Text (pdf) - von Katharina Mommsen
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Treue und Untreue in Hofmannsthais Frühwerk 315<br />
auf den Charakter des Andrea hingedeutet. Dessen ganze Philosophie bezieht<br />
sich ja auf das Verhältnis zwischen Sein und Werden, Beharren und<br />
Wechse!. Andrea vermag diese Antinomien des Daseins in seinem Denken<br />
und Handeln nicht so zu vereinen, wie es das Leben verlangt 20 . Er schlägt<br />
sich ganz auf die eine Seite, wird damit ein Unbeständiger, ein ewig Wechselnder<br />
und Treuloser. Hierauf deutet wiederum eine Stelle in "Ad me ipsum",<br />
wo Hofmannsthai den Helden <strong>von</strong> "Gestern" ausdrücklich bezeichnet<br />
als "Andrea den Wechselnden" und ihn in dieser Hinsicht vergleicht mit dem<br />
Harlekin aus "Ariadne auf Naxos" sowie mit dem Abenteurer aus "Der<br />
Abenteurer und die Sängerin"21.<br />
Wenn wir also in den Skizzen zum "Andreas"-Roman lesen, das Grundproblern<br />
<strong>von</strong> "Gestern" bestehe in "Treue, Beharren und Wechsel", so sehen<br />
wir, daß auch hiermit gezielt ist auf den problematischen Charakter des<br />
Andrea, auf "Andrea den Wechselnden ". Interessant ist jedoch folgendes. In<br />
den Romanskizzen steht jene Erwähnung <strong>von</strong> "Gestern" im Zusammenhang<br />
mit der Schilderung des Doppelwesens Maria/Mariquita, der Frau mit der Persönlichkeitsspaltung.<br />
Genau an dieser Stelle wird nun gesagt, daß Maria<br />
und Mariquita, die bis auf ihren Körper nichts gemeinsam haben, nicht<br />
einmal die Wohnung, doch durch eins verbunden werden - nämlich durch<br />
ein Hündchen, einen Zwergspaniei, der ihnen beiden gehört. Der Name<br />
dieses Hündchens aber lautet: Fidele! Man hat bisher mit diesem merkwürdigen<br />
Detail- dem Hündchen Fidele - nichts anzufangen gewußt. Daß es sich<br />
dabei um nichts ganz Belangloses handeln kann, scheint doch die Tatsache<br />
zu beweisen, daß Hofmannsthai sich zeitweilig mit dem Gedanken trug, den<br />
ganzen Roman zu nennen: "Die Dame mit dem Hündchen "22. Richard<br />
Alewyn dagegen betrachtet in seiner Interpretation des "Andreas"-Frag<br />
ments diesen Titel lediglich als eine Koketterie und bemerkt in Bezug auf das<br />
Hündchen Fidele: "Die Bedeutung dieses scheinbar spielerischen Requisits"<br />
sei "nicht abzusehen"22. Ich möchte glauben, daß das Rätsel sich löst, wenn<br />
man jenen Zug des Romans zusammen sieht mit Hofmannsthais gesamter<br />
Behandlung des Treue-Problems, namentlich aber mit seiner Behandlung<br />
in "Gestern".<br />
Lesen wir den betreffenden Passus aus den "Andreas"-Skizzen nochmals<br />
im Zusammenhang 23 : "Durch einen kleinen kurzatmigen King Charles-Hund,<br />
namens Fidele .. . hängen Maria und Mariquita zusammen (es ist wiederum<br />
das Grundproblem <strong>von</strong> ,Gestern': Treue, Beharren und Wechsel) - Dunkel<br />
ahnt Maria ... das was sie mit Mariquita gemein hat. So haben sie das<br />
Hündchen gemein."<br />
Folgende Deutung scheint sich mir notwendig zu ergeben: was die eine<br />
Gestalt des Andrea in "Gestern" verkörperte, innere Zerrissenheit, resul-<br />
20 Vgl. "Ad me ipsum" (Aufzeichnungen S. 216) : "Variiertes Grundthema: das Ich<br />
als Sein und das Ich als Werden. Das Thema in ,Gestern' frevelhaft gebracht."<br />
21 Aufzeichnungen (1959) S. 223.<br />
22 R. Alewyn a. a. O. S. 117.<br />
23 Erzählungen (1953) S. 207 .<br />
21 "