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liebe leserinnen, liebe leser, Heimweh ist die ... - Christina Bacher

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und um <strong>die</strong> welt<br />

„Kali kä oräa Gineka“<br />

(Gute schöne Frau)<br />

Wenn ich erzähle, ich arbeite<br />

mit chronisch psychisch<br />

Kranken zusammen, treffen<br />

mich nicht selten schiefe Blicke.<br />

Während <strong>die</strong> Einen meinen, <strong>die</strong>s sei<br />

doch wohl besonders hart, mutmaßen<br />

andere, das man wohl selber „nicht<br />

ganz dicht“ sein muss, wenn man das<br />

aushält.<br />

Sie können nicht wissen, wie wohl ich<br />

mich fühle mit meinen Ver-Rückten,<br />

aus der Mitte verschobenen Menschen.<br />

Hier weiß ich, woran ich bin und wenn<br />

mich Nico mit „Hallo Frau Professor,<br />

heute ganz in Strapse-Rot?“ (Nico<br />

drückt konsequent jedes Gefühl in<br />

Farben und Zahlen aus) begrüßt, dann<br />

zweifle ich keine Minute daran, hier bin<br />

ich richtig. Wir begegnen uns anderswo,<br />

jenseits der Worte und wenn es<br />

ihm schlecht geht und alles fünfzigmal<br />

rabenschwarze Nacht, dann <strong>ist</strong> es klar,<br />

dass er kaum geschlafen hat, das seine<br />

Heimkollegen ihn geärgert oder <strong>die</strong><br />

Gesamtweltlage ihm zugesetzt haben.<br />

So einfach <strong>ist</strong> das mit Nico.<br />

Meine kleine Griechin versucht nie,<br />

mir ein X für ein U vorzumachen.<br />

Me<strong>ist</strong> geht’s ihr „etzi, etzi“, was soviel<br />

heißt wie „nicht gut, nicht schlecht“.<br />

Wir begrüßen uns auf griechisch und<br />

manchmal, wenn sie nicht von bösartigen<br />

Dämonen geplagt <strong>ist</strong>, <strong>die</strong> ihr<br />

sagen, sie solle Kinder umbringen,<br />

strahlt sie mich an und sagt „Kali kä<br />

oräa Gineka“. Das verstehen dann nur<br />

sie und ich und das bleibt auch unser<br />

Geheimnis.<br />

Wenn ich morgens <strong>die</strong> Werkstatt<br />

betrete, sind meine „Verrückten“ noch<br />

schläfrig. Einige dösen in der Cafeteria.<br />

Andere rauchen und blaue Wolken<br />

hängen über ihren Köpfen.<br />

Frau Watzlawick liegt im tiefen Schlummer<br />

in ihren dicken Armen am Tisch.<br />

Wenn sie den Kopf hebt, <strong>ist</strong> ihr Blick<br />

glasig. Sie erhebt sich schwerfällig und<br />

watschelt dann traumwandlerisch in<br />

ihre Gruppe.<br />

Ausgestattet mit dem Handy, mit<br />

dem ich als Krankenschwester immer<br />

erreichbar sein muss, wandere ich<br />

von Werkstatt zu Werkstatt. Während<br />

ich Herrn Meier eine handvoll Pillen<br />

reiche, <strong>die</strong> er in einem Schluck mit<br />

Wasser hinunterspült und dabei etwas<br />

von Frühschoppen murmelt, höre ich<br />

mir <strong>die</strong> Klagen von Vanessa, <strong>die</strong>sem<br />

dicken fünfzigjährigem Mädchen, an.<br />

Sie zeigt mir ihren abgebrochenen Fingernagel<br />

und mault, dass alles sowieso<br />

Scheisse <strong>ist</strong> heute, das sie keine<br />

Lust zu gar nichts und außerdem Kopfschmerzen<br />

habe.<br />

Ich zücke mein Zauberfläschchen mit<br />

Lavendelöl, reibe ihr <strong>die</strong> Schläfen ein,<br />

stelle ihr ein Wochenende mit ihrem<br />

Freund Willi in Aussicht und schon<br />

verziehen sich <strong>die</strong> düsteren Wolken.<br />

Sie strahlt schon wieder übers ganze<br />

Gesicht und fragt: „Hör mal Schätzchen,<br />

was <strong>ist</strong> das, wenn man immer<br />

kalte Hände hat?“<br />

Wenn ich dann antworte „Kalte Hände,<br />

heiße Liebe“, lacht sie <strong>die</strong>ses blechernes<br />

Lachen, das nur sie zustande<br />

bringt.<br />

Zwei Männer kalbern herum, sie<br />

boxen und schubsen sich wie Jungbullen<br />

auf der Weide. Mit drohendem<br />

Zeigefinger gehe ich dazwischen und<br />

schon nehmen sie sich in den Arm und<br />

demonstrieren tiefste Liebe.<br />

Ich wandere durch <strong>die</strong> Werkstätten,<br />

messe hier einen Blutdruck, klebe<br />

dort ein Pflaster auf, schneide den<br />

eingerissenen Nagel von Herrn Weidmann,<br />

creme <strong>die</strong> Hände vom halbseitig<br />

gelähmten Herrn Weyer ein und<br />

bekomme als Dankeschön das hinreißendste<br />

Lächeln, was sich denken<br />

lässt. In der Küche steckt mir Frau<br />

Wessel heimlich einen frischgebackenen<br />

Reibekuchen zu und mit meiner<br />

Griechin tanze ich auf dem Gang einen<br />

Zirtaki.<br />

Frau Lubinski, <strong>die</strong> mir heute erzählt,<br />

sie heiße nicht Lubinski, sondern<br />

Bachmann, sie habe vier Kinder und<br />

vom letzten sei sie gestern entbunden<br />

worden, bekommt ihre Mittags-Medikamente.<br />

Sie werden nicht verhindern,<br />

dass sie morgen vielleicht Frau<br />

Schmitz oder Frau Meyer heißt. Seit<br />

dem Tod ihres Vaters richtet sie sich<br />

täglich in anderen Welten ein.<br />

Ich widerspreche ihr nicht, das würde<br />

sie verwirren und sage nur „Tschüss,<br />

Frau Lubinski, bis Morgen.“ Sie lächelt<br />

nachsichtig. Vermutlich hält sie mich<br />

für ein bisschen verrückt.<br />

Ich lasse sie in dem Glauben und beim<br />

Verlassen des Hauses denke ich, Verrückt<br />

sein <strong>ist</strong> – um mit Nicos Worten zu<br />

reden – tausendmal pinkfarben besser.<br />

Maria Bruske-Schmachtenberg<br />

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