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KIRCHE DER ZUKUNFT<br />
Wie man gekonnt<br />
aneinander vorbei redet<br />
n den letzten Wochen habe ich sehr viel über<br />
Idas Thema dieses Pfarrbriefs nachgedacht,<br />
mit Schüler/innen über die Kirche gesprochen,<br />
die anderen Artikel dieses Pfarrbriefs gelesen und<br />
meinen Beitrag viermal neu geschrieben. Und ich<br />
muss sagen, dass ich verwirrt bin. Wenn ich verwirrt<br />
bin, schaue ich häufig in die Bibel und fand<br />
diesmal u.a. diese Zeilen aus der Bergpredigt:<br />
Ihr seid das Salz der Erde. Wenn das Salz seinen Geschmack<br />
verliert, womit kann man es wieder salzig machen?<br />
Es taugt zu nichts mehr; es wird weggeworfen und<br />
von den Leuten zertreten. Ihr seid das Licht der Welt.<br />
Eine Stadt, die auf einem Berg liegt, kann nicht verborgen<br />
bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und<br />
stülpt ein Gefäß darüber, sondern man stellt es auf den<br />
Leuchter; dann leuchtet es allen im Haus. So soll euer<br />
Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten<br />
Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.<br />
Mit diesen wichtigen Zeilen möchte ich die<br />
Stimmen, die ich wahrnehme, in Beziehung setzen.<br />
Wenn ich konservative Katholiken höre,<br />
heißt es, dass die Kirche sich keinesfalls (an den<br />
Zeitgeist) anpassen dürfe, um weiter Salz und<br />
Licht zu sein. Ich höre und lese, dass doch im<br />
Grunde fast alles richtig gemacht würde und dass<br />
die Medien alles übertreiben, dass das geistige<br />
Klima hierzulande den Weg für eine Christenverfolgung<br />
bereite und dass sich die Welt von Gott<br />
abwende und damit von der Kirche.<br />
Wenn ich dann liberale Katholiken oder Personen<br />
außerhalb der Kirche frage, höre und lese<br />
ich, dass insbesondere die Entscheidungsträger<br />
der katholischen Kirche an grandioser Selbstüberschätzung<br />
bezüglich ihrer moralischen Autorität<br />
leiden. Man könne nicht gleichzeitig normalen<br />
Menschen vorschreiben, wann sie mit wem zu<br />
schlafen hätten und gleichzeitig Liebeleien von<br />
Priestern, inklusive der Existenz des resultierenden<br />
Nachwuchses vertuschen. Ich nehme wahr,<br />
dass die Menschen der Kirche vorwerfen, dass sie<br />
sich mehr um ihr eigenes Wohl als um das der<br />
Welt sorge und damit jeden Kredit verspielt habe.<br />
Ich höre, dass tief gläubige Christen sich angewidert<br />
von der Kirche abwenden, weil sie der Auffassung<br />
sind, dass sie nicht den Willen Gottes,<br />
sondern ihren eigenen Machterhalt und die eigene<br />
Rechtfertigung im Sinn hat. Ich lese den Vorwurf,<br />
dass eine von Männern beherrschte Kirche<br />
wohl kaum mit dem Prinzip zu vereinbaren sei,<br />
dass ausnahmslos alle Menschen Gottes Abbild<br />
sind. In all dem klingt Jesu Vorwurf an die Gesetzeslehrer<br />
wider: „Ihr ladet den Menschen Lasten<br />
auf, die sie kaum tragen können, selbst aber<br />
rührt ihr keinen Finger dafür.“ (Lk 11,46)<br />
Ganz gewiss vermag ich nicht zu sagen, welche<br />
Sicht der Dinge „richtig“ ist. Die Angst um Identitätsverlust<br />
ist nachvollziehbar, genauso der<br />
Wunsch nach einer Neuinterpretation der ewig<br />
gültigen Glaubenswahrheiten. Eines scheint mir<br />
offensichtlich: Hier wird furchtbar aneinander<br />
vorbei geredet. Beide Seiten sind sich sicher, ganz<br />
genau zu wissen, was Gott will, und projizieren<br />
zudem eigene Wünsche auf die Kirche. Die einen<br />
sagen, dass Gott keine praktizierenden Schwulen<br />
will, die anderen sagen, dass Gott sie doch so gemacht<br />
hat, und ihnen sicher nicht lebenslange<br />
Qual durch Dauerabstinenz aufbrummen wollte.<br />
Beide Seiten rücken keinen Millimeter von ihrem<br />
Standpunkt ab und werfen sich gegenseitig tonnenweise<br />
Schriftbelege an den Kopf.<br />
Fakt ist: Auch die Sichtweisen kirchlicher Entscheidungsträger<br />
haben keine ewige Gültigkeit.<br />
Ein Beispiel: 1864 verurteilte Papst Pius IX. die<br />
Idee der Religionsfreiheit als Irrtum, 100 Jahre<br />
später wurde die Religionsfreiheit auf dem Vaticanum<br />
II. für alle Menschen festgestellt. So scheint<br />
mir eine völlige Abschottung gegenüber weltlicher<br />
Anfragen genauso falsch wie die destruktiven<br />
Angriffe von außen. Alle müssen ständig<br />
überlegen, wie die beiden zentralen Gebote –<br />
Gottesliebe und Nächstenliebe –, aus denen sich<br />
alles andere ergibt, jeweils umzusetzen sind. Dabei<br />
scheint mir ein gewisser Respekt von allen Seiten<br />
für die Sichtweise der jeweils anderen Seite<br />
geboten, dazu gehört auch eine Portion Toleranz.<br />
Darum ging es bei der Sache mit dem Splitter<br />
und dem Balken. Ich denke, dass die katholische<br />
Kirche hierzulande nur eine Zukunft hat und Salz<br />
wie Licht sein kann, wenn genau das konsequent<br />
beherzigt und umgesetzt wird.<br />
Stefan Krissel<br />
MARIA KÖNIGIN NIEDERNHAUSEN/SANKT MICHAEL OBERJOSBACH<br />
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