04.11.2013 Aufrufe

liebe leserinnen, liebe leser, Heimweh ist die ... - Christina Bacher

liebe leserinnen, liebe leser, Heimweh ist die ... - Christina Bacher

liebe leserinnen, liebe leser, Heimweh ist die ... - Christina Bacher

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

und um <strong>die</strong> welt<br />

„Entweder Psychiatrie oder Knast…“<br />

BANK EXTRA: Sie haben Musik und Psychologie<br />

in Bonn stu<strong>die</strong>rt, Ihr Diplom<br />

in Psychologie absolviert. Dann haben<br />

Sie eine interessante Berufswahl<br />

getroffen. Sie waren Gefängnispsychologe<br />

in der JVA Siegburg. Warum?<br />

Konrad Beikircher: Ich habe neben dem<br />

Studium gejobbt, als freier Mitarbeiter<br />

beim Generalanzeiger in Bonn.<br />

Da habe ich natürlich Seiten in Bonn<br />

kennen gelernt, <strong>die</strong> nicht so schön<br />

waren. Darüber sollten wir berichten.<br />

Gleichzeit waren es <strong>die</strong> 68-Zeiten. Ich<br />

war natürlich auf der Straße, selbstverständlich<br />

haben wir demonstriert. Ich<br />

habe mich mit meinem Papa gestritten,<br />

habe mich als wahrer Sozial<strong>ist</strong><br />

gefühlt. Deshalb war uns klar, meiner<br />

damaligen Frau und mir: Es kommt für<br />

uns nur eine soziale Tätigkeit in Frage.<br />

Also entweder Psychiatrie oder Knast.<br />

BANK EXTRA: Wann haben Sie den<br />

Sozial<strong>ist</strong>en abgelegt? Oder sind Sie es<br />

noch? Sie entsprechen nicht gerade<br />

dem Klischee…<br />

Konrad Beikircher: In Bezug auf das<br />

Herz für Minderheiten bin ich sozial<br />

geb<strong>liebe</strong>n. Sozial<strong>ist</strong> bin ich wohl nicht<br />

mehr so richtig, dazu haben mich das<br />

Leben und <strong>die</strong> Einsichten in größere<br />

Zusammenhänge doch zu sehr abgeschliffen.<br />

Ich engagiere mich aber nach<br />

wie vor für <strong>die</strong> Benachteiligten, egal,<br />

wo sie sind.<br />

BANK EXTRA: Wie haben Sie das<br />

gemacht: Von einer sehr gut dotierten<br />

Tätigkeit im öffentlichen Dienst des<br />

Strafvollzugs, kurz vor einer Beförderung,<br />

in das eher unsichere Leben des<br />

Kabarett<strong>ist</strong>en zu wechseln?<br />

Konrad Beikircher: 1971 habe ich angefangen.<br />

Das war ein Aufbruchsgefühl<br />

damals – wir waren ja <strong>die</strong> ersten<br />

Gefängnispsychologen – und haben<br />

einen roten Teppich gelegt bekommen<br />

vom Min<strong>ist</strong>erium. Wir konnten damals<br />

also viele Dinge tun, da können <strong>die</strong><br />

Gefängnispsychologen heute nur von<br />

träumen. Ich bin mit den jugendlichen<br />

Straftätern in Siegburg Mittagessen<br />

gegangen, draußen. Ich habe das dem<br />

Anstaltsleiter gesagt: „Das sind junge<br />

Leute. Die kriegen hier einen Koller.<br />

Die müssen mal raus.“ Mit einer Naivität<br />

ohnegleichen. Ich habe das 15<br />

Jahre lang gemacht. Es <strong>ist</strong> nie etwas<br />

passiert. Ich bin der Überzeugung:<br />

Wenn man jugendlichen Straftätern<br />

mit kontrolliertem Vertrauen begegnet,<br />

man muss natürlich offene Augen<br />

haben, das wird honoriert. Mir <strong>ist</strong> kein<br />

einziger abgehauen…. Das <strong>ist</strong> der<br />

Grund, warum ich damals gegangen<br />

bin: Dieser völlige Blödsinn, dass der<br />

Psychologe in einer geschlossenen<br />

Situation erklären soll, wie jemand in<br />

der freien Situation, „draußen“, funktioniert,<br />

lebt und tickt.<br />

BANK EXTRA: Ihr Thema heute <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />

Sprache und Kultur des Rheinländers.<br />

Ihr neues Buch heißt dann konsequenterweise<br />

„Wer weiß, wofür et<br />

jot es“. Wir gehen davon aus, dass es<br />

nicht ausschließlich ein Loblied auf <strong>die</strong><br />

gemütliche rheinische Seele <strong>ist</strong>…<br />

Konrad Beikircher: Ich habe da auch<br />

Geschichten drin, <strong>die</strong> der kölschen und<br />

rheinischen Seele unbekannt sind. Es<br />

geht auch um Düsseldorf und Aachen.<br />

Und „dat kennt der Kölsche jar nit“, weil<br />

er außer sich gar nichts kennt. Und es<br />

<strong>ist</strong> natürlich der kabarett<strong>ist</strong>isch überhöhte<br />

Blick auf <strong>die</strong>ses Lebensgefühl.<br />

Es <strong>ist</strong> ja wirklich anders hier, es <strong>ist</strong><br />

überhaupt nicht deutsch, schon eher<br />

wallonisch oder französisch. Wenn er<br />

auch nicht kochen kann, der Rheinländer.<br />

Das <strong>ist</strong> eine einzige Katastrophe.<br />

Insgesamt <strong>ist</strong> es aber doch eine ganz<br />

witzige, mediterrane Art hier zu leben.<br />

BANK EXTRA: Witzige Art zu leben?<br />

Vielleicht von Weiberfastnacht bis Veilchen<strong>die</strong>nstag.<br />

Am Aschermittwoch sitzen<br />

dann alle wieder mit langen, griesgrämigen<br />

Gesichtern in der U-Bahn<br />

und granteln vor sich hin…<br />

„Mir geht <strong>die</strong>ses Wetter auch auf das<br />

Gemüt…“<br />

Konrad Beikircher: Also, ich glaube, das<br />

hat ziemlich viel mit Licht und Wetter<br />

zu tun. Was soll ich sagen: Das <strong>ist</strong> einfach<br />

Scheiße hier. Wenn man einmal<br />

das andere kennen gelernt hat, das<br />

Leben südlich der Alpen… Mir geht es<br />

auf das Gemüt, wenn von November<br />

bis März der Vorhang zu <strong>ist</strong>, niemand<br />

zieht <strong>die</strong> Rollladen hoch, es <strong>ist</strong> immer<br />

<strong>die</strong>ser Dunst, <strong>die</strong>ser Hochnebel. Also<br />

ich kann das schlecht ertragen. Ich<br />

denke, da bin ich nicht der einzige…<br />

BANK EXTRA: Kommen wir noch einmal<br />

auf Ihr neues Buch zurück. Der Kölsche<br />

wird allgemein als gutmütig, gemütlich<br />

und fröhlich beschrieben. Sogar sein<br />

Lieblingshassobjekt, den Düsseldorfer,<br />

verwaltet und pflegt er eher mit<br />

niedlicher Hingabe. Gibt es eigentlich<br />

gar nichts Gemeines an <strong>die</strong>sem kölschen<br />

Charakter?<br />

Konrad Beikircher: Klar, das gibt es.<br />

Selbst in Redensarten. Eine klassische<br />

Situation <strong>ist</strong>: Du b<strong>ist</strong> in Köln, stolperst,<br />

fällst hin. Da guckt dich der Kölsche an<br />

und sagt: „Bisse jefalle?“ Ohne Dir zu<br />

helfen. Wie alle Menschen hat der Kölner<br />

Schadenfreude. Und es gibt eine<br />

große Laissez faire-Haltung in Köln.<br />

Über <strong>die</strong> hat sich Heinrich Böll schon<br />

aufgeregt, und zwar zu recht. In dem<br />

Sinne: „Et is mer ejal.“ Also <strong>die</strong> kölsche<br />

Übersetzung des französischen Egalité.<br />

So leicht der Kölner bei Dingen, <strong>die</strong><br />

ihm gefallen, mitgeht und singt und<br />

mitmacht, so schnell dreht er sich auch<br />

um, wenn man etwas von ihm will,<br />

wenn man ihn einfordert und anfängt,<br />

verbindlich zu werden. Das hat er nicht<br />

so gerne. Die kölsche Anonymität heißt:<br />

So lange Du mit ihm Kölsch trinkst, <strong>ist</strong><br />

alles in Ordnung. Heute duzt er dich,<br />

und morgen guckt er dich mit dem<br />

Arsch nicht an. In Norddeutschland <strong>ist</strong><br />

das anders: Wenn Du den ersten Schritt<br />

machst, dann steht der Kontakt. Die<br />

machen halt nicht den ersten Schritt.<br />

12

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!