liebe leserinnen, liebe leser, Heimweh ist die ... - Christina Bacher
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und um <strong>die</strong> welt<br />
Bin Laden oder Barak Obama, Bälle<br />
und Zollstöcke, bunte Stoffe und Mehrfachsteckdosen?<br />
Alles <strong>ist</strong> zu haben.<br />
Und der Typ mit den Kopfkissen steht<br />
24 Stunden an seinem Platz! Also kann<br />
man auch nachts sein Kopfkissen kaufen,<br />
genau dann wenn man es braucht.<br />
Und das <strong>ist</strong> hier in Deutschland wohl<br />
kaum möglich. Afrika <strong>ist</strong> also wirklich<br />
eine ausgesprochene Dienstle<strong>ist</strong>ungsgesellschaft.<br />
All <strong>die</strong>s <strong>ist</strong> übrigens me<strong>ist</strong>ens zentral<br />
gesteuert und es steckt ein Patron<br />
dahinter, der bestimmt, wer was und<br />
wo verkauft. Dass jemand auf eigene<br />
Faust <strong>die</strong>sem Kleingewerbe nachgeht,<br />
<strong>ist</strong> eher selten.<br />
Alternative Geschäfte<br />
Abends gibt's dann leider andere<br />
Dienstle<strong>ist</strong>ungen auf der Straße. Junge<br />
Damen bieten auf ihren Mopeds<br />
eindeutigen Service an und nehmen<br />
einen mit wohin man will, oder wo<br />
es ihnen am geeignetsten erscheint.<br />
Ziemlich zweifelhaft angesichts der<br />
Seuchen, <strong>die</strong> so grassieren und auch<br />
aus menschlichen Gründen nicht zu<br />
empfehlen.<br />
Auch eine andere Art von Geschäft<br />
hat sich seit einiger Zeit eingebürgert,<br />
<strong>die</strong> man eher von unseren südeuropäischen<br />
Nachbarn kennt: Handtaschen<br />
ziehen vom Moped aus. Äußerst<br />
unfein und ziemlich rüpelhaft in <strong>die</strong>ser<br />
eher friedlichen Gesellschaft.<br />
Ziemlich nervig sind auch <strong>die</strong> sogenannten<br />
Garibous, kleine Jungs, <strong>die</strong><br />
mit Dosen um den Hals zum Betteln<br />
geschickt werden. Diese Koranschüler<br />
sammeln in den Gefäßen das Erbettelte<br />
und müssen abends einen Teil als<br />
Obolus an ihren Me<strong>ist</strong>er abgeben. Und<br />
wenn nicht, dann kann es auch schon<br />
mal Senge geben. Machenschaften,<br />
<strong>die</strong> man durchaus nicht unterstützen<br />
muss, und man sollte sich daher auch<br />
nicht von der Mitleidstour einlullen<br />
lassen.<br />
Not und Freude am gleichen Platz<br />
Schlimmer dran sind da schon <strong>die</strong><br />
Leute mit allen Arten von Behinderungen,<br />
Krüppel, Lepröse und ge<strong>ist</strong>ig<br />
Behinderte. Alte Damen sitzen auf<br />
dem Randstein und verbinden das<br />
Betteln mit ungeheurer Würde, und<br />
<strong>die</strong> Mädchen oder Jungen, <strong>die</strong> einen<br />
Teil ihrer Jugend damit verbringen,<br />
mit einem Blinden in der Stadt herumzulaufen,<br />
immer seine Hand auf der<br />
Schulter und zu den einträglichsten<br />
Bettelplätzen an Ampeln und Straßenkreuzungen<br />
zu führen, könnten sich<br />
bestimmt auch etwas besseres vorstellen.<br />
Und trotz der Armut und des<br />
täglichen Überlebenskampfes <strong>ist</strong> da<br />
immer eine bewunderungswürdige<br />
Leichtigkeit und eine gewisse Fröhlichkeit<br />
dabei. Alle haben ihren Platz<br />
auf der Straße, alle versuchen, etwas<br />
zu ergattern und haben vielleicht auch<br />
mal einen Glückstag.<br />
So wie mein Fahrer.<br />
In der Ruhe liegt <strong>die</strong> Kraft<br />
Ich fahre nicht selbst durch <strong>die</strong>sen<br />
Wirrwarr, sondern habe mir natürlich<br />
einen Fahrer genommen. Ich will<br />
ja nicht als Nervenbündel enden. Er<br />
stand abends am Flughafen, als ich<br />
angekommen bin: „Taxi, Monsieur?“<br />
Na aber sofort. In dem Gewühl noch<br />
extra eins suchen mit dem ganzen<br />
Gepäck, wäre doch etwas zuviel gewesen.<br />
Es <strong>ist</strong> nicht wie in Europa, dass da<br />
so eine Schlange steht und man sich<br />
einem Fahrzeug annähert. Hier spricht<br />
der Fahrer einen an und trägt dann das<br />
Gepäck in Sicherheit zum Auto, kurze<br />
Verhandlung, und ab dafür. Oder auch<br />
nicht. Bei mir war's „oder auch nicht“,<br />
denn <strong>die</strong> Karre sprang zunächst mal<br />
nicht an. Ein paar Jungs halfen beim<br />
Schieben und wir konnten uns dem<br />
Ziel nähern. Am nächsten Tag musste<br />
er mich abholen, zum Büro bringen,<br />
in <strong>die</strong> Stadt, einkaufen und so weiter.<br />
Und das jeden Tag, den ich in der<br />
Hauptstadt zu tun habe. Der Typ hat<br />
das große Los gezogen, denn er hat<br />
nun einen festen Kunden und muss<br />
schließlich eine Frau und zwei bis drei<br />
Kinder ernähren.<br />
Der Dienst am Kunden<br />
Ich rufe an: „Gilbert, morgen um viertelnachsechs<br />
muss ich ins Büro“, und<br />
pünktlich um viertelnachsechs <strong>ist</strong> er<br />
da. „Dann holst Du mich bitte um 17<br />
Uhr wieder ab und kaufst vorher noch<br />
zwei chinesische Koffer“, und er tut es.<br />
Rumpelt mit seinem nicht mehr taufrischen<br />
Fahrzeug deutscher Bauart<br />
<strong>die</strong> P<strong>ist</strong>en lang, wartet auf mich, redet<br />
nicht zuviel (das kann man getrost mir<br />
überlassen) und <strong>ist</strong> zum Glück ein eher<br />
zögerlicher ruhiger Fahrer, der manchmal<br />
vielleicht etwas zu lange an den<br />
Kreuzungen wartet, um zu sehen, ob<br />
nicht doch noch ein verwirrter Fahrradfahrer<br />
auftaucht. Aber besser, als<br />
wenn er sich in fahrlässiger Weise ins<br />
Getümmel stürzen würde und mich<br />
und meine Mitmenschen in Gefahr<br />
brächte. Sein alter Passat hat übrigens<br />
kein Taxischild auf dem Dach.<br />
Es <strong>ist</strong>, wie so viele, ein illegales Taxi,<br />
und Gilbert sollte sich tunlichst nicht<br />
erwischen lassen. Dass er manchmal<br />
mit der Handbremse bremsen muss,<br />
weil bremsen und Gas geben gleichzeitig<br />
eher schwierig <strong>ist</strong> und sonst der<br />
Motor ausgeht, stört mich wenig. Er<br />
bringt mich hin, wohin ich will! Und ich<br />
war auch mal jung und habe ziemliche<br />
Schrottkarren gefahren.<br />
Der Wagen gehört nicht ihm, und er<br />
muss täglich zwischen 10.000 und<br />
15.000 (14 bis 18 Euro) beim Besitzer<br />
abliefern, und da <strong>ist</strong> der Sprit noch nicht<br />
drin. Den Rest, wenn es denn einen<br />
gibt, darf er sich selbst einstecken. Ein<br />
hartes Los also, und umso zufriedener<br />
<strong>ist</strong> er, dass er mich selbst am heutigen<br />
Sonntagmorgen um sieben ins Büro<br />
kutschieren darf.<br />
info<br />
Matthias Bartholdi hat über 16<br />
Jahre in Afrika gelebt und gearbeitet<br />
und verbringt auch heutzutage<br />
<strong>die</strong> Hälfte der Zeit in afrikanischen<br />
Ländern. Er hat eine kleine Beratungsfirma<br />
und <strong>ist</strong> im Augenblick<br />
als Teamleiter in einem Projekt der<br />
Deutschen Entwicklungszusammenarbeit<br />
in Burkina Faso tätig.<br />
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