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"Man möchte sich am liebsten zerreißen ... " Innerhalb weniger Stunden nach der Alarmierung zum Erdbebeneinsatz war Oliver Schultz als THW-Pressesprecher unterwegs in das Katastrophengebiet in der Türkei. Mit 80 Stundenldlometer fahren wir in einem MIW am dritten Tag nach dem Erdbeben von Jalova nach Izmit. Rechts und links der Straße wechseIn sich in düsterer Gleichmäßigkeit stehengebliebene und zerstörte Häuser ab. Helfer graben in den Trümmern, Bagger, Polizei. Militär und Rettungswagen nehmen scheinbar kein Ende. In den verbleibenden zwei Fahrstunden verändert sich die Szenerie nur unwesentlich. Während eines Stopps springt ein Türke an unser Fahrzeug und bittet um Hilfe. Der Rest seiner Familie liegt noch unter dem Trümmerhaufen eines vormals fünfstöckigen Gebäudes. Aus dem Gesicht des Mannes spricht unermeßliche Verzweiflung. Wrr vermerken den Hilferuf auf einem Stadtplan und sagen schnellstmögliehe Hilfe zu. Der Kraftfahrer des MIW verweist auf die TIIW-Einheiten, welche sich wenige Kilometer entfernt in diese Richtung vorarbeiten. Bei den folgenden Stopps wiederholt sich die Szene immer und immer wieder: Man möchte sich am liebsten zerreißen und überall helfen. Das Einsatzhandy unterbricht die Gedankengänge, die unterschiedlichsten deutschen Pressevertreter möchten den Kontakt für Interviews herstellen. Kurz vor dem TIIW-Camp in Izmit kommt uns eine SEEBA-Gruppe mit zwei Pickups entgegen, weiß vom Schutt der Gebäude, grüßt uns im vorbeifahren und rast dem nächsten Einsatz entgegen. Im Camp angekommen, befinden sich zwei der drei SEEBA Gruppen im Einsatz. Ich stelle mich sofort dem Einsatzleiter vor, welcher mir eine umfassende Lagebeschreibung gibt: Im gesamten Schadensgebiet sind eine kaum vorstellbare Zahl mehr- 8 stöckiger Gebäude zerstört. Im Bereich des Epizentrums, im Raum Gölcuc, liegt eine weitgehende Totalzerstörung vor. Die obdachlosen und verstörten Menschen leben in Zelten. Im Raum Izmit ist die Strom- und Wasserversorgung teilweise funktionsfähig. Unzählige Hilfskräfte, zum Teil mit schwerem Gerät, prägen überall das Stadtbild. EID ·Stau von Hilfskräften droht permanent. Nahrungsmittel wie Brot und Tomaten sowie Wasserflaschen werden in Bussen herangeführt. Die SEEBA-Gruppen haben einen ständigen Fachberater in die örtliche Einsatzleitung entsandt. Gemeinsam mit der direkt benachbarten türkischen Feuerwehr werden die einlaufenden Aufträge abgearbeitet. Als Bereitstellungsraum dient die Auffahrt der· Feuerwehr und das TIIW Camp. Betonkettensägen, Ortungsgeräte, Hebe- und Aufbrechgeräte bilden den Kern der Ausstattung. Die Logistik im TIIW Camp ist auf eine vollständige Selbstversorgung eingerichtet. Alle deutschen und internationalen Hilfskräfte arbeiten nicht zuletzt dank der einheitlichen UN Qualitätsstand~ "search and rescue" effektiv zusammen. Täglich sind bis zu fünf Kamerateams im TIIW-Camp. Hinzu kommen eine große Anzahl telefonischer Anfragen und Interviews. Die Hauptaufgaben bestehen in der Presseinformation, dem Betreuen der Presseteams, dem Vorbereiten der Helfer quf Interviews und der Dolrum1ntation des Einsatzes. Schmerz und Dankbarkeit In einem Stadtteil vpn Izmit erkunden wir eine Schadensstelle \ in der Nähe eines Trümmerkegels, aus welchem TIIW-Helfer zwei Tage zuvor eine Frau lebend retten konnten. Die Anwohner des Nachbargebäudes - es steht schief. die Fenster sind geborsten und das Dach ist zusammengebrochen - eilen bei unserem Anblick in Familienstärke aus dem Erdgeschoß, bringen Wasser und Tee und bedanken sich bei uns in herzerweichender Form. Auch bei unserer Rückfahrt aus dem Krisengebiet wiederholen sich die Dankesszenen. Menschen . winken uns zu, schütteIn uns emotional berührt die Hände. Schmerz und Dankbarkeit sind die vorherrschenden Gefühle. Man begegnet ihnen in einem Ausmaß, das so unvorstellbar ist wie die Zahl der Schadensstellen. Die TIIW-Einsatzkräfte kehren mit dem Gefühl nach Deutschland zurück. eine gute Arbeit und alles menschlich Mögliche für die Rettung von Verschütteten getan zu haben. Die große Zahl der Einsatzorte (39) bestätigt diesen Eindruck: Am zweiten und dritten Tag nach dem Erdbeben wurden vier Personen und am vierten Tag noch eine Person gerettet. Insgesamt wurden 31 Menschen tot geortet und drei tot geborgen. Eingesetzte Kräfte: 63 Helfer der SEEBA mit 9 Rettungshunden, 11 Helfer des TIIW OV Bonn, I Öffentlichkeitshelfer des TIIW OV Berlin Reinickendorf, 7 Hundeführer der Wiesbadener Feuerwehr, 16 Feuerwehrleute der Berufsfeuerwehr Frankfurt olM, 10 Werksfeuerwehrleute der BASE 12 Feuerwehrleute mit II Hunden aus Rheinland Pfalz. Technisches Hilfswerk 3/99
Fortführung des Bosnien-Einsatzes Wiederaufbau von zerstörten Gebäuden und' die weitere Instandsetzung der Stromversorgung stehen im Mittelpunkt der THW-Arbeit in Bosnien. Parallel zu den Einsätzen des 1HW in Mazedonien, Albanien und im Kosovo wird der bereits 1993 begonnene Einsatz des 1HW in Bosnien und Herzegowina auch über die Jahrtausendwende hinaus weitergeführt. Gleichzeitig mit dem Entschluß, das Field Office Mostar im Süden Bosniens auf Grund der mittlerweile entspannten Lage zu schließen, wurde die Fortführung des Einsatzes in der Republika Srpska (RS) beschlossen. Die Arbeit des 1HW in Bosnien mit dem Schwerpunkt in der Region Mostar wurde 1998 auf Weisung des Innenministeriums auch auf die Republika Srpska, den serbischen Teil Bosniens, ausgeweitet. Ziel war es, in der Region Prijedor Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen, die sich zum damaligen Zeitpunkt noch in Deutschland und in anderen europäischen Ländern aufgehalten haben. Seitens der internationalen Gemeinschaft wurde gerade dieser Region große Aufmerksamkeit zuteil, da die hier geplanten Wiederaufbauprojekte als Schlüsselprojekte für die Rückkehr von Minderheiten in die Republika Srpska betrachtet wurden. Das 1HW hat daraufhin im Juni 1998 mit dem Bau eines Bauhofes in Kozarac begonnen, der im September letzten Jahres im Beisein von Direktor Henkel und des damaligen Rückkehrbeauftragten der Bundesregierung, Dietmar Schlee, sowie anderer nationaler und internationaler Vertreter eingeweiht wurde (siehe auch Heft 3/98). In den letzten acht Monaten hat das 1HW 130 Häuser rekonstruiert, ein Gemeindezentrum saniert und ca. 50 Kilometer Wasserversorgungsleitungen instandge- setzt. An mehreren kleineren Maßnahmen wird noch gearbeitet. Zu wesentlichen Problemen ist es nur bei der Instandsetzung des Elektroversorgungsnetzes gekommen. Nach mehrmonatigen erfolglosen Verhandlungen mit dem lokalen Stromversorger wurde der Energieminister der RS durch den EU-Repräsentanten Westendorp aufgefordert, für die Durchführung dieser Instandsetzungsmaßnahme zu sorgen. Nachdem daraufhin ein entsprechender Vertrag abgeschlossen werden konnte, wurden seitens des Stromversorgers mittlerweile personelle Konsequenzen gezogen, da die Zusammenarbeit trotz der Interventionen der EU nicht wie geplant voranging. Aktuelle Planungen Heute sind im Held Office Prijedor sechs deutsche hauptamtliche Mitarbeiter des 1HW und mehr als 30 nationale Mitarbeiter beschäftigt. Immer wieder aber werden zur Unterstützung bei kurz- und mittelfristigen Maßnahmen ehrenamtliche Helfer eingesetzt. wie zuletzt bei Einrichtung der Computer-Netzwerke in den Offices. Hierfür hat zum Beispiel die Bayer Bitterfeld GmbH den Mitarbeiter Nico Hauke vom OV Wolfen-Bitterfeld für fünf Monate freigestellt. Die Mittel für die Projekte des THW werden durch internationale Geldgeber wie .EU, UNHCR und verschiedene Regierungen, darunter auch die Bundesregierung, bereitgestellt. Die aktuellen Planungen sehen vor, daß bis Mitte 2000 drei Projekte (EU, UNH CR und Arbeitsstab Koschnick) mit einem Gesamtvolumen von mehr als sieben Millionen Mark durchgeführt werden, um für Minderheiten 217 Häuser wieder aufzubauen, drei Trafostationen und ca. 50 Kilometer Mittel- und Niederspannungsnetz instandzusetzen sowie eine berufsbildende Schule zu sanieren. Zum Abriß der über 200 total zerstörten Häuser wurden Mitte Juli Helfer aus den Landesverbänden Baden-Württemberg und Niedersachsen / Bremen angefordert. Bereits am 28. Juli traf der erste Helfer aus Baden-Württemberg ein. Jeweils für etwa fünf Wochen werden die Helfer mit den vorhandenen Baumaschinen und in Zusammenarbeit mit den nationalen Mitarbeitern den Abriß der Häuser und den Abtransport der Trümmer koordinieren. Die Trümmer werden mittels einer Backenbrechanlage zu Schotter verarbeitet und anschließend für den behelfsmäßigen Wegebau wiederverwendet. Die ehrenamtlichen Helfer können so ihre Kenntnisse der Fachausbildung Räumen ausführlich und unter Einsatz verschiedener Techniken in der Praxis vertiefen. Niels Freiherr Grate Aus Trümmern wird Schotter: THW Backenbrechanlage im Einsatz in Kozarac. Technisches Hilfswerk 3/99 9
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