111 orte Der Atombunker Im Ernstfall wird auf den Gleisen campiert Text: Bernd Imgrund Fotos: Britta Schmitz Stell dir vor, es <strong>ist</strong> Krieg, und du kommst nicht mehr rein“, könnte man denken, wenn man durch den Atombunker Kalk-Post spaziert. Die gesamt U-Bahn-Anlage <strong>ist</strong> ein Relikt des Kalten Krieges der siebziger Jahre, als man noch damit rechnete, dass jederzeit „der Russe“ käme. Hinter unscheinbaren blechernen Wandverkleidungen stecken massive Stahlschleusentore, <strong>die</strong> im Ernstfall geschlossen werden können. Dahinter, in einem kaum quadratmetergroßen Kämmerchen, steht dann der Schleusenwart und zählt: „1, 2, 3 … 2.365.“ Denn Platz <strong>ist</strong> hier für 2.366 Flüchtlinge, deren letzter der Zähler selbst wäre. Die Frage, was denn mit dem 2.367. geschehe, beantwortete ein freundlicher Führer von der Berufsfeuerwehr einst eindeutig: „Tja, Feierabend. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.“ Wem jedoch Einlass gewährt wird, der kommt in den Genuss eines ockergelb gestrichenen, verzweigten Geländes samt Operationssaal, Lebensmittellager für maximal vierzehn Tage und einem eminent wichtigen Luftkühlungssystem. Weil ein jeder Mensch ein Wärmekraftwerk mit einer Le<strong>ist</strong>ung von 100 Watt pro Stunde <strong>ist</strong>, kann es im Bunker binnen kürzester Zeit recht schwül werden. Im Ernstfall dürfen sich hier fünfzig Leute eine Kloschüssel teilen, hundertfünfzig Männer ein Urinal. Auch der Rudolfplatz beherbergt übrigens eine solche Anlage, insgesamt können sich kölnweit rund achttausend Menschen Hoffnungen auf einen Bunkerplatz machen. Geschlafen wird unter anderem rechts und links der Kalker Gleisanlagen. Dort können ebenfalls Tore herabgelassen werden, und dazwischen passen 1.096 mausgraue Feldbetten. Die übrigen Schlafstätten verteilen sich auf abgestellte KVB-Bahnen und Aufenthaltsräume. Die gesamte Anlage <strong>ist</strong> so funktional ausgerichtet, dass an keinerlei Freizeitgestaltung, <strong>die</strong> den sicherlich nicht leichten Alltag untertage etwas unterhaltsamer gestalten könnte, gedacht wurde: Es findet sich weder ein Video- noch ein Spiel- oder Fitnessraum. Adresse: U-Bahn-Station Kalk-Post ÖPNV: Bahn 1, 9, Haltestelle Kalk-Post Öffnungszeiten: In den Bunker gelangt man nur zu äußerst raren Gelegenheiten, etwa anlässlich von Bunkertouren der VHS. Die Gleise- potentielle Schlafstättensind selbstverständlich frei zugänglich. In der Umgebung: Vom Kalten Krieg in <strong>die</strong> Konsumwelt der Gegenwart führt ein Gang in <strong>die</strong> KölnArkaden. Das gigantische Einkaufszentrum entstand auf dem Gebiet der ehemaligen Chemischen Fabrik Kalk. Der Abdruck unserer neuen Reihe „Kölner Orte“ geschieht mit freundlicher Genehmigung des Emons Verlags. Texte und Fotos sind entnommen aus dem Buch „111 Kölner Orte, <strong>die</strong> man gesehen haben muss.“ Bernd Imgrund/Britta Schmitz, Emons Verlag, ISBN-13: 978-3897056183, 5. Auflage. 32
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