Text (pdf) - von Katharina Mommsen
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330 <strong>Katharina</strong> <strong>Mommsen</strong><br />
jenem Bedürfnis, Menschen durch Geschenke zu erfreuen, seine Diener, dann<br />
aber auch die auf seinen Wegen ihm Begegnenden: das Kind, den häßlichen<br />
Soldaten ... Wir haben hier noch der Tatsache zu gedenken, daß diese beiden<br />
Eigenschaften des Kaufmannssohns in ihrer ungewöhnlichen Verkoppelung<br />
nochmals an einer Gestalt des Hofmannsthalschen Frühwerks zutagetreten,<br />
nur viel deutlicher und leichter faßlich: nämlich an dem Wahnsinnigen des<br />
"Kleinen Welttheaters" , das nur zwei Jahre nach dem "Märchen" geschrieben<br />
wurde (1897). Die Verwandtschaft der beiden Gestalten ist frappierend.<br />
Auch der Wahnsinnige liebt einerseits die Distanzierung <strong>von</strong> den Menschen,<br />
die freiwillige Isolation, andererseits treibt ihn ebenfalls eine im Grunde<br />
liebevolle Natur dazu, die Menschen zu beschenken in ganz ähnlicher Weise,<br />
wie wir das bei dem Kaufmannssohn sahen.<br />
Es wird sich verlohnen, wenigstens einiger Partien des "Kleinen Welttheaters"<br />
zu gedenken, die auf diese beiden entgegengesetzten Eigenschaften<br />
des Wahnsinnigen hinweisen. Auf die Charakterisierung des Ausweichens,<br />
des Fliehens vor menschlichen Bindungen sind so viele Verse bezüglich, daß<br />
wir nur die wichtigsten zitieren können:<br />
... Wie er mit den Füßen viele Länder,<br />
Mit dem Sinn die Freundschaft vieler Menschen<br />
Und unendliches Gespräch hindurchfliegt<br />
Und der vielen Frauen Liebesnetze<br />
Lächelnd kaum berührt und weiterrauscht.<br />
Auf dem Wege blieben wie die Schalen,<br />
Leere Schalen <strong>von</strong> genoßnen Früchten,<br />
Herrliche Gesichter schöner Frauen,<br />
Lockig, mit Geheimnissen beladen,<br />
Purpurmäntel, die um seine Schultern<br />
Kühnerworbne Freunde ihm geschlagen.<br />
Alles dieses ließ er hinter sich!<br />
... Sie umklammern seine Handgelenke,<br />
Wenn er gehen will, und wie die Rehe<br />
Schauen sie voll Angst, warum er forteilt.<br />
Doch er lächelt ...<br />
Und er treibt sein Pferd schon vorwärts wieder ...<br />
Und er bleibt uns nicht an einem Orte ...<br />
Der Wahnsinnige entzieht sich also den Bindungen durch Freundschaft<br />
und Liebe gen au so wie das bei dem Kaufmannssohn zu Beginn des "Märchens"<br />
berichtet wird. Er ist im übrigen aber dem Kaufmannssohn auch darin<br />
ähnlich, daß er gleichfalls ein Leben in äußerster Zurückgezogenheit wählt.<br />
Er "nistet sich ein", so heißt es, in dem "einsamsten <strong>von</strong> den Kastellen",<br />
läßt "das ganze Leben draußen" und beschäftigt sich mit "zaubermächtigen<br />
Geräten" und "geheimnisvollen Büchern".<br />
Demgegenüber steht die andere Eigenschaft des Wahnsinnigen: das verschwenderische<br />
Austeilen <strong>von</strong> Geschenken, das auf seine eigentlich liebende,<br />
ja wie es ausdrücklich heißt, "liebesblinde" Natur hinweist 50 . Auch da<strong>von</strong><br />
berichten viele Verse, <strong>von</strong> denen wir nur herausgreifen:<br />
50 Gedichte und lyrisme Dramen (1952) S. 310.