufenthalt bekommt. Sie kann aber lediglich eine<br />

Empfehlung an den/die Innensenator_in des Landes weitergeben. Entscheidend ist auch hier die<br />

„Integration“ der Personen (vgl. Leidt/Skerutsch 2005, S. 84f.). Voraussetzungen sind das Vorliegen<br />

dringender persönlicher Gründe, die Sicherung des LU, Ausschlussgründe sind Straftaten von<br />

erheblichem Gewicht (vgl. Heinhold/Classen 2004, S. 32).<br />

Petitionsausschuss: Jeder Mensch, der sich in Deutschland aufhält, besitzt gemäß Art. 17 GG ein<br />

Petitionsrecht und kann sich gemäß diesem mit einer Petition an die Volksvertretung wenden (vgl.<br />

ebd.).<br />

80


Gründe und die damit verbundene Nothandlung der Betroffenen in die Entscheidung<br />

mit einzubeziehen, wird lediglich das Bestehen des juristischen Tatbestandes<br />

<strong>als</strong> solchem <strong>als</strong> Ausschlussgrund angeführt. Auch hier gilt wieder, dass die gesamte<br />

Familie von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen wird, wenn ein Familienmitglied<br />

f<strong>als</strong>che oder unvollständige Angaben zur Identität gemacht hat. Dies<br />

trifft die Kinder der Antragsteller_innen besonders schwer, die häufig das<br />

Herkunftsland ihrer Eltern, in das sie abgeschoben werden sollen, nur vom Hörensagen<br />

kennen.<br />

Wenn das Ausschlusskriterium so gehandhabt wird, dann wird es den Lebensumständen<br />

der betreffenden Personen nicht gerecht und verbaut ihnen die<br />

Chance auf Aufenthalt.<br />

III.3 Umsetzung der Bleiberechtsregelung durch die Ausländerbehörde<br />

Existenz der Bleiberechtsregelung<br />

Die meisten Interviewpartner erfuhren über die Medien, vorwiegend über die Zeitung<br />

und das Fernsehen, und über ihre Anwält_innen von der Bleiberechtsregelung.<br />

Als zusätzliche Informationsquelle nannte Herr Schurda einen Politiker der<br />

Grünen, der ihm persönlich von der Regelung erzählte. Herr Ahmed erfuhr mehr<br />

von einer politischen Jugendorganisation, in der er sich engagiert, und Herr Koç<br />

von einer Beratungsstelle. Herr Diyar berichtete, dass er über Informationszettel,<br />

die bei der ABH aushingen, von der Bleiberechtsregelung erfahren hatte. Keiner<br />

der Interviewpartner jedoch wurde persönlich von den Mitarbeiter_innen der<br />

ABH über die Existenz der neuen Regelung informiert.<br />

Nachdem Herr Jiyan über die Medien von der Bleiberechtsregelung erfahren<br />

hatte, wollte er sich bei der ABH darüber informieren. Die Mitarbeiter_innen<br />

der ABH verneinten allerdings die Existenz der Bleiberechtsregelung. Zwei weitere<br />

Interviewpartner (Herr Ahmed und Herr Diyar) wollten bereits im Januar bei<br />

der ABH ihren Antrag stellen. Dies war nicht möglich, da die Sachbearbeiter_innen<br />

der ABH noch keine Informationen oder Anordnungen zum Umgang<br />

mit der Regelung erhalten hatten.<br />

„Als ich im Januar bei der Ausländerbehörde war, um mein Antrag zu stellen noch<br />

81


mal und zu fragen, wie ist das denn jetzt. Da meinte die Sachbearbeiterin so: ‚Ja<br />

wir wissen gar nicht, ob da überhaupt eine Regelung kommt oder ob die überhaupt<br />

jetzt eine ausstellen können, eine Aufenthaltserlaubnis.’ Ich sagte: ‚Aber die Regel<br />

ist doch schon da.’ ‚Ja, das wissen wir auch nur aus dem Fernsehen und aus der<br />

Zeitung. Wir haben noch gar nichts bekommen’“ (Herr Ahmed).<br />

Die meisten Interviewten wiesen darauf hin, dass sie von der ABH grundsätzlich<br />

weder Informationen erhalten noch Zeit bekommen, Fragen zu stellen.<br />

„Man bekommt gar keine Unterstützung. Die Mitarbeiter zeigen einem ständig,<br />

dass du hier nicht willkommen bist. Man traut sich auch gar nicht nachzufragen.<br />

Das heißt, wenn man keinen Rechtsanwalt hat, was auch sehr teuer ist, dann hat<br />

man gar keine Chance zu seinen Rechten zu kommen“ (Herr Ahmed).<br />

„Und ich muss doch Zeit haben, dass ich was dagegen sage oder zumindest ‚Danke’<br />

oder was weiß ich. Und so lange ich schon meine Augen auf der Duldung habe,<br />

sehe ich: ‚Oh, oh die Frau ist schon weg.’ Also man hat keine Chance was zu sagen<br />

oder zu fragen oder irgend so eine Regelung, nee“ (Herr Schurda).<br />

Antragstellung<br />

Alle Interviewpartner stellten ihre Anträge mit Hilfe ihrer Anwält_innen. Ein Interviewpartner<br />

(Herr Diyar) wurde bei der Antragstellung zusätzlich von den Mitgliedern<br />

der Härtefallkommission unterstützt. Zwei Interviewte (Herr Diyar, Herr<br />

Ahmed) gerieten aufgrund des Ausbildungsbeginns unter Zeitdruck. Sie koppelten<br />

ihre Anträge von den Anträgen ihrer Familien ab und stellten neue Anträge mit<br />

der Unterstützung des Leiters ihrer Qualifizierungsmaßnahme.<br />

Bearbeitung der Anträge<br />

Herr Erol und Herr Koç bekamen sehr schnell nach ihrer Antragstellung einen<br />

negativen Bescheid mit der Begründung, sie hätten ihre Identität f<strong>als</strong>ch angegeben.<br />

Fast alle anderen Interviewpartner berichteten, dass sie nach der Antragstellung<br />

einen Brief von der ABH erhielten, in dem stand, welche Formulare und Dokumente<br />

sie für eine AE noch vorlegen müssten. Ein Interviewpartner (Herr<br />

Ratnam) musste seine Asylklage zurücknehmen. Er bekam jedoch von der ABH<br />

die Zusicherung, dass er eine AE erhalten wird.<br />

82


Einige Interviewte beklagten die lange Bearbeitungsdauer der Anträge und<br />

die Fehler, die die ABH bei der Bearbeitung der Anträge machte. Die lange Bearbeitungsdauer<br />

der ABH hat viele Ursachen, wie die Betroffenen erzählten: die<br />

Überprüfung zu Bezügen zum Terrorismus und zur Straffälligkeit, die Überprüfung<br />

zur Erfüllung der Passpflicht 53 und schließlich die Verzögerung aufgrund von<br />

Bearbeitungsfehlern. So wurde der erste Antrag von Herrn Miçko und Herrn<br />

Schurda abgelehnt. Woraufhin ihr Anwalt erfolgreich Widerspruch einlegte. Weitere<br />

angegebene Bearbeitungsfehler waren das Verwechseln der Akten und das<br />

Vergessen eines Familienangehörigen im Antrag.<br />

„Die Sachbearbeiterin von der Ausländerbehörde sagte, dass mein Vater sein Pass<br />

bringen soll und so. Ich hab gesagt: ‚Ich hab hier keinen Vater. Mein Vater ist in<br />

der Türkei.’ ‚Oh, Entschuldigung, tut uns leid, wir haben die Akte verwechselt.’ Ich<br />

hatte acht Monate lang Pech“ (Herr Jiyan).<br />

„Und noch was, was noch viel schlimmer ist in dieser ganzen Geschichte, dass die<br />

Ausländerbehörde schickt mir Brief, dass ich beschaffe die Ausweise und soll ich<br />

gehen zur angolanischen Botschaft. […] Dass Sie sehen, was für Fehler- Deswegen<br />

haben wir gekriegt, ich und meine Frau, dass wir können in ganz Deutschland<br />

Arbeit suchen, weil wir sind Angolaner, nicht Bosnier oder Serben, sondern Angolaner“<br />

(Herr Miçko). 54<br />

Ebenfalls nahm die ABH versehentlich die 19-jährige Tochter der Familie von<br />

Herrn Miçko nicht in den Antrag mit auf.<br />

Die lange Bearbeitungsdauer kann negative Auswirkungen auf die Ausbildungs-<br />

oder Arbeitssituation der Betroffenen haben, denn ohne AE können die<br />

Betreffenden ihre Ausbildungs- oder Arbeitsstelle nicht antreten. Drei Interviewpartner<br />

äußerten sich in dieser Hinsicht. Herr Schurda durfte seine Stelle noch<br />

nicht antreten, da er sich, wie die ABH ihm mitteilte, noch um einen Pass bemühen<br />

müsse. Nur durch die Unterstützung des Leiters der Qualifizierungsmaßnahme<br />

konnten zwei Interviewte ihre Ausbildungsplätze rechtzeitig antreten. Anfang<br />

53 Die Überprüfung zur Erfüllung der Passpflicht wurde unter Punkt „III.1.1 Passpflicht“ eingehend<br />

erläutert.<br />

54 Diese Äußerung ist ironisch gemeint. Herr Miçko, der aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt,<br />

zeigte mir ein Schreiben von der ABH, in dem er und seine Frau <strong>als</strong> angolanische Staatsbürger<br />

bezeichnet wurden.<br />

83


März wurde Herrn Ahmed mitgeteilt, dass seine Daten vom deutschen Geheimdienst<br />

nach Bezügen zum Terrorismus überprüft werden. Aufgrund der Bearbeitungszeit<br />

bedeutete dies, dass er nicht mehr rechtzeitig seine AE bekommen hätte,<br />

um seine Ausbildung beginnen zu können. Durch die Unterstützung des Leiters<br />

der Qualifikationsmaßnahme stellte ihm die ABH einen Aufenthalt unter einer<br />

Voraussetzung aus: Bei Bezügen zum Terrorismus müsse er die AE zurückgeben.<br />

„Das ging jetzt zum Schluss wirklich um zwei, drei Tage. So dass ich mein Pass mit<br />

der Aufenthaltserlaubnis fast eine Woche davor beim Arbeitgeber eingereicht habe.<br />

Das war ganz ganz knapp zum Schluss dann“ (Herr Ahmed).<br />

Die ABH teilte Herrn Diyar zuerst telefonisch mit, dass er aufgrund des fehlenden<br />

Passes keine AE bekommen wird.<br />

„Und er (Leiter der Qualifizierungsmaßnahme) hat mir immer geholfen bei der<br />

Ausländerbehörde, damit ich die Ausbildung, die Maßnahme machen kann. Er hat<br />

Druck bei der Ausländerbehörde gemacht“ (Herr Diyar).<br />

Unerwartet wurde ihm schließlich doch eine AE ausgestellt.<br />

„Da habe ich überhaupt nicht kapiert, was die da machen. Keiner wusste genau,<br />

wer was macht. Doch am Ende habe ich einen Aufenthalt für sechs Monate bekommen“<br />

(Herr Diyar).<br />

III.3.1 Zusammenfassung und Bewertung<br />

Der betroffene Personenkreis wurde weder von den Mitarbeiter_innen der ABH<br />

über die Existenz der Bleiberechtsregelung informiert, noch wurden die Antragsteller_innen<br />

von ihnen diesbezüglich beraten. Selbst die Sachbearbeiter_innen<br />

waren anfangs wenig informiert. Dies alles verzögerte die Aufnahme<br />

der Anträge erheblich. Die langwierige Prüfung der Unterlagen und die dabei begangenen<br />

Fehler der ABH behinderten ebenfalls eine zügige Erteilung einer AE,<br />

was eine rechtzeitige Aufnahme der Ausbildungs- oder Arbeitsstelle verhindern<br />

kann.<br />

Die Beziehungen zwischen den Antragsteller_innen und den Sachbearbeiter_innen<br />

der ABH sind durch langjährige negative Erfahrungen von gegenseitigem<br />

Misstrauen geprägt. Dies kann eine adäquate Bearbeitung beeinflussen. Viele<br />

84


Betroffene erhalten die ihnen zustehenden Rechte nur durch intensive Unterstützung<br />

von Fachleuten.<br />

Ohne Anwält_innen oder andere Unterstützung ist die Antragsstellung und<br />

der Erhalt einer AE beinahe nicht möglich.<br />

In drei Punkten wiederum funktionierte die Arbeit der ABH reibungslos:<br />

die Information über fehlende Unterlagen, die Zusicherung einer AE bei der<br />

Rücknahme der Asylklage und die Herausgabe einer Zusicherungsbescheinigung<br />

für die Erteilung einer AE bei Vorlage eines Passes für die Botschaften.<br />

Alles in allem lässt sich sagen: Die mangelhafte Umsetzung der Bleiberechtsregelung<br />

kann die Erteilung einer AE erheblich verzögern und ohne zusätzliche<br />

Unterstützung sogar verhindern.<br />

IV. „Chancen nutzen – Aufenthalt sichern“?<br />

Der Werbeslogan der Informationsbroschüre der Integrationsministerin M.<br />

Böhmer „Chancen nutzen – Aufenthalt sichern“ wirkt nach meiner Untersuchung<br />

wie eine unpassende Verpackung für den unzureichenden Inhalt. Denn die Bleiberechtsregelung<br />

sondert von vornherein Menschen aus, die wirtschaftlich gesehen<br />

nicht produktiv sind und stellt schwer erfüllbare Anforderungen. So spricht die<br />

Bleiberechtsregelung innerhalb der konstruierten Gruppe „Menschen mit unsicherem<br />

Aufenthaltsstatus“ nur erwerbsfähige „Gesunde“ an und stellt für alle anderen<br />

Menschen Bedingungen, wie die Sicherung des LU, die nur schwer erfüllbar sind.<br />

Leider bekam ich nur Zugang zu erwerbsfähigen Männern unter 65 Jahren,<br />

die hinsichtlich der „Integrationsvoraussetzungen“ die am wenigsten benachteiligte<br />

Gruppe unter den Antragsteller_innen darstellen. Vermutlich würde die Bilanz<br />

der Untersuchungsergebnisse zur Beantwortung meiner Frage „Inwiefern eröffnet<br />

die Bleiberechtsregelung eine echte Chance auf Aufenthalt für langjährig geduldete<br />

Menschen in Deutschland?“ noch ungünstiger ausfallen, wenn ich alte, kranke<br />

und behinderte Menschen oder die gesellschaftlich benachteiligte Gruppe der<br />

Frauen befragt hätte.<br />

Im Verlauf meiner Untersuchung hat sich meine Annahme bestätigt, dass<br />

die rechtlichen Rahmenbedingungen enorme Hindernisse auf dem Weg zum Erhalt<br />

einer AE darstellen. Das Leben der Menschen wurde in der Vergangenheit<br />

85


durch die gesetzlichen Bestimmungen erheblich beeinträchtigt. Trotzdem setzt die<br />

Bleiberechtsregelung voraus, kaum zu bewältigende Anforderungen in einem sehr<br />

knapp bemessenen Zeitrahmen zu erfüllen. Demnach bestehen zwischen den eingeforderten<br />

Voraussetzungen der Bleiberechtsregelung und den geltenden<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen Widersprüche.<br />

Ein entscheidender Punkt für die Beantwortung der Frage ist zusätzlich die<br />

Umsetzung der Bleiberechtsregelung durch die ABH. Denn dies ist die Behörde,<br />

die letztendlich entscheidet, wer eine AE erhält. Meist lag es im Ermessen der<br />

Sachbearbeiter_innen, wie streng die Einhaltung der gesetzlichen Auflagen eingefordert<br />

und kontrolliert und auf welche Weise die Bleiberechtsregelung umgesetzt<br />

wurde.<br />

Schließlich ergeben sich aus der Untersuchung folgende fünf Schlussfolgerungen,<br />

die zur Beantwortung meiner Frage führen:<br />

1. Der Kriterienkatalog der Bleiberechtsregelung berücksichtigt die für<br />

den angesprochenen Personenkreis geltenden rechtlichen Bestimmungen<br />

unzureichend.<br />

Das gilt zum einen für die geforderten „Integrationsvoraussetzungen“, zum anderen<br />

für die Ausschlussgründe. Der Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe, der<br />

entscheidend für die Erfüllung der aufgezeigten Anforderungen ist, wurde jahrelang<br />

von staatlicher Seite durch rechtliche Bestimmungen erschwert oder verhindert.<br />

Das Umgehen dieser Auflagen durch Unterstützungsnetzwerke und Verstöße<br />

in der Vergangenheit wiederum erleichtern deren gegenwärtige Erfüllung. Gleichzeitig<br />

kann letzteres jedoch den Ausschluss aus der Bleiberechtsregelung zur Folge<br />

haben.<br />

2. Die Bleiberechtsregelung bezieht die komplexen Lebensgeschichten<br />

der Menschen ungenügend mit ein.<br />

Die Lebensumstände vieler Menschen werden nicht beachtet, was besonders die<br />

Punkte der ungeklärten Identität/Staatsangehörigkeit und die „Täuschung über<br />

aufenthaltsrechtlich relevante Umstände“ betrifft. Daran anknüpfend ist die Haltung<br />

zur Bleiberechtsregelung von Herrn Erol, der aufgrund einer Täuschung von<br />

der Regelung ausgeschlossen wurde, folgende: „Das löst das Problem nicht. Dieses<br />

Gesetz hat eigentlich inhaltlich für uns nichts gebracht“ (Herr Erol).<br />

86


3. Der umfassende Kriterienkatalog der Bleiberechtsregelung erschwert<br />

die Erfüllung aller Voraussetzungen.<br />

Auch wenn einige Personen einzelne Voraussetzungen erfüllen können, ist es<br />

schwierig, allen Anforderungen gerecht zu werden. Herr Diyar formuliert<br />

treffend: „Das Bleiberecht ist eine Regel mit Hunderten von Forderungen. Das ist<br />

einfach schwierig. Man kann einfach nicht alle Voraussetzungen erfüllen“ (Herr<br />

Diyar). Selbst wenn alle Anforderungen erfüllt werden, können die Ausschlussgründe<br />

dazu führen, dass Personen gemeinsam mit ihren engsten Angehörigen<br />

von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen werden.<br />

4. Die Umsetzung der Bleiberechtsregelung durch die ABH ist deutlich<br />

verbesserungsfähig.<br />

Wie bereits erläutert, erhielten die Betroffenen von Mitarbeiter_innen der ABH<br />

weder Informationen über die Bleiberechtsregelung, noch wurden die Menschen<br />

diesbezüglich von ihnen beraten oder auf ihre Rechte hingewiesen.<br />

Die Aufgabe der ABH besteht vorwiegend aus Abwehr, Aufenthaltsbeendigung<br />

und Abschiebung 55 , weshalb die Betroffenen kein Vertrauen in die Behörde<br />

haben. Die Gründe für die mangelnde Unterstützung seitens der ABH liegen<br />

unter anderem in diesem bestehenden Interessenkonflikt, der über viele Jahre gegenseitiges<br />

Misstrauen schürt. Deshalb werden auch die wenigen Bestimmungen,<br />

durch die in der Bleiberechtsregelung die langjährigen Auflagen berücksichtigt<br />

werden, häufig von den Mitarbeiter_innen der ABH zu Ungunsten der Antragsteller_innen<br />

nicht in die Praxis umgesetzt. Hinzu kommen die komplizierten Bestimmungen<br />

der neuen Bleiberechtsregelung. Schließlich hängt eine angemessene<br />

Umsetzung der Bleiberechtsregelung meist vom Zufall oder vom Ermessen der<br />

Sachbearbeiter_innen ab.<br />

5. Ohne Unterstützungsnetzwerke ist der Erhalt einer AE nur schwer<br />

möglich.<br />

Es hat sich gezeigt, dass die Erfüllung der Anforderungen einerseits und die formale<br />

Erlangung einer AE andererseits beinahe nur mit Unterstützungsnetzwerken<br />

möglich sind. So kommt die langjährig verhinderte „Integration“ durch die<br />

55 Aufgaben der ABH siehe Punkt III.<br />

87


gesetzlichen Bestimmungen besonders bei denjenigen zum Tragen, die über kein<br />

Unterstützungsnetzwerk verfügen. Gleichzeitig ist die AE ohne Unterstützung<br />

selbst für diejenigen nur schwer zu erreichen, die alle Voraussetzungen erfüllen.<br />

Unterstützungsangebote können zum einen aus dem sozialen Umfeld<br />

kommen und zum anderen aus professionellen Netzwerken. Daraus ergeben sich<br />

Konsequenzen für die Soziale Arbeit, auf die ich im Ausblick eingehen werde.<br />

Die Untersuchungsergebnisse lassen den zusammenfassenden Schluss zu, dass die<br />

Bleiberechtsregelung den allermeisten langjährig geduldeten Menschen aus den<br />

oben genannten Gründen keine echte Chance auf Aufenthalt bietet.<br />

V. Ausblick<br />

V.1 Politische Forderungen<br />

Wie etliche andere Regelungen in der Vergangenheit bietet auch der IMK-<br />

Beschluss keine ausreichende Lösung für die Beendigung der Kettenduldungen.<br />

Der Großteil der langjährig geduldeten Menschen erhält keinen rechtmäßigen<br />

Aufenthalt und bleibt weiterhin ohne wirkliche Lebensperspektive in der Warteschleife<br />

der Duldung hängen. Selbst diejenigen, die von der Bleiberechtsregelung<br />

profitieren konnten, haben nur eine befristete AE bekommen. Ihre Verlängerung<br />

wird davon abhängig gemacht, ob die Bedingungen weiterhin erfüllt sind, was<br />

insbesondere bei der Sicherung des LU ein Problem darstellen könnte und die Betroffenen<br />

leicht in ihre Ausgangslage zurückversetzen kann. Dazu kommt, dass es<br />

sich bei der Bleiberechtsregelung sowieso nur um eine Stichtagsregelung handelt,<br />

die alle diejenigen unberücksichtigt lässt, die zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht<br />

lange genug in der BRD waren. So wird die menschenunwürdige Situation der<br />

langjährig geduldeten Menschen in einigen Jahren neuen Handlungsbedarf erfordern.<br />

Wichtig wäre es, eine umfassende Lösung für ein Aufenthaltsrecht für<br />

Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus zu finden. Diese müsste den Kreis<br />

der Begünstigten erweitern, die geforderten Aufenthaltszeiten absenken, die bisherigen<br />

gesetzlichen Bestimmungen berücksichtigen und die Lebensumstände der<br />

Menschen beachten. Auch diejenigen sollten vom Bleiberecht erfasst werden, die<br />

88


kurzzeitig einen Aufenthaltstitel hatten, der aber entzogen wurde, wie beispielsweise<br />

geduldete Menschen, die über ein Studium einen kurzzeitigen Aufenthalt<br />

erhalten haben. Die Aufenthaltszeiten der Menschen im Duldungsstatus sind, wie<br />

auch der Menschenrechtskommissar des Europarates kritisierte, zu lange<br />

angesetzt. So stellt Hammarberg fest: „Werden sie (die Duldungen) jedoch über<br />

mehrere Jahre, ja sogar Jahrzehnte angewendet, so kann aus diesem Unsicherheitsstatus<br />

eine Verletzung der Würde des Menschen erwachsen“ (vgl.<br />

Hammarberg 2007, S. 2).<br />

Die Erteilung der AE sollte nicht von der Erfüllung der „Integrationsvoraussetzungen“<br />

abhängig gemacht werden, insbesondere nicht bei alten,<br />

kranken, behinderten und traumatisierten Menschen, bei Familien mit mehreren<br />

Kindern, bei Alleinerziehenden und bei jungen Erwachsenen, die sich in Ausbildung,<br />

Studium oder weiterführenden Schulen befinden. Anstatt Integration zu<br />

fordern, sollte Integration durch die Ermöglichung gesellschaftlicher Teilhabe<br />

gefördert werden. Möglich wäre dies durch die Erteilung einer Arbeitserlaubnis<br />

für geduldete Menschen, durch die Streichung der Wohnsitzauflage und der<br />

Wohnheimunterbringung und den Anspruch auf den Besuch von Deutschkursen.<br />

Auch die gesetzliche Bleiberechtsregelung, die Ende August 2007<br />

in Kraft getreten ist, wird diesen Forderungen nicht gerecht. Zwar wurde die Frist<br />

für die Arbeitsplatzsuche für die Antragsteller_innen bei dieser Regelung angehoben.<br />

Doch stellen die gesetzlichen Bestimmungen für den betroffenen Personenkreis<br />

in einigen anderen Punkten eine erhebliche Verschlechterung im Vergleich<br />

zu der Berliner Weisung der IMK-Regelung dar. So müssen beispielsweise höhere<br />

Einkommen erzielt werden und (ehemalige) Asylbewerber, wie beispielsweise<br />

alle Befragten meiner Untersuchung, werden grundsätzlich ausgeschlossen (vgl.<br />

Schwab 2007, S. 21).<br />

V.2 Konsequenzen für die Soziale Arbeit<br />

Durch die nach wie vor schwierige Lebenssituation langjährig geduldeter Menschen<br />

besteht weiterhin Handlungsbedarf im Bereich der Sozialen Arbeit. Denn<br />

gemäß der International Federation of Social Workers (IFSW) haben Sozialarbeiter_innen<br />

die Verpflichtung, soziale Gerechtigkeit zu fördern. Unter anderem<br />

89


edeutet dies, soziale Bedingungen, die zu sozialem Ausschluss, Stigmatisierung<br />

oder Unterdrückung führen, entgegenzutreten und ungerechte politische Entscheidungen<br />

und Praktiken zurückzuweisen (vgl. International Federation of Social<br />

Workers (Hrsg.) 2006, o. S.). „Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, ihre Arbeitgeber,<br />

Gesetzgeber, Politiker und die Allgemeinheit darauf aufmerksam zu machen,<br />

wo Mittel unzulänglich sind oder wo die Verteilung von Mitteln durch Verordnungen<br />

und Praxis unterdrückerisch, ungerecht oder schädlich ist“ (ebd.).<br />

Daraus ergeben sich bezüglich der dargestellten Problematik folgende<br />

Konsequenzen für die Soziale Arbeit sowohl auf der Mikroebene (Klientel) <strong>als</strong><br />

auch auf der Meso- und Makroebene (Gemeinwesen, Gesellschaft, Politik):<br />

Klient_innen mit unsicherem Aufenthaltsstatus sind zunächst dabei zu unterstützen,<br />

die ihnen aktuell zustehenden Rechte voll für sich in Anspruch zu nehmen.<br />

Im Bezug auf die Bleiberechtsregelungen kann dies beispielsweise die Unterstützung<br />

und Beratung bei der Wohnungs-, Sprachkurs-, Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche,<br />

bei Anträgen und bei rechtlichen Fragen bedeuten; oder die Begleitung<br />

und Unterstützung bei der Erfüllung der Mitwirkungspflicht und bei Behördengängen.<br />

Auf diese Weise könnten die Sozialarbeiter_innen unter anderem bei<br />

Problemen zwischen den Klient_innen und den Mitarbeiter_innen der ABH vermitteln.<br />

Ebenfalls ist es wichtig, Informationen -beispielsweise über das Auslegen<br />

und Verteilen von Informationsbroschüren- großflächig zu streuen, die „Tipps und<br />

Infos“ zur Bleiberechtsregelung oder anderen aufenthaltsrechtlichen Regelungen<br />

und Adressen von empfehlenswerten Beratungsstellen und kostengünstigen Anwält_innen<br />

oder Ähnliches beinhalten. Gleichzeitig sind die Klient_innen dabei zu<br />

unterstützen, selbst für ihre Rechte einzutreten.<br />

Für die oben erläuterte Umsetzung einer umfassenden Bleiberechtsregelung<br />

und die allgemeine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen mit unsicherem<br />

Aufenthaltsstatus müssen Sozialarbeiter_innen darüber hinaus <strong>als</strong> „Anwält_innen“<br />

ihrer Klient_innen fungieren. Vorschläge sind hierfür: Sensibilisierungsangebote<br />

für Mitarbeiter_innen der ABH zu den Lebenshintergründen und<br />

der Lebenssituation der Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, das Leisten<br />

von öffentlichkeitswirksamer Aufklärungsarbeit -beispielsweise durch die Bekanntmachung<br />

von Einzelschicksalen, am besten gemeinsam mit den Betroffenen-<br />

90


und das Betreiben von Lobbyarbeit auf politischer Ebene.<br />

In diesem Bereich ist die Soziale Arbeit noch weit davon entfernt sich<br />

überflüssig machen zu können. Auf mich und meine Kolleg_innen in der Sozialen<br />

Arbeit wartet ein breites Betätigungsfeld, das unseren engagierten Einsatz fordert.<br />

91


Quellenangaben<br />

Behrisch, S.: „Zu krank für Deutschland“. In: Die Tageszeitung, 12.10.2007,<br />

S. 21.<br />

<strong>Bleiberechtsbüro</strong> im Bayerischen Flüchtlingsrat e.V.: Statistik zum IMK-<br />

Bleiberecht. München 2007. Verfügbar unter:<br />

http://www.bleiberechtsbuero.de/?cat=7. Abgerufen am: 07.09.2007.<br />

Böhmer, M.: Chancen nutzen – Aufenthalt sichern. Die Bleiberechtsregelung<br />

der Konferenz der Innenminister und -senatoren vom 16./17.11.2006. Berlin<br />

2007. Verfügbar unter:<br />

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Publikation/IB/Anlagen/2007-02-<br />

08-chancen-nutzen-aufenthalt-sichern,property=publicationFile.<strong>pdf</strong>. Abgerufen<br />

am: 05.06.2007.<br />

Bourdieu, P. u. a.: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen<br />

Leidens an der Gesellschaft. Konstanz 1997.<br />

Bundesagentur für Arbeit (Hrsg.): Tipps zur erfolgreichen Jobsuche. Informationen<br />

für Arbeitnehmer. o. A. 2006.<br />

Verfügbar unter: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-<br />

Content/Veroeffentlichungen/Vermittlung/JobProfi-Tipps-Jobsuche-AN.<strong>pdf</strong>.<br />

Abgerufen am: 24.09.2007.<br />

Bundesministerium des Innern: Bericht zur Umsetzung des Bleiberechtsbeschlusses<br />

der Innenministerkonferenz vom 17. November 2006. Berlin 2007.<br />

Verfügbar unter: http://www.fluechtlingsinfoberlin.de/fr/<strong>pdf</strong>/Bericht_BMI_Bleiberecht.<strong>pdf</strong>.<br />

Abgerufen am: 15.09.2007<br />

Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Gemeinschaftsinitiative EQUAL.<br />

o. A. Verfügbar unter: http://www.equal.de/. Abgerufen am: 12.09.2007.<br />

Burkhardt, G.: „Flüchtlingsschutz im Abseits“. In: Tag des Flüchtlings 2006.<br />

Pro Asyl (Hrsg.). Frankfurt am Main 2006, S. 4 - 6.<br />

Burkhardt, G.: „Flüchtlinge schützen. Nicht abschieben“. In: Tag des Flüchtlings<br />

2007. Pro Asyl (Hrsg.). Frankfurt am Main 2007, S. 4 - 5.<br />

Classen, G.: Menschenwürde mit Rabatt. Das Asylbewerberleistungsgesetz und<br />

92


was wir dagegen tun können. 2. Auflage. Pro Asyl (Hrsg.). Frankfurt am Main<br />

2000.<br />

Classen, G.: Sozialleistungen für MigrantInnen und Flüchtlinge. Grundlagen für<br />

die Praxis. Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V. (Hrsg.). Hildesheim<br />

2005.<br />

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Anspruch und Wirklichkeit. Karlsruhe 1997.<br />

97


Anhang<br />

1. Kurzfragebogen<br />

Geschlecht:<br />

Alter:.....................<br />

Geburtsort:........................<br />

Antragstellung mit Familie?..................<br />

Wenn nein: wieso nicht?.......................<br />

Wenn ja:<br />

Mutter<br />

Vater<br />

Schwester<br />

Alter Kindergarten Schule Ausbildung Beruf<br />

Bruder<br />

Partner_in<br />

Tochter<br />

Alter Kindergarten Schule Ausbildung Beruf<br />

Sohn<br />

98


2. Leitfaden für das Interview mit langjährig geduldeten Menschen,<br />

die einen Antrag auf ein Bleiberecht nach dem IMK- Beschluss<br />

gestellt haben:<br />

Migration und Flucht<br />

− Wann haben Sie ungefähr Ihr Herkunftsland verlassen?<br />

− Wollen Sie mir dazu was erzählen, warum Sie nach Deutschland gekommen<br />

sind?<br />

Aufenthaltsstatus<br />

− Wann sind Sie nach Deutschland/Berlin gekommen?<br />

− Seit wie lange haben Sie eine Duldung? Ununterbrochen?<br />

− Wie sind Sie zur Duldung gekommen?<br />

− Wurde über Ihren Antrag schon entschieden?<br />

Lebenssituation in Deutschland<br />

− Würden Sie mir über Ihr Leben <strong>als</strong> geduldeter Mensch in Deutschland erzählen?<br />

− Gibt/Gab es Unterstützung?<br />

− Wo wohnen/wohnten Sie?<br />

− Mit wie vielen Menschen leben Sie in einem Raum/in einer Wohnung?<br />

− Wie groß ist die Wohnung?<br />

− Haben/Hatten Sie einen Stempel im Pass, der Ihnen verbietet, den Landkreis<br />

zu verlassen?<br />

Arbeit und Bildung<br />

− Welche Sprachen sprechen Sie?<br />

− Wo haben Sie deutsch gelernt?<br />

− Haben Sie einen Schulabschluss/Ausbildung/Beruf (Herkunftsland/Deutschland)?<br />

− Haben Sie Arbeitserfahrung (Herkunftsland/Deutschland)?<br />

− Haben/Hatten Sie eine Arbeit/Arbeitsangebot/Ausbildung (legale Arbeit)?<br />

99


− Waren Sie vor der Bleiberechtsregelung auf Arbeitssuche?<br />

− Sind Sie im Moment auf Arbeitssuche?<br />

− Hat sich durch die Bleiberechtsregelung etwas an Ihrer Arbeitssituation<br />

geändert?<br />

Anforderungen und Ausschlussgründe der Bleiberechtsregelung<br />

− Was verlangt/e die Ausländerbehörde von Ihnen (Pass, Arbeitsangebot,<br />

Deutschkenntnisse, ausreichender Wohnraum)?<br />

− Waren Sie bei der Botschaft? Bei welcher?<br />

− Hat sich was durch die Bleiberechtsregelung geändert?<br />

− Gibt es Ausschlussgründe(Straftaten, Täuschung)?<br />

Erfahrungen mit der Bleiberechtsregelung<br />

− Wie haben Sie von der Bleiberechtsregelung erfahren?<br />

− Wann haben Sie einen Antrag auf Bleiberecht gestellt?<br />

− Hat Ihnen jemand beim Antragstellen geholfen?<br />

− Haben Sie eine Antwort von der Ausländerbehörde erhalten?<br />

− Wie denken Sie über die Bleiberechtsregelung?<br />

100


3. Antrag auf eine AE nach dem IMK-Bleiberechtsbeschluss 56<br />

56 Verfügbar unter: http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/<strong>pdf</strong>/AE_IMK_Antrag.<strong>pdf</strong>. Abgerufen<br />

am: 10.10.2007.<br />

101


102


103


4. Integrationsvereinbarung des IMK-Bleiberechtsbeschlusses 57<br />

57 Verfügbar unter: http://www.berlin.de/imperia/md/content/seninn/pressestelle/anlage2.<strong>pdf</strong>. Abgerufen<br />

am: 10.10.2007.<br />

104


105

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