liebe leserinnen, liebe leser, Heimweh ist die ... - Christina Bacher
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und um <strong>die</strong> welt<br />
„Entweder Psychiatrie oder Knast…“<br />
BANK EXTRA: Sie haben Musik und Psychologie<br />
in Bonn stu<strong>die</strong>rt, Ihr Diplom<br />
in Psychologie absolviert. Dann haben<br />
Sie eine interessante Berufswahl<br />
getroffen. Sie waren Gefängnispsychologe<br />
in der JVA Siegburg. Warum?<br />
Konrad Beikircher: Ich habe neben dem<br />
Studium gejobbt, als freier Mitarbeiter<br />
beim Generalanzeiger in Bonn.<br />
Da habe ich natürlich Seiten in Bonn<br />
kennen gelernt, <strong>die</strong> nicht so schön<br />
waren. Darüber sollten wir berichten.<br />
Gleichzeit waren es <strong>die</strong> 68-Zeiten. Ich<br />
war natürlich auf der Straße, selbstverständlich<br />
haben wir demonstriert. Ich<br />
habe mich mit meinem Papa gestritten,<br />
habe mich als wahrer Sozial<strong>ist</strong><br />
gefühlt. Deshalb war uns klar, meiner<br />
damaligen Frau und mir: Es kommt für<br />
uns nur eine soziale Tätigkeit in Frage.<br />
Also entweder Psychiatrie oder Knast.<br />
BANK EXTRA: Wann haben Sie den<br />
Sozial<strong>ist</strong>en abgelegt? Oder sind Sie es<br />
noch? Sie entsprechen nicht gerade<br />
dem Klischee…<br />
Konrad Beikircher: In Bezug auf das<br />
Herz für Minderheiten bin ich sozial<br />
geb<strong>liebe</strong>n. Sozial<strong>ist</strong> bin ich wohl nicht<br />
mehr so richtig, dazu haben mich das<br />
Leben und <strong>die</strong> Einsichten in größere<br />
Zusammenhänge doch zu sehr abgeschliffen.<br />
Ich engagiere mich aber nach<br />
wie vor für <strong>die</strong> Benachteiligten, egal,<br />
wo sie sind.<br />
BANK EXTRA: Wie haben Sie das<br />
gemacht: Von einer sehr gut dotierten<br />
Tätigkeit im öffentlichen Dienst des<br />
Strafvollzugs, kurz vor einer Beförderung,<br />
in das eher unsichere Leben des<br />
Kabarett<strong>ist</strong>en zu wechseln?<br />
Konrad Beikircher: 1971 habe ich angefangen.<br />
Das war ein Aufbruchsgefühl<br />
damals – wir waren ja <strong>die</strong> ersten<br />
Gefängnispsychologen – und haben<br />
einen roten Teppich gelegt bekommen<br />
vom Min<strong>ist</strong>erium. Wir konnten damals<br />
also viele Dinge tun, da können <strong>die</strong><br />
Gefängnispsychologen heute nur von<br />
träumen. Ich bin mit den jugendlichen<br />
Straftätern in Siegburg Mittagessen<br />
gegangen, draußen. Ich habe das dem<br />
Anstaltsleiter gesagt: „Das sind junge<br />
Leute. Die kriegen hier einen Koller.<br />
Die müssen mal raus.“ Mit einer Naivität<br />
ohnegleichen. Ich habe das 15<br />
Jahre lang gemacht. Es <strong>ist</strong> nie etwas<br />
passiert. Ich bin der Überzeugung:<br />
Wenn man jugendlichen Straftätern<br />
mit kontrolliertem Vertrauen begegnet,<br />
man muss natürlich offene Augen<br />
haben, das wird honoriert. Mir <strong>ist</strong> kein<br />
einziger abgehauen…. Das <strong>ist</strong> der<br />
Grund, warum ich damals gegangen<br />
bin: Dieser völlige Blödsinn, dass der<br />
Psychologe in einer geschlossenen<br />
Situation erklären soll, wie jemand in<br />
der freien Situation, „draußen“, funktioniert,<br />
lebt und tickt.<br />
BANK EXTRA: Ihr Thema heute <strong>ist</strong> <strong>die</strong><br />
Sprache und Kultur des Rheinländers.<br />
Ihr neues Buch heißt dann konsequenterweise<br />
„Wer weiß, wofür et<br />
jot es“. Wir gehen davon aus, dass es<br />
nicht ausschließlich ein Loblied auf <strong>die</strong><br />
gemütliche rheinische Seele <strong>ist</strong>…<br />
Konrad Beikircher: Ich habe da auch<br />
Geschichten drin, <strong>die</strong> der kölschen und<br />
rheinischen Seele unbekannt sind. Es<br />
geht auch um Düsseldorf und Aachen.<br />
Und „dat kennt der Kölsche jar nit“, weil<br />
er außer sich gar nichts kennt. Und es<br />
<strong>ist</strong> natürlich der kabarett<strong>ist</strong>isch überhöhte<br />
Blick auf <strong>die</strong>ses Lebensgefühl.<br />
Es <strong>ist</strong> ja wirklich anders hier, es <strong>ist</strong><br />
überhaupt nicht deutsch, schon eher<br />
wallonisch oder französisch. Wenn er<br />
auch nicht kochen kann, der Rheinländer.<br />
Das <strong>ist</strong> eine einzige Katastrophe.<br />
Insgesamt <strong>ist</strong> es aber doch eine ganz<br />
witzige, mediterrane Art hier zu leben.<br />
BANK EXTRA: Witzige Art zu leben?<br />
Vielleicht von Weiberfastnacht bis Veilchen<strong>die</strong>nstag.<br />
Am Aschermittwoch sitzen<br />
dann alle wieder mit langen, griesgrämigen<br />
Gesichtern in der U-Bahn<br />
und granteln vor sich hin…<br />
„Mir geht <strong>die</strong>ses Wetter auch auf das<br />
Gemüt…“<br />
Konrad Beikircher: Also, ich glaube, das<br />
hat ziemlich viel mit Licht und Wetter<br />
zu tun. Was soll ich sagen: Das <strong>ist</strong> einfach<br />
Scheiße hier. Wenn man einmal<br />
das andere kennen gelernt hat, das<br />
Leben südlich der Alpen… Mir geht es<br />
auf das Gemüt, wenn von November<br />
bis März der Vorhang zu <strong>ist</strong>, niemand<br />
zieht <strong>die</strong> Rollladen hoch, es <strong>ist</strong> immer<br />
<strong>die</strong>ser Dunst, <strong>die</strong>ser Hochnebel. Also<br />
ich kann das schlecht ertragen. Ich<br />
denke, da bin ich nicht der einzige…<br />
BANK EXTRA: Kommen wir noch einmal<br />
auf Ihr neues Buch zurück. Der Kölsche<br />
wird allgemein als gutmütig, gemütlich<br />
und fröhlich beschrieben. Sogar sein<br />
Lieblingshassobjekt, den Düsseldorfer,<br />
verwaltet und pflegt er eher mit<br />
niedlicher Hingabe. Gibt es eigentlich<br />
gar nichts Gemeines an <strong>die</strong>sem kölschen<br />
Charakter?<br />
Konrad Beikircher: Klar, das gibt es.<br />
Selbst in Redensarten. Eine klassische<br />
Situation <strong>ist</strong>: Du b<strong>ist</strong> in Köln, stolperst,<br />
fällst hin. Da guckt dich der Kölsche an<br />
und sagt: „Bisse jefalle?“ Ohne Dir zu<br />
helfen. Wie alle Menschen hat der Kölner<br />
Schadenfreude. Und es gibt eine<br />
große Laissez faire-Haltung in Köln.<br />
Über <strong>die</strong> hat sich Heinrich Böll schon<br />
aufgeregt, und zwar zu recht. In dem<br />
Sinne: „Et is mer ejal.“ Also <strong>die</strong> kölsche<br />
Übersetzung des französischen Egalité.<br />
So leicht der Kölner bei Dingen, <strong>die</strong><br />
ihm gefallen, mitgeht und singt und<br />
mitmacht, so schnell dreht er sich auch<br />
um, wenn man etwas von ihm will,<br />
wenn man ihn einfordert und anfängt,<br />
verbindlich zu werden. Das hat er nicht<br />
so gerne. Die kölsche Anonymität heißt:<br />
So lange Du mit ihm Kölsch trinkst, <strong>ist</strong><br />
alles in Ordnung. Heute duzt er dich,<br />
und morgen guckt er dich mit dem<br />
Arsch nicht an. In Norddeutschland <strong>ist</strong><br />
das anders: Wenn Du den ersten Schritt<br />
machst, dann steht der Kontakt. Die<br />
machen halt nicht den ersten Schritt.<br />
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