Text (pdf) - von Katharina Mommsen
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308 <strong>Katharina</strong> <strong>Mommsen</strong><br />
des Charakters und Lebens. Man glaubte nun, dem Dichter zu nahe zu treten,<br />
wenn man allzuviel <strong>von</strong> dem, was etwa in seinen Verherrlichungen der Unbeständigen<br />
und Treulosen ausgesprochen war, mit seiner Persönlichkeit, seinem<br />
Leben in Verbindung brachte. Ängstlich betonte beispielsweise Karl<br />
Naef, man dürfe die Gestalten des Andrea, der Helena, des Florindo "keineswegs<br />
auf das Leben zurückbeziehen ", wo dann "die Gesetzesparagraphen<br />
zur Anwendung kämen". Sie seien vielmehr Symbole für überirdische Zustände<br />
u. s. w. 4 •<br />
Ganz unnötigerweise hat man sich hier in eine Sackgasse begeben. Allgemein<br />
stand ja die Hofmannsthal-Forschung der letzten Jahrzehnte im Zeichen<br />
des Bemühens, die moralische Grundhaltung, den "sittlichen Ernst" des Dichters<br />
in all seinen Werken und Schaffensperioden nachzuweisen. Dies mag<br />
nötig gewesen sein, nachdem HofmannsthaI in früherer Zeit allzulange verkannt<br />
worden war als reiner Formalist und Ästhet. Inzwischen wurde aber<br />
dieser Irrtum so gründlich korrigiert, daß wir heute der Sorge überhoben<br />
sein sollten, noch weiterhin für HofmannsthaIs Ethos Beweise erbringen zu<br />
müssen. Der "sittliche Ernst" dieses DiclJ.ters steht fest. So möchte es an der<br />
Zeit sein, gerade seine Behandlung des Treue-Themas mit etwas mehr Freizügigkeit<br />
zu betrachten, als das bisher geschah. Man sollte den Mut haben,<br />
Fragen wie diese zu stellen: hingen die vielen Auseinandersetzungen mit Erscheinungen<br />
der Treulosigkeit in HofmannsthaIs Werk nicht doch zusammen<br />
mit bestimmten Eigenschaften, vielleicht auch Schwächen des Dichters? Muß<br />
die Erkenntnis eines solchen Zusammenhangs seinem Gesamtbild wirklich abträglich<br />
sein? Kann nicht in der Art, wie ein großer Dichter eigene Schwächen<br />
betrachtet, u. U. sich eine besondere Großartigkeit des Charakters manifestieren?<br />
Entschließt man sich, solche Fragen als erlaubt gelten zu lassen, so gibt uns<br />
schon HofmannsthaI selbst eine gute Wegweisung zu ihrer Beantwortung.<br />
Zu sprechen ist hier <strong>von</strong> dem sogenannten Ariadnebrief <strong>von</strong> 1911 und 12.<br />
In ihm besitzen wir zur Klärung unserer Frage ein wichtiges und wirklich<br />
aufschlußreiches Dokument.<br />
Über den ideellen Gehalt <strong>von</strong> "Ariadne auf Naxos" schrieb HofmannsthaI<br />
1911 an Richard Strauss 5 : "Es handelt sich um ein simples und ungeheueres<br />
Lebensproblem: das der Treue. An dem Verlorenen festhalten, ewig beharren,<br />
bis an den Tod - oder aber leben, weiterleben, hinwegkommen, sich verwandeln,<br />
die Einheit der Seele preisgeben, und dennoch in der Verwandlung<br />
sich bewahren, ein Mensch bleiben, nicht zum gedächtnislosen Tier herabsinken.<br />
Es ist das Grundthema der ,Elektra', die Stimme der Elektra gegen die<br />
Stimme der Chrysothemis, die heroische Stimme gegen die menschliche."<br />
Soweit HofmannsthaI zu Richard Strauss. Das Entscheidende ist hier, wie<br />
der Dichter über das Phänomen der Verwandlung spricht. Dies lehrt uns, eine<br />
4 Karl J. Naef, Hugo <strong>von</strong> Hofmannsthais Wesen und Werk. Zürich u. Leipzig 1938.<br />
S. 50.<br />
5 Richard Strauss - Hugo <strong>von</strong> HofmannsthaI. Briefwechsel. Gesamtausgabe hsg. <strong>von</strong><br />
Franz und Alice Strauss, bearb. <strong>von</strong> Willi Schuh. Zürich 1952. S. 130.